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Aufklrung und Kritik 3/2014, Schwerpunkt Friedrich Jodl 140 Helmut Walther (Nrnberg) Praktischer Idealist versus bermensch Friedrich Jodls „Nietzsche-Problem“ Wien 1905: Der durch seine engagierten Aktivitten in der Volksbildung stadtbe- kannte Philosophieprofessor der Wiener Universitt, Friedrich Jodl, berreicht Gr- fin Gabi Rechberg seinen Separatdruck „Das Nietzsche-Problem“ und widmet ihr das Sonderexemplar auf dem Titelblatt „er- gebenst d. Verf.“ Das um sich greifende Interesse an den Ideen des fnf Jahre vor- her in geistiger Umnachtung verstorbenen Dichter-Denkers Friedrich Nietzsche hat- te Jodl wohl dazu bewogen, seinen Bei- trag aus der „sterreichischen Rund- schau“ Band III, Heft 28, als eigenstndi- gen Sonderdruck herauszugeben. Die Wichtigkeit des Textes fr Jodl mag auch daraus erhellen, dass dieser dann spter noch zweimal publiziert wurde. 1 1. Wien um die Jahrhundertwende Die Hauptstadt sterreichs war neben Berlin ein wichtiges deutschsprachiges kulturelles Zentrum – Ernst Mach (als Pro- fessor fr Philosophie direkter Kollege Jodls), Stefan Zweig, Egon Friedell (die beide bei Jodl promovierten), Karl Kraus, Artur Schnitzler, Sigmund Freud, Gustav Klimt, Gustav Mahler und Alban Berg, um nur einige zu nennen, leben und schaffen in der Stadt, in der dreijhrig Karl Popper seine ersten Eindrcke aufnimmt und zwei Jahre spter ein gewisser Adolf Hitler bei der Aufnahmeprfung der Akademie der bildenden Knste durchfllt. Und seit 1911 bis 1913, also noch zu Lebzeiten von Friedrich Jodl, verkehrt Lou Andreas- Salom in Wien mit Sigmund Freud im Kreis der dort soeben entstandenen Psy- choanalytiker-Gemeinde – jene Lou, die einst eng mit Friedrich Nietzsche befreun- det war und der er sogar einen Heiratsan- trag machte – und deren Buch ber Nietz- sche bereits 1894 erschienen war. Im April 1896 war Jodl aus seiner beengten Prager Professur auf den philosophischen Lehrstuhl nach Wien berufen worden – und damit in eine Stadt, in der Nietzsche schon seit 1877 ein Publikum gefunden hatte. So „hungert“ Siegfried Lipiner, der Dichter des „Entfesselten Prometheus“, nach Nietzsche, der sich in seiner Antwort gerade an „Jng- lingen dieser [jdischen] Herkunft“ „drin- gend“ interessiert zeigt. Am 15. Oktober 1878 gratulieren ihm die Wiener Verehrer um Lipiner schriftlich zum Geburtstag. 2 Wichtiger noch die Verbindungslinie zu Josef Paneth (1857-1890), seit 1886 Pri- vatdozent an der Wiener Universitt, der 1883/1884 in Nizza mit Nietzsche in per- snlichen Kontakt getreten, aber auch mit Sigmund Freud nher befreundet war; letz- terer verschleierte allerdings seine sicher- lich auch auf diesem Wege vertiefte Kennt- nis von Nietzsches Auffassungen. 3 Freud selbst wiederum hatte, als er noch gnz- lich unbekannt war, Jodl um Untersttzung im Hinblick auf Publikationen gebeten, und war im Jahr 1900 als Dozent an der Wie- ner Universitt und seit 1902 als Profes- sor fr Neuropathologie dessen Kollege. 4 Zwei hauptschlichen Gegenstrmungen sah sich Jodl bereits in seiner Prager Zeit und dann noch mehr in Wien ausgesetzt: Auf der einen Seite eine starke Tendenz zur christlichen Restauration, vor allem

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Aufkl�rung und Kritik 3/2014, Schwerpunkt Friedrich Jodl140

Helmut Walther (N�rnberg)Praktischer Idealist versus �bermensch

Friedrich Jodls „Nietzsche-Problem“

Wien 1905: Der durch seine engagiertenAktivit�ten in der Volksbildung stadtbe-kannte Philosophieprofessor der WienerUniversit�t, Friedrich Jodl, �berreicht Gr�-fin Gabi Rechberg seinen Separatdruck„Das Nietzsche-Problem“ und widmet ihrdas Sonderexemplar auf dem Titelblatt „er-gebenst d. Verf.“ Das um sich greifendeInteresse an den Ideen des f�nf Jahre vor-her in geistiger Umnachtung verstorbenenDichter-Denkers Friedrich Nietzsche hat-te Jodl wohl dazu bewogen, seinen Bei-trag aus der „�sterreichischen Rund-schau“ Band III, Heft 28, als eigenst�ndi-gen Sonderdruck herauszugeben. DieWichtigkeit des Textes f�r Jodl mag auchdaraus erhellen, dass dieser dann sp�ternoch zweimal publiziert wurde.1

1. Wien um die JahrhundertwendeDie Hauptstadt �sterreichs war nebenBerlin ein wichtiges deutschsprachigeskulturelles Zentrum – Ernst Mach (als Pro-fessor f�r Philosophie direkter KollegeJodls), Stefan Zweig, Egon Friedell (diebeide bei Jodl promovierten), Karl Kraus,Artur Schnitzler, Sigmund Freud, GustavKlimt, Gustav Mahler und Alban Berg, umnur einige zu nennen, leben und schaffenin der Stadt, in der dreij�hrig Karl Popperseine ersten Eindr�cke aufnimmt und zweiJahre sp�ter ein gewisser Adolf Hitler beider Aufnahmepr�fung der Akademie derbildenden K�nste durchf�llt. Und seit 1911bis 1913, also noch zu Lebzeiten vonFriedrich Jodl, verkehrt Lou Andreas-Salom� in Wien mit Sigmund Freud imKreis der dort soeben entstandenen Psy-

choanalytiker-Gemeinde – jene Lou, dieeinst eng mit Friedrich Nietzsche befreun-det war und der er sogar einen Heiratsan-trag machte – und deren Buch �ber Nietz-sche bereits 1894 erschienen war.Im April 1896 war Jodl aus seiner beengtenPrager Professur auf den philosophischenLehrstuhl nach Wien berufen worden – unddamit in eine Stadt, in der Nietzsche schonseit 1877 ein Publikum gefunden hatte. So„hungert“ Siegfried Lipiner, der Dichter des„Entfesselten Prometheus“, nach Nietzsche,der sich in seiner Antwort gerade an „J�ng-lingen dieser [j�dischen] Herkunft“ „drin-gend“ interessiert zeigt. Am 15. Oktober1878 gratulieren ihm die Wiener Verehrerum Lipiner schriftlich zum Geburtstag.2

Wichtiger noch die Verbindungslinie zuJosef Paneth (1857-1890), seit 1886 Pri-vatdozent an der Wiener Universit�t, der1883/1884 in Nizza mit Nietzsche in per-s�nlichen Kontakt getreten, aber auch mitSigmund Freud n�her befreundet war; letz-terer verschleierte allerdings seine sicher-lich auch auf diesem Wege vertiefte Kennt-nis von Nietzsches Auffassungen.3 Freudselbst wiederum hatte, als er noch g�nz-lich unbekannt war, Jodl um Unterst�tzungim Hinblick auf Publikationen gebeten, undwar im Jahr 1900 als Dozent an der Wie-ner Universit�t und seit 1902 als Profes-sor f�r Neuropathologie dessen Kollege.4

Zwei haupts�chlichen Gegenstr�mungensah sich Jodl bereits in seiner Prager Zeitund dann noch mehr in Wien ausgesetzt:Auf der einen Seite eine starke Tendenzzur christlichen Restauration, vor allem

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auch in Wien h�ufig mit heftigem Antise-mitismus verbunden, auf der anderen Seitedas Erstarken der sozialistischen Bewe-gung (Lasalle, Bebel). Jodl selbst hatte sicheng mit der ethischen Bewegung verbun-den und machte aus seiner atheistisch-monistischen Grundanschauung, die sichvor allem auf Ludwig Feuerbach r�ck-bezog, keinerlei Hehl, weshalb es auch ihmselbst als kleines Wunder erschien, dasser dann doch, wenn auch sp�t, von Pragnach Wien berufen worden war. WilhelmBolin gegen�ber, mit dem er seit 1889 inengem und regen Briefverkehr stand, undmit dem er sich auch auf dessen j�hrli-chen Reisen nach Mitteleuropa pers�nlichtraf, hatte er noch die Bef�rchtung ge�u-�ert, dass er sich wohl im ungeliebten Pragein Grab kaufen m�sse.Zeitweise engagierte sich Jodl in Wien garpolitisch und trat gegen den christlichenAntisemitismus Karl Luegers (B�rgermeis-ter in Wien von 1897 bis 1910) auf, aller-dings ohne Erfolg: „Die Hochflut des An-tisemitismus, oder genauer christlichen So-zialismus, reisst alles mit fort: selbst dieSozialdemokratie hat sich ... als wider-standsunf�hig erwiesen.“5

Welch m�gliche positive Erwartungen mandamals bez�glich Nietzsches Philosophiehegte, bringt Jodls Kollege in Marburg/Drau, Bartholom�us von Carneri, mit demer seit 1891 in Kontakt stand, in einemBrief Anfang 1896 an Jodl zum Ausdruck:„Der Zeitpunkt ist ein kritischer, dennSchopenhauer kann man bereits als durchNietzsche abgel�st betrachten, der immerlebhafter dem gro�en Publikum in’s Blutgeht. Da� die landl�ufige Moral einer Re-form entgegengeht, kann ich nicht mehrbezweifeln und vielleicht kommt von die-ser Seite die Rettung vor der sozialisti-schen Uniformierung.“6

Eine Besch�ftigung Jodls mit NietzschesSchriften l�sst sich sp�testens seit 1893nachweisen.7 So irritiert wie fasziniert bie-ten ihm „die Irrg�nge von Nietzsches Ge-dankenlabyrinth einen fast unersch�pfli-chen Genu�, den ich selbst oft und oftempfunden habe; am meisten zu den Zei-ten, als es noch keine B�cher �ber Nietz-sche gab, als man mit ihm noch allein seinkonnte.“8 Seit 1897 tauscht er sich diesbe-z�glich mit Bolin aus: „Auch mit Nietzschehabe ich mich ziemlich eingehend besch�f-tigt, weil sich die Notwendigkeit heraus-gestellt hat, in der historischen Einleitungzu einer Vorlesung �ber Ethik, den jungenLeuten, die alle mehr oder weniger vonihm erf�llt sind, einen Standpunkt zur Beur-teilung zu geben. Riehls trefflicher Essay, indessen Beurteilung ich mit ihm v�llig �ber-einstimme, ja den ich f�r das erste ver-st�ndige Wort halte, was �ber Nietzschegesagt worden ist, war mir dabei unge-mein wertvoll.“9 Um diese Zeit d�rfen wirmithin die ausf�hrliche Besch�ftigung Jodlsmit Nietzsche ansetzen, die schlie�lich indie eingangs genannte Publikation m�n-det, die er Wilhelm Bolin gegen�ber imFebruar 1905 bereits ank�ndigt: „in denimmer dichter werdenden Nietzsche-Nebelwill ich mit einem Vortrage hineinleuch-ten“.10 Am 19. Juli 1905 sandte er diesemsodann den Sonderdruck zu.Schlie�lich lie� er sich sogar durch Riehl dazubestimmen, Nietzsche (neben anderen) beider Neuauflage seines zweiten Bandes derGeschichte der Ethik mit aufzunehmen(die erste Auflage hatte f�r Deutschlandnoch mit Feuerbach abgeschlossen), wieer wiederum Bolin mitteilt: „Riehl meint..., es sollte, wenn schon keine vollst�n-dige Darstellung der Geschichte der Ethikin der 2. H�lfte des 19. Jahrhunderts ge-geben werden kann, wenigstens die volun-

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tionistische Ethik, mit Nietzsche als Ab-schluss, Aufnahme finden. Kann mich mitdiesem Gedanken nicht recht befreunden.F�rchte damit das wohlabgewogene Gleich-gewicht dieses Bandes zu st�ren, zumalda ich mich doch unm�glich als Anh�n-ger Nietzsches bekennen kann und denBand nicht gerne mit einem kritischen Miss-klang schliessen m�chte.“11

Ungeachtet dieser Bedenken hat er dannin die Neuausgabe das Kapitel „Nietzscheund Hartmann“12 einger�ckt, die zweitewichtige Quelle im Hinblick auf Jodls Stel-lung zu Nietzsche.

2. Biographische Parallelen und Un-terschiedeDoch bevor wir uns diesen konkreten Aus-sagen Jodls zu Nietzsche zuwenden, las-sen Sie uns zun�chst erst noch kurz aufden Werdegang und die Vorlieben beiderPhilosophen eingehen, denn hier gibt eseinerseits wichtige Unterschiede, anderer-seits aber vor allem auch �berraschende�bereinstimmungen. Und es l�sst sich ver-muten, dass jene Unterschiede im Werde-gang zumindest teilweise auch f�r die er-heblichen Differenzen zwischen beiderDenken trotz so mancher paralleler Veran-lagungen und Vorlieben verantwortlich seink�nnten.Der Lebenslauf Friedrich Nietzsches istsicherlich einer der bestdokumentierten welt-weit, aber auch �ber Jodls Leben sind wirdank der Biographie seiner Gattin, die auchmehrere wichtige Briefwechsel herausgebenlie�, bestens orientiert – n�here Angabendazu finden sich im Literaturverzeichnis.

ElternhausBereits an diesem ersten Punkt lassen sichwohl die krassesten Gegens�tze ausmachen– und ich neige sehr dazu, genau diese

auch f�r die unterschiedliche Pers�nlich-keits- und Denkentwicklung dieser dochfast zeitgleich aufwachsenden Individuenverantwortlich zu machen: Nietzsche wirdam 15.10.1844, Jodl am 23.08.1849 ge-boren – der eine im winzigen Dorf R�ckenals Sohn eines pietistischen Pfarrers undeiner tiefgl�ubigen Pfarrerstochter, der an-dere in der bayerischen Hauptstadt M�n-chen „als Erster von acht einander raschfolgenden Geschwistern“, dessen Elternund Gro�eltern „zu den besten Alt-M�nch-ner B�rger- und Beamtenkreisen“ z�hlen.Ist der eine Friedrich durchaus erschrecken-den Umst�nden ausgesetzt (ein mit derRute bereits in fr�hester Kindheit zuschla-gender Vater, der bald darauf nach lang-w�hrender grauenhafter Leidenszeit stirbt;Umzug in dunkle Hinterzimmer in Naum-burg in einen bigotten reinen Frauenhaus-halt)13 – all dies d�rfte bereits den Kna-ben in Dressurverhalten und Reflexion ge-trieben haben –, so genie�t der andere einegl�ckliche Kindheit (teilweise in Bayreuth!– das beide Friedrichs dann sp�ter wie-dersehen werden), die vor allem von derlebenst�chtigen Mutter („Voll regen Natur-sinns und feiner musikalischer Begabung“)gepr�gt wurde und wo die Kinder „in ei-ner guten, reinen Atmosph�re aufwachsen,[sich] vor allem untereinander erziehen unddurch gutes Beispiel erzogen werden.“14

Schule und StudiumBeste schulische F�rderung erfahren bei-de Kinder, die sich schon fr�h als hoch-begabt zeigen; beide lesen extensiv, schrei-ben bereits fr�h eigene kleine St�cke undGedichte sowie R�ckblicke auf Erlebtes.15

Das Sammeln der Elaborate �bernehmenim Falle Nietzsches Schwester und Mut-ter, der junge Jodl zeigt dabei fr�h selbsteinen organisatorischen Ordnungssinn,

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was sp�ter seiner umfassenden literarischenMaterialsammlung zugute kommen wird.Beide erweisen sich fr�h als F�hrungsfigu-ren, die Mittelpunkt von jugendlichen Ver-einigungen sind: Nietzsche gibt zun�chstin der „Germania“ mit seinen NaumburgerFreunden den Ton an, sodann an der Uni-versit�t in Leipzig als Vordenker des phi-lologischen Vereins; Jodl leitet als „Direk-tor, Regisseur und Deklamator“16 die Ak-tivit�ten der Jugendfreunde, sp�ter �ber-nimmt er an der Universit�t M�nchen denVorsitz des von ihm mitgegr�ndeten philo-sophischen Vereins.17 Nietzsche ist zeitwei-se Primus seiner Klasse in Schulpforta, Jodldurchgehend; Nietzsche vernachl�ssigt F�-cher, die ihn nicht interessieren, und somuss er zum Bestehen des Abiturs seineungen�genden mathematischen Leistungenmit seinen sprachlichen ausgleichen, dergr�ndlichere und systematischere Jodl hin-gegen beendet seine Gymnasialzeit insge-samt mit der „Note I“ und dem „Pr�dikat‚Ausgezeichnet‘“,18

Bei Studienaufnahme spielt die Herkunfts-problematik eine gro�e Rolle ebenso wieim Verlauf des Studiums selbst: Muss Nietz-sche zun�chst in Bonn auf Druck der Fami-lie und wohl auch unter selbstauferlegtem„Pflichtgef�hl“ mit der Theologie beginnen,um dann schlie�lich doch ganz zur Philo-logie (die damals als „Leitwissenschaft“einen wesentlich bedeutenderen Stellen-wert und Umfang hatte als heute) und andie Universit�t Leipzig �berzugehen, kannsich Jodl – seinen breiten Interessen ent-sprechend – an der Universit�t in M�n-chen Vorlesungen in Kunst, Literatur, Ge-schichte und Philosophie widmen.Der Natur, vor allem auch Gebirgsland-schaften, sind beide tief und von fr�hes-ter Jugend an lebenslang verbunden, undgeben dem auch schriftlich beredten Aus-

druck; lange Spazierg�nge sind ihnen Le-bens- und Schaffenselexier. Metaphernaus Flur, Wald und Gebirge durchziehenbeider Schriften, bei Nietzsche etwa ausdem Silser Refugium in seinem Zarathus-tra, und Jodl mietet sich schon seit seinerPrager Zeit wie auch dann in Wien jeweilsf�r die sommerliche Erholung langj�hrigl�ndliche Wohnsitze, zuletzt in Bad Aus-see. Reisen die Jodls schon viel, sowohlzu Studienzwecken, f�r die ethische Be-wegung wie auch der k�nstlerischen An-schauung wegen, so bezeichnet sich Nietz-sche selbst auf Grund seiner gesundheits-bedingten Unrast als „fugitivus errans“19,immer auf der Suche nach g�nstigen Be-dingungen f�r sein Befinden. Unter sol-chen Umst�nden entbehren auch seine ver-schiedenen Anlaufversuche in den Eheha-fen nicht der Peinlichkeit und Komik, seinVerh�ltnis zum weiblichen Geschlecht ist– sicher bereits erziehungsbedingt (s.o.)und auf Grund der langen rein m�nnlichenUmgebung im Internat bis ins 20. Lebens-jahr – ebenso problematisch wie seine�u�erungen im Werk dazu. Ganz andersFriedrich Jodl, dessen auch insoweit ganznormales Aufwachsen schlie�lich in einelebenslang gl�ckliche Ehe mit seiner FrauMargarete m�ndet, die allerdings kinder-los bleibt.20

Beide kommen im Studium – nachdemsie sich nach kurzem Eintauchen von dem„�blichen“ studentischen Treiben abgewandthatten21 – schnell voran und werden vonihren Professoren gef�rdert; beider Preis-schriften: Nietzsche �ber Diogenes Laer-tius, Jodl �ber David Hume22, werden vonder jeweiligen Fakult�t gekr�nt. Beide leis-ten – trotz des Altersunterschiedes – ihreMilit�rdienstzeit eher grimmig als begeis-tert fast gleichzeitig ab (seit Oktober 1867

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bzw. M�rz 1868),23 halten diese Zeit danninsgesamt f�r durchaus wichtig und wert-voll f�r die eigene Entwicklung. EndetNietzsches Dienstzeit durch einen Reit-unfall, l�sst sich Jodl auf Grund seinerKurzsichtigkeit vom Milit�rdienst befrei-en.24 Im Krieg 1870/71 eilen beide danntrotzdem zu den Fahnen, Nietzsche holtsich als staatenloser Sanit�ter auf demSchlachtfeld die Ruhr, Jodl meldet sichfreiwillig zum Dienst in einer M�nchnerSanit�tseinheit. Vielleicht ein kleiner Fin-gerzeig f�r die Temperaments- und Refle-xionsunterschiede zwischen beiden ... –jedenfalls freuen sich zwar beide an derendlich erreichten deutschen Einheit, war-nen aber im selben Moment vor den dar-aus m�glicherweise erwachsenden (unddann ja auch eingetretenen) restaurativenFolgen samt �bergro�em und kulturwidri-gem preu�ischen Einfluss.25

Sowohl Nietzsche als auch Jodl standenschon fr�h und im gleichen Alter auf demLehrkatheder: Nietzsche, dem Promotionund Habilitation quasi „geschenkt“ wor-den waren, seit 1869 in Basel als Profes-sor der Philologe und Gymnasiallehrer,Jodl seit 1873 als Dozent f�r Universalge-schichte an der bayerischen Kriegsaka-demie.26 Die Habilitation des letzteren (miteinem ethischen Thema, das den Grund-stock zu seiner Geschichte der Ethik bil-dete) sollte sich bis 1880 hinziehen,27 daihm – der, �hnlich wie Nietzsche am Be-ginn seiner Baseler Zeit, in M�nchen �f-fentliche (und offenherzige) kulturphilo-sophische Vortragszyklen hielt – immerwieder Steine in den Weg gelegt wurden.

MusikBesonders �berraschend ist die hohe Affi-nit�t beider Philosophen zur Musik –Nietzsches Satz, das Leben sei ohne Mu-

sik ein Irrtum28, ist ja weithn bekannt; aberauch f�r Jodl gilt: „In enger Verbindungmit dem H�ren von Musik stand f�r Jodlaber auch das eigene Musizieren. Das Ge-f�hl selbstt�tiger Kraft, eines freien Nach-schaffens des Sch�nen war ihm beson-ders begl�ckend und unentbehrlich unddarum nahm die Musik nicht nur in derGeselligkeit, die er pflegte, eine sehr her-vorragende Stelle ein ..., sondern siewar ihm n�tig zur inneren Befreiung undReinigung.“29

So genossen denn beide schon in fr�herJugend Klavierunterricht, wobei sie beidesich nicht nur die F�higkeit freier Impro-visation30 erwarben und mit den jeweili-gen Freunden vierh�ndig spielten, sondernauch bei Besuchen in gutb�rgerlichen H�u-sern Eindruck machen konnten. FriedrichJodl lernte �ber die Klavierbegleitung sei-ner k�nftigen Schwiegermutter gar seineFrau Margarete Jodl kennen, die dar�berin ihrem Buch ausf�hrlich berichtet.31

Fr�h kamen beide Jugendliche so auch mitWagners Musik und vor allem dem Kla-vierauszug des 1865 in M�nchen urauf-gef�hrten Tristan in Kontakt;32 das Jahr1868 brachte beide dann Wagner nochn�her – Nietzsche lernte Wagner in Leip-zig h�chstpers�nlich kennen (woraus sichdann die enge Verbindung in Tribschenergab), Jodl erlebte in M�nchen die Ur-auff�hrung der Meistersinger (Nietzschewenig sp�ter die Dresdner Erstauff�h-rung). Sosehr beeindruckte Jodl dieseOper „,als das Werk des echten Genius‘,da� sie ihn zu einer Auseinandersetzungmit Wagners Kunst begeisterte – sein ers-ter Versuch, sich mit einer schriftstelleri-schen Arbeit an die �ffentlichkeit (Augs-burger Abendzeitung) zu wenden.“33 Eineausf�hrliche Auseinandersetzung Jodls mitdiesem Werk gibt die Biographie seiner

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Frau im Anhang wieder. Hochgestimmtschreibt er:

„Was wir aber vorzugsweise zu bewundern ha-ben, das ist au�er der k�nstlerischen Selbstbe-herrschung und dem tiefen Verst�ndnis f�r denCharakter der Tonformen dramatischer Schreib-art, die geniale Leichtigkeit, mit welcher Wagner�ber alle Regeln, selbstgeschaffene, wie herge-brachte, sich hinwegsetzt und nur auf den komi-schen Effekt hinarbeitet, in gleicher Weise derKomik der Situation wie dem Witze des Wortessich anschmiegend. Kann man sagen, da� Wag-ner in Tannh�user und Lohengrin und einigen Stel-len der Meistersinger eine neue Sprache f�r diemusikalische Trag�die, dem Ernst und der W�r-de des Dramas, dem Gef�hlsausdruck wie derReflexion, in gleicher Weise sich anpassend, ge-funden – so wird mit gleichem Recht behauptetwerden d�rfen, da� in der Musik, wie sie dengr��ten Teil der Meistersinger ausf�llt, er dieSprache f�r die musikalische Kom�die gefun-den habe.“34

In M�nchen h�tten sich 1872 beide Fried-richs gleich zweimal �ber den Weg laufenk�nnen: Nietzsche reiste aus Basel zu zweiTristan-Auff�hrungen vom 27.-30.6.1872an: „Ach, mein lieber Freund!“, schreibter an Rohde, „Vom ›Tristan‹ ist nicht zusprechen!“ „Ich m�chte, Du h�rtest denTristan – er ist das Ungeheuerste, Reinsteund Unerwartetste, was ich kenne. Manschwimmt in Erhabenheit und Gl�ck.“Und zur 400-Jahr-Feier der M�nchnerHochschule im August, zu welcher Teilnah-me er gar von seiner Universit�t Basel ab-geordnet werden sollte, wurden weitereWagner-Auff�hrungen angek�ndigt: Lohen-grin, Holl�nder, Tristan. Jodl nahm andiesen Feierlichkeiten nach seiner erfolg-reichen Promotion (Dez. 1871) teil, seineGattin berichtet ausf�hrlich dar�ber.35

Nietzsche aber warf seine Reisepl�ne �berden Haufen – und blieb in Basel.36 WieJanz zurecht feststellt, ist es das erste Mal

�berhaupt, dass sich Nietzsche dem WerkWagners entzieht, dessen „gef�hrlicheFaszination“ er sp�ter so beredt in seinenSp�tschriften beschreiben wird.Genau diese Ambivalenz zu WagnersWerk l�sst sich aber auch bei Jodl beob-achten. Seine Frau schildert diese so:

Das musikalische Glaubensbekenntnis Jodlsmacht die merkw�rdigsten Wandlungen durch.Von der strengsten Klassizit�t zur Verehrung Ri-chard Wagners und von dieser wieder zur�ck zuden alten Meistern und zu dem Satz, „da� dasSch�ne das Einfache sei“. Inzwischen erschienBrahms mit seiner ersten Symphonie in C-moll –als Heros k�nftiger Gestaltung der Musik gefei-ert und von E. Hanslick als derjenige bezeich-net, der am unmittelbarsten an Beethoven, undzwar an den Beethoven der dritten Periode, an-gekn�pft habe. „Je richtiger dieser Satz w�re,“schreibt Jodl, „um so mehr m��te er meiner An-sicht nach Brahms richten. An Beethovens drittePeriode ankn�pfen, hei�t in der Musik ungef�hrso viel, als wenn man von einem Dichter sagenwollte, er kn�pfe an den zweiten Teil des Faustan und in solcher Poesie dann die Neugeburtdeutscher Dichtung erwartete. In beiden F�llenk�nnen wir Epigonen wohl begreifen, wie Beet-hoven oder Goethe dazu kommen konnten, sozu schreiben; aber ein der Nachahmung f�higerStil ist es bei beiden nicht ... Ich mu� gestehen,da� mich von aller Musik, die ich kenne, wenigErzeugnisse so durchaus k�hl gelassen haben wiedie Brahmsschen Kompositionen. Wagner for-dert wenigstens zum energischen Widerspruchheraus. Da prickelt und zuckt es an einem unddie Nerven beben; bei Brahms hat man immerdas Gef�hl, ... da� jeder Takt und jede Note amrichtigen Fleck und der Komponist bereit sei, demAnalytiker �ber alles auf Befragen genaue Re-chenschaft zu geben; aber diese Musik sagt ei-nem nichts: die Themen sind Schemen, blo�eAbstractionen musikalischer Vernunft ohne na-t�rliches Verh�ltnis zum Gem�te.... Das ganze Auf und Nieder jener musikalischst�rmischen Zeit wogt in Jodl. In einem Briefedankt er Amira, da� er ihn von der Wagnerei„erl�st“ habe und in einem n�chsten bekennt erihm schon, da� er auf dem besten Wege sei, wie-

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derum Wagnerianer zu werden. „Eine Anzahl hie-siger Wagnerapostel erhofft mit heiliger Sieges-gewi�heit von der Auff�hrung der Trilogie meinev�llige Bekehrung mittels Ausgie�ung des Geis-tes ... Der Same innigen Verst�ndnisses aber f�rdie klassische Musik wird davon nicht verweht,auch wenn die n�tige Weiterbildung und Anpas-sung des Ohres im Kampfe mit der modernenMusik erfolgt sein wird, und sich mein musikali-sches Pantheon die Aufnahme eines neuen Got-tes wird gefallen lassen m�ssen.“Die Auff�hrung der G�tterd�mmerung wirkte tat-s�chlich �berw�ltigend auf ihn ein. „Ich erinneremich keines �hnlichen Eindruckes, seit ich als ganzjunger Mensch zum ersten Male Lohengrin undTannh�user h�rte, ja ich h�tte es kaum f�r m�g-lich gehalten, von einer Oper so m�chtig erregtzu werden.“ (An Amira 1877/78.)Die eigenen g�renden Seelenzust�nde und die lei-denschaftliche Bewegung und Spannung seinesInnern machten Jodl dieser Musik „mit ihrem ra-schen Wechsel der Stimmung und Empfindung,ihrer hei�atmigen Leidenschaftlichkeit und ihrerzerrissenen Formlosigkeit, in die sich so viel vomEigenen hineinphantasieren l��t“, jetzt besonderszug�nglich; w�hrend er in sp�teren, ruhig abge-kl�rten Zeiten wieder ganz anders zu Wagnersteht und 1880 schreiben konnte:„Ich habe jetzt �fter geradezu einen Widerwillengegen diese Musik empfunden.“37

Auff�llig ist hier auch die zwischen Jodl undNietzsche recht �bereinstimmende Stel-lung zur Musik von Johannes Brahms, denbeide recht geringsch�tzig beurteilen. WennNietzsche in der bekannten BayreutherEpisode (August 1874) Wagner Brahms‘Triumphlied auf den Fl�gel legte, und die-sen damit erheblich ver�rgerte,38 dr�cktsich darin ja weniger eine Hochsch�tzungvon Brahms durch Nietzsche aus, als viel-mehr ein Test f�r Wagner, den dieser nichtbestand. �hnlich wie er sp�ter Bizets Car-men aufwertend mit der Wagnerschen Mu-sik kontrastiert,39 um letztere abzuwerten,benutzt er auch hier schon die BrahmsscheKomposition, um sich seiner kritischen Ge-danken Wagner gegen�ber zu versichern,

die denn bereits in seiner 4. Unzeitgem�-�en Betrachtung Richard Wagner in Bay-reuth hervorspitzen (und mit der er nacheigenen Worten in Wirklichkeit von sichselbst gesprochen haben will40).Diese Vertauschungsm�glichkeit zwischenWagner und Nietzsche, die ja vor allemauch ihre innere Verwandtschaft aufzeigt,m�chte ich an einer weiteren SchilderungNietzsches aufzeigen, wenn er sich �berdie Problematik der Wagnerschen Musikin einem Brief ausl�sst:

„Dieses Beseelen, Beleben der kleinsten Rede-theile der Musik (– ich m�chte, Sie ... wende-ten die Worte an, die jeder aus der Rhetorikkennt: Periode (Satz), Kolon, Komma, je nachder Gr��e, insgleichen Fragesatz, Konditional-satz, Imperativ – denn die Phrasierungslehre istschlechterdings das, was f�r Prosa und Poesiedie Interpunktionslehre ist), – also: wir betrach-teten diese Beseelung und Belebung der klein-sten Teile, wie sie in der Musik zur PraxisWag-ners geh�rt und von da aus zu einem fast herr-schenden Vortrags-System (selbst f�r Schauspie-ler und S�nger) geworden, mit verwandten Er-scheinungen in anderen K�nsten: es ist ein typi-sches Verfalls-Symptom, ein Beweis daf�r, da�sich das Leben aus dem Ganzen zur�ckgezo-gen hat und im Kleinsten luxurirt. Die ‚Phra-sierung‘ w�re demnach die Symptomatik einesNiedergangs der organisierenden Kraft: andersausgedr�ckt: der Unf�higkeit, gro�e Verh�ltnis-se noch rhythmisch zu �berspannen – eineEntartungsform des Rhythmischen ... [...] In demMa�e, in dem sich das Auge f�r die rhythmi-sche Einzelform (‚Phrase‘) einstellt, wird esmyops f�r die weiten, langen, gro�en Formen:genau wie in der Architektur des Berninismus.Eine Ver�nderung der Optik des Musikers – dieist �berall am Werke: nicht nur in der rhythmi-schen �berlebendigkeit des Kleinsten, unsereGenu�f�higkeit begrenzt sich immer mehr aufdie delikaten kleinen sublimen Dinge ... folg-lich macht man nur auch noch solche – –“41

Wenn wir im Folgenden auf den EindruckJodls von Nietzsches Schriftstellerei zu spre-chen kommen werden, wird schnell klar,

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dass sich genau diese Worte Nietzschesauf ihn selbst und seinen schriftstellerischenStil fast 1:1 anwenden lassen.

Bleibt noch der Parsifal, denn auch hiersind sich zuletzt beide Philosophen wie-der einig:Nietzsche hatte sich �ber diesen bereits1878 in Sorrent mit Wagner endg�ltig zer-stritten, und noch in seiner letzten SchriftNietzsche contra Wagner verurteilt er dasWerk trotz der Anerkennung der musika-lischen Meisterschaft Wagners, die er nochund gerade auch in diesem Werk wieder-findet, das daher besonders gef�hrlich sei:

„Man erinnere sich, wie begeistert seiner ZeitWagner in den Fusstapfen des PhilosophenFeuerbach gegangen ist.42 Feuerbach‘s Wortvon der „gesunden Sinnlichkeit“ – das klang inden dreissiger und vierziger Jahren Wagnern gleichvielen Deutschen – sie nannten sich die jungenDeutschen – wie das Wort der Erl�sung. Hat erschliesslich dar�ber umgelernt? Da es zum Min-desten scheint, dass er zuletzt den Willen hatte,dar�ber umzulehren? ... Ist der Hass auf dasLeben bei ihm Herr geworden, wie bei Flaubert?... Denn der Parsifal ist ein Werk der T�cke, derRachsucht, der heimlichen Giftmischerei gegendie Voraussetzungen des Lebens, ein schlechtesWerk. – Die Predigt der Keuschheit bleibt eineAufreizung zur Widernatur: ich verachte Jeder-mann, der den Parsifal nicht als Attentat auf dieSittlichkeit empfindet. –“43

Ganz zuletzt gedenkt Nietzsche hier ne-benbei mit Feuerbach desjenigen Philo-sophen, von dem er einst in seiner Jugendselbst ausgegangen war – wir werden gleichnoch darauf kommen –, und der einer derLeitsterne von Jodl war und blieb. Undso findet auch letzterer zu genau gleicherZeit im Jahre 1886 bzw. 1888 harte Wortef�r dieses letzte Werk Wagners:

„... Vom Parsifal kann man doch nur sagen: ‘s istrein zum Katholisch-Werden! Eine beredtere ge-waltigere Apologie des katholischen Kultus ist

noch nie geschrieben worden. In Deutschlandwenigstens nicht. Vielleicht wird man bei uns in50 Jahren von diesem Werke sagen, was manvon Chateaubriand’s ,G�nie du Christianisme‘ zusagen pflegt, es habe Frankreich nach der Re-volution wieder katholisch gemacht. Man stauntvor dieser Macht der k�nstlerischen Phantasiebei einem Manne, der selber nicht Katholik ge-wesen und es versteht alle �u�eren Mittel diesesGlaubens in einem Brennpunkt zu sammeln. Injedem, der Katholik war, mu� das Werk Seitenzum T�nen bringen, die er vielleicht l�ngst ver-stummt glaubte; und jeden phantasiebegabtenMenschen, der es nicht war, l��t es in eine Weltvoll mystisch religi�ser Glut hineinsehen, zu wel-cher er im Leben den Zugang nur zu leicht findet.Nicht Alle haben den Verstand ihr Leben frei zuhalten von der bestrickenden Macht einer �s-thetischen Erregung, die nur Spiel sein kann, nurSpiel sein darf.Dann die neunte Symphonie, die einen auch anallen Fibern des Herzens zerrt, und das Tiefsteaufw�hlt. Wunderlicher Gegensatz zwischen denbeiden Meistern und Werken: gibt viel zu den-ken! Beethoven der geborene Katholik ringt sichlos, in furchtbaren Herzensk�mpfen. Zwei Mes-sen; die eine noch gl�ubig kirchlich; in der gro-�en Missa solemnis in D aber steht der Menschder Gottheit schon Macht gegen Macht gegen-�ber: die Kirchenform ist zerbrochen. Das ist dieAufkl�rung. Aber noch wird der Versuch ge-macht, den neuen Geist mit dem alten Buchstabzu vereinen: Kyrie eleyson, Gloria in excelsis,Benedictus qui venit – die Worte h�r‘ ich wohl,allein mir fehlt der Glaube. Endlich geht es nichtl�nger; das furchtbare, markersch�tterndeMiserere des Agnus Dei in der Missa solemnisist wirkungslos verhallt: keine Hand greift aus denWolken, der Mensch steht ganz allein auf sich ,umdr�ut von Zweifel und Finsternis das ist derAnfang der neunten Symphonie; nun und dasWeitere magst Du selbst in der geistreichenWagner‘schen Paraphrase die Du kennst, nach-lesen. Die Br�cke aber von jenem Anfang zumLied an die Freude nach meinem Gedankengangkannst Du Dir selber bauen. Du wei�t es ja, dieMenschheit mu� sich selber helfen – es hilft ihrkein Gott – und sie kann es!Das ist mir heute klar geworden: das Ringen desBeethoven’schen Geistes ist typisch f�r den Auf-

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bau unserer Lichtwelt: dieser unbegreifliche, nachau�en so r�tselhaft abgeschlossene, knorrigeMensch, hat wie Goethe die gr��ten Gedankender kommenden Zeit in sich erlebt und er stelltdiese ganze Geisteswelt sozusagen von innen ge-sehen dar; nicht in Worten und Gedanken, son-dern in T�nen dar. Aber je mehr ich mich in die-se Helligkeit, ja la� mich das Wort aussprechen,rationalistische Klarheit des Beethoven‘schenGeistes versenke, umso greller f�hle ich denKontrast gegen Wagner, der Alles in sich verei-nigt was unser Jahrhundert an hemmendenSchw�chen aufzuweisen hat. Hier hausen imD�mmerschein alle b�sen Geister: Romantik undMystik, h�chstes Pathos der Leidenschaft undtr�ber Pessimismus: ausgelassene Sinnenlust undein marterndes Erl�sungsbed�rfni�, hier verr�-cken sich die klaren Grenzen von Jenseit undDiesseit: und diese Zukunftsmusik des Prote-stanten und Freimaurers ist in Wahrheit die Re-aktion, in den glei�enden Farben des Fort-schritts, die Urs�nde des 19. Jahrhunderts, sei-ne geistige Tr�gheit und Genu�sucht zum k�nst-lerischen Prinzip erhoben. Ist das wirklich dieZukunft? Mir graut vor ihr. Ich k�nnte Wagnerhassen, grade wegen seiner k�nstlerischen Gr�-�e, wie man die S�nde ha�t, die man mit demDenken verabscheut und mit der man sich dochim Herzen Eins wei� – wenn ich mir nicht wiedersagte: er ist der K�nstler, der bewunderungsw�r-dige Spiegel durch den wir in die tiefsten Her-zensfalten unserer Zeit hineinsehen: und alle Kunstist nur ein Gleichni�. Aber weh denen, die dawollen, da� wir den K�nstler in ihm vergessensollen und den Propheten verehren.“44

„... Die Wagner‘sche Kunst ist ja sicher nicht derabsolute musikalische Stil, wie ihre verstiegenenApostel verk�ndigen, aber da� sie Stil und zwargro�en Stil besitzt, wird man angesichts des im-posanten k�nstlerischen Eindrucks, den man inBayreuth empf�ngt, nicht mehr leugnen k�nnen.Der Zauber, mit welchem man an Ort und Stelledurch musikalische und scenische Kunst umfan-gen wird, ist so gro�, da� man keine Zeit �brigbeh�lt, um auf das grob-materialistische und mit-telalterliche katholische Blendwerk zu reflektie-ren, mit welchem der Erl�sungs-Gedanke um-geben wird. Will man sich die Freude an demKunstwerke nicht verg�llen lassen, so kann man

sich die Sache mit H�lfe der Trilogie und Scho-penhauer’s ohne M�he zurechtlegen, der ja, wieich n�chstens einmal zu zeigen hoffe, durchausdie philosophischen Leitmotive f�r Wagner ab-gegeben hat. Da� freilich der Kunst unsererTage eine derartige Wiederbelebung religi�serStoffe gelingt, ist eine Erscheinung, die mir imZusammenhang mit mancher anderen viel zu den-ken gegeben hat. ‚Ist es ein Nachklang‘ einerfr�heren Zeit; ‚soll es ein Vorspiel neuer Liebesein?‘ Manchmal kommt es mir so vor, als seiunsere Zeit, oder wenigstens die Kreise, auf dieunser Einer zu wirken hofft, es gr�ndlich m�desich in diesen Dingen Vernunft predigen zu las-sen; als sei sie im Begriffe mit einem wahrenHei�hunger sich auf das verschm�hte Manna vonehemals zu st�rzen.“45

Zuletzt: Abgesehen von der ambivalentenFaszination an der Wagnerschen Musikeignet beiden Denkern ein eher konserva-tiver Musikgeschmack, Bach, Mozart undBeethoven leuchten hervor. Dazu sch�tztNietzsche die Musik seines „Maestro PeterGast“ (Heinrich K�selitz), dessen Kom-positionen er zu Auff�hrungen verhilft,und er verf�llt zuletzt dem „Zauber“ derOperette – Jodl wiederum kann sich mitder Musik von Richard Strauss nicht an-freunden, auch von Gustav Mahler h�rtman bei ihm nichts. Wenn allerdings Nietz-sche diese „modernen“ Komponisten nochh�tte h�ren k�nnen: Richard Strauss, derdie verschiedenen Stimmungen des Bu-ches mit seiner symphonischen DichtungAlso sprach Zarathustra (uraufgef�hrt inFrankfurt/M. 1896) wiederzugeben sucht,oder Mahlers 1902 uraufgef�hrte 2. Sym-phonie, in deren 4. Satz Nietzsches Nacht-wandler-Lied aus dem 4. Teil des Zara-thustra „Oh Mensch! Gieb Acht!“46 dieTextgrundlage abgibt – die Musik h�tte inbeiden F�llen Nietzsche wohl nicht gefal-len, aber diese Wirkung seines „Sohnes“doch sehr.

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Einen aufschlussreichen Fingerzeig gibtvielleicht auch die Tatsache, dass sich Jodlin f�hrender Rolle „aus �sthetischen Gr�n-den“ erfolgreich gegen die Anbringung desDeckengem�ldes „Die Philosophie“ vonGustav Klimt in der Wiener Universit�ts-aula wandte47 – dem jeweils wirklich Neu-en in Musik und bildender Kunst stand eroffenbar eher ablehnend gegen�ber.

Fr�he philosophische Entwicklung undReligionsabl�sungAngesichts widerspr�chlicher Aufzeichnun-gen und Gedichte des jugendlichen Nietz-sche ist es bei den Interpreten strittig, abwann seine Abkehr vom Christentum an-zunehmen sei. H�chst instruktiv ist f�r die-sen Zusammenhang das soeben erschie-nene Buch48 von Hermann Josef Schmidt,das die Stationen der (anti-)christlichen Ent-wicklung Nietzsches von der Kindheit bishin zu seinem abschlie�enden Gesetz wi-der das Christentum minuti�s nachzeich-net. Eindeutig ist jedenfalls seine fr�he Hin-wendung zur griechischen Antike (insbeson-dere den Vorsokratikern) und zum Olymp,mittels dessen er Theodizeeprobleme lite-rarisch durchspielt. Dazu kommt die fr�heBesch�ftigung mit religionskritischen Au-toren, zun�chst vor allem mit Ludwig Feuer-bach. Als 17-J�hriger leitet er seine ersteernstzunehmende philosophische Betrach-tung dazu, Fatum und Geschichte, so ein:

„Wenn wir mit freiem, unbefangenem Blick diechristliche Lehre und Kirchengeschichte anschau-en k�nnten, so w�rden wir manche den allgemei-nen Ideen widerstrebende Ansichten aussprechenm�ssen. Aber so, von unsern ersten Tagen an ein-geengt in das Joch der Gewohnheit und derVorurtheile, durch die Eindr�cke unsrer Kindheit inder nat�rlichen Entwicklung unseres Geistes ge-hemmt und in der Bildung unsres Temperamentsbestimmt, glauben wir es fast als Vergehn betrach-ten zu m�ssen, wenn wir einen freieren Standpunkt

w�hlen, um von da aus ein unparteiisches und derZeit angemessenes Urtheil �ber Religion und Chri-stentum f�llen zu k�nnen.“49

Im gleichzeitig entstandenen Brieffragmentan seine Freunde Krug und Pinder para-phrasiert und zitiert er direkt Feuerbach:

„... Die Hauptlehren des Christentums sprechen nurdie Grundwahrheiten des menschlichen Herzens aus;sie sind Symbole, wie das H�chste immer nur einSymbol des noch H�hern sein mu�. ... Da� GottMensch geworden ist, weist nur darauf hin, da�der Mensch nicht im Unendlichen seine Seligkeitsuchen soll, sondern auf der Erde seinen Himmelgr�nde; der Wahn einer �berirdischen Welt hattedie Menschengeister in eine falsche Stellung zu derirdischen Welt gebracht: er war das Erzeugni� ei-ner Kindheit der V�lker. Die gl�hende J�nglings-seele der Menschheit nimmt diese Ideen mit Be-geisterung hin und spricht ahnend das Geheimni�aus, das zugleich auf der Vergangenheit in die Zu-kunft hinein wurzelt, da� Gott Mensch geworden.Unter schweren Zweifeln und K�mpfen wird dieMenschheit m�nnlich: sie erkennt in sich ,den An-fang, die Mitte, das Ende der Religion.‘“50

�ber Schopenhauer und den intensiven Um-gang mit Richard Wagner, der den gleichenWeg von Feuerbach zu Schopenhauer ge-gangen war, gab sich Nietzsche im Abfallvon Wagner sodann als „Freigeist“ und „Im-moralist“,51 um mit dem Zarathustraschlie�lich sein eigenes „Evangelium“ vom„Willen zur Macht“, der „Ewigen Wieder-kunft des Gleichen“ sowie vom „�bermen-schen“ zu verk�nden. Auf Basis seiner sichauf die Geburt der Trag�die zur�ckwen-denden rein �sthetischenWeltauffassung willer mit Jenseits von Gut und B�se und derGenealogie der Moral seine Forderung nachder Umwertung der Moral theoretisch be-gr�nden, um schlie�lich mit dem Antichristund seinem abschlie�enden Gesetz widerdas Christentum den Hauptgegner nam-haft zu machen. Mit der G�tzend�mme-rung und Ecce homo will er auf sich selbst

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aufmerksam machen als dem Antipodenzu Richard Wagner, dessen erl�sungs-s�chtige Weltflucht er daher nochmals inzwei Schriften (Der Fall Wagner, Nietz-sche contra Wagner) angreift.

Ganz anders der Weg Jodls in Kindheitund Jugend, der von der hergebrachtenchristlichen Religion gepr�gt war:

„Der sonnt�gliche Gottesdienst, wie auch die t�g-liche Schulmesse waren f�r ihn keine �u�erlichzu vollziehenden Aufgaben, sondern ein tiefes in-neres Erfassen und Ergl�hen.“52

Erst mit Studienbeginn und mit der milit�-rischen Dienstzeit beginnt sich Jodl aus derReligion zu l�sen, vornehmlich mit HilfeDavid Humes:

„F�r meine pers�nliche Entwicklung ist die fr�heund eingehende Besch�ftigung mit der hervorra-gendsten Kraft der gesamten Aufkl�rungsliteraturvon gr��ter Bedeutung geworden, indem sie alsein kritisches Ferment, aller metaphysischen Kon-struktion und aller theologisirenden Philosophieentgegenwirkte...“53

„Es vollzog sich in derselben ein geistiger Um-schlag, der gewi� f�r meine ganze Entwicklungvon den bedeutsamsten Folgen sein wird. Der�bergang von den beschr�nkten Anschauungender christlichen Dogmatik zu jener einer freienVernunftreligion. Immer m�chtiger wurde dasStreben, die spezifisch christliche Glaubenslehremit den abweichenden Anschauungen und An-sichten, welche meine wissenschaftliche T�tig-keit mir in reichem Ma�e zuf�hrte, zu vereinenund wie dies J. Scherr im 2. Teil seiner Studienvon Fichte erz�hlt, den Glauben mit dem Wis-sen, die Offenbarung mit der Vernunft, in Ein-klang zu bringen und mir eine haltbare Dogmatikzu schaffen. Allein wie bei Fichte, so ging es auchbei mir mit dem Theologismus erst langsam, dannrasch und rascher bergab.“ (Tagebuch 1868.)54

Schlie�lich gelangt er zu einer ganz �hnli-chen Einstellung wie zun�chst Nietzschenach der Feuerbach-Lekt�re (s.o.):

„Ich glaube an einen gro�en Entwicklungsgangdes Einzelnen, wie des ganzen Menschenge-schlechts.“55

Jodl allerdings wird diese Grundentschei-dung f�r einen praktischen ethischen Idea-lismus (wir w�rden heute sagen: einen evo-lution�ren Humanismus) im Gegensatz zuNietzsche niemals aufgeben, und mit ei-ner �sthetische und k�nstlerische Bed�rf-nisse ber�cksichtigenden Lebensf�hrungin gelungener Weise verbinden.Wo Nietzsche auf das gleiche Problem st��t:dass es weder im Hinblick auf die Ge-schichte der Moral noch zur Psychologiedes Menschen gr�ndliche Vorarbeiten gibt– und sich dann so introspektiv wie spe-kulativ mit Menschliches Allzumenschli-ches bis hin zur Genealogie der Moralunsystematisch hineinst�rzt, um neben somanchem Gold auch viel taubes Gesteinheraufzuholen, dem er jedenfalls sprach-lich Glanz zu verleihen wei� – dort machtsich Jodl selbst systematisch an die Ar-beit: Gibt es keine Geschichte der Ethikvon deren Beginn bis zu seiner Zeit – nun,so wird er sie selbst erforschen und ver-fassen; ebenso steht es mit der Psycho-logie, die vor allem auch Erkenntniskritikist: Ist ein �berblick �ber den Stand die-ser Wissenschaft nicht vorhanden, tr�gtJodl die bisherigen Ergebnisse und eige-ne �berlegungen unter Zugrundelegungdes Evolutionsgedankens zusammen undschreibt ein umfangreiches Lehrbuch inzwei B�nden, das diverse Auflagen erleb-te. Eine �sthetik der bildenden K�nsteund eine Allgemeine Ethik runden dieseHauptwerke schlie�lich ab.56

Seine daneben ge�bte produktive redne-rische und schriftstellerische T�tigkeit, mitder er auf seine eigene Zeit und Umwelteinwirkte, ist in auch heute meist noch sehrlesenswerten Texten und Reden der zwei

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B�nde Vom Lebenswege gesammelt –darunter auch derjenige Text, der diesemBeitrag Anlass und Titel gab.

3. Jodl �ber NietzscheDas Nietzsche-ProblemWie eingangs erw�hnt, wurde dieser Textgleich mehrfach im Druck ver�ffentlicht,was f�r die Bedeutung spricht, die Jodlund seine Herausgeber diesem zuma�en.– auch ist dies wohl der Tatsache geschul-det, dass der Einfluss der NietzscheschenSchriften in dieser Zeit nach der Jahrhun-dertwende erheblich anschwoll. DiesemUmstand gibt denn auch Jodl selbst – undes scheint sich dabei durchaus auch eingewisser Unwille zwischen den Zeilen aus-zudr�cken – in seiner Schrift beredtenAusdruck:

„Die Jahre, welche seitdem verstrichen sind, ha-ben eine gewaltige Wandlung gebracht. Nietz-sche und kein Ende! m�chte man ausrufen. Inkurzer Zeit ist Nietzsche in den Vordergrund desgeistigen Gesichtskreises der Deutschen getre-ten, an die Stelle, welche vom Ende der sechzigerJahre an Schopenhauer und nach diesem undzugleich mit diesem Eduard v. Hartmann einge-nommen hatten. Lawinenartig w�chst dieNietzscheliteratur heran, lawinenartig die Ver�f-fentlichungen aus dem Nachlasse: immer neueManuskripte, Studien, Nachlesen, Abf�lle vonden ver�ffentlichten Arbeiten, Entw�rfe; lawinen-artig wuchs die Biographie Nietzsches von sei-ner Schwester, Frau Elisabeth F�rster-Nietzsche,zu drei starken B�nden an, unz�hlige Stellen ausden Gesamtwerken, aus dem ungedrucktenNachlasse, aus Briefen zusammentragend, undschon ist ein Nietzschearchiv in Weimar begr�n-det worden, aus dem noch immer neue Ver�f-fentlichungen in Aussicht gestellt werden. Diesefast un�bersehliche Stofff�lle und dazu der ei-gent�mliche Charakter der Gedankenarbeit undder literarischen Darstellung Nietzsches machenihn allein schon zu einer ganz singul�ren Erschei-nung.“57

Dass diese Beschreibung berechtigt ist,mag die folgende Zusammenstellung zei-gen:Georg Brandes, Dozent in Kopenhagen,dem Nietzsche auf Veranlassung eines„Wiener Herren“ (!) seine Werke zuge-sandt hatte, hielt als erster akademischeVorlesungen �ber Nietzsches Philosophie– und erfreute den in der zweiten H�lftedes Jahres 1888 seinem Untergang entge-gengehenden Nietzsche mit Ahnungen ers-ter �ffentlicher Wirkung.58

Nachdem sich zun�chst die Mutter, PeterGast und Franz Overbeck um die weitereHerausgabe der Werke Nietzsches gek�m-mert hatten, nahm ab 1894 mit untr�gli-chem Instinkt Nietzsches Schwester dieSache selbst in die Hand und gr�ndete ihrArchiv, zun�chst in Naumburg, ab 1897in Weimar, aus dem sich nun die von Jodlangesprochene Lawine an Ver�ffentlichun-gen ergoss. Ebenfalls bereits 1894 hatteLou Andreas-Salom� – mit ebenso weibli-chem Instinkt versehen – ihr bis heute wich-tiges Nietzsche-Buch herausgebracht.59

Als Reaktion darauf verfasste die Schwes-ter diverse biographische Schriften �berihren Bruder, und bald genoss sie dabei Un-terst�tzung von vielerlei und durchaus pro-minenter Seite – allen voran und h�chstaktiv Harry Graf Kessler seit 1895,60 ein-gef�hrt von Raoul Richter, Philosophie-professor in Leipzig, der sich an der Her-ausgeberschaft der Schwester beteiligteund auch selbst bereits 1903 an seiner Uni-versit�t Vortr�ge �ber die Philosophie Nietz-sches gehalten hat.61 Harry Graf Kesslerhatte sich bereits Anfang 1895, fast einJahr vor seinem Archivbesuch in Naum-burg, ins Tagebuch notiert: „Es giebt wohlheute in Deutschland keinen leidlich ge-scheuten studierten und gebildeten Mannvon zwanzig bis dreissig Jahren, der nicht

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Nietzsche einen Teil seiner Weltanschau-ung verdankte oder doch mehr oder we-niger von ihm beeinflusst w�re.“62

Der Philosoph Alois Riehl, mit Jodl gutbekannt (s.o.), brachte sein von letzteremgenutztes Buch �ber Nietzsche 1897 in derReihe Fromanns Klassiker der Philoso-phie (!) als Band IV heraus.63 JohannesSchlaf gar – damals ein bekannter Literat– wollte Nietzsche in seinem Buch von1907 bereits „�berwinden“.64 Zu solchen„�berwindern“ und der Wirkung Nietz-sches in ganz Europa schreibt Harry GrafKessler 1908 an Elisabeth F�rster-Nietz-sche:

„�ber die Herren, die Nietzsche ��berwunden�haben, la�en sie mich lachen: erst sollten sie ihneinmal lesen. Aber ��berwinden� ist leichter undklingt ach so gr�ndlich und erhaben. DieseDrachent�ter von eigenen Gnaden erinnern michimmer an Falstaff, der so viele viele Franzm�nnerhinter den Kulissen �berwunden hatte. Auchm�chte man einmal den Ma�stab sehen, nachdem sie bestimmen, was f�r �wirklich gro�� zugelten hat, und dem ihre eigenen Personen da-gegen halten, um auch diese einmal dran zume�en. Was feststeht, ist das Faktum, da� Nietz-sche in Deutschland f�r Dehmel, Stefan George,Hofmannsthal & Epoche gemacht hat, in Frank-reich f�r die ganze j�ngere Generation von Henride Regnier bis zu Mme de Noailles, in Italien f�rd‘Annunzio, in England f�r Shaw, in Ru�land f�rGorki, Maykoski, Andrejew, mit andren Wor-ten �berall f�r Alle, die Etwas Bedeutendes zurKultur unserer Zeit beigetragen haben, da� erau�erdem so wie vor ihm vielleicht blos Rousseaudie Atmosph�re seiner ganzen Zeit ver�ndert hat;wenn das nicht gen�gt, um in ihm eine bedeuten-de Erscheinung zu sehen, der mag ihn ruhig �ber-winden: an dem ist nicht viel verloren. –“65

Es entstanden Nietzsche-B�sten von Sieg-fried Schellbach und Max Klinger, �lge-m�lde und die ber�hmte Radierung vonHans Olde; 1903 wurde das von Henryvan de Velde im Jugendstil umgestalteteNietzsche-Archiv eingeweiht. Alle m�gli-

chen und unm�glichen Nietzsche-Devo-notialien kamen in Umlauf, den H�hepunktbildeten aber sicher die Planungen f�r einNietzsche-Denkmal f�r dessen 70. Ge-burtstag im Jahr 1914: Insbesondere Har-ry Graf Kessler trieb dieses Unternehmen(bei eher bremsender Nietzsche-Schwes-ter) in Zusammenarbeit mit van de Veldevoran – f�r einen Gedenktempel samt zu-geh�rigem Sportstadion wurde ein 12 hagro�es Grundst�ck angekauft und letzte-rer fertigte die entsprechenden (als Skiz-zen und Fotografien erhaltenen) Entw�r-fe. Die schlie�lich in den Millionenbereichausufernden gesch�tzten Kosten sowie derErste Weltkrieg stoppten dieses Projekt.66

Vieles von diesen Aktivit�ten rund umNietzsche musste Jodl bekannt werden,da er �ber pers�nliche Beziehungen zuArchiv-Insidern wie Alois Riehl und ErnstHorneffer verf�gte, der am 27. August1900 die Totenrede auf Nietzsche am of-fenen Sarg im Archiv gehalten hatte.67

Die zunehmende Popularit�t der Schrif-ten Nietzsches ergibt sich zuletzt auch ausder Auflagensteigerung des Zarathustra,die Jens-Fietje Dwars, Kurator des Nietz-sche-Hauses Naumburg, wiedergibt:

„Seine Editionsgeschichte verr�t, wie die Feierdes Krieges zum Bed�rfnis wird. Zun�chst er-schienen die drei Teile der Dichtung �Also sprachZarathustra� separat 1883/84 in jeweils 1000Exemplaren bei Schmeitzner in Chemnitz. Diewurden so wenig gekauft, dass sein neuer Verle-ger Fritzsch sie 1886 zusammenband. Den vier-ten Teil hatte Nietzsche 1885 in einer Privatauf-lage von nur 40 Exemplaren drucken lassen,mehr Leser hatte er nicht! 1891 erschien dieserTeil erstmals �ffentlich bei seinem dritten Verle-ger, Naumann, der 1893 alle vier in einem Bandherausgab. Waren 1896 erst 6000 Exemplareverkauft, so erschienen in den n�chsten zehn Jah-ren bis 1906 weitere 55 Auflagen in jeweils 1000

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Exemplaren. Bis die Verlagsrechte 1910 anKr�ner �bergingen, waren 75 000 abgesetzt.1913 lag die 100. Auflage vor. In den f�nfKriegsjahren verdoppelte sich der Absatz bisEnde 1918 auf 224 000 Exemplare, davon wa-ren 54 000 spezielle �Kriegsausgaben� in der-bem Leinen. Allein 1919 erschienen 60 000 Ex-emplare und 1922 war die 300. Auflage er-reicht.“68

Auch wenn Jodls Hauptwerke durchauserfolgreich waren: Von seiner Geschichteder Ethik, zuerst 1882 noch in Prag er-schienen, kam die zweite (auch um Nietz-sche) erweiterte Auflage 1906 heraus, seinLehrbuch der Psychologie erlebte nach1896 und 1902 die dritte Auflage bereitsim Jahre 1908 (in welcher er erstmals aucheinige bis dahin erschienene Schriften vonFreud ber�cksichtigte) – mit dieser Er-folgsgeschichte und dem weithin aus-strahlenden kulturellen Einfluss der Schrif-ten Nietzsches konnte er sich nicht mes-sen. Zwar beflei�igte sich Jodl auch in die-sen Hauptwerken einer gut lesbaren Pro-sa, aber seine systematische Gestaltungdes Stoffs wendete sich doch eher an einakademisches Publikum. Dass sich dieSchriften Nietzsches in dieser Hinsicht be-wusst69 ganz anders geben, f�llt jedemLeser sp�testens seit Menschliches Allzu-menschliches sogleich auf, und so kriti-siert Jodl:

„Ein Schriftsteller, dem gewi� niemand das Pr�-dikat eines philosophischen Kopfes wird abspre-chen wollen und dem doch dasjenige vollst�ndigfehlt, was man in der Regel als das Hauptmerk-mal aller philosophischen Geistesarbeit zu be-trachten pflegt: die F�higkeit einheitlich geschlos-senen Denkens, die systematische Ausgestaltungeines gegebenen Stoffes. Hunderte und Hundertevon Aphorismen, alle unabh�ngig voneinander,keiner um den anderen sich k�mmernd, wennauch oft einander �hnlich sehend; ein Meer vonEinf�llen, die gegen uns anbranden, wie die Wo-gen am Strand, glitzernd, spielend, tosend und

verspr�hend, um anderen Platz zu machen; einHeer von Steinbl�cken, feinst behauen, jetzt inden zierlichsten Gestalten, jetzt in den wildestenFratzen, fast ohne Wahl auf einem Blachfelddurcheinander geworfen. Eine ungeheuer g�ren-de Gedankenmasse, die sich, ganz ohne die ord-nende Zucht eines konstruktiven Planes, einesstreng begrifflichen Aufbaues, in verh�ltnism��igwenig Jahren aus Nietzsches Hirn ergossen hat,wie ein unaufh�rlich arbeitender Vulkan seineFeuergluten gen Himmel und Erde wirft.“70

Darf ich in diesem Zusammenhang an denoben gebrachten Auszug aus dem Briefvon Nietzsche an Carl Fuchs erinnern, inwelchem er die Wagnersche Komponier-weise beschreibt – und m.E. damit aucheine unfreiwillige Kennzeichnung seiner ei-genen Literatur gibt?

Diese Eigenart der Nietzscheschen Schrift-stellerei, seine anschwellende Popularit�tund sein tragisches Schicksal riefen dennauch noch ganz andere Kritiker auf denPlan, und diesen zustimmend macht JodlNietzsche nun zu einem Fall f�r den Psy-chiater, indem er sich auf die B�cher vonNordau und M�bius bezieht, die Nietz-sche mittels psychiatrischer Ferndiagno-se anhand seiner ver�ffentlichten Schrif-ten sp�testens ab 1881 f�r geisteskrankerkl�rten; Jodl h�lt diese Machwerke trotzmancher Verzeichnung f�r „h�chst beach-tenswert“71 und spricht vom „gesundenMenschverstande, der manchen Nietz-scheverehrern abhanden gekommen zusein“ scheine.Sodann kommt er auf seine eigene Erfah-rung bei der Nietzsche-Lekt�re zu spre-chen, die sich gut nachvollziehen l�sst –und so manchem Leser mag es ja �hnlichergangen sein wie jenem „Prinzen Vogel-frei“, als den sich Nietzsche selbst sah:

„Einem solchen freien Wanderer bieten die Irr-g�nge von Nietzsches Gedankenlabyrinth einen

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fast unersch�pflichen Genu�, den ich selbst oftund oft empfunden habe; am meisten zu den Zei-ten, als es noch keine B�cher �ber Nietzsche gab,als man mit ihm noch allein sein konnte. Manbleibt hier verweilend stehen und geht dort raschvor�ber; man hebt eine seltsame Gedanken-bildung auf, betrachtet sie und wirft sie wiederbeiseite; man birgt anderes verstohlen, wie einenk�stlichen Besitz, um sich immer wieder daranzu freuen. Man sagt hundertmal aus tiefstemHerzen nein, um ebenso oft mit voller �berzeu-gung ja zu sagen; man revidiert Schritt f�r Schrittalle m�glichen Aufstellungen seiner geistigen Bi-lanz, um da und dort einen zweifelhaften Postenhinauszuwerfen, daf�r aber dasjenige, was die-ser �tzenden S�ure standh�lt, hinfort als ein un-verlierbares Eigentum zu besitzen.“72

Nach dieser eher etwas unwilligen Einlei-tung kommt Jodl zu seinem eigentlichenThema und „Nietzsche-Problem“, das ermit dieser Schrift aufgreifen will:

„Hat dasjenige, was in der Nietzscheliteraturals seine eigentliche und wichtigste Leistung an-gesehen wird, die ,Umwertung aller Werte‘, ir-gendeine wissenschaftliche oder praktischeBedeutung? Und wie ist die Entstehung dieserLehre bei Nietzsche und ihre Aufnahme bei denZeitgenossen zu begreifen?“73

Zun�chst benennt er die AusgangspunkteNietzsches, der in jungen Jahren unter demEinfluss von Schopenhauer und Wagnerstand:

„Mit einer ungemein feinen Witterung hat Nietz-sche in der Folge das fremdartig bet�ubende Par-f�m, das Narkotische, Entnervende, welches vonSchopenhauers Ethik und Wagners Kunst aus-str�mt, herausgef�hlt. Die ungeheure Gefahr,welche in dieser katholisierenden Wendung dergr��ten Kunstmacht der Gegenwart lag, das Er-schlaffende, welches eine buddhistische Mitleids-lehre und das Dogma von der unheilbaren Trost-losigkeit der Welt mit sich bringen mu�te! Under zog aus, den Drachen der katholisch-indischenRomantik zu erschlagen, die h�here Kultur vorseinem Pesthauche zu retten. Aber siehe da! Die-ser Ritter und Retter verw�stet weithin alles Land,

schrecklicher, als es jener Unhold je gekonnt; erzertritt die Saaten, gr�bt die Wurzeln der B�umeaus der Erde und rei�t L�cher in D�mme undDeiche, an denen viele Jahrhunderte gebaut.“74

Darauf folgt eine Schilderung der Argu-mente Nietzsches, die dieser f�r den „Skla-venaufstand in der Moral“ benennt: die„mitleidsvolle Liebe“, jene „allgemeineGleichheit und Br�derlichkeit“ des (fr�hen)Christentums; die „gesunde Aristokratie,die ... sich nicht als Funktion des Gemein-wesens“ sieht und „mit gutem Gewissendas Opfer einer Unzahl von Menschen hin-nimmt, welche um ihretwillen zu unvoll-st�ndigen Menschen, zu Sklaven, zu Werk-zeugen herabgedr�ckt werden m�ssen.“„,Es gibt gar kein giftigeres Gift als dieLehre von der Gleichheit.‘“ Die Arbeiter-frage? „,Was will man? Will man einenZweck, so mu� man auch die Mittel wol-len; will man Sklaven, so ist man ein Narr,wenn man sie zu Herren erzieht.‘ Fast al-les, was wir h�here Kultur nennen, beruhtauf der Vergeistigung und Vertiefung derGrausamkeit: das sei sein Satz. Er findet,da� die Grausamkeit die gro�e Festfreudeder Menschheit ausmache. Und wo maneine Abnahme der feindseligen Instinkteantreffe, da k�nne man sicher auf eine all-gemeine Abnahme der Vitalit�t schlie�en.In allem Mitgef�hl, in aller N�chstenliebekomme etwas Ver�chtliches zum Vor-schein: die physiologische �berreizbarkeitdes Dekadenten.“„In dieser Darstellung – teils ein Programmund teils ein Geschichtsbild –“ sei „histo-risch und psychologisch fast alles falsch.“So sei die allgemeine Menschenliebe schonvon den antiken Stoikern lange vor demChristentum verk�ndet worden; auch seidie geschichtliche Entwicklung der christ-lichen Religion und Kirchen doch nichtvon einem �berma� an Mitleid gekenn-

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zeichnet, wie uns Nietzsche glauben ma-chen will:

„Sehen wir die V�lker Europas dem Untergangeentgegenwanken, weil sie alle ihre Kr�fte an diePflege armseligen, verkommenen Lebens setzen?Weil zu viel des Mitleids, zu viel F�rsorge f�r dieSchwachen in der Welt gewesen ist? Wer dieGeschichte der christlich-germanischen Welt nichtim Zerrspiegel einer Theorie, sondern im unbe-fangenen Lichte der Wirklichkeit sieht, der kannauf solche Fragen nur mit einem bitteren Lachenantworten. Welch langen Leidensweg hat diegermanische Gemeinfreiheit gehen m�ssen, vonKarl dem Gro�en bis zur franz�sischen Revolu-tion, um sich dem erdr�ckenden Despotismus desfeudalen Adels, des F�rstentums und der Kirchezu entziehen! ... Hat das Christentum die V�lkergehindert, in blutigen K�mpfen um die Macht,um wirtschaftliche Vorteile zu ringen, und hat dieKirche nicht selbst lange Jahrhunderte am Fleischder V�lker gezehrt, ihre besten S�fte zum Auf-bau ihrer Macht und Pracht, eines Staates imStaate, eines Reiches �ber allen Reichen verwen-dend? Die Mitleidsmoral aber hat in diesen lan-gen Jahrhunderten kaum etwas anderes ver-mocht, als auf die ungeheuren Reibungsfl�chendieser Kraftmaschine, genannt europ�ische Kul-tur, etwas linderndes �l zu gie�en, da und dortdie h�rtesten Ausschreitungen des Kampfes zumildern und die �berf�lle des Leides durch Wer-ke der Barmherzigkeit und der Menschenfreund-lichkeit wenigstens ertr�glich zu machen.“75

Sodann fragt Jodl nach der Herkunft derbisherigen Genies der Menschheit, „derBahnbrecher des Geistes und der Tech-nik“; hatten sie einen solch „blutgetr�nktenD�nger“ n�tig wie ein Alexander, ein C�-sar, ein Napoleon, die Nietzsche als „Ur-bild des �bermenschen“ vorschweben?Lebt die Menschheit dazu, damit ein Cesa-re Borgia „ihr den Fu� auf den Nackensetzt, um selbst der Sonne einen Fu� breitn�her zu sein? Der Geist braucht keinen soblutgetr�nkten D�nger, um zu gedeihen.“

„Gewi�: eine Gesellschaftsordnung, welche dieErzeugung der h�chsten geistigen Werte aus-

schl�sse, welche den genialen Menschen unm�g-lich machte, w�rde das Ende der menschlichenEntwicklung, w�rde unausbleibliche Stagnationund R�ckschritt bedeuten. Aber ist denn dazuwirklich notwendig, ,da� das Leben seinen ge-waltsamen Charakter behalte und da� immer vonneuem wieder wilde Kr�fte und Energien her-vorgerufen werden‘? ... Verlangt der intellektu-elle Fortschritt die Aushungerung, die Verk�m-merung breiter Volksschichten? Gewi� nicht. Jemehr wir die Zug�nge zur Bildung �ffnen, um sowahrscheinlicher wird es, da� die gro�en Bega-bungen nicht von der Ungunst des Lebens zer-treten werden, sondern wirklich zur Bet�tigunggelangen; je mehr wir das ganze Bildungsniveauheben, um so intensiver wird die geistige Anspan-nung, deren es bedarf, um etwas Hervorragen-des zu leisten; um so wahrscheinlicher wird esaber auch, da� manches, was fr�her nur derh�chsten, genialen Begabung in den Scho� fiel,durch die gemeinsame, bestimmten Zielen zuge-wandte Arbeit einer Mehrzahl von Forschern mitinnerer logischer Notwendigkeit reif wird, wieeine Frucht am Baume.Das ist die Stimme der geschichtlichen Tatsa-chen. Keine unbefangene Pr�fung wird findenk�nnen, da� sie Nietzsche recht geben.“76

Auch habe im 19. Jahrhundert das „Man-chestertum“, verst�rkt durch die Aufnah-me darwinistischer Gedanken – in der realbereits jene „Umwertung“ der Moral imNietzscheschen Sinne vorweggenommensei – statt zur „allgemeinen Gl�ckseligkeitals nat�rliches Ergebnis“ zu einer grauen-haften Lage der arbeitenden Klasse ge-f�hrt, so dass erst durch diese „Ausschal-tung aller ethischen Kr�fte“ die „sozialis-tischen Ideen“ ihre eigentliche Schlagkrafterhielten. Und wir k�nnen konstatieren,dass wir heute mit der libert�ren Deregu-lierung ein analoges Auseinanderdriften derGesellschaft beobachten k�nnen, das eineVielzahl der Betroffenen an die ideologi-schen R�nder treibt.In die Bem�hungen, „den scharfgespann-ten Gegensatz der Klassen und den nicht

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minder scharfen Gegensatz der Theorien,Unternehmer und Arbeiter, Individualis-mus und Sozialismus, zu mildern“, treteNietzsche hinein wie ein „Trunkener unterN�chterne, wie ein Trompetensto� in einStreichquartett“: „ein Anachronismus, dieschal gewordene Kost des alten Manches-tertums und der darwinistischen Sozial-wissenschaft mit geistreichen Zieratennoch einmal aufgew�rmt.“77

Andererseits muss sich Jodl fragen, wo-her dann eigentlich die immense Wirkungder Nietzscheschen Schriften stamme; de-ren aktivierende Anregung gehe davon aus,dass Nietzsche „das Kulturproblem mitNachdruck in die Mitte der Ethik gestellt“und „den Gedanken der Kultursteigerung,der Entwicklung, betont“ habe. GegenSchopenhauers – seines ehemaligen be-wunderten Lehrmeisters – Nein zum Le-ben stellt er seine Forderung nach „mehrLeben“: „gesteigertes, selbstherrliches, ansich glaubendes, m�chtiges Leben.“78

Doch Nietzsche, dessen Werk ja durch-aus von st�ndiger �sthetischer �berstei-gerung getragen ist, verdirbt sich auch die-sen Gedanken, denn der „Wille zum Le-ben wird ihm unvermerkt Wille zur Macht,zur Vergewaltigung“. Als Leidender (vonKindheit an) verallgemeinert er das Lei-den, �berh�ht es und „berauscht“ sich anihm hin zu „Bildern der H�rte und Grau-samkeit“. Ein Gleiches gelte f�r seine„nicht minder phantastische Lehre von derewigen Wiederkunft des Gleichen“, die einLeben „mit allen H�rten und Schmerzen,mit aller Verzweiflung und aller Niedrig-keit ... wieder haben will.“79 Eine Lehre,so sei hier angemerkt, die ganz im Gegen-satz zu seiner sch�nen Erkenntnis aus derZeit von Menschliches Allzumenschlichessteht, welche hier Jodl gegen Nietzschevertritt: „Mir scheint dagegen die wichtig-

ste Frage aller Philosophien zu sein, wieweit die Dinge einen unab�nderlichen Cha-rakter haben: um dann, wenn diese Fragebeantwortet ist, mit der r�cksichtslosestenTapferkeit auf die Verbesserung der alsver�nderlich erkannten Seite der Welt loszu gehen.“80

Zwar sei es verdienstvoll – wenn darin Nietz-sche auch nicht der erste oder einzige sei– „gegen alle asketische Ethik, gegen allefalsche Selbstaufopferung, gegen alle�bersteigerung des Altruismus“ Stellungzu beziehen; ebenso „gegen das priester-liche System, die Sittlichkeit auf Zerknir-schung aufzurichten, und durch den Aus-blick aufs Jenseits ihre wahre Perspekti-ve, die Zukunft der Kulturmenschheit, zuf�lschen.“ Aber hierin sind ihm Feuerbachund Mill mit ihren Schriften vorausgegan-gen, „gegen welche die wahnsinnigen De-klamationen des Antichrist unerfreulichabstechen.“Trotz so mancher �bereinstimmung in derZielrichtung und der Anerkennung derschriftstellerischen F�higkeiten Nietzschesfasst Jodl zusammen:

„Nietzsche anh�ngen, Nietzsche kritiklos bewun-dern, hei�t also, das ganze gediegene Kapital,welches die moderne Wissenschaft auf dem Fel-de der individuellen und sozialen Ethik erwor-ben hat, f�r den Flitter einiger blendender undmit gro�er Sprachkunst vorgetragener Einf�llepreisgeben. ...Einf�lle haben, ist leicht; Einf�lle beweisen,schwer; ganze Lebensgebiete in Gedanken zu-sammenh�ngend aufbauen, da� unsere Ideen unddie Wirklichkeit sich decken, am schwersten. Derwirklich gro�e Mensch ist nur da, wo der geist-reiche Einfall von der geduldigen Arbeit des Pr�-fens und Beweisens getragen wird. Auf allen an-deren Wissenschaftsgebieten ist das Gemeingutder Wertsch�tzung geworden. Wenn es auf ethi-schem und sozialem Gebiete anders ist, wenn daimmer wieder der Sophist an Stelle des Forschersdas Ohr der Vielen gewinnt, so kann dies nur

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darin seinen Grund haben, da� hier Willenskr�f-te, da� hier Ha� und Liebe, Neigungen undW�nsche aller Art, ein entscheidendes Wort mit-reden. Es ist insbesondere ein sch�nes Vorrechtder Jugend, kritiklos Idealen nachzujagen. Aberich gestehe: eine Jugend, welche das SchillerscheIdeal einer durch Bildung und Freiheit gel�uter-ten Menschheit oder den Gedanken einer durch-greifenden Organisation der sozialen Arbeit unddes G�tertausches auf ihre Fahne geschriebenhat, will mir hoffnungsvoller f�r die Zukunft un-serer Kultur erscheinen als eine solche, welchesich f�r die prachtvolle Bestie des �bermenschen,f�r die Vergeistigung und Vertiefung der Grau-samkeit, f�r die Pflege der gewaltt�tigen Natur-instinkte begeistert.... Wenn diese Lehre Boden gew�nne, wenn dief�hrenden Klassen immer noch sich und ihreMacht und ihr Behagen als den Sinn der Ge-schichte ansehen w�rden, dann w�re nicht, wieNietzsche meint, der Anfang zu einer h�herenKultur gemacht, sondern der Schritt zu denschlimmsten Verirrungen der alten Menschheitzur�ck getan.... Jeder Mensch als Einzelner und jede Gesell-schaft, jede Nation, bedarf eines ,�ber‘ um daranemporzublicken; eines Ideals, das Richtung gibtauf dem Weg in die Zukunft; eines ,Kinderlandes‘,in welchem der kommenden Generation ein neu-er Fr�hling bl�hen soll. Aber wir d�rfen dies Landder Zukunft nicht suchen auf den dunkeln undgewaltt�tigen Wegen Nietzsches, sondern dort,wo es uns der Dichter und Denker gewiesen,dessen Ged�chtnis das ganze deutsche Volkeben erneuerte, eine Erinnerungsfeier, die nur Sinnund Wert hat, wenn sich mit ihr das Gel�bnisverkn�pft, seinem Hochsinn und seinen Idealentreu zu bleiben. Schiller hat das Nietzscheproblemvorschauend gel�st, als er sagte: Nur zwei Tu-genden gibt’s. O w�ren sie immer vereinigt! Im-mer die G�te auch gro�, immer die Gr��e auchgut.Und ich setze hinzu: Unser �bermensch sei derechte Edelmensch!“81

Geschichte der EthikWie oben schon gesagt, befasst sich Jodlauf Anregung von A. Riehl in der zweitenAuflage seiner Geschichte der Ethik noch-mals mit Nietzsches Moralauffassung, was

hier nur noch insoweit dargestellt werdensoll, als es Neues gegen�ber dem Vorher-gehenden bringt. Dies findet Jodl in Nietz-sches Lob der Grausamkeit, mit dem sichihm die „Mitleidsmoral“ zur Moral schlecht-hin verschoben habe:

„... in dem, was Nietzsche seinem Ideal vom Men-schen und vom Leben zum Inhalt gibt, ist mit denJahren eine gro�e Wandlung vorgegangen. Fr�-her hatte er in dem Idealmenschen, den zu er-zeugen die ganze menschliche Gesellschaft eigent-lich da sei, den gro�en Kulturf�rderer gesehen,den Erzeuger h�chster geistiger Werte. Sp�terwill er in dem intellektuellen Leben nur noch eineAbart des asketischen Ideals sehen, einen an-dern Schleichweg zum Nichts, zum Loskommenvom Willen. Das ganze sp�tere Bild der Kulturbei Nietzsche ist auf Willensst�rke allein ange-legt und zeigt eine seltsame, nur pathologisch zuverstehende Vorliebe f�r den Raubmenschen undgewaltt�tigen Verbrecher. Fr�her hatte es bei ihmgehei�en: ,Lieber zugrunde gehen als hassen undf�rchten, und lieber zweimal zugrunde gehen alssich hassen und f�rchten machen.‘ Fr�her hatteer es als die dereinstige oberste Maxime jederstaatlichen Gesellschaft verk�ndet: die Gerech-tigkeit mu� in allem gr��er werden und die ge-waltt�tigen Instinkte schw�cher. In der Folgeaber hei�t es: Fast alles, was wir h�here Kulturnennen, beruht auf der Vergeistigung und Vertie-fung der Grausamkeit; sie mache die gro�e Fest-freude der Menschheit aus; sie sei als Ingredienzfast jeder ihrer Formen zugemischt: ,denn leidensehen, tut wohl – leiden machen – noch wohler.‘Und im Zusammenhang damit gewinnt auch seinKampf gegen das Mitleid als Moralprinzip, d.h.wiederum gegen Schopenhauer, eine karikatur-hafte Gestalt. W�hrend wir bei ihm eine Reiheder trefflichsten, schlagendsten Ausspr�che ge-gen jede reine Mitleidsmoral finden, verschiebtsich ihm unvermerkt der Gesichtspunkt; aus derMitleidsmoral wird die Moral schlechthin: ,un-sere Mitleidsmoral‘, vor der er zuerst gewarnthaben will. Aber das hat ja geraume Zeit vor ihmschon Feuerbach getan mit spezieller Beziehungauf Schopenhauer, nicht auf die geltende Moral�berhaupt, f�r die es keinen Sinn hat. Nietzscheaber gelangt auf diesem Wege zu dem Satze: dieAbnahme der feindseligen Instinkte sei nur eine

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der Folgen der allgemeinen Abnahme der Vitali-t�t; in allem Mitgef�hl, in aller N�chstenliebekomme etwas Ver�chtliches zum Vorschein, diephysiologische �berreizbarkeit, die allem Deka-denten eignet. Ihr gegen�ber m�ssen die gewalt-t�tigen, selbsts�chtigen Instinkte sich wieder Luftschaffen, wenn ein Fortschritt der Kultur, eine�berwindung der wachsenden Kleinheit des Ge-schlechtes m�glich sein soll.In diesen Gedanken des sp�teren Nietzsche ha-ben wir die �u�ersten Ausw�chse des Versuchs,eine neue Sittlichkeit durch die einfache Anwen-dung biologischer Entwicklungsgesetze auf diemenschliche Gesellschaft zu begr�nden. EineKarikatur Darwinscher Gedanken, die aus demKomplex der von diesem Forscher studierten or-ganischen Anpassungs- und Umbildungsvorg�ngeein einziges Moment herausgreift und in derunbesonnensten Weise auf das Gebiet dermenschlichen Kultur �bertr�gt. Auf diesem Bo-den ist noch nie zuvor eine Ethik zu errichtenversucht worden. ... Die gro�e Wahrheit, da�mit der blo�en Wohlfahrtspflege der Massen keinAuslangen ist, da� den Menschen unter Umst�n-den empfindliche Opfer zugemutet werden m�s-sen um des Fortschritts willen, verkehrt sich ihmschlie�lich in eine Verherrlichung des B�sen, dasihm nicht als ein von Natur Gegebenes, ethischzu �berwindendes, sondern vielmehr als das zuSuchende und auf alle Weise zu Steigernde er-scheint.“82

Auch hier hebt Jodl dennoch das Positiv-Tragf�hige an Nietzsche hervor, wenn ersich gegen eine sozialistische Gleichma-cherei wendet, gegen die er sich ebensovehement wehrt und deretwegen er sichvon Gizyckis zum Sozialismus tendieren-den Auffassungen distanzierte. Zustim-mend zitiert Jodl Nietzsche mit einem „sei-ner zutreffendsten S�tze, wenn er sagt:,Den Gleichen Gleiches; den UngleichenUngleiches – das w�re die wahre Rededer Gerechtigkeit; und was daraus folgt:Ungleiches niemals gleich machen.‘“„Aber“, f�hrt er fort: „diese Differenzie-rung nach Anlage und Leistungsf�higkeitdarf doch nie zur v�lligen Preisgabe oder

Vernichtung der Schw�cheren f�hren. Die-ses Mittel zur h�chsten Steigerung derKultur w�rde die Kultur selbst den gr��-ten Gefahren aussetzen.“

Allgemeine EthikAuch noch in der Allgemeinen Ethik Jodls,1918 von Wilhelm B�rner herausgegeben,finden sich direkt und indirekt bedenkens-werte Einw�nde gegen Nietzsche; so stelltJodl zun�chst seinen eigenen Ethik-Begriffauf:

„Eine Wissenschaft des Seinsollenden in bezugauf den menschlichen Willen, eine Wissenschaftdes Ideals vern�nftig-praktischer Lebensf�hrung,jedoch nicht aus dem Leeren und ins Leere kon-struiert, sondern sich n�hrend mit den besten Ge-danken der Menschheit aller Zeiten, in den Wirk-lichkeiten des Lebens und der Geschichte wur-zelnd, und doch aus den Niederungen diesesWirklichen stets emporstrebend zu edleren M�g-lichkeiten, zu vollkommeneren Bildungen, dieTr�umerei der Utopie verschm�hend und dieVernunft im historisch Gewordenen nicht verken-nend, und doch keinen Augenblick vergessend,da� das Vern�nftige nichts ein f�r allemal Ferti-ges, sondern ein Werdendes ist, genauer gesagt,ein zu Schaffendes, und da� diese sch�pferischeT�tigkeit in der immer st�rkeren Durchdringungder Natur mit der Vernunft die h�chste mensch-liche Aufgabe ist.“

Um sich dann indirekt gegen Nietzschezu wenden:

„M�ge sich niemand von dieser Auffassung ab-bringen lassen durch das gerade in der Gegen-wart wieder in allen erdenklichen Variationen auf-tretende Geschrei gegen die Ethik, die angeblichden frischen, vollen Strom des Lebens in einenschulm��igen Pedantismus verwandelt; durch dieabgeschmackte Forderung, die h�chsten Lebens-ziele ,jenseits von Gut und B�se‘ zu suchen! Jen-seits von Gut und B�se? Ja, was k�nnte uns dennanderes �berhaupt zum Handeln bestimmen, alsR�cksicht auf Gut und B�se, d.h. auf Zwecke?,Jenseits von Gut und B�se‘ kann doch immer

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nur hei�en: Jenseits dieser bestimmten Meinungvon Gut und B�se; das kann immer nur derKampfruf sein, mit welchem eine Ethik gegen eineandere, abgestorbene, zu Felde zieht, aber nie-mals die Aufhebung der ethischen Wertung �ber-haupt. Wer auf diese verzichten wollte, der w�r-de auf mehr verzichtet haben als blo� darauf, einevon ihm geringgesch�tzte philosophische Diszi-plin Einflu� auf ihn gewinnen zu lassen; der h�tteauf jeden inneren Schwerpunkt im Leben ver-zichtet, der h�tte den festesten Halt preisgege-ben, den es gibt: die Einheit der durchgebildetenPers�nlichkeit.“83

Explizit geht er auf die auch ihm w�nsch-bar erscheinende Steigerung des Mensch-lichen ein, wie sie Nietzsche in seinem Bilddes „�bermenschen“ verzerrt:

„Es wird bisweilen so geredet, als ob das Indivi-duum im Sinne der Evolutionslehre seine Schul-digkeit dadurch am besten erf�lle, da� es sichr�cksichtslos zur Geltung bringe, sich nach Kr�f-ten ,auslebe‘ – wie ein Lieblingsausdruck lautet.Unter dem so gef�lligen und anlockenden Bildedes Nietzscheschen „�bermenschen“, d.h. derstetigen H�herentwicklung der Menschheit in ih-ren h�chsten und feinsten Exemplaren, verbirgtman eine kaum eingeschr�nkte Herrschaft vonTrieben, welche wir vom Standpunkte ethischerKultur aus lieber als ,untermenschlich‘, d.h. tie-risch, bezeichnen w�rden. Dies ist eine v�lligeVerkennung des tieferen Sinnes, welchen derEvolutionismus, angewendet auf den Menschen,im Unterschied vom tierischen Leben bekom-men mu�. Gewi�, f�r jede tierische Gattung istdie r�cksichtslose Durchsetzung ihrer Existenzdes Bestandes einer m�glichst gro�en Zahl vonlebensf�higen Individuen, welche die Art-merkmale in der f�r die Behauptung des Daseinsg�nstigsten Ausbildung besitzen, das summumjus. ... Das Werk menschlicher Kultur aber kannmit diesen selben Imperativen nicht gef�rdert,sondern nur auf die Stufe des tierischen Lebensherabgedr�ckt werden. Denn die Aufgabe desmenschlichen Lebens geht �ber das blo�e Da-sein der Gattung weit hinaus: ihr Wert liegt ganzund gar in den geistigen Inhalten, welche durchdas Dasein der Gattung geschaffen werden.“84

Erhaltung der Basis und Steigerung deseinzelnen Individuums sind f�r Jodl zuRecht die zwei Seiten einer Medaille, diesich nicht auseinanderdividieren lassen:

„Die oberen und die unteren Klassen derMenschheit geh�ren so notwendig zusammen,wie Eud�monismus und Evolutionismus; sie sindnur bestimmte Anpassungen an bestimmte Auf-gaben des gesellschaftlichen Lebens. Eine Nati-on kann nicht gedeihen, wenn sie Einzelne aufKosten verk�mmerter und vertierter Massenm�stet; sie kann ebensowenig gedeihen, wennes ihr an Einrichtungen gebricht, die Auslese zuf�rdern, d.h. untaugliche Individuen am Empor-kommen zu verhindern, veraltete Einrichtungenabzusto�en, und anderseits bef�higte Individuenh�her hinauf zu bef�rdern und taugliche Einrich-tungen ins Leben einzuf�hren.“85

„Diese grundlegenden Imperative, in denenIndividual-Ethik und Sozial-Ethik wurzeln, sindganz klar und doch sind sie vielfach mi�verstan-den worden. Geistreiche und scharfsinnige, umdie Gr��e und das Gl�ck unseres Geschlechtesredlich bem�hte M�nner haben gerade in unse-rer Zeit den Versuch gemacht, von diesem Pfeiler-paare unserer Ethik den einen niederzulegen unddas ganze Geb�ude der praktischen Philosophieauf dem �brigbleibenden aufzut�rmen. Nietzschepredigt mit leidenschaftlichem Eifer die Macht-entfaltung des Individuums, das Herrenrecht desGenies, als souver�nes Gebot: Kultur ist ein Mit-tel zur Zucht jener Victoria regia, die dann undwann die geheimnisvolle Pracht ihrer Bl�ten ent-faltet und Licht und Duft ausstr�mt, die niemalsbis zu denen gelangen, die sie haben schaffenhelfen. Tolstoi predigt mit nicht geringerer Lei-denschaft das ewige Unrecht einer Kultur, f�rwelche Menschen zu Mitteln werden. Er sieht inihr ein Produkt des b�sen Willens; er will lieberauf alle Kultur verzichten, als die allgemeineGleichheit der Menschen, als einfache Kostg�n-ger am gro�en Tische der Natur, aufgeben. Dereine verk�ndigt die egoistische Macht, der an-dere die Liebe als obersten und einzigen Impe-rativ. Das ist in der Ethik das N�mliche, wie wennman in der kosmischen Physik den Versuch ma-chen wollte, die Planetenbewegung fortdauernzu lassen, nachdem man entweder die Tangential-kraft oder die Gravitation aufgehoben. Wie in

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diesem Falle entweder alle Weltk�rper in einenungeheuren Klumpen im Mittelpunkte des Sys-tems zusammenfallen oder auf Nimmer-wiederkehr in die Unendlichkeit des Weltraumshinausfliegen w�rden, so auch im moralischenLeben. Der uneingeschr�nkte Imperativ der Liebew�rde alles Leben, alle Selbst�ndigkeit der Ein-zelnen ersticken; der uneingeschr�nkte Impera-tiv des Egoismus die Gesellschaft in ihre Atomeauseinander jagen.Auf den notwendigen naturgesetzlichen Konfliktzwischen diesen beiden Grundtendenzen unse-rer Natur laufen schlie�lich alle ethischen Pro-bleme im Einzelnen hinaus. Und inmitten diesesKonfliktes, inmitten der immer verwickelter wer-denden Aufgaben und Formen unseres Lebens,mutet man uns zu, auf die Mitwirkung der Ver-nunft, der Erfahrung, der Wissenschaft, zu ver-zichten? Was sollen wir an ihre Stelle setzen? AlteGlaubenssatzungen? Sollen wir ihnen eine h�he-re Autorit�t zuerkennen, als unserer Vernunft?K�nnen wir denn vergessen, da� sie selbst nichtsanderes sind, als der Niederschlag alter Weis-heit, alter Reflexion und Philosophie? Da� sie,wie alles Andere, was uns von der Vergangen-heit �berliefert worden ist, genau den Wert ha-ben, den ihnen unsere einsichtsvolle Pr�fung zu-gesteht, da� es nichts in der Welt gibt, was die-ser Pr�fung nicht unterl�ge und „�ber“ der Ver-nunft st�nde. Und wenn man uns, nicht als einParteig�nger der Vergangenheit und ihrer �ber-lebten Institutionen, sondern aus einem ernstenund bedr�ngten Menschenherzen heraus, sagt:Eure Wissenschaft ist noch nicht fertig; sie hatdie tiefsten R�tsel des Lebens noch nicht gel�st,sie gibt noch nicht all den Trost und die Klarheit,die wir brauchen – so darf das f�r uns auf keinenFall eine Aufforderung sein, das, was wir haben,wegzuwerfen als wertloses Gut, sondern vielmehralle Kraft anzusetzen, um unseren Besitz zu ver-mehren und zu bereichern; es mu� eine Mah-nung sein, �ber dem �u�eren Sinn den innerennicht zu vergessen, �ber dem Studium der Naturdas des Geistes und der Gesellschaft nicht zuverabs�umen. Und es w�re der sch�nste Ge-winn dieses Buches, wenn es ihm gelungen seinsollte, den Glauben an die Macht der praktischenVernunft befestigt und die Leser zu tieferem Stu-dium der ethischen Probleme angeregt zu ha-ben.“86

Leider hat sich dieser Wunsch Jodls nichterf�llt: Seine Anliegen, die er mit seinen�ffentlichen Auftritten, seinen Schriftenund der Herausgabe der Werke LudwigFeuerbachs zur Wirkung zu bringen such-te, gerieten durch den kurz nach seinemTode erfolgten Umbruch des Ersten Welt-kriegs weithin in Vergessenheit.Nietzsches Schriften hingegen – befeuertvon seiner sich dem Kaiserreich wie dem„Dritten Reich“ andienenden Schwester– schwammen obenauf. Gerade die Intel-lektuellen, K�nstler und Philosophen lie-�en sich angesichts der „Verkrustung“ ei-ner langen Friedenszeit lieber von den Ver-sprechungen des „�bermenschen“ hinrei-�en, der Krieg sollte diesen GordischenKnoten zerschlagen und den „neuen Men-schen“ herauff�hren aus den „Stahlge-wittern“.

Jodl hatte mit seiner das Verh�ltnis vonIndividuum und Gesellschaft f�rderndenwie austarierenden Auffassung „nur“ dasm�hselige Gesch�ft der Vernunft zu bie-ten, um darin schrittweise Fortschritte zuerzielen. Nat�rlich setzt ein solcher „Sprungin die Utopie“, wie ihn etwa Nietzsche mitdem Beginn einer neuen Zeitrechnung 1888verk�ndet, ganz andere Energien frei, imIndividuum wie gesellschaftlich – und wiegef�hrlich diese in ihrer realen Umsetzungauch heute noch werden k�nnen, l�sst sichan der global zu beobachtenden, zu denideologischen R�ndern driftenden Radi-kalisierung ebenso erkennen wie an denRattenf�ngern des „Islamischen Staates“,die Tausende mit ihren fundamentalisti-schen Heilsversprechen zum Zivilisations-bruch verlocken. Tiefer gesehen: Die „�s-thetische Rechtfertigung der Welt“, wie sieNietzsche verk�ndet, hat eine ganz ande-re Wirkungsmacht auf Individuen als die

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reflexiv-ethische �berzeugungskraft vonArgumenten.

Die Jodlsche Beurteilung Nietzsches inethischer Hinsicht – insbesondere hin-sichtlich dessen Verrats an der Vernunft87

(und dies mit der Vernunft, ein typischerFall von instrumentalisierter Vernunft) –wird vom heutigen Mainstream der Nietz-sche-Interpretation meist nicht geteilt, viel-mehr werden Nietzsches Aussagen gernegegen den Wortlaut und gegen den in vie-len Variationen wiederholten Sinnzusam-menhang geb�rstet und rein auf das Inne-re des Individuums bezogen. Ein wenigf�hlt man sich an die Exegese des AltenTestaments der Bibel erinnert, die anst�-�ige Stellen gerne ins Sinnbildliche undMythische ziehen m�chte. Aber wederden Evangelien des Neuen Testaments wieden bezeichnender Weise ebenfalls vierB�chern des Zarathustra, die Nietzschedenn auch als sein „Evangelium“ bezeich-nete, tut es Abbruch, wenn man sich anso mancher Stelle abzulehnen gen�tigtsieht – ihre anregende Wirkung auf die in-dividuelle Lebensf�hrung m�ssen sie da-durch nicht verlieren.

4. Zwei parallele Schlussworte?Der Antichrist und Vom wahren und vomfalschen IdealismusZuletzt, am Schaffensende – um damit denim 2. Kapitel angestellten Vergleich bei-der Wege zu beschlie�en – f�hlen sich bei-de Denker nochmals gedr�ngt, ihr Wich-tigstes in konzentrierter Form f�r die �f-fentlichkeit festzuhalten. Nietzsche verfasstunter Aufgabe aller anderer zur „Umwer-tung“ angestellten systematischen �ber-legungen seinen Antichrist, der im Gesetzwider das Christentum kulminiert, undJodl, bereits von einem Herzinfarkt (1909)

und Schlaganfall (1912) gezeichnet, gibtin seinen letzten Lebensmonaten 1913quasi sein Testament mit der Schrift Vomwahren und vom falschen Idealismus, dieseine Frau nach seinem Tod am 26. Janu-ar 1914 noch im gleichen Jahr im Druckerscheinen lie�.Nietzsche wendet sich mit seiner Schriftgegen das Christentum, das er in seinerweltfl�chtigen Moral und Antisinnlichkeitals Hauptfeind ausgemacht hat – in pole-mischem Staccato will er den Platz frei-r�umen f�r seine „Umwertung der Werte“und den „�bermenschen“.Diese antimetaphysische Sto�richtungsowohl im Hinblick auf die Weltflucht wieauch in der Hinwendung zum Diesseits istebenso das Anliegen der letzten SchriftJodls. Unter direkter und positiver Bezug-nahme auf die „Freigeisterei“ des mittle-ren Nietzsche beschreibt er dies n�her:

„In diesem Sinne m�gen die Ausf�hrungen �berwahren und falschen Idealismus aufgefa�t wer-den, welche ich hier zu geben beabsichtige – nichtals einen Versuch, etwa den Idealismus als eine�berfl�ssige, ja sch�dliche Denkart ver�chtlichzu machen, sondern um den echten, wahren, le-benspendenden und lebenerf�llenden Idealismusmehr zu befestigen, indem ich seine unechtenAbarten aufdecke und in ihrer Haltlosigkeit er-kennbar mache.Aber solche Polemik, obwohl ich sie an man-chen Stellen meiner Ausf�hrungen nicht werdevermeiden k�nnen, ist mir doch nicht die Haupt-sache und der eigentliche Zweck dieser Arbeit.Was ich eigentlich zu geben beabsichtige, ist nichtPolemik, sondern Apologetik, Apologia prodoctrina mea, der Nachweis, da� der Monis-mus nicht eine Ausgeburt der Nacht und derVerzweiflung ist, wie ihm die Gegner so oft vor-werfen, um philosophische Kinder damit zuschrecken, sondern in Wahrheit das ist, wasNietzsche die gaya scienza, ,die fr�hliche Wis-senschaft‘ nennt: Ein Befreier von D�nsten undNebeln, die den Blick ins Freie verh�llen und sich

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oft zu seltsamen, den Menschen erschrecken-den Gestalten zusammenballen.“88

Wie die bisherigen Ausf�hrungen gezeigthaben sollten, versteht Jodl unter Monis-mus kein quasireligi�ses Glaubenssystem,in dem die Naturwissenschaft an die Stel-le der Religion tritt, sondern vielmehr einenaturalistische Weltauffassung, die sichihrer Vorl�ufigkeit und Offenheit bewusstist. Daher weist er mit verschiedenen Bei-spielen Vorw�rfe gegen den Monismus als„�den Materialismus“ oder einseitigen Re-duktionismus zur�ck:

„Lassen wir im Geiste die gro�en Monisten derWeltgeschichte Rev�e passieren: zeigen sie unsin ihrem pers�nlichen Leben etwas von jener,Verarmung‘ und ,Ver�dung‘, welche modernePolemiker und Apologetiker des sogenannten„Idealismus“ ihnen so freigebig zuerkennen?Gerade das Gegenteil ist der Fall. Erinnern wiruns an die beiden gewaltigen Erscheinungen derantiken Philosophie, welche wir als erste Vertre-ter einer streng monistischen Denkweise bezeich-nen d�rfen: an Demokrit und Epikur. Von beidenwissen wir, da� sie wegen ihrer ruhigen, heiterenGem�tsstimmung, ihrer freundlichen Gesinnung,ihrer gelassenen Art, sich mit dem Leben und demTode abzufinden, von den Zeitgenossen bewun-dert und verehrt wurden.“89

In Verteidigung der beiden genannten Anti-idealisten, denen auch erste Anf�nge ei-ner „feinf�hligen Humanit�ts-Ethik“ zuverdanken seien, hebt er weiter das „erha-bene Vorbild“ des Sokrates hervor – umsodann, ganz parallel wie Nietzsche, die„furchtbaren Verw�stungen“ durch denIdealismus „schon bei einem Plato“ zu be-klagen: „wie entsetzlich teuer hat dieMenschheit seine ‚Tr�stungen‘ zu erkau-fen gehabt!“Und noch „die gro�en Vork�mpfer desMonismus in der Philosophie der neue-ren Zeit, ein Hobbes, ein Spinoza, ein Di-

derot, ein Holbach, ebenso David Hume..., ein Feuerbach, wie auch die F�hrerder monistischen Bewegung in der Ge-genwart, ein Haeckel, ein Ostwald“ ste-hen nach wie vor „nat�rlich unter der dau-ernden Einwirkung jener Art von Idealis-mus, die seit Augustinus im Abendlandetonangebend gewesen ist und sich auchheute noch als die alleinige H�terin diesesheiligen Feuers geb�rdet.“Und dies, obwohl die Theodizeeproble-matik dieses falschen Idealismus wederin der Religion noch bei den Idealisten vonPlato bis Leibniz, Schelling und Hegelhabe gel�st werden k�nnen – ein Problem,das im Naturalismus gar nicht auftauche.Dass aber die falschen Idealisten die ei-gentlichen „Materialisten“ sind, zeigt Jodlnicht nur daran, dass letztere „Gott“ unddie „Seele“ „substantialisieren“, sonderndas erwiesen auch „die leitenden Vorstel-lungen der christlichen Dogmatik, wieMenschwerdung, Erl�sung, Passion, Abend-mahlslehre und Eucharistie, stellvertreten-des Leiden, Auferstehung der Toten(wohlgemerkt: in Fleisch und Bein, nichtetwa nur Unsterblichkeit der Geister), j�ng-stes Gericht und ewige Verdammnis“.Wendet sich Nietzsche im Antichrist ge-gen Kant und dessen kategorischen Im-perativ: „Der fehlgreifende Instinkt in Al-lem und Jedem, die Widernatur als In-stinkt, die deutsche d�cadence als Philo-sophie – das ist Kant! –“90, so kennzeich-net Jodl Kants Apriorismus als „falschenIdealismus“: „er mu� das theoretisch Wah-re, das im sittlichen Sinne Gute schon ir-gendwie am Ausgange der Entwicklungfertig haben, damit �berhaupt Ordnung inunser Denken und Handeln komme. F�rallen Platonismus ist es bezeichnend, da�er die menschlichen Wertbegriffe nur ge-sichert glaubt, wenn gezeigt werden kann,

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da� sie irgendwie und irgendwo au�erhalbder Menschheit, au�erhalb des menschli-chen Gef�hlsbereiches eine substantielleExistenz haben.“91

„Da� es irgendwo vor der Menschheit und ih-rem Wertdenken, Wertsetzen, das Gute, undzwar in einer h�chsten, abstraktesten Form, gebe:das ist das in unz�hligen Formen immer wieder-kehrende und von der Erfahrung immer wider-legte Argument jedes falschen Idealismus, demder wahre, der monistische Idealismus ebensokonsequent die �berzeugung entgegensetzt, da�die Wirklichkeit nicht aus dem Geiste und nichtaus der G�te geboren sei, sondern da� vielmehrGeist, wie G�te, in unendlich langen und schwe-ren Geburtswehen sich erzeugt haben. Alle gro-�en Gottsucher der Menschheit (die Propheten,die griechischen Tragiker, Christus, Mohammedund die Mystiker aller Zeiten) konnten Gott nir-gends finden als im tiefsten Grunde ihres eigenenWesens; alle diese Gottsucher sind in WahrheitGottgestalter. Sie haben nichts gefunden, wassie nicht aus sich, aus der Tiefe ihres Herzensund Gem�tes geboren h�tten. Nichts wurde an-ders an der Welt (im theoretischen Verstande):die Welt war und blieb gottlos wie zuvor; abereine Idee begann in sie hineinzuscheinen und um-gestaltend zu wirken: ein Glaube an ein Land derZukunft, eine Verhei�ung, ein Ideal f�r Wollenund Tun – kurz das Ideal, das ganz wirklichkeits-fremd gewesen war, fing an, langsam, unendlichlangsam eine Wirklichkeit zu werden, sich inWirklichkeit umzusetzen. Gott ward nicht ent-deckt, sondern geboren.Wie v�llig verschoben erscheint das wahreSachverh�ltnis bei Kant, wenn er in seiner Prak-tischen Philosophie immer wieder betont, da�unsere Begriffe von Gut und B�se nicht irgend-welchen Erfahrungen von Gut und B�se entstam-men, aus welchen dann ein Gesetz abgeleitetwerde, sondern da� ein urspr�ngliches Gesetzes sei, von welchem alle Aussagen �ber Gut undB�se bestimmt werden und da� dieses Gesetzurspr�nglich der menschlichen Natur zugrundeliege und ihre h�here W�rde und Abstammungbezeuge.... Und dieser erkenntnistheoretische, transzen-dentale Idealismus ... wird dann, wie wir es inunz�hligen F�llen sehen, dazu benutzt, um die uns

sinnlich gegebene Erfahrungswelt in ihrer Reali-t�t ph�nomenalistisch zu verfl�chtigen und damitan Stelle des naturalistischen Monismus einenPan-Idealismus, die Lehre von der Geistigkeitalles Seins, d.h. an Stelle der Wirklichkeits-Phi-losophie eine Traum-Philosophie zu setzen. –“92

Goethe zitierend, beendet Jodl seine letz-te Schrift:

„Zu stehn‘ vor dir Natur, ein Mann allein“: Dasund nur das kann der Lebensgrundsatz des mo-dernen Menschen sein. Wir bed�rfen keines an-deren Mittlers zwischen uns und der Natur alsunseres Verstandes und unseres mutigen Willens,– und keines Geheimnisses hinter der Natur, dasuns �ber die Natur tr�stet; wir sind mit ihr alleinund f�hlen uns wohlgeborgen, weil wir den In-tellekt haben und sie Gesetzm��igkeit.93

Wenn Nietzsche am Schluss seines Geset-zes wider das Christentum die „,heilige‘Geschichte“ eine „verfluchte Geschichte“94

nennt, so ist dies auf den Kern geseheneine deutliche Parallele zum „wahren undfalschen Idealismus“ Jodls. Und doch,welch ein Unterschied auf dem Weg undam Ende beider so begabter Denker.Nietzsches Weg, nach Kindheitstrauma mitfr�hen Glaubensproblemen behaftet, ge-sundheitlich mit Migr�ne belastet, f�hrt mitFeuerbach zur Menschheit, von der Theo-logie zur Philologie, mit Schopenhauerund Wagner zum Kunst- und Genieglau-ben (aus dem der �bermensch hervorge-hen wird), um mit R�e in der Gegenwen-dung der reflexiven Vernunft ethischen Er-w�gungen und der Psychologie das Wortzu reden, und er endet in einem neuerli-chen romantisch-�sthetischen Um- undR�ckschlag in einer vernunftvergessenenIrrationalit�t des Willens zur Macht aufBasis eines einseitigen Darwinismus, des-sen Ziel die Hervorbringung des „�ber-menschen“ sein soll – der als „spielendesKind“ und „tanzend“ seines eigenen We-sens genie�t: „Ziel: auf einen Augenblick

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den �bermenschen zu erreichen. Daf�rleide ich alles!“95

Der in Vielem gl�cklichere Jodl – geliebt,gef�rdert und gesund, zun�chst geborgenim religi�sen Glauben – kann seinen weitgesteckten Interessen im Studium nachge-hen und eignet sich mit Hume die notwen-dige Skepsis an, um sich aus der Religionherauszuarbeiten und sich mit dem „Urge-waltigen“ Ludwig Feuerbach eine einheit-liche „monistische“ Weltauffassung zu er-arbeiten. Als ethisch-systematischer Typusvon Jugend auf wandte er sich – im Ge-gensatz zur Nietzscheschen „Polyperspek-tivit�t“, der immer nur beklagte, dass ernoch einige Jahre Naturwissenschaftenh�tte studieren sollen – dem Versuch zu,sowohl auf dem Gebiet der Ethik wie aufdem der Psychologie wie auch der �sthetikjeweils Meta-Perspektiven zu erarbeiten,die sich in seinen entsprechenden Haupt-werken niederschlugen. Es ehrt FriedrichJodl besonders, dass er neben seiner aka-demischen Lehrt�tigkeit und den genann-ten umfangreichen Publikationen mit h�chst-pers�nlichem Einsatz bis hin zur Aufop-ferung der eigenen Gesundheit f�r die Ver-mittlung seiner ethischen Ziele in die �f-fentlichkeit zu wirken versucht hat.Zuallerletzt – in beiden F�llen besonderstragisch und die letzte Parallele: Die Aner-kennung von au�en kam in beiden F�llenzu sp�t – f�r Nietzsche die Ahnung einer�ffentlichkeitswirksamkeit mit den Vor-lesungen von Brandes, f�r Jodl die ein-stimmige Wahl zum Rektor der WienerUniversit�t 1911/1912, die er ablehnenmusste.

Warum der eine im Licht, der andere imSchatten steht, wurde oben schon anzu-denken versucht; empfehlen m�chte ichzum Abschluss gerade auch heutigen Le-

sern beide Denker: Wer auf der Suchenach existentieller Anregung und lebhaf-tem inneren Mitgehen ist, wird bei Nietz-sche und seiner sprachlichen Brillanz aufseine Kosten kommen, wenn er sich vorden Verf�hrungsk�nsten dieses stilistischenZauberers zu sch�tzen wei�; wer so viel-belesene wie zuverl�ssige Information,rationale Kritik und ethischen Impetus zusch�tzen wei�, dem wird Jodl – geradeauch in seinen vielf�ltigen Aufs�tzen undReden, die in den zwei B�nden Vom Le-benswege gesammelt sind – ein sch�t-zenswerter Gespr�chspartner sein, dernicht �berreden, sondern mit Argumen-ten �berzeugen will. Also, g�nnen Sie sichetwas: Lesen Sie beide!

Anmerkungen:1 Abgedruckt in Jodl, Vom Lebenswege, Bd. 1, S.390-406 sowie in B�rner (Hg.)/Jodl, Zur neuerenPhilosophie und Seelenkunde, S. 87-106. Voll-st�ndiger Text im Internet beim Nietzsche-Projektdes Verf. unter http://www.f-nietzsche.de/Jodl_Nietzscheproblem.pdf2 Nietzsche-Chronik, S. 405, 411, 416; KSB 5,S. 274.3 Josef Paneth stand in den Jahren 1883/1884 ineinem regen pers�nlichen und auch von Nietzschegesuchten Austausch; zum Verkehr der beiden inNizza siehe Nietzsche-Chronik, S. 572ff. Er „wareiner der engsten Freunde von Sigmund Freud undein pers�nlicher Gespr�chspartner Friedrich Nietz-sches und damit wohl das wichtigste, bislang kaumbeachtete missing link zwischen beiden.“ Mit dem2007 erschienenen Buch Josef Paneth. Vita Nuova„erschlie�en sich f�r die Freud- und Nietzsche-forschung, die Frage nach der Entdeckung desUnbewussten ... sowie f�r die Kultur- und Geis-tesgeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts unddes Wiener Judentums reiche frische Quellen.“(Klappentext)„So wurde Paneth nicht nur zum Physiologen Zara-thustras, sondern auch zum �bermittler wichtigerGedanken Nietzsches an Freud – zu einer Zeit, inder die Psychoanalyse noch l�ngst nicht in Sicht war.“(B. Nitzschke in seiner Besprechung des genannten

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Buches unter http://www.werkblatt.at/nitzschke/text/paneth.htm)4 Bezeichnend f�r das Nicht-Verh�ltnis von Jodl zuFreud, der doch jahrelang als Kollege an der Wie-ner Universit�t wirkte, d�rfte die konsequente Nicht-Erw�hnung von dessen Werk und Person in denSchriften Jodls und seiner Biographen (M. Jodl/W.B�rner) sein, obwohl er selbst doch ein Psycholo-gie-Lehrbuch in zwei B�nden verfasst hatte. Aller-dings scheint Jodl bei der 3. Auflage desselben(1908) dann doch nicht mehr ganz um dessen Er-w�hnung herumgekommen zu sein, denn in dessenLiteraturverzeichnis finden sich einige Ver�ffentli-chungen Freuds aus den Jahren 1895-1905. Imselben Jahr 1908 stand er denn auch in einem kur-zen Briefwechsel mit Freud. Dazu schreibt PeterStachel (Wien) in seinem Text „In eminentem SinneKulturaufgaben“. Der Briefwechsel zwischenFriedrich Jodl und Alexius Meinong:„Der kurze Briefwechsel mit Freud aus dem Jahr1908 belegt vor allem dessen Bem�hen, den imEntstehen begriffenen psychoanalytischen Institutio-nen durch Kontakte mit anerkannten akademischenLehrern wissenschaftliche Dignit�t zu sichern: Erm�sse gestehen, so Freud, dass bislang unter sei-nen Mitstreitern „kein einziger Philosoph [sei]; lei-der nur �rzte“. Angesichts der Neuauflage derTraumdeutung im Jahr 1908 versuchte Freud Jodl– „den gerechtesten und parteilosesten Lehrer derPhilosophie“ – dazu zu bewegen, in einer allf�lligenNeufassung seines Psychologielehrbuches die Ide-en der Traumdeutung zu ber�cksichtigen. Jodl lehn-te dieses Ansinnen zwar h�flich, aber unmissver-st�ndlich ab: „Ich lese ihre Traumdeutung mit einemVergn�gen, das sich aus der Freude am M�rchenund einer zur gr��ten Virtuosit�t ausgebildeten Me-thode zusammensetzt. Aber – wie die Psychologieeines Marsbewohners.“ (Quelle: Internet Uni Grazhttp://www-gewi.kfunigraz.ac.at/moderne/heft11s.htm)5 Gimpl, Unter uns gesagt, S. 17.6 Margarete Jodl (Hg.), Bartholom�us von Carne-ri’s Briefwechsel mit Ernst Haeckel und Fried-rich Jodl 1870-1908, S. 145.7 Krummel, Nietzsche und der deutsche Geist,Bd. 1, S. 263, Nr. 252.8 „Das Nietzscheproblem“ in Jodl, Vom Lebens-wege, Bd. I, S. 392.9 Gimpl, Unter uns gesagt, S. 181.„Riehls trefflicher Essay“: Alois Riehl, Friedrich

Nietzsche. Der K�nstler und der Denker. Ein Es-say, Stuttgart 1897. Dessen grunds�tzliche Beurtei-lung Nietzsches, die mit derjenigen Jodls recht pa-rallel geht, siehe dort S. 156-162: „Der einzige Weg,den Typus des Menschen zu erh�hen, ist die He-bung des Niveaus der Menschen, der Menge. Jeh�her das Postament gehoben wird, um so h�hererhebt sich auch die das Postament �berragendeS�ule. Aber auch der h�chste Einzelne bleibt einMensch. Er wird nicht den D�nkel hegen, etwas�bermenschliches, der ‚�bermensch‘ zu sein, – undje gr��er er ist, um so weniger.“ (S. 161)Um so unergr�ndlicher bleibt es, weshalb Alois Riehlzum Kreis derjenigen Pers�nlichkeiten geh�rte, dieim Jahr 1907 Elisabeth F�rster-Nietzsche offiziellzum Literatur-Nobelpreis vorschlugen.10 Gimpl, Unter uns gesagt, S. 244.11 Gimpl, Unter uns gesagt, S. 258.12 Jodl, Geschichte der Ethik als philosophischerWissenschaft. 2. Aufl. 1906, S. 465-472.13 N�heres dazu in Schmidt, „Dem gilt es den Tod,der das gethan“, vom Verf. vorgestellt in Aufkl�-rung & Kritik 2/2014, S. 287ff.14 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 4-5.15 Bei Nietzsche sind seine diversen Lebens-r�ckblicke in der Jugend ja bekannt; so etwa derumfangreiche Lebensr�ckblick des noch nicht 14-J�hrigen (!) „Aus meinem Leben“ aus der zweitenJahresh�lfte 1858 (BAW 1, S. 1-32). Aber �hnli-ches gilt auch f�r den gleichaltrigen Jodl: „Von 1863an sind die Tageb�cher voll von Besprechungen�ber gesehene Bilder, Kunstwerke und architekto-nische Eindr�cke, �ber Musik- und Theaterauff�h-rungen, und auch Naturschilderungen nehmen einenbreiten Raum darin ein.“ Margarete Jodl, FriedrichJodl. Sein Leben und Wirken, S. 11.16 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 9.17 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 31.18 Janz, Nietzsche, Bd. I, S. 124; Margarete Jodl,Friedrich Jodl. Sein Leben und Wirken, S. 21.19 An Paul R�e aus Sankt Moritz, Ende Juli 1879.KSB 5, S. 431.20 In eben jenen Tagen, in denen Jodl seine FrauMargarete (am 11. August 1882 in T�lz) heiratete(Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 102), empfing Nietzsche Lou Salom� inTautenburg am 7.8.1882, um die n�chsten Wochen

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mit ihr im intensiven Gespr�ch zu verbringen. Ihrwidmete er eines seiner bekanntesten Gedichte:

„Freundin! – sprach Columbus – trauekeinem Genueser mehr!Immer starrt er in das Blaue –Fernstes lockt ihn allzusehr!

Wen er liebt, den lockt er gerneWeit hinaus in Raum und Zeit�ber uns gl�nzt Stern bei SterneUm uns braust die Ewigkeit!“(abgedruckt in: Andreas-Salom�, FriedrichNietzsche in seinen Werken, S. 169)

Da auch Jodl sich in seinen Brautbriefen als „Ko-lumbus“ f�hlte, l�sst sich der Unterschied zwischenbeiden besonders gut kontrastieren:

„... durch Alles, was Du mir schriebst, klang mirimmer das eine durch: Ich vertraue Dir; und dashat seit langem und bew�hrte auch gestern wie-der eine wunderbar befl�gelnde Kraft. Heuteschwimmt mein Schifflein wieder flott in’s Welt-meer hinaus: die Segel straff gespannt, die Wim-pel flatternd, ein goldener Liebesgott blumen-streuend am Kiel; und der Steuermann am Ru-der, der die schwere und n�chterne Ladung vonstaubigen B�chern, beschriebenem Papier undallerlei Rumpelwerk halb vermoderter Gedan-ken anmutig unter einer Decke aus Sonnenf�denund Rosen verh�llt hat, richtet den Blick fest indie Ferne, auf die wogende Meerflut, aus derdann und wann die schaumgeborene G�ttin mitverlockendem Winken emporsteigt.“ (Aus Brie-fen an die Braut 1879, Margarete Jodl, Fried-rich Jodl. Sein Leben und Wirken, S. 85)

Zuletzt: Beide beziehen sich wohl mehr oder weni-ger bewusst dabei auf Schillers Kolumbus-Gedicht,das denn auch Jodl in seiner Schiller-Festrede von1905 zitiert (Jodl, Vom Lebenswege, Bd. 1, S.146f.). Die so diametrale Einsch�tzung Schillers –f�r die positive Sicht Jodls siehe die genannte Rede,oder auch oben im Text bei Anm. 81; hingegen be-zeichnet Nietzsche Schiller als den „Moraltrompetervon S�ckingen“ (KSA 6, S. 111) – gibt denn auchwieder einen bedeutsamen Wink f�r die unterschied-liche Denkweise beider.21 Nietzsche-Chronik, S. 116-140; Margarete Jodl,Friedrich Jodl. Sein Leben und Wirken, S. 38.22 Janz, Nietzsche, Bd. I, S. 225, Nietzsche-Chro-

nik, S. 172; Margarete Jodl, Friedrich Jodl. SeinLeben und Wirken, S. 41.23 Janz, Nietzsche, Bd. I, S. 224; Margarete Jodl,Friedrich Jodl. Sein Leben und Wirken, S. 30.24 Janz, Nietzsche, Bd. I, S. 236; Margarete Jodl,Friedrich Jodl. Sein Leben und Wirken, S. 47.25 Janz, Nietzsche, Bd. I, S. 388; Margarete Jodl,Friedrich Jodl. Sein Leben und Wirken, S. 49.26 Nietzsche-Chronik, S. 186ff.; Margarete Jodl,Friedrich Jodl. Sein Leben und Wirken, S. 62.27 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 79, S. 96f.28 An K�selitz, Nizza Januar 1888, KSB 8, S. 231f.Diese f�r Nietzsche so bezeichnende Aussage fin-det sich gleich mehrfach in seinen Schriften, so auchin KSA 6, S. 64, KSA 13, S. 478, KSA 13, S.488.29 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 82.30 „Ich glaube nicht, da� Beethoven ergreifenderphantasieren konnte als Nietzsche, zum Beispielwenn ein Gewitter am Himmel stand“, berichteteFreund Gersdorff �ber den Primaner Nietzsche.Janz, Nietzsche, Bd. I, S. 96.31 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 67.32 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 13 (1865); Janz, Nietzsche, Bd. I, S.90ff. (1861).33 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 18.34 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 265.35 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 52, 57f.36 Janz, Nietzsche, Bd. I, S. 485ff.37 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 81f.38 Janz, Nietzsche, Bd. I, S. 585f.39 s. Der Fall Wagner, KSA 6, S. 13ff.40 „Jetzt, wo ich aus einiger Ferne auf jene Zust�n-de zur�ckblicke, deren Zeugnis diese Schriften sind,m�chte ich nicht verleugnen, dass sie im Grundebloss von mir reden. Die Schrift ‚Wagner in Bay-reuth‘ ist eine Vision meiner Zukunft; dagegen ist in‚Schopenhauer als Erzieher‘ meine innerste Ge-schichte, mein Werden eingeschrieben. Vor allemmein Gel�bniss!“ KSA 6, S. 320.41 Brief an Carl Fuchs vom 26.8.1888, KSB 8, S.401.

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42 Nur Wagner? Nicht auch Nietzsche selbst? Istnicht der nachfolgende Aphorismus aus dem No-vember 1887 (!!) „reinster Feuerbach“?!

„All die Sch�nheit und Erhabenheit, die wir denwirklichen und eingebildeten Dingen geliehenhaben, will ich zur�ckfordern als Eigentum undErzeugnis des Menschen: als seine sch�nste Apo-logie. Der Mensch als Dichter, als Denker, alsGott, als Liebe, als Macht: o �ber seine k�nigli-che Freigebigkeit, mit der er die Dinge beschenkthat, um sich zu verarmen und sich elend zu f�h-len! Das war bisher seine gr��te Selbstlosigkeit,da� er bewunderte und anbetete und sich zu ver-bergen wu�te, da� er es war, der Das geschaf-fen hat, was er bewunderte. –“ (KSA, 13, S. 41[341]).

Genau diesen Aphorismus bezeichnet die Schwes-ter als ihren „Lieblings-Aphorismus“, den sie aus demNachlass zusammen mit Peter Gast in den „Willenzur Macht“ als ersten Aphorismus ins 2. Buch auf-genommen hatte (Friedrich Nietzsche, Der Wille zurMacht, S. 99) – und selbst ein Heidegger soll aus-gerechnet diesen Text „zu den wichtigsten und gro�-artigsten Positionen Nietzsches in Bezug auf die Sinn-gebung des Menschen“ gez�hlt haben ... (Fischer/F�hl: Von Beruf Kulturgenie und Schwester. HarryGraf Kessler und Elisabeth F�rster-Nietzsche,S. 1094f.) Wenn man sich l�nger mit Nietzsche be-sch�ftigt hat, wundert einen nichts mehr.43 KSA 6, S.431.44 Aus einem Brief an Jodls Frau 20. Februar 1886,nach einer Auff�hrung aus Parsifal, 1. Akt Finale undAbendmahlfeier und Beethovens IX. Sinfonie. Mar-garete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben und Wir-ken, S. 308ff.Im gleichen Jahr legt Jodl sich Rechenschaft �berdie Wirkungsweise von Musik ab:

„Was alle Musik ausdr�ckt und bedeutet, ist dieDynamik des menschlichen Gem�tes als solche,abgesehen von den bestimmten Veranlassungenund Vorstellungen, die im wirklichen Leben je-der Gem�tsbewegung entsprechen. Daher dasscheinbar so unmittelbar Einleuchtende und dochwieder so Vieldeutige aller Musik. In den glei-chen T�nen erz�hlt sie jedem eine Geschichte,die nur er ganz versteht: die Geschichte seineseigenen Innern, seiner K�mpfe und Siege, seinerZweifel und Niederlagen, die Jagd nach dem

Gl�ck und die Last der tr�ge schleichenden Stun-den, den Kampf der Entschl�sse, den Wider-streit der Pflichten, die Sehnsucht nach dem Ver-lorenen und so fort – ins Unendliche. Wer unsdiese Geschichte in T�nen so zu sagen wei�, da�wir uns in ihr wiederfinden, da� sie uns packt,da� jenes geheimnisvolle Gef�hl uns beschleicht:,De te fabula narratur‘, ,Das bist du‘, wie derBuddhist sagen w�rde, – der schafft Musik, dienicht nur Eindruck macht, sondern auch etwasausdr�ckt. Ob Gem�t und Wille nicht nur Erleb-nisse unseres eigenen Seins, sondern zugleich denKern des Seins �berhaupt bilden, ob der h�ch-ste Zweck des Lebens der sei, uns vom Willenzu erl�sen, ob diese Erl�sung eine pers�nlich-individuelle oder eine kollektive sein werde, –dar�ber wei� die Musik nichts, und das kann siedaher nicht schildern. Ihr Gegenstand ist keinanderer als der: Gem�tsbewegung in Ton-bewegung zu �bersetzen und dadurch das Tief-innerste im Menschen, was auch das Wort nurunvollkommen zu spiegeln vermag, in symboli-scher Weise auszudr�cken. Nur so weit unsereGedanken und Dogmen mit Gem�tsbewegungenassoziiert sind, verm�gen sie musikalische Formanzunehmen, und diese bleibt eben ihrer Viel-deutigkeit halber lebendig, auch wenn jene Ge-danken unvollziehbar geworden sind. Nichts hin-dert den Freidenker, von Mozarts oder VerdisRequiem, die st�rksten Eindr�cke zu empfangen,auch wenn die dogmatischen Vorstellungen desKirchentextes f�r ihn alle Bedeutung eingeb��thaben. Und wie die Wirkungen des ,Nibelungen-ringes‘ von dem Glauben an SchopenhauersPhilosophie ganz unabh�ngig sind, so wird dieIdee der Erl�sung in musikalisch-dramatischerGestalt ihre k�nstlerischen Wirkungen aus-schlie�lich der Phantasiekraft dessen zu verdan-ken haben, der die mit ihr assoziierten Gef�hlezu wecken und darzustellen versteht. Nur dieErfahrungen der Menschheit sind immer und�berall die n�mlichen; die Begriffe und Theorien,durch die wir sie deuten, wechselnd und verg�ng-lich. Und nur das Kunstwerk bleibt lebendig, dasaus diesem tiefsten Grunde zu sch�pfen verstan-den hat.“ (Jodl, Vom Lebenswege, Bd. 2, S.642f.)

45 Aus Brief an Amira 3. Oktober 1888. MargareteJodl, Friedrich Jodl. Sein Leben und Wirken, S.310f.

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46 KSA 4, S. 404.47 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 332.48 Hermann Josef Schmidt, „Dem gilt es den Tod,der das gethan“. Nietzsches fr�he Entwicklungund einige ihrer Folgen.49 BAW 2, S. 54. Im Internet einzusehen auf derWebseite des Verf. http://www.f-nietzsche.de/werke.htm.50 KSB 1, S. 201f.51 Seine Kehrtwende, die er mit MenschlichesAllzumenschliches vollzog, erkl�rte er so: „Lesernmeiner fr�heren Schriften will ich ausdr�cklich er-kl�ren, da� ich die metaphysisch-k�nstlerischenAnsichten, welche jene im Wesentlichen beherr-schen, aufgegeben habe: sie sind angenehm, aberunhaltbar. Wer sich fr�hzeitig erlaubte, �ffentlich zusprechen, ist gew�hnlich gezwungen, sich bald dar-auf �ffentlich zu widersprechen.“ (KSA 8, S. 463)An anderer Stelle entschuldigt er sich gar, dass er„fr�her einer gef�hrlichen �sthetik Vorschub leiste-te“! (KSA 8, S. 531)52 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 11.53 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 284.54 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 32.55 Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken, S. 34.56Aus dem Jahr 1911 zur�ckblickend fasst Jodl seineM�nchner Studienjahre so zusammen: „DieseM�nchner Lehrjahre haben auf mich nachhaltig ge-wirkt. Sie haben meiner Philosophie die Richtungauf das Praktische gegeben, die ethisch-religi�seFrage in den Vordergrund gestellt und mir den Aus-gleich der Philosophie mit der Naturwissenschaft,sowie den Ausbau der Philosophie als einer positi-ven Wissenschaft vom geistigen Leben, seinen Ge-setzen und Normen, als ein festumrissenes Lebens-ziel gezeigt.“ Jodl, Vom Lebenswege, Bd. 1, S. 14f.57 Jodl, Vom Lebenswege, Bd. 1, S. 391.58 Janz, Nietzsche, Bd. II, S. 564ff., S. 584ff.59 Andreas-Salom�, Friedrich Nietzsche in seinenWerken.60 Fischer/F�hl, Von Beruf Kulturgenie undSchwester. Harry Graf Kessler und ElisabethF�rster-Nietzsche, S. 23f.61 Richter, Raoul, Friedrich Nietzsche. Sein Le-ben und sein Werk. Vorwort, Einleitung und XIV.

Kapitel im Internet zug�nglich unter: http://www.f-nietzsche.de/richter.pdf,62 Fischer/F�hl, Von Beruf Kulturgenie undSchwester. Harry Graf Kessler und ElisabethF�rster-Nietzsche, S. 694.63 Riehl, Friedrich Nietzsche. Der K�nstler undder Denker. Merkw�rdig ist: Obgleich Riehl (wieJodl) die meisten Teile der Philosophie Nietzschesablehnt, insbesondere seine „umgewertete Moral“,steht er mit dem Nietzsche-Archiv und der Schwes-ter in Verbindung, ja er schl�gt sie u.a. zusammenmit Raoul Richter und Hans Vaihinger ernsthaft undmehrfach (1908, 1911, 1914) zum Literatur-No-belpreis vor.64 Schlaf, Der �Fall� Nietzsche. �Eine �berwin-dung�. S. 7: „So lernen wir von Nietzsche und so –�berwinden wir ihn! Wie sehr aber ist es vonn�ten,da� er �berwunden wird! Und nicht schroff undscharf genug kann er �berwunden werden, ange-sichts all der Bosheiten, der Schw�chen, all derschlimmen Gifte und F�hrnisse von Agonie, welchediesem Untergange anhaften! –“ Insgesamt ein grau-enhaftes Buch, das die Rettung der Menschheit –dies die „�berwindung“ – ausgerechnet in der Wis-senschaft findet, die sich mit Religion verschwisternmuss ... Aber es macht deutlich, wie alle m�glichen(Un-)Geister bereits damals ihr eigenes S�ppchenmit Nietzsche kochen wollten.65 Fischer/F�hl, Von Beruf Kulturgenie undSchwester. Harry Graf Kessler und ElisabethF�rster-Nietzsche, Bd. 1, S. 684.66 Fischer/F�hl, Von Beruf Kulturgenie undSchwester. Harry Graf Kessler und ElisabethF�rster-Nietzsche, Bd. 1, S. 789ff., 827ff., 870ff.67 Fotos aus dem Archiv und diese Rede ErnstHorneffers im Internet unter http://www.f-nietzsche.de/horneff.htm.68 Neues Deutschland vom 12.8.2014 unter demTitel: „Mit �Zarathustra� an die Front“; http://www.neues-deutschland.de/artikel/942055.mit-zarathustra-an-die-front.html.Nach einem Briefdiktat von Elisabeth F�rster-Nietz-sche vom Dezember 1900 hatte der Zarathustra,von dem eine „Luxusausgabe“ geplant wurde, bisdahin eine verkaufte Auflage von 24.000 Ex. er-reicht, Jenseits von Gut und B�se lag bei 12.000Ex., und die �brigen Werke pendelten zwischen7.000 und 10.000 Ex. Fischer/F�hl, Von BerufKulturgenie und Schwester. Harry Graf Kesslerund Elisabeth F�rster-Nietzsche, Bd. 1, S. 282.

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69 „Ich misstraue allen Systematikern und gehe ih-nen aus dem Weg. Der Wille zum System ist einMangel an Rechtschaffenheit.“ KSA 6, S. 63.70 Jodl, Vom Lebenswege, Bd. 1, S. 391f.71 Nordau, Max: Entartung; M�bius, Paul Julius:�ber das Pathologische bei Nietzsche. Letzterer(zugleich Autor des Pamphlets: �ber den physio-logischen Schwachsinn des Weibes) nimmt beiNietzsche seit 1881 den Ausbruch der „Gehirn-krankheit“ an und h�lt ihn seither im Blick auf seineSchriftstellerei f�r „unzurechnungsf�hig“. Abschlie-�end (S. 106) schreibt er: „Die Leute lesen Nietz-sche’s Schriften, aber sie pr�fen nicht alles und be-halten das Beste, sondern sie halten sich an Einzel-nes, das ihnen zusagt und vertrauen darauf, die Be-gr�ndung werde schon im Ganzen enthalten sein.Sie werden in ihrem Zutrauen best�rkt von einerAnzahl schriftstellernder Herren und Damen, die dengrossen Philosophen en bloc verherrlichen und demPublikum versichern, die einzelnen Perlen hingendurch eine unsichtbare Schnur zusammen. Wer istdenn zu eigener Pr�fung bef�higt? Unter hundertLesern h�chstens Einer. Jenen Neunundneunzig mussman sagen: Wenn ihr Perlen findet, so denkt nicht,dass das Ganze eine Perlenschnur w�re. Seidmisstrauisch, denn dieser Mann ist ein Gehirn-kranker.“Nordau gar schreibt: „Wenn man Nietzsches Schrif-ten hinter einander liest, so hat man von der erstenbis zur letzten Seite den Eindruck, einen Tobs�chti-gen zu h�ren, der mit blitzenden Augen, wildenGeberden und sch�umendem Munde einen bet�u-benden Wortschwall hervorsprudelt und zwischen-durch bald in ein irres Gel�chter, bald unfl�tigeSchimpfreden und Fl�che ausst��t, bald in einemschwindelig behenden Tanz herumh�pft, bald mitdrohender Miene und geballten F�usten auf denBesucher oder eingebildete Gegner losf�hrt.“ – be-dauerlicher Weise macht sich Jodl dessen abtruseNietzsche-Schilderung in seiner Geschichte derEthik, Bd. 2, S. 698 zu eigen: „Mit unbeirrtem ge-sunden Menschenverstande, der manchen Nietz-scheverehrern abhanden gekommen zu sein scheint,hat auch M. Nordau im II. Bande seines Werkes‚Entartung‘ (1892) �ber Nietzsche geurteilt.“Umso bedenklicher, was Jodl dann aber �ber sol-che Untersuchungen wie die von M�bius sagt – al-lerdings nicht in Bezug auf Nietzsche, den er an die-ser Stelle (trotz Nennung manch anderer Namen!)nicht erw�hnt, sondern in Bezug auf Rousseau, den

sich M�bius ebenfalls „vorgenommen“ hatte, undden an dieser Stelle Jodl gegen M�bius verteidigt:„Vom Pathologischen aus gelangt man nie zum Gro-�en, sondern immer nur zum Kleinen, J�mmerlichen;nie zum Unsterblichen, sondern immer nur zum Ver-g�nglichen. Aus dem Krankenjournal gibt es keinen�bergang in die Geschichtsschreibung ... diese heuteso beliebte und von gro�en Autorit�ten vertreteneZusammenordnung des Genies mit dem Wahnsinnist grundfalsch und g�nzlich irref�hrend“ (Jodl, VomLebenswege, Bd. 1, S. 44). Warum gilt f�r die psy-chiatrische Einsch�tzung Rousseaus etwas anderesals f�r die Behauptungen von Nordau und M�bius�ber Nietzsche?72 Jodl, Vom Lebenswege, Bd. 1, S. 392.73 Jodl, Vom Lebenswege, Bd. 1, S. 394.74 Jodl, Vom Lebenswege, Bd. 1, S. 396.75 Jodl, Vom Lebenswege, Bd. 1, S. 399.76 Jodl, Vom Lebenswege, Bd. 1, S. 400. Im Jahre1908 dr�ckt Jodl seine Meinung zu NietzschesMoral�berlegungen noch einmal kurz und pr�gnantaus: „Nietzsches ‚Genealogie der Moral‘ wird keinKundiger f�r mehr anschauen als eine Reihe blen-dender Paradoxien. Das Verst�ndnis einer so kom-plizierten Entwicklung, die dort in einige m�glichsteinfache und schlagende Formeln zusammenge-dr�ngt sind, ist durch Nietzsche im ganzen wohlmehr erschwert als gef�rdert worden.“ Jodl, VomLebenswege, Bd. 2, S. 36f.77 Nietzsches Moralumwertung besch�ftigt Jodl nochbis hinein in seine Kritik des Idealismus (S. 174f.):

In einem gewissen „Sinne hat auch Nietzschesber�hmtes Wort vom Sklavenaufstand in derMoral und den neuen Wertungen, die er auf die-sen Aufstand zur�ckf�hren zu m�ssen glaubt, seinegute Berechtigung, ja es kann sogar wegweisendwirken, obwohl es historisch gesprochen nichtgenau ist, denn der Altruismus, die R�cksicht aufden Menschen als Menschen, ist schlechterdingskeine Erfindung des Christentums. Schon die �l-tere Stoa hat diese Dinge in nachdr�cklicherWeise gelehrt. Aber eines ist richtig an Nietz-sches Vorstellung: die Ethik einer herrschendenGesellschaftsschicht wird anders aussehen als dieEthik der Unterdr�ckten und Niedergehaltenen.Und was die Herrschenden vielleicht dem Gleich-stehenden gew�hren, das fordern von einem ge-wissen Punkte der Entwicklung an auch die Un-terdr�ckten von ihnen als ihr Recht, als der an-

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dern sittliche Pflicht. In dem Ma�e, als weitereKreise innerhalb des allgemeinen menschlichenZusammenhangs nicht nur zum gef�hlsm��igenBewu�tsein ihrer Lage kommen, sondern auchdar�ber nachzudenken anfangen und sich dar-�ber klar werden, welchen Anteil an ihremSchicksal allgemeine Naturkr�fte, g�ttliche Welt-ordnung u. dgl. haben und welchen Anteil derMachtwille anderer Menschen – in gleichemMa�e erweitert sich auch der Umkreis derethisch-altruistischen Forderungen. Der vonNietzsche gefeierte ‚Sklavenaufstand‘ kehrt inder Geschichte der ethischen ldeen und der aufihnen sich aufbauenden Rechtsbildung immerwieder: wir stehen mitten in einem solchenSklavenaufstande angesichts der m�chtigen Ver-�nderungen, welche unsere �konomische Ethikund unser Wirtschaftsrecht durch die seit einemhalben Jahrhundert immer gebieterischer erschal-lenden Forderungen des Proletariats erfahrenhaben und noch immerzu erfahren. Und nicht einegeheimnisvolle Gewissensmacht, die sich in denGro�kapitalisten und Industriek�nigen ausgebil-det h�tte, nicht eine Offenbarung, die sich diesengewaltigen Herren pl�tzlich als neuer ethischerImperativ ank�ndigte, ist das Treibende in die-ser Entwicklung, sondern hier gilt in WahrheitFeuerbachs Wort:‚Wenn ich auch von mir aus nichts von Uneigen-n�tzigkeit wissen will, so wird doch stets der Ei-gennutz des andern mir die Tugend der Uneigen-n�tzigkeit vorpredigen.‘“

78 Bereits 1895, also 10 Jahre vor der hier bespro-chenen Schrift, hatte Jodl die damals schon sp�rba-re Wirkung Nietzsches auf dessen Gedanken derLebenssteigerung zur�ckgef�hrt und insoweit an-erkannt:

„Und so ist auch die bedeutende Wirkung, wel-che ein Denker wie Nietzsche heute trotz seinerH�rten und Paradoxien hervorbringt, nichts we-niger als ein Beweis gegen die G�ltigkeit desHumanit�tsideals, wenn man dasselbe nur rich-tig im Sinne der Wissenschaft versteht. Denn die-se Wirkung entspringt ja bei vielen aus der Be-sorgnis, da� ein weichliches, schw�chliches Hu-manit�tsideal die wahre Gr��e des menschlichenLebens gef�hrden k�nne; aus der �berzeugung,da� die M�glichkeit sch�pferischer Entfaltung derPers�nlichkeit dem Wohlbehagen der breiten

Masse nicht aufgeopfert werden d�rfe, da� f�rdie Humanit�t im edelsten Sinn einwahrhaft gro-�er Mensch mehr Wert hat als Hunderte und Tau-sende von Mittelm��igkeiten, die nur ins Endlo-se den Gattungstypus vervielf�ltigen.“ Jodl, VomLebenswege, Bd. 2, S. 254f.

79 „Nietzsches Anschauung mit ihrer Behauptungendloser Wiederkehr des Gleichen, mit ihrer un-ers�ttlichen Gier nach Leben, es sei auch wie essei, macht dieses Dasein zur H�lle f�r alle, mitAusnahme der wenigen Herrenmenschen, diestark genug sind, um alles ihr – eigenes Gewis-sen inbegriffen – unter ihren Machtwillen undseine Herrscherlust zu beugen. Dies ist wohl dasFurchtbarste, was je ein Denker den Menschenals Ethik angesonnen hat: die Ewigkeit der H�llen-strafe auf Erden als h�chste Lebensfreude.“ Jodl,Geschichte der Ethik, Bd. 2, S. 471.

80 KSA 8, S. 230.81 Jodl, Vom Lebenswege, Bd. 1, S. 404ff.82 Jodl, Geschichte der Ethik, Bd. 2, S. 466ff.83 Jodl, Allgemeine Ethik, S. 18.84 Jodl, Allgemeine Ethik, S. 107f.85 Jodl, Allgemeine Ethik, S. 114.86 Jodl, Allgemeine Ethik, S. 403ff.87 S.a. Walther, Nietzsche und das Gl�ck, S. 156f.88 Jodl, Vom wahren und vom falschen Idealis-mus, S. 6f.89 Jodl, Vom wahren und vom falschen Idealis-mus, S. 13.90 Nietzsche, Antichrist, S. 27. Bewusst benutzeich eine Original-Ausgabe des Jahres 1941, hg. voneinem Dr. Wilhelm Matthie�en, und mit einem „ent-sprechenden“ Vorwort der Zeit versehen, das soendet: „Godesberg, im ersten Monat des Siegjahres1941“. Es r�cht sich eben, wenn man so zweideu-tig-vereinnahmungsf�hig schreibt wie Nietzsche.91 Jodl, Vom wahren und vom falschen Idealis-mus, S. 34f.92 Jodl, Vom wahren und vom falschen Idealis-mus, S. 35ff.93 Jodl, Vom wahren und vom falschen Idealis-mus, S. 40.94 KSA 6, S. 254.95 KSA 10, S. 167.

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Literaturverzeichnis:A. Friedrich Jodl

I. eigene Schriften

Geschichte der Ethik in der neueren Philosophie. I.Band. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts; mit einerEinleitung �ber die antike und christliche Ethiik. Ver-lag der J.G. Cotta’schen Buchhandlung, Stuttgart1882.Geschichte der Ethik als philosophischer Wissen-schaft. Erster Band. Bis zum Schlusse des Zeital-ters der Aufkl�rung. (2. Aufl. 1906) 4. Aufl. 1930(Wilhelm B�rner), Phaidon-Verlag Essen (Reprint)Geschichte der Ethik in der neueren Philosophie. II.Band. Kant und die Ethik im 19. Jahrhundert. Ver-lag der J.G. Cotta’schen Buchhandlung, Stuttgart1889.Geschichte der Ethik als philosophischer Wissen-schaft. Zweiter Band. Von Kant bis zur Gegenwart.(2. Aufl. 1906) 3. Aufl. 1923 (Wilhelm B�rner),Phaidon-Verlag Essen (Reprint)Lehrbuch der Psychologie. Erster und Zweiter Band(1896). 3. Auflage, J.G. Cotta’sche BuchhandlungNachfolger, Stuttgart und Berlin 1908.Lehrbuch der Psychologie. Erster und Zweiter Band(1896). 4. Auflage, J.G. Cotta’sche BuchhandlungNachfolger, Stuttgart und Berlin 1916.Ludwig Feuerbach. Fromanns Klassiker der Philo-sophie Bd. XVII. Fr. Fromanns Verlag (E. Hauff),Stuttgart 1904.Das Nietzsche-Problem, Separatabdruck aus der„�sterreichischen Rundschau“. Band III, Hg. v. Dr.A. Freiherrn von Berger u. Dr. K. Glossy. Heft 28,Verlagsbuchhandlung C. Konegen, Wien) o.J.(1905). Abgedruckt in Jodl, „Vom Lebenswege“,Bd. 1, S. 390-406 sowie in „Zur neueren Philoso-phie und Seelenkunde“, S. 87-106.Vom Lebenswege. Gesammelte Vortr�ge und Auf-s�tze von Friedrich Jodl. Herausgegeben von Wil-helm B�rner. 2 B�nde. J.G. Cotta’sche Buchhand-lung Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1916/1917.Zur neueren Philosophie und Seelenkunde. Aufs�t-ze von Friedrich Jodl. Ausgew�hlt und herausgege-ben von Wilhelm B�rner. J.G. Cotta’sche Buchhand-lung Nachfolger, o.J. (1917).

�sthetik der bildenden K�nste. Herausgegeben vonWilhelm B�rner. J.G. Cotta’sche BuchhandlungNachfolger, Stuttgart und Berlin 1917.Allgemeine Ethik. Herausgegeben von WilhelmB�rner, 1. und 2. Auflage, J.G. Cotta’sche Buch-handlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1918.Kritik des Idealismus. Bearbeitet und herausgege-ben von Universit�ts-Professor Carl Siegel und Pri-vat-Dozent W. Schmied-Kowarzik, AkademischeVerlagsgesellschaft, Leipzig 1920.Geschichte der neueren Philosophie. Aus dem Nach-la� herausgegeben von Dr. Karl Roretz, Rikola Ver-lag, Wien / Leipzig / M�nchen 1924.

II. �ber Friedrich Jodl

B�rner, Wilhelm: Friedrich Jodl. Eine Studie. Miteiner Charakteristik Fr. Jodl’s als Anhang von Dr.phil. et. med. Hugo Spitzer. J.G. Cotta’sche Buch-handlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1911.B�rner, Wilhelm: Friedrich Jodl. Gedenkbl�tter.Neuer Frankfurter Verlag, Frankfurt am Main 1914.Jodl, Margarete: Friedrich Jodl. Sein Leben undWirken. 1. und 2. Auflage, J.G. Cotta’sche Buch-handlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1920.Jodl, Margarete (Hrsg.): Bartholom�us vonCarneri’s Briefwechsel mit Ernst Haeckel und Fried-rich Jodl. 1870/1908. Koehler/Leipzig 1922.Gimpl, Georg (Hrsg.): Unter uns gesagt. Friedrich JodlsBriefe an Wilhelm Bolin. L�cker Verlag, Wien 1990.Stachel, Peter: „In eminentem Sinne Kulturauf-gaben“. Der Briefwechsel zwischen Friedrich Jodlund Alexius Meinong. Uni Graz, Spezialforschungs-bereich Moderne. Wien und Zentraleuropa um1900. Internetpublikation: http://www-gewi.kfunigraz.ac.at/moderne/ heft11s.htm.

B. Friedrich Nietzsche

I. eigene Schriften

Der Antichrist. Versuch einer Kritik des Christen-tums. Hg. von Dr. Wilhelm Matthiessen, NordlandVerlag Berlin 1941.Der Wille zur Macht. Versuch einer Umwertung al-ler Werte. Ausgew�hlt und geordnet von Peter Gastunter Mitwirkung von Elisabeth F�rster-Nietzsche.Alfred Kr�ner Verlag, Stuttgart 1964.

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Aufkl�rung und Kritik 3/2014, Schwerpunkt Friedrich Jodl172

Jugendschriften 1854-1869 (BAW 1-5), Heraus-gegeben von Hans Joachim Mette, Deutscher Ta-schenbuch Verlag, M�nchen 1994.S�mtliche Werke, Kritische Studienausgabe (KSA),Herausgegeben von Giorgio Colli und MazzinoMontinari. 15 Bd., DTV M�nchen (1967-1977/1988) Neuausgabe 1999.S�mtliche Briefe, Kritische Studienausgabe (KSB),Herausgegeben von Giorgio Colli und MazzinoMontinari. 8 Bd., DTV M�nchen (1986) 2. Aufla-ge 2003.

II. �ber Friedrich Nietzsche

Nordau, Max: Entartung, Bd. II, Berlin 1893.Andreas-Salom�, Lou: Friedrich Nietzsche in sei-nen Werken. 1894. Neu herausgegeben mit Anmer-kungen von Thomas Pfeiffer. Frankfurt am Main/Leipzig, Insel 2000.Simmel, Georg: Friedrich Nietzsche. Eine moral-philosophische Silhouette, Zeitschrift f�r Philosophieund philosophische Kritik. Neue Folge, 107. Band,Heft 2, 1896, S. 202-215; im Internet auf derWebseite des Verf. unter http://www.f-nietzsche.de/simmel.htm.Riehl, Alois: Friedrich Nietzsche. Der K�nstler undder Denker. Frommanns Klassiker der PhilosophieBd. VI. Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff), Stuttgarto.J. (1897).M�bius, Paul Julius: �ber das Pathologische beiNietzsche. Verlag von J.F. Bergmann, Wiesbaden1902.Schlaf, Johannes: Der �Fall� Nietzsche. �Eine �ber-windung�. Verlag v. Theod. Thomas, Leipzig 1907.Richter, Raoul: Friedrich Nietzsche. Sein Leben undsein Werk. Sechzehn Vorlesungen, gehalten an derUniversit�t zu Leipzig (1903).2. Auflage, Verlag derD�rr’schen Buchhandlung, Leipzig 1909.Betram, Ernst: Nietzsche. Versuch einer Mytholo-gie (1918), 10. Aufl., Bouvier, Bonn 1989 .Janz, Curt Paul: Friedrich Nietzsche. Biographie.Band 1-3, Carl Hanser Verlag, M�nchen-Wien1978/1979.Schmidt, Hermann Josef: Nietzsche absconditus oderSpurenlesen bei Nietzsche. 4 B�nde: I. Kindheit Teil1/2. I. Kindheit Teil 3. II. Jugend 1. Teilband. II.

Jugend 2. Teilband. IBDK Verlag, Berlin –Aschaffenburg 1991/1993/1994.Krummel, Richard Frank: Ausbreitung und Wirkungdes Nietzscheschen Werkes im deutschen Sprach-raum. Vom Todesjahr bis zum Ende des Weltkrie-ges. de Gruyter, Berlin 1993.Krummel, Richard Frank: Nietzsche und der deut-sche Geist, Bd. 1. de Gruyter, Berlin, 2. Aufl. 1998.Benders, Raymond und Oettermann, Stephan:Friedrich Nietzsche. Chronik in Bildern und Tex-ten. Stiftung Weimarer Klassik bei Hanser, Deut-scher Taschenbuch Verlag, Carl Hanser Verlag,M�nchen-Wien 2000.Paneth, Josef: Vita Nuova. Ein Gelehrtenleben zwi-schen Nietzsche und Freud. Autobiograpie – Es-says – Briefe. Herausgegeben und kommentiert vonWilhelm W. Hemecker. Leykam, Graz, 2007.Walther, Helmut: Nietzsche und das Gl�ck, in: Auf-kl�rung & Kritik, Sonderheft 14/2008, Gl�ck undLebenskunst.Fischer, Bernhard und F�hl, Thomas (Hrsg.): VonBeruf Kulturgenie und Schwester. Harry GrafKessler und Elisabeth F�rster-Nietzsche. Der Brief-wechsel 1895-1935, 2 Bd., 2013 WV – WeimarerVerlagsgesellschaft in der Fourierverlag GmbH.Schmidt, Hermann Josef: „Dem gilt es den Tod, derdas gethan“. Nietzsches fr�he Entwicklung und ei-nige ihrer Folgen, Alibri Verlag, Aschaffenburg 2014.

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