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PÜNKTCHEN UND ANTON 10+ von Erich Kästner BEGLEITMATERIAL ZUM STÜCK

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P Ü N K T C H E N U N D A N T O N 1 0 +von Erich Kästner

B E G L E I T M A T E R I A L Z U M S T Ü C K

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Es spielen:Pünktchen

AntonHerr PoggeFrau Pogge

Die dicke BertaFräulein Andacht

Frau GastGottfried Klepperbein, Herr Bremser

Robert der Teufel, Herr Habekuss, Wachtmeister

Regie Bühne und Kostüme

DramaturgieTheaterpädagogik

Licht Ton- und Videotechnik

RegieassistenzBühnen- und Kostümassistenz

SoufflageInspizienz

Technischer Direktor Bühnenmeister

MaskeRequisite

AnkleidereiRegiehospitanz

Dramaturgiehospitanz

Melina Borcherding Tim RiedelJakob KrazeElisabeth HeckelDenis PöppingBirgit BertholdKinga SchmidtJohannes Hendrik LangerJohannes Schäferund Ragna

Milan PeschelMagdalena MusialKarola MarschSarah KramerRainer PagelMax BertholdUta SeweringVanessa SgarraJutta RutzAnne-Sophie AttinostEddi DamerMarc LautnerJulia Habib, Ilonka SchrönSarah KornettkaUte Seyer, Birgit WildeSarah KurzeTheresa Schouwink

Die Rechte liegen beim Verlag für Kindertheater Hamburg.Film- und Videoaufzeichnungen während der Vorstellung sind nicht gestattet.In der Inszenierung werden Filmausschnitte aus „Die Sinfonie der Großstadt“ (1927), „Lichtspiel opus 3“ (1924) und Streetvideos von Berlin verwendet.

Premiere: 16. Mai 2017Bühne 1125 Minuten mit Pause

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Mir scheint, dass wir auch in den dunkelsten Stunden, während wir an nichts mehr glauben, noch immer an alles glauben, nur nicht mehr an erfüllbare Hoffnungen hier, jetzt und durch uns

selber. Deshalb, wenn auch keineswegs nur deshalb, wenden viele von uns ihre gesamte Aufmerksamkeit,

Mühe und Zuversicht den Kindern zu. Denn die Kinder sind unschuldig. Selbstverständlich nicht so, als ob sie Engel zu Fuß wären, sondern weil sie zum Schuldigwerden

noch keine Zeit hatten. Dass wir wieder werden wie die Kinder, ist eine unerfüllbare und bleibt eine ideale Forderung. Aber wir können zu verhüten suchen,

dass die Kinder werden wie wir.

Aus: Erich Kästner, Resignation ist kein Gesichtspunkt.

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I N H A L TEinleitung 5

Über das Regieteam 6

Milan Peschel Regie 6Magdalena Musial Bühne + Kostüme 7

Über Erich Kästner 7

Kästners Blick auf Kindheit und Kinder in seinen Kinderromanen 9

Über die Inszenierung 10

Erich Kästner als Kinderbuchautor 12

Erich Kästner und das Theater 12

Texte von Erich Kästner 14

Der Streichholzjunge 14Kurzgefasster Lebenslauf (1930) 14Ansprache zum Schulbeginn 15

Ankündigungen und Rezensionen über die Ins zenierung von Milan Peschel 18

Milan Peschel bringt ‚Pünktchen und Anton‘ auf die Bühne 18„Ich will, dass die Leute lachen“ 19Theaterstück „Pünktchen und Anton“Wie es ist, arm zu sein 21

ANREGUNGEN FÜR DEN UNTERRICHT  22

Kleines Warm-up 22Pünktchen und Anton auf Streifzug durch Berlin – Experiment im öffentlichen Raum 24Mein Kiez, Mein Berlin 25Original Schauplätze 26Pünktchen und Anton und das Dosenquiz 26

Hinweise für den Theaterbesuch 27

Impressum 28

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E I N L E I T U N GSehr geehrte Damen und Herren,das vorliegende Material zu unserer Inszenierung „Pünktchen und Anton“ von Erich Kästner gibt Ihnen sowohl Einblicke zu Erich Kästner als Kinder-buchautor als auch in die Intentionen und Umset-zung auf der Bühne durch die Regie von Milan Peschel und die Ausstattung von Magdalena Musial. Mit „Pünktchen und Anton“ haben wir uns einen lang gehegten Wunsch erfüllt. Steht doch dieser Kin-derbuchklassiker ganz in der Tradition Kästnerschen Schreibens: Die Kinder nehmen ihre Geschicke selber in die Hand, befragen und erkunden ihre Welt und sind unterwegs in dieser wunderbaren Metro-pole Berlin. Aus Kästners Geschichten sprechen Autonomie und Eigenständigkeit der Kinder, ihre Stärke und ihr Eigensinn und die Liebe und Wert-schätzung des Autors gegenüber den Erlebnissen und Erfahrungen seiner Kinderfiguren. Es ist Milan Peschels zweite Theaterarbeit eines Kästner-Kinderbuches, vor vielen Jahren inszenierte er an der Parkaue bereits „Das doppelte Lottchen“. Davor hatte er 2006 sein Regiedebüt bei uns mit „Der Fischer und seine Frau“ gegeben und auch „Das Gespenst von Canterville“ war eine Arbeit von ihm an unserem Theater. Milan Peschels Regiehand-schrift zeichnet sich durch eine besondere theatrale Kraft aus. Er entwickelt Szenen allmählich, so dass die jungen Zuschauer*innen sehen und daran teil-nehmen können, wie sich ein Konflikt aufbaut, wie er entsteht, was durch unterschiedliche Interessen losgetreten wird und wie sich ein Konflikt in welche Richtungen lösen lässt. Diese ureigene Erzählweise im Theater ist heute längst keine Selbstverständlich-keit mehr, sondern fast zur Ausnahme geworden. Sie setzt darauf, dass die Zuschauer*innen autonom das Geschehen verfolgen und ihre eigenen Gedanken über die Figuren und die Geschehnisse einschalten, sich zu dem, was sie auf der Bühne sehen, ins Ver-

hältnis setzen: Wie denke ich darüber, wie sehe ich die Sache? Diese Erzählweise setzt auf Partnerschaft mit dem Publikum und geht nicht mit Erklärungen und vorschnellen Einordnungen über das Publikum drüber. Jede Figur bekommt ihre eigene Erzählung, warum sie so handelt, wie wir sie erleben. Das Urteil aber über eine Figur wird uns nicht gleich mitgelie-fert, das müssen wir schon selber tun.Milan Peschels Theater lebt von wunderbaren und vielseitigen Schauspieler*innen. Es ist eine Freude, als Zuschauer*in ihnen bei ihrer Arbeit zusehen zu dürfen. Denn sie bringen uns dazu, dass wir mit ihren für uns gespielten Figuren mitfiebern, mit-lachen, mitweinen. Es ist ein überaus emotionales Theater, das die großen Emotionen ebenso wenig scheut wie die widersprüchlichsten menschlichen Eigenschaften. Hier hat jede*r seinen Platz und darf vorkommen: die Übermütigen, die Vorlauten, die Witzigen, die Klugen, die Überdrehten, die Verräter, die Berechnenden, die Nutznießer und die Genießer, die Armen und die Reichen, die Bedürftigen und Hilflosen, die Empathischen und die, die Welt und die Menschen besser machen wollen.Seien Sie uns mit Ihren Schüler*innen willkommen und genießen Sie zwei Stunden lang Vollblut-theater! Für Ihre Fragen, Anmerkungen und Kom-mentare wenden Sie sich gerne an mich unter [email protected]ür eine theaterpädagogische Begleitung wenden Sie sich bitte an Sarah Kramer unter [email protected].

Mit freundlichen GrüßenKarola Marsch Chefdramaturgin

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Ü B E R D A S R E G I E T E A MMilan Peschel RegieMilan Peschel wurde an der Staatsoper Berlin zum Theatertischler ausgebildet und arbeitete bis 1991 als Bühnentechniker an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Er besuchte die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ und war von 1997 – 2008 Ensemblemitglied an der Volksbühne. Er arbeitete kontinuierlich mit Frank Castorf, Armin

Petras und Dimiter Gotscheff zusammen. 2006 erfolgte sein Regiedebut mit „Der Fischer und seine Frau“ von Einar Schleef am THEATER AN DER PARKAUE. Milan Peschel inszenierte seither u.a. am Maxim Gorki Theater, am Deutschen Theater Berlin, am schauspiel hannover, am Betty Nansen Theater in Kopenhagen. Unter der Regie vor allem

Szenenfoto mit Tim Riedel

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von Paul Plamper ist er an vielen Hörspielproduktio-nen beteiligt. Für seine Hauptrolle eines tumorkran-ken Vaters in „Halt auf freier Strecke“ von Andreas Dresen wurde Milan Peschel mit dem Bayerischen Filmpreis 2011 und dem Deutschen Filmpreis 2012 ausgezeichnet.

Magdalena Musial Bühne + KostümeMagdalena Musial studierte Bühnenbild in Graz und Hamburg. Anschließend folgten Arbeiten am Hans-Otto-Theater in Potsdam, am Schauspiel Leipzig, an den Freien Kammerspielen Magdeburg und am Theater Bremen. Des Weiteren arbeitete sie u.a. mit Grzegorz Jarzyna im tr warszawa, mit Armin Petras

am Stary Teatr in Krakau, mit Michal Zadara am Teatr Wybrzeze in Gdansk. In Berlin arbeitete sie am Deutschen Theater, am Schillertheater, an den sophiensaelen, am THEATER AN DER PARKAUE. Weitere Arbeiten führten sie ans Nationaltheater Weimar, Schauspielhaus Wien, TR Warszawa, an die Lithuanian National Opera in Vilnius, die Slovenské národné divadlo in Bratislava, das Mariinsky Theatre in St. Petersburg, die National Oper in Warschau, mit Kay Wuschek ans Theater Surgut in Russland und ans Betty Nansen Theater in Kopenhagen. Für „Pünktchen und Anton“ arbeitete sie zum fünften Mal mit Milan Peschel zusammen.

Ü B E R E R I C H K Ä S T N E RErich Kästner beginnt Ende 1931 sein großes Berlin-Romanfragment „Der Gang vor die Hunde“, das lange als „Fabian“ bekannt ist. Es ist vor allem dieser Roman, der Erich Kästner zum Dekadenten bei den Nationalsozialisten verdammt und dazu führt, dass seine Bücher am 10. Mai 1933 auf dem heutigen Bebelplatz verbrannt werden. Er ist der einzige Schriftsteller, der der Verbrennung seiner Bücher zusieht. Im Juni 1932 unterbricht er für zehn Tage seine Arbeit am Fabian-Roman, weil seine Lektorin ein Kinderbuch fürs Weihnachtsgeschäft wünscht. Innerhalb dieser zehn Tage gelingt ihm der Wurf mit „Pünktchen und Anton“, denn durch „Fabian“ ist er Tag und Nacht mit der Großstadt Ber-lin verbunden. Kästner setzt das Erfolgsrezept von „Emil und Detektive“ fort: Als erster Schriftsteller in der Literatur gibt er Kindern das Ruder in die Hand und entwirft so eine utopische Welt: „Die Erde soll früher einmal ein Paradies gewesen sein. Möglich ist alles. Die Erde könnte wieder ein Paradies werden. Alles ist möglich.“Der Literaturwissenschaftlicher und Kästner-Biograf und Herausgeber Sven Hanuschek fasst im Nach-

wort der vollständigen Ausgabe „Der Gang vor die Hunde“ Erich Kästners Leben wie folgt zusammen:„Kästner war 1899 in Dresden geboren worden; den Weltkrieg und die Militärzeit (1917 – 1919) hatte er mit einer Herzneurose überstanden, das Lehrer-Seminar brach er ab, studierte anschließend Germa-nistik in Rostock, Berlin und vor allem in Leipzig. Dort promovierte er 1925 über die Erwiderungen auf Friedrichs des Großen Schrift „De la littérature allemande“; eine zuvor geplante Arbeit über Les-sings „Hamburgische Dramaturgie“ hatte er abge-brochen, er wusste also genau, was es mit Labudes Lessing-Habilitationsarbeit auf sich hatte (Bezug zur Romanfigur in „Der Gang vor die Hunde“ – Anm. Karola Marsch). Nach einer mehrjährigen gescheiterten Liebesbeziehung zu der Chemikerin Ilse Julius und einem Provinzskandal bei der neuen Leipziger Zeitung um ein erotisches Gedicht, das zur Entlassung des Journalisten Erich Kästner (und seines Illustrators Erich Ohser) führte, ging er 1927 nach Berlin.Dieser junge Mann war ehrgeizig, er kannte seine ästhetischen Mittel und er war entschlossen, als

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freier Schriftsteller und Journalist berühmt zu werden; in der Großstadt, die er belebend und anregend fand wie keinen zweiten Ort im Deutsch-land der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre. Der junge Kästner verbringt hier seine produktivsten, frechsten, genialsten Schriftstellerjahre, bis diese Karriere durch die NS-Karriere 1933 abgeschnitten wird. Unmittelbar nach dem Regimewechsel ist er ein verbotener, ‚verbrannter‘ Autor. Er kann das mit dem „Fabian“ und den frühen Gedichten erreichte Niveau nicht mehr einholen; als innerer Emigrant im „Dritten Reich“, der weiterhin von seinem Beruf leben will und muss, sieht er sich genötigt, dezidiert unpolitische Arbeiten zu schreiben. So entstehen Unterhaltungsromane, Kinderbücher und Boulevard-komödien unter gemeinsamen Pseudonymen mit Freunden, die der Reichsschrifttumkammer bei-treten konnten. Zwar konnten seine Kinderbücher und Unterhaltungsromane dank der Gründung des Atrium Verlages in Zürich durch den jüdischen Ver-leger Kurt Maschler noch bis 1938 aus der Schweiz

importiert und in Deutschland verkauft werden; auch konnte Kästner mit der Sondergenehmigung 1941/1942 sogar unter dem Pseudonym „Bert-hold Bürger“ Drehbücher für die UFA schreiben („Münchhausen“, „Der kleine Grenzverkehr“) – um anschließend einem Totalverbot vom Januar 1943 an bis zum Kriegsende zu unterliegen. An den eigenen Kompromissen, am eigenen Verhalten nach 1933 hat sich Kästner bis zu seinem Tode 1974 abgearbeitet, bei allen Erfolgen, die er auch nach dem Krieg noch hatte, mit der erneuten Arbeit als Feuilletonchef und Publizist bei der Neuen Zeitung, als Kabarettautor, als Erzähler und Dramatiker mit Werken wie dem „Doppelten Lottchen“ (1949) und der „Konferenz der Tiere“ (1949), der „Schule der Diktatoren“ (1956), „Notabene“ (1961) und der Kindheitsbio-grafie „Als ich ein kleiner Junge war“ (1957). Als Person des öffentlichen Lebens, als PEN-Präsident und Büchnerpreisträger hat er nicht unbedingt sein Werk, aber entschieden sich selbst politisiert; er protestierte gegen die Wiederbewaffnung und gegen

Szenenfoto mit TIm Riedel, Melina Borcherding, Johannes Hendrik Langer, Elisabeth Heckel und Johannes Schäfer

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Vietnam, gegen ein neues Schmutz-und-Schund-Gesetz, er ging auf die Straße, wann immer er es für nötig hielt, denn er wusste, was es bedeutete, in einer Diktatur zu leben. Dass Kästner im Nationalsozialismus verboten war, hatte zuallererst mit einigen Gedichten zu tun – mit „Die andere Möglichkeit“ („Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,/ mit Wogenprall und Sturm-gebraus,/ dann wäre Deutschland nicht zu retten / und gliche einem Irrenhaus“) oder mit „Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?“, „Stimmen aus dem Massengrab“, „Das Führerproblem, genetisch betrachtet“ oder dem „Marschliedchen“, in dem den Militaristen gesagt wurde, sie seinen dumm und nicht auserwählt: „Mit diesen Leuten war kein Staat zu machen!“ Ein Stein des Anstoßes war auch „Fabian“ – die politische Schlagseite des Romans, der zwar nur vage im linken Spektrum bleibt, aber

doch deutlich eine pazifistische Gesinnung erkennen lässt; und der offene Umgang mit Sexualität, der als obszön galt. So dürfte der Ausruf „Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat!“, mit dem die Nationalsozialisten am 10. Mai 1933 die Werke von Erich Kästner, Heinrich Mann und Ernst Glaeser auf dem Berliner Opernplatz in die Flammen warfen, vor allem dem Autor des „Fabian“ gegolten haben.“Bei der Literaturwissenschaftlerin Ute Harbusch findet sich folgende Bemerkung über Erich Kästner und die Frage „Was brauchen Kinder?“: „Erich Kästner, sein Leben und sein Werk geben dreierlei Antwort: Kinder brauchen Frieden, Schokolade und Geschichten. Man könnte auch sagen: sie brauchen Erziehung, Liebe und Kunst, oder: sie brauchen ein Zuhause, zu essen und zu lesen, und würde dasselbe damit meinen.“

K Ä S T N E R S B L I C K A U F K I N D H E I T U N D K I N D E R I N S E I N E N K I N D E R R O M A N E NErich Kästner hat Themen und Darstellungsweisen in die Kinderliteratur eingebracht, die es dort bis dahin nicht gab. Er hat sich als Pionier in einer zeitgenössischen und modernen Auffassung von Kindheit und Kinderliteratur erwiesen. Bis heute führen wir immer wieder die Debatte und den Dis-kurs darüber, was kindgerecht sei. Doch wer steuert diese Diskussionen, wovon sind sie geprägt? In den meisten Fällen beurteilen wir, was kindgerecht sei, nach unseren eigenen moralischen Werten und ver-lagern diese auf die Kinder, die wir meinen schützen zu müssen. Ganz anders Erich Kästner. Er gesteht seinen Kinder-Charakteren Autonomie, selbst-bestimmtes und eigenständiges Denken und Handeln zu.

Während die Großstadt oftmals mit den Attributen laut, dreckig und hektisch in Verbindung gebracht wird, ist Berlin bei Kästner der Inbegriff des Lebens. Die Kinder- und Jugendliteratur formiert für ge-wöhnlich ein friedvolles Handlungsumfeld, wie zum Beispiel auf dem Land, in dem die Großstadt als Pflaster der Erwachsenenwelt gilt. Kästner hingegen entlässt seine Protagonisten Pünktchen und Anton in eben diese Welt, in der sie das Leben erfahren sollen. Sie bewegen sich selbstverständlich durch die Stadt, sowohl am Tage als auch am späten Abend. Seine Kinderhelden nehmen ihre Geschicke selber in die Hand. Freundschaften und Konflikte regeln diese Kinder außerhalb einer Erwachsenenwelt. Überhaupt treffen wir bei Kästner ein völlig neues Konzept

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über das Verhältnis von Kindern und Erwachsenen an. Das beginnt mit dem Familienkonzept, das nicht der der damals gängigen Kernfamilie entspricht. Bei Kästner kommen die Eltern als Akteure und Steuerer der Kinder kaum vor. Sie sind viel weniger ihre Erzieher als vielmehr Partner. Sie sind viel weniger Autoritäten und Instanzen. Sie sind nicht

mehr unhinterfragt. Vielmehr sind die Erwachsenen in Kästners Kinderromanen Gegenstand der Be-trachtung durch die Kinder. Und die Kinder erleben wir als mitverantwortlich am Leben, sie sichern den Lebensunterhalt genauso mit ab. Weiterhin ist es neu in der Kinderliteratur, dass Kinder aus unterschiedli-chen sozialen Welten thematisiert werden.

Ü B E R D I E I N S Z E N I E R U N GDiese literarische Erzählweise und Konfliktgestal-tung trifft wunderbar auf Milan Peschels Regie- und Theaterauffassung. Wie ich eingangs in der Einlei-tung beschrieb, setzt der Regisseur auf die Kinder als eigenständige und autonome Rezipient*innen. Das ist nicht selbstverständlich. Zu oft werden Kinder in ihren Sichten auf die Welt, ihre eigenen Erfahrungen und ihre Urteile durch Erwachsene bevormundet, werden sie gar nicht in die Lage versetzt, eigene Haltungen zu entwickeln. Erwachsene übertragen leichtfertig eigene Werte und Überzeugungen auf Kinder und sehen darin ihr Verständnis von Erzie-hung verwirklicht. Ja wie spielt sich denn nun Wer-teerziehung ab? Es ist ein weites Feld. Eine Antwort ist, Kindern die Möglichkeit zu geben, im Austausch mit Anderen, Gleichaltrigen und Erwachsenen, einen Wertekanon zu entwickeln. Hervorragend geschehen kann es durch eine Beschäftigung und Auseinander-setzung mit Kunst und Literatur. Wir alle kennen die klassischen und zeitgenössischen Essays und Aufsät-ze unter dem Stichwort „Kinder brauchen Märchen“ von Ludwig Bechstein bis Gerald Hüther und Jesper Juuls. In jahrhundertealten Geschichten ebenso wie in vielen klassischen und zeitgenössischen Texten oder Filmen werden Werte um Gerechtigkeit, Liebe, Zusammenhalt und Mut verhandelt. So auch bei Erich Kästner. So auch bei Milan Peschel.Erich Kästner hat sich in seinem Roman „Pünktchen und Anton“ dafür entschieden, einen direkten Kon-takt zu seinen Leser*innen einzuschalten, indem er

sich als Erzähler direkt mit seinen Nachdenkereien an sie wendet. In diesen Nachdenkereien tritt er mit seinen Leser*innen in den Dialog, bespricht -ein-seitig- mit ihnen die Figuren, die Situationen, einen Wertekanon rund um seine Geschichte und ihren Fortgang. Er erzählt also nicht einfach eine Ge-schichte und verlässt sich darauf, dass die Leser*in-nen sich schon selbst ihre Gedanken dazu machen werden. Nein, er setzt dieses Sich-Gedankenmachen über das, was man liest als Prinzip zur Rezeption ein. Er überlässt die Auseinandersetzung um seine Figuren und ihre Situationen und Handlungen nicht dem Zufall, er fordert sie regelrecht ein. Rezeption einer Geschichte geht bei Kästner unabdingbar mit der eigenen Auseinandersetzung und Beschäftigung einher. Der schottische Schriftsteller und Pädagoge Alexander Sutherland Neill hat das in seinem 1938 erschienenen Kinderbuch „Die grüne Wolke“ auf eigene Weise fortgesetzt. Bei ihm bestimmen die zu-hörenden Kinder in seiner Geschichte den Fortgang und übernehmen zunehmend das Ruder, während der erwachsene Erzähler ausgeschaltet wird.Wie ist Milan Peschel mit dieser Ansprache an die Leser*innen auf der Bühne umgegangen? Es war schnell klar, dass es keinen direkten Dialog mit dem Zuschauersaal geben soll. Bereits die Alters-gruppe ab 9, 10 Jahren macht deutlich, dass Kinder in diesem Alter nicht mehr den direkten Dialog mit der Bühne führen wollen, wie es noch 5-, 6- oder 7-jährige Kinder z.B. in Märchenaufführungen tun.

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Trotzdem waren ihm die Nachdenkereien wichtig. Sind sie doch auch Ausdruck dafür, dass man eine sich vollziehende Geschichte nicht einfach so als Rezipient*in hinnehmen muss, sondern sich eben dazu in Beziehung setzen kann, mit der Geschichte in einen Dialog treten. So ist es in der Inszenierung, dass die Figuren aus ihrem Figurenrahmen heraus-treten (können) und über das, was vor sich geht, austauschen, diskutieren, eine andere Position ein-nehmen in ihrem Sprechen darüber, ihrem Beurteilen einer Situation, als sie sie selbst gerade eben gespielt haben oder spielen werden. Das fordert immer eine

Haltung des/der Schauspieler*in heraus zu dem, was sie selber als Spieler*in auf der Bühne tun. Damit schafft Milan Peschel eine Übertragung der Lesesi-tuation auf die Bühne. Die jungen Zuschauer*innen erleben auf diese Weise, dass die Figuren und die Schauspieler nicht identisch sind bzw. dass die Figur auf der Bühne nicht identisch sein muss in dem, was sie tut und wie sie es bewertet. Das schafft einen Raum für die Zuschauer*innen, sich selber in diese Lücke von Spiel und Reflexion einzuschreiben und eigene Haltungen zu den Figuren und der Geschichte zu entwickeln.

Szenenfoto mit Melina Borcherding und Birgit Berthold

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Lasst Euch die Kindheit nicht austreiben!Edith Jacobsohn, die Witwe des “Weltbühne”-Ver-legers Siegfried Jacobsohn, regte ihn bei einem Autorentreffen an, für Kinder zu schreiben.„An einem dieser Nachmittage bugsierte sie mich auf den Balkon, klemmte ihr Monokel ins Auge und sagte: ‚Sie wissen, dass ich die Weltbühne nur leite, weil mein Mann verstorben ist. Und Sie wissen auch, dass mir der Kinderbuchverlag Williams & Co gehört.‘Ich nickte. Ich wusste es. Sie hatte, in deutscher Übersetzung, Hugh Loftings Doolittle-Bände herausgebracht, ‚Pu der Bär‘ von A.A. Milne und zwei Bände von Karel Capek. Der Verlag genoss größtes Ansehen.‚Es fehlt an guten deutschen Autoren‘, sagte sie. ‚Schreiben Sie ein Kinderbuch!‘Ich war völlig verblüfft. ‚Um alles in der Welt, wie kommen Sie darauf, dass ich das könnte?‘‚In Ihren Kurzgeschichten kommen häufig Kinder vor‘, erklärte sie. ‚Davon verstehen Sie eine ganze Menge. Es ist nur noch ein Schritt. Schreiben Sie

einmal nicht über Kinder, sondern auch für Kinder!‘‚Das ist sicher schwer‘, sagte ich. ‚Aber ich werds versuchen.‘Fünf, sechs Wochen später rief Edith Jacobsohn bei mir an. ‚Haben Sie sich die Sache durch den Kopf gehen lassen?‘‚Nicht nur das, gab ich zur Antwort. ‚Ich schreibe gerade am neunten Kapitel.‘“(In: Einiges über Kinderbücher in: Das Kästner Buch, Piper-TB-Ausgabe)Mit „Pünktchen und Anton“, „Das fliegende Klas-senzimmer“, „Das doppelte Lottchen“ und „Die Konferenz der Tiere“ gelangen ihm Romane für Kinder, die auch heute noch nicht an Bedeutung und Aktualität verloren haben. Noch immer gehören sie mit „Emil und die Detektive“ zu den beliebtesten Kinderbüchern und noch immer dürfen sich die Ver-filmungen hoher Einschaltquoten erfreuen. Welcher deutsche Kinderbuchautor kann das sonst von sich behaupten und selbst international gibt es außer Astrid Lindgren und Enid Blyton nur wenige, die sich daran messen lassen können.

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„Ich liebe das Theaterspielen von Herzen, aber als Zuschauer.“Erich Kästners Liebe zum Theater ist wie viele andere Themen, die sein Leben durchziehen, auf Erlebnisse in der Kindheit zurückzuführen. In seinen Erinnerungen “Als ich ein kleiner Junger war” schreibt er: “Meine Laufbahn als Zuschauer begann sehr früh, und der Zeitpunkt war ein Zufall. Ich war

sieben oder acht Jahre alt, als meine Mutter bei Frau Wähner, ihrer Putzmacherin, eine gewisse Frau Gans kennenlernte und sich mit ihr anfreundete.” Eine der Töchter von Frau Gans spielte leidenschaftlich gern Theater und war froh, wenn sie außer ihrer Mutter und ihrer kranken Schwester, Frau Kästner und Erich als Zuschauer hatte.Durch Hilde Gans kamen Erich und seine Mutter

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in Kontakt mit richtigen Bühnen und entdeckten schließlich die Dresdener Theater: das Alberttheater, das Schauspielhaus und die Oper wurden bald ein zweites Zuhause für Erich Kästner.Regelmäßige Theaterbesuche gehören also zu den Dingen, die seine Mutter ihm ermöglicht hat – auch wenn es z.T. auf Steh- oder billigen Sitzplätzen war. Der Theatergeschmack konnte sich schon früh bilden, womit eine gute Grundlage für die späteren Theaterkritiken geschaffen war.Erste Gehversuche in der schriftlichen Theater-kritik musste und durfte Erich Kästner während des Studiums machen. Einer der Dozenten am Zeitungs-wissenschaftlichen Institut in Leipzig verlangte von seinen Studenten, dass sie direkt im Anschluss an eine Aufführung eine Kritik verfassten und diese noch in der gleichen Nacht an ihn absandten. Sie sollten sich nicht von der professionellen Theaterkri-tik beeinflussen lassen. Eine harte, aber gute Schule, in der Erich Kästner wieder einmal erfolgreich war. Der Kommentar seines Lehrers, Dr. Morgenstern: “Ich habe in diesem Institut nur zwei echte Begabun-gen kennengelernt: Eugen Ortner und Sie!”Schon während des Studiums befasste sich Kästner auch mit den theoretischen Hintergründen des Theaters, er plante sogar eine Dissertation über Lessings Dramaturgie, musste diesen Plan aber aus finanziellen Gründen aufgeben.Mit diesen Voraussetzungen traf Kästner 1927 in Berlin ein. Hier konnte er Theaterkritiken üben und seine theoretischen Kenntnisse vertiefen, war er doch Zeitzeuge der ersten Gehversuche des experi-mentellen Theaters von Max Reinhardt und Erwin Piscator.War es da verwunderlich, dass in Erich Kästner ein neuer Berufswunsch aufkeimte? Nun wollte er Theaterregisseur werden. Um erste Anschauungen von dieser Tätigkeit zu bekommen, suchte er Kon-takt zu Theaterregisseuren, die jedoch abwinkten, so dass er schließlich zu einer List greifen musste:Er wusste, bei welchem Friseur der Theaterregisseur Berthold Viertel sich rasieren ließ und arrangierte es, dort eines Tages neben ihm zu sitzen. Viertel war von der List und der Frage, ob Kästner bei

Proben zuschauen dürfe, so erheitert, dass er ihm die Anwesenheit bei den Vorbereitungen für seine neue Inszenierung erlaubte. Allerdings fand die Lehrstun-de in Sachen Theater ein Ende, als eine der Haupt-darstellerinnen Kästner im Theater bemerkte und ihn hinauswerfen ließ.Danach legte Kästner einen Schwerpunkt seines Theaterschaffens darauf, Theaterstücke zu schrei-ben. Im Laufe seines Lebens wurde sogar das eine oder andere uraufgeführt und noch hin und wieder inszeniert, z.B. 1948 „Zu treuen Händen“ und 1957 „Die Schule der Diktatoren“. Doch hauptsächlich beschränkte sich Kästners Theaterpräsenz auf Bühnenfassungen seiner Kinderbücher, allen voran „Emil und die Detektive“.https://kaestnerimnetz.wordpress.com/kaestner/und-das-theater/:

Szenenfoto mit Johannes Schäfer, Tim Riedel und Johannes Hendrik Langer

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T E X T E V O N E R I C H K Ä S T N E RDer Streichholzjunge Streichhölzer! Kaufen Sie Streichhölzer! Drei Schachteln zwanzig!

Sie lachen, statt was zu kaufen. Oder sie sind entrüstet und knurren, während sie weiterlaufen. Wenn ihr nur wüsstet ... Streichhölzer! Kaufen Sie Streichhölzer! Drei Schachteln zwanzig! Vater kriegt zehn Mark Unterstützungund Mutter ein kleines Gesicht.Wir haben ein Zimmer mit Küchenbenützung.Aber wir benützen die Küche gar nicht.Gestern trank Vater paar Flaschen Bier.Mutter hat nicht mittrinken gemocht.Vater sang: „Ein freies Leben führen wir!“Und dann hat er das Fenster zerpocht.

Streichhölzer! Kaufen Sie Streichhölzer!Drei Schachteln zwanzig!

Mein Pappkarton wird nicht leer.Den Aufsatz muss ich noch machen.Wenn ich bloß nicht so müde wär.Kaufen Sie Streichhölzer, statt zu lachen!

Mit braunen und schwarzen Schnürsenkelnverdient man natürlich mehr.Doch da brauchte ich erst mal drei Mark.Und wo nehm ich die her?

Streichhölzer! Braune und schwarze Streichhölzer!Drei Paar zwanzig ...

Kurzgefasster Lebenslauf (1930)Wer nicht zur Welt kommt, hat nicht viel verloren.Er sitzt im All auf einem Baum und lacht.Ich wurde seinerzeit als Kind geboren,eh ich‘s gedacht.Die Schule, wo ich viel vergessen habe,bestritt seitdem den größten Teil der Zeit.Ich war ein patentierter Musterknabe.Wie kam das bloß? Es tut mir jetzt noch leid.Dann gab es Weltkrieg, statt der großen Ferien.Ich trieb es mit der Fußartillerie.Dem Globus lief das Blut aus den Arterien.Ich lebte weiter. Fragen Sie nicht, wie.Bis dann die Inflation und Leipzig kamen;Mit Kant und Gotisch, Börse und Büro,mit Kunst und Politik und jungen Damen.Und sonntags regnete es sowieso.Nun bin ich zirka 31 JahreUnd habe eine kleine Versfabrik.Ach, an den Schläfen blühn schon graue Haare,Und meine Freunde werden langsam dick.Ich setze mich sehr gerne zwischen Stühle.Ich säge an dem Ast, auf dem wir sitzen.Ich gehe durch die Gärten der Gefühle,die tot sind, und bepflanze sie mit Witzen.Auch ich muss meinen Rucksack selber tragen!Der Rucksack wächst. Der Rücken wird nicht breiterZusammenfassend lässt sich etwa sagen:Ich kam zur Welt und lebe trotzdem weiter.

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Szenenfoto mit Denis Pöpping, Elisabeth Heckel, Johannes Hendrik Langer und Jakob Kraze

Ansprache zum SchulbeginnLiebe Kinder,da sitzt ihr nun, alphabetisch oder nach der Größe sortiert, zum ersten Mal auf diesen harten Bänken, und hoffentlich liegt es nur an der Jahreszeit, wenn ihr mich an braune und blonde, zum Dörren auf-gefädelte Steinpilze erinnert. Statt an Glückspilze, wie sich´s eigentlich gehörte.Manche von euch rutschen unruhig hin und her, als säßen sie auf Herdplatten. Andre hocken wie ange-leimt auf ihren Plätzen. Einige kichern blöde und der Rotkopf in der dritten Reihe starrt, Gänsehaut im Blick, auf die schwarze Wandtafel, als sähe er in eine sehr düstere Zukunft. Euch ist bänglich zumute und man kann nicht sagen, dass euer Instinkt tröge. Eure Stunde X hat geschlagen. Die Familie gibt euch zögernd her und weiht euch dem Staate. Das Leben nach der Uhr beginnt und es wird erst mit dem

Leben selber aufhören. Das aus Ziffern und Para-graphen, Rangordnung und Stundenplan eng und enger sich spinnende Netz umgarnt nun auch euch. Seit ihr hier sitzt, gehört ihr zu einer bestimmten Klasse. Noch dazu zur untersten. Der Klassenkampf und die Jahre der Prüfungen stehen bevor. Frücht-chen seid ihr und Spalierobst müsst ihr werden! Aufgeweckt wart ihr bis heute und einwecken wird man euch ab morgen! So, wie man‘s mit uns getan hat. Vom Baum des Lebens in die Konservenfabrik der Zivilisation – das ist der Weg, der vor euch liegt. Kein Wunder, dass eure Verlegenheit größer ist als eure Neugierde.Hat es den geringsten Sinn, euch auf einen solchen Weg Ratschläge mitzugeben? Ratschläge noch dazu von einem Manne, der, da half kein Sträuben, genau so „nach Büchse“ schmeckt wie andre Leute auch? Lasst es ihn immerhin versuchen und haltet ihm zugute, dass er nie vergessen hat, noch je vergessen

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wird, wie eigen ihm zumute war, als er selber zum ersten Mal in der Schule saß. In jenem grauen, viel zu groß geratenen Ankersteinbaukasten. Und wie es ihm damals das Herz abdrückte.Damit wären wir schon beim wichtigsten Rat an-gelangt, den ihr euch einprägen und einhämmern solltet wie den Spruch einer uralten Gedenktafel:Lasst euch die Kindheit nicht austreiben! Schaut, die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnum-mer, die nicht mehr gilt. Ihr Leben kommt ihnen vor wie eine Dauerwurst, die sie allmählich aufessen, und was gegessen worden ist, existiert nicht mehr.Man nötigt euch in der Schule eifrig von der Unter- über die Mittel- zur Oberstufe. Wenn ihr schließlich droben steht und balanciert, sägt man die „über-flüssig“ gewordenen Stufen hinter euch ab und nun könnt ihr nicht mehr zurück! Aber müsste man nicht in seinem Leben wie in einem Hause treppauf und treppab gehen können? Was soll die schönste erste Etage ohne den Keller mit den duftenden Obst-borten und ohne das Erdgeschoss mit der knarrenden Haustür und der scheppernden Klingel? Nun – die

meisten leben so! Sie stehen auf der obersten Stufe, ohne Treppe und ohne Haus und machen sich wichtig. Früher waren sie Kinder, dann wurden sie Erwachsene, aber was sind sie nun?Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch. Wer weiß, ob ihr mich verstanden habt. Die einfachen Dinge sind schwer begreiflich zu machen. Also gut, nehmen wir etwas Schwieriges, womög-lich begreift es sich leichter. Zum Beispiel:Haltet das Katheder weder für einen Thron, noch für eine Kanzel! Der Lehrer sitzen nicht etwa des-halb höher, damit ihr ihn anbeten, sondern damit ihr einander besser sehen könnt. Der Lehrer ist kein Schulwebel und kein lieber Gott. Er weiß nicht alles und er kann nicht alles wissen. Wenn er trotzdem all-wissend tut, so seht es ihm nach, aber glaubt es ihm nicht! Gibt er hingegen zu, dass er nicht alles weiß, dann liebt ihn! Denn dann verdient er eure Liebe. Und da er im übrigen nicht eben viel verdient, wird er sich über eure Zuneigung von Herzen freuen. Und noch eines:Der Lehrer ist kein Zauberkünstler, sondern ein Gärtner. Er kann und wird euch hegen und pflegen. Wachsen müsst ihr selber!

Ensemble

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Nehmt auf diejenigen Rücksicht, die auf euch Rück-sicht nehmen! Das klingt selbstverständlicher, als es ist. Und zuweilen ist es furchtbar schwer. In meine Klasse ging ein junge, dessen Vater ein Fischge-schäft hatte. Der arme Kerl, Breuer hieß er, stank so sehr nach Fisch, dass uns anderen schon übel wurde, wenn er um die Ecke bog. Der Fischgeruch hing in seinen Haaren und Kleidern, da half kein Waschen und Bürsten. Alles rückte von ihm weg. Es war nicht seine Schuld. Aber er saß, gehänselt und gemieden, ganz für sich allein, als habe er die Beulenpest. Er schämte sich in Grund und Boden, doch auch das half nichts. Noch heute, fünfundvierzig Jahre da-nach, wird mir flau, wenn ich den Namen Breuer höre. So schwer ist es manchmal, Rücksicht zu nehmen. Und es gelingt nicht immer. Doch man muss es stets von neuem versuchen.Seid nicht zu fleißig! Bei diesem Ratschlag müssen die Faulen weghören. Es gilt nur für die Fleißigen, aber für sie ist er sehr wichtig. Das Leben besteht nicht nur aus Schularbeiten. Der Mensch soll lernen, nur die Ochsen büffeln. Ich spreche aus Erfahrung. Ich war als kleiner Junge auf dem besten Wege, ein Ochse zu werden. Dass ich‘s, trotz aller Bemühung, nicht geworden bin, wundert mich heute noch. Der Kopf ist nicht der einzige Körperteil. Wer das Gegenteil behauptet, lügt. Und wer die Lüge glaubt, wird, nachdem er alle Prüfungen mit Hochglanz bestanden hat, nicht sehr schön aussehen. Man muss nämlich auch springen, turnen, tanzen und singen können, sonst ist man mit seinem Wasserkopf voller Wissen, ein Krüppel und nichts weiter.Lacht die Dummen nicht aus! Sie sind nicht aus freien Stücken dumm und nicht zu eurem Vergnü-gen. Und prügelt keinen, der kleiner und schwächer ist als ihr! Wem das ohne nähere Erklärung nicht einleuchtet, mit dem möchte ich nichts zu tun haben. Nur ein wenig warnen will ich ihn. Niemand ist so gescheit oder so stark, dass es nicht noch Ge-scheitere und Stärkere als ihn gäbe. Er mag sich hüten. Auch er ist, vergleichsweise, schwach und ein rechter Dummkopf.Misstraut gelegentlich euren Schulbüchern! Sie sind nicht auf dem Berge Sinai entstanden, meistens nicht

einmal auf verständige Art und Weise, sondern aus alten Schulbüchern, die aus alten Schulbüchern ent-standen sind, die aus alten Schulbüchern entstanden sind, die aus alten Schulbüchern entstanden sind. Man nennt das Tradition. Aber es ist ganz etwas Anderes. Der Krieg zum Beispiel findet heutzutage nicht mehr wie in Lesebuchgedichten statt, nicht mehr mit geschwungener Plempe und nicht mehr mit blitzendem Kürass und wehendem Federbusch wie bei Gravelotte und Mars-la-Tour. In manchen Lesebüchern hat sich das noch nicht herumgespro-chen. Glaubt auch den Geschichten nicht, worin der Mensch in einem fort gut ist und der wackre Held vierundzwanzig Stunden am Tage tapfer!Glaubt und lernt das, bitte, nicht, sonst werdet ihr euch, wenn ihr später ins Leben hineintretet, außer-ordentlich wundern! Und noch eins: Die Zinseszins-rechnung braucht ihr auch nicht mehr zu lernen, obwohl sie noch auf dem Stundenplan steht. Als ich ein kleiner Junge war, mussten wir ausrechnen, wie viel Geld Jahre 1925 aus einem Taler geworden sein würde, den einer unserer Ahnen 1525, unter der Regierung Johannes des Beständigen, zur Sparkasse gebracht hätte. Es war eine sehr komplizierte Rech-nerei. Aber sie lohnte sich. Aus dem Taler, bewies man uns, entstünde durch Zinsen und Zinseszinsen das größte Vermögen der Welt. Doch dann kam die Inflation und im Jahre 1925 war das größte Ver-mögen der Welt samt der ganzen Sparkasse keinen Täler mehr wert. Aber die Zinseszinsrechnung lebte in den Rechenbüchern munter weiter. Dann kam die: Währungsreform und mit dem Sparen und der Sparkasse war es wieder Essig. Die Rechenbücher haben es wieder nicht gemerkt.Und so wird es Zeit, dass ihr einen Rotstift nehmt und Kapitel „Zinseszinsrechnung“ dick durch-streicht.Genauso wie die Attacke auf Gravelotte und der Zeppelin. Und wie noch manches andere. Da sitzt ihr nun, alphabetisch oder nach der Größe geordnet und wollt nach Hause gehen. Geht heim, liebe Kinder. Wenn ihr etwas nicht verstanden haben solltet, fragt eure Eltern! Liebe Eltern, wenn Sie etwas nicht ver-standen haben sollten, fragen Sie Ihre Kinder!

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A N K Ü N D I G U N G E N U N D R E Z E N S I O N E N Ü B E R D I E I N S ­Z E N I E R U N G V O N M I L A N P E S C H E LStilbruch. Das Kulturmagazin, 11. Mai 2017

Milan Peschel bringt „Pünktchen und Anton“ auf die BühneDie Geschichte über die Freundschaft von Pünkt-chen und Anton ist ein Klassiker. Schauspieler Milan Peschel inszeniert das Jugendbuch von Erich Käst-ner nun im Theater an der Parkaue. Er ist richtig in Eile, Probenbeginn war vor zehn Minuten, an der Verspätung sind wir schuld. In nicht mal einer Woche hat Milan Peschel Premiere mit Pünktchen und Anton. Und es gibt noch so viel zu tun.

Milan Peschel, Regisseur und Schauspieler: „Mehr kann ich jetzt nicht sagen, ich bin ner-vös.“

Heute ist eine Schulkasse zu Besuch – für einen ersten Test. Pünktchen und Anton, Erich Kästners Geschichte einer Freundschaft. Die Tochter eines Spazierstockfabrikanten, für die keiner Zeit hat, kümmert sich um Anton, einen Jungen, dessen Mutter zwar da ist, aber häufig krank und wo das Geld nie reicht.

Milan Peschel: „Lachen ist auch erlaubt, wenn ihr was lustig findet, nur nicht mit irgendetwas werfen.“

Kästner hat Milan Peschel erst als Erwachsener für sich entdeckt. Klar hat er seinen Kindern vorgelesen, als die klein waren – inzwischen sind die Teenager. Aber er selbst, in den 70ern in Berlin-Lichtenberg aufgewachsen, kannte den Autor nicht. Jetzt hat er einen persönlichen Zugang gefunden.

Milan Peschel:„Am anrührendsten ist das natürlich, wie der Anton sich um seine kranke Mutter kümmert. Das ist wirklich in dem Roman das rührendste. Ich bin selber auch ein Einzel-

kind und bin hauptsächlich bei meiner Mama aufgewachsen, groß geworden und habe mit ihr viel Zeit alleine verbracht.“

Die Geschichte von Pünktchen und Anton wurde im-mer wieder neu erzählt. Die bekannteste Verfilmung von Caroline Link, holt sie in eine bunt-fröhliche Hochglanz-Gegenwart der 90er Jahre.Milan Peschel will lieber wieder den rauen Alltag zeigen, den Erich Kästner 1931 beschrieben hat. Der stieß damals in der Zeitung auf die Geschichte und machte daraus in nur zehn Tagen einen international erfolgreichen Jugendroman.Die Erzählung ist bis heute aktuell geblieben. Milan Peschel sagt, dass Erich Kästner damals der einzige Autor war, der seine Kinderfiguren ernst nimmt und der das Berlin der Weimarer Republik zwischen Wohlstand und dem dritten Hinterhof realistisch und einfühlsam schildert.

Milan Peschel:„Es ist ein Berlin-Stoff und es ist auch eine Zeit, glaube ich, deren Auswirkungen wir bis heute immer noch spüren. Es sind die frühen 30er Jahre, was danach kommt, beschäf-tigt uns bis heute. Deswegen, finde ich, ist es durchaus eine sehr relevante Erzählung.“

Als Kind will Milan Peschel schon zum Theater. Von Anfang an ist er an der Volksbühne. Erst als Tischler, später als Schauspieler. Was er hier lernt, nimmt er in all seine Rollen mit.

Szene aus „Halt auf freier Strecke“ (2011) „Ist dir schon mal aufgefallen, dass ich einen Gehirntumor habe, dass ich hier liege und sehr, sehr krank bin.“

Von todernst bis unfassbar komisch, von Arthouse bis Mainstream, er kann alles. Dass es seine alte

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Volksbühne so bald nicht mehr geben wird, macht ihn wütend und traurig.

Milan Peschel:„Das einzige, was man machen kann ist, diesen Geist der Freiheit und der Anarchie, der dort auch geherrscht hat, weiter-zugeben und weiterzuleben. Das ist die einzige Möglichkeit.“

Das bringt er auch mit, wenn er hier für Kinder im Theater an der Parkaue arbeitet.

Milan Peschel:„Ich will Schauspieler, die auto-nom sind, die denken, die nicht nur Erfüllungs-gehilfen des Regisseurs sind.“

Milan Peschel ist das Team wichtig, mit wem er zusammenarbeitet, das macht für ihn viel aus. Mag-dalena Musial machtbei „Pünktchen und Anton“ Bühnenbild, Kostüme, Licht, die Videoinstallation. Außerdem sind die beiden seit 25 Jahren einPaar.

Milan Peschel:„Das ist schön, ich freue mich immer, wenn ich Magda auf der Probe sehe, wenn ich sehe, sie ist da und hilft mir und sagt mir auch Sachen - für mich sehr hilfreich. Ich finde es auch toll, dass man sich so zwischen-durch mal in den Arm nehmen kann, das ist auch toll.“Magdalena Musial, Bühnen- und Kostümbild-nerin: „Ich bin viel mehr bei den Proben, weil ich eigentlich gar nicht weggehen kann. Ich bin so gespannt auf jede Minute, die hier bei der Probe abläuft, dass ich viel mehr arbeite als bei anderen Regisseuren.“

Das wird er irgendwie wieder gutmachen müssen, nach der Premiere.Autorin: Bettina Lehnert

Link zum Beitrag:https://www.rbb-online.de/stilbruch/archiv/20170511_2215/milan-peschel-puenktchen-und-anton-theater-parkaue.html

Berliner Morgenpost, 13. Mai 2017

„Ich will, dass die Leute lachen“Milan Peschel ist zurück am Theater. Warum Slapstick wichtig ist und was er von seinem Theatervater FrankCastorf gelernt hat: Ein GesprächIn den vergangenen Jahren war er hauptsächlich auf der Leinwand zu sehen, in Komödien von Matthias Schweighöfer und im mehrfach prämierten Film „Halt auf freier Strecke“. Jetzt ist Milan Peschel zurück am Theater, als Regisseur. Am Dienstag hat sein Stück „Pünktchen und Anton“ Premiere im Theater an der Parkaue. Ein Treffen.Herr Peschel, in der vergangenen Zeit waren Sie mehr im Kino präsent. Wird man Sie jetzt wieder häufiger im Theater antreffen ?

Milan Peschel: Stimmt, ich hatte jetzt eine Pha-se, da habe ich in drei Jahren bloß drei Stücke gemacht. Deswegen würde ich gern im nächsten Jahr mehr machen: Von Januar bis Mai mache ich drei Inszenierungen in Hannover, Heidel-berg und Bochum – und eventuell am Deutschen Theater zum Ende des nächsten Jahres.

Das Theater kennen Sie aus allen Perspektiven: Sie haben Bühnentischler gelernt, als Bühnentechniker an der Volksbühne gearbe itet, später standen Sie als Schauspieler auf der Bühne. Das hat einen Effekt auf Ihre Regiearbeit, oder?

Ja, diese Erfahrungen befruchten. Ich weiß, wie man sich auf der Bühne fühlt, wie man da auf Druck reagiert. Deswegen versuche ich als Regisseur schon, Rücksicht zu nehmen. Manch-mal geht das natürlich nicht, da muss man laut werden oder energetisch.

Genau dafür ist ja Frank Castorf bekannt, ihr Theatervater.

In künstlerischer Hinsicht ist er das auf jeden Fall. Ich würde mich nie mit ihm vergleichen wollen, habe aber bestimmte Dinge von ihm mitgenommen. Dass die Autonomie des Schau-spielers wichtig ist, zum Beispiel. Auch seine Anarchie, seine Wut, seine Zärtlichkeit. Und

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dass ein Schauspieler sich frei fühlen muss auf der Bühne. Das versuche ich weiterzugeben.

Ab diesem Sommer ändert sich in ihrer künst-lerischen Heimat, der Volksbühne, einiges. Chris Dercon wird Castorf ablösen. Wird es Ihre Heimat bleiben?

Nein. Das Gebäude, das Material, die Leute, die dort arbeiten und bleiben, also die Bühnentech-niker, die Requisite, die Ankleider, die Werk-statt, die sind Heimat. Ich bin gespannt, was die erzählen. Aber eine künstlerische Heimat ist es dann nicht mehr. Wenn ich an dem Haus vorbei-gehe, sehe ich natürlich immer die Volksbühne, wie ich sie kenne. Diese 25 Jahre, die ich dort war, die werde ich immer mittragen.

Können Sie nahvollziehen, dass sich Ihre Kollegen gegen Dercon wehren?

Natürlich, ich wehre mich auch dagegen. Ich finde es furchtbar, dass Tim Renner entschieden hat, diesen Mann dort zu platzieren. Das ist eine unglaubliche Dummheit und ein großer Ver-lust für die Kulturlandschaft unseres Landes. Denn diese Art, Theater zu machen, die kann man nirgendwo anders platzieren. Deswegen hoffe ich, dass wenigstens das Rad davor stehen bleibt. Sonst wird man es vergessen. Man kann nicht immer alles wegreißen. Auch der Palast der Republik, dieses schreckliche Gebäude, ist vergessen und es fehlt mir jetzt. Manchmal muss man Dinge stehen lassen, sich immer wieder mit ihnen konfrontieren.

Jetzt haben Sie sich „Pünktchen und Anton“ vor-genommen, das 90 Jahre alt ist. Ist das noch reizvoll für Kinder von heute?

Ich glaube schon. Denn die Unterschiede zwi-schen Arm und Reich, die das Stück thematisiert, die gibt es ja nach wie vor. Und ich finde, die 20er- und 30er-Jahre sind ein guter Resonanzbo-ten für die Zeit, in der wir gerade leben.

Warum?Weil sich vieles spiegelt, damals ähnlich unru-hige Verhältnisse herrschten wie heute, wo auch rechtspopulistische Kräfte an Zulauf gewinnen

und Menschen nicht mehr an die etablierten Parteien glauben wollen. Abgesehen davon ist Kästner ein toller Autor für Kinder. Seine Sprache ist fantastisch und die Kinder in seinen Romanen sind Erwachsenen gleichgestellt. Wie er sie mit Fantasie, Freundlichkeit und Ernst-haftigkeit ausstattet, ist toll und hochaktuell.

Wie spricht man denn die Generation Snapchat auf der Bühne an?

Ich denke darüber gar nicht nach. Die Kinder müssen vor allem verstehen, was auf der Bühne gerade passiert. Die dürfen sich nicht lang-weilen, dürfen aber auch nicht überrannt werden. Das Gute und gleichzeitig das Schwierige beim Kindertheater ist ja: Die Kinder haben eigentlich keinen Grund, leise zu sein. Die sind leise, wenn es sie interessiert und dann hören sie auch zu. Da muss man sich überlegen, dass man ihnen etwas so bietet, dass sie zuhören wollen.

Mit Humor und Slapstick zum Beispiel? Das ist Ihnen auch in Ihren Rollen wichtig.

Ja, ich will, dass die Leute lachen. Slapstick ist wichtig, die Bananenschale ist wichtig. Denn La-chen befreit – gerade wenn es einen nicht selber betrifft. Im Leben passiert so viel Slapstick, aber das sehen wir nicht. Die Bühne wirkt wie ein Brennglas und vergrößert das alles.

An der Parkaue haben Sie früher häufiger inszeniert, aber seit sechs Jahren nicht mehr. Warum sind Sie zurückgekommen?

Weil ich im Prater inszenieren wollte. Denn der ist Teil meiner Biografie: Als Volksbühnen-Ensemblemitglied hab ich hier gespielt und in den 80er- Jahren bin ich hier mit meiner Band aufgetreten.

Und wie ist es, jetzt wieder hier zu arbeiten?Toll. Ich mag den Ort, ich spüre hier noch die Volksbühne und Bert Neumann und erinnere mich an vieles. Der Ort gehört zu mir.

Link zum Beitraghttps://www.morgenpost.de/kultur/article210554601/Ich-will-dass-die-Leute-lachen.html

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Berliner Zeitung, 17. Mai 2017

Theaterstück „Pünktchen und Anton“ Wie es ist, arm zu seinVon Cornelia GeisslerErich Kästners „Emil und die Detektive“ schlug bei seinem Erscheinen 1929 einen Ton an, wie es ihn bis dato in der Kinderliteratur nicht gab: Mitten aus dem Leben, mitten aus Berlin und krimispannend. Mit „Pünktchen und Anton“ setzte er 1931 dieses Konzept konzentrierter fort. Und noch konzentrierter kommt die Geschichte nun auf die Bühne im Prater, der Ausweichspielstätte des Theaters an der Parkaue: Es geht um zwei Kinder in Berlin, ein Mädchen aus wohlhabender Familie und einen Jungen aus armen Verhältnissen, die Freunde werden. Bis aber Pünkt-chens Eltern auch Anton und seine Mutter regis-trieren und akzeptieren, muss viel passieren.Milan Peschel inszeniert das phasenweise dicht am Buch entlang. Er lässt zugleich die Geschichte in die Gegenwart fließen, dass die sozialkritischen Aussa-gen Kästners fortwirken. Und er gestattet dem Text, ins ausgelassene Spiel zu fliegen. Das Publikum bejubelte die Premiere am Dienstagmittag.Der Schauspieler Milan Peschel, Volksbühnen-Verteidiger und Filmheld, ist mit „Pünktchen und Anton“ zurückgekehrt an jenes Theater, wo er zum ersten Mal Regie führte. An der Parkaue inszenierte er vor elf Jahren Einar Schleefs „Der Fischer und seine Frau“ und zwei Jahre später Erich Kästners „Das doppelte Lottchen“. Er kennt Kästner gut, grüßt mit Zitaten zum „Lottchen“ und zu „Emil“, seine Inszenierung atmet die Stimmung aus dem Roman „Fabian“, dessen Fertigstellung Kästner für „Pünktchen und Anton“ unterbrach. Damals ver-stärkten sich die Unterschiede zwischen Arm und Reich in Deutschland, die Rechtspopulisten gewan-nen an Zulauf.Nun war Kästner ein bekennender Moralist, der in sein Kinderbuch einige „Nachdenkereien“ einbaute. Peschel verzichtet auf die meisten, eine wesentliche aber lässt er unverfremdet als Botschaft sprechen: „Glaubt ihr nicht auch, dass die Armut leichter abge-schafft werden könnte, wenn die Reichen schon als

Kinder wüssten, wie schlimm es ist, arm zu sein? Glaubt ihr nicht, dass sich dann die reichen Kinder sagten: Wenn wir mal groß sind und die Banken und Rittergüter und Fabriken unserer Väter besitzen, dann sollen es die Arbeiter besser haben.“

Witz und Ernst wechseln schnellAuf einem solchen Perspektivwechsel beruht die Idee von „Pünktchen und Anton“: Das Mädchen geht ohne Not betteln und lernt dabei den Jungen kennen, dessen Mutter krank ist, nicht arbeiten und nicht die Miete zahlen kann. Das Aha-Erlebnis für Pünktchen (Melina Borcherding), dass Anton selbst kochen muss, sehen die Zuschauer als Spaß: Im Slapstick rast Tim Riedel durch eine frei stehende Tür, zu großen Töpfen, in denen er spritzend eine Pampe rührt. Überhaupt wechseln Witz und Ernst schnell, schieben sich Erklärungen zwischen Spiel-szenen. Hinreißend agiert Denis Pöpping als die dicke Berta und Erzählerin, Jakob Kraze hat als Pünktchens nachdenklich werdender Vater einen schönen Berliner Tonfall.Die Inszenierung hat ihre ruhigen, zu Herzen gehenden Momente und bedient sich traditioneller Mittel, etwa wenn Pünktchen Berta den Mantel von der Schulter nimmt und als ihren Dackel Piefke mit sich schleift. Begeisterungsschreie kommen aus dem Publikum, als später ein lebendiger Hund auf die Bühne kommt, ein Großpudel mit Wuschelkopf. Die tollsten Momente entstehen aus überdrehtem Spiel, so wenn die Akteure ein riesiges Telefon bauen. Der Anruf von Anton im Hause Pogge, mit dem er vor dem Einbrecher warnt, spielt ja auch eine riesige Rolle für die Handlung!Die Stadt ist immer gegenwärtig in Fotos aus den 20er- und 30er-Jahren, Szenen aus dem Film „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ und Musik von Ton Steine Scherben. Anders als das Grips-Theater, das Anton 2011 zum Flüchtlingsjungen machte, setzt Milan Peschel auf die zeitlose Wirkung des Kästner-Stoffs. Und damit überzeugt er.

Link zum Beitrag:http://www.berliner-zeitung.de/kultur/theater/theaterstueck--puenktchen-und-anton--wie-es-ist--arm-zu-sein-26914538

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A N R E G U N G E N F Ü R D E N U N T E R R I C H T Z U R V O R ­ U N D N A C H B E R E I T U N G D E S A U F F Ü H R U N G S B E S U C H E S

Streichhölzer! Kaufen Sie Streichhölzer! Drei Schachtel zwanzig! Streichhölzer! Kaufen Sie Streichhölzer!Während Anton mitverantwortlich für den Lebens-unterhalt seiner Familie auf der Straße Streichhölzer verkauft, erlebt Pünktchen auf ihren Streifzügen ein Berlin voller Abenteuer und macht die Metro-pole zu ihrem Spielplatz. Ohne Mühe springt sie zwischen Imagination und Wirklichkeit hin und her. Für sie existiert beides gleichermaßen. Pünkt-chen und Anton verbindet eine besondere Freund-schaft, welche ihnen ermöglicht ihre Umgebung in eine neue, ihnen gefällige Ordnung zu bringen. Hier finden Sie eine Sammlung von Angeboten, Übungen und Projekten, von Spielen zur Vor- und Nachberei-tung zum Thema Berlin – gestern und heute – bis hin zur Bauanleitung eines Dosentelefons als Reflexion des Theaterbesuchs.

Kleines Warm­upIst das mein Platz?Pünktchen spielt gerne Eisenbahnministerin und löst die Fahrkarten der Gäste. Im Vorfeld müssen kleine Kärtchen mit Zahlen beschriftet werden, die die Sitzplätze der Gäste angeben. Die Fahrgäste müssen dann ihren Platz in der richtigen Reihenfolge ein-nehmen. Die Reihenfolge kann durch verschiedene Themen variiert werden: Geburtstag, Vorname (alphabetisch), Schuhgröße, usw. Die Gruppe teilt sich so auf, dass Kleingruppen von ungefähr 4 – 6 Teilnehmer*innen entstehen. Die Aufgabe besteht darin, sich innerhalb von diesen Gruppen in eine bestimmte Reihenfolge zu stellen. Allerdings be-steht die Schwierigkeit der Aktivität darin, dass die mündliche Absprache ganz oder teilweise untersagt ist. So kann der Schwierigkeitsgrad dadurch an-gepasst werden, indem ganz normal miteinander

kommuniziert werden darf, nur bestimmte Schlüs-selwörter nicht genannt werden oder überhaupt nicht gesprochen wird.

Verrückter AbwaschEs wird ein Kreis gebildet. Ein Freiwilliger stellt sich in den Kreis und übernimmt die Rolle von Anton. Antons Rolle ist es, sich mit geschlossenen Augen im Kreis zu drehen, stehen zu bleiben und mit dem Finger gerade aus zu zeigen. Dabei ruft Anton entweder „Abwasch!“, „Kochen!“ oder „Teig rollen!“. Bei den jeweiligen Kommandos müssen die drei Spieler*innen (derjenige auf den Antons Finger gerichtet ist und seine beiden Nachbar*innen) das Kommando ausführen und folgende Figuren bilden: Abwasch: Die rechte Person seift den/die Spieler*in in der Mitte ein; die linke Person bürstet den/die Spieler*in, der sich wiederrum um sich selbst dreht. Kochen: Die Nachbar*innen geben sich die Hände und die Person in der Mitte schmeißt die Hände in die Höhe, als würde der Topf überkochen. Teig rollen: Die Person in der Mitte stellt sich so hin, als würde sie den Teig rollen. Seine Nachbar*innen legen sich auf den Boden und rollen hin und her.

KüchenschlachtDie Gruppe teilt sich in zwei gleich große Gruppen auf und bildet zwei Reihen. Die Teilnehmer*innen stehen Schulter an Schulter. Beide Reihen stehen sich zugewendet gegenüber. In der Mitte zwischen beiden Gruppen wird ein Gegenstand (z.B. Koch-löffel) platziert. Jede Teilnehmer*in erhält jetzt als Namen die Bezeichnung eines Lebensmittels (z.B.: Broccoli, Zwiebel, Mehl, Zucker, Hähnchen, Ei, Sa-lat, usw.). Es ist sehr wichtig, dass in beide Gruppen Namen mit den gleichen Lebensmitteln vergeben

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werden. Wird im Spieleverlauf „Broccoli“ gerufen, müssen die „Broccoli“ beider Gruppen in die Mitte sprinten und den Kochlöffel in die eigene Gruppe zurücktragen. Hierbei kann der/die Spieler*in, wel-cher den Löffel nicht hat, den anderen abklatschen, um zu verhindern, dass dieser einen Punkt macht. Es können auch mehrere Lebensmittel gleichzeitig auf-gerufen werden, um das Chaos um den Kochlöffel zu vergrößern. Danach können beliebig viele Run-den wiederholt werden, allerdings sollte die Runden-anzahl vor Beginn des Spiels jedem bekannt sein.

Armer AntonDie Gruppe bildet einen Kreis und sucht nach einem Freiwilligen. Der Freiwillige übernimmt die Rolle von Anton, dessen Aufgabe es ist, seine Schnürsen-kel an einzelne Personen der Gruppe zu verkaufen. Das Ziel ist es, die Schnürsenkel auf komische Art und Weise zu verkaufen, sodass die Käufer*innen zum Lachen gebracht werden. Hierzu muss Anton seine Stimme und seine Gestik/Mimik einsetzen, um die Käufer*innen zu überzeugen. Lacht der Käufer wegen Antons Darbietung, wechseln die Personen die Rollen, sodass der Käufer Antons Rolle über-nimmt. Anton hat bei jedem Käufer dreimal die Möglichkeit diesen zu überzeugen, indem er diesen mit folgendem Satz auf verschiedene Art und Weisen rezitiert:„Schnürsenkel, meine Damen und Herren! Kaufen Sie Schnürsenkel!“Schafft Anton es nicht bei der dritten Wiederholung den Käufer zum Lachen zu bringen, muss er sich zu einem anderen Käufer begeben. Der Käufer muss nach jeder Wiederholung Anton die Hand auf die Schulter legen und in ruhiger Art und Weise „Armer Anton“ antworten.

TeufelskreisDie Augen eines Freiwilligen werden verbunden und die Gruppe stellt sich in Kreisform um diesen herum und reichen sich die Hände. Jedoch ist an einer Stelle der Kreis offen. Sobald der Freiwillige ein Mitglied des Kreises erreicht, muss dieses ein Laut von sich geben. An den Geräuschen muss der Freiwillige sich orientieren, um den Ausgang des Kreises zu finden.Der Schwierigkeitsgrad kann angepasst werden, indem der Kreis sich langsam dreht, der Ausgang groß bzw. klein ist, bzw. der Ausgang während des Spiels mehrmals den Platz wechselt.

Szenenfoto mit Melina Borcherding

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Pünktchen und Anton auf Streifzug durch Berlin – Experiment im öffentlichen RaumVom Streichholz zum … Biberpelz? Teilen Sie Ihre Klasse in mehrere Kleingruppen (5 – 6 Kinder) auf. Jede Gruppe erhält einen Fotoapparat oder nutzt eine Handykamera. Als Startkapital erhält jede Gruppe genau ein Streichholz. Die Kinder begeben sich im Anschluss an die Aufteilung für 45 Minuten in den öffentlichen Raum. Alle erhalten die Aufgabe, ihr Streichholz möglichst gewinnbringend gegen etwas einzutauschen, was ihrer Meinung nach einen höhe-

ren Wert (der Tausch kann natürlich auch von ide-ellem Wert sein) besitzt als das vorhandene Streich-holz. Jeder Tausch soll mit einem Foto dokumentiert und von den Kindern im Anschluss an die Exkursion beschrieben werden. Dabei ist es natürlich wichtig, möglichst oft zu tauschen, mutig zu fragen und auf-merksam auf „fette Beute“ den Kiez zu durchforsten. Nach der Rückkehr in den Klassenraum werden die Bilder auf dem Beamer gezeigt. Jede Gruppe be-richtet über ihre Erlebnisse, teilt die Beute mit den anderen oder berichtet der Klasse von einem be-sonderen Spielerlebnis.

Szenenfoto mit Jakob Kraze und Johannes Hendrik Langer

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Mein Kiez, Mein Berlina.) Besorgen Sie in Vor- oder Nachbereitung auf den Stückbesuch eine Stadtkarte. Markieren Sie mit Klebepunkten gemeinsam mit Ihrer Klasse die folgenden Orte:• Wo befindet sich unsere Schule?• Wo befindet sich mein Zuhause?• Wo befindet sich das THEATER AN DER

PARKAUE?

b.) Vergrößern Sie in Vorbereitung auf die nächste Übung den Umriss Ihres Bezirkes (s.u.). Stellen Sie den Kindern die Aufgabe, besondere Orte in die Karte einzuzeichnen. An welchen Orten halten sie sich gerne auf? An welchen Orten gibt es besondere Spielmöglichkeiten? Was macht ihren Kiez beson-ders? Wo befindet sich das eigene Zuhause? Bitten Sie die Kinder in einem zweiten Schritt darum, die Karte mit ihren Wünschen auszumalen. Was sollte es ihrer Meinung nach in ihrem Berlin geben? Worauf kann und sollte nicht verzichtet werden? Was fehlt und wovon sollte es mehr geben? Kommen Sie im Anschluss an diese Aufgabe mit den Kindern ins Gespräch über ihre Wünsche und Vorstellungen.

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Original Schauplätzea.) Setzen Sie den Fokus zurück auf die große Stadt-karte aus der Übung 1. „Pünktchen und Anton“ spielt in Berlin und verweist auf unterschiedliche Schauplätze. Markieren Sie mit den Kindern die Orte, an denen die Geschichte lebendig wird:• Wo befindet sich die Weidendammerbrücke?• An welchem Ort findet ihr die Komische Oper?

(Achtung: Damals befand sich die Komische Oper in der Friedrichstraße, nahe dem Bahnhof.)

• Wo ist die Lindenoper?• Wo befindet sich die Artilleriestr. 36? (Das Haus

von Anton)• An welchem Ort könnte Pünktchen aufgewach-

sen sein? (Nähe Reichstag)

b.) Recherchieren Sie gemeinsam mit den Kindern nach Bildmaterial (Internet, Zeitung, Fotos)• Was sind die Unterschiede zwischen einer Stadt-

karte Berlins von 1930 und heute?• Wie sehen die oben beschriebenen Orte heute

aus und wie sahen sie früher aus? • Welche Monumente, Gebäude gibt es heute

noch? Welche kamen hinzu?

c.) Geben Sie den Kindern den Auftrag, mit den ge-sammelten Bildern eine Collage zu erstellen. Welche Gemeinsamkeiten hat das heutige mit dem Berlin von Pünktchen und Anton? Wie lassen sich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in einer Collage darstellen?

Pünktchen und Anton und das DosenquizIn Nachbereitung auf den Theaterbesuch können Sie folgende Übung als einen spielerischen Ein-stieg in eine Reflexion im Klassenverbund nutzen. Die Spiele können aufeinanderfolgend bzw. einzeln durchgeführt werden und anschließend mit einer Diskussion abgeschlossen werden.

a.) Die Gruppe teilt sich zunächst in drei Gruppen auf. Bei dieser Aktivität übernimmt jede dieser Gruppen eine von drei gestellten Aufgaben. Es gibt die Gruppen Sender, Empfänger und Störer. Die Sender müssen versuchen, eine Nachricht (bzw. eine Assoziation zur Inszenierung) an die Empfänger zu übermitteln. Dabei stehen die beiden Gruppen mit einem größeren Abstand zueinander gewendet im Raum. Die Rolle der Störer ist es, den Über-mittlungsprozess der Sender zu stören, indem sie laut durcheinandersprechen. Dies kann mehrmals wiederholt werden, wobei die Gruppen die Aufgaben untereinander tauschen können.

b.) In einem zweiten Schritt bildet die Gruppe einen Kreis. Ein Freiwilliger überlegt sich eine Assoziation und gibt sie in leisem Tonfall an seinen linken Nachbarn weiter. Ohne sich das Wort wieder-holen zu lassen, gibt der Nachbar das Verstandene an dessen Nachbarn weiter. Zum Schluss muss der letzte Spieler, also der rechte Nachbar des Anfangs-spielers, laut aussprechen, was er zuletzt vernommen hat, woraufhin der Anfangsspieler das ursprüngliche Wort laut ausspricht.

c.) In einem letzten Schritt wird ein Dosentelefon benötigt. Eine Bauanleitung finden Sie hier (http://www.praxis-jugendarbeit.de/basteln-bastelideen/Dosentelefon.html). Die Gruppe teilt sich in zwei Hälften, wobei jede ein Ende des Dosentelefons erhält. Nun wird ein Quiz gestartet, wobei die beiden Gruppen sich abwechselnd Fragen zu „Pünktchen und Anton“ stellen. Beispiel: Wo verkaufen Pünkt-chen und Anton Streichhölzer? Warum lag Antons Mutter im Bett? Was arbeitet Pünktchens Mutter? In welcher Straße lebt Anton? Warum ist die Familie Pogge so wohlhabend?

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HINWEISE FÜR DEN TH EA TER B ESU C H

Liebe Lehrer*innen,viele Kinder und Jugendliche besuchen zum ersten Mal ein Theater. Daher empfehlen wir Ihnen, sich im Vorfeld mit Ihren Schüler*innen die besondere Situation zu vergegenwärtigen: Das Theater ist ein Ort der Kunst. Hier kommen wir aus dem Alltag in einer anderen Wirklichkeit an. Die Welt und in ihr der Mensch mit seinen Fragen, Sehnsüchten, Ängsten, Widersprüchen wird auf dem Theater mit künstlerischen Mitteln dargestellt und bietet Raum für unzählige unterschiedliche Erfahrungen. Die Zuschauer*innen werden das Theater mit jeweils anderen Eindrücken und Erlebnissen verlassen: mit den eigenen. Sie unterscheiden sich von den Erfah-rungen, die die Nachbar*innen gemacht haben. Im Theater spielen meistens Schauspieler*innen. Manchmal sind es auch Puppenspieler*innen mit ihren Puppen und Objekten oder auch Tänzer*innen, Musiker*innen und Sänger*innen. Aber alle ver-schiedenen Theaterformen haben eins gemeinsam: Sie finden alle im Jetzt, im Augenblick, live statt und immer in Interaktion mit dem Publikum. Ohne Publikum findet kein Theater statt. Besonders Kinder verstehen das Theater als Kommunikationsort und nehmen an dieser Kommunika tion teil. Sie sprechen mit, werfen Reaktionen spontan, laut und sofort ein, machen Kommentare, lachen oder erschrecken sich, sie setzen sich zu dem, was sie sehen, in Beziehung. Die meisten Reaktionen der jungen Zuschauer*innen sind keine bewusste Störung. Über viele dieser Re-aktionen freuen wir uns, sie müssen durch Sie nicht unterbunden werden. Manche Reaktionen aber of-fenbaren, dass die Zuschauer*innen nicht realisieren, dass die Schauspieler*innen live für ihr Publikum spielen. Dann können sie auch beleidigend werden. Hier benötigen wir Ihre Unterstützung, denn für die Schauspieler*innen ist es schwer, aus ihrer Rolle herauszutreten und die Aufführung zu unterbrechen.

Wir möchten Ihnen für den Theaterbesuch mit Ihrer Klasse noch einige Hinweise mit auf den Weg geben, damit die Vorstellung für alle Beteiligten auf der Bühne und im Saal zu einem einmaligen und schönen Theatererlebnis wird:

1. Wir bitten Sie, rechtzeitig im Theater einzutreffen, so dass alle in Ruhe Jacke und Tasche an der Garderobe abgeben kann. Unsere Garderobe wird während der Dauer der Vorstellung beaufsichtigt und ist im Eintrittspreis enthalten.

2. In unseren Programmzetteln lässt sich nachlesen, wie lange ein Stück dauert und ob es eine Pause gibt. Wenn möglich bitten wir darum, Toiletten-gänge während der Vorstellung zu vermeiden.

3. Es ist nicht gestattet, während der Vorstellung zu essen, zu trinken, Musik zu hören und das Handy zu benutzen, außer das Publikum wird explizit dazu aufgefordert. Mobilfunktelefone und mp3-Player müssen vollständig ausgeschaltet sein. Während der Vorstellung darf weder telefoniert noch gesimst oder fotografiert werden.

4. Der Applaus am Ende einer Vorstellung ist eine Anerkennung der Arbeit der Schauspieler*innen und des gesamten Teams unabhängig vom Urteil über die Inszenierung. Wir bitten Sie, erst nach dem Ende des Applauses den Saal zu verlassen.

Unsere Mitarbeiter*innen vom Einlassdienst stehen den Zuschauer*innen als organisatorische Ansprech-partner*innen am Tag der Vorstellung zur Verfügung.Wir sind an den Erfahrungen des Publikums mit den Inszenierungen interessiert. Für Gespräche stehen wir zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich direkt an die stückbetreuende Dramaturgin oder Theater-pädagogin.

Wir freuen uns auf Ihren Besuch.

Ihr THEATER AN DER PARKAUE

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I M P R E S S U MSpielzeit 2016/2017

THEATER AN DER PARKAUEJunges Staatstheater Berlin

Parkaue 2910367 Berlin

Tel. 030 – 55 77 52 -0www.parkaue.de

Intendant: Kay Wuschek

Redaktion: Karola MarschGestaltung: pp030 – Produktions­

büro Heike PraetorFotos: Christian Brachwitz

Titelfoto mit Melina Borcherding und Tim Riedel

Abschlussfoto mit Birgit Berthold und Melina Borcherding

Kontakt Theaterpädagogik: Sarah Kramer

030 – 44 35 18 [email protected]