40
qwertyuiopasdfghjklzxcvbnmq wertyuiopasdfghjklzxcvbnmqw ertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwer tyuiopasdfghjklzxcvbnmqwerty uiopasdfghjklzxcvbnmqwertyui opasdfghjklzxcvbnmqwertyuiop asdfghjklzxcvbnmqwertyuiopas dfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdf ghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfgh jklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjkl zxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzx cvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcv bnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbn mqwertyuiopasdfghjklzxcvbnm qwertyuiopasdfghjklzxcvbnmq wertyuiopasdfghjklzxcvbnmqw ertyuiopasdfghjklzxcvbnmrtyui opasdfghjklzxcvbnmqwertyuiop asdfghjklzxcvbnmqwertyuiopas Abiturvorbereitung Evangelische Religionslehre 11.03.2012 Frank Behr

qwertyuiopasdfghjklzxcvbnmq …bef-pwg.de/.../_mediavault/2017/03/Lernstoffsammlung-Abitur.pdf · Auch die Pastoralbriefe werden von der historisch-kritischen Exegese als pseudepigraph

Embed Size (px)

Citation preview

qwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmrtyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopasdfghjklzxcvbnmqwertyuiopas

Abiturvorbereitung

Evangelische Religionslehre

11.03.2012

Frank Behr

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 1

Inhaltsverzeichnis 1. Die Bibel S. 4

1.1. Einführung in die Bibel 1.2. Das Alte Testament

1.2.1. Die fünf Bücher des Mose 1.2.2. Die Schriftrollen vom Toten Meer

1.3. Das Neue Testament 1.3.1. Die Paulusbriefe 1.3.2. Die Evangelien

1.4. Frühe Bibelausgaben 1.5. Aufbau und Bücher des Alten und des Neuen Testamentes 1.6. Kanon

1.6.1. Begriff 1.6.2. Der Kanon des Alten Testaments

1.6.2.1. Der jüdische Kanon 1.6.2.2. Der christliche Kanon

1.6.3. Der Kanon des Neuen Testaments

2. Gotteslehre S. 11

2.1. Grundsätzliches 2.2. Strukturen der Rede von Gott

2.2.1. Deismus 2.2.2. Theismus 2.2.3. Pantheismus 2.2.4. Agnostizismus 2.2.5. Atheismus

2.3. Die alttestamentliche Rede von Gott 2.3.1. Gott, der Schöpfer 2.3.2. Gott als Befreier des Volkes Israel (Exoduserzählungen)

2.3.2.1. Das Schilfmeerwunder 2.3.2.2. Die Offenbarung des JHWH-Namens (יהוה) 2.3.2.3. Die Gottesoffenbarung am Sinai

2.4. Die neutestamentliche Rede von Gott 2.5. Christliches Verständnis von Gott

2.5.1. Gott in Jesus Christus 2.5.2. Die Trinitätslehre

2.6. Neuzeitliche Entwicklungen 2.7. Gottesbeweise

2.7.1. Kosmologischer Gottesbeweis 2.7.2. Entropologischer Gottesbeweis 2.7.3. Ontologischer Gottesbeweis 2.7.4. Teleologischer Gottesbeweis 2.7.5. Voluntaristischer Gottesbeweis

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 2

2.7.6. Moralischer Gottesbeweis 2.7.7. Pragmatischer Gottesbeweis 2.7.8. Ethnologischer Gottesbeweis 2.7.9. Axiologischer Gottesbeweis 2.7.10. Eudämonologischer Gottesbeweis

2.8. Religionskritik 2.8.1. Materialistischer Atheismus 2.8.2. Die Religionskritik Ludwig Feuerbachs 2.8.3. Die Religionskritik Karl Marx‘ 2.8.4. Die Religionskritik Sigmund Freuds

2.9. Gotteslehre im 20./21. Jahrhundert 2.10. Theodizee

2.10.1. Grundsätzliches 2.10.2. Versuche, das Übel zu erklären 2.10.3. Das Buch Ijob/Hiob

2.10.3.1. Name und Position 2.10.3.2. Aufbau 2.10.3.3. Rahmenteil 2.10.3.4. Datierung 2.10.3.5. Redenteil 2.10.3.6. Klage Hiobs 2.10.3.7. Elihu-Reden 2.10.3.8. Gottesreden 2.10.3.9. Wichtige Einzeltexte 2.10.3.10. Krise der Weisheit – Tun-Ergehens-Zusammenhang

3. Christologie S. 29

3.1. Historischer Jesus und Kerygmatischer Christus 3.2. Quellen zu Jesus Christus

3.2.1. Außerchristliche Quellen 3.2.2. Christliche Quellen – außerkanonisch 3.2.3. Christliche Quellen - kanonisch

3.3. Jesus Christus – Hoheitstitel 3.3.1. Sohn Gottes/Gottessohn

3.3.1.1. Jüdische Vorstellungen 3.3.1.2. Griechisch-hellenistische Vorstellungen 3.3.1.3. Neues Testament

3.3.2. Messias (hebr. maschiach = Gesalbter, griechisch: Christos) 3.3.2.1. Altes Testament 3.3.2.2. Neues Testament

3.3.3. Heiland (=Retter) 3.3.3.1. Altes Testament 3.3.3.2. Neues Testament

3.3.4. Herr (griech. = kyrios) 3.3.4.1. Altes Testament 3.3.4.2. Neues Testament

3.3.5. Menschensohn

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 3

3.3.5.1. Altes Testament 3.3.5.2. Neues Testament

3.3.6. Lamm Gottes 3.3.7. Der gute Hirte

3.4. Gleichnisse Jesu 3.4.1. „Eigentliches“ Gleichnis 3.4.2. Parabel 3.4.3. Beispielgeschichte 3.4.4. Allegorie 3.4.5. Deutungen der Gleichnisse

3.4.5.1. Allegorisierende Auslegung 3.4.5.2. Unterscheidung von Bild- und Sachhälfte 3.4.5.3. Historisch-kritische Auslegung 3.4.5.4. Metaphorische Auslegung 3.4.5.5. Sozialgeschichtliche Auslegung 3.4.5.6. Tiefenpsychologische Auslegung

3.5. Wunder 3.5.1. Exorzismen 3.5.2. Heilwunder 3.5.3. Geschenkwunder 3.5.4. Rettungs- und Naturwunder 3.5.5. Normenwunder 3.5.6. Totenerweckungen 3.5.7. Aufbau der Heilungswunder Jesu (Grundstruktur)

3.6. Tod Jesu 3.6.1. Neutestamentlicher Befund

3.6.1.1. Tod Jesu als „apokalyptisches Geschehen“ (Markus und Matthäus) 3.6.1.2. Tod Jesu als „ungerechtes Ende eines Gerechten“ (Lukas) 3.6.1.3. Tod Jesu als Erhöhung (Johannes)

3.6.2. Deutungen des Todes Jesu 3.6.2.1. Loskauf oder Lösegeld 3.6.2.2. Stellvertretung 3.6.2.3. Juridische Deutung 3.6.2.4. Kultische Deutung 3.6.2.5. Personale und soziale Deutung 3.6.2.6. Tod aus Solidarität mit den Menschen 3.6.2.7. Tod als Mit-Leiden Gottes und Konsequenz seines Lebensentwurfes

3.6.3. Die Frage nach der Verantwortung für den Tod Jesu als Quelle des Antijudaismus

3.7. Auferstehung Jesu 3.7.1. Biblischer Befund 3.7.2. Deutungen der Auferstehung Jesu

3.7.2.1. Die historisch-kritische Diskussion. Rationalismus 3.7.2.2. Subjektive Visionshypothese 3.7.2.3. Kerygmatheologie 3.7.2.4. Objektive Visionshypothese

3.8. Zwei-Naturen-Lehre

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 4

Mittelalterliche Bibel Eine ornamentale Seit aus einer

Bibel des 8. Jahrhunderts.

Auf dem Berg Sinai empfing Mose das Gesetz Gottes.

1. Die Bibel

1.1. Einführung in die Bibel

Die Bibel ist eine Sammlung von Büchern, die im Laufe von über 1000 Jahren von verschiedenen Verfassern geschrieben wurden, beginnend um das Jahr 1450 v. Chr. Die Bibel wird in zwei Hauptteile unterteilt, das Alte Testament und das Neue Testament.

Die Bücher des Alten Testaments umfassen die heilige Schrift des jüdischen Volkes. Aus ihnen erfährt man wie die Völker des alten Israel über Jahrhunderte hinweg gelebt haben. Im Gegensatz dazu deckt das Neue Testament nur einen Zeitraum von 60 oder 70 Jahren ab. Es enthält Berichte über Jesus und seine ersten Anhänger. Das Alte und das Neue Testament bilden die Bibel der Christen.

Die Bibel enthält insgesamt 66 Bücher. Häufig sagt man, dass sie eigentlich eine richtige Bibliothek ist, weil so viele verschiedene Textformen darin vorkommen. Beispiele dafür sind Bücher, die sich mit Gesetzen und der Geschichte befassen, oder andere, die Dichtungen, Lehrweisheiten oder Sprichwörter, Tagebücher und Briefe enthalten.

1.2. Das Alte Testament

Die 39 Bücher des Alten Testaments waren dem jüdischen Volk in seiner gesamten Geschichte die wichtigste Quelle religiöser Anleitung. Jesus hat diese Schriften gelesen. Der bedeutendste Teil des Alten Testaments ist für die Juden die Thora - das sind die ersten fünf Bücher der Bibel. Das Wort »Thora« bedeutet „Lehre“. Die fünf Bücher heißen Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium. Die Christen nennen sie „Pentateuch“, das ist ein griechisches Wort und bedeutet „fünf Bücher“.

An jedem Sabbat, also einmal in der Woche, hören die jüdischen Gemeinden eine Passage aus der Thora, die von einer Schriftrolle in der Synagoge vorgelesen wird. So wird im Laufe eines Jahres die gesamte Thora vorgelesen. Wenn dann wieder Genesis, Kapitel eins, an der Reihe ist, wird eine Feier abgehalten, die „Simchat Thora“ heißt, das bedeutet „Freude über das Gesetz“. Eine Prozession geht tanzend um die Synagoge und hält dabei die Thorarolle hoch, um Gott Dank zu sagen.

In den christlichen Gottesdiensten wird häufig aus dem Alten Testament gelesen. Für die Christen haben diese Geschichten eine große Bedeutung, weil sie darin vieles über Gott, über andere und über sich selbst erfahren.

1.2.1. Die fünf Bücher des Mose

Die Thora ist für die Juden etwas ganz Besonderes, weil sie die Botschaften Gottes enthält, die er über Mose an das hebräische Volk, also ihre Vorfahren, richtete. Die Thora wird deshalb auch manchmal „Die Fünf Bücher des Mose“ genannt.

Aus ihren Geschichten, Liedern, Gebeten und Gesetzesvorschriften lernt man vieles über Gott und erfährt, was er seinem Volk versprochen und was er von ihm gefordert hat. Für die

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 5

Ein jüdischer Junge am Tag der Bar

Mizwa.

Ein Rabbi oder Lehrer liest in der

Thora.

Die Schriftrollen vom Toten Meer lagen in Tongefäßen. Sie enthalten teilweise Schriften aus dem 2. Jahrhundert vor

Christus.

Christen sind die Bücher des Alten Testaments ebenso wichtig. Sie unterteilen sie in vier Abschnitte: Gesetze, Geschichte, Lehrweisheiten und Propheten.

Am Anfang wurden die Geschichten aus den frühesten Büchern des Alten Testaments von einer Generation zur nächsten weitererzählt. Schließlich wurden sie in hebräischer Sprache auf Pergament geschrieben, das man aus Tierhaut herstellte. Ein Schriftgelehrter schrieb sie Wort für Wort sorgfältig und ehrfürchtig nieder. So war es möglich, dass uns die Bücher bis zum heutigen Tag überliefert wurden.

Die jüdischen Kinder fangen früh an, die Thora zu lesen. Im Alter von 13 Jahren wird ein jüdischer Junge ein „Bar Mizwa“, das bedeutet „Sohn der Gebote“. Damit gilt er bei den Juden als Erwachsener und darf in der Synagoge aus der Thora lesen. Ein jüdisches Mädchen wird im Alter von zwölf Jahren eine „Bat-Mizwa“, eine „Tochter der Gebote“.

1.2.2. Die Schriftrollen vom Toten Meer

Im Jahr 1947 entdeckte ein Hirtenjunge in Höhlen am Toten Meer einige alte Schriftrollen: Es waren Teile aus allen Büchern des Alten Testaments, außer dem Buch Ester. Sie waren wahrscheinlich zur Zeit Jesu geschrieben worden. Man glaubt, dass sie aus einem Kloster in Qumran stammen und von einer Gruppe Juden, die man Essener nannte, in den Höhlen versteckt wurden. Der Fund beweist, wie genau die Schriftgelehrten diese besonderen Texte durch all die Jahrhunderte abgeschrieben hatten.

Psalm 119, Vers 105 erklärt, warum das Alte Testament für Juden und Christen so wichtig ist. Der Verfasser sagt zu Gott: „Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade.“

1.3. Das Neue Testament

Das Neue Testament besteht aus 27 Büchern. Die ersten vier davon sind die Evangelien von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. In ihnen werden Leben, Tod und Auferstehung von Jesus beschrieben. Die Apostelbriefe befassen sich mit der Entwicklung der Gemeinde der Christen und den Reisen des heiligen Paulus. Die Sendschreiben sind Briefe von christlichen Führern an Christen in den neu entstehenden Gemeinden. Das Buch der Offenbarung enthält Briefe an sieben Gemeinden und Schriften über die zukünftige Herrschaft Jesu über die Welt.

1.3.1. Die Paulusbriefe

Paulinische Briefe oder Corpus Paulinum werden vierzehn Briefe bzw. Episteln des Neuen Testaments genannt, welche nach traditioneller Auffassung den Apostel Paulus zum Urheber haben. Diese Briefe stehen am Anfang der neutestamentlichen Briefliteratur und bilden vom Umfang her den Hauptteil.

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 6

Corpus Paulinum Schriften

Protopaulinen

der Brief an die Römer der erste Brief an die Korinther der zweite Brief an die Korinther der Brief an die Galater der Brief an die Philipper der erste Brief an die Thessalonicher der Brief an Philemon

Deuteropaulinen der Brief an die Epheser der Brief an die Kolosser der zweite Brief an die Thessalonicher

Tritopaulinen

die Pastoralbriefe der erste Brief an Timotheus der zweite Brief an Timotheus der Brief an Titus

fälschlicherweise Paulus zugeschrieben

der Brief an die Hebräer

Nach der historisch-kritischen Wissenschaft gilt aber nur ein Teil davon als unbestritten von Paulus selbst verfasst. Diese sieben Briefe werden protopaulinische Briefe oder Protopaulinen genannt.

Deuteropaulinische Briefe oder Deuteropaulinen nennt man jene Schriften des Neuen Testaments, die laut Briefpräskript vom Apostel Paulus an christliche Gemeinden geschrieben worden sind, nach den Erkenntnissen der historisch-kritischen Exegese aber aus stilistischen und inhaltlichen Gründen nicht von Paulus selbst stammen dürften. Sie gelten bis auf den Hebräerbrief als Pseudepigraphen.

Die Nennung des Apostels als Absender stellt den betreffenden Brief unter seine Autorität und in seine Lehrtradition. Als Verfasser kommen Mitarbeiter oder Schüler des Paulus in Frage. Meist werden der Epheserbrief, der Kolosserbrief und der zweite Thessalonicherbrief als deuteropaulinisch angesehen. Diese Einschätzung ist allerdings umstritten.

Auch die Pastoralbriefe werden von der historisch-kritischen Exegese als pseudepigraph betrachtet. Wegen ihres deutlich anderen Charakters als Briefe an Einzelpersonen, ihrer (noch) späteren Entstehungszeit und des Umstandes, dass sie vermutlich das bereits weitgehend vollständige Corpus Paulinum voraussetzen, werden sie aber meist nicht als deuteropaulinisch, sondern als tritopaulinische Briefe oder Tritopaulinen bezeichnet.

Der Hebräerbrief galt zwischenzeitlich als Brief des Apostels Paulus und wurde daher in das Corpus Paulinum aufgenommen. Der Brief hat aber keine Verfasserangabe; schon die Kirchenväter haben sich davon überzeugt, dass er einen anderen, anonymen Verfasser hat.

Der Brief an die Epheser, der Brief an die Philipper, der Brief an die Kolosser und der Brief an Philemon werden als Gefangenschaftsbriefe genannt, die Paulus als Gefangener (in Rom, Caesarea oder Ephesus) geschrieben haben soll.

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 7

Die Verfasser der Evangelien wurden manchmal durch lebendige Geschöpfe dargestellt: Matthäus durch einen Engel, Markus durch einen Löwen, Lukas durch einen Ochsen, und Johannes durch einen Adler, wie hier in diesen Illustrationen für das Manuskript der Lindisfarne-Evangelien aus dem 7. Jahrhundert.

Die Protopaulinen sind die ältesten Teile des Neuen Testaments, sie sind noch vor den Evangelien geschrieben worden. Sehr früh sind Sammlungen dieser Briefe entstanden und in den frühen Christengemeinden im Gottesdienst benutzt worden. Spuren von Redaktion weisen darauf hin, dass einige der Protopaulinen bereits selbst eine Zusammenfassung mehrerer Briefe sein könnten. Die Sammlung und Zusammenstellung der Paulusbriefe im Corpus Paulinum ist eine frühe Form der Kanonisierung.

1.3.2. Die Evangelien

Das Wort „Evangelium“ bedeutet „gute Nachricht“. Der Inhalt der Evangelien wurde zunächst mündlich überliefert. Viele glauben, dass das. Markusevangelium zuerst niedergeschrieben wurde und dass Matthäus und Lukas sich in ihren Schriften darauf bezogen. Nur das Johannesevangelium weist größere Unterschiede auf. Es enthält weniger Ereignisse aus dem Leben Jesu und keines seiner Gleichnisse. Stattdessen versuchte Johannes zu erklären, wer Jesus war und was er lehrte.

Aus den Evangelien erfahren wir nicht alles über das Leben Jesu, weil sie hauptsächlich über die drei Jahre vor seinem Tod berichten und nur auf ausgewählte Ereignisse dieser Zeit eingehen. Die Evangelien wurden von den engsten Anhängern Jesu geschrieben. Diese wollten zeigen, warum sie so fest daran glaubten, dass Jesus der Messias, der Sohn Gottes war. Das Ziel der Evangelisten war es, den Menschen aus jener Zeit Jesu Botschaft zu vermitteln und den nachfolgenden Generationen einen schriftlichen Bericht zu hinterlassen.

1.4. Frühe Bibelausgaben

Die Bücher des Neuen Testaments wurden zuerst auf Papyrusrollen geschrieben, ein Papier der damaligen Zeit, das aus Schilf hergestellt wurde. Die Christen begannen dann, sie auf Papyrusblätter abzuschreiben, die gebunden und zwischen zwei Holzstücke oder Tafeln gelegt wurden. Diese frühe Buchform wurde Kodex genannt.

Der älteste Text des Neuen Testaments, der erhalten geblieben ist, stammt aus dem Johannesevangelium und wurde um 125 n. Chr. geschrieben. Ein vollständiges Neues Testament in Kodexform wurde im Jahr 1844 im Kloster St. Katharina am Fuß des Bergs Sinai gefunden.

Der Codex Sinaiticus ist in griechischer Sprache geschrieben und datiert aus dem 4. Jahrhundert nach Christus. Als das Christentum sich weiter ausbreitete, wurde das Neue Testament ins Lateinische und in andere Sprachen übersetzt.

Die erste gedruckte Bibel war die

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 8

Gutenberg-Bibel die 1456 in lateinischer Fassung erschien. Bald folgten auch gedruckte Übersetzungen in anderen Sprachen.

Heute gibt es viele verschiedene Ausgaben der Bibel. Sie wurde in über 2100 Sprachen übersetzt. Das bedeutet, dass die meisten Menschen auf der Welt die Botschaft der Bibel in ihrer eigenen Sprache hören oder sie lesen können. Dies ist sehr wichtig für die Christen, weil sie glauben, dass die Bibel einer der wichtigsten Wege ist, wie die Men-schen erfahren können, dass Gott die Welt liebt.

1.5. Aufbau und Bücher des Alten und des Neuen Testaments

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 9

1.6. Kanon

1.6.1. Begriff

Die Grundbedeutung des griechischen Wortes κανων ist dieselbe wie die des hebrä-ischen kãneh: Schilfrohr; über die Bedeutung „Meßrute“ gewinnt es die übertragene Bedeutung „Maßstab“, „Norm" (so im NT: 2. Kor 10,13.16 Gal 6,16). Seit der Mitte des 4. Jahrhunderts wird die Sammlung der Heiligen Schriften als Kanon bezeichnet. Inspiriert ist eine Schrift, insofern sie göttlichen Ursprungs ist; kanonisch, insofern ihr göttlicher Ursprung von der Kirche offiziell anerkannt wird. In der katholischen Begriffssprache unterscheidet man zwischen proto-kanonischen (die Zugehörigkeit dieser Bücher zum Kanon wurde in der Kirche nie bezweifelt) und deuterokanonischen Büchern (die Inspi-riertheit dieser Schriften wurde zu gewissen Zeiten oder an gewissen Orten verneint). Sieben Schriften des AT (Tob, Jdt, Bar, Weish, Sir, 1./2. Makk) wurden von den Juden am Ende des 1. Jahrhunderts nn Chr. nicht in den Kanon aufgenommen und gelten deswe-gen in der katholischen Kirche als deuterokanonisch. Der protestantische Sprachge-brauch unterscheidet zwischen apokryphen (katholisch: deuterokanonischen) und pseudepigraphischen (katholisch: apokryphen) Büchern.

1.6.2. Der Kanon des AT

1.6.2.1. Der jüdische Kanon:

Um ihre Bibel zu bezeichnen, gebrauchen die Juden das künstliche Wort tenak (nach den Anfangsbuchstaben von torãh, nebi'im, ketubim: Gesetz, Propheten und [übrige] Schrif-ten). Die Tora (Pentateuch = 5 [penta] Bücher [teuch]) gilt als Inbegriff der göttlichen Offenbarung und besitzt höchste Autorität. Bei den Propheten unterscheidet die jüdische Überlieferung zwischen den „früheren“ (Jos, Ri, Sam und Kön) und den „späteren“ Propheten (Jes, Jer, Ez und das Zwölfprophetenbuch). Die dritte Gruppe, die den vagen Namen „Schriften“ führt, fasst zusammen, was an bibl. Schrifttum noch hinzu-kam, nachdem die beiden ersten Gruppen bereits abgeschlossen waren. Schon in der Vorrede des griechischen Übersetzers von Sir (ca. 130 v.Chr.) findet sich die Dreiteilung: Gesetz, Propheten, übrige (Väter-)Schriften. Sie ist auch dem NT geläufig. Oft steht dort allerdings „Gesetz“ für das gesamte AT. Schon vom 4. Jahrhundert v.Chr. an wurden der Pentateuch und die Propheten (das später hinzugekommene Dan-Buch nicht hinzuge-rechnet) als harmonische Größen angesehen. Ungewissheit herrscht über den Umfang der jüdischen Septuaginta ([abgekürzt: LXX] = griechische Übersetzung der hebräischen Bibel), weil deren älteste Handschriften aus dem 4. Jahrhundert n.Chr. stammen, also christlich sind. Es ist sicher, dass die Übersetzer in ihre Ausgabe auch Schriften aufge-nommen haben, die über den späteren offiziellen jüdischen Kanon hinausgingen. Die gleiche Elastizität, die die jüdische Tradition im 3.-1. Jahrhundert v.Chr. in ihrer Auf-fassung vom Umfang des Kanons besaß, kann man noch im 1. Jahrhundert n.Chr. beob-achten: Einige Zitate im NT sind Anspielungen auf deuterokanonische Bücher, und we-nigstens einmal wird sogar ein apokryphes Buch ausdrücklich als Prophetie angeführt (Jud 14: 1 Hen). Die Qumrangemeinde benutzte auch deuterokanonische Schriften und scheint überdies ihre eigenen Schriften den Heiligen Schriften des offiziellen Judentums gleichgestellt zu haben. Die jüdische Synode von Jabne (90/95 n.Chr.) legte den Kanon schließlich auf 24 Bücher fest: Gen, Ex, Lev, Num, Dtn, Jos, Ri, Sam, Kön, Jes, Jer, Ez, XII Proph, Pss, Ijob, Spr, Rut, Hld, Koh, Klgl, Est, Dan, Esra/Neh, Chr.

1.6.2.2. Der christliche Kanon

Trotz des Widerstandes einzelner Kirchenväter im 3.-5. Jahrhundert machte die Kirche sich den erweiterten LXX-Kanon zu eigen. Indes zeigt auch die LXX-Überlieferung keine

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 10

Einheitlichkeit. In den heutigen Handausgaben von Swete und Rahlfs finden wir nicht nur alle deuterokanonischen Bücher samt den Zusätzen zu Dan und Est, sondern auch 2. Esra, 3./4. Makk, PsSal und Oratio Manassis. Melito von Sardes ( um 190) ist der erste Kirchenvater, von dem wir ein Kanon-Verzeichnis besitzen; es enthält nur die proto-kanonischen Bücher, ohne Est. Weitaus die meisten griechischen und lateinischen Kir-chenväter hielten jedoch an den deuterokanonischen Büchern fest. Unter Einfluss von Augustinus erfolgten dann im 4. Jahrhundert die ersten konziliaren Entscheidungen: Die Aufstellung der biblischen Bücher auf dem Regionalkonzil von Hippo (393) und dem 3. und 4. Konzil von Karthago (397; 419) wurden vom Trienter Konzil übernommen. - Von den Reformatoren war Karlstadt der erste, der die Diskussion über den Kanon eröffnete (1520) und zwar aufgrund rein historischer Überlegungen. Luther machte die Nähe einer Schrift zur christlichen Botschaft zum Kriterium der Kanonizität und schloss des-halb nicht nur die deuterokanonischen Bücher, sondern auch Est, Chr und Koh aus dem Kanon aus. Später hat er seine Auffassung revidiert. Die Bibel der orthodoxen Kirche hat den gleichen Umfang wie die der katholischen, sie enthält jedoch überdies noch 3. Esra sowie 3. Makk.

1.6.3. Der Kanon des NT

Die Urkirche betrachtete das AT nicht nur als unaufgebbares Zeugnis der in Jesus Christus zum Abschluss gekommenen Offenbarung, sondern beanspruchte je mehr das Judentum das AT gegen den Christusglauben abspielte, um so nachdrücklicher das AT als ihre Heilige Schrift. Die Verwendung der ältesten christlichen Schriften (Briefe, Evan-gelien als gottesdienstliche Vorlesebücher und die nach und nach folgende Übertragung der Autorität des Wortes Jesu, seiner Apostel und ihrer Schüler auf die ihr Wort und ihr Handeln bezeugenden Schriften führten dazu, dass diese allmählich als „heilige Schrif-ten“ der Kirche verstanden und dem AT gleichgestellt wurden. Während die vier Evangelien um die Mitte des 2 . Jahrhunderts bereits kanonisches Ansehen genossen, wurden die Paulusbriefe erst seit ca. 180 n.Chr. als Heilige Schrift zitiert. Sowohl das Streben des Marcion nach einer Reduzierung der Offenbarungsdokumente als auch eine Flut neuer Schriften zeigten die Notwendigkeit, die apostolische Paradosis gegenüber verfälschenden Tendenzen zu sichern. Erst in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts been-deten kirchliche Instanzen die herrschende Unsicherheit. Die erstmals von Athanasius (367) aufgezählte Sammlung von 27 kanonischen Büchern setzte sich sehr bald im Westen sowie nach und nach auch im Osten des römischen Reiches durch und wurde durch das Tridentinische Dekret von 1546 nach Zahl und Umfangder Schriften definitiv festgelegt.

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 11

2. Gotteslehre

2.1. Grundsätzliches

Von Gott und den Göttern wird in den Religionen und in der Religionsgeschichte auf vielfältige, recht unterschiedliche Weise gere-det. Neben Auffassungen des Göttlichen als wirksamer Macht finden sich gestalthafte Gottesvorstellungen. In polytheistischen Religionen wird Gott als Bezeichnung einer Gattung, der Götter, verwendet, in mono-theistischen Religionen als Name für den einen Gott. Welche Form ursprünglicher ist, lässt sich historisch nur schwer ausmachen. Wir finden sowohl frühe Gestalten eines Hochgott- und Ein-Gott-Glaubens als auch frühe Formen der Verehrung einer Vielzahl von göttlichen Mächten und Göttern. Der explizite Monotheismus scheint jedoch am Ende einer langen Entwicklung zu stehen. Von ihrem Anfang an haben sich auch Philosophie, Wissenschaft und Kunst mit der Gottesfrage beschäftigt. Griechische Philosophie versteht sich in ihrem Ursprung als kritische Infragestellung überlieferter religiöser Vorstellungen und als der Versuch, die Wirklichkeit des Göttlichen in vernünftiger Reflexion neu zu begreifen und auszusagen als Grund aller Wirklichkeit und das den Kosmos konstituierende und durchwaltende Prinzip Hier wird das Wort Gott zum philosophischen Begriff.

Im Reden von Gott wird von Anfang an eine Ambivalenz deutlich. Das Wort Gott ist ein Wort, das die Menschen immer wieder neu fasziniert. Es verbindet sich mit Grund- und Grenzsituationen des Lebens. In seinem Namen werden undurchschaubare Vorgänge erklärt, ethische Normen und soziales Verhalten autorisiert. Es steht dafür, dass letzte Fragen des Menschen nicht ins Leere gefragt sind und die Wirklichkeit Grund, Sinn und Ziel hat. Mit ihm verbinden sich Erfahrungen der Betroffenheit und Gewissheit, der Wegweisung und des Aufbruchs, der Strafe und des Gerichtes, der Geborgenheit und Hoffnung. Das Wort Gott bringt den Menschen aber auch in Verlegenheit. Mit ihm ist die Fundamentalunterscheidung von Gott und Welt gesetzt. Der Rede von der Erfahrung und Erkenntnis Gottes steht die „Nichtvorzeigbarkeit“ Gottes gegenüber. Von Gott können wir nur metaphorisch, im übertragenen Sprachgebrauch, reden. Das Wort Gott ist vieldeutig gebraucht, oft missbraucht worden. So ist es immer auch ein umstrittenes Wort. Innerhalb der Religion geht es um seinen rechten Gebrauch, sein rechtes Verständnis, religionskritisch gewendet erscheint es als ein leeres, überholtes, ge-fährliches Wort.

2.2. Strukturen der Rede von Gott

Bei ihrer Suche nach Erkenntnis haben Theologie und Philosophie über das Verhältnis von Gott und Welt nachgedacht. Im Laufe ihrer Geschichte haben sich für die Rede von Gott unterschiedliche Denkmuster entwickelt:

2.2.1. Deismus

Ein Gott existiert als Ursprung und Grund der Welt. In das Weltgeschehen und das Leben der Menschen greift er nicht weiter ein.

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 12

2.2.2. Theismus

Gott existiert als personales Gegenüber für die Welt, die er geschaffen hat. Lenkend und erhaltend greift er in das Weltgeschehen und das Leben der Menschen ein.

2.2.3. Pantheismus

Gott existiert in allen Erscheinungen der Natur. Er wird nicht getrennt von der Welt ge-dacht, sondern durchdringt sie. Es besteht kein Interesse, Gott und Welt zu unterscheiden.

2.2.4. Agnostizismus

Ob Gott existiert oder nicht, bleibt unentschieden. Das bloße Wort „Gott“ ist bedeutungsleer. Die Menschen müssen den Sinn ihres Lebens und Handelns innerweltlich finden.

2.2.5. Atheismus

Die Frage nach Gott zu stellen, um sie negativ zu beantworten, charakterisiert dieses Denkmuster. Die Menschen müssen ihr Leben aus eigener Kraft menschlich gestalten.

2.3. Die alttestamentliche Rede von Gott

Nach dem Zeugnis des Alten Testamentes gründet Israels Gottesverhältnis nicht in einer mythisch bestimmten Urgeschichte, sondern in der Erfahrung von Gottes geschichtlichem Handeln. Gott macht sich als der befreiende und rettende, zum Menschen kommende und ihn herausrufende Gott bekannt. So versteht Israel die Erfahrungen der Väter, darin werden die Ereignisse der Befreiung aus Ägypten für den Jahweglauben insgesamt normativ. Der Gott Israels ist ein Gott, der mit seinem Volk Zusammensein will, eine Präsenszusage gibt (Ex 3,14; 33,19). Seine Erweisungen verbinden sich mit neuen Verheißungen. Verbunden ist dies mit der Ausschließlichkeitsforderung. Jahwe will der einzige Gott seines Volkes sein.

Das Bilderverbot ist Ausdruck seiner Unvergleich-lichkeit und Unverfügbarkeit. Der Gott, der sich so selbst erweist, fordert sein Volk auf, ihm zu entsprechen im Glauben, der sich allein auf seine Zusage verlässt, und im rechten Leben, in das das Gesetz einweisen will. Doch zeigt sich bald, dass das Volk Gott nicht entsprechen will und kann. Den Erweisungen und Aufbrüchen folgen Versagen und Abfall. Eine Signatur, die sich von der Wüstenwanderung über die Zeit der Landnahme bis ins Königtum durchzieht. Im Auftreten der Propheten ergeht der Ruf zu neuem Glauben und Gehorsam, aber das Volk versagt sich ihrem Anruf. So wird aus dem Wort der Propheten Ansage des Gerichtes, bis schließlich im Exil alles verloren ist: Lade, Tempel, Land. Mitten in diesem radikalen Scheitern wird jedoch erkennbar, dass Gott sein Volk nicht los lässt, wie es auch von ihm nicht loskommt. Prophetische Verkündigung erkennt neues Heilshandeln, neue Hoff-nung auf ein eschatologisches Friedensreich erwächst, neue Erkenntnis Gottes als des einzigen Gottes, Herrn und Schöpfer der Welt, neues Bewusstsein der Verpflichtung im Bund mit Gott in der Beachtung des Gesetzes und der Pflege des Kultes.

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 13

2.3.1. Gott, der Schöpfer

„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“. So beginnt das Glaubensbekenntnis der Kirche. Der Satz des Credo fasst begründet in der jüdisch-christlich-abendländischen Kultur das Verhältnis zum Himmel und zur Erde, zur Zeit, zur „Natur“, zu den Tieren und den Mitmenschen.

Dieser Glaubenssatz ist allerdings in der Gegenwart sehr umstritten. Auf der einen Seite stehen die so genannten „Fundamentalisten“, die zwar für sich in Anspruch nehmen, die Substanz des Glaubens zu bewahren, aber tatsächlich ihn aushöhlen, indem sie ihn vor dem kritischen Verstand abschirmen. Sie behaupten, die Bibel wörtlich zu verstehen, wenn sie mit Berufung auf die Genesis gegen die moderne Naturwissenschaft, gegen die Biologie und die Physik, einen „Kreationismus“ propagieren, wonach Gott als der große Designer in kurzer oder längerer Zeit – die hardliner sagen: in sieben Tagen, die klügeren: in sieben mal tausend mal x Jahren – die Welt so gemacht hat, wie sie heute ist.

Ein Blick in die Geschichte der Auslegung zeigt, dass erst seit dem Aufkommen der Naturwissenschaften die Bibel „naturwissenschaftlich“ gelesen wurde. Damit wird man ihr nicht gerecht. Erst wenn man die Bibel sagen lässt, was sie selbst sagen will, hat man das Fundament des Glaubens bloßgelegt.

Auf der anderen Seite stehen die Kritiker, die meinen, durch die Erkenntnisse der Bio-logie und Physik sei die Bibel überflüssig geworden. Sie sei das Produkt eines über-holten Weltbildes.

Was die Genesis zu sagen hat, hält das Glaubensbekenntnis fest. Gott ist der Schöpfer.

Wie ist die Welt entstanden, in der wir Menschen leben? Ist sie ein Gefängnis, in das wir lebenslänglich eingesperrt sind? Oder ist sie ein Ort authentischen Lebens? Ist sie ein Chaos, in dem allein Zufall und Willkür regieren? Oder sind in ihr Grundmuster (Urbilder, Urgeschichten) erkennbar?

Diese Fragen beantwortet die Bibel auf ihren ersten Seiten. Der Schöpfungsbericht gehört zu den ganz großen Erzählungen der Menschheitsgeschichte, die das Weltbild von Judentum, Christentum und Islam zutiefst geprägt haben, ohne die sich aber auch die modernen Naturwissenschaften nicht hätten entwickeln können. Die Antwort auf die Fragen besteht in einer entschieden positiven Sicht der Welt, einer klaren Absage an eine letzte Sinnlosigkeit, einer deutlichen Vorstellung, dass alles irdische Leben nicht ewig ist, sondern endlich, aber deshalb nicht hoffnungslos, sondern sinnvoll.

Die Voraussetzung dieser Antworten: Die Welt ist Schöpfung. Sie ist Gottes Werk. Einerseits wird die Grenze scharf markiert: Die Welt ist nicht göttlich, Gott ist nicht ein Teil dieser Welt. Andererseits wird aber auch die Verbindung betont: Gott ist der Welt nicht fern; er hat sie erschaffen und erschafft sie jeden Tag neu; er ist es, der sie im Innersten zusammenhält; in der Welt gibt es die Menschen, die erfahren und erkennen können, dass sie ihr Leben Gott verdanken. Die genaue Unterscheidung zwischen Gott und Welt ist die Voraussetzung, dass in den denkbar höchsten Tönen vom Menschen gesprochen werden kann: Mann und Frau sind Gottes „Ebenbild“ (Gen 1,26). Das ist der Basistext für die moderne Geschichte der Menschenrechte.

Der Mensch, wie die Bibel ihn sieht, inmitten der Schöpfung: unter dem Himmel, der zum Symbol Gottes wird; im Licht der Sonne, des Mondes und der Sterne; auf der Erde, die sich aus dem Meer erhoben hat; mit den Pflanzen und den Tieren, die den Himmel, das Meer und die Erde bevölkern. Die Zeit, die Gott den Menschen schenkt, ist begrenzt und deshalb kostbar. Sie strömt nicht einfach dahin, sondern hat einen Rhythmus: den

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 14

Rhythmus von Tag und Nacht und den Rhythmus von Werktag und Feiertag mit dem Sabbat, dem siebten Tag, als festlichem Höhepunkt: Die Menschen, wie Gott sie erschaffen hat, sind keine Arbeitstiere, sondern freie Kreaturen, die ausspannen und feiern und vor allem Gott loben können.

Die Welt als Welt zu erkennen und nicht für göttlich zu halten, ist die entscheidende Voraussetzung, sie mit Hilfe des menschlichen Verstandes zu erforschen und mit Hilfe der Technik zu gestalten. Diese Welt als Schöpfung zu bejahen und nicht als menschliches Machwerk zu erklären, ist die entscheidende Voraussetzung, sie nicht auszubeuten, sondern zu achten und zu bewahren.

2.3.2. Gott als Befreier des Volkes Israel (Exoduserzählungen)

Ein wichtiger Bestandteil der Geschichte von Gott als Geschichte mit den Menschen ist die in der jüdisch-christlichen Tradition überlieferte Exoduserzählung.

„Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft.“(Ex 20,2/Dtn 5,6)

Das erste Gebot dient sozusagen als Präambel für das, was wir im Buch Exodus über Gott erfahren können und dient quasi als Überschrift für die Gottesbilder der Exoduserzählung . Die entscheidenden Ereignisse, welche die Erlösung der Israeliten aus Ägypten durch Gott bestimmen, sind:

Die Offenbarung des JHWH-Namens (Ex 3) Das Schilfmeerwunder (Ex 13, 20f) Die Gottesoffenbarung am Sinai (Dtn 5,6-21, par Ex 20).

2.3.2.1. Das Schilfmeerwunder

Die Rettung aus Ägypten erfährt nach den Plagen und dem so durchgesetzten Auszug im Schilfmeerwunder ihren Höhepunkt und endet mit einem der ältesten Lieder im Alten Testament, dem Mirjamlied: „Lasst uns dem Herrn singen, denn er hat eine herrliche Tat getan, Ross und Mann hat er ins Meer gestürzt.“ (Ex 15, 21)

Aus der Erzählung lassen sich (mindestens) zwei Erzählstränge herausarbeiten. In der einen Erzählung handelt Gott selbst und das Wunder geschieht durch von Gott in Kraft gesetzte Naturereignisse (Ex 14, 20). In der anderen Erzählung handelt Mose auf Anwei-sung Gottes und führt die Teilung des Meeres durch seinen Stab herbei (Ex 14, 15 ff). In beiden Fassungen wird ein Gott erlebt, der die Partei der Israeliten ergreift und sie aus ihrer Not befreit. Dies Befreiungserlebnis findet sich dann auch im ersten Gebot festge-halten.

2.3.2.2. Die Offenbarung des JHWH-Namens (יהוה)

Im Zusammenhang mit dem Geschehen in und dem Auszug aus Ägypten und dem Schilf-meerwunder gibt sich Gott einen Namen. Gott stellt sich als ein bekannter Gott vor, der bereits mit den Vorfahren von Mose seine Geschichte hat. Jetzt will dieser Gott erneut in die Geschichte eingreifen, denn er hat das Elend seines Volkes gesehen Ex (3, 7ff). Er lässt sich mit Mose auf ein Gespräch ein und erweist sich als ein Gott, „der sich in seinem Wort offenbart und der dem Menschen die Freiheit gibt, Einwände und Widerspruch zu erheben.“

Der Name Gottes ist = JHWH. Dieser Name ist ein Name, der eine Beziehung in sich trägt. Er offenbart einen Gott, der sich an den Menschen bindet, sich aber nicht festlegen lässt. In Ex 3, 14 wird die einzige Deutung dieses Namens im Alten Testament versucht, „und selbst sie ist nicht eindeutig“, zeigt aber, dass JHWH ein Gegenüber für den Menschen

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 15

sein will, das beständig ist:

„Ich werde sein, der ich sein werde.“ (Martin Luther) „Ich bin der Seiende.“(Septuaginta) „Ich bin der „Ich-bin-da“.(Einheitsübersetzung) „Ich bin da, weil ich da bin.“ (Bibel in gerechter Sprache) „Ich bin, der ich bin.“(Heinz Zahrnt) „Ich bin, so viel ich sein will.“(Martin Noth) „Ich werde für euch da sein.“(Gerhard von Rad) „Ich werde da sein, als der ich da sein werde.“(Wolfgang Huber) „Ich bin da, weil ich da bin.“ (Bibel in gerechter Sprache)

Die Übersetzungen zeigen, dass der Gottesname Geheimnis bleibt. Derjenige aber, der sich JHWH zuwendet, kann in der Gegenwart und Zukunft Erfahrungen mit ihm machen. Für das Volk Israel wird damit in Ex 3,14 schon auf die Sinaierfahrung und das Schilf-meerwunder hingewiesen.

2.3.2.3. Die Gottesoffenbarung am Sinai

Am Sinai wird die Wanderung durch die Wüste unterbrochen. Hier entsteht eine Pause, in der Gott mit dem Volk Israel durch die Übergabe seiner Gebote mit dem Volk Israel einen Bund schließt. Hier wird letztlich und endgültig Israel zum Volk Gottes. Zwischen Gott und dem Volk ist jedoch ein Vermittler nötig. Nur Mose kann sich Gott nähern. Mose erhält die 10 Gebote auf zwei Steintafeln. Diese 10 Gebote sind Zeichen des Bundes zwischen Gott und Israel, sozusagen die Grundregeln dieses Bundes. Die liegen in zwei Fassungen vor, die weitgehend übereinstimmen: Ex 20,2-17 und Dtn 5,6-21.

Diese 10 Gebote haben Einfluss auf die Gestaltung vieler Grundsätze für menschliches Zusammenleben gehabt. Wichtig ist, dass die 10 Gebote nicht restriktiv, sondern als Worte des Lebens verstanden werden sollen. Die Israeliten wandern viele Jahre durch die Wüste und werden die ganze Zeit von Gott geführt. Die Erzählungen über diese Wüstenwanderung wissen von allen Bedrohungen und Gefahren, die einem auf einem solchen Weg begegnen. Religiöse Krisen werden als etwas selbstverständliches dargestellt. Gezeigt wird aber auch, dass es ein positives Ende nimmt, wenn sich das Volk wieder auf die Führung Gottes – durch seinen Vermittler Mose – verlässt.

Die Gottesbilder der Exoduserzählung zeigen, dass Gott ein Gegenüber für den Menschen ist, er ist mehr als eine bloße unpersönliche Macht oder Energie. Er wendet sich Menschen im Leid zu und befreit sie zum Leben.

2.4. Die neutestamentliche Rede von Gott

Die Verkündigung Jesu nimmt das alttestamentliche Gottesverständnis auf. Kennzeich-nend wird jedoch, wie er Nähe und Begegnung Gottes auslegt. Die Gottesherrschaft wird nicht erst kommen oder muss nicht erst durch politische oder fromme Aktivitäten her-beigeführt werden, sie ist schon angebrochen, in Jesu Verkündigung und Person gegen-wärtig geworden. Das stellt den Menschen bedingungslos vor den Anspruch des nahen Gottes. Es geht nicht um gesetzliche oder rituelle Pflichterfüllung, sondern um offenes Vertrauen, Liebe aus ganzem Herzen und die konkrete Freiheit, Gutes zu tun. Das stellt den Menschen zugleich bedingungslos in den Zuspruch des nahen Gottes, der alle vorbe-haltlos einlädt, das Verlorene sucht, dem Sünder vergibt. Zusammenfassend findet diese frohe Botschaft ihren Ausdruck in der Gottesanrede Jesu: abba (Vater). Gott ist so nah wie ein Vater, er ruft alle, ohne Ansehen der Person, in die Gotteskindschaft. Solche alle Parteien gleichzeitig herausfordernde Botschaft erweckt Befremdung und Widerstand

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 16

und führt Jesus ans Kreuz.

Im Tod Jesu war die Frage gestellt, ob Jesus, der für sein Gottesverständnis gestorben ist, zu Recht im Namen Gottes geredet hat. Das Neue Testament verdankt sich der Erfahrung, dass Jesus in der Auferweckung von den Toten ins Recht gesetzt wurde, der auferstandene Herr ist. Das findet Ausdruck in der Deutung der Geschichte Jesu und in der Entfaltung und Reflexion des Heilshandeln Gottes in Jesus. Es kommt zu einem vertieften Gottesverständnis. Gott wird als der Herr und Schöpfer der Welt erkannt, der in seiner Schöpfung seine Gerechtigkeit ans Ziel bringen wird, aus dem Tod Leben schafft und eine neue Schöpfung verheißt. Gott wird als Liebe bis zum Äußersten verstanden, die in Jesus gegenwärtig wurde und seine Kreuzigung zum Versöhnungsgeschehen für uns werden ließ. Gott wird als gegenwärtig im Geist erfahren, den der auferstandene Herr sendet und der in die Freiheit des Glaubens und der Liebe führt.

2.5. Christliches Verständnis von Gott

Die Entfaltung des christlichen Gottesverständnisses verdankt sich sowohl innertheo-logischen Fragestellungen als auch Herausforderungen, die von außen begegnen. So wurde eine Entfaltung der Gotteslehre um des Verständnisses der Geschichte Jesu Christi, vor allem im Blick auf seine besondere Beziehung zum Vater, seinen Tod am Kreuz und sein Wirken als auferstandener Herr, nötig. In Auseinandersetzung mit dem Judentum stellte sich die Frage, wie sich der in Jesus gegenwärtige und als Liebe be-stimmende Gott zu den Gotteserfahrungen und dem Gottesverständnis Israels verhält. In der Begegnung mit der hellenistischen Welt war die Auseinandersetzung mit dem philosophischen Gottesbegriff und dualistischen Auffassungen zu führen. Die altkirch-liche Theologie hat diese Aufgabe wahrgenommen, indem sie eine trinitarische Gottes-lehre entfaltet. In der Ausbildung der Trinitätslehre wird die Einheit Gottes gewahrt (Wesensgleichheit und gegenseitige Durchdringung der Personen) und Gottes Selbst-unterscheidung aufgezeigt, in der er in Jesus ganz gegenwärtig wird und sich in Kreuz und Auferstehung als schöpferische Liebe bestimmt.

In der Scholastik wird die Gotteslehre insbesondere im Blick auf das Verhältnis von natürlicher Erkenntnis Gottes und Offenbarungserkenntnis weiter ausgebildet. Aus-geführt und aufgezeigt wird dies in der Lehre von den Gottesbeweisen und auch in der Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften. Hier hat man sowohl auf die Offen-barungserkenntnis wie auf Vernunfteinsichten zurückgegriffen.

Martin Luther (1483-1546) bestreitet nicht, dass der Mensch in seiner Vernunft um Gott wissen kann. In aller Schärfe aber zeigt er auf, dass die in der Sünde gehaltene Vernunft nur ein Bild des verborgenen Gottes erfassen kann, in seiner unbegreiflichen Majestät, die erschreckend auch hinter allem Schrecklichen und Sinnlosen steht. Eine lebendige Gottesbeziehung, die in die Freiheit führt, wird nur dort eröffnet, wo Gott in Christus als der rechtfertigende Gott erkannt wird. Darum gehören Gott und Wort, Gott und Glaube zusammen. Im Kreuz Christi wird Gott mitten in der Verborgenheit seiner Ohnmacht in der Macht seiner Liebe offenbar.

2.5.1. Gott in Jesus Christus

In der christlichen Theologie wird Jesus als Sohn Gottes verstanden einerseits als „wahrer Mensch“, andererseits als „wahrer Gott“ (Zwei-Naturen-Lehre). Somit kann an Jesus Christus abgelesen und erkannt werden einerseits wie der Mensch von Gott gemeint ist und andererseits wie Gott selber sich dem Menschen gegenüber zeigt. Jesus Christus ist das „Ebenbild Gottes“. [vgl. dazu insgesamt: 3. Christologie]

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 17

2.5.2. Die Trinitätslehre

(Heilige) Dreifaltigkeit, Dreieinigkeit oder Trinität (lat. trinitas ‚Dreizahl‘) bezeichnet in der christlichen Theologie die Wesens-Einheit von Gott Vater, Sohn (Jesus Christus) und Heiligem Geist. Sie werden als drei aus Gott entsprungene Personen oder Hypostasen der Trinität, nicht aber als drei Substanzen oder drei Götter aufgefasst. Motive aus der biblischen Überlieferung, früher Gebets- und Redeweise und theologischer Begriffs-bildung führen zum kirchlichen „Trinitätsdogma“. Ab dem 4. Jahrhundert, zur Zeit der Völkerwanderung, wird eine formelle Trinitätslehre ausgebildet, der jüdische Mensch Jesus von Nazareth, von dem schon im Neuen Testament Göttliches ausgesagt wird (z. B. Joh 20,28: „Mein Herr und mein Gott“), wird wie der Heilige Geist als „wesenseins“ mit Gott, dem Vater, verstanden und verehrt. Mit unterschiedlichen Akzenten wird eine Dreieinigkeit heute von fast allen christlichen Glaubensgemeinschaften vertreten.

2.6. Neuzeitliche Entwicklungen

Am Anfang der neuzeitlichen Entwicklung steht nicht die Bestreitung Gottes, sondern der Erweis seiner Notwendigkeit, freilich in der Funktion die Erkenntnismöglichkeit des Menschen zu sichern (Descartes). Die allgemeine, natürliche Gotteserkenntnis erscheint als die eigentliche, klare Erkenntnis, von der her die geschichtlichen Religionen kritisch befragt werden (historische Kritik, Vernunftkritik, Lessing, Kant). Im Fortgang der Entwicklung aber wird solche Begründung fragwürdig, Gott immer weniger selbstverständlich. Im Aufkommen naturwissenschaftlicher Einsichten kann Gott nur als Gründer am Anfang (Deismus) vorgestellt werden, später entfällt auch diese Nötigung in der Kritik der Gottesbeweise (Kant) und in einem unendlich, vom Kausalgesetz bestimmt gedachten Kosmos. So kommt es zu einer Entwicklung, die unter den Stichworten Anthropologisierung, Privatisierung und Bestreitung des Gottesgedankens gekennzeichnet werden kann. Reden von Gott erscheint nur mehr im Bereich von Anthropologie und Ethik sinnvoll.

In der Bestreitung des Gottesgedankens wird das Wort Gott als ein überholtes Wort verstanden (primitive Form der Welterklärung). Es erscheint als sinnloses Wort, das keine mitteilbare und prüfbare Bedeutung hat und als gefährliches Wort, das Mündig-keit, Selbstverantwortung und gesellschaftliche Selbstentfaltung lähmt (Feuerbach, Marx, Freud). So ruft Nietzsche (1844-1900) den Tod Gottes aus. Im Abschied von Gott muss der Mensch er selbst werden. In dieser Infragestellung sind zwei grundlegende Antworten formuliert worden. Hegel (1770-1831) begreift den neuzeitlichen Atheismus als Moment der Geschichte des sich selbst verwirklichenden und zu sich kommenden Gottes. Im Tod Gottes und im neuzeitlichen Atheismus geht Gott durch die Negation seiner selbst, um die äußerste Entfremdung in sich aufzunehmen und zu überwinden. Schleiermacher (1768-1834) entfaltet Religion als eigenständige, zum Menschsein gehörende Erfahrung und unmittelbares Ergriffenwerden (Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit), das alle Erfahrung bestimmt. Seinen geschichtlichen Ausdruck erhält dieses Gottesbewusstsein von Jesus her in der Vermittlung der Kirche.

2.7. Gottesbeweise

Gottesbeweis nennt man ein Argument, das ohne die Voraussetzung geoffenbarter Weisheiten oder theologischer Dogmen zu beweisen versucht, dass Gott existiert. Gottesbeweise sind seit der antiken Philosophie bekannt.

2.7.1. Kosmologischer Gottesbeweis

Als kosmologischer Gottesbeweis wird jener bezeichnet, der von der Existenz der Welt auf die Existenz Gottes schließt, der die Welt geschaffen hat.

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 18

Es gibt fmehrere Varianten des kosmologischen Gottesbeweises (in diesem weiten Sinne):

Die Erfahrung zeigt, dass es Bewegung gibt und alles Bewegte einen Beweger hat. Deshalb muss es einen ersten Beweger geben, der nicht durch etwas anderes, sondern durch sich selbst bewegt wird. Dieser erste Beweger heißt Gott. Dieses Argument trägt bereits Aristoteles vor. Thomas von Aquin nennt es seinen 1. Gottesbeweis. Dies ist der kosmologische Gottesbeweis (im engeren Sinne).

Der Erfahrung nach hat alles seine Ursache. Jedes Existierende ist also die Wirkung einer Ursache, die wiederum die Wirkung einer anderen Ursache ist usw. Soll sich diese Ursachenkette nicht bis ins Unendliche fortsetzen, muss es eine erste wirkende Ursache geben, die für sich selbst Ursache ist und die man Gott nennen kann. Dieses Argument hat bereits Aristoteles angedeutet. Später findet es sich u. a. bei Avicenna, Albertus Magnus, Thomas von Aquin (als 2. Gottesbeweis) sowie bei Duns Scotus. Diese Variante wird auch Kausalbeweis der Existenz Gottes genannt.

Die Erfahrung zeigt, dass Seiendes entsteht und vergeht und deshalb sowohl sein wie nicht sein kann. Es muss aber etwas geben, das mit Notwendigkeit existiert, andernfalls läge kein Grund vor, warum alles bloß Mögliche tatsächlich existiert. Gäbe es keinen Gott, der mit Notwendigkeit durch sich selbst existiert, gäbe es für die Existenz der Welt keinen Grund. Weil aber die Welt existiert, muss auch Gott existieren. Dieses Argument findet sich u. a. bei Avicenna, Maimonides und Thomas von Aquin (als 3. Gottesbeweis), bei Leibniz und C. Wolff. Dieses Argument wird auch Kontingenzbeweis der Existenz Gottes genannt, weil es behauptet, das Kontingente, d. h. das Nicht-Notwendige, setze die Existenz eines Notwendigen voraus.

2.7.2. Entropologischer Gottesbeweis

Dieser knüpft an den Satz von der Entropie an, nach dem alle Bewegungsenergie im Lauf der Zeit in Zustandsenergie umgesetzt wird. Wenn die Welt bereits unendlich lange existierte, würde es also längst keine Bewegung mehr geben. Da es immer noch Bewegung gibt, muss die Welt folglich einen Anfang haben. Dann aber muss ein Gott existieren, der sie geschaffen hat; denn sonst gäbe es keinen Grund, warum die Welt anfangen sollte zu existieren. Das Gemeinsame dieser Varianten liegt in der Voraussetzung, alle Existenz müsse einen Grund haben: Von nichts kommt nichts. Schließlich sind alle Varianten des kosmologischen Gottesbeweises (im weiteren Sinne) von der Kantischen Kritik des kosmologischen Gottesbeweises betroffen. Sie wenden die Begriffe Bewegung, Ursache, Möglichkeit und Grund außerhalb des Bereichs möglicher Erfahrung an, in dem allein dieser Begriff einen wohldefinierten Sinn haben kann.

2.7.3. Ontologischer Gottesbeweis

Der ontologische Gottesbeweis geht nicht von der Erfahrung aus. Vielmehr wird hier die Existenz Gottes aus dem Begriff Gottes bewiesen. Gott ist dem Begriff nach das höchste Wesen; etwas Vollkommeneres als Gott lässt sich nicht denken. Folglich muss Gott existieren; denn gäbe es ihn nicht, würde ihm die Existenz fehlen, d. h., es wäre an ihm etwas Unvollkommenes. Wenn Gott nicht existierte, könnte ein noch vollkommeneres Wesen gedacht werden, das Gott gleich wäre, aber außerdem noch existierte. Eben dies widerspricht dem Gottesbegriff, da er beinhaltet, dass sich etwas Vollkommeneres gerade nicht denken lässt. Also muss Gott existieren.

Zuerst wird der ontologische Gottesbeweis es von Anselm von Canterbury formuliert. Er wird dann von Bonaventura und von Duns Scotus übernommen. Thomas von Aquin und Wilhelm von Ockham verwerfen ihn.

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 19

Descartes und Spinoza tragen erneut einen ontologischen Gottesbeweis vor. Leibniz hält ihn in seiner cartesianischen Form für unvollständig und versucht ihn zu verbessern.

Eine wichtige Kritik des Arguments stammt von Kant. Kant bestreitet, dass Existenz eine Eigenschaft (ein Prädikat) wie andere Eigenschaften ist. Wenn man sich 100 Reichstaler denkt, kann man eine vollständige Beschreibung aller Eigenschaften dieser Taler geben, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob sie existieren oder nicht. Der Begriff (d. h. die Prädikate) der 100 Reichstaler hat mit ihrer Existenz oder Nichtexistenz nichts zu tun. Auch der Begriff Gott steht mit der Existenz oder Nichtexistenz des von ihm Bezeichneten in keinem Zusammenhang.

Frege unterscheidet zwischen Funktionsausdrücken erster Stufe, z. B. dem Prädikat rund in der Aussage Der Silbertaler ist rund oder dem Prädikat allmächtig in der Aussage Gott ist allmächtig, und Funktionsausdrücken zweiter Stufe, z. B. alle, kein, es gibt usw. Der ontologische Gottesbeweis - so Frege - begeht nun den Fehler, mit Existenz einen Funktionsausdruck zweiter Ordnung so zu behandeln, als sei er ein Funktionsausdruck erster Ordnung wie allmächtig, allwissend, allgegenwärtig usw.

Von Hegel wird Kants Kritik zurückgewiesen. Zwischen dem, was wirklich ist (existiert), und dem, was unwirklich ist (nicht existiert), setzt Hegel verschiedene Grade von Wirklichkeit an. Gott, bei Hegel das Absolute genannt, bedeutet seinem Begriff nach den höchsten Wesenszusammenhang in der Welt und insofern die höchste Wirklichkeit, die alle andere Wirklichkeit bedingt. Die Existenz Gottes zu bestreiten ist daher sinnlos. Denn über die zufällige Existenz läßt sich gar nicht sinnvoll sprechen, wenn die Existenz des höchsten Wesenszusammenhangs nicht schon vorausgesetzt wird, also die Existenz Gottes.

2.7.4. Teleologischer Gottesbeweis

Als teleologischen oder physikotheologischen Gottesbeweis bezeichnet Immanuel Kant einen Gottesbeweis, welcher von der anscheinend planmäßig eingerichteten und zweck-gerichteten Ordnung der Natur auf einen Gott schließt, der die Ordnung der Natur geschaffen hat.

Dieses Argument findet sich schon bei Anaximander und Diogenes von Appollonia vor. Benutzt wird es u. a. von Sokrates, Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin als 5. Gottes-beweis, von Duns Scotus und Francisco Suárez. Kant kritisiert, dass hier der Begriff des Zwecks außerhalb seines Anwendungsbereichs dem des menschlichen Handelns - gebraucht wird.

2.7.5. Voluntaristischer Gottesbeweis

Der Stufenbeweis für die Existenz Gottes, auch voluntaristischer Gottesbeweis genannt, wurde von Anselm von Canterbury entwickelt und dient bei Thomas von Aquin als 4. Gottesbeweis. Dieses Argument geht von verschiedenen Graden von Vollkommenheit aus, die die Dinge besitzen. Daraus wird geschlossen, es müsse etwas in höchstem Grad Wahres, Gutes und Vollkommenes geben, nämlich Gott.

2.7.6. Moralischer Gottesbeweis

Der moralische Gottesbeweis, auch als ethikotheologischer oder als deontologischer Gottesbeweis bezeichnet, wurde von Immanuel Kant formuliert. Dieser Gottesbeweis setzt bei der menschlichen Verpflichtung an, nach Verwirklichung des höchsten Guten zu streben. Weil der Mensch aber nur in beschränktem Maß Herr über das eigene Leben und die Folgen seiner Handlungen ist, muss aus praktischen Gründen die Existenz Gottes angenommen werden. Gott richtet die Natur so ein, dass der seine Pflicht

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 20

erfüllende Mensch als Lohn für sein moralisches Handeln Unsterblichkeit und Glückseligkeit erlangt. Für Kant handelt es sich beim moralischen Gottesbeweis nicht um ein theoretisch zwingendes Argument, sondern um ein praktisches Postulat dar.

2.7.7. Pragmatischer Gottesbeweis

Einen pragmatischen Gottesbeweis hat W. James formuliert. Das Leugnen der Existenz Gottes führt zu Hoffnungslosigkeit und Pessimismus. Der Glaube an die Existenz Gottes jedoch gibt Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft. Also ist der Gottesglaube nützlicher als die Gottesverneinung und somit pragmatisch wahr.

2.7.8. Ethnologischer Gottesbeweis

Der historische Gottesbeweis, auch ethnologischer Gottesbeweis genannt, baut auf dem Umstand auf, dass bei nahezu allen Völkern die Existenz eines Gottes angenommen wird. Nur wenn Gott wirklich existiert, ist verständlich, dass die Gottesvorstellung in den verschiedensten, auch voneinander völlig unabhängigen Kulturen vorkommt.

2.7.9. Axiologischer Gottesbeweis

Beim axiologischen Gottesbeweis handelt es sich um einen Gottesbeweis aus dem 19. Jahrhundert. Der Mensch strebt nach der Verwirklichung von Werten. Alle irdischen Werte sind jedoch bedingt und endlich. Deshalb muss es einen höchsten Wert geben, Gott, der es überhaupt möglich macht, dass die irdischen Werte erstrebenswert sind.

2.7.10. Eudämonologischer Gottesbeweis

Der eudämonologische Gottesbeweis geht vom menschlichen Glücksstreben aus und behauptet, dass Gott existieren muss, wenn dieses Glücksstreben mehr als eine bloß vorübergehende Befriedigung erreichen können soll.

2.8. Religionskritik

Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist der Atheismus eine neuzeitliche Erscheinung, die in engem Zusammenhang mit der Aufklärung, dem Aufkommen des industriellen Zeitalters und der Wissenschaften steht. Einige Begründungen des Atheismus haben große Beachtung gefunden und zu seiner Verbreitung beigetragen:

Der materialistisch-naturwissenschaftlich argumentierende Atheismus bestreitet Gott, da es für ihn nur Materielles gibt, Gott aber nicht als Materie existiert.

Der anthropologische Atheismus Feuerbachs hält alle Gottesvorstellungen für Projektionen, die sich Menschen von Gott machen und wünschen.

Der gesellschaftskritisch-kommunistische Atheismus von Marx führt den Gottesglauben auf die Entfremdung des Menschen durch die moderne Gesellschaft zurück. In dieser brutalen Welt sei Gott das Opium des Volks, das diese Verhältnisse für die Unterdrückten erträglich macht.

Der psychoanalytische Atheismus von Freud hält den Gottesglauben für eine infantile Neurose und Illusion.

Die meisten Formen des Atheismus kritisieren - oft zu Recht - verbreitete Gottesvor-stellungen und Gottesbilder. Darum führt ihre Kritik zur Reinigung der Religion und ist von der Religion ernst zu nehmen. Doch wer die falschen Gottesbilder ablegt, befreit die Religion von einer Last, ohne die Existenz Gottes bestreiten zu müssen.

2.8.1. Materialistischer Atheismus

Der materialistischen Atheismus besagt, dass das komplette Universum aus nichts anderem besteht, als aus Materie, die von physikalischen Kräften bewegt und

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 21

strukturiert wird. Nachdem die Materie durch das Universum flog, haben demnach die vier bekannten Grundkräfte der Physik sie zu Galaxien, Sonnen und Planeten geformt. Auf unserem Planeten wurde die leblose Materie dann im Laufe der Evolution erst zu einfacheren und dann zu immer komplexeren Molekülverbänden strukturiert, bis schließlich die komplizierte Materiestruktur entstand, die sich heute „Mensch“ nennt.

Dieser materialistische Atheismus findet sich in vielen Variationen an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten auf der Welt. Grundlage des „modernen“ Atheis-mus im Abendland aber ist z.B. der französische Philosoph Thierry d’Holbach.

2.8.2. Die Religionskritik Ludwig Feuerbachs

Der grundsätzlich psychologische Ansatz Ludwig Feuerbachs hat die moderne Religionskritik geprägt wie keine andere. Die Grundthese Feuerbachs besagt: Der Mensch ist Anfang, Mittelpunkt und Ende der Religion. Der Mensch ist geprägt von einem Abhängigkeitsgefühl: Er fühlt sich abhängig von der Natur und der Mensch verehrt, wovon er abhängig ist.

Außerdem ist dem Mensch geprägt von einem Glückseligkeitstrieb: Mensch verehrt und betet die Götter an, damit sie seine Wünsche erfüllen und damit er durch sie glücklich ist.

Die Wünsche des Menschen aber sind letztlich alle Projektionen (Projektionstheorie):

Menschen wünschen allwissend, allmächtig, gut, unsterblich ... zu sein. Was der Mensch zu sein wünscht, macht er zu seinem Gott Gott = Mensch, gereinigt von allen Schranken /Übel Jenseits = Diesseits ohne Schranken / Übel Christi Auferstehung = Verlangen des Menschen nach Unsterblichkeit

Daraus folgt einerseits, dass der Mensch Gott nach seinem Bilde schuf (nicht umgekehrt!) und andererseits, dass der Mensch von sich selbst „entzweit“ ist:

Unendlichkeit Gottes Endlichkeit des Menschen Vollkommenheit Gottes Unvollkommenheit des Menschen Allmacht Gottes Ohnmacht des Menschen

Somit ist Gott ist entäußerte Selbst des Menschen und Theologie ist letztlich Anthropologie. Die Religionen sind dabei so verschieden wie die Menschen. Götter sind die in Wesen verwandelten Wünsche des Menschen:

Gott = Projektion des menschlichen Verstandes (Intelligenz) und Willens (Vollkommenheit, Gerechtigkeit)

Erkenntnis Gottes = Selbsterkenntnis des Menschen. Religion = Verhalten des Menschen zu sich selbst

Daraus folgt für Feuerbach: Im Säkularisierungsprozess wird die Religion nach und nach untergehen. Am Anfang führt der Mensch alles und jedes auf Gott zurück, im Laufe der Geschichte immer weniger:

Positiver Wert der Religion: Überlieferung des ersten Selbstbewusstseins des Menschen

Leugnung der Existenz Gottes: keine Negation der Werte, die sich mit ihm verbinden; der Atheismus ist vielmehr der wahre Humanismus

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 22

Homo homini deus est (der Mensch ist des Menschen Gott); Wendepunkt der Auffassung über Gott und die Welt; Gott wird entmythologisiert; die Menschen von der „Unwahrheit“ der Religion befreit, von Abhängigkeit, Furcht, Hilflosigkeit, Unwissenheit

Der Ausgangspunkt allen Philosophierens muss der Mensch sein, und zwar der konkrete, sinnliche, soziale Mensch; Menschenliebe statt Gottesliebe Anthropotheismus; Der Mensch ist das Maß aller Dinge und der Wahrheit; Mensch soll sein Ziel in sich selbst finden; Geheimnis der Theologie ist die Anthropologie

Würdigung / Kritik der Gedanken Feuerbachs:

Wünsche, Bedürfnisse: Beim Gottesglauben sind psychologische Kräfte wie Wünsche, Bedürfnisse beteiligt. aber: Glaube ist nicht nur Psychologie; Wenn Gott mit menschlichen Wunschvorstellungen zusammenfällt, so sagt das über seine Existenz überhaupt nichts aus. Es wird vernachlässigt, dass Gott der „ganz Andere“ ist und sein Handeln dem Mensch oft unverständlich ist; Das „mysterium tremendum“ Gott als Richter entspricht nicht unseren Wünschen

Problematik der Gottesbilder: Bilder sind ein notwendiges Element des Glaubens; die Gefahr von naiv-anthropomorphen Gottesbildern wird zu Recht benannt, aber: Gott ist mehr als die Projektion menschlicher Bilder; Bild des ärmlichen Jesus, der am Kreuz stirbt, entspricht nicht menschlichen Vorstellungen von Gott

Kritik am traditionellen Christentum: ist prinzipiell gerechtfertigt, Gott wurde vielfach auf Kosten des Menschen angeführt, aber: Das Ziel der christlichen Religion ist die Befreiung des Menschen. Feuerbach trifft somit nicht das Christentum an sich, sondern nur eine Fehlform im 19. Jahrhundert; zudem ist der Religionsbegriff ausgesprochen undifferenziert: Vielfalt der Religionen (Islam, ...)

Das Abhängigkeitsgefühl, die Wünsche, die Suche nach Glückseligkeit haben mit der Entstehung der Religion zu tun, aber: vielleicht gibt es ja einen echten Grund dafür (Gott!)

Entzweiung – Projektion: Widerspruch; Ist Gott nun der Gegensatz oder die Verlängerung des Menschen?

Atheismus: ist Ausgangspunkt, wird aber einfach unbewiesen vorausgesetzt

2.8.3. Die Religionskritik Karl Marx‘

Ausgangspunkt für Marx ist die Philosophie Feuerbachs. Er entwickelt seine Kritik der Religion aufgrund wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Überlegungen. Der Gegensatz zwischen besitzender Klasse und breiten Masse von besitzlosen Arbeitern steigerte sich in der Zeit und der Wahrnehmung von Karl Marx ins Unerträgliche. Die Arbeiter waren zunehmender Ausbeutung und Verelendung ausgesetzt. Deshalb beschrieb er:

Religion als Teil des „ideologischen Überbaus“: „Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend“ - „Religion ist Opium des Volkes“ (Opium ist ein schmerzlinderndes Mittel - erzeugt ein dumpfes Gefühl des Wohlbefindens in einem eigentlich schmerzhaften Zustand).

Das ausgenutzte Proletariat erträgt die Qualen nur aufgrund der Religion „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“: Die Religion wird durch Missstände in

Gesellschaft erst nötig – die wirtschaftlichen Verhältnisse bestimmen die Religion „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen."

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 23

In Aufnahme und Weiterführung der Projektionstheorie Ludwig Feuerbachs bedeutet das:

wie bei Feuerbach: Religion ist ein Produkt der Menschen im Interesse des Menschen: Religion aufgegeben „Die Forderung, die Illusion über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung,

einen Zustand aufzugeben, der der Illusion bedarf.“ bei besseren gesellschaftlichen Verhältnisse: keine Religion mehr notwendig

„Kritik der Religion sei Voraussetzung aller Kritik.“ wahres Glück ist nur durch die Aufhebung der Religion zu erreichen

Ziel muss sein „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes ... Wesen ist..." wenn es keine Betäubung (Religion) mehr gäbe, würde das Proletariat den Kampf gegen Ausbeutung aufnehmen

„Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei“ Religion stirbt ab, der Mensch findet zu sich selbst

Marx kritisiert an Feuerbach:

Psychologie: Gegen Feuerbachs Konzentration auf menschliches Wesen Soziologie: Feuerbach übersieht: Religion ist Produkt der Gesellschaft und das

Individuum ist Teil einer Gesellschaftsform Anthropologie: Religion ist nicht Ursache der Entfremdung - sondern: Religion ist

Begleitphänomen der selbstentfremdeten Welt Philosophie: „Philosophen haben die Welt nur interpretiert, es kommt darauf an,

die Welt zu verändern“

2.8.4. Die Religionskritik Sigmund Freuds

Religion als Illusion

Diagnose der menschlichen Existenz Reaktion des Menschen

Leid

Entbehrungen

Schädigungen durch das „Schicksal“

Angst Schwächung des Selbst(wert)- gefühls

Verlangen nach Trost

Vermenschlichung der Natur „Möglichkeit“ der Beschwichtigung „Möglichkeit“ der Beschwörung

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 24

2.9. Gotteslehre im 20./21. Jahrhundert

Die gegenwärtigen Konzeptionen der Gotteslehre lassen sich in einer Übersicht so vorstellen:

Der Abschied vom Verständnis Gottes als Herrn und Vater: Hier ist die Einsicht bestimmend, dass im Kontext neuzeitlicher Anfragen und aus theologischen Gründen auf die Rede von Gott als transzendentem, handelndem Gegenüber verzichtet werden muss. Solche Rede ist erkenntnistheoretisch unmöglich und führt zu einem falschen Gottesbild als unbeteiligter Zuschauer und „Übervater". Stattdessen wird eine Rekonstruktion christlichen Gottesverständnisses von der Botschaft Jesu und dem Zeugnis des Neuen Testamentes her unternommen. Das Wort Gott steht hier für die Erfahrung von Jesu ansteckender Freiheit an Ostern, die leidensfähige Liebe zu anderen, das unverfügbare Woher und Geschehen der Mitmenschlichkeit.

Die Verwiesenheit auf Gott: Gegenüber dem oben genannten Abschied heben viele gegenwärtige Theologen die Notwendigkeit einer Rede von Gott als „alles bestimmender Wirklichkeit“ (Pannenberg), die sich in Jesus Christus als Liebe bestimmt hat, um der Rechtfertigungserfahrung, des Schöpfungsglaubens und der eschatologischen Hoffnung willen hervor.

Sagbarkeit und Denkbarkeit Gottes: K. Barth (1886-1968) geht in scharfen Kontrast zur

Psychoanalytische Deutung

Hilflosig-keit

Macht Autorität Schutz

Kind Eltern

Mensch Gott

Erkenntnis: Religion ist Illusion

(Wunschvorstellung)

Forderung: Erziehung zur Realität (Konzentration auf das

irdische Leben)

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 25

liberalen Theologie davon aus, dass das Reden von Gott beim Worte Gottes, bei der geschichtlichen Selbstinterpretation Gottes in der Offenbarung einzusetzen hat. Gott ist mehr als notwendig (Jüngel). Jeder Aufweis seiner Notwendigkeit verfehlt ihn. Darum muss Gotteslehre mit der trinitarischen Gestalt seiner Offenbarung beginnen. D. Bonhoeffer (1906-1945) hat, gleichzeitig Barths „Offenbarungspositivismus“ und alle Versuche, Gott in Grenzsituationen und Lücken als notwendig erscheinen zu lassen, kritisierend, eine „nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe“ angestrebt, in der vom Kreuz Jesu her, mitten in der Ohnmacht die Macht der Liebe entdeckt wird.

2.10. Theodizee

Die Rechtfertigung Gottes angesichts des Übels in der Welt: Wie kann Gott angesichts des Bösen und des Übels gerechtfertigt werden. Der Begriff wurde von Leibniz erstmals in seinem Buch von 1710 über die Theodizee, die Gutheit Gottes, die Freiheit des Menschen und die Ursache des Bösen. Theodizee leitet sich vom Griechischen Theos (Gott) und Dikae (Gerechtigkeit) her.

2.10.1. Grundsätzliches

Das Problem des Widerspruch zwischen der Allmacht Gottes und seiner Gutheit entsteht nicht nur denkerisch, sondern für den Menschen, der an Gott glaubt und von einem großen Leid oder sogar von einem Verbrechen heimgesucht wird. „Wie kann Gott das zulassen?“ ist die Frage. Denkerisch ergibt sich das Problem, wenn man von Gott sagt, dass er nur das Gute will. Wenn Gott allmächtig ist, müsste er das Böse, das Üble, das einem Menschen widerfährt, verhindern. Entweder ist Gott gut und nicht allmächtig. Dann gäbe es einen Mächtigeren als Gott, also das Böse: Das war die Befürchtung der Germanen, die von einem Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen ausgingen und damit rechneten, dass das Böse gewinnt. Da Gott nur als allmächtig gedacht werden kann, sonst ist er nicht gut, muss er offensichtlich das Böse einplanen. Wie kann aber Gott dann der Gute sein. Der Widerspruch ist philosophisch nicht zu lösen. Der französische Schriftsteller Stendal folgert: „Die einzige Entschuldigung Gottes (angesichts des Übels in der Welt) ist, dass er nicht existiert.“

Allerdings kann aus der Tatsache des Übels nur dann die Frage der Existenz Gottes abgeleitet werden, wenn man eine höchste Macht annimmt, die zugleich in sich gut ist. Ohne die Idee eines guten Gottes entsteht die Frage nachdem Übel erst gar nicht. Dann ist die Welt ebenso, wie sie ist. Denn ohne das Gute könnte man das Böse gar nicht

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 26

erkennen. Böses gibt es nur, wenn es auch Gutes gibt. Das Übel setzt das Gute voraus. Dann muss es auch eine Macht geben, die das Gute will. Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts mit den Diktaturen zeigt dann, dass atheistische Systeme, die ja eine bessere Welt herbeiführen wollen, immer mehr in das Üble geraten. Ohne Gott scheint die Würde des Menschen nicht geschützt – wenn er sich nämlich gegen die Machthaber wendet. So wurden Menschen, die dem Rassenideal der Nationalsozialisten sehr wohl entsprachen und damit lebenswert waren, hingerichtet, wenn sie das Regime ablehnten. Nicht wenige der Widerstandskämpfer waren groß gewachsen und blond. Das hat sie aber nicht davor bewahrt, von den Nationalsozialisten getötet zu werden.

2.10.2. Versuche, das Übel zu erklären

Bereits die griechische Morallehre der Stoa hat versucht, Gott gegenüber der Tatsache des Übels zu rechtfertigen. So wurde der erzieherische Wert des Leidens für den heraus-gestellt, der ohne eigene Schuld leidet. Für den, der Böses tut, ist das Leiden Folge seiner Fehler und Vergehen. Leibniz führt weitere Erklärungen an. Zum einen geht er davon aus, dass Gott nur die beste aller Welten schaffen konnte und dass daher das Böse gar nicht vorherrschend werden kann. Zudem würde ein Übel ein Gut bewirken, aus der Erfahrung des Krieges erwächst der Wille zum Frieden. Zudem müsse Gott das Übel zulassen, wenn er die Freiheit des Menschen wirklich wolle.

Diese Versuche, das Übel als Teil der an sich guten Schöpfung zu erklären, befriedigen nicht. Vor allem kann das Böse, das den Unschuldigen trifft, nicht damit erklärt werden, dass es ihm zur Erziehung gereicht. Das hat im Übrigen das Christentum auch nie getan. Dann hätte es den Kreuzestod Jesu als Erziehungsmaßnahme Gottes für seinen Messias deuten müssen. Vielmehr hat es das dem Menschen angetane Leid als Anteilnahme an dem Schicksal Jesu gedeutet, der unschuldig verurteilt wurde.

2.10.3. Das Buch Ijob/Hiob

Im alttestamentlichen Buch Ijob/Hiob, das zur Weisheitsdichtung zählt, also „Dichtung“ ist, wird auf dem Hintergrund der Krise der Weisheit, nämlich der Problematik des Scheiterns des „Tun-Ergehens-Zusammenhangs“ die Frage der Theodizee behandelt.

2.10.3.1. Name und Position

Der Name „Ijob“ bedeutet (nach dem Akkadischen) „Wo ist der Vater?“, die bekanntere Namensform „Hiob“ entspringt der Übersetzung Martin Luthers. In deutschen Bibeln steht das gleichnamige Buch in der Regel als erstes der Lehrbücher vor dem Psalter, in der hebräischen Bibel steht es an zweiter (oder an dritter) Stelle nach den Psalmen.

2.10.3.2. Aufbau

Wichtig ist die Erkenntnis, dass das Hiobbuch aus einer Rahmenhandlung und dahinein gestellten Reden in Versform (Poesie) besteht. Prolog und Epilog sind dagegen in Prosa verfasst. Man muss davon ausgehen, dass diese Gliederung dem ursprünglichen Wachstum des Buches entspricht. (Zusätzlich sind noch weitere Wachstumsspuren innerhalb des Redeteils festzustellen.)

2.10.3.3. Rahmenteil

Der Inhalt des Rahmenteils 1,1-2,13+ 42,7-17 schildert das Schicksal des frommen Dulders Hiob aus dem (arabischen?) Lande Uz. Angestachelt durch den Satan erlegt Gott dem Hiob Prüfungen auf, um dessen Treue auf die Probe zu stellen. Hiob verliert zunächst Güter und Kinder (Hiobsbotschaften), doch er versündigt sich nicht, sondern preist Gott mit den Worten „der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gepriesen“ (1,21). Bei dieser Überzeugung bleibt er auch, als ihm Gott auf Zuraten des Satan die Gesundheit nimmt und ihm sogar seine Frau rät, von Gott

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 27

abzulassen. Drei Freunde Hiobs kommen und beweinen mit ihm sein Schicksal. Am Ende stellt Gott jedoch das Glück des Hiob wieder her und gibt ihm doppelt so viel, wie er gehabt hatte (42,10).

2.10.3.4. Datierung

Hiob erscheint hier als der urzeitlich Fromme, der auch in Ez 14,14.20 zusammen mit Noah und Daniel erwähnt wird. Besonders durch das nicht weiter bekannte Land Uz wird der Verdacht erhärtet, dass es sich bei diesen drei Gestalten um außerisraelitische Fromme handeln soll. Das Alter der vorliegenden weisheitlichen Erzählung ist sehr umstritten. Die Erwähnung des Satan in Sach 3 und die Nähe der Erzählweise zur Josefsnovelle und dem Jonabuch scheinen aber darauf hinzuweisen, dass die Teile kaum vor 520 v.Chr. entstanden sind. Es ist gut denkbar, dass die Erzählung auf eine ältere Legende zurückgreift, die nicht schriftlich erhalten ist.

2.10.3.5. Redenteil

In diese Erzählung hinein wurde in späterer Zeit ein Kranz von Neuinterpretationen des Problems „der leidende Gerechte“ gestellt. Anknüpfungspunkt sind die Namen der drei Freunde, Elifas, Bildad und Zofar, die nach 2,11ff. mit Hiob klagen. (es ist aber auch möglich, dass die drei Freunde erst zur Überleitung zu den Reden eingefügt wurden) Kap. 3 schildert als Auftakt des Gesprächsgangs Hiobs Klage, auf die dann die drei Freunde antworten.

Die nun folgenden Gesprächsgänge sind parallel aufgebaut. Auf die Kritik oder Argumentation des jeweiligen Freundes antwortet Hiob direkt, dann ist der nächste Freund an der Reihe, dann wieder Hiob, dann wiederum der nächste Freund. Dies wiederholt sich dreimal, wobei in Kap. 24-27 offenkundig Teile weggebrochen sind. So fehlt die letzte Rede des Zofar, die Antwort Hiobs darauf ist vielleicht in Kap. 27 erhalten. In Kapitel 28 wurde dann ein Lobpreis der unerfindlichen Weisheit zugefügt, der einmündet in den Spruch: „Siehe, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit, und Böses meiden, das ist Erkenntnis“ (28,28).

2.10.3.6. Klage Hiobs

Kap. 29-31 wiederholen die Klage Hiobs über sein Schicksal, spitzen sie aber zu zur Anklage gegen Gott. Hiob ist sich sicher, wegen seiner Gerechtigkeit in einem Gerichtsverfahren gegen Gott bestehen zu können (31,35f.).

2.10.3.7. Elihu-Reden

Die dann folgenden Kapitel 32-37, die Reden des Elihu, sind sicher spätere Zufügung, die die bisherige Argumentation weiterführen wollen. Elihu wirft den anderen Freunden vor, nicht energisch genug gegen Hiobs Lästerungen vorgegangen zu sein. Als neue Argumente bringt Elihu, dass das Leiden auch pädagogischen Sinn haben kann, der Mensch soll so vom Unrecht abgebracht werden (33,17). Dieselbe Überzeugung findet sich auch in den jüngeren Stücken des Proverbienbuches, vgl. Prov 3,11f.. Zudem geht der Redner davon aus, dass Gott nicht ungerecht handele, sondern dass die Gerechtigkeit seines Handelns den Menschen unzugänglich sei. Das verweist bereits auf das Ergebnis der Gottesreden voraus.

2.10.3.8. Gottesreden

Als Antwort auf Hiobs Herausforderungen in Kap. 29-31 spricht dann Gott selbst in zwei Reden, die nach 38,1 als Erscheinung aus dem Wind (Theophanie) geschildert sind. Die Reden betonen Gottes Übermacht und Hiobs Ohnmacht. Die Schöpfung beweist Gottes planendes Wirken, der Mensch ist in dieser Schöpfung nur ein kleines Element. Hiob antwortet mit Unterwerfung: „Siehe ich bin zu gering, was soll ich dir antworten“ (40,4),

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 28

er bekennt: „darum habe ich geredet in Unverstand, Dinge, die zu wunderbar sind für mich, die ich nicht begriff“ (42,3).

2.10.3.9. Wichtige Einzeltexte

Wirkungsgeschichtlich wichtige Einzeltexte des Hiobbuches sind 19,25, „Ich aber weiß, mein Erlöser lebt, und ein Vertreter/ Anwalt ersteht mir aus dem Staub. Selbst wenn meine Haut an mir zerschlagen ist, mein Fleisch geschwunden, werde ich Gott schauen“. Die Verse wurden oft auf eine Auferstehungshoffnung Hiobs gedeutet, doch dafür fehlen weitere Anzeichen; es geht wohl nur um die Wiederherstellung des früheren Zustands. Als weisheitliche Sentenz ist bekannt 14,1f.: „Der Mensch, vom Weibe geboren, ist kurzen Lebens und voller Unruhe. Wie eine Blume geht er auf und welkt, schwindet dahin wie ein Schatten und hat nicht Bestand.“

2.10.3.10. Krise der Weisheit – Tun-Ergehens-Zusammenhang

Das Problem, um das es im Hiobbuch geht, ist die Krise der früheren Überzeugung, gutes Handeln sorge für ein gutes Leben, die Frevler dagegen gingen zugrunde (Ps 1). Bisher wurden Krankheit und Leid als Strafe für Sünde oder Vergehen angesehen, diese Strafe sollte zur Umkehr auf den gerechten Weg führen. Dieser Zusammenhang von Tun und Ergehen wurde dann aber den Menschen fraglich, immer öfter schien es so zu sein, dass es den Sündern gut gehe, die Gerechten aber leiden.

In dieser „Krise der israelitischen Weisheit“ bemühte man sich um neue Lösungen, wobei Hiob in den Reden als der zu verstehen ist, der alle Argumente gegen die bisherige Denkart sammelt. Seine Freunde dagegen versuchen, am Konsens der Weisen festzuhalten und den Anfragen Hiobs Überzeugendes entgegenzusetzen. Sie gehen davon aus, dass Hiob doch in irgendeiner Weise Schuld auf sich geladen habe. Dabei befindet sich die Diskussion durchweg auf sehr hohem Niveau. Das Bild vom klugen und allein im Recht stehenden Hiob, dem seine unverständigen, übelwollenden Freunde gegenüberstehen, ist sicher nicht angemessen.

Es lohnt sich, die einzelnen Reden und Hiobs Antworten je für sich und in Ruhe zu lesen, um einen Eindruck von der Ernsthaftigkeit beider Seiten zu bekommen. Eine allen akzeptable Lösung kann das Hiobbuch letztlich nicht geben, den Argumenten Hiobs wird nicht widersprochen. Es bleibt bei der Erkenntnis, dass der Mensch keine Einsicht in Gottes Willen haben kann, es also Bereiche gibt, zu denen er nur Fragen äußern kann, schlüssige Antworten aber ausbleiben.

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 29

3. Christologie

3.1. Historischer Jesus und kerygmatischer Christus

Innerhalb der Theologie unterscheidet man methodologisch zwischen dem historischen Jesus und dem kerygmatischen Christus. In den Erzählungen der Bibel tritt Jesus Christus aber nur in einer Mischform auf. Man blickt also von zwei Seiten auf diese Person. Der historische Jesus wurde in Nazareth geboren und seine Eltern waren Maria und Josef. Jesus erlernte, wie es damals üblich war, den Beruf seines Vaters. Einige Jahre später wanderte er als Prediger durch Galiläa und Judäa. Sicher ist auch, dass er Wunder getätigt hat – bzw. dass er Dinge getan hat, die auf die Menschen damals wie Wunder wirkten. Durch seine Predigten geriet er in die Missgunst der Römer und wurde schließlich als Landesverräter und Gotteslästerer am Kreuz

hingerichtet.

Der verkündete Christus hingegen wurde nach der Weihnachtsgeschichte in Bethlehem geboren und galt als Befreier der Welt (Messias). Er ist der Sohn Gottes, predigte das Reich Gottes und hatte Anhänger (seine Jünger), die an ihn als Messias glaubten. Nach seinem Tod ist er auferstanden und wird seitdem verkündet. Um diese Informationen über Jesus erhalten zu können, muss man sich zunächst die Quellenlage anschauen, um den Kern (das „Wahre“) aus den Geschichten herauszufiltern:

3.2. Quellen zu Jesus Christus

3.2.1. Außerchristliche Quellen

Außerchristlichen Quellen wie die römischen Schriften des Tacitus und des Plinius oder die jüdischen Schriften des Josephus und des Talmund bestätigen die Existenz der Person Jesus von Nazareth. Auch seine Hinrichtung wird thematisiert. Viel mehr erfährt man aber aus diesen Quellen nicht.

3.2.2. Christliche Quellen – außerkanonisch

Es gibt einige Evangelien im Christentum, die sich mit Jesus Christus beschäftigen. Hierzu zählen beispielsweise das Thomas Evangelium, das Petrus Evangelium oder das Evangelium der Maria, welches aus dem Griechischen stammt. Zudem gibt es das Passionsevangelium, das Kindheitsevangelium und das Spruchevangelium, die zwar von Jesus berichten, aber in erster Linie die Lehre Jesu beinhalten.

3.2.3. Christliche Quellen – kanonisch

Zu den kanonischen Quellen zählen in erster Linie die Synoptischen Evangelien (MT, MK, LK). Weiter gehört das Johannes Evangelium dazu und die Paulinischen Briefe, welche aber bei der Frage nach Jesus vernachlässigt werden können.

Die drei ältesten Evangelien weisen eine sehr hohe Ähnlichkeit untereinander auf. Die synoptischen Evangelien bilden das Fundament für die Erforschung der Person Jesus. Allerdings werden andere jüdische, römische und außerkanonische Quellen ebenfalls herangezogen. Sie dienen hauptsächlich der Bestätigung wichtiger Ereignisse, da sie vom Leben Jesu nicht viel wiedergeben.

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 30

3.3. Jesus Christus – Hoheitstitel

3.3.1. Sohn Gottes/Gottessohn

3.3.1.1. Jüdische Vorstellung

Das Volk Israel (Ex 4,22) und auch Könige (Ps 2,6f.) wurden Gottes Sohn genannt; es ist eine enge Beziehung zu Gott gemeint, die durch eine Adoption bestätigt wird, keine biologische Abstammung

3.3.1.2. Griechisch-hellenistische Vorstellung

Könige oder Menschen, denen man besondere Kräfte zuschrieb (Wunder), wurden Gottessohn genannt; die Gottessohnschaft führte man auf wunderbare Geburten (Jungfrauengeburt, bei denen ein Gott der Vater ist) zurück.

3.3.1.3. Neues Testament

Erst nur die jüdische Vorstellung bei Markus (Mk 1,9-11: keine wundersamen Geburts-geschichten, „nur“ Adoption), dann bei Matthäus und Lukas das Hinzukommen der griechisch-hellenistischen Vorstellung (Lk 1,35: wundersame Zeugung und Geburt), um die Vorstellungen des nicht-jüdischen Publikums (der Heidenchristen) für diese hinzuzufügen.

3.3.2. Messias (hebr. maschiach = Gesalbter, griechisch: Christos)

3.3.2.1. Altes Testament

In vorexilischer Zeit Name für regierende Könige (wurden durch Salbung mit Öl in ihre Würde eingesetzt, z.B. 1. Sam 10,1; 24,7; 11) und Hohepriester (wurden analog zum König gesalbt); Name für den verheißenen Erlöser (diesseitig-irdische Person mit der politischen Funktion, Israel zusammenzuführen und zu befreien)

3.3.2.2. Neues Testament

Jesus wird als die Erfüllung der messianischen Hoffnung des Judentums gesehen, aber mit inhaltlich neuer Deutung (keine politische Funktion); er ist Träger und Verkünder der neuen Gerechtigkeit (Mt 5-7); Zeichen und Wunder bestätigen seine Messianität (Mt 11,1 ff.); durch die griechische Übersetzung des Wortes Messias mit Christos (als Botschaft an nicht-jüdische, hellenistische Menschen) etablierte sich Christus als Eigenname.

3.3.3. Heiland (= Retter)

3.3.3.1. Altes Testament

Name für Gott als Retter oder Befreier von Unterdrückung (Auszug aus Ägypten); das allumfassende Heil kommt, wenn Gott den Messias schickt.

3.3.3.2. Neues Testament

Neben Gott wird Jesus auch Heiland genannt (Joh 4,42), er ist der Weltheiland, durch welchen die Menschen das Heil finden (Messias-Erfüllung).

3.3.4. Herr (griech. = kyrios)

3.3.4.1. Altes Testament

Keine Gottesbezeichnung, außer dass Gott „Herr aller Herren" genannt wird, Ps 100,3

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 31

3.3.4.2. Neues Testament

Jesus wird mit „Herr" bezeichnet (Joh 13,13), da der Titel im Gebrauch und so gerade für das hellenistische Christentum gut verständlich war (vgl. auch 1. Kor 12,3; 16,22).

3.3.5. Menschensohn

Ursprünglich gleichbedeutend mit „Mensch“, von den Synoptikern jedoch als Titel gebraucht;

3.3.5.1. Altes Testament

Jahwe redet Propheten mit „Menschensohn“ an (in Hesekiel z. B. 87 x).

3.3.5.2. Neues Testament

Es wird in drei unterschiedlichen Arten vom „Menschensohn“ berichtet: vom gegenwärtig wirkenden Menschensohn (Lk 19,10); vom künftig kommenden Menschensohn (Mk8,38); vom leidenden und auferstehenden Menschensohn (Mk8,31).

3.3.6. Lamm Gottes

Joh 1,29;3,6: Jesus ist „das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt“. Der Kreuzestod Jesu wird mit dem Bild des Lammes gedeutet, das geopfert wird. Später deutet Augustinus das Lamm als Sinnbild der Sündenlosigkeit und Unschuld.

3.3.7. Der gute Hirte

Nach Joh 10,11 spricht Jesus von sich als dem guten Hirten. Die Sorge des Viehzüchters für seine Tiere diente als Bild im menschlichen und göttlichen Bereich, als Symbol liebevoller Fürsorge.

3.4. Gleichnisse Jesu

Gleichnisse sind ein zentraler Bestandteil der Verkündigung Jesu. Es handelt sich um kleine kunstvolle Erzählungen, in denen Jesus alltägliche Beobachtungen und Erfahrungen der Menschen aufgreift und einen Zusammenhang zum Reich Gottes herstellt. Gleichnisse sind keine Rätsel oder Lehrtexte, sondern geben zu denken und zu ahnen. Sie sind erzählte Bilder, die veranschaulichen sollen, sie sind deutungsbedürftig und öffnen den Blick über die vorhandene Realität hinaus. Jesus wählt diese Redeweise, weil das Reich Gottes, das nicht von dieser Welt ist, sich nicht direkt beschreiben lässt. Über Gott und sein Reich zu sprechen, ist eben nur in gleichnishafter Rede möglich.

Typisch für Jesu Verkündigung des Reiches Gottes ist das Ineinander von „schon da“ und „noch nicht“ der Gottesherrschaft. Gleichnisse sind der Appell Jesu zu einem Leben für das Reich Gottes, auch wenn wir gleichzeitig wissen, dass es dadurch in dieser Welt immer nur punktuell aufscheint und seine endgültige Verwirklichung Gottes Geheimnis bleibt. Hintergrund einer Reich-Gottes-Erwartung bildet die Erfahrung einer ungerechten Welt, in der es Menschen nicht allein vermögen, für wirklich gerechte Lebensbedingungen für alle zu sorgen. Inhaltlich bedeutet Reich Gottes deshalb vor allem Liebe und Vergebung gegenüber jedem Menschen, die aber dort am deutlichsten werden müssen, wo Menschen der Liebe am sichtbarsten bedürfen: Verachtete, Arme, Kranke, Feinde, Schuldige, Sterbende. Dabei spricht Jesus den Einzelnen und seine innere Haltung an, aber gleichzeitig auch die im Ganzen herrschenden Zustände in der Welt. Als Gleichnis (griechisch: parabolä: das Nebeneinandergestellte, Vergleich) bezeichnet man in der Regel eine kurze Erzählung, die einen bestimmten Gedanken veranschau-lichen soll. Es wird auf einen bekannten Sachverhalt zurückgegriffen, um einen komplizierten Sachverhalt zu verdeutlichen.

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 32

Für Jesus ist diese Redeform besonders typisch. Einundvierzig Gleichnisse werden auf ihn zurückgeführt. Sie sind in den Evangelien überliefert. Die Gleichnisse Jesus greifen Bilder und Ereignisse aus dem täglichen Leben auf. Man darf jedoch nicht an den Einzelheiten des Erzählten hängen bleiben, sondern muss darauf achten, worauf die Geschichte hinaus will. Jedes Gleichnis ist also ein Appell an die Hörer zum Mitdenken, Weiterdenken, Umdenken. Die Bibelwissenschaft unterscheidet heute zwischen dem eigentlichen Gleichnis, der Parabel, der Beispielgeschichte und der Allegorie.

3.4.1. „Eigentliches“ Gleichnis

Das Gleichnis gebraucht ein Bild, das auf eine alltägliche, jedermann bekannte Sache hinweist; z.B. den Hirten, der sein verlorenes Schaf sucht (Lk 15,4ff).

3.4.2. Parabel

Die Parabel ist eine frei erfundene Geschichte, die nicht alltäglich ist, die aber irgendwann einmal so passiert sein könnte. Sie appelliert nicht an die Vernunft, sondern an das Herz; z.B. »Ein Mann hatte zwei Söhne ...« (Lk 15,11ff). Die Parabel konzentriert sich auf einen Brennpunkt.

3.4.3. Beispielgeschichte

Die Beispielgeschichte ist ein Musterfall, ein Beispiel, das die Hörer nachahmen sollen; z.B. die »Geschichte vom barmherzigen Samariter« (Lk 10,29ff): »So gehe hin und tue dergleichen!«

3.4.4. Allegorie

Die Allegorie erzählt eine Geschichte, bei der die einzelnen Personen oder Umstände immer einen anderen Sinn im Auge haben. Eine solche Geschichte muss Zug um Zug ausgelegt werden, da jeweils etwas anderes gemeint ist, als gesagt wird: z.B. das Sämannsgleichnis in Mk 4,1-8 und die Auslegung in Mk 4,14-20.

3.4.5. Deutungen der Gleichnisse

Gleichnisse werden auf sehr unterschiedliche Weisen gedeutet und ausgelegt, z.B.:

3.4.5.1. Allegorisierende Auslegung

Zug um Zug wird „entschlüsselt“.

3.4.5.2. Unterscheidung von Bild- und Sachhälfte

Suche nach dem Vergleichspunkt, der allgemeinen Wahrheit. (Jülicher um 1900)

3.4.5.3. Historisch-kritische Auslegung

Suche nach der Ursprungssituation. (J. Jeremias , Eta Linnemann um 1950)

3.4.5.4. Metaphorische Auslegung

Wirkung des ganzen metapherartigen Sprachereignisses, offen für persönliche Deutung und Einsichten. (H. Weder, W. Harnisch seit ca. 1980)

3.4.5.5. Sozialgeschichtliche Auslegung

Suche nach Fragestellungen der Urgemeinde und Übertrag auf heutige soziale Zwänge. (L. Schottroff, W. Stegemann, ca. 1980)

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 33

3.4.5.6. Tiefenpsychologische Auslegung

Suche nach tiefenpsychologischen, lebensgeschichtlichen Vorgängen und Bildern. (C. G. Jung, Hanna Wolf, Maria Kassel,1983)

3.5. Wunder Jesu

Die Wunder Jesu gehören wesentlich zur Überlieferung von den Taten Jesus von Nazareths im Neuen Testament (NT). Von an ihm geschehenen Wundern wird dagegen im Umfeld seiner Taufe und Auferstehung berichtet.

Besonders die Evangelien erzählen von verschiedenen Wundertaten Jesu im Zusammenhang seines Auftretens in Galiläa und auf dem Weg nach Jerusalem. Auch einige später entstandene Apokryphen und Legenden berichten von Jesuswundern. Als von Christen verfasste Texte verkünden sie damit den Sohn Gottes, geben also Glaubensaussagen über den Täter weiter.

3.5.1. Exorzismen

Besonders das Markusevangelium berichtet von Jesu Auftreten gleich zu Beginn, er habe Dämonen ausgetrieben. Ihm folgen die übrigen Evangelien mit teils ähnlichen, teils abgewandelten Exorzismus-Berichten. Anders als andere antike Austreibungsberichte erwähnt das NT von Jesus keinerlei Rituale – z.B. Geheimwissen, Beherrschung fremder dämonischer Sprache, Magie, gewalttätiges Vorgehen – , mit denen er den Dämon besiegt. Seine „Waffe“ ist allein die befehlende unwiderstehliche Anrede; damit wollen die NT-Berichte wesentlich Gottes Gegenwart in Jesus verkünden, da dieser über Gottes eigene Macht verfüge. Die Austreibungen geschehen als öffentliche Heilwunder; durch sie verbreitet sich die Kunde von Jesus rasch „im ganzen galiläischen Land“, später auch in anderen Gegenden.

3.5.2. Heilwunder

Anders als die Exorzismen geschehen andere Heilwunder Jesu ohne Kampf mit einer dämonischen Fremdmacht: durch aktive oder passive Übertragung seiner Kraft auf die kranke Person oder durch seinen Befehl oder Zuspruch. Die Kranken oder ihre Angehörigen bitten nicht selten selber darum; er berührt sie oder sie ihn. Einige Berichte stellen Jesu Heilkraft als eine Art Aura dar, die jeden, der ihn - sogar ohne sein Wissen - berührt, erfasst. Andere setzen voraus, dass er diese Kraft - meist durch Handauflegen - in freier Entscheidung selbst weitergab. In vielen dieser Berichte spielt das Glaubensmotiv eine Rolle, das auch außerhalb von Wunderberichten vorkommt.

3.5.3. Geschenkwunder

Hier bewirkt ein Wunder Jesu eine Gabe - Nahrung - an eine Gruppe von Menschen in einer Notlage, aber ohne dass er darum gebeten wurde.

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 34

3.5.4. Rettungs- und Naturwunder

Hier geschieht eine wunderbare Rettung von Anhängern Jesu aus verzweifelter Not, verursacht von Naturgewalten. Naturwunder haben Analogien in der antiken Umwelt: Die Fähigkeit zum Gehen auf dem Wasser und zum Bändigen von Wind und Wellen galt als Zeichen göttlicher Macht.

3.5.5. Normenwunder

Hier soll ein Wunder eine Regel, ein Gebot Gottes oder ein ethisches Verhalten begründen und bekräftigen. Während solche Wunderberichte in der Umwelt oft und meist für eine Normverschärfung vorkamen, sind sie in der synoptischen Jesusüberlieferung selten und demonstrieren dann gerade eine Normentschärfung.

3.5.6. Totenerweckungen

Die Berichte von Wiedererweckungen Sterblicher nehmen unter den Wundertexten des NT eine Sonderstellung ein. Darin finden sich Motive der Exorzismen, Rettung aus verzweifelter Not. Johannes stellt das Auferweckungswunder als Höhepunkt der Offenbarungstaten Jesu und Auslöser seiner Passion dar.

3.5.7. Aufbau der Heilungswunder Jesu (Grundstruktur)

Neutestamentliche Wundergeschichten sind nach einem erkennbaren Grundschema aufgebaut:

Einleitung: Situationsschilderung – Auftritt der Personen Exposition: Spannung – Charakterisierung der Not Zentrum: Heilung Schluss: Demonstration – Beglaubigung - Werbung

3.5.8. Die Bedeutung der Wunder im Rahmen des Wirkens und der Verkündigung Jesu

Die Frage nach der Historizität der Wunder Jesu lässt einerseits deutlich werden, dass das Wirken Jesu als Therapeut und Exorzist unbestreitbar ist, andererseits aber stets deutende und steigernde Ausgestaltung im Lauf der Überlieferung erkennbar werden. Die Wundergeschichten über Jesus sind „in den Sog von Ostern geraten“ (J. Gnilka, Jesus 139).

Ebenso wie die Gleichnisse als Illustration der Reich-Gottes-Botschaft gelten sind die Wundergeschichten Demonstrationen der Basileiabotschaft Jesu. Wunder…

sind zeichenhafte Handlungen mit Hinweischarakter haben eschatologischen Charakter: Die Basileia Gottes und ihre Durchsetzung als

Hintergrund: Wunder sind sichtbare Zeichen des Anbruchs der Basileia sind Hinweis auf die Selbstdurchsetzung Gottes in der Endzeit und auf das Heil-

Werden der ganzen Schöpfung sind „christologische Entscheidungstexte“: Sie provozieren die Frage nach der

Besonderheit Jesu von Nazaret: „Wer ist dieser Jesus?“ (vgl. Mk 4,41).

3.6. Tod Jesu

3.6.1. Neutestamentlicher Befund

Nur von der Erfahrung der Auferstehung Jesu Christi her wird verständlich, dass dem eigentlich schändlichen Kreuzestod (vgl. Dtn 21,23) Heils-Bedeutung zukam. Die Interpretation des Todes Jesu wird schon in den Evangelien von der Auferstehungser-fahrung her geprägt. Die Ansätze der Evangelisten sind dabei durchaus unterschiedlich.

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 35

3.6.1.1. Tod Jesu als „apokalytisches Geschehen“ (Markus und Matthäus)

Markus und Matthäus sehen die Kreuzigung Jesu als „apokalyptisches Geschehen“, also als endzeitliches Gericht und Augenblick der Entscheidung über Gut und Böse. Beide Evangelisten verdeutlichen ihren Ansatz durch entsprechende apokalyptische Zeichen (Finsternis als Zeichen für das Ende der Zeiten, Zerreißen des Tempelvorhangs als Zeichen dafür, dass nun der Zugang zu Gott (der Tempelvorhang verbarg im Jerusalemer Tempel den Ort der Bundeslade) allen offen steht). Markus lässt Jesus den Anfang des Psalms 22 (Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen) beten, der als jüdisches Gebet weithin bekannt war. Auch Matthäus interpretiert Jesu Tod als apokalyptisches Geschehen, wobei er zusätzlich noch das Erdbeben und die Öffnung der Gräber als Zeichen nennt. Die Öffnung der Gräber steht für die Auferweckung der Toten.

3.6.1.2. Tod Jesu als „ungerechtes Ende eines Gerechten“ (Lukas)

Für Lukas ist der Tod das „ungerechte Ende eines Gerechten“. Noch am Kreuz zeigt sich Jesus als der Güte und Verzeihende und wird so zum Vorbild der Christen.

3.6.1.3. Tod Jesu als Erhöhung (Johannes)

Johannes sieht den Tod als Verherrlichung, Vollendung und Erhöhung Jesu. Mit den Worten „Es ist vollbracht“ stirbt Jesus bei Johannes. Die Wahl der letzten Worte Jesu steht jeweils im Interesse des theologischen Ansatzes. Augenzeugen waren es nur we-nige. Die historische Sichtweise erscheint den Evangelisten als eher zweitrangig. Für Johannes stellt sich Jesus mit seinem Tod als Passahlamm (vgl. Ex 12,46) „zur Verfüg-ung“. Dieses Osterlamm wird für das Heil des Volkes dargebracht, um die Schuld und die Sünden der Menschheit mit seinem Blut zu sühnen und zu tilgen. Blut und Wasser, die aus der Seite Jesu fließen, werden als Einsetzung der Sakramente der Taufe und der Eucharistie verstanden.

3.6.2. Deutungen des Todes Jesu

Vermutlich hat Jesus seinen Tod als Konsequenz seines Lebens, seiner Hingabe an die Menschen, seinem Leben für die Menschen verstanden. Schließlich begründet er mit seinem Tod einen „Neuen Bund“, wie es beim letzten Abendmahl deutlich wird (vgl. Mk 14, 22-25). Die Annäherung an das Verstehen des Kreuzestodes ging allerdings in der Geschichte der Kirche und der Theologie weiter. Letztlich, so bleibt allerdings auch im Zusammenhang mit dem Kreuzestod festzuhalten, bleibt dieser im „Mysterium des Heilsplans Gottes“ menschlicher Erkenntnis verborgen.

Nachfolgend sind einige Ansätze der Interpretation zusammengefasst. Fast immer spielt das Motiv der Sünde der Menschen eine Rolle. Für diese Sünde oder Sündhaftigkeit der Menschheit, so die unterschiedlichen Deutungen, musste Jesus sterben.

3.6.2.1. Loskauf oder Lösegeld

Wie in der Antike Sklaven durch Lösegeld freigekauft wurden, hat Jesus durch seinen Tod die Menschheit freigekauft von der Sünde, die zur Verdammnis führt (vgl. Mk 10,45; 1 Kor 6,20).

3.6.2.2. Stellvertretung

Gemäß der alttestamentlichen Überlieferung vom leidenden Gerechten (als einem vor Gott Untadeligen) nimmt Jesus stellvertretend für die Sünder, also für die eigentlich Schuldigen, Schmach, Schuld und Tod auf sich und erleidet an ihrer Stelle die ihnen eigentlich zustehende Bestrafung (vgl. Jes 53,4-6, bekannt als „Viertes Lied vom Gottesknecht“; im NT z. B. 2 Kor 5,21).

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 36

3.6.2.3. Juridische Deutung

Die „Satisfaktionslehre (Satisfaktion = Genugtuung, Wiederherstellung der Ehre) des Anselm von Canterbury (1033 bis 1109, gilt als „Vater“ der Scholastik. Anselm war Benediktiner und wurde 1720 zum Kirchenlehrer erhoben. Für ihn verlangte der Glaube nach vernünftiger Einsicht.) ging davon aus, dass durch die Sünde der Frieden zwischen Gott und Mensch gestört ist und Gott schwer beleidigt wurde. Diese unendliche Beleidigung kann nur durch eine unendliche Satisfaktion wieder gut gemacht werden. Diese Satisfaktion wiederum konnte nur Gott selbst oder Jesus Christus, der wesensgleich mit Gott ist, geleistet werden. Jesus Christus, als der „sündlose Gottmensch“ leistet also durch seine freiwillige Lebenshingabe die erforderliche Satisfaktion.... und versöhnt so Gott mit den Menschen (vgl. 2 Kor 5,19; Kol 1,19f u. a.)

3.6.2.4. Kultische Deutung

Nach Paulus wird der Kreuzestod Jesu als Opfer verstanden. Jesus bringt sich durch den Kreuzestod als Opfer dar, um dadurch Gott zu versöhnen. Diese Opfervorstellung ruht auf der alttestamentlichen Opferauffassung, nach der ein Opfer zwischen Gott und den Menschen Gemeinschaft stiften solle. Mit diesem Opfer sollen die Sünden der Menschheit vergeben werden. Dieser Gedanke taucht immer wieder auch in der Bibel (Evangelien, vielleicht sogar Jesu eigenes Verständnis von seinem Tod, Briefe) auf und gilt auch heute noch als Lehre der Kirche. Das Opfer wird dabei vornehmlich als Sühnopfer für die Sünden der Menschen verstanden (vgl. u. a. Joh 1,29; Röm 4,25; Röm 3,25; Einsetzungsberichte in den Evangelien, z. B. Mt 26,28).

3.6.2.5.Personale und soziale Deutung

Jesus hat mit seinem liebevollen Handeln den Teufelskreis des Bösen durchbrochen und sich ganz an Gott und für die Menschen hingegeben. Da alle Menschen eine schicksalhafte Gemeinschaft bilden, wirkt sich die Güte und Liebe Jesu auf alle aus. So hat Jesus für die Menschen eine neue Möglichkeit eröffnet, zu Gott zu finden. Wer an Christus glaubt und ihm nachfolgt, der tritt in den solidarischen Zusammenhang einer neuen Menschheit ein und erfährt sich als frei und erlöst (so die Deutung Walter Kaspers).

3.6.2.6. Tod aus Solidarität mit den Menschen

Die Lehre vom stellvertretenden Leiden Gottes in Jesus Christus (vgl. auch „Stellvertretung“) für die Menschen meint, dass Gott aus Liebe zu den Menschen, seinen Geschöpfen, in Jesus Christus selbst Mensch wird, stellvertretend für die Menschen leidet und aus Solidarität mit den Menschen den Tod auf sich nimmt. Der Tod, so die theologische Auffassung, ist als Folge der Sünde in der Welt. Der Abkehr der Menschen von Gott (was Sünde ist) stellt Jesus eine radikal dienende Hingabe an Gott in seiner Person entgegen. Letzter Ausdruck dieses radikalen Gehorsams ist der freiwillige und unverschuldete (sowohl juristisch, als auch theologisch) Tod Jesu. Zusammenfassend wird deutlich, dass alle Interpretationsannäherungen letztlich Versuche sind, das Unbegreifliche des Todes Jesu verständlich zu machen.

3.6.2.7. Tod als Mit-Leiden Gottes und Konsequenz seines Lebensentwurfs

Vielleicht ist der gewaltsame Tod Jesu – ohne theologische Überhöhung – auch nur die Konsequenz aus dessen Leben, seiner Zivilcourage und seines vorbehaltlosen Einsatzes für die Menschen. Vielleicht ist Jesu Tod insofern Ausdruck der Solidarität mit den Menschen, als dass er das Menschsein in all seinen Dimensionen und dessen immanenten Leid mittrug, nicht nur „spielte“, sondern wirklich lebte. Vielleicht kann so

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 37

Jesu Tod als tiefster Ausdruck des Mit-Leidens Gottes in Jesus Christus mit den Menschen verstanden werden.

3.6.3. Die Frage nach der Verantwortung für den Tod Jesu als Quelle des Antijudaismus

Die Frage, wer die Hinrichtung Jesu zu verantworten hat, hat schon früh die Menschen beschäftigt. Diese Frage wurde später in verheerender Weise missbraucht, um eine Rechtfertigung für Pogrome an Juden zu begründen. Dabei wurden die Juden als die-jenigen bezeichnet, die Jesu Hinrichtung gefordert haben und zu verantworten haben. Der Vorwurf der „Gottesmörder“ hatte fatale Folgen in der Geschichte seit Jesu Kreuz-gung. Juristisch ist festzuhalten, dass die Juden und die Hohenpriester kein Todesurteil fällen durften. Dies war der römischen Besatzungsmacht vorbehalten. Der römischen Besatzungsmacht war seine ursprüngliche Gefolgschaft zu Johannes, seine Faszination für viele Menschen und damit einhergehend die Gefahr eines Aufstandes (er hatte auch Widerstandskämpfer in seiner Gefolgschaft) suspekt.

Richtig ist wohl aber auch, dass Jesus für die jüdische Aristokratie als Provokateur oder gar als Gotteslästerer verstanden werden konnte (er vergab Sünden, er heilte am Sabbat, er setzte sich über Teile des mosaischen Gesetzes hinweg; er war in Kontakt zu Zöllnern, Sündern, Ehebrechern; er kritisierte die Tempelpraxis, auf ihn geht die Tempelreinigung zurück, die als Angriff auf die jüdische Oberschicht und die Hohenpriester verstanden werden musste). Immer wieder musste Jesu Überlegenheit zur Provokation derer werden, die ihn bloßstellen wollten.

3.7. Auferstehung Jesu

3.7.1. Biblischer Befund

Das ganze NT geht von der Auferstehung Jesu Christi aus, in der das Heil und die Zukunft aller Sterblichen und des Kosmos eingeschlossen sei. Berichte von Erscheinungen des Auferstandenen findet man in den Evangelien und der Apostelgeschichte. Die Erzählungen in den Evangelien über die Auferstehung Jesu Christi variieren in Einzelheiten, stimmen aber in den Hauptaussagen überein: Jesus Christus wurde nach seinem Tod am Kreuz noch am Freitag vor dem Sabbat im Felsengrab des Josef von Arimathäa bestattet, das Grab wurde mit einem Stein verschlossen. Einige Frauen - unter ihnen Maria Magdalena - wollten am frühen Sonntag die Einbalsamierung vornehmen, fanden aber den Stein vom Grab weggerollt und das Grab leer, ebenso die Jünger, die sich davon überzeugen wollten. In den folgenden vierzig Tagen erlebten die Jünger unter verschiedenen Umständen Erscheinungen von Jesus, die sie als körperliche Erscheinungen erlebten (Jesus aß, ließ sich berühren, etc.) und die sie, in Verbindung mit dem leeren Grab, überzeugt verkünden ließen, Jesus sei vom Tod auferstanden.

3.7.2. Deutungen der Auferstehung Jesu

3.7.2.1. Die historisch-kritische Diskussion: Rationalismus

Zu Beginn der historischen Erforschung des NT im Zeitalter der Aufklärung diskutierte man über das leere Grab Jesu und versuchte, es rationalistisch zu erklären. Für Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) traf ein Vorwurf von Jerusalemer Juden zu, den Mt 28,11-15 als verabredete Lüge der sadduzäischen Gegner Jesu zurückweist: seine Jünger kamen nachts und stahlen ihn, während wir [die Bewacher des Grabes] schliefen. Nur durch diesen Diebstahl des Leichnams Jesu, so Reimarus' Betrugshypothese, hätten

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 38

seine Anhänger ihn als für die Sünden der Menschen gestorbenen, nun auferstandenen Erlöser in Jerusalem verkünden können. Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761-1851) dagegen nahm an, Jesus sei bei seiner Bestattung in einem Felsengrab nur scheinbar tot gewesen und später vorübergehend ins Leben zurückgekehrt. Diese Scheintodhypothese wurde im 19. Jahrhundert u.a. von Friedrich Schleiermacher erwogen. Auch Franz Alt vertrat sie in seinem Buch Jesus - der erste neue Mann (1989). Sie ist in spekulativen Thesen über Jesus öfter anzutreffen.

Diese Erklärungsversuche gehen gemeinsam davon aus, dass Jesu Grab tatsächlich leer war, deuten dies aber ohne Auferstehungswunder. Sie begründen den Auferstehungsglauben also entgegen den Eigenaussagen der Texte aus einer absichtlichen oder irrtümlichen Fehldeutung des leeren Grabes.

3.7.2.2. Subjektive Visionshypothese

Mit David Friedrich Strauß (1808-1874) verlagerte sich das historische Interesse auf die Erscheinungen Jesu: Sie, nicht die „Legende“ vom leeren Grab, hätten den Osterglauben der Jünger hervorgerufen. Deren Berichte von Begegnungen mit dem auferstandenen Jesus seien Ausdruck tatsächlicher innerer Erlebnisse. Diese „Visionen“ seien eine psychologische Reaktion auf den Widerspruch zwischen Messiasglauben der Jünger und Jesu Kreuzestod gewesen: Sie hätten dieses Scheitern bewältigt, indem sie den Tod als schriftgemäßes, von Gott gewolltes Heilsereignis nach Jes 53 und Psalm 22 deuteten und Jesus mit einem kreativen „frommen Enthusiasmus“ zu Gott erhöht hätten. Später hätten sie ihre Visionen mythologisch und apologetisch ausgestaltet: Motive, wonach Jesus als göttliches Wesen durch verschlossene Türen kam und ging und die Jünger mit ihm aßen und tranken, hätten nachträglich die Realität des Erlebten betonen sollen. Der Neutestamentler Gerd Lüdemann (Die Auferstehung Jesu 1994) vertritt gegenwärtig eine Neuauflage der subjektiven Visionshypothese: Die Geschichte vom leeren Grab sei eine späte apologetische Legende. Nur Petrus und Paulus sei Jesus ursprünglich „erschienen“: nicht real, sondern nur in ihrer Seele. Alle übrigen Jüngervisionen seien abhängig von der Überlieferung dieser Primärvisionen entstanden und nur durch Massensuggestion - wie die Vision der 500 (1 Kor 15,6) - erklärbar. Die Erstvisionen versucht er psychologisch zu erklären: Jesu plötzlicher Tod habe den Trauerprozess bei Petrus blockiert. Um seine Schuldgefühle gegenüber dem von ihm verratenen Toten zu bewältigen, sei seine Vision entstanden. Der Verfolger Paulus sei durch Jesus unbewusst fasziniert gewesen, dies sei irgendwann in ihm durchgeschlagen.

3.7.2.3. Kerygmatheologie

In der von etwa 1920 bis 1960 in Deutschland führenden „Kerygmatheologie“ trat die historische Frage nach der Entstehung der Ostertexte zurück. Zugleich wurden Jesu Ostererscheinungen als unerklärbarer Anstoß zur neutestamentlichen Traditions-bildung aufgefasst aus zwei Hauptgründen. Für Rudolf Bultmann war Christus „ins Kerygma auferstanden“: Die im mündlichen Wort der kirchlichen Predigt verkündete Auferstehungsbotschaft wird für ihn so selber zu einem „eschatologischen Ereignis“, das die Hörer vor eine aktuelle, endgültige Entscheidung über ihr Selbstverständnis stelle. Nicht, wer Jesus sein wollte und was er tatsächlich gesagt und getan habe, sei für den Glauben noch wichtig, sondern dass er gekommen sei.

3.7.2.4. Objektive Visionshypothese

In der Nachkriegszeit begann eine neue Suche nach den historischen Gründen für die Osterverkündigung des NT. Der Kirchenhistoriker Hans Freiherr von Campenhausen (Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab 1952) vertrat, die Entdeckung des

Lernstoffsammlung zur Abiturvorbereitung

Grundkurs Ev. Religionslehre Jg. 13 © Frank Behr

Seite | 39

leeren Grabes Jesu sei der Anstoß für den Auferweckungsglauben gewesen. Petrus habe die Jünger daraufhin in Jerusalem gesammelt und nach Galiläa geführt, wo Jesus ihnen erschienen sei. Die spätere Überlieferung habe diese Abfolge dem Engel im Grab als Ankündigung in den Mund gelegt. Hans Graß (Ostergeschehen und Osterberichte 1956) vertrat den umgekehrten Ablauf: Nur die unerwarteten Erscheinungen Jesu könnten den Osterglauben und die Gründung der Urgemeinde erklären. Die Geschichte von der Grabfindung dagegen sei eine späte apologetische Legende, die die Auferstehungs-botschaft in Jerusalem nachträglich bestätigen sollte. Jesus sei wahrscheinlich als Verbrecher mit den anderen hingerichteten Zeloten an unbekanntem Ort verscharrt worden.

3.8. Die Zwei-Naturen-Lehre

Als das Christentum in die griechische Kultur gelangte, stieß es auf eine entwickelte Philosophie, die begriffliche Klarheit verlangte. Die Christen mussten Antwort geben, wer dieser Jesus von Nazareth ist. Er ist Heilbringer. Das war in der griechischen Welt nichts Besonderes. Viele Prediger sind aufgetreten und haben sich als Heilbringer ausgegeben. Über solche Männer wurde auch erzählt, dass sie Wunder vollbringen würden oder vollbracht hätten. Von Jesus behaupteten die Christen, dass er Gottes Sohn und zugleich Mensch sei. Das Konzil von Nicäa hatte 325 festgestellt, dass er wirklich Gott ist, ungeschaffen, Gott gleich, der Sohn Gottes. Wie sollte man das verstehen?

Wenn dieser Jesus von Nazareth wirklich Gott ist, dann konnte er in den Augen der griechischen Welt nicht wirklich Mensch sein. Sie dachten von Jesus so, wie es aus griechischen Göttersagen überliefert, war, dass ein Gott auf der Erde erschienen ist. Seine Gestalt wäre nur eine Art Hülle, um sich den Menschen sichtbar zu machen, die jedoch nur als Form der Erscheinung zu verstehen war, nicht wirklich ein Mensch.

Die griechische Vorstellung von einem Scheinleib stimmt nicht mit den Berichten über Jesus überein. Wäre sein Leib nur eine Hülle, wäre der Tod Jesu nicht wirklich ge-schehen. Wenn das geistige organisierende Prinzip der göttliche Logos wäre, wären die menschlichen Reaktionen nicht verständlich, denn er wird als einer geschildert, der sich freut, der Trauer empfindet, der sogar in große Angst gerät, als er seine Verurteilung unausweichlich kommen sieht.

Wenn in Jesus nicht zwei Personen gemeint sind, sondern uns einer entgegentritt, dann muss die Zweiheit auf einer anderen Ebene liegen. Um die Zweiheit von Gottheit und Menschheit zu unterscheiden, bezeichnen die Theologen des 5. und 6. Jahrhunderts mit dem Naturbegriff die göttliche und die menschliche Natur. (Physis ist das griechische Wort für Natur) Die Monophysiten sprechen von einer neuen Natur, die durch die Einigung von menschlicher und göttlicher Natur entsteht. Diese Bezeichnung ist jedoch nicht klar genug, denn der Begriff Natur - Physis bezeichnet gerade die Zweiheit in Jesus. Der Personbegriff ist eine bessere begriffliche Beschreibung, denn er bezieht sich auf den einen Jesus von Nazareth, den menschgewordenen Sohn Gottes. Der Personbegriff bezeichnet den Einen, der Naturbegriff die Zweiheit in Jesus.