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Neue Erkenntnisse zum Mischverhalten von Submersreaktoren* Herrn Professor Dr. -Ing. Alfons Mersmunn zum 60. Geburtstug Andreas Lubbert** Die Einfuhrung neuer Untersuchungsmethoden fuhrte zu neuen Erkenntnissen iiber das lokale Vermischungsverhal- ten von Submersreaktoren. Am Beispiel des Airlift- Schlaufenreaktors wird gezeigt, daB man den Gasverweil- zeitverteilungen mehr Informationen entnehmen kann, wenn das SignaYRauschverhaltnis der MeBverfahren signi- fikant verbessert werden kann. Zusatzliche Informationen sind beispielsweise der Anteil des rezirkulierten Gases oder die Zirkulationszeit der Gasphase. Die Gaszirkulation fuhrt zu einer betrachtlichen Ruckvermischung der Gas- phase. Zur genaueren Untersuchung der Stromung sind jedoch raumlich aufgeloste Untersuchungen erforderlich. Fur die Bewegung der Gasphase sind heute lokale MeBver- fahren verfiigbar, die es gestatten, Profile der mittleren Blasengeschwindigkeiten und der spezifischen Phasen- grenzflachen selbst in groBen, stark begasten Ruhrkessel- reaktoren zu messen. Die Ergebnisse zeigen, wie empfind- lich die Ruckvermischung in der Gasphase von der Vis- kositat der kontinuierlichen Flussigphase des Mediums abhangen kann. Komplementare Messungen der lokalen Bewegungseigenschaften der Flussigphase konnen mit der Warmeimpulsmethode untersucht werden. Auch damit sind Messungen in realen Medien, z.B. wahrend der biotechnischen Produktion, moglich. Neben der Messung der mittleren Stromungsgeschwindigkeiten konnen auch Informationen uber die lokal wirksamen Vermischungsme- chanismen erhalten werden. Dabei zeigt sich, daB der Blasenschleppenmechanismus im Riser der untersuchten Airlift-Schlaufenreaktoren bei den technisch relevanten Begasungsraten dominiert, wohingegen die isotrope Turbu- lenz im Sinne der statistischen Turbulenztheorie trotz hohen Energieeinsatzes von untergeordneter Bedeutung ist. Mixing behaviour of submersed reactors. New improved measuring techniques lead to new insights into the local mixing behaviour of submerse reactors. As exemplified by airlift tower loop reactors, it is shown that it is possible to obtain more information from gas residence time distributions if the signal-to-noise ratio of the meas- urement can be improved significantly. Additional informa- tion is obtained, e.g., on that part of the gas recirculated around the loop or the circulation time of the gasphase.The recirculated gas significantly influences the gas backmixing in such reactors. A more thorough investigation of the gas phase motion requires locally resolved data. For the properties of the gas phase, local measuring techniques are available, which allow for measurements of the mean bubble velocity profile even during production runs in large aerated stirred tank reactors.The results show that the gas backmixing is acutely dependent on the viscosity of the continuous liquid phase. Complementary measurements on the properties of the continuous liquid phase can be investigated by means of the heat-pulse-technique. This also is applicable in real media, e.g., during biotechnolog- ical cultivation runs. Besides the measurement of the mean liquid velocity, one can, furthermore, obtain some infor- mation on the locally dominating mixing mechanism. One significant result of such investigations is that in the airlift reactors investigated the bubble-wake mixing mechanism dominates, whereas the isotropic turbulence in terms of the statistical turbulence theory plays a secondary role. This even holds at very high energy inputs, 1 Einleitung Fur die lokalen Vermischungseigenschaften von Submers- reaktoren, das sind die Mehrphasenreaktoren mit kontinu- ierlicher Flussigphase, gibt es bislang leider keine gute, umfassende Theorie. Nahezu alle Ansatze, die in der Literatur veroffentlicht sind, gehen davon aus, daB die entsprechenden Eigenschaften der Einphasenstromungen naherungsweise auch in Mehrphasenstromungen gelten. Es gibt in der Literatur andererseits aber genugend Hinweise dafur, da5 sich ihr Stromungsverhalten und damit auch ihr Vermischungsverhalten von ihrem Betrieb mit reinen Flus- sigkeiten deutlich unterscheidet. Im Gegensatz zur Vermischung in Einphasensystemen, die verhaltnismaBig gut untersucht ist [l], sind die lokalen Vermischungseigenschaften der Submersreaktoren nur * Uberarbeitete Fassung eines Vortrags beim 363. Dechema- ** Priv.-Doz. Dr. A. Liibbert, Institut fur Technische Chemie der Kolloquium am 8. Februar 1990, FrankfudM. Universitat Hannover, Callinstr. 3. 3000 Hannover 1. unzureichend erforscht. Bei der Entwicklung neuer theo- retischer Ansatze stellt man aufgrund von Beobachtungen Hypothesen auf und uberpruft diese dann durch gezielte Messungen. In dieser Phase der Entwicklung sind MeBver- fahren von zentraler Bedeutung. In dieser Arbeit werden neue Erkenntnisse uber das Mischverhalten dieser Mehr- phasenreaktoren vorgestellt, die erst durch den Einsatz neuer MeBverfahren gewonnen werden konnten. Bei der hohen Komplexitat der Mehrphasenstromungen ist es vorteilhaft, sowohl bei der Entwicklung theoretischer wie auch praktischer, mefltechnischer Probleme, interdis- ziplinar zu arbeiten. An verschiedenen Stellen in diesem Aufsatz wird auf Gedankengange hingewiesen, die in anderen Fachgebieten im Zusammenhang mit anderen Fragestellungen entwickelt wurden und die fur die Pro- blemlosung bei der Vermischung in chemischen Reaktoren nutzbar gemacht werden konnen. Zur Illustration der Ausfuhrungen in dieser Arbeit werden hauptsachlich Beispiele aus dem Bereich der Biotechnolo- gie verwendet. Das Anwendungsspektrurn der theoreti- schen Ansatze und Methoden ist jedoch, wie leicht zu 6 Chem.-1ng.-Tech. 63 (1991) Nr. 1, S. 6-15 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6940 Weinheim, 1991 0009-286X/91/0101-06 $ 03.50 + .25/0

Neue Erkenntnisse zum Mischverhalten von Submersreaktoren

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Neue Erkenntnisse zum Mischverhalten von Submersreaktoren* Herrn Professor Dr. -Ing. Alfons Mersmunn zum 60. Geburtstug Andreas Lubbert**

Die Einfuhrung neuer Untersuchungsmethoden fuhrte zu neuen Erkenntnissen iiber das lokale Vermischungsverhal- ten von Submersreaktoren. Am Beispiel des Airlift- Schlaufenreaktors wird gezeigt, daB man den Gasverweil- zeitverteilungen mehr Informationen entnehmen kann, wenn das SignaYRauschverhaltnis der MeBverfahren signi- fikant verbessert werden kann. Zusatzliche Informationen sind beispielsweise der Anteil des rezirkulierten Gases oder die Zirkulationszeit der Gasphase. Die Gaszirkulation fuhrt zu einer betrachtlichen Ruckvermischung der Gas- phase. Zur genaueren Untersuchung der Stromung sind jedoch raumlich aufgeloste Untersuchungen erforderlich. Fur die Bewegung der Gasphase sind heute lokale MeBver- fahren verfiigbar, die es gestatten, Profile der mittleren Blasengeschwindigkeiten und der spezifischen Phasen- grenzflachen selbst in groBen, stark begasten Ruhrkessel- reaktoren zu messen. Die Ergebnisse zeigen, wie empfind- lich die Ruckvermischung in der Gasphase von der Vis- kositat der kontinuierlichen Flussigphase des Mediums abhangen kann. Komplementare Messungen der lokalen Bewegungseigenschaften der Flussigphase konnen mit der Warmeimpulsmethode untersucht werden. Auch damit sind Messungen in realen Medien, z.B. wahrend der biotechnischen Produktion, moglich. Neben der Messung der mittleren Stromungsgeschwindigkeiten konnen auch Informationen uber die lokal wirksamen Vermischungsme- chanismen erhalten werden. Dabei zeigt sich, daB der Blasenschleppenmechanismus im Riser der untersuchten Airlift-Schlaufenreaktoren bei den technisch relevanten Begasungsraten dominiert, wohingegen die isotrope Turbu- lenz im Sinne der statistischen Turbulenztheorie trotz hohen Energieeinsatzes von untergeordneter Bedeutung ist.

Mixing behaviour of submersed reactors. New improved measuring techniques lead to new insights into the local mixing behaviour of submerse reactors. As exemplified by airlift tower loop reactors, it is shown that it is possible to obtain more information from gas residence time distributions if the signal-to-noise ratio of the meas- urement can be improved significantly. Additional informa- tion is obtained, e.g., on that part of the gas recirculated around the loop or the circulation time of the gasphase.The recirculated gas significantly influences the gas backmixing in such reactors. A more thorough investigation of the gas phase motion requires locally resolved data. For the properties of the gas phase, local measuring techniques are available, which allow for measurements of the mean bubble velocity profile even during production runs in large aerated stirred tank reactors.The results show that the gas backmixing is acutely dependent on the viscosity of the continuous liquid phase. Complementary measurements on the properties of the continuous liquid phase can be investigated by means of the heat-pulse-technique. This also is applicable in real media, e.g., during biotechnolog- ical cultivation runs. Besides the measurement of the mean liquid velocity, one can, furthermore, obtain some infor- mation on the locally dominating mixing mechanism. One significant result of such investigations is that in the airlift reactors investigated the bubble-wake mixing mechanism dominates, whereas the isotropic turbulence in terms of the statistical turbulence theory plays a secondary role. This even holds at very high energy inputs,

1 Einleitung

Fur die lokalen Vermischungseigenschaften von Submers- reaktoren, das sind die Mehrphasenreaktoren mit kontinu- ierlicher Flussigphase, gibt es bislang leider keine gute, umfassende Theorie. Nahezu alle Ansatze, die in der Literatur veroffentlicht sind, gehen davon aus, daB die entsprechenden Eigenschaften der Einphasenstromungen naherungsweise auch in Mehrphasenstromungen gelten. Es gibt in der Literatur andererseits aber genugend Hinweise dafur, da5 sich ihr Stromungsverhalten und damit auch ihr Vermischungsverhalten von ihrem Betrieb mit reinen Flus- sigkeiten deutlich unterscheidet. Im Gegensatz zur Vermischung in Einphasensystemen, die verhaltnismaBig gut untersucht ist [l], sind die lokalen Vermischungseigenschaften der Submersreaktoren nur

* Uberarbeitete Fassung eines Vortrags beim 363. Dechema-

** Priv.-Doz. Dr. A. Liibbert, Institut fur Technische Chemie der Kolloquium am 8. Februar 1990, FrankfudM.

Universitat Hannover, Callinstr. 3. 3000 Hannover 1.

unzureichend erforscht. Bei der Entwicklung neuer theo- retischer Ansatze stellt man aufgrund von Beobachtungen Hypothesen auf und uberpruft diese dann durch gezielte Messungen. In dieser Phase der Entwicklung sind MeBver- fahren von zentraler Bedeutung. In dieser Arbeit werden neue Erkenntnisse uber das Mischverhalten dieser Mehr- phasenreaktoren vorgestellt, die erst durch den Einsatz neuer MeBverfahren gewonnen werden konnten. Bei der hohen Komplexitat der Mehrphasenstromungen ist es vorteilhaft, sowohl bei der Entwicklung theoretischer wie auch praktischer, mefltechnischer Probleme, interdis- ziplinar zu arbeiten. An verschiedenen Stellen in diesem Aufsatz wird auf Gedankengange hingewiesen, die in anderen Fachgebieten im Zusammenhang mit anderen Fragestellungen entwickelt wurden und die fur die Pro- blemlosung bei der Vermischung in chemischen Reaktoren nutzbar gemacht werden konnen. Zur Illustration der Ausfuhrungen in dieser Arbeit werden hauptsachlich Beispiele aus dem Bereich der Biotechnolo- gie verwendet. Das Anwendungsspektrurn der theoreti- schen Ansatze und Methoden ist jedoch, wie leicht zu

6 Chem.-1ng.-Tech. 63 (1991) Nr. 1, S. 6-15 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6940 Weinheim, 1991 0009-286X/91/0101-06 $ 03.50 + .25/0

erkennen sein wird, nicht auf diese Reaktoren beschrankt. Die meisten Verfahren wurden auch an verschiedenen anderen Stellen in der chemischen Technik eingesetzt. Mischprozesse, um die es hier geht, sind nicht unabhangig vom Stoffsystem, in dem gearbeitet wird. Fur die Wahl der Transportmechanismen (Transportmittel) hat der Malj- stab, in dem der ProzeB betrieben wird, eine besondere Bedeutung. Dagegen ist die chemische Kinetik weitgehend maljstabsunabhangig. Da grol3e Wegstrecken normalerwei- se hohere Transportaufwendungen erfordern, gewinnen die Vermischungsprobleme rnit dem Reaktormaljstab be- trachtlich an Bedeutung. Verschiedene Reaktortypen unterscheiden sich jedoch durch verschiedene Vermi- schungseigenschaften. Daher konnen konkrete Aussagen uber das Mischverhalten von Submersreaktoren nur anhand konkreter Beispiele gemacht werden. Dazu wurden die beiden in der Biotechnologie wichtigsten Reaktortypen gewahlt, einmal der Ruhrkesselreaktor und zum anderen der Airlift-Schlaufenreaktor.

2 Globale Untersuchungsmethoden

Die Makrovermischung in chemischen Reaktoren wird klassisch durch die Messung von Verweilzeitverteilungen charakterisiert, wenn der Reaktor kontinuierlich durch- stromt wird. Im Batchreaktor ist eine solche Messung nicht moglich. Dort verwendet man haufig Mischzeiten bei der Diskussion der Vermischungseigenschaften, welche die Zeitkonstante fur die gleichmaljige makroskopische Dis- pergierung zugegebener Substanzen uber den gesamten Reaktor beschreiben. Im Zusammenhang rnit Schlaufenre- aktoren gestattet die Messung der Zirkulationszeit einen tieferen Einblick in die Vermischungseigenschaften. Bei all diesen Verfahren wird das Verhalten des Reaktors als Ganzes betrachtet. Daher werden die Methoden im folgen- den globale Methoden genannt. Zunachst sei das Vermischungsverhalten eines Airlift- Schlaufenreaktors mit konzentrischem Leitrohr diskutiert. Charakteristisch fur diesen Reaktortyp ist die Zirkulations- stromung der Flussigphase, die in erster Linie auf Grund des Dichteunterschieds zwischen der Dispersion im Riser und dem Downcomer entsteht. Die unterschiedliche Dich- te entsteht durch die Begasung des Risers. An seinem unteren Ende wird Gas dispergiert, das in ihm dann in Form von Blasen aufsteigt und die Dispersion durch ihre Ober- flache wieder verlal3t. Weil die Dichte im Leitrohr durch den hoheren Gasgehalt dort geringer ist als im Annulus, kommt es zu einer Stromung, die im Leitrohr nach oben und im Annulus nach unten gerichtet ist. Die wichtigste charakteristische Grolje dieser Stromung ist die Zirkulationszeit der flussigen Phase. Sie bestimmt die groljraumige Vermischung. Zirkulationszeitmessungen fuhrt man rnit Tracertechniken durch. Man gibt einen Spurstoff plotzlich an einer Stelle hinzu und beobachtet die Konzentration dieser Komponenten an einer anderen Stelle, dem Meljort. In Abb. 1 ist ein typisches Ergebnis einer solchen klassischen Messung im Schlaufenreaktor gezeigt. Es vermittelt einen unmittelbaren Eindruck von dem globalen Mischverhalten dieser Apparate. Die gemessene Tracerkonzentration ist in Abb. 1 als Funktion der Zeit aufgetragen. Die Form des Signals ahnelt einer gedampften Schwingung. Man erkennt unmittelbar, dalj die durch den Tracer markierten Flussigkeitselemente rnit der Zirkulationsstromung mehrmals am Detektor vorbeigetragen werden, bevor dieses markierte Flussig- keitsvolumen durch Vermischungseffekte seine Identitat

E l R Wsg = 12 [cm/s]

4597 [SI N

1 I I I I I

50 100 150 200 250

Zeit [s] Abb. 1. Ergebnis einer Untersuchung der Flussigphasenbewe- gung in einem Airlift-Schlaufenreaktor mit demVolumen 4 m3 mit einer Stimulus/Response Methode. Als Tracer wurde ein Fluores- zenzfarbstoff verwendet, als Detektor ein Fluorimeter. Die Gas- leerrohrgeschwindigkeit, bezogen auf den Riser, war 12 c d s . Als Ergebnis erhalt man die Mischzeit in der Flussigphase und deren Zirkulationsdauer.

verliert. Das fuhrt zu diesen fur Schlaufenapparate typi- schen Oszillationen im Signal. Die markierten Fluidele- mente mussen diesen Reaktor also etwa 4 ma1 durchlaufen, bevor sie vollig rnit der Bulk-Flussigkeit vermischt sind. In anderen Reaktoren wurden mehr als 10 Umlaufe beobach- tet [ 2 ] . Die Zeitkonstante der Dampfung bei den Tracer- responsekurven nennt man Mischzeit. Sie betragt in diesem Beispiel etwa 100 s und ist neben der Zirkulationszeit ebenfalls charakteristisch fur diesen speziellen Reaktor. Diese Ergebnisse sollen zeigen, dal3 zur Vermischung einer flussigen Komponente in solchen Reaktoren immer meh- rere Umlaufe erforderlich sind. Die Umlaufgeschwindig- keit und damit die Mischzeit konnen nur sehr unzureichend genau vorhergesagt werden. Der Grund dafur liegt in fehlenden Kenntnissen uber das Koaleszenz-/Redispergie- rungs-Verhalten der Gasphase, das den Gasgehalt in Riser und Downcomer bestimmt und daher die Antriebskraft fur die Zirkulationsstromung ist. Das fuhrt dazu, dalj man die Umlaufgeschwindigkeit im Betrieb rnit realen Fermenta- tionsbruhen messen mulj. Die Gasphase, die den Reaktor antreibt, und ihn letztend- lich am Kopf der Saule wieder verlaljt, dient in den meisten Airlift-Reaktoren als ein Reaktand. Da die Reaktion normalerweise innerhalb der Flussigphase stattfindet, ist ein Stoffubergang in die Flussigphase erforderlich, der neben vielen anderen Faktoren auch von der Gasverweil- zeit abhangig ist, also der Wechselwirkungszeit zwischen Gas und der absorbierenden Flussigphase. Diese Gasver- weilzeit kann man im Prinzip genauso messen wie die Zirkulationszeit. Dazu mischt man dem Hauptgasstrom einen gasformigen Tracer zu, z. B. Helium, und registriert dieTracer-Konzentration an der Oberflache der Dispersion rnit einem kleinen Massenfilterdetektor. Das Gas, das im unteren Teil des Reaktors eingetragen wird, steigt naturlich nicht im reinen Plug-Flow nach oben. Insbesondere bei den in der Praxis ublichen Begasungsra- ten mu13 man rnit einer betrachtlichen Dispersion rech- nen . Im Downcomer eines Airlift-Schlaufenreaktors findet man z. T. betrachtliche Gasgehalte [3], die die Dichtedifferenz zwischen Riser und Downcomer verringern. Die Gasphase entweicht also nicht vollstandig nach oben, wenn sie den

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t Abgas

0

t

* 38 s

I I I I I

4 1 s I I I I I

0 50 100 150 200 250

Venveilzeit [s]

t Downcomer

Riser

Input I

0 50 100 150 200 250 t Input I Venveilzeit [s]

Abb. 2. Meakurven einer Gasverweilzeitmessung irn Airliftschlaufenreaktor (4 m3). Rechts wurden das Spurgas (He) im Gasverteiler zugefiihrt, links im Downcomer. In beiden Fallen wurde das Helium rnit einem Massenspektrometer an der Oberflache der Dispersion nachgewiesen. Die Markierung erfolgte pseudostochastisch. Neben den Meadaten (Symbole) ist die numerisch angepaBte Modelfunktion eingezeichnet, zusammen mit den beiden Komponenten aus denen sie zusamrnengesetzt ist. Weitere Erklarungen im Text.

Riser durchlaufen hat, sondern sie wird zum Teil in den Downcomer eingesaugt und erreicht den Gasausgang dann uber Umwege. Das verkompliziert die Verweilzeitvertei- lung, fur die man normalerweise ein einfaches Dispersions- model1 ansetzt oder fur die man gar Plug-Flow-Bedingun- gen annimmt. Um Einzelheiten in den Verweilzeitverteilungen aufzulo- sen, geniigt es nicht, sich rnit MeBverfahren zufrieden zu geben, aus denen man nur die ersten beiden Momente der Verteilung auswerten kann. An dieser Stelle benotigt man besser aufgeloste MeBdaten rnit hohem Signal/Rausch- Verhaltnis. An dieser Stelle kann man einen Gedanken aus der Systemtheorie aufgreifen, der dort zur Verbesserung des SignaVRausch-Verhaltnisses bei Messungen des Antwort- verhaltens eines Systems verwendet wird [4]. Verwendet man als Tracer-Markierungssignalform nicht den ublicher- weise venvendeten Dirac-StoB sondern an seiner Stelle ein pseudostochastisches Rechtecksignal[5], so kann man hier konkret bei der Messung der Gasverweilzeitverteilung so prazise MeSergebnisse erzielen, daB man mehr Informa- tion uber diese Systeme gewinnen kann als fruher [6]. In Abb. 2 ist eine hochaufgeloste Gasverweilzeitverteilung dargestellt [7]. Das gegenuber der Einzelimpulsmessung hohere Signal/Rausch-Verhaltnis (2 GroBenordnungen) ist unmittelbar zu erkennen. Die Daten stammen aus einem 4-m3-Pilot-Fermenter, in dem die Schlaufe eine Lange von 14 m hatte. Die ebenfalls dargestellte Modellkurve wurde durch eine numerische Anpassung erzielt. Sie laBt erken- nen, daB ein Teil der Gasphase rezirkuliert wird. In dem zugrundeliegenden Modell wurde namlich ange- nommen, da13 ein Teil des mit dem Gasverteiler eingetra- genen Gases den Reaktor nicht direkt nach dem Durchlau- fen des Risers verlaflt, sondern von der Flussigkeit in den

Downcomer gezogen wird und am FuB des Risers wieder in das Leitrohr eintritt. Die Verweilzeitverteilung dieses Anteils ist zusammen rnit dem Teil, der nur den Riser durchlauft, in Abb. 2 zusatzlich dargestellt. Die Uberlage- rung beider Teile zeigt, daB die MeBdaten das Modell sehr gut stutzen. Es ist aber offensichtlich, daB eine solche modellgestutzte Messung MeBdaten mit hohem Si- gnal/Rausch-Verhaltnis erforderlich macht, wenn aus der Anpassung zuverlassige Parameterwerte gewonnen wer- den sollen. Durch die Anpassung des mathematischen Modells an die MeBdaten erhalt man nicht nur die genaue Lage der Peaks, die der Laufzeitverteilung des Gases entsprechen, das nur durch den Riser aufsteigt und die Dispersion dann verlaBt, sondern auch die Verweilzeit des Gases, das die Schlaufe ein oder zweimal durchlauft, bevor es dann im Abgas erscheint. Man erhalt daruber hinaus uber den Abstand der Peaks auch die Zirkulationszeit der Gasphase. Besonders wichtig ist, daB man uber die Integrale der in Abb. 2 eingezeichneten Einzelpeaks auch den Volumenanteil des rezirkulierenden Gases erhalt. Die Aufwendungen fur die pseudostochastische MeBtech- nik haben also zusatzliche Informationen uber Zirkula- tionsdauer und rezirkulierten Volumenanteil eingebracht. Messungen rnit dieser pseudostochastischen Methode sind keineswegs so aufwendig, dal3 sie nur in Einzelfallen von Spezialisten durchgefuhrt werden konnen. Mit Hilfe von Mikroprozessoren kann dieses MeBverfahren leicht auto- matisiert und von jedermann eingesetzt werden. Die rnit dieser Methode nachgewiesenen Gasrezirkulatio- nen sind nicht nur von akademischem, sondern auch von ganz praktischem Interesse. Die zuruckgefuhrten Gasmen- gen ergeben sich in diesen Reaktoren unter Betriebsbedin- gungen zu 20 bis 30%. Das ist eine betrachtliche Menge

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mehr als man fruher angenommen hatte. Bei der Gasab- sorption, beim Gaseintrag in die Flussigphase, sorgt jede Rezirkulation naturlich fur eine Ruckvermischung der Gasphase. Das verbrauchte zuruckgefuhrte Gas reduziert den mittleren treibenden Konzentrationsgradienten fur den Sauerstoffeintrag und verringert die Stoffubergangs- rate. Auf ein weiteres Detail sollte noch hingewiesen werden. Man kann auch wichtige Hinweise auf die Koaleszenzei- genschaften im Riser gewinnen, die fur die Gasphasenver- mischung im untersuchten Schlaufenreaktor interessieren. Fuhrt man das Spurgas nicht dem frisch zugefuhrten Gas zu, sondern injiziert es in die Blasen im Downcomer, so erhalt man das in Abb. 2 links gezeigte Ergebnis. In diesem Falle sieht es so aus, daB relativ mehr Gas rezirkuliert wird. Das Resultat wird aber verstandlich, wenn man beachtet, daB in diesem Falle kleinere Blasen, die durch den Down- comer rezirkuliert werden konnen, selektiv markiert wer- den. Es ergibt sich dann eine andere Aufteilung der markierten Blasen am Kopf des Reaktors.Von den kleine- ren Blasen wird namlich ein groBerer Anteil rezirkuliert als von den im Riser vorhandenen Blasen. Das Ergebnis bedeutet aber gleichzeitig, daB die kleinen Blasen, die aus dem Downcomer in den Riser gelangen, ihre Identitat nicht vollig durch Koaleszenz-/Redispergierungs-Effekte verlie- ren.

3 Lokale Untersuchungsmethoden

Gaszirkulationen treten nicht nur in Schlaufenreaktoren auf, sondern auch in den haufiger eingesetzten Ruhrkes- selreaktoren. Nur sind sie dort nicht so regelmaBig wie in den Schlaufenreaktoren. Aus den Gasverweilzeitverteilun- gen kann man hier keine detaillierte Information erwarten, weil die Gasblasen auf zu vielen unterschiedlichen Wegen vom Gasverteiler an die Oberflache gelangen konnen. Die Beitrage der einzelnen Zirkulationen zur Gasverweilzeit- verteilung uberlagern sich so, daB sie nicht mehr zu entflechten sind. Bis vor kurzem waren iiber die Stromungsprofile der Gasblasen in grorjeren Ruhrkesseln nur Spekulationen bekannt, weil man Blasengeschwindigkeiten in stark bega- sten Ruhrkesseln bislang nicht messen konnte. Um ein quantitatives Stromungsprofil zu erstellen, ist ein lokales Verfahren zur richtungsempfindlichen Messung der Bla- sengeschwindigkeiten erforderlich, das man auch in Ruhr- kesseln einsetzen kann. Das gelingt rnit dem Ultraschallim- puls-Doppler-Verfahren [9-111, dessen Prinzip in Abb. 3 erlautert wird. Bei Ultraschall-Doppler-Verfahren kann

Mefivolumen

Sonde t ’

, I

Abb. 3. Prinzip des Ultraschallimpuls-Doppler-Verfahrens. Von der Sonde wird ein Ultraschallimpuls ausgestrahlt. Dieser wird an den Blasenoberflachen reflektiert. Die Reflexionen konnen rnit derselben Sonde nachgewiesen werden. Registriert man die Signa- le nur in einem engen Zeitfenster nach dem Senden des Impulses, werden nur Signale aus einem MeRvolumen ausgewertet, die aus einem engen Bereich des Ultraschallkegels stammen.

man von Entwicklungen in der Medizintechnik vie1 lernen [ 12-14]. Dort wird das Ultraschall-Doppler-Verfahren fur eine ganze Reihe von Anwendungen eingesetzt. Im Prinzip ist dasverfahren ganz einfach. Man strahlt einen Ultraschallimpuls in die Dispersion ein. Weil Gasblasen ganz hervorragende Reflektoren fur Ultraschall sind, reflektieren die Blasenoberflachen fast die gesamte Ultra- schallstrahlung. Ein Teil der reflektierten Schallenergie gelangt zuruck auf die Ultraschallsonde, die nicht nur als Sender, sonder auch als Detektor geschaltet werden kann. Registriert man die auf die Sonde zuruckkommenden Ultraschall-Reflexionssignale nur in einem kleinen Zeit- fenster, das um die vorgegebene Dauer Y von der Zeit entfernt ist, zu der der Sendeimpuls gestartet wurde, so kann man die Entfernung 1 = CY des MeBvolumens von der Sonde mit Hilfe der Schallgeschwindigkeit c berechnen. Aufgrund des Dopplereffekts ist die Frequenz des reflek- tierten Ultraschallsignals gegenuber der Senderfrequenz um einen Betrag verschoben, der proportional der Blasen- geschwindigkeit ist. Diese Verschiebung benutzt man als MeBeffekt fur die Blasengeschwindigkeitskomponente, die in Richtung der Sondenachse zeigt. Mit einigen elektronischen Raffinessen kann man sich aus dem Sende- und dem Empfangssignal ein Signal erzeugen, das genau mit der Doppelfrequenz schwingt. Die Bestim- mung der Blasengeschwindigkeitsverteilung lauft dann darauf hinaus, das Frequenzspektrum des Dopplersignals zu berechnen. Strahlt man Ultraschall der Frequenz 4 MHz ein, liegt die Doppelverschiebung bei den ublichen Blasen- geschwindigkeiten in der Bandbreite von etwa 5 kHz. Solche Signale sind leicht zu digitalisieren und konnen dann sehr genau ausgewertet werden. Die Qualitat der MeBergebnisse erkennt man leicht an dem in Abb. 4 dargestellten Resultat, das wahrend der Penicil- lin-Produktion in einem 1-m3-Riihrkesselfermenter der Gesellschaft fur Biotechnologische Forschung in Braun- schweig gemessen wurde. Solche MeBergebnisse sind in einer MeBzeit von ca. 10 min zu realisieren. Bei einer Abtastrate von effektiv 20 kHz, die bei diesen Messungen verwendet wurden, treten Probleme auf, die Daten fur eine MeBzeit von 10 min unterzubringen. Das sind 12 MByte pro MeBpunkt, die nicht nur gespeichert, sondern auch noch verarbeitet werden mussen. In diesem

i i

1

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-50 0 50

Blasengeschwindigkeit [cm/sl

Abb. 4. Ergebnis einer Blasengeschwindigkeitsmessung rnit dem Ultraschallirnpuls-Doppler-Verfahren, das wahrend einer Kulti- vierung von Penicillium crysogenum im 1-m3-Ruhrkesselbioreak- tor der Gesellschaft fur Biologische Forschung gernessen wurde.

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Falle empfiehlt es sich, die Daten nicht erst zu speichern, sondern sofort numerisch zu verarbeiten. Mit den heutigen ProzeBrechnern, selbst mit den 32-bit-Workstations, ist das nicht moglich. Daher muBte erneut eine Anleihe bei der Mikroelektronik gemacht werden. Mit modernen Signal- prozessoren kann die erforderliche Rechenleistung zu einem guten PreidLeistungs-Verhaltnis aufgebracht wer- den. Auf der Basis des Signalprozessors TMS320 des Herstellers Texas Instruments wurde eine Realisierung erarbeitet. Auf drei postkartengroBen Platinen ist alles untergebracht, was fur die Ultraschall-Dopplermessung erforderlich ist. Der Einsatz der Methode in einem gegenuber Kontamina- tion sehr empfindlichen biotechnologischen Produktions- prozel3 ist mit den bei diesen Messungen verwendeten, vollstandig in Edelstahl gekapselten Sonden moglich. Die in Abb. 5 gezeigten Sonden sind dampfsterilisierbar bis ca. 140 "C und auch druckfest bis ca. 140 bar. Sie werden bundig auf ein Edelstahlrohr montiert, mit dem sie von aul3en im Reaktor verschoben werden konnen. Somit sehen die Sonden wie einfache Edelstahlstabe aus. Um sie wahrend der Kultivierung im Reaktor verschieben zu konnen, sind sie uber eine Dreh- Verschiebedurchfiihrung in den Bioreaktor eingefuhrt. Ebenfalls um Kontaminatio- nen zu vermeiden, ist die Durchfuhrung in Form einer Dampfschleuse aufgebaut. Um ein vollstandiges Bild uber die Blasenbewegung in Riihrkesselreaktoren zu bekommen, empfiehlt es sich jedoch, Messungen in offenen Reaktoren durchzufuhren, in denen man die verschiedenen MeBorte leichter anfahren kann. Das Resultat einer solchen Messung ist in Abb. 6

V

0

0

0 300 0 300 Radius [mm] Radius [mm]

Abb. 5. Ultraschallsonde fur die Ultraschallirnpuls-Doppler- Methode. Die vollstandig in Edelstahl gekapselte Sonde kann sterilisiert werden und widersteht hohen Drucken. Ihr Kern ist ein Piezokeramikplattchen von 5 rnm Durchrnesser. Im zusarnrnenge- bauten Zustand sieht die Sonde wie ein Edelstahlstab aus.

dargestellt. Die Messung wurde in einem mit Rushton- Turbinen ausgerusteten begasten Ruhrkessel durchge- fuhrt. Dazu wurde eine moderne Variante des Ruhrkessels, die schlanke Form gewahlt, in der die Gasverweilzeit ein wenig groBer ist als in den alten Standardformen. Die schlanken Reaktoren benotigen mehrstufige Ruhrwerke, was die Stromungen in ihnen komplizierter macht. In

0 0 "J 0 300

Radius [mm]

m 0

v [cm/s1

0

0

0 300 Radius [mm]

Abb. 6. Blasengeschwindigkeitskarte fur einen schlanken 800-I-Ruhrkessel rnit 3 Scheibenruhrern. Der Begaserring ist durch das Kreissymbol unterhalb des untersten Riihrers angedeutet. Das linke Paar von Halbprofilen wurde im System Wasser/Luft gemessen. Das rechte in einer 1 %-CMC-Losung. Gezeigt sind jeweils die axialradialen Projektionen der Blasengeschwindigkeitsvektoren in einem Schnitt durch die Achse des Kessels und separat die tangentialen Komponenten. Die MaBstabe sind jeweils unten rechts eingezeichnet.

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Abb. 6 sind zunachst Ergebnisse gezeigt, die rnit diesem Riihrorgan im System Wasser/Luft erhalten wurden. Erhoht man die Viskositat des Mediums im Reaktor, um reale Fermentationsmedien zu simulieren, was durch den Zusatz von CMC moglich ist, dann ergeben sich sofort vollig verschiedene Blasengeschwindigkeitsfelder, wie im rechten Teil der Abb. 6 zu erkennen ist. In diesem Falle erhiilt man eine betrachtliche Riickvermischung der Gasp- hase und einen signifikant verringerten Sauerstoff- ubergang. Diese Ergebnisse geben Hinweise auf mogliche Veranderungen der Stromungsfuhrung in Fermentern die- ser Bauform. Hier fuhrt der Einbau axial fordernder Ruhrer zu signifikanten Verbesserungen bezuglich des Stoffubergangs [lS].

3.1 Lokale Messung der Geschwindigkeit der kontinuierlichen Flussigphase

Die detaillierte Untersuchung der Bewegungs- und Vermi- schungseigenschaften der kontinuierlichen Flussigphase von Mehrphasenreaktoren erweist sich in der Praxis als die schwerste Aufgabe. Man kann dabei nicht ohne weiteres auf die Mellverfahren zuruckgreifen, die aus der Hydrody- namik der Einphasenstromungen bekannt sind, weil die Signale, die das elegante Laser-Doppler-Verfahren oder auch der HeiBfilm-Anemometrie kontinuierlich liefern, stets von ungultiger und damit falscher Information durch- setzt sind. An einem festen MeRort in einer Mehrphasenstromung tritt namlich das Problem auf, daB die Flussigkeitsge- schwindigkeit nicht definiert ist, wenn dort eine Gasblase erscheint. Jedes Gerat mit punktformigem MeBvolumen, das ein kontinuierliches Signal liefert, liefert dann falsche Werte. Dieser Effekt ist keineswegs vernachlassigbar. Nimmt man einen Gasgehalt von 25% an, bedeutet das, daB ein Viertel der kontinuierlich abgetasteten MeBwerte von vorn herein nicht korrekt sind. Fur die Losung dieses Problems wurde die Warmeimpuls- Methode entwickelt [16, 311. Diese stellt im Prinzip eine Laufzeitmessung von Fluidelementen uber einen kurzen Abstand in der Stromung dar. Dazu werden Fluidelemente an einer Stelle in der Stromung markiert. Dann wird an einer benachbarten Stelle rnit einem empfindlichen Detek- tor nachgesehen, wann die markierten Fluidelemente dort vorbeikommen (Abb. 7). Aus vielen stochastisch auftre- tenden Laufzeiten wird uber ein Histogramm die Laufzeit- verteilung der Teilchen ermittelt, die von der Markierungs- stelle zum Detektorort gelangen. Daraus wird die Kompo- nente der mittleren Stromungsgeschwindigkeit in Richtung der durch die Orte der Markierung und des Detektors vorgegebenen Geraden abgeschatzt. Anstatt rnit einem materiellen Tracer wird die Markierung mit Warme vorgenommen, die das System nicht belastet und leicht nachgewiesen werden kann. Naturlich wird auch in diesem Falle wieder pseudostochastisch markiert, wie bereits bei der Gasverweilzeitmessung zu Anfang erlautert. Das hat hier den Vorteil, dall die zur Markierung der Fluidelemente erforderliche Temperaturerhohung auch in stark begasten chaotischen Stromungen unter einem Grad Celsius gehalten werden kann. Damit konnen Auftriebsef- fekte, die ja zu einer Verfalschung des MeBergebnisses fuhren wurden, sicher vernachlassigt werden. Die Ergebnisse sehen qualitativ genau so aus wie Verweil- zeitverteilungen. Abb. 8 vermittelt einen Eindruck von der Qualitat der Rohdaten. Darin ist ein Ergebnis einer solchen Laufzeitverteilung gezeigt, das in einem sehr

Abb. 7. Aufbau der Warmeimpulsrnessung. Die Heizsonde zur Warmemarkierung besteht aus zwei kurzen Edelstahlstiften zwi- schen denen ein hochfrequenter elektrischer Strom durch das Medium fliest. Der strornabwarts liegende Detektor ist ein Schicht- widerstand (PT20). Die Markierung erfolgt pseudostochastisch und macht daher eine Kreuzkorrelationsrechnung zur Rekon- struktion der Laufzeitverteilung erforderlich.

I .

3 o y , L=;=;.-= 9 . = ... .

0.5 1.0 1 . 5 2 . 0 2 . 5 250

Laufzeit [s] Abb. 8. Ergebnis einer Flussigkeits-Laufzeitverteilung in einem hochviskosen, kornplexen, biotechnischen Kultivierungsrnedium rnit hohem Feststoffanteil (,20 Vol.-%) wahrend der Produktion (Cephalosporin) gemessen. Die Daten (Symbole) sind zusammen mit der angepaBten Modellkurve (Linie) eingezcichnet.

komplexen Stoffsystem gemessen wurde: wahrend einer Cephalosporin-Produktion in einem hochviskosen bega- sten Medium mit einem Feststoffvolumenanteil von 20 %. Aus diesem Ergebnis kann die mittlere Geschwindigkeit leicht nach statistischen Methoden oder durch die Anpas- sung eines geeigneten mathematischen Modells gewonnen werden. Mit dieser Technik ist es moglich, Geschwindigkeitsprofile in Airliftreaktoren zu messen. In Abb. 9 ist ein Beispiel gezeigt, das im Riser des schon genannten 4-m3-Reaktors bei einer Gasleerrohrgeschwindigkeit von 12 c d s aufge- nommen wurde. Das entspricht 40 mi /h , oder auf das Flussigkeitsvolumen bezogen 0,25 vvm. Die Kurve weist ein abgeflachtes Profil auf, wie man es bei turbulenter Stromung erwarten wurde. Verdoppelt man dann die Gasbelastung auf 0,s vvm, so wird das Profil entgegen der ursprunglichen Erwartung auf einmal ausgepragter. Dieses verbluffende Ergebnis laBt sich leichter erklaren, wenn man die Messung bei einer noch hoheren Gasbela-

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0 0- .3 %J

.- ZE

-150 -125 -100 -75 -50 -25 0

Radialer Abstand von der Achse [mm]

I I I I I I 1

Abb. 9. Radiale Halbprofile der axialen Stromungsgeschwindig- keitskomponenten der kontinuierlichen Fliissigphase im Riser des 4-m3-Airlift-Schlaufenreaktors bei verschiedenen Gasbelastun- gen. Mit zunehmender Gasleerrohrgeschwindigkeit wird das Profil markanter. Die mittleren Stromungsgeschwindigkeiten sind durch gestrichelte Linien eingezeichnet. Sie wurden mit einem indukti- ven Stromungsmesser iiberpriift.

stung (0,75 vvm) hinzunimmt. Dann erkennt man, daB die Geschwindigkeit am Rande der Saule negative Werte annimmt. Das zeigt nun, daB die Stromung im Riser des Airliftreaktors bei hohen Energieeintragen in die Stro- mungsform einer Blasensaule iibergeht, von der man solche Geschwindigkeitsprofile gewohnt ist. Wenn also die Fliissigkeitsmenge, die diese Mammutpum- pe fordert, nicht mehr durch den Downcomer zuriickflie- Ben kann, wird die eingetragene Energie anderweitig abgebaut. In diesem Falle weicht der Schlaufenreaktor in eine Blasensaulenstromung aus und produziert somit eine verstarkte Vermischung im Riser.

3.2 Vermischungsmechanismen in der kontinuierlichen Flussigphase

Aus den Laufzeitverteilungen kann man aber noch hoher- wertige Informationen iiber die Fliissigkeitsbewegungen gewinnen. Die Laufzeitverteilungen erhalten namlich Informationen iiber die lokal wirksamen Vermischungsme- chanismen [16, 171. Die zum Verstandnis des Zusammen- hangs zwischen der Laufzeitverteilung und der Vermi- schung erforderlichen Gedankengange sind rnit einem ganz simplen Analogon erlautert. Dazu wird das Mischen beim Kartenspiel betrachtet. Dort besteht das Problem, Karten, die nach einem Stich unmittelbar nebeneinander im Kar- tendeck liegen, moglichst gleichmaisig auf den Kartensta- pel zu verteilen. Das erfordert, daB sich ihre gegenseitigen

Abstande moglichst schnell und zufallig vergroBern bis die Karten willkiirlich im Stapel verteilt sind. Je schneller sich ihre mittleren Abstande vergroBern, desto effektiver ist der Mischvorgang. Derselbe Vorgang ist bei Fliissigkeitsele- menten von Bedeutung, wenn beispielsweise Reaktanden, die einem Reaktor lokal zugefiihrt werden, moglichst schnell im molekularen MaBstab gleichmal3ig im Reaktor verteilt werden sollen. Man betrachtet also im Reaktor eine Menge von Teilchen, die anfangs an einem Ort benachbart beieinander liegen. Diese Teilchen seien geeignet markiert. Die verschiedenen Vermischungsmechanismen, die auf diese Teilchen einwir- ken, vergroBern die Teilchenabstande rnit der Zeit. Es bildet sich so zunachst eine Teilchenwolke aus, die im folgenden durch eine raumliche Normalverteilung model- liert wird. Da die Wolke sich rnit der Zeit verbreitert, ist die Varianz der Verteilung eine Funktion der Zeit. In einer Stromung mit konstanter mittlerer Geschwindig- keit v wird diese Teilchenwolke insgesamt verschoben. Mit einem ortsfesten Detektor, den die Wolke auf ihrem Weg passiert, kann dann bei bekannter Geschwindigkeit die Breite der Wolke festgestellt werden. Stellt man verschie- dene Abstande des Detektors vom Markierungsort ein, beobachtet man verschieden breite Wolken. Es ist unmittelbar einleuchtend, daB das skizzierte MeB- verfahren rnit der Warmeimpulsmethode realisiert werden kann. Man wertet dann neben dem ersten Moment der Laufzeitverteilung auch das zweite aus. Die entscheidende Frage ist nun, welchen Modellansatz man fur die zeitliche Anderung der Varianz, oder besser der Standardabwei- chung u der Verteilung, die dimensionsrichtig der Breite der Wolke entspricht, verwenden kann. Diese Zeitabhan- gigkeit ist ein unmittelbares MaB fur die Vermischung. Die wichtigsten Mechanismen, die in der Literatur disku- tiert werden, sind Diffusion, Konvektion und Turbulenz. Im Chemie-Ingenieur-Wesen wird fast ausschlierjlich die diffusive Vermischung oder die verallgemeinerte Diffusion diskutiert (z. B. axiales Dispersionsgesetz). Fur diese Ver- mischung ist bekannt, daB sich anfangs punktformige Markierungen rnit der Wurzel der Zeit ausbreiten:

u = U,t'h

Levenspiel und Fitzgerald [ 181 weisen aber in einer bemer- kenswerten Warnung darauf hin, daB diese Annahme oft nicht gerechtfertigt ist und geben ein Beispiel aus einer Zweiphasenstromung an, bei dem es aufgrund konvektiver Stromungen zu einer VergroBerung der Standardabwei- chung proportional zur Zeit kommt:

u = UJ'

Im Falle der Mehrphasenstromung, in der Blasen aufstei- gen, kann man fur eine konvektive Vermischung den folgenden Gedankengang anfiihren: Es ist bekannt, daB Blasen bei ihrem Aufstieg in einer Fliissigkeit eine Schlep- pe nachziehen, in der Fliissigkeit relativ zur Bulkfliissigkeit transportiert wird (z. B. [19]). Da die Blasen im zeitlichen Mittel mit konstanter Geschwindigkeit aufsteigen, vergro- Bert sich der Abstand von Fliissigkeitselementen, die anfangs benachbart zu beiden Seiten der Schleppengrenze lagen, linear rnit der Zeit. Dieser Mechanismus wird im folgenden ,Blasenschleppen-Mechanismus' genannt . Die bekanntermaaen effiziente turbulente Vermischung kann keineswegs durch eine verstarkte Diffusion beschrie- ben werden, sondern fiihrt zu einer drastisch verschiedenen

12 Chem.-1ng.-Tech. 63 (1991) Nr. 1, S. 6-15

Zeitabhangigkeit. Im Falle isotroper Turbulenz erhalt man nach [20]:

u = u&

Neuere Entwicklungen in der Theoretischen Physik (z. B. [21]) zeigen, dal3 sich der Exponent von t sogar noch vergroflert. wenn man auch den intermittierenden Charak- ter der Turbulenz berucksichtigt. Das kann bei ansonsten isotroper Turbulenz Exponenten von grol3er als 2 erbrin- gen. Die Ausfuhrungen in der Literatur kann man rnit der Feststellung zusammenfassen, dal3 der Vermischungsme- chanismus sich in der Zeitabhangigkeit manifestiert, mit der sich der relative Abstand anfangs benachbarter Teil- chen vergrol3ert. Die Zeitabhangigkeit wurde in der Lite- ratur bislang durchweg durch den Ansatz

beschrieben. Die entscheidende Kenngrose fur den Mechanismus ist der Exponent p. Um den Vermischungsmechanismus im Riser eines Airlift- Schlaufenreaktors zu messen, wurden Messungen mit der Warmeimpulsmethode durchgefuhrt. Ein typisches experi- mentelles Ergebnis fur die gemessenen Laufzeitverteilun- gen ist in Abb. 10 dargestellt. Die Messung wurde bei einer Leerrohrgeschwindigkeit von 11 cmls durchgefuhrt, bei der die Stromung ein chaotisches Verhalten zeigt. Die Anpas- sung der Modellfunktion zeigt, dal3 der Exponent etwa 0,s ist. Das Ergebnis zeigt klar, dal3 von einer Dominanz der Turbulenz im Sinne der statistischen Turbulenztheorie nicht gesprochen werden kann. Kontrollexperimente in Einphasenstromungen bei vergleichbaren Reynolds-Zah- len ergaben jedoch, dal3 dort Exponenten grol3er als 1,5 auftraten. Bei Einphasenstromungen stimmt die Annahme turbulenter Vermischung. Eine Uberprufung des Resultats in der Blasenstromung kann durch die direkte Messung der Breite der Tracer- Wolke zu verschiedenen Zeiten erfolgen. Dazu eignet sich besonders dic Stromung der Dispersion im Riser des untersuchten Schlaufenreaktors. Die mittlere Stromung verlauft ngmlich in Richtung der Saulenachse und die mittleren Verweilzeiten erweisen sich experimentell als eine sehr exakte lineare Funktion des Sondenabstands. Diese Tatsachc kann man fur eine lineare Transformation zwischen dem Sondenabstand und der Laufzeit der mar- kierten Teilchcnwolke verwenden. Das gestattet es, die Laufzeit kurven einfach bei verschiedenen Abstanden zu messen und daraus die Zeitabhangigkeit der Breite der Wolke der markierten Teilchen zu messen. Wie aus Abb. 10 ersichtlich ist, fuhren auch die Messungen bei verschiedenen Sondenabstanden in Mehrphasensyste- men zu demselben Ergebnis [32]. Die lineare Form der MeBpunkte in der doppeltlogarithmischen Darstellung bestatigt auch den in der Literatur verwendeten Potenzan- satz. Detaillierte Untersuchungen der Vermischung in Airlift- Schlaufenreaktoren zeigten, dal3 der Exponent mit steigen- der Gasbelastung leicht zunimmt und schlieBlich bei sehr hohen Begasungsraten den Wert 1 anstrebt. Das deutet darauf hin, dal3 die Vermischung in Airliftreaktoren durch eine Uberlagerung verschiedener Mechanismen beschrie- hen werden muB. Bei hohen Gasbelastungen, d. h. vielen aufsteigenden Blasen, scheint der Blasenschleppen- Mechanismus zu dominieren.

Steigung : 0,85

I I I I

-1 .2 -1 . o -0 .8 -0.6 b ( T )

Abb. 10. weichung mente als Funktion der mittleren Laufzeit T .

Doppeltlogarithmische Darstellung der Standardab- der raumlichen Verteilung der markierten Fluidele-

Es ware aber denkbar, dal3 der Exponent aus einer Uberlagerung von diffusionsahnlichen und turbulenten Anteilen zustande kommt und der Blasenschleppen- Mechanismus keine grol3e Bedeutung hatte. Die Uberlage- rung von verallgemeinerter Diffusion und isotroper Turbu- lenz kann von der Uberlagerung des diffusiven Mechanis- mus und des Blasenschleppen-Mechanismus durch die Richtungsabhangigkeit des letzteren unterschieden wer- den. Sowohl Diffusion als auch isotrope Turbulenz sind richtungsunabhangig, wohingegen der Blasenschleppen- Mechanismus eine klare Vorzugsrichtung in vertikaler Richtung aufweist. Die Unterscheidung kann durch die Messung der radialen Vermischung gefuhrt werden. Die radiale Vermischung fuhrt dazu, daR nicht alle mar- kierten Teilchen den Detektor erreichen. Es zeigt sich bei naherer Betrachtung, daI3 das Integral der Laufzeitkurven rnit dem Abstand d zwischen Markierungsstelle und Detek- tor rnit d-*fl abnimmt. Der Exponent f l wurde unter denselben experimentellen Bedingungen wie in den bislang diskutierten Beispielen zu '12 ermittelt.Wir beobachten hier also eine klare Richtungsabhangigkeit der Vermischung und erhalten damit eine Unterstutzung fur die Annahme, dal3 der Blasenschleppen-Mechanismus in axialer Richtung fur die Erhohung des Exponenten sorgt. Daraus wird die Folgerung gezogen, dal3 die lokale Vermi- schung im Riser des Schlaufenreaktors in radialer Richtung durch eine verallgemeinerte Diffusion beschrieben werden kann. Es ist anzunehmen, dal3 dieser Mechanismus auch in axialer Richtung wirkt. Dort aber dominiert bei starkerer Begasung der Blasenschleppen-Mechanismus. Lokal be- trachtet ist das axiale Dispersionsmodell also kein geeigne- tes Modell fur die Beschreibung der Vermischung in Schlaufenreaktoren. Es muR aber ausdrucklich darauf hingewiesen werden, dal3 damit keine Ausage uber die Vermischung iiber groBe Entfernungen (vcrglichen rnit dem Saulendurchmesser) gemacht wird. Die Relevanz der lokalen Vermischungsmechanismen leitet sich aus ihrer Bedeutung fur die Unterstutzung der Mikro- vermischung ah.

3.3 Fraktale Signalanalyse

Auch von der modernen Mathematik konnen Entwicklun- gen unmittelbar zur Untersuchung der Vermischung in chemischen Reaktoren ubernommen werden. Ein Beispiel

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ist die fraktale Geometrie, die zur stochastischen Analyse von Signalen aus stark mischenden Reaktoren verwendet werden kann. Die Entwicklung dieser Technik ist zwar noch nicht abgeschlossen, es lohnt sich aber dennoch, hier die aktuellen Entwicklungen dieser interessantenTechnik kurz anzusprechen. Die Theorie der Fraktale ist erst in den letzten Jahren, hauptsachlich von Mandelbrot (z. B. [22]) entwickelt wor- den und ist vielen aus dem Bereich der Computergraphik in Form von Apfelmannchen oder Julia-Mengen bekannt, Fraktale sind selbstahnliche Objekte, zum Beispiel Figu- ren, die aus Elementen bestehen, deren grobe Form im wesentlichen immer gleich ist, in welchem MaBstab man sie auch betrachtet. Auch die auf den ersten Blick chaotischen Rohsignale, die wir rnit verschiedenen MeBgeraten in turbulenten Stro- mungen erhalten,weisen eine fraktale Struktur auf [23,24]. Ein Teilgebiet der Theorie der Fraktale befafit sich daher allgemein rnit der statistischen Analyse stochastischer Signale [25]. Bei der fraktalen Analyse interessiert man sich in der Regel nur fur die Signalschwankungen. Zur Charakterisierung der im oberenTeil der Abb. 11 [17] gezeigten stochastischen Signalschwankungen, verwendet

250 SO0 750 loo0 I250

Zeit [ms]

x(ti) Schwankungen eines Signals x' um seinen Mittelwert < x' >

X(t) Akkumulierte Abweichungen = C $ti)

I = I k

Abb. 11. Kurven, die bei der fraktalen Analyse stochastischer Signale ausgewertet werden: Oben Abweichungen der Abtastwer- te von ihrem Mittelwert, unten ,Akkurnulierte Abweichungen'. Weitere Erklarungen irn Text.

Schwankungsbreite in diesem Signalintervall nennen sie den Range R. Dieser ist von der Lange z des betrachteten Zeitintervalls abhangig. Mandelbrot und Wallis zeigen nun, daB der Range bei vielen praktisch vorkommenden Signa- len im statistischen Mittel rnit einer Potenz H der Dauer des Zeitintervalls ansteigt. Der Exponent H , genannt Hurst- Exponent [28, 291, erweist sich als charakteristisch fur die Signalschwankungen v(t). Die konstante Standardabweichung S wird mitgefuhrt, ohne daB sie in unserem Zusammenhang eine tiefere Bedeutung hatte. Dieser zunachst abstrakten Analyse kann man bei unseren Betrachtungen der Vermischung eine physikalische Bedeutung geben [17], wenn man als Signal- schwankungen die Geschwindigkeitsschwankungen in der Flussigphase einer Rohrstromung gibt. Das ist in Abb. 11 bereits geschehen, das oben in der Abbildung dargestellte Signal wurde rnit einem HeiBfilm-Anemometer gemessen. Wenn angenommen wird, daB die Geschwindigkeits- schwankungen v, die am MeBort gemessen werden, cha- rakteristisch fur die Geschwindigkeitsschwankungen in der raumlichen Umgebung des MeBortes sind, dann entspricht das Hilfssignal einem Weg, das ein fiktives Teilchen um einen Punkt herum zurucklegt, der rnit der mittleren Stromungsgeschwindigkeit fortbewegt wird. Wenn man nun, leicht abweichend von Mandelbrot und Wallis, die mittlere Auslenkung des Teilchens uber Zeitin- tervalle der Lange z berechnet, die ja gleich der Standard- abweichung der im vergangenen Abschnitt diskutierten Teilchenwolken sind, dann erhalt man praktisch denselben Ansatz, wie wir ihn fruher schon verwendet haben. Die Breite der Teilchenwolke vergrol3ert sich auch nach dieser Theorie exponentiell rnit der Betrachtungsdauer. Der Vorteil, den man aus dieser Theorie ziehen kann, ist, daB nun eine Moglichkeit existiert, aus den Signalschwan- kungen an einem Ort Aussagen uber die Ausbreitungsei- genschaften von Teilchen in einer schwankenden Stromung zu machen. Man braucht nur die schwankenden Anemo- metersignale unter Zuhilfenahme der genannten Hilfs- funktion auszuwerten und sie dann doppelt logarithmisch darzustellen, um daraus den Hurst-Exponenten H zu ermitteln.

man in dieser Theorie ein Hilfssignal, die sogenannten akkumulierten Abweichungen vom Mittelwert (Abb. 11). Da der Mittelwert der Schwankungen null ist, ist die akkumulierte Abweichung zur Zeit t natiirlich gleich der Summe aller bis zum Zeitpunkt t aufgetretenen Werte des oben gezeigten Signals x(t). Das ist bei hinreichend kleiner Abtastrate bis auf einen Proportionalitatsfaktor gleich dem Zeitintegral X ( t ) der Signalschwankungen x(t). In diesem Hilfssignal betrachten Mandelbrot und Wallis [26, 271 nun Zeitintervalle der Lange z und den in ihnen auftretenden Wertebereich der Ordinaten v. Die maximale

1 2 3 4 W r )

Abb. 12. Ergebnis der fraktalen Analyse der Druckschwankun- gen im Riser eines Airlift-Schlaufenreaktors. Der RIS-Wert nach Mandelbrot und Wallis entspricht nach den Ausfiihrungen irn Text der Ausbreitung markierter Teilchen. Er ist hier in doppelt logarithmischer Weise als Funktion der Beobachtungsdauer t aufgetragen.

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Bei einem ersten Vergleich in einer Einphasenstromung konnte eine hervorragende Ubereinstimmung zwischen dem Hurst-Exponenten H und dem Exponenten f l aus der Warmeimpulsmethode erzielt werden. Auf den ersten Blick verbluffend ist dann noch, daB in Airlift-Schlaufen- reaktoren mit Hilfe schneller Druckschwankungssignale Hurst-Exponenten von etwa 0,8 gemessen werden (Abb. 12). Das laBt sich durch den Zusammenhang zwischen dem Druck auf den Sensor und dem Impuls der Fluideiemente plausibel machen. Das experimentelle Ergebnis wird zwar von anderen Forschungsgruppen bestatigt [30], bedarf aber noch weiterer Uberprufungen.

Die DFG, die Firma Ekato und das BMFT im Rahmen des Schwerpunkts BioprozeRtechnik haben die hier zusammengefaB- ten Arbeiten maageblich unterstiitzt. Ihnen sei an dieser Stelle vielmals gedankt.

Eingegangen am 20. August 1990 [B 55791

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