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38 Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 22 (1999) Oberstockstall in vollstandiger Ubereinstimmung mit den Beschreibungen zeitgenossischer Texte. Leider fehlen bislang historische Quellen, die Auskunft iiber Auftraggeber und Betreiber der al- chemistischen Arbeiten geben konnten. Die Ge- schichte des Labors und seiner praktisch arbeiten- den Alchemisten und Laboranten kann angesichts der durftigen Quellenlage nur gestreift werden und ist auf MutmaBungen angewiesen. Selbst die Datierung erscheint schwierig und erfolgt anhand der gefundenen Gebrauchskeramik und einiger datierbarer Fundstucke auf die zweite Halfte des 16. Jahrhunderts. Vollstandig offen bleibt der Zweck der alchemistischen Arbeiten. Transmuta- tionsexperimente oder Untersuchungen des Edel- metallgehaltes von Erzproben oder Miinzen auch die Herstellung von Arzneimitteln erscheint mog- lich. Angesichts einer jahrzehntelangen Nutzung konnten sich auch die Zielsetzungen geandert und uberschnitten haben. Ende des 16. Jahrhunderts werden die Aktivitaten, die sich iiber einen Zeit- raum von 50-60 Jahren erstreckten, jedenfalls eingestellt und das gesamte Laborinventar zusam- men mit Bauschutt in eine Grube geworfen. Karin Figala/Heike Hild, Miinchen Rudolf Werner Soukup/Helmut Mayer: Alchemistisches Gold. Paracelsistische Pharmaka. Laboratoriumstechnik im 16. Jahrhundert. Chemiegeschichtliche und archaometrische Untersuchungen am Inventar des Laboratoriums von Oberstock- stalllKirchbercr am Wagram. WienlKolnlWeimar: Bohlau 1997. 336 Seiten mit zahlreichen Aubbildunge;; DM 69,80. Durch Zufall wurde im Jahr 1980 bei archaologi- schen Ausgrabungen im SchloR Oberstockstall (Gemeinde Kirchberg, Niederosterreich) ein be- deutender Fund zur Chemiegeschichte gemacht: Die bislang umfangreichste Ausstattung eines al- chemistischen Laboratoriums, das in das Ende des 16. Jahrhunderts datiert wird, trat im Schutt einer AbfalIgmbe zu Tage. In groBer Zahl (etwa 1000 Teile) wurden die Fragmente von Schmelz- tiegeln, Phiolen und Alembiken (Destillierhelme) und anderem Laboratoriumszubehor wie Ofen geborgen. Die erstaunlichen Funde, die durch die Archaologin Sigrid von Osren ausgezeichnet er- schlossen wurden (siehe diese Zeitschrift oben S. 37f.), sind zum Teil im Museum Kirchberg am Wagram ,Altes Rathaus' ausgestellt. Die chemie- historische Bearbeitung des archaologischen Fundmaterials haben Rudolf Werner Soukup und Helmut Mayer iibernommen, um die teils einma- ligen Objekte an Hand von zeitgenossischer Li- teratur zur Alchemie sowie zur Destillier- und Probierkunst in einen Gesamtzusammenhang zu stellen. Das Material der Ausgrabungen erweist sich als gleichwertige und erganzende Quelle zu den schriftlichen Zeugnissen, und es entsteht ein greifbares Bild der Tatigkeiten eines laborieren- den Chymicus. Die Bestimmung von Destillati- onsriickstanden, 'Iiegelinhalten und Materialpro- ben mit modernsten Analysemethoden lassen Ruckschliisse auf die durchgefiihrten Arbeiten zu und geben einen einmaligen Einblick in einen Laborbetrieb, der sich auBer metallurgischen Un- tersuchungen auch dem alten alchemistischen Wunsch, ,Gold zu machen", verschrieben haben konnte. Das exakte Wagen und Rechnen der analyti- schen J'robierkunst' weist der Alchemie schlieg- lich den Weg zur Chemie, die den Traum von der Transmutation, da nachweislich nicht erfolgreich durchgefiihrt, iiberwindet. Der Alchemist von Oberstockstall ist davon jedoch noch weit ent- fernt. Ihn interessiert vielleicht eher, ob die Trans- mutation endlich gelungen ist. Seine praparativen Arbeiten mogen pharmazeutisch-medizinische Zubereitungen zum Ziel haben, die in den Vor- stellungen des Paracelsus verhaftet sind. Auf je- den Fall bildet die Untersuchung von Erzen und Legierungen auf Edelmetall nachweislich einen Schwerpunkt seiner Arbeiten. Konkrete Hinweise auf Transmutationsversuche, urn alchemistisches Gold zu gewinnen, fehlen dagegen vollstandig. Insofern ist der 'Iitel, den Soukup und Mayer fur ihre Studie gewahlt haben, irrefiihrend. Die bei- den Autoren beschreiben ausfiihrlich alchemisti- sche Operationen, die teils tatsachlich nachweis- lich der Ruckstande durchgefiihrt wurden, teils mit dem vorhandenen Inventar lediglich moglich waren. Den Funden von Oberstockstall werden die ihnen entsprechenden Textstellen in Libavius' Alcbemia (1597) oder Agricolas De re metallica (1556) gegeniibergestellt. Zwischen trockenen Fundbeschreibungen und theoretischen Ausfiihrungen finden die Autoren einen Weg, der die detaillierte Beschreibung von Laboratoriumsarbeiten zu einer spannenden und gewinnbringenden Lektiire macht. Der Chemiker findet erfreut die ,Urformen' der ihm vertrauten Geratschaften und Verfahrensweisen. Der che- misch nicht vorbelastete Leser erhalt ausreichend Erklarungen, die das Geschehen im Labor trans- Ber.Wissenschaftsgesch. 22 (1999) 32-64

Rudolf Werner Soukup/Helmut Mayer: Alchemistisches Gold. Paracelsistische Pharmaka. Laboratoriumstechnik im 16. Jahrhundert. Chemiegeschichtliche und archäometrische Untersuchungen

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38 Berichte zu r Wissenschaftsgeschichte 22 (1999)

Oberstockstall in vollstandiger Ubereinstimmung mit den Beschreibungen zeitgenossischer Texte.

Leider fehlen bislang historische Quellen, die Auskunft iiber Auftraggeber und Betreiber der al- chemistischen Arbeiten geben konnten. Die Ge- schichte des Labors und seiner praktisch arbeiten- den Alchemisten und Laboranten kann angesichts der durftigen Quellenlage nur gestreift werden und ist auf MutmaBungen angewiesen. Selbst die Datierung erscheint schwierig und erfolgt anhand der gefundenen Gebrauchskeramik und einiger datierbarer Fundstucke auf die zweite Halfte des 16. Jahrhunderts. Vollstandig offen bleibt der

Zweck der alchemistischen Arbeiten. Transmuta- tionsexperimente oder Untersuchungen des Edel- metallgehaltes von Erzproben oder Miinzen auch die Herstellung von Arzneimitteln erscheint mog- lich. Angesichts einer jahrzehntelangen Nutzung konnten sich auch die Zielsetzungen geandert und uberschnitten haben. Ende des 16. Jahrhunderts werden die Aktivitaten, die sich iiber einen Zeit- raum von 50-60 Jahren erstreckten, jedenfalls eingestellt und das gesamte Laborinventar zusam- men mit Bauschutt in eine Grube geworfen.

Karin Figala/Heike Hild, Miinchen

Rudolf Werner Soukup/Helmut Mayer: Alchemistisches Gold. Paracelsistische Pharmaka. Laboratoriumstechnik im 16. Jahrhundert. Chemiegeschichtliche und archaometrische Untersuchungen am Inventar des Laboratoriums von Oberstock- stalllKirchbercr am Wagram. WienlKolnlWeimar: Bohlau 1997. 336 Seiten mit zahlreichen Aubbildunge;; DM 69,80.

Durch Zufall wurde im Jahr 1980 bei archaologi- schen Ausgrabungen im SchloR Oberstockstall (Gemeinde Kirchberg, Niederosterreich) ein be- deutender Fund zur Chemiegeschichte gemacht: Die bislang umfangreichste Ausstattung eines al- chemistischen Laboratoriums, das in das Ende des 16. Jahrhunderts datiert wird, trat im Schutt einer AbfalIgmbe zu Tage. In groBer Zahl (etwa 1000 Teile) wurden die Fragmente von Schmelz- tiegeln, Phiolen und Alembiken (Destillierhelme) und anderem Laboratoriumszubehor wie Ofen geborgen. Die erstaunlichen Funde, die durch die Archaologin Sigrid von Osren ausgezeichnet er- schlossen wurden (siehe diese Zeitschrift oben S. 37f.), sind zum Teil im Museum Kirchberg am Wagram ,Altes Rathaus' ausgestellt. Die chemie- historische Bearbeitung des archaologischen Fundmaterials haben Rudolf Werner Soukup und Helmut Mayer iibernommen, um die teils einma- ligen Objekte an Hand von zeitgenossischer Li- teratur zur Alchemie sowie zur Destillier- und Probierkunst in einen Gesamtzusammenhang zu stellen. Das Material der Ausgrabungen erweist sich als gleichwertige und erganzende Quelle zu den schriftlichen Zeugnissen, und es entsteht ein greifbares Bild der Tatigkeiten eines laborieren- den Chymicus. Die Bestimmung von Destillati- onsriickstanden, 'Iiegelinhalten und Materialpro- ben mit modernsten Analysemethoden lassen Ruckschliisse auf die durchgefiihrten Arbeiten zu und geben einen einmaligen Einblick in einen Laborbetrieb, der sich auBer metallurgischen Un- tersuchungen auch dem alten alchemistischen Wunsch, ,Gold zu machen", verschrieben haben konnte.

Das exakte Wagen und Rechnen der analyti- schen J'robierkunst' weist der Alchemie schlieg- lich den Weg zur Chemie, die den Traum von der Transmutation, da nachweislich nicht erfolgreich durchgefiihrt, iiberwindet. Der Alchemist von Oberstockstall ist davon jedoch noch weit ent- fernt. Ihn interessiert vielleicht eher, ob die Trans- mutation endlich gelungen ist. Seine praparativen Arbeiten mogen pharmazeutisch-medizinische Zubereitungen zum Ziel haben, die in den Vor- stellungen des Paracelsus verhaftet sind. Auf je- den Fall bildet die Untersuchung von Erzen und Legierungen auf Edelmetall nachweislich einen Schwerpunkt seiner Arbeiten. Konkrete Hinweise auf Transmutationsversuche, urn alchemistisches Gold zu gewinnen, fehlen dagegen vollstandig. Insofern ist der 'Iitel, den Soukup und Mayer fur ihre Studie gewahlt haben, irrefiihrend. Die bei- den Autoren beschreiben ausfiihrlich alchemisti- sche Operationen, die teils tatsachlich nachweis- lich der Ruckstande durchgefiihrt wurden, teils mit dem vorhandenen Inventar lediglich moglich waren. Den Funden von Oberstockstall werden die ihnen entsprechenden Textstellen in Libavius' Alcbemia (1597) oder Agricolas De re metallica (1556) gegeniibergestellt.

Zwischen trockenen Fundbeschreibungen und theoretischen Ausfiihrungen finden die Autoren einen Weg, der die detaillierte Beschreibung von Laboratoriumsarbeiten zu einer spannenden und gewinnbringenden Lektiire macht. Der Chemiker findet erfreut die ,Urformen' der ihm vertrauten Geratschaften und Verfahrensweisen. Der che- misch nicht vorbelastete Leser erhalt ausreichend Erklarungen, die das Geschehen im Labor trans-

Ber.Wissenschaftsgesch. 22 (1999) 32-64

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Rezensionen 39

parent machen. Die Studie ist klar und verstand- lich. Bisweilen wird allerdings betont ,,locker" mit ,,Alchemistenszene" oder ,,frech ausposau- nen" formuliert, was wiederum nicht mit der Ver- wendung von nicht weiter erklarten chemischen Fachtermini zusammenpadt.

Die ausfiihrlichen Zitate aus der zeitgenossi- schen Fachliteratur stellen den Bezug zu den teils optisch wenig spektakularen Fundstiicken her und ordnen sie metallurgischen und alchemisti- schen Verfahren zu. Im Vordergrund steht die Probier- und Scheidekunst auf Silber und Gold, deren verschiedene Verfahren mit den Riickstan- den und den vorhandenen Geraten in Einklang zu bringen sind. Prozesse, die in zeitgenossischen al- chemistischen Traktaten und metallurgischen Ab- handlungen beschrieben wurden, lassen sich mit den verwendeten Geratschaften und den unter- suchten Schmelzriickstanden vereinbaren. Die Autoren stellen diese theoretischen Ausfiihrungen ihrem Fundmaterial gegeniiber und postulieren und rekonstruieren danach die Arbeitsvorgange und Geritschaften im Laboratorium.

Letzten Endes mui3 offen bleiben, welche Ex- perimente genau in den GefaBen durchgefiihrt wurden, da keine schriftlichen Zeugnisse zum La- borbetrieb wie Rezepte Aufschlud geben. Die Analyse der Riickstande ladt aber Riickschliisse zu. Die Gold-Silber-Trennung mit Scheidewasser fand in Glasphiolen statt, die Scheidung auf trok- kenem Wege in Xegeln und Kupellen. Die Riick- stande aus Destillationskolben lassen sich mit der Schwefel- und Salpetersaureherstellung vereinba- ren, die dazu notwendigen Apparaturen konnen zusammengestellt werden. Anhand von Abbil- dungen in alchemistischen Abhandlungen des 16./ 17. Jahrhunderts lassen sich mogliche Arbeiten identifizieren. Zwar finden sich zu zahlreichen Operationen wie Filtration oder Quecksilberde- stillation die passenden Geratschaften, ob diese allerdings konkret durchgefiihrt wurden, bleibt offen. Auf jeden Fall sind die Ausfiihrungen eine anschauliche Einfiihrung in die wichtigsten Ar- beitsmethoden der Laborpraxis. Scheide- und Probierverfahren, die mannigfaltigen Destilla- tionsvarianten werden vorgestellt. Selbst die Kniffe und Tricks, die sich in Destillationsanwei- sungen als Produkt langer Erfahrungen nieder- schlagen, beriicksichtigt die technische Ausstat- tung. Die Anleitungen zur praktischen Arbeit werden penibel bis zur Ummantelung von Glas- gefagen mit Lehm als Schutz vor dem Zersprin- gen umgesetzt.

Pharmazeutische Praparate wie Quecksilberpra- parate (Kalomel, Zinnober) oder Antimonprapa- rate wurden nachweislich hergestellt. Leider ver-

lieren sich die Autoren, da keine schriftlichen Nachrichten direkt zum Laboratorium Oberstock- stall Bezug nehmen, in Spekulationen, die durch Wiederholungen dem Leser als Tatsachen nahege- legt werden. Die prinzipielle Moglichkeit oder Leichtigkeit der Herstellung einer Substanz wird zur Wahrscheinlichkeit, die im Labor auch gelei- stet wurde. Dem Leser wird zur Illustration der Arbeitsweise in einem Renaissancelaboratorium eine Rezeptsammlung gangiger Praparate an die Hand gegeben, die zwar sehr interessant sind, sich im Fundmaterial aber nicht nachweisen lassen.

Das Laboratorium von Oberstockstall florierte unter dem Schutze von Urban von Trenbach (1525-1598), Bischof von Passau (ab 1561). Lei- der fehlen Dokumente, die sich auf die alchemi- stischen Aktivitaten in Oberstockstall beziehen. Eine Zuordnung der Experimente an bestimmte Personlichkeiten als Auftraggeber wie die ver- schiedenen Pfarrherren von Kirchberg aus der weltoffenen Familie Fugger mit ihren Verflechtun- gen in Bergbau und Metallhandel ist aufgrund de- ren natumissenschaftlichen Interessen wahr- scheinlich. Hinweise erhalten dabei jedoch gar zu leicht ,Beweiskraft'. Auf der Suche nach Belegen fur alchemistische Interessen der Pfarrherren von Kirchberg finden die Autoren allerorts alchemisti- sche Symbole. O b ein Passauer Bischof wirklich alchemistische Leidenschaft in seinem Epitaph verschliisselt, das sich dem niichternen Betrachter als bloBer Paradiesgarten darbietet? Der Paracel- sist Toxites wird zum geistigen Vater des Labors, obwohl ihm nur die Widmung eines spagyrischen Lexikons, das die iiblichen Praparate vorstellt und Fachtermini erklart, an einen der Kirchherren und die Beschaftigung mit Antimonpraparaten nach- zuweisen ist. Das gesellschaftliche und politische Umfeld fur die Blute der ,Koniglichen Kunst' wird ausfiihrlich untersucht. Der Bezug zum La- bor in Oberstockstall ist zwar spannend zu lesen, jedoch nur vage zu vermuten.

Das Ende der Aktivitaten im Laboratorium er- folgte irgendwann um 1600, indem fast das ge- same Inventar in eine Abfallgrube geworfen wurde. Die Abfalle aus dem laufenden Laborbe- trieb wurden bis jetzt nicht gefunden. Uber die Griinde der abrupten Auflosung des Laboratori- ums kann nur spekuliert werden. Mangelndes In- teresse oder fehlendes Geld konnen ebenso die Einstellung der kostspieligen Arbeiten bewirkt haben wie Einwirkungen des DreiBigjahrigen Krieges. So liefern die Funde von Oberstockstali ein eindringliches Bild eines Laboratoriums der Renaissance.

Karin Figala/Heike Hild, Miinchen

Ber.Wissenschaftsgesch. 22 (1999) 32-64