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(Aus der Medizinischen Klinik Erlangen. -- u Prof. L. R. Miiller.) Pathologisch-anatomische Befunde am Nervensystem nach experimenteller Thalliumvergiftung. Von R. Greying und O. Gagel. Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen am 14. April 1929.) Den AnlaB zu unseren experimentellen Untersuehungen gab ein Fall yon akuter Thalliumvergiftung, den wir in unserer Klinik w~hrend 6 Monaten zu beobachten Gelegenheit hatten. Es handelte sich um eine 30j~hrige Frau, die wegen schlechter sozialer Verhi~ltnisse einen Suicidversueh unternahm, indem sie sich die Hi~lfte einer Tube Celio aufs Brot gestrichen einverleibte. Celio stellt bekanntlich ein Thallium- pr~tparat dar, das als Rattengift Verwendung finder. Da es im freien Handel ist, kann es sich jeder zu Vergiftungszwecken verschaffen. Die Kenntnis der bei der Thalliumvergiftung auftretenden Symptome ist daher yon praktischer Bedeutung. Das unter unseren Augen sich ent- wickelnde, aufterordentlich schwere Krankheitsbild, in dessen Verlaufe die Kranke zeitweise dem Tode nahe war, ist von uns bereits ausftihrlich geschildert worden 1. Hier sei nur kurz darauf hingewiesen, dab wir neben den schon bekannten Symptomen, wie Nierenreizung, Salzs~ure- mangel im Magensaft, Sistieren der Menses, Ausfall der Haare sowie heftigen Neuralgien in den Beinen und der Lendengegend, noch eine typische motorische Polyneuritis mit schla][er Ldihmung beider Beine, Entartungsreaktion und zeitweiliger Inkontinenz yon Blase und Mast- darm beobaehten konnten. Hinzu kamen tachykardische und Angina pectoris i~hnliche Zusthnde, sowie eine weit in die Rekonvaleszenz hinein- reichende Abmagerung und EntkrdiJtung. Schlieglich fanden sich noch trophische Veriinderungen an den Fingerni~geln und Zehen. Bei den zuletzt genannfen St6rungen handelt es sich, wie Abb. 1 zeigt, urn ein quer fiber den Nagel verlaufendes weiBliches Band. Eine ganz ghnliehe Erscheinung wurde yon Mees 2 Monate nach einer Arsen- 1 R. Greying und O. Gagel, Polyneuritis nach akuter Thalliumvergiftung. Klin. Wschr. 7, Nr 28, 1323 1325 -- t~ber Thalliumvergiftung bei Mensch und Tier. Vortrag im Arztl. Bezirksverein. Klin. Wschr. 7, 476 (1928). Z. f. d. ges. Neut. u. Psych. 120. 52

Pathologisch-anatomische Befunde am Nervensystem nach experimenteller Thalliumvergiftung

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(Aus der Medizinischen Klinik Erlangen. - - u Prof. L. R. Miiller.)

Pathologisch-anatomische Befunde am Nervensystem nach experimenteller Thalliumvergiftung.

V o n

R. Greying und O. Gagel.

Mit 9 Textabbildungen.

(Eingegangen am 14. April 1929.)

Den AnlaB zu unseren experimentellen Untersuehungen gab ein Fall yon akuter Thalliumvergiftung, den wir in unserer Klinik w~hrend 6 Monaten zu beobachten Gelegenheit hatten. Es handelte sich um eine 30j~hrige Frau, die wegen schlechter sozialer Verhi~ltnisse einen Suicidversueh unternahm, indem sie sich die Hi~lfte einer Tube Celio aufs Brot gestrichen einverleibte. Celio stellt bekanntlich ein Thallium- pr~tparat dar, das als Rat tengif t Verwendung finder. Da es im freien Handel ist, kann es sich jeder zu Vergiftungszwecken verschaffen. Die Kenntnis der bei der Thalliumvergiftung auftretenden Symptome ist daher yon praktischer Bedeutung. Das unter unseren Augen sich ent- wickelnde, aufterordentlich schwere Krankheitsbild, in dessen Verlaufe die Kranke zeitweise dem Tode nahe war, ist von uns bereits ausftihrlich geschildert worden 1. Hier sei nur kurz darauf hingewiesen, dab wir neben den schon bekannten Symptomen, wie Nierenreizung, Salzs~ure- mangel im Magensaft, Sistieren der Menses, Ausfall der Haare sowie heftigen Neuralgien in den Beinen und der Lendengegend, noch eine typische motorische Polyneuritis mit schla][er Ldihmung beider Beine, Entartungsreaktion und zeitweiliger Inkontinenz yon Blase und Mast- darm beobaehten konnten. Hinzu kamen tachykardische und Angina pectoris i~hnliche Zusthnde, sowie eine weit in die Rekonvaleszenz hinein- reichende Abmagerung und EntkrdiJtung. Schlieglich fanden sich noch trophische Veriinderungen an den Fingerni~geln und Zehen.

Bei den zuletzt genannfen St6rungen handelt es sich, wie Abb. 1 zeigt, urn ein quer fiber den Nagel verlaufendes weiBliches Band. Eine ganz ghnliehe Erscheinung wurde yon Mees 2 Monate nach einer Arsen-

1 R. Greying und O. Gagel, Polyneuritis nach akuter Thalliumvergiftung. Klin. Wschr. 7, Nr 28, 1323 1325 - - t~ber Thalliumvergiftung bei Mensch und Tier. Vortrag im Arztl. Bezirksverein. Klin. Wschr. 7, 476 (1928).

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vergiftung festgestellt. Da nach Untersuchungen yon Schneller (patho- logisches Institut Erlangen) in der Celiopaste Arsen sich nicht nach- weisen liei~, scheint auch das Thallium eine gleichartige StSrung machen zu kSnnen. Die Nagelver~nderungen entstehen wahrscheinlich zu dem gleichen Zeitpunkt, in dem auch der Haarausfall einsetzt. Beide Vor- gi~nge sind wohl auf die gleiche Ursache zuriickzuffihren. Fiir die yon Buschke ~ vertretene Ansicht, dab es sich hierbei um eine Funktions- stSrung des vegetativen Nervensystems handelt, fehlt noch der sichere Beweis.

Abb. 1. Trophische Yertinderungen an den N/igeln nach akuter Thalliumvergiftung.

Von Buschke und seinen Mitarbeitern ist hingegen sichergestellt, dal~ ein TeiI der StSrungen, wie solche der Genitalorgane (in unserem Fall Sistieren der Menses), ferner die experimentell beim Tier erzeugten StSrungen des Wachstums und der Metamorphose, Knochenveri~nderun- gen und Kataraktbildung auf einer Schi~digung innersekretoriseher Organe beruhen. Wirkungsweise und Angriffsort des Thalliums ist jedoch hiermit nicht erschSpft, wie der yon uns beobaehtete Fall lehrt, hier war vielmehr auch das somatische iVervensystem in seiner Funktion sehwer ge~ehi~digt. Die Art dieser StSrungen im Experiment n~her zu erforsehen, insbesondere den zugrunde liegenden histologischen ProzeB klarzulegen, schien uns von wissensehaftlichem Interesse zu sein.

1 Literatur siehe in unserer frtiheren Mitteilung.

am Nervensystem nach experimenteller Thalliumvergiftung. 807

Experimentelle Untersuchungen. A. Methodik und klinische Erscheintenger~.

I m ganzen wurdert von uns 10 Tiere, und zwar 5 Hunde, 4 Kaninchen und 1 Ka tze mit Thall ium vergiftet. Meist verwandtcn wir wechselnde Mengen Celiopaste, da es uns darauf ankara, den yon uns beobachte ten Vergiftungsfall nach MSglichkeit nachzuahmen. Bei der Ka tze und den 4 Kaninchen gaben wir Thal l iumacctat . Die Lebensdauer der Tiere betrug je nach den verwandten Dosen 3- -65 Tage. Bei den 4 Kaninchen (Tier 3--6) liel3en sich nur geringe Minische Erscheinungen feststellen, auch die histologische Untersuchung des Nervensys tems ergab keinen krankhaf ten Befund, weshalb wir sie bei unseren weiteren Er6r terungen auger Bet racht lassen. Nur eine Feststellung sci bier erwi~hnt. Bei 2 Kaninchen wurde eine fort laufende Untersuchung der Alkalireserve im Blut (Ho//) durchgefiihrt, wobei beide Male eine deutliche Abnahme derselben, d . h . eine zunehmende Acidose nachgewiesen wurde. Da dieser Befund zu den bisherigen Mitteilungen in Widerspruch steht, sollen darauf beziigliehe Untersuchungei~ fortgesetzt werden, bevor wir weitere Sehlugfolgerungen ziehen.

Die tibrigen 6 Tiere zeigten naeh der Vergiftung ein ziemlich gleich- f6rmiges klinisehes Krankhei tsbi ld , das sich in Erbreehen, Durehfall, Verweigerung jeglieher Nahrung, s tarkem Durst und Unsicherheit oder ausgesproehener Ataxie besonders in den Hinterbeinen kennzeichnete. Die Krankengesehiehten seien hier im Auszug kurz mitgetei l t :

Tier 1. Hund Tiger (T 3), K6rpergewicht 28,5 kg. 21. VI. 1/2 Tube Celio. 23. VI. SchMmiger Durchfall. 25. VI. Stuhl sehr hart. 26. VI. Verweigert Nah- rungsaufnahme. 28. VI. Fril~t noch nicht, rutscht beim Wenden und Laufen auf den Hinterfii2en aus. 29. VI. Durchfall, Erbrechen, Unsicherheit beim Laufen, Reflexe vorhanden. 5. VII. Frigt noch nicht, stark abgemagert, Gewicht 22,5 kg, liegt st~ndig im Stall, zum Aufstehen veranlal~t, sucht er sich anzulehnen, bricht beim Herabspringen yon einer Kiste in den Vorderftil~en und HinterfiiBen zu- sammen. 10. VII. FriBt noch nicht, Laufen ist besser, stark abgemagert. 19. VII. Wieder Versehleehterung im Laufen. 15. VII. Gewieht 18,8 kg. 23. VII. Ist lebhafter, fril3t wieder. 30. VII. Wohlbefinden. 9. VIII. KSrpergewieht 18,9 kg, 1/2 Tube Celio. 14. VIII. Augerste Schwiiehe der Beine. 19. VIII. Yerendet. Gesamtdosis: 1 Tube Celio. Lebensdauer naeh der Vergiftung 59 Tage.

Tier 2. Katze (T 4), KSrpergewicht 2,5 kg. 3. XI. 2 g Celiopaste. 8. XI, 10 mg und am 10. XI. 50 mg Thalliumaeetat. 11. XI. Sitzt meist ruhig im Kgfig, spring~ jedoch zeitweise an der Wand in die HShe. 12. und 13. XI. ]e 0,05 g Thalliumaeetat. 14. XI. Ist deutlich erregt, springt mehrfaeh im K/~fig in die H6he, brieht beim Herunterspringen in den Beinen zusammen. 16. XI. Sitzt im K~fig zusammengekauert. 17. XI. Tot. Gesamtdosis 2 g Celiopaste und 0,16 g Thalliumacetat. Lebensdauer 14 Tage.

Tier 7. Hund Scheusal (T 12). 29. III . 1/2 Tube Celio. 31. III . Erbrechen, griinlich verf~rbte Durchf~lle, lJnsicherheit in den Itinterbeinen. 2. IV. Tot. Gesamtdosis 1/2 Tube Celio. Lebensdauer 4 Tage.

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Tier 8. ttund Roland (T 17), grol3e Dogge. 24. IV. 12 g Celiopaste. 26. IV. 12 g Celiopaste. 28. IV. FreBlust und Lebhaftigkeit haben nachgelassen. I.V. Hinkt am linken Hinterbein, fril3t nicht mehr. 4. V. Starkste Abmagerung, Er- brechen, Durchfalle, steht kaum auf. 5. V. Starke Ataxie der Hinterbeine, steht breitbeinig. 8. V. Tot. Gesamtdosis 24 g Celiopaste. Lebensdauer 14 Tage.

Tier 9. Jagdhund (T 18). 16. V. 1/4 Tube Celiopaste. 24. V. 9 g Celiopaste. 31. V. Tot. Lebensdauer 15 Tage, klinische Erscheinungen: Erbrechen, Durch- f~lle, Abmagerung, Ataxie. Gesamtdosis etwa 17 g.

Tier 10. Hund Sch~fle (T 24) erh~lt bei einem Anfangsgewicht von 9,3 kg fortlaufend jede Woche (einmal) 2 g Celiopaste in der Zeit vom 19. VII. bis 29. VIII., ferner am 5. und 18. IX. 4 g Celiopaste. 28. IX. Tot. Bis 29. VIII. fiihlte sich das Tier durchaus wohl, nahm in dieser Zeit 3,3 kg an K6rpergewicht zu. Wahrend dieser Zeit erhielt er 12 g Celiopaste. Nach tJbersehreiten dieser Dosis zeigten sich die ersten Erscheinungen in verminderter Frel31ust und Abmagerung. Einige Tage vor dem Tode Auftreten yon Magendarmst6rungen, Schwi~che in den Beinen. Gesamtdosis 22 g. Lebensdauer 71 Tage.

Das klinische Bild erweist sich nach den Krankengeschichten als ziemlich gleichfSrmig. Erscheinungen von seiten des Magen-Darm- Kanals, wie Appetitlosigkeit, Erbrechen, Durchf~lle eventuell mit an- schliel3ender Obstipation sowie solche von seiten des Nervdnsystems, die sich in Schw~che und Ataxie bcsonders der hinteren Extremit~iten ~ul3erten, sind die haupts~chlichsten StSrungen, welche wir bei unseren Versuchstieren feststellen konnten.

B. Histologische Be/unde am peripheren und zentralen Nervensystem.

Bei der Untersuchung des peripheren Nervensystems der mit Thallium vergifteten Tiere wurden folgende Farbemethoden zur Anwendung ge- bracht: die Spielmeyersche Methode zur Darstellung der Markscheiden, die Scharlachrotfi~rbung fiir Fettnachweis und die Bielschowsky-Methode zwecks Impri~gnation der Achsenzylinder. In einem Falle wurde die Marchi-Methode durchgefiihrt, um den Nachweis eines frischen Mark- scheidenzerfalls zu erbringen. Von den peripheren Nerven wurde der Nervus femoralis, der Nervus ischiadicus, der Nervenplexus der vorderen Extremit~ten, aus dem vegetativen Nervensystem das Ganglion cervi- cale, die Grenzstranggangtien und der Nervus vagus mit den genannten Methoden untersucht.

Im Markscheidenbild land sich sowohl am Ischiadicus als auch am Femoralis deutlicher Markscheidenausfall; aui3erdem liel3 sich aus- gesprochene Markballenbildung sowie Fragmentierung der Markscheiden nachweisen (Abb. 2). Im entsprechenden Scharlachrotpr~parat zeigten sich mit Scharlachrot intensiv gef~rbte, grSl~ere und kleinere TrSpfchen, die teils frei im Gewebe lagen, teils in FettkSrnchenzellen eingeschlossen waren (Abb. 3). Bei der Silberfiirbung nach Bielschowsky t rat neben dem Markscheidenzerfall eine schwere Schi~digung der Achsenzylinder zutage, wie aus dem Zerfall der Achsenzylinder in einzelne Brocken und

am N e r v e n s y s t e m n a c h expe r imen te l l e r T h a l l i u m v e r g i f t u n g . 809

Abb. 2. Markscheidenausfall und Markballenbildung im Nervus ischiadicus. Markscheidenfiirbung nach Spielmeyer. Mikrophotogramm.

Abb. 3. FetttrSpfchenbitdung im Nervus isehiadicus yon dem gleichen Tier wie Abb. 2. Scharlachrotfarbung, Mikrophotogramm,

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Fragmente zu ersehen ist. Zugleich lieft sich bei der gleichen Fi~rbung eine Neubildung feinster Achsenzylinder nachweisen (Abb. 4 und 4a).

Die geschilderten Befunde zeigen mit Sicherheit, dab die experimen- telle Thalliumvergiftung bei den Versuchstieren zu dem typischen Bild

Abb. 4. ZerstSrung der Achsenzylinder und Neubildung derselben. Silberfttrbung nach Bielschowsky. ]Mikrophotogramm.

einer Polyneuritis gefiihrt hat. Hierbei handelt es sich um eine Schgdi- gung nicht nur sensibler, sondern aueh motorischer Nerven. Es sei nooh betont, d~B, wie von Spidmeyer bereits festgestellt wurde, es sich nicht um elne Entziindung im strengen Sinne, sondern vielmehr um einen

degenerativen ProzeB handelt. Es fehlen An- zeichen einer Entziindung, wie Zellinfiltrate, oder sonstige Reaktionen yon seiten des Gefi~Bbindegewebes.

Abb. 4a. Achsenzylinderzerfall. Die geschilderten polyneuritischen Ver- Silberfitrbung nach B~etschowsky. /inderungen fanden sich bei 2 Hunden und

Mikrophotogramm. 1 Katze (Tier 1, 2, 7) in verschieden starkem

Ausmal~. Besonders deutlich waren sie bei Tier 1 zu erkennen, das eine Lebensdauer von 59 Tagen hatte. Bei einem weiteren Tier (Tier 10) zeigte sich im Markscheidenbild kein pathologischer Befund, w~hrend die Marchi-F~rbung deutliche Schollenbildung erkennen lieB (Abb. 5), ein Zeichen ffir den beginnenden Markscheidenzerfall. Es [anden sich

am Nervensystem nach experimenteller Thalliumvergiftung. 811

Abb. 5. Schollenbildung im ~*ervus ischiadicus. Y~irbung nach Marchi. Mikrophotogramm.

Abb. 6. Vorderhornzelle in prim~trer l~eizung. ~Tissl.F~rbung. Mikrophotogramm.

somit bei 4 yon 6 mit Thallium vergi]teten Tieren Ver~inderungen im Sinne einer Polyneuritis.

Die Untersuchung des vegetativen Nervensystems schien uns yon besonderer Bedeutung mit Rficksicht darauf, dal~ eine Anzahl der bei der Thalliumvergiftung auftrctenden klinischen Symptome auf Ver- ~nderungen im vegetativen Nervensystem bezogen werden. In keinem

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Abb. 7. Zellen aus dem Facialiskern in primiirer Reizung. A'issl-F;hrbung. Mikrophotogramm.

Abb. 8. Zellverltnderungen im Corpus mamillare, lgissl-F~rbung, Mikrophotogramm.

am ~Nervensystem nach experimenteller Thalliumvergiftung. 813

der untersuchten Fiille konnten wir einen pathologischen Befund er- heben. Es sei hier noch erwiihnt, dal~ auch der Nervus opticus von Ver- i~nderungen frei war.

Entsprechend den schweren degenerativen Erscheinungen an den Neuriten fanden sieh in 2 F~llen deutliehe Veranderungen an den moto- risehen Vorderhornzellen des Riickenmarks. Die Untersuchungen wurden hierbei an primiir mit Alkohol fixiertem Material mit der Nissl-Methode durchgeffihrt. Ferner wurde noch an mit Formol fixiertem Material die Silberfiirbung nach Bielschows~y angewandt. Die im Nissl-Pri~parat festgestellten Veriinderungen der Vorderhornzellen bestanden in einer Abrundung und Auftreibung der Zellen, einer AuflSsung der Nissl- Granula und einer Sehrumpfung des Zellkerns, der gleichzeitig an den Rand geriickt war (Abb. 6). Es ergab sieh somit ein Bild, das der primi~ren Reizung Nissls entspricht. Die gleichen Vergnderungen lieBen sieh aueh an dem Kern des Nervus /acialis nach- weisen (Abb. 7). Im Biel- schowsky - Bild fanden sich in diesen Fgllen an den gleichen Zellgruppen VerklumpungenderEndo- Abb. 9. Schwere degenerative Veritnderung einer Zelle

fibrillen. Hinsichtlich der aus dem l~ucl, supraopticus. =~'issl-F~rbung. Mikrophotogr.

Deutung dieser Befunde kSnnen wir nicht mit Sicherheit entscheiden, ob es sich hier um eine primi~re Schgdigung der Ganglienzellen durch direkte Gift- einwirkung handelt oder ob lediglich eine reaktive Vergnderung auf den Achsenzylinderzerfall vorliegt. Uns seheint die letztere Annahme die grSBere Wahrscheinlichkeit fiir sich zu haben, Ca wir die Zell~sionen nur in jenen F~llen fanden, wo die Achsenzylinder am stgrksten geschgdigt waren.

Neben den typischen Befunden an den peripheren Nerven und den motorischen Vorderhornzellen konnten wir noch in verschiedenen Teilen des Zentralnervensystems Zellvergnderungen nachweisen, deren Be- deutung und Abhgngigkeit v o n d e r Giftwirkung nicht ohne weiteres sicher gestellt ist. SofandsichanzahlreichenStellendesCorpusmamillare Vakuolenbildung. Sehr hgufig stellte die ganze Zelle eine grofte Vakuole dar, der am Rand der stark geschrumpfte, hyperchromatische Zellkern anlag. Andere Zellen zeigten sich nur noch als schattenhafte Gebilde (Abb. 8); es sei aber ausdriieklich vermerkt, dal~ eine deutliche Glia-

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reaktion nicht vorhanden war. Die MSglichkeit einer postmortalen Veranderung ist hier nicht vSllig yon der Hand zu weisen, wenn auch die erhobenen Befunde sehr auffallend sind. Es zeigten sich n~tmlich weder an den Zellen der Stammganglien, noch an jenen des Thalamus oder der Rindengebiete Vcr~tnderungen dieser Art und Ausdehnung. Ahnliehe Befunde konnten wir nur noch an den Zellen des Corpus geni- culatum mediale und den Purkinjesehen Zellen sowie weniger ausgespro- then an jenen des Nucleus supraopticus nachweisen (Abb. 9). Weitere Untersuchungen erscheinen zur Klarlegung der letztgenannten Befunde notwendig.

Schlu[3/olgerungen. 1. Zwecks Kli~rung einer Polyneuritis, die nach Thalliumvergiftung

beimMenschen beobachtet werden konnte, wurden an 10 Tieren (5 Hunde, 1 Katze, 4 Kaninchen) Vergiftungen mit dem Thalliumpraparat ,,Celio" durchgcfiihrt. An den 4 Kaninchen liel~en sich keine wesentlichen Be- funde erheben. Die iibrigen 6 Tiere zeigten an klinischen Symptomen Erbrechen, Durchfatl, Abmagerung, Unsicherheit und Schwi~che in den beiden Beinen, Haarausfall t ra t nicht ein.

2. Histologisch fanden sich an den sensiblen und motorischen Nerven sowohl im Markscheidenpraparat, wie auch im Achsenzylinderbild schwere Veranderungen, wie sie bei Polyneuritis typisch sind. Dement- sprechend lieB sieh an den motorischen Vorderhornzellen und im Facialis- kern das Bild der prim/~ren Reizung feststellen. Die histologischen Befunde beweisen, dal~ auch im Tierexperiment der gleiche polyneuri- tische Prozelt zu erzielen ist, wie er yon uns bei einem mensehlichcn Vergiftungsfall beschrieben wurde.

3. Als Nebenbefund konnten wir an den Zellen des Corpus mamillare, des Nucleus supraopticus und des Corpus geniculatum mediale sowie an den Purkinjeschen Zellen degenerative Vergnderungen nachweisen, deren Bedeutung durch weitere Untersuchungen zu klaren ist.

4. Im vegetativen Nervensystem konnten pathologisehe Befunde nieht beobachtet werden.