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Metallischer Wusserstoff Roland Winter Metallischer Wasserstoff - im Wandel der Zeit 1 Zweifellos gehort die Suche nach dem me- tallischen Wasserstoff zu den Schliisselpro- blemen der aktuellen Forschung in Physik, Chemie und Astrophysik. Als Metall ware Wasserstoff namlich einzigartig, da in die- sem Zustand in ihm keine gebundenen oder lokalisierten Elektronen mehr vorkommen: Er bestiinde nur noch aus Protonen und freien Elektronen. Uber den Stand der For- schung auf dem Weg zum metallischen Wasserstoff wird hier berichtet, wobei es letztendlich um die beiden Fragen geht: Kann man metallischen Wasserstoff im La- bor herstellen? 1st der metallische Wasser- stoff ein Supralciter, vielleicht sogar ein Hochtemperatur-Supraleiter ? Woher kommt das Interesse am metallischen Wasserstoff? Die Theoretikcr sind vor allem an den Fragen nach dem Mechanismus des Nichtmetall-Me- tall-Ubergangs und der Supraleitfahigkeit in- teressiert. Wahrend eine technische Anwen- dung dcs mctallischcn Wasserstoffs zur Zeit nicht absehbar ist, liegt seine astrophysikali- sche Relevanz auf der Hand: 92 Prozent un- seres Weltalls bestehen aus Wasserstoff, und hohc Driicke sind, wie Tabelle 1 zeigt, nichts Ungewohnliches. Es wird vermutet, dag die grogen Planctcn unseres Sonnensystems wic Jupiter und Saturn (Abbildung 1) zum Meeresboden Mond-Zentrum Mars-Zentrum Erd-Zentrum Saturn-Zcntrum Jupiter-Zentrum Sonnen-Zentrum WeiI3e Zwerge 0,001 Mbar 0,05 Mbar 0,4 Mbar 3,6 Mbar 30 Mbar 10' Mbar la5 Mbar 10" Mbar grogen Tcil aus metallischcm Wasscrstoff bc- stehen. Als Beispiel betrachten wir den Auf- bau des Jupiters, des grof3ten und mit 1/1047 der Sonnenmasse auch dcs massereichstcn dcr Planeten unseres Sonnensystems, etwas naher. Jupiter besteht wie die Some aus den leichten Eleinenten Wasserstoff und Helium. Riesen- planctcn wie Jupitcr konnen wegcn ihres star- ken Gravitationsfeldes diese leichten Elemen- te festhalten. Aus Modellrcchnungen ergibt sich folgender innerer Aufbau des Planeten (Abbildung 2): Etwa 1000 km unterhalb der sichtbaren Oberflache des Planeten befindet sich eine Ubergaiigszone zwischen gasformi- gcm und flussigcm Wasserstoff mit einer Temperatur von etwa 2000 K und einern Druck von 560C bar. In etwa 1C 003 kin 'I'icfc betragt die Temperatur dann etwa 10 000 K und dcr Druck ist auf 2 Millioncn bar (2 Chemze zn tlnserer Zest / 26. Jahrg. 1992 / z\fr. 6 0 VCH Verldg$gese&-chaft rnbJJ, W-6940 Wemheim, 1992 0009-2851/92/0612-028~ $03.50 + .2>/0 Abb. 1. Die Groflenverhaltnisse der Plane- ten unseres Sonnensystems relativ zur Son- nenoberflache (die Entfernungen zwischen den Planeten sind nicht maflstabsgetreu). Mbar) angestiegen. Unter diesen Bedingun- gen findet wahrscheinlich eine Phasenum- wandlung des Wasserstoffs von der flussigen molckularcn Form in den fliissigcn metalli- schen Zustand statt. Das Vorhandensein des flussigcn metallischcn Wasscrstoffs im Inne- ren des Planeten durfte entscheidend fur die Entstehung des Planeten-Magnetfelds sein. Weiter in Richtung auf das Zcntrum steigen Druck und Temperatur auf 45 Mbar und 20COO K an. Trotz dcr hohen Driicke und Dichte bleibt der Wasserstoff im Inneren des Planeten wegen dcr relativ hohen Temperatu- 285

Metallischer Wasserstoff – im Wandel der Zeit

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Metallischer Wusserstoff

Roland Winter Metallischer Wasserstoff - im Wandel der Zeit

1 Zweifellos gehort die Suche nach dem me- tallischen Wasserstoff zu den Schliisselpro- blemen der aktuellen Forschung in Physik, Chemie und Astrophysik. Als Metall ware Wasserstoff namlich einzigartig, da in die- sem Zustand in ihm keine gebundenen oder lokalisierten Elektronen mehr vorkommen: Er bestiinde nur noch aus Protonen und freien Elektronen. Uber den Stand der For- schung auf dem Weg zum metallischen Wasserstoff wird hier berichtet, wobei es letztendlich um die beiden Fragen geht: Kann man metallischen Wasserstoff im La- bor herstellen? 1st der metallische Wasser- stoff ein Supralciter, vielleicht sogar ein Hochtemperatur-Supraleiter ?

Woher kommt das Interesse am metallischen Wasserstoff?

Die Theoretikcr sind vor allem an den Fragen nach dem Mechanismus des Nichtmetall-Me- tall-Ubergangs und der Supraleitfahigkeit in- teressiert. Wahrend eine technische Anwen- dung dcs mctallischcn Wasserstoffs zur Zeit nicht absehbar ist, liegt seine astrophysikali- sche Relevanz auf der Hand: 92 Prozent un- seres Weltalls bestehen aus Wasserstoff, und hohc Driicke sind, wie Tabelle 1 zeigt, nichts Ungewohnliches. Es wird vermutet, dag die grogen Planctcn unseres Sonnensystems wic Jupiter und Saturn (Abbildung 1) zum

Meeresboden Mond-Zentrum Mars-Zentrum Erd-Zentrum Saturn-Zcntrum Jupiter-Zentrum Sonnen-Zentrum WeiI3e Zwerge

0,001 Mbar 0,05 Mbar 0,4 Mbar 3,6 Mbar 30 Mbar 10' Mbar la5 Mbar 10" Mbar

grogen Tcil aus metallischcm Wasscrstoff bc- stehen. Als Beispiel betrachten wir den Auf- bau des Jupiters, des grof3ten und mit 1/1047 der Sonnenmasse auch dcs massereichstcn dcr Planeten unseres Sonnensystems, etwas naher. Jupiter besteht wie die Some aus den leichten Eleinenten Wasserstoff und Helium. Riesen- planctcn wie Jupitcr konnen wegcn ihres star- ken Gravitationsfeldes diese leichten Elemen- te festhalten. Aus Modellrcchnungen ergibt sich folgender innerer Aufbau des Planeten (Abbildung 2): Etwa 1000 km unterhalb der sichtbaren Oberflache des Planeten befindet sich eine Ubergaiigszone zwischen gasformi- gcm und flussigcm Wasserstoff mit einer Temperatur von etwa 2000 K und einern Druck von 560C bar. In etwa 1C 003 kin 'I'icfc betragt die Temperatur dann etwa 10 000 K und dcr Druck ist auf 2 Millioncn bar (2

Chemze zn tlnserer Zest / 26. Jahrg. 1992 / z\fr. 6 0 VCH Verldg$gese&-chaft rnbJJ, W-6940 Wemheim, 1992 0009-2851/92/0612-028~ $03.50 + .2>/0

Abb. 1. Die Groflenverhaltnisse der Plane- ten unseres Sonnensystems relativ zur Son- nenoberflache (die Entfernungen zwischen den Planeten sind nicht maflstabsgetreu).

Mbar) angestiegen. Unter diesen Bedingun- gen findet wahrscheinlich eine Phasenum- wandlung des Wasserstoffs von der flussigen molckularcn Form in den fliissigcn metalli- schen Zustand statt. Das Vorhandensein des flussigcn metallischcn Wasscrstoffs im Inne- ren des Planeten durfte entscheidend fur die Entstehung des Planeten-Magnetfelds sein. Weiter in Richtung auf das Zcntrum steigen Druck und Temperatur auf 45 Mbar und 20COO K an. Trotz dcr hohen Driicke und Dichte bleibt der Wasserstoff im Inneren des Planeten wegen dcr relativ hohen Temperatu-

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Mutallischer Wasserstoff

L

ren noch flussig. Im Zentrum des Planeten schliefilich befindet sich vermutlich ein Kern von etwa 14 Erdmassen, bestehcnd aus eincr Mischung von Gestein und ,,Eis" (festes Me- than, Ammoniak und Wasser). Modellrech- nungen liefern fur den Druck im Zentruin des Kcrns ctwa 100 Mbar. Eine cxpcrirnentelle Klarung des Wasserstoffproblems wiirde zu einer Verbesserung der Modelle fur den Pla- netenaufbau fuhren und weiterc Erkcnntnis uber die Entstchung, den Energiehaushalt und den Magnetismus der Planecen liefern.

Bevor wir uiis den expcrimcntcllcn Untcrsu- chungscrgebnissen m m Problem des metalli- schen Wasserstoffs zuwenden, wollen wir dis- kutieren, welche thermodynamischen Bcdin- gungen fur den Ubergang vom nicht- metallischen Wasserstoff zum metallischen Zustand theoretisch zu erwarten sind, und erortcrn, ob man aus Expcrimenten an ahnli- chcn Systemen etwas uber den Mechanismus des Nichtmetall-Metall-Ubergangs im Was- serstoff lernen kann.

Der Nichtmetall-Metall-Ubergang

Wahrend der Ubergang vom nicht-metalli- schen zum metallischen Zustand von Theore- tikern schon in den zwanzigcr Jahren disku- ticrt wurde [2], ist es erst in den letzten Jahr- zehnten gelungen, diesen Ubergang bei einer Reihe von Systemen experimentcll zu untcr- suchcn. Es war namlich miiglich, den Uber- gang durch Variation der Dotierung, des Druckes, der Temperatur, der Konzentration seincr Konstituentcn, dcs Magnetfcldes usw. zu induzieren. Zu den gut untersuchten Systemen zihlen zum Beispiel die hochdo- tiertcn Halbleitcr (z. B. P-doticrtes Silicium), bis in die Nahe ihrer kritischen Punkte (Dampf/Flussigkeit) expandierte Fliissigkci- ten (z. B. Quccksilbcr, Casium) [4], flussige I isungen und Salzschmelzen (z. B. Natrium in Ammoniak oder Rubidium in Rubidium- bromid) sowic Elcmentc und Vcrbindungen unter sehr hohem Druck (z. B. Selen, Iod).

I3ic theoretische Beschreibung des Nichtme- tall-Metall-Ubergangs wurde stark von D. A. Goldhammcr und K. F. Hcrzfcld, N. F. Mort, J. Hubbard und P. W. Anderson beeinflufit und hat in den lerzten Jahrcn in dcn ncuercn Arbciten zur Quantenlokalisation wieder ei- nen grofien Aufschwung erlebt 131. Bereits 1927 wurdc von Hcr7.feld in seincr Arbeit ,,On Atomic Properties which make an Ele- ment a Metal" [2] ein einfaches Modell fur den Nichtmetall-Metall-Ubergang ent-

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wickelt. Ausgangspunkt war die Clausius- Mosotti-Gleichung nichtmctallischer Syste- me: (nz-l)/(n2+2) = R/V, die den Brechungs- index n mit dem Molvolumen V im kon- densierten Zustand und dcr Molrefraktion des atomaren gasformigen Zustandes R = (4/3)N,a (u Polarisierbarkeit, N, Avogadro- Zahl) verknupft. Fur nichtmetallischc Systc- me gilt immer K/V < 1. Wenn R/V = 1 ist, mufl die Dielektrizitatskonstante E (= n') ge- gen unendlich gehen, einc sogenannte Polarisationskatastrophc tritt ein. Der metal- lische Zustand ist also durch R/V > 1 gekenn- zeichnet. Mit diesem einfachen Kriterium 1aBt sich also fur jedcs Atom odcr Molekul das

kritische Molvolumen voraussagen, 1 lei dem sich ein metallischer Festkiirper bilde n kann.

Tabellc 2 zcigt Bcispiele fur das Verhaltnis R N am Tripelpunkt einiger Elernen e. Man erkennt, wie gut das Kriterium z. B. f i r diese Elemente erfullt ist. Einc entsprechcr dc Ab- schatzung fur den metallischen Wa: serstoff [5] mit den bekannten Werten fur Molvolu- men und Brechuiigsindcx im flussig en Zu- stand bei 20 K ergibt eine Dichte, bei der der Nichtmetall-Metall-Ubergang einsetz en soll, von etwa 1,02 g . em", was etwa Icr 13- fachen Schmclzpunktsdichte des Wass erstoffs entspricht.

Element Polarisierbarkeit Molvolumen Molrefraktion u [A3] V[cm3 . mol-'1 R[cm' . mol-'1 (R/\ 1 T. p

He 0,2 Xe 4,o Li 24,3 c s 59,5

17 37 13 71

0s 10 61 150

0,03 0,27 4,7 2,l

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Mctallischer Wasserstoff'

Abb. 2. Modell des inneren Aufbaus von Ju- piter (nach D. J. Stevenson).

Abb. 3. Schematische Darstellung der rei- nen und abgeschirmten Coulomb-Energie V(r) zwischen einem positiven Ion und ei- nem Elektron. Wahrend das reine Cou- lomb-Potential eine lange Reichweite hat, wird in einem ,Elektronensee" hoher Elek- tronendichte die Reichweite ra des abge- schirmten Potentials sehr kurz, typischer- weise kleiner als I A.

Abb. 4. Effektiver Radius a$ des lokalisier- ten Elektronenzustandes in Abhlngigkeit von der kritischen Metallisierungskon- zentration nc fur eine Vielzahl verschiede- ner Systeme (nach [6]).

Abb. 5. Schematische Darstellung einer Diamantstempelzelle. Das Probenvolumen betragt im allgemeinen etwa 0,02 mm'. Die Metallfolie, die den Probenraum abdichtet (Gasket), ist ca. 100 bis 500 pm dick.

Eine quantitativerc Theorie m m Nichtme- tall-Metall-Ubcrgang, ausgehend von Vorstel- lungen zur Abschirmung der Ionenrumpfe durch die umgebenden Elektronen, wurde \ o n Sir Nevi11 Mott entwickelt 131. Die Grundidee der Theorie wollen wir uns an- hand eines Modellsystems vcranschaulichen.

Wir betrachten ein System von I-I-Atomen hei unterschiedlichen Dichtcn. Bei geringer 1)ichte sind die Wasserstoff-Atome weit von- einander entfernt, und die Wellenfunktionen ihrcr Elektronen uberlappen sich nus gering- fiigig. Wurde von cinem Atom ein Elektron entfernt und zum Nachbar-Atom ubertragen, s o ware die hohe Aktivicrungsenergje I - E (I Ianisierungsencrgic, E Elektronenaffinitat des frcien Atoms) erforderlich. Die Frcisetzung des Elektrons ist ungunstig, da sich das H+- Ion und das Elektron wegen der Coulomb- Wechselw-irkungsenergic -c2/r (r Abstand E lektron-Ion) anziehen und damit bevorzugt paarweise binden. Die Coulomb-Anzichung fiihrt, selbst wenn sic schwach ist, zu gebun- denen Zustanden, und das System verhalt sich wie ein Isolator. Dies ist aber dann nicht niehr der Fall, wenn die Dichte der freien Elektronen grog genug wird, um die Cou- lomb-Anziehung so weit abzuschirinen, dai3

5 Kolbenkipphebel

1

Proben-a - raum mit

sie nach a d e n sehr schnell, etwa mit - (e2/r)exp(-qr) (9' Abschirmlange, gibt die Reichweitc dcr Wechselwirkung an), abfallt (Abbildung 3). 1st q grofi genug, so fiihrt das Potential nicht mehr zu Bindungszustandcn, und die Ionisierungsencrgic dcs Atoms geht gegcn Null. Bei hohen Dichten sind die Elektronen also frei, wahrend bci geringen Dichten die Coulomb-Wechselwirkung keine frcien Elektronen zulact. Damit ergibt sich folgendes Kriterium fur dcn Nichtmetail- Metall-Ubergang: Die Elektronen sind delo - kalisiert, wenn die Elektronendonor-Konzen- tration n einen kritischen Wert nc ubcrschrei- tet, fur den gilt nc'". atl = 0,25 (a, Bohrscher Radius des H-Atoms). P. P. Edwards und M. J. Sienko haben gezeigt [6], dafl diese Glei- chung fast ,,universellc" Gultigkeit bekommt, wenn man aH durch den effektiven Radius a; = h2E/(me2) des isolierten Atoms im Mcdi- um der Dielektrizitatskonstantcn E ersetzt. Sie haben dieses rclativ einfache Kriterium an einer Reihc von Systemen, die durch Varia- tion der Dichte, Konzentration usw. einen Nichtmetall-Metall-Ubcrgang durchlaufen, uberpruft und gefunden, dafi die Beziehung fur u her neun Grofienordnungen von nc gul- tig ist (Abbildung 4).

Die Anwendung des Mott-Kriteriums auf Wasserstoff liefert eine kritischc Teilchenkon- zentration n, fur den Nichtmetall-Metall- Ubcrgang von etwa 1,I . lo2' ~ m - ~ . Dies ent- spricht etwa der funffachcn Schmelzpunkt- dichtc des Wasserstoffs, entsprechend einer Kompression auf etwa 2 Mbar. Ncuere Band- strukturrcchnungen zur Metallisierung des Wasserstoffs fiihren zu ahnlichen Ergebnisscn [7,8]. Die Ergebnissc dcr vcrschiedenen theo- rctischen Rechnungen zeigen, dafi eine drasti- sche Koinpression des Wasserstoffs erforder- lich ist, damit der Nichtmeiall-Metall-Uber- gang einsetzen kann. Wie kann man nun so hohe Driicke im Labor erzeugen?

Das Diamantstempelverfahren

Kurzzcitig, d. h. fur Millionstel von Sekun- den, lasscn sich sehr hohc Driicke (und auch hohe Temperaturen) z. B. durch Explosionen und Stdwellen, also dynaniische Methoden, erzeugen. Hohc statischc Drucke, die genaue- re experimentelle Untersuchungen zulassen, sind mit Hilfe des Diarnantstempelverfahrens miiglich. Bci dicscm Vcrfahrcn wird Diamant, eines der hartesten Materialien, die wir ken- nen, als Steinpel in cine Hochdruckapparatur eingcbaut. Seit ihrcm ersten Einsatz im Jahre 1959 haben Mitarbeiter einer Reilie von wis- senschaftlichen Institutioncn diesc Diamant- zellc zum wichtigstcn Werkzeug fur die quantitative Hochdruckforschung weiterent- wickelt p].

Das Schema einer Diamantstempelanlage zeigt Abbilduiig 5. Im Zentrum der Appara- tur befinden sich zwei geschliffene Diaman- ten, je von etwa einem drittel his einem halbcn Karat. Ihre Spitzen sind zu klcincn ebenen Flachen geschliffen. n a s Diamantpaar setzt man so in ein druckerzeugendes mechani- sches Teil, das ahnlich dem Nuiiknackcrprin- zip aufgebaut ist, dail die kleinen Diamant- flachen einander dicht gegenuberstehen. Die Mechanik mufl so prazisc sein, dafi die Kraft, die auf die beiden Diamanten ausgeubt wird, gcnau senkrecht auf den kleinen Flachen steht. Es gibt eine Reihc vcrschiedener Vor- schlage fur die Konstruktion der Mechanik solcher Diamantstempelanlagen 191. Die eigentliche Hochdruckzellc besteht aus einem kleinen Loch in einer Metallfolie von etwa 0,2 mm Dicke, die zwischen die Diamantflachen gelegt wird. Die Probe wird zusamnien mit Rubinkristallchen fur die nruckeichung und cinem Flussigkeitstropfen, um eine Gleich- verteilung des Druckes im Zellinneren zu gc- wahrleisten, eingefullt. Untcr Druck wird die Metallfolie zusammengeprefit und damit der Probenraum abgedichtet. Da die Stirnflachen der Diamanten selir klein sind, wird der Druck auf die Probe sehr grofi (Druck gleich Kraft pro Flache). Mit solchen Apparaturcn kann man Driicke von mehr als 2 Mbar crzcugen.

Rubin fluoresziert mit tiefroter Farbe, wenn man ihn mit Licht anregt. Das Fluoreszenz- licht enthalt zwei Spektrallinien, deren Wel- lcnlangen sehr genau meflbar sind und die sich mit steigendem Druck zu groi3ercn Wel- lenlangcn verschicben. Diese Verschiebung mit dein Druck I& sich eichen und auf diese Weisc durch Bestimmung der Wellenlan-

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Metallischer Wasserstoff

geninderungen der beiden Fluoreszenzhien der Druck, der in der Zelle herrscht, niessen.

Nachdcm die Zelle gefullt und der Druck durch die Mechanik erzeugt ist, dienen die Diamanwn als Fcnster, durch die sich die Pro- be beobachten la13t. Es sind also auch spek- troskopische Untersuchungen (z. B. Absorp- tions- und Reflexionsmessungcn in1 Energic- bereich voii 0,5 bis 5 eV, Raman- und Brillouin-Streuexpcrimente) an der Probe un- ter hohern Druck moglich. Wegen der rclativ guten Ilurchlassigkeit von Diamanten fur Rontgcnstrahlcn konnen auch Beugungsex- perirnente durchgefiihrt wcrdcn. Mit Hilfe von Laserheizmethoden kann man heute auch Tempcraturen bis zu einigen tausend Grad in Diarnantzellcn crzeugcn. Naturlich hat die Anwendbarkeit des Diamantstempcl- verfahrcns auch seine Crenze. Diese durfte bei einein Druck von etwa 10 Mbar errcicht scin. In diesem Druckbereich muate nach theoretischen Abschatzungen auch Iliainant inetallisch werden. Bcreits ab etwa 5 Mbar wird seine Flieflgrenze erreicht sein.

Der geloste Fall: Iod

Es erhcbt sich naturlich die Frage, ob man ei- nen Nichtrnetall-Metall-Ubergang unter ho- hem Druck bereits in einem anderen System beobachtet hat und daraus etwas uber das Verhalten von hochkomprimicrtem Wasser- stoff lernen kann. Tatsachlich hat man im lod den Ubergang von der nichtinetallischen zur metallischen Phase schon bci mai3ig hoheii Driicken gefunden. Bei Normaldruck ist lod ein halbl5itender Kristall, der aus zweiatomi- gen Iod-Molekiilen, I,, aufgebaut ist. Zwi- schen dem Valenzband dcs Kristalls, das vollstandig mit Elektronen gefiillt ist, und dem leeren Leitungsband liegt eine verbotene Energiezone. Bei Druckerhijhung bis auf ctwa 170 kbar wird der molekulare Kristall xu eineni clcktrisch leitenden Metall, wie bereits H. G. Drickamer vor 30 Jahren auf- grund von Lcitfahigkeitsmessungen vermute- te [I 01. Neuere Riintgcnbeugungsuntersu- chungeii [ 111 haben gezeigt, dail Iod bci dic- sem Druck noch cin niolekularer Kristall ist. Durch die hohe Kornprcssion wird die Packung der Molekiile dichter, und das ver- botene Band wird immer schmaler, bis sich die Bander uberlappen. Uberlappt das Va- lenzband mit dem leeren Leitungsband, so folgcn auf die hiichsten bcsetzten Zustande unbesctzte Zustande, und der Festkorper zcigt das beobachtete metallische Verhalten. Bei weitercr Druckcrhohung schliefllich wer-

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6

a

b

C

7

I bar

200 kbar

300 kbar

8

Abb. 6. Projektion der Kristallstruktur von festem Iod bei drei verschiedenen Ikiicken [I11 zusammen mit der entsprec henden elektronischen Bandstruktur (VB Valenz- band, LB Leitungsband); a) bei 1 bar: mole- kularer Halbleiter, b) bei 200 kbar: inoleku- lares Metall, c) bei 300 kbar: monoa ;omares Metall (Atome und Bindungen innerhalb der Papierebene sind als durchgezo ;ene Li- nien, unterhalb der Papierebene a1 i gestri- chelte Linien gezeichnet).

Abb. 7. Die Raman-Schwingungsbande von H, in Abhangigkeit vom Drucl; bei T = 300 K [13,14].

Abb. 8. Relative Anderung der jchwin- gungswellenzahl Y von festem H; in Ab- hangigkeit vom Druck bei T = 301 K [13, 141.

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Mctallischer Wasserstoff

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Abb. 9. Die Schwingungswellenzahl von festern H, bei T = 77 K in Abhangigkeit vom Druck (im Bereich um 1,5 Mbar ist auch das Rarnan-Schwingungsspektrum von H, gezeigt) [15].

Abb. 10. Ausschnitt des Phasendiagramms von festem Wasserstoff bei hohen Driicken (26,171.

den die inter- und intraatomaren Abstande gleich grofl, so dai3 es bei 210 kbar zu einer Strukturanderung des festen Iods kommt, das in einen atomaren metallischen Kristall uber- geht. Gleichzeitig verschwindet die Schwin- gungsbande von I, im Hochdruck-Raman- Spektrum [12]. Die metallische Leitfahigkeit dieser neuen Phase wird nun durch ein teil- weise gefulltes Valenzband - ahnlich dem dcr Alkalimetalle - hervorgerufen und nicht rnehr durch die Uberlappung von Valenz- und Leitungsband. Bei 300 kbar sind die Ato- me dieser Phase bcreits rcgelmafiig angeord- net und das Valenzband ist nur teilweise ge- fullt (Abbildung 6).

Der Fall Wasserstoff

Bei Raumtemperatur bildct molekularer Was- scrstoff bei einem Druck von etwa 57 kbar ei- nen durchsichtigen, elektrisch isolierenden Kristall, der aus zweiatomigen Wasscrstoff- Molekiilen, H,, aufgebaut ist. Die brennende Frage bei den Untersuchungen an festem Wasserstoff ergibt sich nun aus der Analogie zu dem Nichtmetall-Metall-Ubergang im festen, molekularen Iod. Verhalt sich der Was- serstoff genauso wie Iod, d. h. bchalt er die molekulare Form bei und wird zuerst metal- lisch durch Uberlappung von Valenz- und Leitungsband, oder wird er metallisch durch Dissoziation zu monoatomarem Wasserstoff gemafl der Gleichung H, -+ 2H, wie es von E. Wigner und J. Huntington bcreits 1935 vorhergesagt wurde [I].

Zur Klarung dieser Fragc wurde in den letz- ten Jahren cine Reihe von Hochdruck-Ra- man-Untersuchungen an Wasserstoff durch- gefuhrt. Sie geben Auskunft uber die intra- molekulare H,-Schwingungsfrequenz v und damit auch iiber die Kraftkonstante k der H-H-Bindung (V - &j. Da die Eigenfre- quenz der Schwingung auch von der Umge- bung des Oszillators abhangt, geben diese Messungen indirekt Auskunft uber eventuel- le Anderungen der elektronischen Struktur dcs Wasserstoffs bei Druckerhohung. Abbil- dung 7 zeigt die Ergebnisse Raman-spcktro- skopischer Untersuchungen an Wasserstoff von S. K. Sharma, H. K. Mao und P. M. Bell 113, 141 bis zu Driickcn von 626 kbar. Aus Strukturuntersuchungen weifl man, dai3 ober- halb von etwa 55 kbar der ubergang von der Fliissigkeit zum Festkijrper stattfindet. Wie man am Raman-Spektrum erkennt, nimmt dabei die Halbwertsbrcite der Schwingungs- bande ab. Zunachst nimmt d a m , wie fur ei- nen Molekiilkristall erwartet, die Schwin-

gungsfrequcnz von H, bzw. ihre Wellenzahl mit steigendem Druck zu. Jntercssanterwcisc beobachtet man bei Driicken oberhalb von 377 kbar jedoch eine Umkehrung dieses Ver- haltens. Die Schwingungsbande wird bei wei- tcrer Druckcrhohung zu kleineren Wellen- zahlen hin verschoben. Abhildung 8 zeigt die relative Anderung der Schwingungswellen- zahl in Abhangigkcit vom Druck. Diesc Er- niedrigung der Schwingungsfrequenz weist auf eine zunehmende Schwachung der H-H- Bindung mit stcigendcm Druck hin und lai3t eine Instabilitat dcr Bindung bei noch hijhe- ren Driicken vermuten. Ein ahnliches Verhal- ten der Druckabhangigkeit dcr intramoleku- laren Schwingungsfrequenz wurde fur D, be- obachtet [13,14].

Abbildung 9 zeigt das Ergebnis einer neueren Raman-Untersuchung an festem Wasserstoff bei 77 K, nun bis zu Driicken von 2,5 Mbar (151. Auch bei dieser Temperatur wird ein Maximum der Schwingungsfrequenz bei etwa 400 kbar beobachtet, und man erkennt eine zunehmende Schwachung des molekula- ren Bindungscharakters von H,, entsprc- chend cincr Ernicdrigung der Schwingungs- frequenz mit steigendem Druck, his zu einem Frequenzsprung bei etwa 1,5 Mbar, bei dem glcichzeitig zwei Raman-Banden auftreten. Bei weiterer Druckerhohung bleibt dann wie- der nur noch eine Bande sichtbar, die mit stei- gendem Druck weitcr zu kleineren Wellen- zahlen verschoben wird. Da die Molekiil- schwingung noch sichtbar ist, mufl der Wasserstoff bis zu 2,5 Mbar noch ein rnoleku- larer Festkorper sein. Der Frequenzsprung ist ein Hinweis darauf, dafl es bei diescm Druck zu ciner strukturellcn und/oder elektroni- schen Phasenumwandlung in eine neue Was- serstoff-Phase (H-A-Phase genannt) kommt. Strukturuntersuchungcn liegcn jedoch noch nicht vor, H. E. Lorenzana, I. F. Silvera und K. A. Goettel[16] haben diese Raman-Unter- suchungen bei verschicdcnen Temperaturen durchgefuhrt und damit die Phasengrenzkur- ve fur diese Fest-fest-Umwandlung naher charakterisieren konncn. Sic crhieltcn das in Abbildung 10 dargestellte Phasendiagramm in diesem Temperatur- und Druckbcreich. Es wird angenommen, dafl der kritische Punkt fur diese Fest-fest-Umwandlung bei 150 K liegt, und z. T. verniutet, dai3 die nichtmetalli- sche Wasserstoffphase links der Phasengrenz- kurve - analog zur bekannten Wasserstoff- Struktur bis 0,3 Mbar - eine ,,ungeordnete" hexagonal dichteste Strukmr besitzt, bei der die H,-Molekule noch frei rotieren konnen; auf der Hochdruckseite des Phasenubergangs

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Mctallischer Wasserstoff

11 sol1 dagegen eine neue Struktur (H-A-Phase) mit Orientierungsordnung des molekularen Fcstkorpers vorliegen [16, 171. Die Frage ist nun, ob diese H-!-Phase metallisch ist.

Absorptions- und Reflexionsmessungen von J. H. Eggert et al. [lS] ergaben, da8 von 77 K bis 295 K kein metallischer Wasserstoff bis 2,3 Mbar auftritt, die H-A-Phase also nichtme- tallisch ist. Fur eine Metallisierung des festen Wasserstoffs in diesem Druckbereich um ctwa 2,5 Mbar sprechen jedoch zwei experi- mentelle Befunde: Wahrend die feste Wasser- stoffprobe n i t 1<ubinkristallchen (mit Cr” dotiertes Aluminiumoxid) bei niedrigem Druck vollstandig transparent war, beobach- teten H. K. Mao und R. J. Hemley [19], da8 die Probe bei 2,5 Mbar und 77 K un- durchsichtig wurde, was auf die Bildung metallischen Wasserstoffs hinweist. Auger- dem zeigen Reflexionsmessungeri im nahen IR-Bereich bis 1,s Mbar [20], da8 das Reflexionsvermogen oberhalb 1,5 Mbar an- steigt, woraus geschlossen w-urde, dafi sich die Bandlucke langsam schliel3t und eine Metalli- sierung im molekularen Festkorper cinsetzt. Offensichtlich ist man bei einem Druck von etwa 2,5 Mbar nahe an der Grenze zum mctallischen Wasserstoff angelangt; dieser Druckbereich wurde auch von den Theoreti- kern fur den Nichtinetall-Metall-Ubergang des festen Wasserstoffs vorhergcsagt.

1st man mit diesen Driicken an der Grenze der experimentellen Moglichkeiten angelangt oder sind noch hahere Drucke erreichbar? Bei den Experimenten diente die Druckab- hangigkeit der Fluoreszenzlinien eingcbette- ter Rubinkristallchen zur Druckbestimmung.

Die Fluoreszenzbanden des Rubins werden bei diesen hohen Drucken sehr schwach und breit und die Energieliicke des Dianianten wird fur Drucke oberhalb von etwa 2,5 Mbar eventuell zu klein, um Kubin anzuregen. Dann mufiten andere Druckstandards ver- wendct werden und das moglicherwcise auch noch aus einem anderen Grund. Vor kurzem wurde von A. L. Ruoff et al. auf die Moglich- keit hingewiesen, da8 oberhalb von 1,35 Mbar elementarer Wasserstoff das Alumi- niumoxid des Rubins zu Aluminiummetall reduziert und dabei Aluminium-Oxidhydrat entsteht, was die Lichtabsorption sowie die beobachtetc 1R-Keflexion vcrursacht haben konnte [21]. Anschliefiende Untersuchungen von H. K. Mao et al. [22] haben diese Mog- lichkeit, zumindcst in dem bisherigen Druck- bereich, allerdings ausgeschlossen.

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Die Aufklarung der genauen Bedingungen fur die Bildung metallischen Wasserstoffs bleibt eine faszinicrendc Aufgabe dcr Hoch- druck-Forschung der nachsten Jahre. H. K. Mao und R. J. Hemley haben Messungen bis 3 Mbar in Aussicht gestellt. Darnit murde ein Druckbereich zuganglich, in dem auch der Frage nach der Existenz der von E. Wigner und J. Huntington vorhergesagten dissoziicr- ten Wasserstoffphase nachgegangen werden kann. Diese Messungen konnen schliei3lich zur Aufklarung des genauen Mechanismus des Nichtmetall-Metall-Ubergangs in festem Wasserstoff fuhren.

1st metallischer Wasserstoff ein Hochtemperatur-Su praleiter ?

W e Abbildung 1 1 zeigt, wurden die Sprung- temperaturen Tc der Supraleiter in den letzten Jahren durch die Entdcckung der kerami- schcn Supraleiter durch K. A. Miiller und J. G. Bednorz im Jahre 1985 drastisch gesteigert. Die Sprungtemperaturcn dcr Hochtempera- tur-Supraleiter liegen heute bei etwa 130 K. Konnen diese Sprungtemperaturen von me- tallischem Wasserstoff noch iiberboten wer- den? Erste Uberlegungen zur Mogliehkeit

Abb. 11. Zeitliche Entwicklung der Sprung- temperaturen TL der Supraleiter s:it der Entdeckung der Supraleitfahigkc it an Quecksilber durch K. Onnes im Jahie 1911. Die BCS-Theorie von Bardeen, Cooler und Schrieffer zur mikroskopischen Erklarung der Supraleitfahigkeit stammt aus dem Jahre 1957. Durch die Entdeckung der ke- ramischen Supraleiter im Jahre 198: durch K. A. Miiller und J. G. Bednorz wurde die Ara der Hochtemperatur-Supralei! er ein- geleitet.

Abb. 12. Schematische Darstellu ig des BCS-Modells zur mikroskopischc n Er- klarung der Supraleitfahigkeit. Beti,achten wir ein Elektron, das sich durch einen Kri- stall positiv geladener Atomrum )fe be- wegt. Durch die elektrostatische Anzie- hung wirkt auf die positiv geladeiien Io- nenriimpfe in der Nahe des Elektrcns eine anziehende Kraft. Das Elektron hiriterlai3t also bei seiner Bewegung durch dac Gitter eine Spur etwas erhohter Ladungsdichte. In dieses Gebiet etwas erhohter positiver Ladungsdichte wird ein zweites E lektron hineingezogen. Es richtet sich dam[ in sei- ner Bewegung nach der des vorau Jaufen- den Elektrons, d. h. es ist an dieses gekop- pelt. Die beiden Elektronen bilden ein so- genanntes Cooper-Paar. Etwas genauer betrachtet, lost das erste Elektron d irch die Verzerrung des Ionengitters eine Gitter- schwingung (Phonon) aus, die sith dann raumlich fortsetzt und das zweite IJektron erfa8t. Die Kopplung der beiden 5lektro- nen zu einem Cooper-Paar mit entgegenge- setztem Spin wird also uber die Gitter- schwingung vermittelt. Diese E ’ te k tron- Phonon-Kopplung ist die Grundlage der BCS-Theorie. Fur die Cooper-Paart gilt das Pauli-Verbot nicht mehr. Fur sie gilt die Bose-Einstein-Statistik, d. h. sie korinen alle den gleichen Quantenzustand einnehmen und sich damit alle mit gleicher Gr schwin- digkeit in dieselbe Richtung bewegen. Dies ist die Ursache der Supraleitfahigkc it.

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Metallischer IVasserstoff

der Supraleitung in hochkomprimierter Was- serstoffmaterie stammen von A. A. Abriko- sov im Jahre 1962. Aus den letzten 20 Jahren stammen wcitcre thcorctische Untersuchun- gen [23-251, die Werte fur die Sprungtempe- raturen iin Bereich von 100 bis 200 K liefern. Die Kechnungen haben eine starke Abhan- gigkeit der Sprungtcmperatur von dcr Was- serstoffstruktur bei hohem Druck ergeben. Fur den dissoziierten inetallischen Zustand habcn kurzlich 'C W. Barbce, A. Garcia, M. L. Cohen und J. L. Martins [26] Bandstrukturen fur verschiedene Gittertypen lieu berechnet. Dabei wird als grundlegender Mechanismus fur die Supralcitfahigkeit auch heute noch die Bildung von Cooper-Paaren der Elektronen mgesehen (BCS-Theorie). Nach dieser Theo- rie kommt es uber die Kopplung an Gitter- schwingungcn (Phononen) zu einer anziehen- den Wechselwirkung der Elektronen (Abbil- dung 12). Die erwahntcn Rechnungen zeigen, dafi fur metallischcn Wasserstoff bei Drucken kleiner als etwa 8 Mbar keine dichte Packung ( kubisch raumzentriert, kubisch flichcnzcn- triert oder hcxagonal) der Atome, sondern cine relativ offene Struktur mit kleiner Koor- tiinationszahl energetisch am giinstigsten ist. I las bedeutet, dafi die metallische Bindung in diescr Struktur wahrscheinlich kovalenten Charakter besitzt und anisotrop is t . Ab-in- itio-Rechnungcn dcr clektronischen Band- struktur, des Phononenspektrums und der Elektron-Phonon-Kopplungskonstante in ei- ner erweiterten BCS-Thcorie fur cine bei 4 Mbar stabilc, verzerrt hexagonale Hoch- druckphase ergab, dai3 metallischer iVasser- stoff mit dieser Struktur einc Sprungtcmpera- tur Tc von 230 k 85 K besitzt, die also noch wcit uber derjenigen der heute bekannten Oxid-Supraleiter liegt. Eine anderc Kristall- struktur kann jedoch zu einer drastischen Lerschiebung von Tc fuhren. Vom Stand- punkt der €-lochtemperatur-Supraleitfahig- keit scheinen solchc vcrzerrten Gitterstruktu- rcn jedoch besonders gunstig. Aui3erdem mui3 man auch bedenken, dafi die Sprung- temperatur auf der Grundlage der heute gulti- gen Theorie der Supraleimng, die jedoch noch nicht als abgeschlossen gilt, abgeschatzt wurde.

Die hier diskutierten experimentellen und theoretischen Arbeiten zeigen, dai3 man einer Antwort auf die Fragcn nach der Existenz des metallischen Wasserstoffs und seiner Supra- leitfahigkeit schon nahc gckommen ist. Man dnrf gespannt sein, welche Forschungsergeb- nisse auf diescm Gebict die nachsten Jahre hervorbringen. Genaue Experimeiite im 2,5-

his 3-Mbar-Bereich sind noch notwendig. Wunschenswert waren etwa Strukturuntersu- chungen, Leitfahigkeits- und IR-Messungen.

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Prof. Dr. R. Winter, geb. 1954 in Offenbach. Studium der Chemie an der Technischen Univcrsitat Karlsruhe. 1982 Promotion irn Fach Physikalische Chemie bei Prof. Dr. U. Schindewolf. Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Dr. F. Hcnscl im Fachbereich Physikalische Chemie der Universitat Mar- burg. 1987/88 Forschungsaufenthalt in den USA an der Univcrsity of Illinois at Urbana. 199 1 Habilitation in Physikalischer Chemie. 1992 Ruf auf eine Universitatsprofessur fi;r Physikalische Chemie an der Ruhr- Universitat Bochum. Hauptarbeitsgebiete: Rontgcn- und Neutronenstreuung, Hoch- druck-, Hochtemperamr-Physikalische Che- mie, Untersuchung der Stniktur, Dynamik und Phasenubergange fluider Systeme, Physi- kalische Chemie komylexer biophysikali- scher Systeme.

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