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Pierre Bourdieu Interventionen 1961-2001 VS V Band 2: 1975-1990 Herrschende Ideologie & wissenschaftliche Autonomie Laien & Professionelle der Politik Erziehung & Bildungspolitik Raisons d’Agir

Pierre Bourdieu Interventionen 1961-2001

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Page 1: Pierre Bourdieu Interventionen 1961-2001

Pierre BourdieuInterventionen1961-2001

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Band 2: 1975-1990Herrschende Ideologie &wissenschaftliche AutonomieLaien & Professionelle der PolitikErziehung & Bildungspolitik

Raisons d’Agir

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Pierre BourdieuInterventionen

Band 2: 1975-1990

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Pierre Bourdieu (1930-2002) war Professor für Soziologie amCollège de France in Paris. Seine wichtigsten Arbeiten: »Diefeinen Unterschiede« (Frankfurt a.M. 1982), »Homo academi-cus« (Frankfurt a.M. 1988), »La Noblesse d’Etat« (Paris 1989),»Les règles de l’art« (Paris 1992), »Das Elend der Welt« (Kon-stanz 1997), »Gegenfeuer« 1 und 2 (Konstanz 1998 und 2001).

Bei VSA erschienen bisher vier Bände »Schriften zu Politik &Kultur«, herausgegeben von Margareta Steinrücke.

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Pierre BourdieuInterventionen 1961-2001Sozialwissenschaft und politisches Handeln

Band 2: 1975-1990Herrschende Ideologie &wissenschaftliche AutonomieLaien & Professionelle der PolitikErziehung & Bildungspolitik

Raisons d’agir

Page 5: Pierre Bourdieu Interventionen 1961-2001

Originaltitel: »Pierre Bourdieu, Interventions, 1961-2001.Science sociale et action politique. Textes choisis et présentéspar Franck Poupeau et Thierry Discepolo«.© Éditions Agone, Marseille, France, 2002© für die deutsche Ausgabe:VSA-Verlag 2003, St. Georgs Kirchhof 6, 20099 HamburgAlle Rechte vorbehaltenDruck- und Buchbindearbeiten: Druckerei Runge, CloppenburgISBN 3-89965-016-6

Aus dem Französischen von Franz Hector und Jürgen Bolder

Herausgeber der französischen Ausgabe:Franck Poupeau und Thierry Discepolo

Die deutschsprachige Ausgabe dieser thematisch-chronologi-schen Zusammenstellung politischer Stellungnahmen PierreBourdieus von 1961-2001 ist auf vier Bände angelegt.

Bd. 1: 1961-1980Kolonialkrieg & revolutionäres BewusstseinErziehung & HerrschaftGegen die Wissenschaft von der politischen Enteignung

Bd. 3: 1988-1995Ernüchterung durch die Politik & Realpolitik der VernunftKämpfe auf europäischer Ebene & Neuerfindungeines kollektiven Intellektuellen

Bd. 4: 1995-2001Unterstützung der sozialen Kämpfe:vom Dezember ‘95 bis Raisons d’agirDie Medien im Dienste der konservativen RevolutionWiderstand gegen die liberale Gegenrevolution

Die Bände erscheinen in der von Pierre Bourdieu mitbegründe-ten Reihe Raisons d’agir (Gründe zu handeln), in der sich inter-nationale Forscher und Publizisten bewusst in aktuelle politi-sche Debatten einmischen.

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Inhalt

1975-80: Herrschende Ideologieund wissenschaftliche Autonomie .............................................. 7Die Entstehung der Actes de la rechercheen sciences sociales

Wissenschaftliche Methode undsoziale Hierarchie der Gegenstände ....................................... 13Die Produktion der herrschenden Ideologie:Aus der »Enzyklopädie der Redensarten undGemeinplätze, die an neutralen Ortenverwendet werden« .................................................................. 21Die Königswissenschaft und der Fatalismusder Wahrscheinlichkeit ............................................................. 27Anatomie des Geschmacks ..................................................... 45Und wenn man über Afghanistan reden würde? ................... 47

1970-1980: Politisches Engagementund ideologische Wendungen ................................................... 48

1981-1986: Laien und Professionelle der Politik .................... 51

Bekanntmachung zur Kandidatur von Coluche .................... 55Die Politik gehört ihnen .......................................................... 56Die verpassten Gelegenheiten:nach 1936 und 1956 auch 1981? ............................................... 57Die libertäre Tradition der Linken wiederfinden .................. 59Die Intellektuellen und die Mächte –Rückblick auf unsere Unterstützung der Solidarnosc .......... 65Die verborgenen Mechanismen der Macht enthüllen ........... 67Jeder Rassismus ist ein Essentialismus ................................... 72Über Michel Foucault –Das Engagement eines »spezifischen Intellektuellen« .......... 74

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1984-1990: Erziehung und Bildungspolitik ............................ 79Von einem staatlichen Gutachten zum nächsten

Universität: Die Könige sind nackt ........................................ 84Vorschläge für ein Bildungswesen der Zukunft ..................... 97Zwanzig Jahre vor dem Bericht des Collège de France ..... 100Der Bericht des Collège de France –Erläuterungen von Pierre Bourdieu ..................................... 101Die Weigerung, Unternehmerfutter zu sein ........................ 111Grundsätze für eine Reflexionüber die Unterrichtsinhalte .................................................... 119Brief an die Oberschüler von Mureaux ................................ 131

Register der Eigennamen ....................................................... 134

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Herrschende Ideologie und wissenschaftliche Autonomie 7

1975-80: Herrschende Ideologieund wissenschaftliche Autonomie

Die Entstehung der Actes de la rechercheen sciences sociales

Wenn es eine Wahrheit gibt, dann die, dass die Wahrheit des Sozia-len ein Gegenstand von Kämpfen ist.

»Une classe objet«, 1977 (deutsch in: Der Totepackt den Lebenden, Hamburg 1997, S. 130)

Während in den 1970er Jahren der Linksradikalismus à la fran-çaise aufblüht, macht sich ein Teil der Führungskräfte der ho-hen Verwaltung an eine »Modernisierung« des nationalen Ka-pitalismus. Diese Veränderungen führen zu einem wachsendenEinfluss der politischen Kräfte auf die intellektuelle Welt: Zwi-schen den Intellektuellen ohne weltliche Macht einerseits undden Männern der Macht andererseits, deren Autorität mehr undmehr auf spezifischen Kompetenzen basiert, bildet sich seit den50er Jahren eine Gesamtheit von »administrativen Forschern«und »wissenschaftlichen Verwaltern« aus, die Forschungsinsti-tutionen angehören, die auf Bestellung der Verwaltung arbei-ten.1

Die Zeitschrift Actes de la recherche en sciences sociales er-scheint erstmals 1975 und will einen Beitrag zur Autonomie derSoziologie leisten, indem sie ihr ein unabhängiges Mittel zurVerbreitung zur Verfügung stellt, das lediglich den Erfordernis-sen wissenschaftlicher Überprüfung und Kritik gehorcht. DieEditionspolitik will mit akademischem Formalismus und nor-malisierender Forschungsstandardisierung brechen und stellt

1 Siehe »La production de l’idéologie dominante« (mit Luc Boltanski),Actes de la recherche en sciences sociales, 1976, Nr. 2/3, S. 5-6. AndereArtikel behandeln diese Transformation, besonders Michael Pollak, »Laplanification des sciences sociales«, ebd., S. 105-121.

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8 Interventionen 1975-80

»ausgearbeitete« Artikel, kurze Beiträge, Zwischenberichte, Sta-tistiken, Photographien, Faksimiles und Zeichnungen vor. DieseWissenschaftspolitik auf soziologischem Gebiet will nicht nur die»geheiligten« Texte der Gelehrtenwelt »dekonstruieren«, son-dern auch die »durch eine religiöse Sichtweise des Menschen er-zeugten Entstellungen und Ausflüchte zerstören, die nicht nurein Monopol der jeweiligen Religionen sind«. Angesichts derAbhängigkeit wissenschaftlicher Soziologie von politischen For-derungen, wobei wissenschaftliche Zensur oft nichts anderes alsverdeckte politische Zensur ist, geht es den Actes de la rechercheen sciences sociales darum, »die Hierarchie geweihter For-schungsobjekte umzukehren«, den Gegensatz zwischen »demheiligen Amt der großen akademischen Orthodoxie« und »dendistinguierten Häresien verzweifelter Einzelgänger« ins Wan-ken zu bringen.2 (Siehe S. 13ff.) Die methodische Verschieden-heit drückt sich auch in einer Verschiedenheit von Themen aus,die bis dato einer Studie nicht würdig galten: die Haute Coutu-re, das Auto, das Comic-Heft, der Technikunterricht, die Ar-mee, die Sozialarbeiter, die marxistische Rhetorik usw.

Ein Text resümiert und verdichtet das entstehende Projektder Actes, »La production de l’idéologie dominante«, der miteiner »Enzyklopädie der Redensarten und Gemeinplätze, wiesie an neutralen Orten verwendet werden« (siehe S. 21ff.), be-ginnt, ausgehend von einem Korpus kanonischer Texte der herr-schenden Sozialphilosophie (Bücher, Interviews, Artikel vonMännern und Intellektuellen der Macht):

»In erster Linie die Schriften der Vorläufer, die häufig professi-onell in der Kulturproduktion tätig sind: Die ›praktischen Ak-teure‹ der herrschenden Klasse bekommen von ihnen die zen-tralen Themen geliefert, die sie unablässig wiederholen, wobeisie ihre spezifischen Probleme an ihnen aufhängen. Sodann dieErgebnisse einer Gemeinschaftsarbeit (die Kommissionsberich-te) zur Erstellung eines Fundus von Gemeinplätzen, die, die

2 »Méthode scientifique et hiérarchie sociale des objets«, Actes de larecherche en sciences sociales, 1975, Nr. 1, S. 4.

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Herrschende Ideologie und wissenschaftliche Autonomie 9

individuellen Unterschiede überbrückend, die Bausteine einergemeinsamen Überzeugung der herrschenden Fraktion der herr-schenden Klasse bilden. Schließlich die Produktionen der ein-fachen Reproduzenten, die schulmäßige Darlegung des unmit-telbar in den Schulen der Macht oder in den Plankommissionenerworbenen Wissens.«3

Ungeachtet scheinbar unterschiedlicher Stellungnahmen bildendie »Produzenten der herrschenden Ideologie« eine relativ ho-mogene Gruppe, denn die meisten von ihnen haben auf die eineoder andere Weise bei der Planerstellung mitgewirkt, warenDozenten am Institut d’études politiques und an der ENA undkommen aus denselben Grandes Ecoles* (Polytechnique, IEP,ENA etc.). Die Auswahl möglichst prägnant und klar formu-lierter Themen machte die »Gemeinplätze« einer Ideologie sicht-bar, die ihre Voraussetzungen hinter den »Anstandsnormen« ei-ner Sprache der Macht verbergen kann, die in den »neutralenOrten« gesprochen wird:

»Orten an der Schnittstelle zwischen intellektuellem Feld undFeld der Macht, also dort, wo aus Sprache Macht entsteht, wiein bestimmten Kommissionen, wo der aufgeklärte Unterneh-mensführer auf den aufklärenden Intellektuellen trifft, (…) undin den Instituten für politische Wissenschaft, wo die neue, schul-mäßig neutralisierte und durchgesetzte ideologische koinè** ein-getrichtert und dadurch in Denkweisen und politische Hand-lung verwandelt wird.«4

3 »La production de l’idéologie dominante«, a.a.O., S. 10-11.* Grandes Ecoles sind Elitehochschulen mit höchst selektiven Aufnah-

meprüfungen. In ihnen werden die künftigen Führungskräfte ausgebildet.Dazu gehören: Polytechnique, die renommierteste Ingenieurhochschule,die dem Verteidigungsministerium untersteht; ENA, die Ecole nationaled’administration, Verwaltungshochschule, die dem Premierminister un-tersteht; IEP (oder Sciences Po), Institut d’études politiques in Paris (Anm.d. Übers.).

** koinè, griech., Staatsinteresse (Anm. d. Übers.)4 »La production de l’idéologie dominante«, a.a.O., S. 5.

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Diese Intellektuellen des Apparats setzen wie alle Doxosophendie Autonomie wissenschaftlicher Erkenntnis aufs Spiel, weil sieaus der Welt der Politik eine intellektuelle Legitimität beziehen,die ihnen die Welt der Wissenschaft vorenthalten würde, undpolitische Zweckbestimmungen und Argumente in das Gebietder Forschung importieren. Dass Institutionen wie die Plankom-mission eine technokratische Ideologie der konzertierten Aktionentwickeln, liegt an der Geschichte herrschender Ideologiepro-duktion, die bis auf die beginnenden 1930er Jahre zurückreicht,nämlich auf die Annäherung zwischen einem ökonomisch-ad-ministrativen Pol (repräsentiert vor allem in den Absolventender Polytechnique wie X Crise*) und einem »nicht konformisti-schen« intellektuellen Pol, der sowohl die »Junge Rechte«, alsoOrdre nouveau und Action française, als auch die Führungskräf-teschule von Uriage oder die Anhänger der Gruppe Esprit um-fasste.5

Die praktische Umsetzung dieser Denk- und Handlungswei-sen findet im Institut für politische Wissenschaft die besten Vor-aussetzungen vor: Die Funktionshäufung bei seinem Lehrkör-per und die Überrepräsentiertheit von »Tatmenschen« (hohenFunktionären und ökonomischen Entscheidungsträgern) gegen-über Hochschullehrern ist ein deutliches Zeichen für die Ambi-guität einer Institution am Schnittpunkt politischer und intel-lektueller Bereiche.

Franck Poupeau/Thierry Discepolo

* X Crise: X ist eine geläufige Abkürzung für die Ecole polytechnique;X Crise war eine Denkschule von Absolventen der Polytechnique, die sichum Auswege aus der Weltwirtschaftskrise bemühte (Anm. d. Übers.).

5 Diese unter anderem in der Ecole d’Uriage bei Grenoble und um dieZeitschrift Esprit während der Krise der 1930er Jahre gebildeten Reflexi-onsgruppen aus hohen Militärs, Wirtschaftsleuten und Absolventen derGrandes Ecoles entwickelten einen antiparlamentarischen »ökonomischenHumanismus«, der »weder rechts noch links« sein wollte, und verbandendie Zurückweisung von Kapitalismus und Kollektivismus mit einer Ver-dammung der Macht des Geldes und der Macht der Massen. Sie verfoch-ten ein »Projekt der Zivilisation«, das auf einem asketischen Engagementund dem Respekt vor einer auf Kompetenzen aufgebauten hierarchischenOrdnung beruhte.

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Herrschende Ideologie und wissenschaftliche Autonomie 11

Man wird hier Texte zusammengestellt finden, die sich stilis-tisch und in ihrer Funktion sehr deutlich unterscheiden: »Ferti-ge« Texte natürlich, wie von akademischen Zeitschriften ver-langt, aber auch kurze Aufzeichnungen, Zusammenfassungenvon Gesprächen, Arbeitspapiere über Projekte und Zwischen-berichte über Forschungsvorhaben, in denen die theoretischenAbsichten, die zur Verifizierung nötigen empirischen Verfah-ren und die Daten, auf die sich die Analyse stützt, deutlichererkennbar werden. Die Absicht, zu einer Werkstatt Zutritt zuverschaffen, die anderen als nur methodischen Regeln folgt, unddie Spuren einer Arbeit während ihres Entstehungsprozessesaufzuzeigen, bedeutet die Aufgabe der offenkundig rituellstenFormalismen: der typographischen Ausrichtung, der Rhetorikdes logischen Diskurses, der gleichbleibenden Länge von Arti-keln und Ausgaben und ganz allgemein all dessen, was zu Stan-dardisierung und »Normalisierung« von Forschungsergebnis-sen führt. Sich nur dem Imperativ zu beugen, der durch strengeBeweisführung und in zweiter Linie durch das Bemühen umLesbarkeit aufgezwungen wird, bedeutet eine Befreiung vonZensuren, stilistischen Raffinessen und Verirrungen, die aufkom-men, wenn man sich an Konventionen und den guten Ton desuniversitären Feldes hält: Rhetorik der Klugheit oder der fal-schen Voraussagen, Apparat und Gepränge der Festreden, dienie etwas anderes als Selbstbeweihräucherung, ostentatives Her-zeigen der Zeichen von Zugehörigkeit zu den selektivsten undselektiertesten Gruppen der intellektuellen Welt sind.

Mit der Weigerung, die Form zu wahren und, gelegentlich,in Form zu bringen, ermöglicht man auch die Suche nach einerAusdrucksweise, die den Erfordernissen einer Wissenschaftwirklich angemessen ist, die, weil ihr Gegenstand die sozialenFormen und Formalismen sind, im Aufzeigen ihrer Ergebnissedie Operation der Entsakralisierung wiederholen muss, welchejene erst ermöglicht hat. Man begegnet hier dem, was wahr-scheinlich das Spezifikum der Sozialwissenschaft ausmacht: Er-

Absichtserklärung der ersten Nummer der Actes de la recherche en sci-ences sociales vom Januar 1975.

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kämpft gegen die sozialen Verschleierungsmechanismen, sindihre Erkenntnisse über eine individuelle oder kollektive Praxisnur dann mitteilbar, wenn sich ihre Verbreitung zumindestteilweise den Gesetzmäßigkeiten entzieht, welche die Zirkula-tion jeglichen Diskurses über die soziale Welt beherrschen. Indiesem Fall bedeutet Mitteilen, dass nach Möglichkeit immerdie Mittel mitgeliefert werden, damit die Operationen praktischund nicht bloß verbal wiederholt werden können, welche dieSuche nach der Wahrheit der Praktiken möglich gemacht ha-ben. Noch vor dem Aufzeigen von Instrumenten der Wahrneh-mung und von Fakten, die nur mittels dieser Instrumente er-fasst werden können, muss die Sozialwissenschaft nicht nurdemonstrieren, sondern auch vorführen, die Aufzeichnungendes Alltäglichen vorzeigen, Photographien, Niederschriften vonÄußerungen, Kopien von Dokumenten, Statistiken usw., und,bisweilen aufgrund eines einfachen graphischen Effekts, sicht-bar machen, was sich dahinter verbirgt. Einen wirklichen Zu-gang zur Erkenntnis von, meistens mit allen Zeichen des Sakra-len versehenen, Gegenständen erhält man nur dann, wenn mandie Waffen des Sakrilegs bereitstellt: Sofern man nicht an dieursprüngliche Macht der richtigen Idee glaubt, kann mit demZauber des Glaubens nur brechen, wer der symbolischen Ge-walt die symbolische Gewalt entgegensetzt und nötigenfalls dieWaffen der Polemik den Wahrheiten zur Verfügung stellt, diedurch die Polemik der wissenschaftlichen Vernunft erkämpftwurden.

Der wissenschaftliche Diskurs kann nur für diejenigen er-nüchternd sein, die eine verzauberte Vorstellung von der sozia-len Welt haben. Er ist von einem Utopismus, der seine Wün-sche mit der Realität verwechselt, genauso weit entfernt wie voneinem Soziologismus, der sich mit einem miesmacherischenAufzeigen fetischistischer Gesetzmäßigkeiten begnügt. Die So-zialwissenschaft begnügt sich damit, die durch eine religiöseSichtweise des Menschen erzeugten Entstellungen und Ausflüch-te zu zerstören, die nicht nur ein Monopol der jeweiligen Reli-gionen sind.

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Wissenschaftliche Methode und soziale Hierarchie 13

Wissenschaftliche Methode undsoziale Hierarchie der Gegenstände

Von Parmenides gefragt, ob er, der doch »eine für sich beste-hende Idee des Gerechten, des Schönen, des Guten und allesanderen, was dahin gehört«, annehme, nicht in Verlegenheit sei,solche, von den Gegenständen selbst gesonderte »Formen« auchin Bezug auf »Dinge, bei denen es sogar lächerlich sein könnte,wie z.B. (...) Haar, Kot, Schmutz, und was sonst noch recht ver-achtet und geringfügig ist«, anzunehmen, gesteht Sokrates, dazuhabe er sich, aus Furcht, in einem »wahren Abgrund der Lä-cherlichkeit zu versinken«, nicht entschließen können. Das lie-ge daran, meinte daraufhin Parmenides, dass er noch zuvielRücksicht auf die Meinungen der Menschen nehme, da er nochjung sei, und die Philosophie ihn noch nicht so ergriffen habe,wie sie es sicherlich eines Tages tun werde, um ihm die Eitelkeitdieser Geringschätzung, an der die Logik keinen Anteil habe,vor Augen zu halten.*

Die Philosophie der Philosophieprofessoren hat diese Lekti-on des Parmenides kaum beherzigt. Und nur in wenigen Tradi-tionen wird zwischen den noblen und den gewöhnlichen Ge-genständen oder den gewöhnlichen und noblen, d.h. hoch the-oretischen, mithin derealisierten, neutralisierten, euphemisier-ten Weisen, sie zu behandeln, ein größerer Unterschied gemachtals hier. Aber auch den wissenschaftlichen Disziplinen sind dieEffekte dieser hierarchischen Dispositionen nicht unbekannt:So, wie die Abwendung von den Genres, Gegenständen, Me-thoden oder Theorien, die zu einem gegebenen Zeitpunkt dasgeringste Ansehen besitzen. Oder die Tatsache, dass bestimmte

Erschienen in Actes de la recherche en sciences sociales, 1975, Nr. 1, S. 4-6.* Platon, Parmenides, 130d, in Platon, Sämtliche Werke, 2. Band, Lam-

bert Schneider, Heidelberg, 8. Aufl. 1982, Seite 491 (Anm. d. Übers.).

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14 Interventionen 1975-80

wissenschaftliche Revolutionen ein Ergebnis davon waren, dassDispositionen, die herkömmlicherweise nur in den geweihtes-ten Bereichen Geltung hatten, in sozial entwertete Bereiche ein-geführt worden sind.1

Die Hierarchie der legitimen, legitimierbaren oder für un-würdig befundenen Gegenstände ist eine der Vermittlungen,durch die sich die spezifische Zensur eines bestimmten Feldesaufzwingt, die im Fall mangelnder Unabhängigkeit von denForderungen der herrschenden Klasse die bloß verschleierteForm einer rein politischen Zensur sein kann. Die Definition,die festlegt, über welche Dinge gesprochen werden kann undwelche Gegenstände Aufmerksamkeit verdienen, ist einer derideologischen Mechanismen, die dafür sorgen, dass über Din-ge, über die auch gesprochen werden könnte, nicht gesprochenwird, und dass man sich für Gegenstände, die nicht wenigerAufmerksamkeit verdienen, nicht interessiert oder sich nur ver-schämt oder auf völlig unzulängliche Weise mit ihnen beschäf-tigt. Diese Definition ist dafür verantwortlich, dass 1472 Bü-cher über Alexander den Großen geschrieben wurden, von de-nen nur zwei unentbehrlich sind. Jedenfalls, wenn man dem Ver-fasser des 1173. Glauben schenken darf,2 dem es trotz seinesbilderstürmerischen Eifers nicht leicht fällt, sich zu fragen, obein Buch über Alexander unentbehrlich ist oder nicht, und obdie auf den anerkanntesten Gebieten zu beobachtende Redun-danz nicht der Preis für das Schweigen ist, das andere Gegen-stände umgibt.3

Durch die Struktur der (durchschnittlichen) materiellen undsymbolischen Profitchancen, zu deren Definition sie beiträgt,

1 J. Ben David und R. Collins, Social Factors in the Origins of a NewScience: The Case of Psychology, American Sociological Review, August1966, 31 (4), S. 451-465.

2 R. L. Fox, Alexander the Great, London, Allen Lane, 1973.3 Es bedarf kaum des ausdrücklichen Hinweises, dass diese Häufung

hoch funktional ist – selbstredend unter dem Aspekt des Funktionierensund der Erhaltung des Systems; denn sie stellt in sich ein Bollwerk gegenexterne Kritik dar, die auf das – sehr unwahrscheinliche – objektive Bünd-nis mit einem Spezialisten angewiesen ist.

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Wissenschaftliche Methode und soziale Hierarchie 15

vermittelt, lenkt die Hierarchie der Gegenstände und Gebietedie intellektuellen Investitionen. Der Forscher hat stets teil ander Bedeutung und dem Wert, die seinem Gegenstand allgemeinbeigemessen werden. Und es bestehen nur geringe Aussichten,dass er bei der Ausrichtung seiner geistigen Interessen die Tat-sache außer Acht lässt, dass die (wissenschaftlich) wichtigstenArbeiten über die »unbedeutendsten« Gegenstände nur geringeAussichten haben, in den Augen derer, die die geltenden Klassi-fikationssysteme internalisiert haben, ebensoviel Wert zu besit-zen wie die (wissenschaftlich) unbedeutendsten über die »wich-tigsten« Gegenstände, die ebenso oft die unbedeutendsten, dienichts sagendsten, sind.4

Deshalb erwarten diejenigen, die sich mit den aufgrund ihrer»Bedeutungslosigkeit« oder ihrer »Unwürdigkeit« abgewerte-ten Gegenständen, wie dem Journalismus, der Mode oder demComic, befassen, die ihnen vom wissenschaftlichen Feld vorabverweigerten Gratifikationen häufig von einem anderen Feld,und zwar genau dem, das sie untersuchen. Was nicht gerade dazubeiträgt, sie zu einer wissenschaftlichen Vorgehensweise zu ver-anlassen. Zu untersuchen wäre die jeweilige Form, die die fürselbstverständlich gehaltene Einteilung in noble oder gewöhn-liche, ernstzunehmende oder belanglose, interessante oder tri-viale Gegenstandsbereiche in verschiedenen Feldern zu unter-schiedlichen Zeitpunkten annimmt. Dabei würde sich gewissherausstellen, dass das Feld der möglichen Forschungsgegen-stände stets die Tendenz aufweist, sich nach zwei unabhängigenDimensionen zu organisieren: dem Grad der Legitimität und

4 Die Wissenschaftssprache setzt die Wörter der Alltagssprache in An-führungszeichen, um den Bruch mit dem alltäglichen Sprachgebrauchkenntlich zu machen. Dieser Bruch kann sich in zwei Formen vollziehen:Als objektivierende Distanz (die »unbedeutendsten« oder »wichtigsten«Gegenstände sind die zu einem bestimmten Zeitpunkt gesellschaftlich alsdie wichtigsten oder unbedeutendsten geltenden Gegenstände) oder alsstillschweigende oder explizite Redefinition der Wörter der Alltagsspra-che durch deren Einfügung in ein Begriffssystem, womit sie als »vollstän-dig auf die theoretische Wissenschaft bezogen« konstituiert werden (s. Gas-ton Bachelard, Le Matérialisme rationnel, PUF, Paris, 1953, S. 216).

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16 Interventionen 1975-80

dem Grad des Ansehens, wie sie von der legitimen Definitionbestimmt werden. Der Gegensatz von anspruchsvoll und glanz-los, der sich gleichermaßen auf Gebiete, Genres, Gegenständeund Behandlungsweisen (nach den gültigen Taxonomien mehroder weniger »theoretische« oder »empirische«) erstrecken kann,ist eine Folge der Anwendung der herrschenden Kriterien, dieder Grad an Exzellenz im Universum der legitimen Praktikenbestimmt. Der Gegensatz zwischen den orthodoxen und denAnerkennung heischenden Gegenständen (oder Gebieten usw.)– letztere kann man, je nachdem, ob man sich auf die Seite derVerteidiger der etablierten Hierarchie stellt oder derer, die eineneue Definition der legitimen Gegenstände durchzusetzen su-chen, häretisch oder avantgardistisch nennen – bringt die in je-dem Feld bestehende Polarisierung zwischen Institutionen undAkteuren mit entgegengesetzten Positionen in der Verteilungs-struktur des spezifischen Kapitals zum Ausdruck. Das aberheißt, dass diese Gegensätze als solche nur im Zusammenhangmit der Struktur des jeweiligen Feldes bestehen, wiewohl dieFunktionsweise eines jeden Feldes tendenziell den Effekt hat,dass sie nicht in dieser Bedingtheit wahrgenommen werden kön-nen, und sie all denen, die die Klassifikationssysteme, die dieobjektiven Strukturen des Feldes reproduzieren, internalisierthaben, als an sich, ihrer Substanz nach, als wirklich wichtig, in-teressant, gewöhnlich, schick, unbedeutend oder anspruchsvollerscheinen. Um diesen Raum abzustecken, genügt es, in ihmeinige Punkte durch den Sozialwissenschaften entlehnte Beispie-le zu markieren. Auf der einen Seite die große theoretische Syn-these, ohne einen anderen Stützpunkt in der Realität als die sa-kralisierende Bezugnahme auf die kanonischen Texte oder imbesten Fall auf die wichtigsten und nobelsten, d.h. vorzugsweise»weltumspannenden« und durch eine lange Tradition verbürg-ten Gegenstände der irdischen Welt. Auf der anderen Seite dieaufgrund der geringen Größe und des geringen sozialen Anse-hens ihres Gegenstandes wie auch der vulgär empirischen Me-thode bescheidene »dörfliche« Monographie. Und im Gegen-satz zu beiden die semiologische Analyse des Bildromans, derillustrierten Wochenzeitschriften, der Comics oder der Mode.

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Wissenschaftliche Methode und soziale Hierarchie 17

Hier ist die angewandte Methode gerade häretisch genug, umGegenständen das Prestige des Avantgardismus zu verschaffen,die auf die Ablehnung durch die Hüter der Orthodoxie stoßen,die aber durch die Beachtung, die sie an den Rändern des intel-lektuellen und des künstlerischen Feldes finden, wo alle For-men des Kitsches faszinieren, prädestiniert sind, zum Einsatzvon Rehabilitierungsstrategien zu werden, wobei diese umsorentabler sind, je risikoreicher sie sind.5 So bildet der rituelleKonflikt zwischen der hohen Orthodoxie des akademischenPriestertums und der distinguierten Häresie der harmlosen Ein-zelkämpfer einen Bestandteil der Mechanismen, die zur Auf-rechterhaltung der Hierarchie der Gegenstände und zugleich derHierarchie der materiell wie symbolisch davon profitierendenGruppen beitragen.

Die Erfahrung zeigt, dass die Gegenstände, die die herrschen-de Vorstellung als zweitrangig oder minderwertig abtut, häufigdiejenigen anziehen, die am wenigsten darauf vorbereitet sind,sich mit ihnen zu befassen. Die Anerkennung der Unwürdig-keit beherrscht noch die, die sich auf verbotenes Terrain wagen,wenn sie sich bemüßigt fühlen, die Indignation eines puritani-schen Voyeurs zur Schau zu tragen, der verurteilen muss, umgenießen zu können. Oder sie demonstrieren ein Bemühen umRehabilitierung, das die innerliche Unterwerfung unter die Le-gitimitätshierarchie voraussetzt, oder aber eine geschickte Mi-schung aus Distanz und Anteilnahme, aus Geringschätzung undAufwertung, die es gestattet, nach Art des Aristokraten, derschlechten Umgang pflegt, mit dem Feuer zu spielen. Hier wieandernorts ist die unbedingte Voraussetzung für die Erkenntnisdes Gegenstandes die Erkenntnis der verschiedenen Formen,die die naive Beziehung zum Gegenstand (möglicherweise auch

5 Gerade so wie die Hierarchie der Bereiche in einer engen (aber kom-plexen, weil durch den Schulerfolg vermittelten) Beziehung zur sozialenHerkunft steht, kommt in der Orientierung auf den einen oder den ande-ren Punkt des Raums der Forschungsgegenstände wahrscheinlich die Po-sition im Feld und die zu ihr führende Laufbahn zum Ausdruck (siehe»La défense du corps«, P. Bourdieu, L. Boltanski und P. Maldidier, Infor-mation sur les sciences sociales, 1971, Nr. 10-4).

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die des Forschers in seiner üblichen Praxis) annehmen kann,d.h. hier die Erkenntnis der Position des Untersuchungsgegen-standes in der objektiven Hierarchie der Legitimitätsgrade, diealle Formen der naiven Erfahrung bestimmt. Der naiven Bezie-hung der Verabsolutierung oder der Gegenverabsolutierungentgeht man in der Tat nur dadurch, dass man die objektiveStruktur, die diese Disposition prägt, als solche erfasst. Im Kampfum die Aufrechterhaltung oder den Umsturz des herrschendenKlassifikationssystems ergreift die Wissenschaft nicht Partei, siemacht letzteres zum Gegenstand. Sie behauptet nicht, dass dieherrschende Hierarchie, derzufolge die Concept art Kunst istund der Comic eine inferiore Ausdrucksform, notwendig ist (essei denn soziologisch). Ebenso wenig behauptet sie, dass dieseHierarchie willkürlich ist, wie jene es tun, die sich hinter demRelativismus verschanzen, um sie zu modifizieren oder umzu-stoßen, und die am Ende nichts anderes tun, als der Stufenleiterder als legitim anerkannten kulturellen Praktiken eine weitereStufe, die letzte, hinzuzufügen. Kurzum, sie stellt nicht einemWerturteil ein anderes Werturteil entgegen, sondern nimmt dieTatsache zur Kenntnis, dass die Bezugnahme auf eine Werthie-rarchie in die Praktiken und insbesondere in den Kampf, des-sen Einsatz diese Hierarchie bildet, und der in antagonistischenWerturteilen seinen Ausdruck erhält, eingeschrieben ist.

Felder auf einem unteren Rang in der Wertehierarchie bietender Polemik der wissenschaftlichen Vernunft eine günstige Ge-legenheit, sich in aller Freiheit zu entfalten und durch Übertra-gung – auf der Grundlage der zwischen Feldern ungleicher Le-gitimität bestehenden Homologie – die fetischisierten sozialenMechanismen zu erfassen, die, unter Zensuren und hinter Mas-ken der Autorität verborgen, auch im abgeschirmten Univer-sum der hohen Legitimität funktionieren. So enthüllt der paro-distische Zug, der allen Akten des Kults anhaftet, sobald sie nichtmehr einen ihrer approbierten Gegenstände, wie die Vorsokra-tiker oder die Mallarmésche Dichtung, sondern einen in derherrschenden Hierarchie so niedrig rangierenden wie den Co-mic, feiern, die Wahrheit aller Produktionen der Gelehrtenkul-tur. Und der gleiche Desakralisierungseffekt, den die Wissen-

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schaft, um sich zu konstituieren, produzieren und, um sich mit-zuteilen, reproduzieren muss, lässt sich leichter erzielen, wennman sich dazu zwingt, das allzu renommierte und allzu vertrauteUniversum der Malerei oder der Literatur über den Umweg ei-ner Analyse der symbolischen Alchemie zu verstehen, durchdie die Welt der Haute Couture den Glauben an den unersetzli-chen Wert ihrer Produkte erzeugt.

Page 21: Pierre Bourdieu Interventionen 1961-2001

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»Euch habe (ich) zuvor gesagt und sagenoch zuvor, daß die solches tun [d.h. sün-digen], werden das Reich der Kritik nichtererben...«

(Illustration und Zitat aus: Die Lektüre von Marxoder einige kritische Anmerkungen zu »Einigekritische Bemerkungen zu Das Kapital lesen«,Actes de la recherche en sciences sociales, Nov.1975, Nr. 5/6, S. 65-79. Das Zitat stammt aus derDeutschen Ideologie, MEW 3, S. 87.)

Den hier vorgestellten Arbeiten ist ge-meinsam, dass sie über die Kritik hinaus-gehen, die normalerweise den Sozialwis-senschaften zugebilligt wird. Als Majes-tätsbeleidigung ist ihr Objekt die Philo-sophie, die herrschende Disziplin, die denWissenschaften traditionell ihre Grenzenzuweist, sie klassifiziert und einordnet,und in ihrer scheinbaren Freiheit ihrenBeitrag leistet, für Ordnung zu sorgen –

und nicht nur in der Wissenschaft. Man musste zu dem Schlusskommen: Die Philosophie, die von oben und von weitemherrschte, muss heute zum Überleben ihren eigenen Tod pro-klamieren und, indem sie sich in der Sozialwissenschaft auflöst,versuchen, diese zu zersetzen.

In einer Welt, in der die sozialen Positionen häufig mit »Na-men« gleichgesetzt werden, muss die wissenschaftliche Kritikmanchmal die Form einer Kritik »ad hominem« annehmen. WieMarx gelehrt hat, bezeichnet die Sozialwissenschaft »Personennur als Personifizierung« von Gattungspositionen oder -dispo-sitionen –, an denen auch derjenige teilhaben kann, der sie be-schreibt. Es geht ihr nicht um eine neue Form von Terrorismus,sondern darum, alle Formen des Terrorismus zu erschweren.

Absichtserklärung der Nummer 5/6, November 1975, Actes de la recher-che en sciences sociales.