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Einleitung Frakturen in der Unterkiefermitte in Kombination mit dislozierten Frakturen beider Kiefergelenkfortsätze sind als be- sonders schweres Gesichtsschädeltrau- ma einzustufen, weil die Desintegration des Mandibularbogens zu einer weiter auseinander driftenden Translation und höhergradigen Rotation der Fragmente führen kann als die Dislokationen bei isoliert vorliegenden Frakturen in der Summe. Nach der Aufsprengung des Mandibular- bogens wird die beidseitige Aufweitung in der Transversaldimension nicht von noch intakten Kiefergelenkstrukturen limitiert (Abb. 1). Stattdessen kann die Breitenzunahme im Untergesicht infolge der Medialkippung der Gelenkfortsätze soweit gehen, dass die lateral stehenden Fragmentenden die Seitenränder der Ge- lenkgruben bzw. die Jochbögen über- ragen. Durch die Höhenreduktion der aufsteigenden Unterkieferäste entsteht neben der Kreuzbiss- oder seitlichen Vorbeibiss-Situation gleichzeitig ein frontal offener Biss. Eine erfolgreiche Be- handlung derartiger Unterkiefer-Drei- fachfrakturen ohne Reposition und Fixa- tion der Gelenkfortsätze sowie ohne eine stabile Wiederherstellung des Mandibu- larbogens in der Transversalen mit pass- genauem Mittenschluss in der Symphy- seal-/Parasymphysealregion ist schwer zu erreichen. Sogenannte geschlosseneZusammenfassung In Analogie zu einem aufgeschlagenen Buch weit lateralwärts dislozierte Un- terkieferhälften nach einem Gesichts- schädeltrauma sind Folge eines typi- schen Frakturmusters: die Symphy- sen-/Parasymphysen- bzw. Kinnregion ist aufgesprengt, gleichzeitig sind beide Kiefergelenkfortsätze nach Brüchen auf dem Niveau von Basis, Kollum oder Walze disloziert und/oder aus der Ge- lenkgrube luxiert. Aus derartigen Drei- fachfrakturen resultieren massive Ok- klusionsstörungen (Kreuzbiss, frontal offener Biss), die nach Konsolidierung in Fehlstellung kaum funktionell kom- pensiert werden können. Daneben kann es zu einer ästhetisch ungünstigen Brei- tenzunahme des Untergesichts in Kom- bination mit einer Abnahme der hinte- ren Gesichtshöhe kommen. Aktuelle Konzepte tendieren daher zu einer operativen Versorgung sämtlicher Frakturzonen mit anatomisch korrek- ter Reposition und rigider Fixierung der Fragmente. Dieses aggressive Pro- zedere konnte sich erst auf der Grund- lage von Fortschritten in der Behand- lung von Kiefergelenkfortsatzfrakturen entwickeln, wo ein Paradigmenwechsel von der geschlossenen Behandlung zur Osteosynthese über offene transfaziale oder transorale Zugänge stattgefunden hat. Die Biomechanik, die klinische und bildgebende Diagnostik und die opera- tive Gesamtstrategie der Open book- Frakturen des Unterkiefers werden hier dargestellt. Die Differenzialindikation der operativen Zugänge, ebenso wie Entscheidungskriterien, wo (Gelenk- fortsatzbereich oder Unterkiefermitte?) in der OP-Behandlungssequenz mit der Fixierung begonnen werden sollte sowie die Auslegung und Dimensionie- rung von Osteosynthesematerial fin- den dabei ausführliche Berücksichti- gung. Open BookFractures of the Mandi- ble: Bilateral Condylar Process Frac- tures Combined with Paramedial/ Medial Fractures of the Lower Jaw. Strategies for Surgical Treatment Lateral displacement of the mandibular body divisions analogous to an open book after trauma to the facial skeleton are the result of a typical fracture pat- tern: a disjunction of the symphyseal/ parasymphyseal region goes along with bilateral condylar process frac- tures at the level of either the base of the process, the neck or the condylar head. The condylar process fragments are commonly displaced and/or dislo- cated from the glenoid fossa. Such tri- ple mandibular fractures result in se- vere malocclusion (cross bite, frontal open bite) that can hardly be compen- sated for if the fractures consolidate in bony malalignment. Besides, the lower face may be widened and diminished in vertical height posteriorly in an aes- thetically unpleasing manner. Present day concepts suggest open surgical treatment of all fracture sites with ana- tomic reduction and rigid fixation. This aggressive approach was only recently developed based on the advances in the treatment of condylar processes, where the paradigms have shifted from closed treatment to open reduction and osteosynthesis using a transfacial or a transoral access. The biomechanics, the clinical signs and symptoms, and imaging diagnostic work-up as well as the overall surgical strategy in the treatment of open bookmandible fractures are presented in this article. The appropriate choice of the surgical access, the operative sequence at which site (condylar process or symphysis/ parsymphysis) to start with the fixa- tion of fragments as well as the type, number, location and dimensions of os- teosynthesis material are thoroughly outlined. Open book-Frakturen des Mandibularbogens: Bilaterale Gelenkfortsatzfrakturen in Kombination mit Paramedian-/Medianfrakturen des Unterkiefers. Operative Behandlungsstrategien & n Sebastian Schiel, Wenko Smolka, Christoph Leiggener, Gabriele Kaeppler, Carl-Peter Cornelius OP-JOURNAL 2012; 28: 194210 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0031-1298507 194 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

Open book -Frakturen des Mandibularbogens: Bilaterale ... · Abb.2a bis d „Open book“-Fraktur des Unterkiefers. a Schema von ventral:die Unterkieferhälften können umsoweiter

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„Open book“-Frakturen des Mandibularbogens:Bilaterale Gelenkfortsatzfrakturen in Kombinationmit Paramedian-/Medianfrakturen des Unterkiefers.Operative Behandlungsstrategien&n Sebastian Schiel, Wenko Smolka, Christoph Leiggener, Gabriele Kaeppler,

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Zusammenfassung

In Analogie zu einem aufgeschlagenenBuch weit lateralwärts dislozierte Un-terkieferhälften nach einem Gesichts-schädeltrauma sind Folge eines typi-schen Frakturmusters: die Symphy-sen-/Parasymphysen- bzw. Kinnregionist aufgesprengt, gleichzeitig sind beideKiefergelenkfortsätze nach Brüchen aufdem Niveau von Basis, Kollum oderWalze disloziert und/oder aus der Ge-lenkgrube luxiert. Aus derartigen Drei-fachfrakturen resultieren massive Ok-klusionsstörungen (Kreuzbiss, frontaloffener Biss), die nach Konsolidierungin Fehlstellung kaum funktionell kom-pensiert werdenkönnen.Danebenkannes zu einer ästhetisch ungünstigenBrei-tenzunahme des Untergesichts in Kom-bination mit einer Abnahme der hinte-ren Gesichtshöhe kommen. AktuelleKonzepte tendieren daher zu eineroperativen Versorgung sämtlicherFrakturzonen mit anatomisch korrek-ter Reposition und rigider Fixierungder Fragmente. Dieses aggressive Pro-zedere konnte sich erst auf der Grund-lage von Fortschritten in der Behand-lung von Kiefergelenkfortsatzfrakturenentwickeln, wo ein Paradigmenwechselvon der geschlossenen Behandlung zurOsteosynthese über offene transfaziale

nleitung

akturen in der Unterkiefermitte inmbination mit dislozierten Frakturenider Kiefergelenkfortsätze sind als be-nders schweres Gesichtsschädeltrau-a einzustufen, weil die Desintegrations Mandibularbogens zu einer weiterseinander driftenden Translation und

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oder transorale Zugänge stattgefundenhat. Die Biomechanik, die klinische undbildgebende Diagnostik und die opera-tive Gesamtstrategie der „Open book“-Frakturen des Unterkiefers werden hierdargestellt. Die Differenzialindikationder operativen Zugänge, ebenso wieEntscheidungskriterien, wo (Gelenk-fortsatzbereich oder Unterkiefermitte?)in der OP-Behandlungssequenz mit derFixierung begonnen werden solltesowie die Auslegung und Dimensionie-rung von Osteosynthesematerial fin-den dabei ausführliche Berücksichti-gung.

“Open Book” Fractures of the Mandi-ble: Bilateral Condylar Process Frac-tures Combined with Paramedial/Medial Fractures of the Lower Jaw.Strategies for Surgical Treatment

Lateral displacement of the mandibularbody divisions analogous to an openbook after trauma to the facial skeletonare the result of a typical fracture pat-tern: a disjunction of the symphyseal/parasymphyseal region goes alongwith bilateral condylar process frac-tures at the level of either the base ofthe process, the neck or the condylarhead. The condylar process fragmentsare commonly displaced and/or dislo-

öhergradigen Rotation der Fragmenteühren kann als die Dislokationen beisoliert vorliegenden Frakturen in derumme.

ach der Aufsprengung des Mandibular-ogens wird die beidseitige Aufweitungn der Transversaldimension nicht vonoch intakten Kiefergelenkstrukturenimitiert (Abb. 1). Stattdessen kann diereitenzunahme im Untergesicht infolgeer Medialkippung der Gelenkfortsätzeoweit gehen, dass die lateral stehendenragmentenden die Seitenränder der Ge-

cated from the glenoid fossa. Such tri-ple mandibular fractures result in se-vere malocclusion (cross bite, frontalopen bite) that can hardly be compen-sated for if the fractures consolidate inbony malalignment. Besides, the lowerface may be widened and diminishedin vertical height posteriorly in an aes-thetically unpleasing manner. Presentday concepts suggest open surgicaltreatment of all fracture sites with ana-tomic reduction and rigid fixation. Thisaggressive approach was only recentlydeveloped based on the advances inthe treatment of condylar processes,where the paradigms have shifted fromclosed treatment to open reductionand osteosynthesis using a transfacialor a transoral access. The biomechanics,the clinical signs and symptoms, andimaging diagnostic work-up as well asthe overall surgical strategy in thetreatment of “open book” mandiblefractures are presented in this article.The appropriate choice of the surgicalaccess, the operative sequence at whichsite (condylar process or symphysis/parsymphysis) to start with the fixa-tion of fragments as well as the type,number, location and dimensions of os-teosynthesis material are thoroughlyoutlined.

lenkgruben bzw. die Jochbögen über-ragen. Durch die Höhenreduktion deraufsteigenden Unterkieferäste entstehtneben der Kreuzbiss- oder seitlichenVorbeibiss-Situation gleichzeitig einfrontal offener Biss. Eine erfolgreiche Be-handlung derartiger Unterkiefer-Drei-fachfrakturen ohne Reposition und Fixa-tion der Gelenkfortsätze sowie ohne einestabile Wiederherstellung des Mandibu-larbogens in der Transversalen mit pass-genauem Mittenschluss in der Symphy-seal-/Parasymphysealregion ist schwerzu erreichen. Sogenannte „geschlossene“

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Behandlungsverfahren, die insbesonderebei der Versorgung der Gelenkfortsatz-frakturen bis weit in die 1890er-Jahredominierten, sind daher heute als Be-handlungsoption nahezu verlassen. Ak-tuell stehen verschiedene OP-Technikenzur offenen Reposition und Osteosyn-these zur Verfügung, deren Beschrei-bung und Indikation Gegenstand des fol-genden Beitrags sind.

Frakturmuster „Open book“

Das Muster einer dislozierten Unterkie-fer-Dreifachfraktur imSymphysen-/Para-symphysenbereich bzw. der Kinnregionund der Gelenkfortsätze beidseits gleichteinem aufgeschlagenen Buch (Abb. 1und 2). Die Bezeichnung „Open book“-Fraktur steht dabei plakativ für die um

Abb. 1a bis c „Open book“-Fraktur des Unterkiefers mit Osteosynthesen in Fehlstellung fixiert.Gleichzeitig haben Le-Fort-I- und -II-Frakturen sowie eine mediansagittale Gaumendachfrakturvorgelegen. Die Okklusion wurde in Referenz zum aufgebogenen Unterkiefer eingestellt, sodasskein Kreuzbiss vorhanden ist. a Ventralansicht: weit aufgebogene Untekieferhälften, Miniplattenüber der Symphysenfraktur, wobei der Bruchspalt geschlossen erscheint, nach medial disloziertegelenktragende Fragmente nach Gelenkhalsfrakturen beidseits. b Dorsalansicht: linguale Dia-stase in der Unterkiefersymphyse, Medialkippung der gelenktragenden Fragmente. c Kaudal-ansicht: Breitenzunahme durch abgeflachten Mandibularbogen.

Abb. 2a bis d „Open book“-Fraktur des Unterkiefers. a Schema vonventral: die Unterkieferhälften können umso weiter nach lateral aufklap-pen, je weiter kaudal die Gelenkfortsatzfrakturen lokalisiert sind.b Schema von kranial: beachte die Diastase auf der Lingualseite derSymphyse. c 3-D-CT von dorsal (Fallbeispiel) mit Darstellung des Haut-mantels: rechts Medialkippung des Gelenkfortsatzes mit Luxation desKopfes aus der Pfanne. d Offenes Buch als Metapher zur Beschreibungdes Frakturmusters im Mandibularbogen.

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die Mitte lateralwärts aufrotierten Un-terkieferhälften, die im Extremfall fastso flach wie Buchdeckel auf einer Tisch-platte in der Frontalebene liegen können.

Die „Open book“-Fraktur des Unterkie-fers ist auch als „Guardsman Fracture“oder „Parade Ground Fracture“ bekannt,da Wachmänner und Paradesoldatennach langem unbewegtem Stehen (or-thostatischer Stress) in der Sonne mit-unter vasovagale Synkopen erleiden undbei plötzlichem Verlust des Muskeltonusohne Abfangmöglichkeit mit den oberenGliedmaßen der Länge nach „unge-bremst“ auf das Kinn stürzen.

Biomechanik

Biomechanisch verhält sich der Unter-kiefer bei Belastung in starker Verein-fachung wie ein freistehender Rund-oder Halbkreisbogen mit frei drehbarenEnden, über dessen Gesamtlänge sichdie Kräfte als Druckspannungen vertei-len (Abb. 3).

InderRealitätentsprichtderMandibular-bogen aber nicht einer linearen Kurven-formation aus homogenem Knochen-material, sondern ist diskontinuierlichaufgebaut und hat Schwachstellen mitreduziertem Querschnitt und geringererKnochendichte wie die Symphysen-/Pa-rasymphysenregion, den Abschnitt mitden Foramina mentalia, die Kieferwinkelsowie die Kiefergelenkfortsätze mit denKiefergelenkwalzen. An diesem „locusminores resistentiae“ konzentrieren sichZugspannungen, aus denen –wie es auchvon langen Röhrenknochen bekannt ist –bevorzugt Frakturen resultieren [1–5]. Inwelcher Lokalisation Brüche am Unter-kiefer auftreten, wird vom Vektor dereinwirkenden Kraft bestimmt. „Openbook“-Frakturen des Unterkiefers ent-stehen, wenn ein ausreichend energie-

reicher Impuls (Aufprall, Schlag) auf dieKinnmitte gerichtet ist. In der Symphy-sen-/Parasymphysenregion kommt esinfolgedessen zur direkten Fraktur. DieAußen- bzw. Bukkalfläche des anterio-ren Unterkieferkörpers wird dabei zu-nächst nur komprimiert, während dieZugkräfte die Innen- bzw. Lingualseitedes Unterkiefers so stark überdehnen,dass der Knochen hier initial auf-gesprengt wird und sich der Bruchspaltabrupt nach ventral ausbreitet [4].

Die Frakturen im Bereich der beiden Kie-fergelenkfortsätze entstehen hingegenindirekt. Die Lateralflächen der aufstei-genden Unterkieferäste werden durchden Impuls nach außen konvex aufgebo-gen, bis die Zugspannung das Elastizi-tätsmodul des Knochens übersteigt unddie Brüche herbeiführt. Die Kieferge-lenkköpfe sind relativ frei beweglich inden Gelenkgruben gelagert. Neben derRotationsbewegung werden die Gelenk-köpfe auch axial (z.B. nach anteromedi-al) ausgelenkt, woraus Rupturen desKapsel- und Bandapparats, Verlagerun-gen des Discus articularis, Luxationenund/oder Dislokationen in unterschiedli-cher Richtung der gelenktragenden Frag-mente resultieren können.

Immer wieder wurde die Vermutung ge-äußert, dass Zusammenhänge zwischender Bezahnung im Molarengebiet unddem Typ, der Höhe und dem Ausmaßder Dislokation von Kiefergelenkfort-satzfrakturen bestehen, die sich jedochbisher nicht bestätigen ließen [6]. DieÖffnungsstellung des Unterkiefers imMoment der Verletzung hat dagegen ve-rifizierbaren Einfluss auf den Frakturtypim Kiefergelenkfortsatzbereich [7,8]. Inweit geöffneter Unterkieferposition wer-den die zur Fraktur führenden Kräfte bisin die Gelenkwalze oder den Gelenkhalsweitergeleitet, in Schlussstellung ist da-

gegen die Kiefergelenkfortsatzbasis be-troffen [9].

Klassifikation Gelenkfortsatzfrakturen

Die bilateralen Gelenkfortsatzfrakturenbei einer „Open book“-Fraktur des Man-dibularbogens können sich auf unter-schiedlichem Niveau des Ramushinter-rands abspielen mit Symmetrie oderAsymmetrie von Bruchhöhe und Dis-lokations- bzw. Luxationsgrad der ge-lenktragenden Fragmente. Die aktuelleAO-Klassifikation unterscheidet folgen-de Frakturen des Processus condylarismandibulae:– der Gelenkfortsatzbasis– des Gelenkhalses („Kollum“)– der Gelenkwalze (Synonyme: Gelenk-

kopf oder diakapituläre Frakturen)

Die Frakturspalten an der Gelenkfort-satzbasis und der Gelenkhalsregion (Kol-lum) sind in der Horizontalebene orien-tiert und verlaufen zumeist in abfallen-der Richtung von anterior-oben aus derIncisura sigmoidea nach dorsal-untenan den Ramushinterrand. Bei der „Openbook“-Fraktur kommt es durch den Bie-gungsmechanismus an der Frakturstellezur Achsabknickung (Abb. 4) nach medi-al, einer Seitwärtsverschiebung des kra-nialen Fragmentendes nach lateral odermedial („medial oder lateral override“)und einer longitudinalen Kontraktion.Der Gelenkkopf kann die Gelenkpfannebei extremer Medialkippung des pro-ximalen Fragments unter Zerreißungder Kapsel- und Diskusstrukturen in totoverlassen und somit zu einer echten Lu-xation führen. Der Zug des M. pterygo-ideus lateralis mit seinem Insertions-areal unterhalb des Gelenkkopfs kanneine nach vorne und medial gerichteteKomponente zur rein mechanisch ver-ursachten Dislokation beitragen.

Im Unterschied zu den Basis- und Kol-lumfrakturen liegen diakapituläre oderWalzenfrakturen in der Sagittalebene[11–14], wobei der Bruchspalt schrägvon lateral-oben nach medial-unten ge-neigt ist (Abb. 5c). Funktionell relevantwerden Walzenfrakturen, wenn sie denlateralen Pol einschließen und zur Hö-henreduktion des Ramus führen. Dasmediale Walzenfragment bleibt mitdem M. pterygoideus lateralis verbun-den und kann durch denMuskelzug nachunten und vorne disloziert werden, wo-bei es aus der Gelenkgrube luxiert wird(Abb. 5d). Ganz hohe horizontale Ab-bruchfrakturen werden ebenfalls denWalzenfrakturen zugerechnet.

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Abb. 3 Druck- undZugzonen im Rund-bogenmodell der Man-dibula bei Krafteinwir-kung von anterior. DieGelenkfortsätze sindbeweglich und deshalbals Kugeln dargestellt.Die Frakturentstehungmit Beginn auf der„Lingualseite“ derSymphyse und imBereich beider Kiefer-gelenkfortsätze istvorprogrammiert, dahier maximale Zugs-pannungen auftreten.

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Klinische Symptomatik

Die Leitsymptome der Unterkiefer-„Open book“-Fraktur erklären sich ausdem Gesamtmuster des Dreifachbruchs.Die Dislokation der 4 Fragmente führtzu einer typischen Okklusionsstörung:frontal offener Biss durch Verlust der Ra-mushöhe und alleinigem Kontakt imMolarenbereich, Kreuzbiss oder seitli-cher Vorbeibiss im Seitenzahngebietdurch Abflachung bzw. Verbreiterungdes Mandibularbogens zusammen miteiner Rückwärtslage des abgeflacht de-formierten Unterkiefers.

Ein erster äußerlicher Hinweis sind Prell-marken oder eine quere Riss-/Quetsch-wunde submental am Kinnunterrand.Im präaurikulären Wangen- bzw. Paro-tisbereich können deutlich sichtbareAuftreibungen vorhanden sein, die beiPalpation sehr schmerzhaft sind, da dieFragmentenden ins Weichgewebe ragen.Bei Luxationsfrakuren erscheint die Kie-fergelenkgrube darüber leer. Oft sindVorschub- und Seitwärtsbewegungensowie die Kieferöffnung (i. S. einer Kiefer-klemme) eingeschränkt, da die Zugwir-

kung der lateralen Pterygoidmuskulaturauf die Unterkieferspange unterbrochenist. Die Rotations- und Vorwärtsbewe-gung des lateralen Pols der Kiefergelenk-walze ist infolge von Medialkippungoder anterokaudaler Dislokation desproximalen Fragments bei Öffnungsver-suchen nicht mehr eindeutig durch-zutasten. Wenn die Vorderwand desäußeren Gehörgangs einschließlich derHaut perforiert ist, blutet es aus demOhr.

Schon vorsichtiger Druck auf das Kinnintensiviert die Schmerzen im Gelenk-bereich und an den Bruchstellen erheb-lich. Gleichzeitig wird dabei die Defor-mierbarkeit in der Mitte und an denEndausläufern des Mandibularbogensmit elastischer Rückstellung sicht- undpalpierbar.

Bei Inspektion der Mundhöhle findensich regelmäßig Hämatome im Mund-vorhof und im anterioren Mundbodenbzw. sublingual. Abhängig von der Größeder knöchernen Diastase und/oder einerStufenbildung im Mittenbereich derMandibula ist die befestigte Gingiva in-terdental und über dem Alveolarfortsatz

aufgerissen und der Bruchspalt wirddurch die klaffende Wunde direkt ein-sehbar. Falls diese Wunden sich in denanterioren Mundboden fortsetzen, tre-ten nicht selten massive Blutungen auf,die durch eine rasche Reposition derFragmente und zirkumdentale Draht-umschlingungen effektiv zu beherrschensind.

Bildgebende Diagnostik

Eine „Open book“-Fraktur des Unterkie-fers mit ihren Dislokationen lässt sichmit Einschränkungen in konventionellenRöntgenbildern darstellen. Als Minimal-anforderung gilt die Diagnostik in we-nigstens 2 – besser 3 – aufeinander senk-rechten Ebenen. Zum Screening wirdvielfach die Panoramaschichtaufnahme(PSA), oftmals auch als Orthopantomo-gramm (OPT) bezeichnet, eingesetzt.Die Symphysen-/Parasymphysenregionwird in der PSA durch Tangential- oderSummationsseffekte (z.B.Überprojektionvon HWS oder Zungenbein) nur unklarwiedergegeben, Seitwärtsverschiebun-gen der proximalen Fragmente nachme-dial oder lateral sind nicht zu beurteilen.

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Abb. 4a und b AO-Klassifikation der Kiefergelenkfortsatzfrakturen (in Anlehnung an Loukota et al. 2010 [10]). Zur Einteilung nach Höhe der Frak-tur sind 2 Bezugslinien festgelegt, die senkrecht auf der posterioren Ramuslinie stehen: die „Incisura-sigmoidea-Linie“ trennt Gelenkfortsatzbasis-frakturen von Gelenkhals- bzw. Kollumfrakturen. Befindet sich die Fraktur zumehr als 50% unterhalb dieser Linie, wird sie als Basisfraktur eingestuft,andernfalls als Kollumfraktur. Zur Differenzierung von Walzenfrakturen und Kollumfrakturen wird eine Tangente kaudal an einen Kreis gelegt, derden lateralen Pol der Gelenkwalze umgibt. Frakturen oberhalb dieser Referenzlinie werden als Walzenfrakturen klassifiziert, darunter lokalisiertesind wiederum den Kollumfrakturen zuzuordnen. a Lateralansicht des aufsteigenden Unterkieferasts. b Dorsalansicht des Mandibularbogens mitdem Hinterrand des aufsteigenden Unterkieferasts (Ramushinterrand).

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Danebenwerden zur der Beurteilung derGelenkfortsätze die Unterkieferaufnah-me im occipitofrontalen Strahlengang(Projektion nach Clementschitsch) undSchädelbasisaufnahmen zur Gelenkdar-stellung (Parma und Schüller, RunströmIV) angewandt. Die Aussagekraft dieserAufnahmen verliert schnell an Präzision,wenn die Frakturen weit kranial, d.h. imGelenkwalzenbereich, lokalisiert sind.

Mithilfe der Computertomografie oderder digitalen Volumentomografie wirdeine detaillierte multiplanare (koronal,axial, sagittal) Beurteilung aller Fraktur-zonen und die 3-dimensionale Rekon-struktion des Mandibularbogens imKontext zu den Fossae articulares, denGehörgangswänden und den skeletalenStrukturen des Mittelgesichts, möglich.Zu den modernen digitalen Schnittbild-gebungsverfahren gibt es daher streng-genommen keine Alternative mehr.

Behandlungskonzepte

Eine knöcherne Konsolidierung in origi-närer anatomischer Position der Frag-mente, die Wiederherstellung einerungestörten Gelenkfunktion und die

Reetablierung der prätraumatischen ok-klusalen Verhältnisse sind wichtige Er-folgskriterien der Behandlung von „Openbook“-Frakturen.

Konservative Therapieansätze für alleFrakturstellen sindvonvornehereinnichtmiteinander vereinbar: zur Ausheilungder Fraktur in der Symphysen-/Parasym-physenregion wird nach geschlossenerReposition eine starre Ruhigstellung desUnterkiefers zwischen 4–6Wochen Dau-er notwendig. Die übliche starke Achs-abweichung im Bereich der Kieferge-lenkfortsatzbasis- oder Kollumfrakturen,gegebenenfalls sogar bei Kontaktverlustder Fragmentenden, verlangt hingegeneine Frühmobilisation nach einer ver-gleichsweise kurzen Immobilisations-phase von maximal 1–2 Wochen, damites zur Ausbildung von Nearthrosen [11]oder auch Pseudarthrosen unter musku-lärer Führung kommen kann. Eine Repo-sition bei einer Dislocatio ad axim istkonservativ nicht erreichbar und die Re-tention zur Konsolidierung in Fehlstel-lung kontraproduktiv. Eine Wiederab-stützung des Ramus in der vertikalenAusgangsdimension dürfte bei hoch lo-kalisierten Kollumfrakturen und Wal-

zenfrakturen leichter zu erreichen sein,jedoch auch nur nach sofortiger Mobili-sation. Die konservative Therapie von„Open book“-Frakturen des Unterkiefersdurch Immobilisation undanschließendeFunktionsübungen ist wenig erfolgver-sprechend und allenfalls in besonderenKonstellationen (nicht oder geringfügigdislozierte stabile Fragmente, OP-Kont-raindikation aufgrund schwerwiegenderAllgemeinerkrankungen, operative The-rapie wird vom Patienten abgelehnt) zurechtfertigen.

Als praktikables Konzept wird immerwieder eine Kombination von geschlos-senen und offenen Therapieverfahrendeklariert. Die Reposition und stabile Os-teosynthese der ohne schwerwiegendeKomplikationsmöglichkeiten angehba-ren Fraktur in der Mitte des Mandibular-bogens gilt als Grundvoraussetzung fürden frühzeitigen Beginn zur funktionel-len Behandlung der beiden Gelenkfort-satzfrakturen. Da sich bei beidseitigenFrakturen trotz langwieriger mandibu-lo-maxillärer Einstellung/Führung mitGummizügen und intensiver Physiothe-rapie die Entwicklung eines frontoffenenBisses regelhaft nicht verhindern lässt,

Abb. 5a bis d Typische Dislokations- und Luxationsformen bei Frakturen des Processus condylaris mandibulae im Rahmen von „Open book“-Frak-turen des Unterkiefers. a Gelenkfortsatzbasisfraktur rechts mit Dislocatio ad axim nach medial. b Kollumfraktur links mit 45° Medialkippung desproximalen Fragments. c Nicht dislozierte Walzenfraktur links unter Mitbeteiligung des lateralen Gelenkpols rechts (Dorsalansicht). d Dislokationeiner den lateralen Pol einbeziehenden Walzenfraktur nach unten und vorne.

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wird als präventive Strategie die Opera-tion nur eines Gelenkfortsatzes empfoh-len. Die am meisten gefürchtete Kompli-kation bei der operativen Versorgung derGelenkfortsätze sind periphere Fazialis-paresen beim Zugang oder durch Druck(Haken) oder Überdehnung, die durchdas einseitige Vorgehen minimiert wer-den sollen. Ob zur unilateralen anatomi-schen Reposition und Fixation die mehroder die minder schwer betroffene Seiteausgewählt wird, soll unter Berücksich-tigung des potenziell risikoärmeren ope-rativen Zugangswegs abgewogen wer-den. Da beide Kiefergelenke über denMandibularbogen strukturell und funk-tionell in Verbindung stehen, bedeutetdie einseitige Reparatur eine Kompro-misslösung, nicht zuletzt weil bei Near-throsenbildung in einem Gelenk, selbstbei anfänglich befriedigend adaptiertenFunktionsabläufen und Wiedereinstel-lung der Okklusion auch im repariertenkontralateralen Gelenk längerfristig ne-gative Auswirkungen (Arthrosis defor-mans) zu erwarten sind.

n Angesichts der technischen Fortschrittein der Frakturversorgung von Kiefer-gelenkfortsatzfrakturen setzt sich dieoperative Versorgung aller 3 Brüche bei„Open book“-Frakturen des Unterkiefersmittlerweile allgemein durch.

Eine randomisierte prospektive Multi-centerstudie konnte für Kiefergelenk-fortsatzfrakturen auf allen Leveln dieoffene Reposition und interne Fixierung(ORIF) als die bessere Option gegenübereiner geschlossenen Immobilisations-behandlung mit elastischer mandibulo-

maxillärer Ruhigstellung belegen [15],wenn Achsabweichungen zwischen 10°und 45° und Verkürzungen der Ramus-höhe ≥ 2mm vorlagen. Die ORIF war ins-besondere bei Patienten mit bilateralenFrakturen vorteilhaft. In einer retrospek-tiven Studie erwies sich ORIF im Ver-gleich zur geschlossenen Behandlungvon bilateralen dislozierten Kieferge-lenkfortsatzbasisfrakturen ebenfalls alsüberlegen [16].

OP-Sequenz

Zunächst sollten immer alle 3 Frakturzo-nen dargestellt werden, bevor irgendwoeine Reposition und Fixation vorgenom-men wird. Im Schrifttum [17–19] wirddie Reparatur der Unterkiefermitte alsder essenzielle Schritt in der Behandlungvon „Open book“-Frakturen betrachtetund deshalb dort mit der Wiederherstel-lung des Mandibularbogens begonnen.

Die Versorgung der Kiefergelenkfortsatz-frakturen an den Anfang der OP-Sequenzzu stellen, bietet bei starken Achsabwei-chungen, Luxationen der Walze und ver-kürzter Ramushöhe jedoch offensichtli-che Vorteile. So sind die Ramus-Korpus-fragmente einzeln mobiler und währendder Reposition der Gelenkfortsätze leich-ter manipulierbar als eine bereits zusam-mengefügteUnterkieferspange. Bei Luxa-tionsfrakturen lässt sich der Gelenkkopfin Verbindung mit einer ganzen Unter-kieferhälfte zudem einfacher in die Fossareponieren als am kleineren proximalenFragment allein.

Darüber hinaus erleichtern die beidenwieder intakten Unterkieferhälften dieOkklusionseinstellung. Durch die resti-tuierte dorsokraniale Abstützung lässtsich die Bisslage auch bei Vorliegen einerRetro- oder Prognathie zuverlässig fin-den. Gleichzeitig wird die Gefahr einerLateralrotation der Fragmente um dieSagittalachse vermindert. Diese Aus-weichbewegung kann klinisch zunächstunbemerkt bleiben, da sich die damiteinhergehende Disklusion auf die Innen-seite der Okklusalflächen im Seiten-zahngebiet beschränkt und sich einemEinblick entzieht. Schließlich reduziertdie exakt reetablierte Okklusionsbezie-hungdie Stellungsvariablen beim Schlussder Bruchflächen in der Unterkiefermittemit einemgeringeren Risiko für eine Dia-stase auf der Lingualseite des Knochens.

OP-Zugangswege

Symphysen-/Parasymphysenregion

Zur operativen Versorgung im anterio-ren Unterkieferabschnitt wird in allerRegel ein transoraler Zugang verwendet.Im vorderen Vestibulum wird in ca. 10–15mm Abstand vor der befestigten Gin-giva von Eckzahn zu Eckzahn eine bo-genförmigeSchleimhautinzisionangelegtund einMukosaläppchen in Richtung aufdenAlveolarfortsatz bis andie Insertions-fläche desM.mentalis gebildet (Abb. 6a).Im Sinne eines Wechselschnitts wird derMuskel ca. 5mm unterhalb seines Ober-rands quer durchtrennt und die Kinn-region subperiostal freipräpariert. DieMuskelmanschette dient später einem2-schichtigen Wundverschluss.

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Abb. 6a und b Wechselschnitt im anterioren Unterkiefervestibulum zur Darstellung der Symphysenregion. a Nach bogenförmiger Inzision wirdein Schleimhautläppchen in Richtung auf den Ansatz des M. mentalis gebildet. Der Muskel wird in Querrichtung scharf durchtrennt und das Kinnsubperiostal freigelegt. b Verlauf der Inzisionslinie bei lateraler Erweiterung des vestibulären Zugangs zum Schutz des N. mentalis.

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Wird eine laterale Erweiterung des Zu-gangs dorsal der Eckzähne notwendig,dann muss zum Schutz des N. mentalisdie Inzision in direkter Nähe zur Mu-kogingivalgrenze fortgesetzt werden(Abb. 6b).

Der vestibuläre Zugang gestattet keineoder nur eine unzureichende Kontrolleder Innenkortikalis, sodass man Gefahrläuft, nach der Fragmentreposition ver-

bliebene linguale Diastasen zu überse-hen. Zur Einsichtnahme kann eine be-reits bestehende Riss-/Quetschwundeim Submentalbereich erweitert werden,eventuell ist man gezwungen, einen klei-nen Hautschnitt vorzunehmen [20].

Kiefergelenkfortsätze

Die Zugänge zur offenen Reposition vonFrakturen imKiefergelenkfortsatzbereich

richten sich nach der Höhenlokalisationdes Bruchs und der Art der geplanten Os-teosynthese:– (prä-)aurikuläre oder auch retroauri-

kulär transmeatale (d.h. unter tempo-rärer Durchtrennung des äußeren Ge-hörgangs) Zugangswege ermöglichendie Darstellung von sehr hoch gelege-nen Kollumfrakturen und der sagittalverlaufenden Walzenfrakturen

Abb. 7a bis e Retromandibulärer Zugang und seine Varianten.a Hautinzisionslinie. b Inzision des SMAS zur transparotidealen Dissek-tion zwischen den Bukkalis- und Mandibularisästen. c Exposition desKiefergelenkfortsatzes nach Tiefersetzen der Wundhaken. Die Wund-höhle kann auf der Knochenoberfläche hin- und herbewegt werden.d Inzision des SMAS zur retroparotidealen Dissektion und dorsalenUmfahrung der Drüse. e Unterschiedliche Expositionsmöglichkeitender lateralen Ramusoberfläche bei retro- versus transparotidealer Dis-sektion.

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– submandibuläre, perianguläre, retro-mandibuläre und transorale Zugängeeignen sich zur Versorgung von Kie-fergelenkfortsatzbasis- und Koll-umfrakturen

(Prä-)aurikulärer Zugang

Die Inzision kann in einer Hautfalte vordem Tragus und dem vorderen Helix-schenkel, auf der Tragus- und der Hinter-kante des Crus helicis oder endauraltranstragal erfolgen. Kranial kann derSchnitt in die behaarte Schläfe erweitertwerden. Entlang des Ohrmuschelknor-pels wird dann auf die äußere Laminader Temporalisfaszie eingegangen. Dieoberflächlichen Temporalgefäße, derN. auriculotemporalis und die Stirnästedes N. facialis werden mit dem Haut-weichgewebelappen nach anterior retra-hiert, während das Gewebe vom Jochbo-gen nach ventral abgeschoben wird. Dasäußere Faszienblatt wird auf Höhe derFossa articularis über und oberhalb desJochbogens in einer Länge von ca. 3 cmschräg nach vorne inzidiert. Auf derOberfläche des temporalen Fettkörpersbzw. subperiostal lässt sich der Jochbo-gen dann nach ventral freipräparieren.Nach kaudal wird anschließend die Ge-lenkkapsel bis zum Übergang in den Ge-lenkhals dargestellt. Die Freilegung vonKollumfrakturen erfolgt subperiostalohne Eröffnung der Gelenkräume. ZurDarstellung der Lateral- und Dorsalflächeder Übergangs- und Gelenkkopfregionwird bei walzennahen und Walzenfrak-turen eine T-förmige Inzision im unterenGelenkspalt und in der Kapsel vor-genommen.

Der technisch aufwendige retroaurikulä-re transmeatale Zugang soll eine bessereÜbersicht auf die Dorsalfäche der Ge-lenkkopfregion erlauben und wenigerhäufig mit Fazialisläsionen einhergehen[21]. Nicht ganz unproblematisch ist hin-gegen die zwangsläufige sensible Dener-vation auf der gesamten Ohrmuschel-rückseite und Präventivmaßnahmen zurVermeidung von Gehörgangsstenosen.

Submandibulärer und periangulärerZugang

Die traditionelle Inzision für den sub-mandibulären Zugang verläuft in einerHautfalte „2 Querfinger“ unterhalb desKieferrands. Subkutis, Platysma und dieobere Halsfaszie werden schichtweisedurchtrennt, das faziale Gefäßbündel li-giert und nach kranial hochgeschlagen,um den lateral und kranial davon liegen-

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Abb. 8a bis ca Schleimhautinzi-sionslinie. b Exposi-tion der Lateralflächedes aufsteigendenUnterkieferasts mitKiefergelenkfortsatznach Einsetzen derWundhaken unterstreng subperiostalerDissektion. c Einset-zen der beleuchtetenWundhaken und Re-traktoren zur Verbes-serung der Übersichtnach Exposition desKiefergelenkfortsatz-bereichs.

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den Ramus marginalis mandibulae desN. facialis aus dem Operationsfeld zu lif-ten. Nach Freilegung und Inzision des Pe-riosts über dem basalen Unterkieferrandwird dann der Masseteransatz scharfdurchtrennt und der Ramus ascendensvom Kieferwinkel beginnend bis zurFraktur im unteren und mittleren Ge-lenkfortsatzbereich freigelegt.

Der massetericomandibuläre Weichge-webemantel ist massiv und die Dissek-tionsstrecke bis zum Kiefergelenkfort-satz lang, weshalb die submandibuläreSchnittführung über 6–8 cm ausgedehntsein muss. Wie der Name sagt, biegtdie perianguläre Inzision in einer Längevon ca. 5 cm dorsal um den äußerenKieferwinkel, liegt dabei nahe am Kno-chenrand und kann gedanklich alsFortführung des nach hinten ansteigen-den submandibulären Schnitts gesehenwerden. Die weitere Präparation wirdüber Wechselschnitte vorgenommen:zunächst wird das Platysma nach kranial1,5–2 cm über den Unterkieferrand frei-präpariert und im Faserverlauf nach dor-sokranial eröffnet. Die in der Eigenfasziedes M. masseter liegenden bukkalenFazialisäste werden darunter wie beimSMAS- (das Superficial Muscular Apo-neurotic System geht in den Oberranddes Platysmas über) Face-Lift sichtbar.Zwischen der Verzweigung dieser Ner-venäste wird der M. masseter entwederim Vertikalverlauf seiner Fasern [11]oder quer dazu und parallel zum Unter-kieferrand [22] durchtrennt, um einesubperiostale Exposition des Ramus bisin die Kollumregion anzuschließen. Derperianguläre Zugang führt auf ver-gleichsweise kurzem Weg an die Kiefer-gelenkfortsatzbasis und in die Gelenk-halsregion, was das Handling und dieInstrumentierung bei Reposition undOsteosynthese vereinfacht.

Retromandibulär-transparotidealeroder retroparotidealer Zugang

Der retromandibuläre Zugang in seinenbeiden Dissektionsvarianten – trans-parotideal oder retroparotideal – hatsich nach unseren Erfahrungen zur ein-fachen und raschen Darstellung der un-teren und mittleren Kiefergelenkfort-satzregion besonders bewährt.

Der vertikale Hautschnitt beginnt etwa0,5 cm unterhalb des Ohrläppchens understreckt sich entlang des Ramus bis aufHöhe des Kieferwinkels (Abb. 7a). Fürdie retroparotideale Dissektion ist vor-geschlagen worden, die Inzision bis zu2 cm dorsal des Ramushinterrands zuplatzieren, für die transparotideale Dis-sektion sollte der Schnitt weiter anteriorauf der Ohrspeicheldrüse bzw. direktüber den Ramusstrukturen liegen.

Beim transparotidealen Vorgehen [23]wird das SMAS subkutan freipräpariertund vertikal eingeschnitten (Abb. 7b),um auf die Parotiskapsel zu gelangen.Die Drüsenkapsel wird horizontal eröff-net und das Drüsenparenchym parallelzur Verlaufsrichtung der Fazialisästestumpf zur Tiefe hin aufgespreizt. DieDissektion bewegt sich dabei im Zwi-schenraum der Rr. buccales und mandi-bulares. Falls überhaupt Nervenästesichtbar werden sollten, können sie mitdem Nervenstimulator identifiziert undabgedrängt werden. Sobald die Masse-teroberfläche erreicht ist, wird die Mus-kelschicht im Faserverlauf durchtrenntund bis in die Frakturzone vom Knochenabgeschoben. Die Haken werden dannvom Hautrand aus tiefer gesetzt und re-trahieren die Nerven im Schutzmanteldes Drüsenparenchyms (Abb. 7c).

Bei der retroparotidealen Dissektionwird die Ohrspeicheldrüse intakt gelas-sen und von der Rückseite aus ange-

hoben. Von der posterior lokalisiertenHautinzision aus wird zuerst das SMASfreigelegt und über den dorsalen Ausläu-fern der Parotis schräg inzidiert. Imnächsten Schritt wird die Kapsel der Pa-rotis freigelegt und nach hinten stumpfumfahren bis der Masseter erreicht ist.Die Drüse wird nach ventral etwas vonder Muskeloberfläche abgehoben, umden Muskel entlang des Ramushinter-rands zu durchtrennen und dann vomGelenkfortsatz abzulösen. Der Passage-weg bei der retroparotidealen Dissektionverläuft zwischen den Ästen des N. au-ricularis magnus am Vorderrand desM. sternocleidomastoideus und denMandibularisästen des N. facialis, dievon der Drüse umgeben sind (Abb. 7d)

Mit einem transparotidealen Prozedereist im Vergleich zur retroparotidealenVorgehensweise eine umfangreichereExposition der Ramusregion möglich(Abb. 7d), weil die Distanz zur Knochen-oberfläche kürzer ist und die abgelöstenGewebeschichten besser über dem Kno-chen hin- und herbewegt werden kön-nen.

Transoraler (endoskopischunterstützter) Zugang

Der transorale Zugang wurde erstmalsvon Silverman [24] als Zugangsweg zumKiefergelenkfortsatz beschrieben undvermeidet das Risiko einer Schädigungdes N. facialis sowie eine äußerlich sicht-bare Narbe. Allerdings muss dabei an-fänglich eine längere Operationszeit miteinem unübersichtlicheren OP-Situs inKauf genommen werden. Seit seiner Re-naissance durch die endoskopisch unter-stützte Modifikation [25] hat er sich alsalternativer operativer Zugangsweg beiKiefergelenkfortsatzfrakturen durchge-setzt und bei Vorhandensein eines Spe-zialinstrumentariums (90° gewinkelterBohrer/Schraubendreher, Lichthaken)und hinreichender Erfahrung des OP-Teams bewährt [26–28].

Die typische Schnittführung beim trans-oralen Zugang erfolgt entlang der Vor-derkante des aufsteigenden Unterkiefer-asts über die Linea obliqua mit Fortset-zung ins laterale Unterkiefervestibulumentlang der mukogingivalen Grenze bisauf Höhe des 1. Prämolaren. Nach Inzi-sion der Mukosa unter Schonung desN. buccalis (Abb. 8a) und nachfolgenderscharfer Periostdurchtrennung erfolgtunter streng subperiostaler Abpräpara-tion die Darstellung der Lateralfläche desaufsteigenden Unterkieferasts aus der

Abb. 9 Einbringeneiner Repositionszan-ge zur Kompressionim Frakturbereichnach Reposition.

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Kieferwinkelregion bis in den Bereichder Incisura semilunaris (Abb. 8b). Dabeimüssen inferiore Anteile des Ansatzesdes M. temporalis vom Muskelfortsatzdes Unterkiefers abgelöst werden, umeine ausreichende Übersicht zu errei-chen. Bei streng subperiostaler Präpara-tion werden Verletzungen des M. masse-ter vermieden und eine Übersicht ohneBlutung bleibt erhalten. Das Einbringenvon beleuchteten Wundhaken mit Licht-leitern und speziellen Retraktoren führtzu einer deutlichen Verbesserung derÜbersicht (Abb. 8c). Nach Freilegung desHinterrands des aufsteigenden Unterkie-ferasts und der Kiefergelenkfortsatzre-gion erfolgt die vollständige Darstellungin Bereichen limitierter Exposition durchVerwendung eines Endoskops (30° Op-tik) in Verbindung mit einer Xenonlicht-quelle.

Mandibulo-maxilläre Fixation

Diemandibulo-maxilläre Fixation (MMF)ist eine starre oder elastische Verbin-dung des Unterkiefers mit dem Oberkie-fer in einer für die Okklusion korrektenPosition. Da unabhängig von der Wahldes jeweiligen Therapiekonzepts (nichtoperativ/operativ) Maßnahmen zur Si-cherung der Okklusion ergriffen werdenmüssen, sollen die beiden wichtigstenTechniken der mandibulo-maxillären Fi-xation (MMF) kurz vorgestellt werden.Die Kieferbruchschiene, die noch bis An-fang der Jahrtausendwende als Gold-standard der Okklusionssicherung ange-sehen wurde [29], wird zunehmenddurch die MMF-Schrauben abgelöst.

Drahtschienenverbände(sog. Kieferbruchschienen)

Es stehen eine Vielzahl von Drahtschie-nenverbänden, von individuell angefer-tigten bis hin zu präfabrizierten, zur Ver-fügung. Dabei scheinen die Drahtbogen-Kunststoffschienen nach Schuchardt, dieDrahtschienung nach Obwegeser, dieSauer-Schiene und die Kappenschienenim deutschsprachigen Raum am weites-ten verbreitet zu sein. Allen Drahtschie-nenverbänden gemein ist, dass ein Drahtoder Drähte intraoperativ den Zahnrei-hen angebogen und unterhalb des Zahn-äquators an den Zähnenmit Draht fixiertwird. Dies erklärt auch die ungünstigeAuswirkung auf das Parodontium. Überdie an den Drahtschienenverbänden be-stehenden Häkchen oder Ösen wird dieMMF über straffe Gummis oder Drahtvorgenommen.

MMF-(IMF-)Schrauben

Aufgrund der technisch einfachen, zeit-sparenden Handhabung und der gerin-gen Verletzungsgefahr für den OperateurfindenMMF-Schrauben zunehmendVer-wendung. DieMethode der Fixation überMMF-Schrauben wurde erstmals vonArthur und Berardo beschrieben [30].Eine Vielzahl von unterschiedlichenMMF-Schraubentypen ist im Handel erhältlich.Die selbstbohrende MMF-Schraube wirdzwischendieZahnwurzel zweierbenach-barter Zähneeingebracht,wobei diePosi-tion nach Frakturlokalisation und Wur-zelabstand ausgewählt wird. Zur tempo-rären intraoperativen MMF bei eineroperativen Frakturversorgung reicht inder Regel ein sog. 4er-Muster, bei dem je-weils 1 MMF-Schraube in der prämola-ren Region jedes Kieferquadranten ver-wendet wird. Die Gefahr liegt in derZahnwurzelverletzung, wobei periphereWurzelverletzungen wahrscheinlich fol-genlos abheilen. Im Allgemeinen erfolgtnach der Vorbereitung der jeweiligenMMF-Technik (Einligieren von Kiefer-bruchschienen oder Insertion von MMF-Schrauben) die Darstellung der Fraktu-ren zur anschließenden offenen Reposi-tion und Osteosynthese unter MMF.

Reposition

Die Herstellung der ursprünglichen Ana-tomie ist Ziel einer jeglichen Repositionder Fragmente und die beste Vorausset-zung zur Wiederherstellung der Funk-tion. Eine offene exakte Reposition kannfast immer erreicht werden und ist beinahezu allen Frakturtypen möglich.

Abb. 11 Positionierung von 2 Miniosteosyntheseplatten am Vorder-und Hinterrand des Kiefergelenkfortsatzes.

Abb. 10 Einsetzen einer weiteren Repositionszange im Kieferwinkel-bereich zur Verhinderung eines lingualen Spalts.

Abb. 12 Optimale Position des Osteosynthe-sematerials (Zugschrauben bzw. Osteosynthe-seplatten) in der Unterkiefermitte entspre-chend den Kraftlinien.

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n Nach Darstellung aller Frakturzonenbringt es Vorteile, die Reposition und Fi-xation in der Reihenfolge Kiefergelenk-fortsatzfrakturen zuerst, Kinnmitte zu-letzt vorzunehmen.

Denn ein exakter Schluss der Frakturflä-chen in der Symphysen-/Parasymphy-senregion ohne linguale Diastase lässtsich mit 2 instandgesetzten Hemimandi-beln leichter vollziehen, da die Einstel-lung der prätraumatischen Okklusionsicherer wird, Rotationsfehler der Kor-pusfragmente vermieden werden undsich der Mandibularbogen mithilfe vonRepositionsklemmen gut in Kongruenzbringen und halten lässt, bis eine stabileOsteosynthese durchgeführt ist.

Reposition der Kiefergelenkfortsätze/-walze

Die Reposition der Fragmente erfolgtunter Distraktion am Kieferwinkel. Umeine anatomisch korrekte Position zuerreichen, ist eine Manipulation am pro-ximalen Fragment mit geraden und/oder

Abb. 13a bis d a Optimale Position der Zugschrauben bei Unterkiefermittenfraktur. b Kompression im Bruchspaltbereich durch Gleitlochprinzipam schraubenkopfnahen Fragment. c Kompressionskräfte an Vestibulär- und Lingualfläche bei Zugschraubenosteosynthese. d Kompression nachApplikation von zwei parallelen Zugschrauben bei schräger Unterkiefermittenfraktur.

Abb. 14a bis d a Präoperative PSA einer „Open book“-Fraktur (rechtsseitig nach medial dis-lozierte Kiefergelenkhals-, linksseitig stark dislozierte Kiefergelenkhals- und dislozierte Unterkie-fermedianfraktur). b Intraoperativer Situs mit 30°-Optik nach Reposition und Plattenosteosyn-these des Kiefergelenkfortsatzes rechts mit 2 Miniplatten bei endoskopischer Stellungskontrollebei transoralem Zugang. c Intraoperativer Situs nach Reposition und Osteosynthese des Unter-kieferkörpers mit 2 parallelen Zugschrauben. d Postoperative PSA nach Reposition und Osteo-synthese der Kiefergelenkfortsätze beidseits mit jeweils 2 Miniplatten und der Unterkiefermittemit 2 Zugschrauben.

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abgewinkelten Raspatorien solange er-forderlich, bis eine achsgerechte Frag-mentstellung erreicht ist. Vor der Osteo-synthese ist die achsgerechte Stellungder Fragmente am Hinterrand des auf-steigenden Unterkieferasts zu kontrol-lieren. Die Reposition im Bereich derGelenkwalze bedarf spezieller diaman-tierter Raspatorien und erfolgt in allerRegel unter vollständiger Relaxation desPatienten, um den die Reposition be-hindernden Muskelzug (M. pterygoideuslateralis) am proximalen Fragment zureduzieren. Unzureichende nicht achs-gerechte Repositionen der Kiefergelenk-fortsätze führen aufgrund der vertikalenVerkürzung im Bereich der aufsteigen-den Unterkieferäste zu einer Reduktionder hinteren Gesichtshöhe mit der Folgeeines frontal offenen Bisses.

Reposition Unterkieferhälften

Die Reposition der Unterkieferhälftenerfolgt manuell und unter zusätzlicherVerwendung einer Repositionszange,um Kompression auf den Bruchspalt aus-

zuüben (Abb. 9). Es besteht aber die Ge-fahr, dass der Bruchspalt wegen gutemSchluss auf der Vestibulärseite geschlos-sen erscheint, obwohl aufder Lingualseiteeine Diastase vorhanden ist. KlinischbleibtdieseAusweichbewegung zunächstunbemerkt, da sich die damit einher-gehende Disklusion auf die Innenseiteder Okklusalflächen im Seitenzahngebietbeschränkt und sich einem Einblick ent-zieht. Die visuelle Kontrolle der Lingual-seite ist über den üblicherweise gewähl-ten transoralen vestibulären Zugangkaum möglich und eine palpatorischetaktile Kontrolle mit dem Haken auf derLingualseite gibt nur einen ungefährenAnhalt.

Dem Risiko einer Diastasenbildung aufder Lingualseite mit der Folge eines zubreiten Mandibularbogens kann durchdasEinsetzeneiner transoral eingebrach-ten großen Repositionszange (Abb. 10)imKieferwinkelbereich entgegengewirktwerden. Durch einen kräftigen Druck imBereich der Kieferwinkel bei gleichzeiti-gem ventralem Zug in der Symphyseal-

region lässt sich die Gefahr einer lingua-len Diastase nach Reposition ebenso re-duzieren [17].

Osteosynthese derKiefergelenkfortsätze/-walzen

Zur Fixation der Kiefergelenkfortsatz-basis und des Kiefergelenkhalses hat sichdie Miniplattenosteosynthese durchge-setzt. Entsprechend der Untersuchungvon Tillmann und Mitarbeiter [31] überdie Druck- und Zugbelastungszonen amGelenkfortsatz- und Ramusbereich mitder dicksten Kortikalis am lateralen Kie-fergelenkfortsatz sollten 2 Miniplatten(vormals Stellplatte) in kaudaler Diver-genzstellung angebracht werden, vondenen eine am Hinterrand und die ande-re am Vorderrand des Kiefergelenkfort-satzes fixiert werden sollte (Abb. 11, 14und 18). Um eine ausreichende Stabilitätzu erreichen, sind mindestens 2 Schrau-ben pro Fragment zu inserieren. Alterna-tiv kann eine einzelne rigidere Osteosyn-theseplatte (vormals Kompressionsplat-te) am Hinterrand des Kiefergelenkfort-

Abb. 15a und b a Kombination von Osteosyntheseplatte am Unter-kieferunterrand und Zugschraube. b Postoperatives PSA nach Reposi-tion mit Fixation der Kiefergelenkfortsätze beidseits durch Plattenos-teosynthese und der Unterkiefermitte durch Kombination aus einer Os-teosyntheseplatte und einer Zugschraube.

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Abb. 16a und b a Plattenosteosynthese mit einer rigiden Osteosyn-theseplatte am Unterkieferrand. b Plattenosteosynthese mit 2 Osteo-syntheseplatten am Unterkieferrand und unterhalb der Zahnwurzeln.

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satzes angebracht werden [32], wenn dieKonfiguration eines schmalen Gelenk-halses die Positionierung einer weiteren2. Platte nicht zulässt. Einemonokortika-le Fixationstechnik der Osteosynthese-platten ist dabei ausreichend. Mittler-weile stehen auch verschiedene speziellefür den Kiefergelenkfortsatz entwickelteOsteosyntheseplatten (sogenannte 3-D-Platten) von diversen Herstellern zurVerfügung (Abb. 17 und 19), die sich bei

schmalem Kiefergelenkhals ohne Platzfür eine weitere 2. Platte bewährt haben.Die Zugschraubenosteosynthese im Kie-fergelenkfortsatzbereich mit ihren Mo-difikationen [33,34] ist heutzutage alshistorisch anzusehen.

Die Fixation der Gelenkwalze erfolgtüber 2–3 Kleinfragmentschrauben vonlateral nach vorheriger arbiträrer Stel-lungsfixation der Gelenkfragmente mit

einer Mikrostellplatte (Abb. 20). Dabeiist darauf zu achten, dass die Schraubenund Platten außerhalb der Gelenkflächeliegen.

Osteosynthese der Unterkieferhälften

Im Gegensatz zum Kiefergelenkfortsatzbenötigt die Fixation der Unterkiefer-hälften aufgrund der Biomechanik einestabilere und rigidere Fixation. Diesekann entweder mittels rigider Osteosyn-theseplatten oder mittels Zugschraubendurchgeführt werden. Die optimale Po-sition des Osteosynthesematerials zur Fi-xation der Unterkieferhälften ist inAbb. 12 dargestellt und entspricht demVerlauf der Trajektorien am Unterkiefer.

Zugschraubenosteosynthese

Die Zugschraubenosteosynthese zur Fi-xation der Unterkieferhälften ermöglichteineKompressionsosteosyntheseundbeianatomisch korrekter Reposition einehohe Funktionsstabilität [11]. Dabei istdie Insertion von mindestens 2 Zug-schrauben erforderlich (Abb. 13a und14), um Torsionskräften entgegenzuwir-ken. Die Kompression am Bruchspaltentsteht durch das Gleitlochprinzip imäußeren (schraubenkopfnahen) Frag-ment bei gleichzeitigem Fassen derSchraube im schraubenkopffernen Frag-ment (Abb. 13b). Dabei treten Kompres-sionskräfte sowohl an der Vestibulär-wie an der Lingualfläche (Abb. 13b undc) des Bruchspalts auf, durch die beiexakter Reposition eine linguale Diastasesicher vermieden werden kann. Um einGleiten der Fragmente bei der Zug-schraubenosteosynthese zu vermeiden,sollten die Zugschrauben möglichstsenkrecht zum Bruchspalt inseriert wer-den (Abb. 13c und d). Zur Vermeidungeiner Torsion kann statt einer 2. Zug-schraube eine Osteosyntheseplatte amUnterkieferrand appliziert werden(Abb. 15). In ihrer retrospektiven Analy-se konnten Tiwana und Mitarbeiter zei-gen, dass eine Zugschraube im Bereichdes Unterkieferrands eine vergleichbareStabilität hat wie eine rigide Osteosyn-theseplatte [35].

Plattenosteosynthese

Die günstigste Position der Osteosynthe-seplatten am anterioren Unterkieferkör-per wurde von Champy und Mitarbeiterfür die Miniplattenosteosynthese fest-gelegt [36]. Entsprechend dieser Kraft-linien sollten am interforaminären Un-terkieferkörper 2 Osteosyntheseplatten

Abb. 17a bis d a Präoperative PSA einer „Open book“-Fraktur (beidseitige dislozierte Kieferge-lenkfortsatzbasisfraktur und dislozierte Unterkieferparamedianfraktur linksseitig). b Intraopera-tives Situs nach Reposition und Osteosynthese mit einer rigiden Platte am Unterkieferrand. c In-traoperatives Bild mit 30°-Optik nach Reposition und Osteosynthese des Kiefergelenkfortsatzeslinks mit einer Subcondylar Trapezoid Plate unter endoskopischer Stellungskontrolle bei transora-lem Zugang. d Postoperative PSA nach Reposition und Plattenosteosynthese im Bereich der Kie-fergelenkfortsätze beidseits und Plattenosteosynthese am Unterkieferrand paramedian links.

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Page 14: Open book -Frakturen des Mandibularbogens: Bilaterale ... · Abb.2a bis d „Open book“-Fraktur des Unterkiefers. a Schema von ventral:die Unterkieferhälften können umsoweiter

verwendet werden, wobei eine am Un-terkieferrand und die andere unterhalbder Zahnwurzeln der Unterkieferfront-zähne angebracht werden sollte. Umeine ausreichende Stabilität zu errei-chen, sollten dabei jeweils mindestens 2Schrauben auf jeder Fragmentseite in dieOsteosyntheseplatte eingebracht wer-den. Ein Abstand von 5mmzwischen denPlatten hat sich als Optimum erwiesen,um Torsionsspannungen aufzunehmen.Aufgrund der besonderen Biomechanik

bei „Open book“-Frakturen sollten zurFixation der Unterkieferhälften rigidereOsteosyntheseplatten als sonst üblichverwendet werden. Dabei haben sichwinkelstabile Osteosyntheseplatten mitsogenanntem Lockingsystem durch-gesetzt und die Kompressionsplatten ab-gelöst. Die Osteosynthese der Unterkie-ferhälften bei der „Open book“-Frakturerfolgt entweder durch nur 1 rigide bi-kortikal fixierte Platte am Unterkiefer-rand (Abb. 16a und 17) oder aber durch

2 Osteosteosyntheseplatten (Abb. 16b,18 und 19), von denen die rigidere amUnterkieferrand und die 2. unterhalbder Zahnwurzel positioniert wird. Ellisstellte in einer kürzlich publizierten Stu-die fest, dass die Komplikationsrate beiVerwendung einer rigideren Osteosyn-theseplatte am Unterkieferrand geringerist als bei 2 Platten [19].

Resumée

In der Argumentation gegen operativeBehandlungsstrategien von Unterkiefer-Dreifach- mit Beteiligung beider Ge-lenkfortsätze und der Unterkiefermit-tenfrakturen werden im Wesentlichendas Gefährdungspotenzial für den N. fa-cialis bei den Zugängen zu den Kieferge-lenkfortsätzen und sichtbare Narben imGesichtsbereich angeführt, oftmals ver-knüpft mit der Behauptung, mit einergezielten Physiotherapie gleich gutefunktionelle Ergebnisse erreichen zukönnen.

Dennoch wird die Therapie nur noch inseltenen Ausnahmefällen in einer ge-schlossenen Therapie (Kieferbruchschie-nen zur MMF und Physiotherapie) beste-hen. Auch ohne Dislokation der 4 Frag-mente wird im Allgemeinen die Sym-physenregion osteosynthetisch versorgt,um den raschen Beginn einer Physiothe-rapie zu gewährleisten. Wenn nicht miteiner sekundären Dislokation der Kiefer-gelenkfortsätze gerechnet werden muss,erscheint dies durchaus akzeptabel.

Bei den hier als „Open book“ tituliertenstark dislozierten Unterkiefer-Dreifach-frakturen kommen konservative – alleinauf eine Funktionswiederherstellungausgerichtete – Therapiekonzepte prin-zipiell aber nicht infrage, weil die Adap-tationsleistung vorhersehbar nicht aus-reichen wird, um die massiven Fehlstel-lungen vollständig zu kompensieren.Eine operative Versorgung der Symphy-sen-/Parasymphysenregion in Kombina-tion mit nur 1 der beiden Kiefergelenk-fortsatzfrakturen führt ebenfalls nichtzu regulären anatomischen Verhältnis-sen des Mandibularbogens und wird infunktioneller Hinsicht zwangsläufigkompromissbehaftet bleiben.

Nur eine aggressive operative Behand-lungsstrategie mit Reposition und Fixa-tion aller 3 Frakturen erscheint prog-nostisch aussichtsreich, denn das alleinvermag die optimalen morphologischenVoraussetzungen für eine funktionelleRehabilitation zu liefern. An vielen Klini-

Abb. 18a bis e a Präoperative PSA einer „Open book“-Fraktur (beidseitige dislozierte Kieferge-lenkfortsatzbasisfraktur und dislozierte Unterkieferparamedianfraktur linksseitig) bei Z.n. Repo-sition und Plattenosteosynthese des Jochbeins rechts bei Jochbeinfraktur. b Intraoperatives Bildnach Reposition und Plattenosteosynthese des Kiefergelenkfortsatzes rechts mit 2 Miniplattenüber transparotidealen Zugang. c Intraoperatives Bild nach Reposition und Osteosynthese derUnterkieferkörpers paramedian links mit 2 Platten. d Intraoperatives Bild mit 30°-Optik nach Re-position und Plattenosteosynthese des Kiefergelenkfortsatzes links mit 2 Miniplatten bei endo-skopischer Stellungskontrolle über transoralen Zugang. e Postoperative PSA nach Repositionund Fixation der Kiefergelenkfortsätze beidseits mit jeweils 2 Miniplatten und der Unterkiefer-mitte paramedian links mit 2 Osteosyntheseplatten.

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Page 15: Open book -Frakturen des Mandibularbogens: Bilaterale ... · Abb.2a bis d „Open book“-Fraktur des Unterkiefers. a Schema von ventral:die Unterkieferhälften können umsoweiter

ken haben sich die retromandibulärenZugangswege und dabei v. a. die trans-parotideale Dissektion sowie bei Vor-handensein eines Spezialinstrumenta-riums und hinreichender Erfahrung desOP-Teams der transorale Zugang zur Kie-fergelenkfortsatzbasis und zum Kiefer-gelenkhals bewährt.

Hohe Gelenkhals- bzw. Gelenkwalzen-abbruch und sagittal verlaufende Wal-zenfrakturen mit Höhenminderung desRamus ascendens mandibulae sind nurüber präaurikuläre oder auch über retro-aurikulär transmeatale Zugänge darstell-

bar, wobei diese Zugänge auch einen in-traartikulären Einblick ggf. mit Reposi-tion des Discus articularis gestatten [11,37].

Nach Darstellung aller Frakturzonenbringt es Vorteile, die Reposition und Fi-xation in der Reihenfolge Kiefergelenk-fortsatzfrakturen zuerst, Kinnmitte zu-letzt vorzunehmen. Denn ein exakterSchluss der Frakturflächen in der Sym-physen-/Parasymphysenregion ohne lin-guale Diastase lässt sich mit 2 in-standgesetzten Hemimandibeln leichtervollziehen, da die Einstellung der prä-

traumatischen Okklusion sicherer wird,Rotationsfehler der Korpusfragmentevermieden werden und sich der Mandi-bularbogen mithilfe von Repositions-klemmen gut in Kongruenz bringen undhalten lässt, bis eine stabile Osteosyn-these durchgeführt ist.

Seitdem die operative Versorgung vonKiefergelenkfortsatzfrakturen an Popu-larität gewonnen hat, konnten mehrereStudien zeigen, dass die Raten an peri-pheren Fazialisparesen [11,38–40] ge-ring sind und es sich immer um kurzfris-tig reversible Nervenläsionen gehandelt

Abb. 19a bis i a Präoperatives 3-D-CT von frontal: Aufsprengung des Unterkieferkörpers paramedian rechts mit Aufweitung des Mandibularbo-gens. b Präoperatives 3-D-CT von dorsal: rechts laterale Dislokation mit Verkürzung des Gelenkfortsatzes, links Medialkippung des Gelenkfortsat-zes mit Luxation aus der Pfanne. c Präoperatives 3-D-CT von rechts: laterale Dislokation mit Verkürzung des Gelenkfortsatzes rechts. d Präopera-tives 3-D-CT von links: Medialkippung des Gelenkfortsatzes links mit Luxation aus der Pfanne. e Intraoperativer Situs nach Reposition und Platte-nosteosynthese des Kiefergelenkfortsatzes rechts (Subcondylar Strut Plate) über transparotidealen Zugang. f Intraoperativer Situs nach Repositionund Plattenosteosynthese des Unterkieferkörpers paramedian rechts. g Intraoperativer Situs nach Reposition und Plattenosteosynthese des Kiefer-gelenkfortsatzes links (Subcondylar strut plate) über transparotidealen Zugang. h Intraoperativer Situs mit Okklusion der eingebrachten Ober- undUnterkieferprothesen nach Reposition und Plattenosteosynthese der „Open book“-Fraktur. i Postoperative PSA nach Reposition und Osteosynthe-se der Kiefergelenkfortsätze beidseits mit Subcondylar Strut Plate und des Unterkieferkörpers paramedian rechts mit 2 Osteosyntheseplatten.

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Page 16: Open book -Frakturen des Mandibularbogens: Bilaterale ... · Abb.2a bis d „Open book“-Fraktur des Unterkiefers. a Schema von ventral:die Unterkieferhälften können umsoweiter

hat. Bei Routineanwendung und steigen-den Lernkurven dürfte sich die Häufig-keit der Fazialisparesen weiter senkenlassen. Durch Auswahl und Modifikationder OP-Zugangswege lassen sich Narbenim Gesichtsbereich darüber hinaus weit-gehend kaschieren, sodass die alther-gebrachten Ressentiments gegen einumfassendes operatives Vorgehen bei„Open book“-Frakturen des Unterkiefersentkräftet werden können. Führt mansich letztendlich die Schwierigkeitenund Risiken von Sekundäreingriffen zurKorrektur in Fehlstellung verheilter„Open book“-Frakturen ohne oder nach

lediglich unilateraler operativer Versor-gung der Kiefergelenkfortsatzfrakturenvor Augen, so ist es durchaus gerechtfer-tigt, die ORIF aller 3 Frakturen bei der„Open book“-Konstellation als absoluteIndikation zu betrachten.

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Abb. 20a bis i a Präoperative Röntgenaufnahme nach Clementschitsch bei „Open book“-Fraktur, die Dislokation der Gelenkwalze lässt sich kaumerkennen. b Präoperative Röntgenaufnahme nach Runström mit Dislokation der Gelenkwalze links und des Kiefergelenkfortsatzes rechts. c Prä-operatives CT koronal: medial dislozierte Kiefergelenkfortsatzfraktur rechts und Walzenfraktur links mit Höhenverlust. d Präoperatives CT axial:Dislokation des Unterkieferkörpers paramedian links. e Plattenosteosynthese des Kiefergelenkfortsatzes rechts über transparotidealen Zugang.f Plattenosteosynthese des Unterkieferkörpers paramedian links. g Osteosynthese der Gelenkwalzenfraktur (Stellplatte auf der Dorsalfläche inKombination mit Schrauben von lateral unten) über einen aurikulär transtragalen Zugang. h Postoperative PSA nach Reposition und Osteosynthesealler Frakturen. i Postoperatives 3-D-CT nach Reposition und Osteosynthese der Gelenkwalzenfraktur (Stellplatte auf der Dorsalfläche in Kombina-tion mit Schrauben von lateral unten).

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Dr. med. Dr. med. dent.Sebastian SchielOberarztDr. med. Dr. med. dent.Wenko SmolkaOberarztProf. Dr. med. dent.Gabriele KaepplerLeitung Röntgenabteilung undFachzahnärztin für OralchirurgieProf. Dr. med. Dr. med. dent.Carl Peter CorneliusOberarzt

Klinik und Poliklinik für Mund-,Kiefer- und GesichtschirurgieKlinikum der Universität MünchenLindwurmstraße 2a80337 München

[email protected]

PD. Dr. med. Dr. med. dent.Christoph LeiggenerOberarzt

Klinik für Mund-, Kiefer-und GesichtschirurgieUniversitätsspital BaselSpitalstr. 14031 BaselSchweiz

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