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1 Schulmaterialien zu: Faust. Der Tragödie erster Teil von Johann Wolfgang von Goethe Spielzeit 2013/14 Inhalt Besetzung S. 2 Kurzinfos zum Stück S. 3 Interview mit Regisseur Wolfgang Hofmann S. 6 Strichfassung: Beispielszene S. 11 Premierenkritik S. 20

Schulmaterialien zu: Faust. Der Tragödie erster Teil von ...theater.hameln.de/theater/files/schulmappe_faust_tfn.pdf• Der sogenannte ‚Urfaust‘ ist eine Handschrift aus dem Nachlass

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Schulmaterialien zu:

Faust. Der Tragödie erster Teil

von Johann Wolfgang von Goethe

Spielzeit 2013/14

Inhalt

Besetzung S. 2

Kurzinfos zum Stück S. 3

Interview mit Regisseur Wolfgang Hofmann S. 6

Strichfassung: Beispielszene S. 11

Premierenkritik S. 20

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Besetzung

Inszenierung: Wolfgang Hofmann

Bühne: Lars Peter

Kostüme: Esther Bätschmann

Dramaturgie: Astrid Reibstein

Rollen:

Heinrich Faust Rüdiger Hellmann

Mephistopheles Moritz Nikolaus Koch

Margarethe / Engel 1 Joëlle Benhamou

Marthe / Der Herr / Satan Simone Mende

Direktor / Wagner / Valentin / Hexe 1 Dennis Habermehl

Dichter / Lieschen / Bäuerin / Oberhexe Michaela Allendorf

Lustige Person / Schüler / Hexe 2 Jens Koch

Engel / Gretchens / Hexen / Volk Damen der Statisterie

Volk / Hexen Herren der Statisterie

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Kurzinformationen zu Faust. Der Tragödie erster Teil von Johann Wolfgang von Goethe

Goethe über seine Faustdichtung • „Da kommen sie und fragen: welche Idee ich in meinem Faust zu verkörpern gesucht? – Als ob

ich das selber wüsste und aussprechen könnte. […] Es hätte auch in der Tat ein schönes Ding werden müssen, wenn ich ein so reiches, buntes und so höchst mannigfaltiges Leben, wie ich es im Faust zur Anschauung gebracht, auf die magere Schnur einer einzigen Idee hätte Reihen wollen! […] Je inkommensurabler und für den Verstand unfasslicher eine poetische Produktion, desto besser.“

• „Da steht es nun, wie es auch geraten sei. Und, wenn es noch Probleme genug enthält, keineswegs jede Aufklärung darbietet, so wird es doch denjenigen erfreuen, der sich auf Miene, Wink und leise Hindeutung versteht. Er wird sogar mehr finden, als ich geben konnte.“

Besondere Merkmale

• die Ebene des Dichters (‚Zueignung‘), • die Ebene des Theaters (‚Vorspiel auf dem Theater‘), • die Ebene Himmel (‚Prolog im Himmel‘, wie bei spätmittelalterlichem Mysterienspielen), dann erst • die Ebene der Stückhandlung.

Nur an zwei Stellen findet ein Übergang statt. Mephisto tritt auf der Ebene des Himmels und in der Stückhandlung auf, und der erste Teil der Faustdichtung endet mit dem Eingreifen der himmlischen Macht: „Ist gerettet!“. (Mit dem Ende des zweiten Teils, in dem ‚Faustens Unsterbliches‘ und Gretchens ‚Seele‘ auftreten, entzieht sich die Faustdichtung wieder der klaren Aufteilung der Ebenen. Denn was hier nach dem Tod als Erlösung folgt, hat nichts mehr mit der mittelalterlichen Vorstellung des Himmels aus dem ‚Prolog‘ zu tun.)

Der erste Teil der Faustdichtung hat im Gegensatz zum zweiten Teil eine mehr oder weniger durchgehende Handlung, genauer zwei (leicht verschränkte) Handlungsstränge, die üblicher Weise als ‚Gelehrtentragödie‘ und ‚Gretchentragödie‘ bezeichnet werden. Während im zweiten Teil Faust und Mephisto als von jeglicher persönlicher Geschichte losgelöste Figuren erscheinen, die in lockerer Verknüpfung durch die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte streifen, sind sie im ersten Teil noch als konsistente Charaktere geschrieben. Allerdings ist auch der erste Teil der Faustdichtung immer wieder fragmentarisch erzählt: Viele für den Fortgang der Handlung zentrale Ereignisse geschehen zwischen den Szenen. Wir sehen nur die Auswirkungen – zum Beispiel dass Margaretes Mutter offenbar an dem Schlafmittel, das Faust Margarete gegeben hat, um mit ihr eine Nacht verbringen zu können, gestorben ist.

Goethe treibt innerhalb der Faustdichtung sein Spiel mit einer Vielzahl von metrischen Formen bishin zur Prosa. Das Versmaß charakterisiert mal die Athmosphäre (wenn zum Beispiel Faust zu Beginn im Knittelvers spricht, der das Mittelalter lebendig werden lässt), mal die Figur oder die Situation (z.B. passt Mephisto seine Sprechweise stets elegant an seine jeweilige Rolle und die Situation an).

Im Text finden sich unzählige Anspielungen an Personen, Ereignisse und geistige Strömungen aus Goethes Zeit, von denen die allermeisten heute nur noch mit Hilfe umfangreicher Kommentare verständlich sind. Dennoch ist der Text so reich, dass es unüberschaubar viele Interpretationen gibt und immer neue geben wird, die jede für sich schlüssig sein mag. Die Faustdichtung wird immer wieder als Universaldrama bezeichnet („Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“), nicht nur wegen des Variantenreichtums an dichterischen Formen, sondern auch, weil die ganz großen Themen verhandelt werden: Gut und Böse, Gott und der Mensch, Liebe, Individuum etc.

Unter dem Titel ‚Paralipomena zu Faust‘ hatte Goethe Texte und Textteile gesammelt, die ihm für eine Veröffentlichung bedenklich erschienen, aber dennoch für künftige Jahre aufgespart werden sollten. In der Faust-Ausgabe von Albrecht Schöne (Frankfurt am Main 1994) sind sie komplett zu finden. Es handelt sich vor allem um Texte, die der Selbstzensur zum Opfer gefallen sind. Allzu sexuell oder moralisch Anstößiges wurde getilgt, ein im

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18. und 19. Jahrhundert übliches Vorgehen für Autoren. Bei einer öffentlichen Theateraufführung waren offenbar noch strengere Maßstäbe des moralisch, aber auch theologisch oder politisch als schicklich Erachteten nötig als beim gedruckten Werk, wie sich aus den damaligen Soufflierbüchern ergibt. Die Satansszenen und die Hochgerichtserscheinung in der ‚Walpurgisnacht‘ unserer Probenfassung entstammen den Paralipomena.

Entstehung

• Die Geschichte eines Mannes, der einen Bund mit dem Teufel schließt, um Erkenntnis zu erlangen, geht auf einen in Deutschland herumreisenden Gelehrten Johannes Faustus Anfang des 16. Jahrhunderts zurück.

• 1587 erscheint erstmals das ‚Volksbuch‘ : Historia D. Johannis Fausti. • Die Geschichte wurde u.a. als Marionettentheater verbreitet (Goethe erlebte als Kind eine Aufführung) und

zuerst in England zu einem Schauspiel verarbeitet: Christopher Marlowes ‚Doktor Faustus‘ entstand etwa 1587-1593.

• Goethe begann vermutlich Anfang der 1770er Jahre mit Entwürfen von Faust-Szenen. Angeregt durch die intensive Beschäftigung mit der Hinrichtung der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt am 14.1.1772 (über diesen juristischen Fall hielt Goethe seine Disputation), schrieb Goethe an Szenen der ‚Gretchengeschichte‘.

• Über zehn Jahre später arbeitete Goethe an der Herausgabe seiner gesammelten Werke und veröffentlichte darin 1790 ‚Faust. Ein Fragment‘. Der Text endet mit der Szene ‚Dom‘.

• Ergänzt und umgearbeitet sowie um mehrere Szenen erweitert erscheint ‚Faust. Eine Tragödie‘ 1808. Seit 1800 hatte Goethe wieder intensiver an dieser Dichtung gearbeitet, den Plan für die Zweiteiligkeit entwickelt und mit Szenen des zweiten Teils begonnen. Dieser Text, den wir heute als Faust I kennen, wurde immer wieder von Goethe redigiert nachgedruckt, zuletzt 1828.

• Der sogenannte ‚Urfaust‘ ist eine Handschrift aus dem Nachlass des Weimarer Hoffräuleins Luise v. Göchhausen, gedruckt 1887 als ‚Goethes Faust in ursprünglicher Gestalt‘. Heute weiß man: Wahrscheinlich ist die Abschrift voller Fehler und Auslassungen und entstand ohne Goethes Zutun. Der Name ‚Urfaust’ für diese Fassung ist demnach falsch.

Aufführungs- und Wirkungsgeschichte

• Anfang der 1810er Jahren trug man sich in Weimer mit dem Gedanken, die Fausttragödie aufzuführen. Aber Goethe scheiterte an dem Versuch, das Stück selbst für die Bühne einzurichten. Teilaufführungen für ausgesuchtes Publikum und Teilvertonungen gab es allerdings hier und da.

• Uraufführung am 19.1.1829 in Braunschweig • Weitere Aufführungen am 29.8.1829 zeitgleich in Weimar, Leipzig, Dresden und Frankfurt am Main zu

Goethes achtzigstem Geburtstag. Von da ab konnte Faust I als spielbar gelten. • Übersetzungen in andere Sprachen gab es schon zu Goethes Zeiten, inzwischen über 200 Übersetzungen

und über 400 Teilübersetzungen in ca. 50 Sprachen. • Unzählige Vertonungen, auch schon zu Goethes Lebzeiten (einzelne Lieder, einzelne Szenen, Opern,

angelehnte Chorwerke etc.). Die Bearbeitungen, Umdichtungen, Gegenentwürfe, Parodien, Anleihen in sämtlichen Kunstgattungen und Popkulturmedien vom 19. Jahrhundert bis heute sind unzählbar, das Stück wird auch als Zitatensammlung geschätzt.

Faust II

• Weltenspiel von griechischer Antike bis Moderne. Erst am Schluss wieder Bezug zur ‚Wette‘ aus Faust I, wenn Faust stirbt und Mephisto die Seele nicht bekommt.

• Offenbar hegte Goethe schon um 1800 den Gedanken, seine Faustdichtung in zwei Teile zu teilen. So schrieb er stetig nebenbei an Faust II-Szenen, aber erst 1825 bis 1831 widmete er sich konzentrierter dem zweiten Teil und schloss ihn ab. Goethe verpackte und versiegelte das Manuskript und bestimmte, dass es erst nach seinem Tod veröffentlicht werden sollte.

• 1832 posthum veröffentlicht • Uraufführung am Hoftheater Weimar 1875/76

Johann Wolfgang (von) Goethe: Dichter, Zeichner, Jurist, Politiker, Naturwissenschaftler, * 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar; geadelt 1782

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Interview mit Regisseur Wolfgang Hofmann

zur Faust-Inszenierung am TfN 2013

Frage: Warum bezeichnen Sie Goethes Faust als disparaten Text?

Hofmann: Das liegt an Goethes Vorgehensweise, diesen Text in die Welt zu bringen, der ja über Jahrzehnte verschiedene Stadien, Pausen, Umarbeitungen, Vorläufer und so weiter beinhaltet. Klar, es gibt die Ausgabe „letzter Hand“, aber vielleicht war’s ihm an einigen Punkten einfach wurscht. Eines der vielen Beispiele: Wenn Mephisto das erste Mal bei Faust ist, hatte Goethe geplant eine Disputation zwischen den beiden zu schreiben. Also: Eine These wird vertreten, Gegenthese usw. Hinterher würde Mephisto promoviert, danach käme der Doktorschmaus. Irgendwann hat Goethe den Plan aufgegeben, aber es bleiben Sätze aus diesem Plan übrig. Da fragt man sich, wieso redet der jetzt vom Doktorschmaus?

Es gibt so Überraschungssätze, die kein Anfang und kein Ende haben, da hätte der Meister noch mal draufgucken sollen. Diese Disparatheit hier und dort, wo die Dinge in der Schwebe bleiben oder regelrecht falsch sind, naja: Das ist halt der große Steinbruch, aus dem wir uns jetzt seit 200 Jahren bedienen können.

Wie schon zu Goethes Zeiten üblich, kommt der Text nicht so auf die Theaterbühne, wie er als Lesetext gedruckt wurde. Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Strichfassung erstellt?

Meine erste Idee war, das ganze Stück mit nur drei Schauspielern in einer ganz knappen, pointierten Fassung zu spielen. Dann erzählte mir Jörg Gade, der Intendant des TfN, dass der Faust derzeit Schulstoff in Niedersachsen ist. Deshalb habe ich mich entschieden, den Gang der Dinge im Stück beizubehalten: Jede Szene soll stattfinden. Den größten Strich hat wohl die Szene „Auerbachs Keller“ ereilt: Was ist der Vorgang? Der Vorgang ist, dass Mephistopheles den nach der Hexenküche neu aufgestellten Faust unter Leute bringen will, dahin, wo die Party abgeht. Faust interessiert das aber nicht, er hat nur den Wunsch „bald wieder abzufahren“.

Anders als zu Goethes Zeiten haben wir ja heute eine staatliche Zensur nicht fürchten. Deshalb wird bei uns eine Szene stattfinden, die Goethe zwar für die Walpurgisnacht geschrieben, dann aber vorsorglich in der Schublade gelassen hat. Es gibt eine ganze Reihe von Zeilen bishin zu ganzen Szenen des Faust, die der Meister nicht veröffentlicht, sondern in seinen Paralipomena gesammelt hat. Die Satansanbetung in der Walpurgisnacht gehört dazu, sozusagen eine böse Satire auf die Gotteshuldigung der Engel im Prolog im Himmel. Der Literaturwissenschaftler Albrecht Schöne hat sie 1992 zum ersten mal rekonstruiert und veröffentlicht.

Gott ist bei Goethe eine eher barocke Erscheinung, die Szene erinnert an Mysterienspiele aus dem Mittelalter, und auch die Faust-Geschichte wird von Goethe im Mittelalter angesiedelt. In Ihrer Inszenierung spielt die Handlung aber nicht im Mittelalter…

Ja, sowenig wie sie bei Goethe im Mittelalter gespielt hat. Schon die Vorlage ist eine tradierte Geschichte – auch theatertradiert, da gibt es die Puppenspiele und die Schauspiele, vor allem das von Marlowe ist auch zu Goethes Zeiten in Deutschland schon bekannt gewesen. Der Goethe kennt das, das ist die Tradition, damit ist er aufgewachsen. Aber natürlich ist der Erkenntnishorizont, auf dem das hier passiert und auf dem gesprochen wird, nicht mehr 1400nochwas, sondern der ist 1808 und später. Bei Goethe selbst gibt es sackweise Anachronismen, zum Beispiel Texte, die Goethe gerade selbst gelesen hat. Zum Beispiel: Wenn es darum geht, dass Faust jünger werden, aber nicht in die Hexenküche will. Was könnten wir da denn sonst noch tun? Mephisto sagt dazu: Ach, da gibt es schon Methoden, ich habe gerade das Buch von einem Arzt gelesen, der empfiehlt Trennkost, viel Bewegung, frische Luft, Anbau von selbstgezüchtetem Gemüse – und das Buch ist tatsächlich von Goethes Arzt in Weimar verfasst. Oder wenn Marthe die Todesanzeige ihres Mannes gern im Wochenblättchen lesen möchte – im ausgehenden Mittelalter gab es noch keine Wochenblättchen. Diese Vermengung von Historie und Gegenwart und

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vielleicht sogar von Zukunft: Deshalb spielen wir’s. Ich finde, das sind höchst zulässige, fast sogar notwendige Vorgaben, um überhaupt sagen zu können, wir machen dieses Stück jetzt und heute. Es wäre ja kein Gewinnst, einen Historismus zu bedienen. Den es im Text nicht einmal gibt. Im Gegenteil.

Vielleicht helfen die einen oder anderen Dinge in der Ausstattung, vor allem im Kostüm, den Blick zu schärfen, wenn wir die Dinge ein bisschen auf der Zeitachse in unsere Richtung verschieben. Die Kostüme stammen von der Kostümbildnerin Esther Bätschmann. Nun wird bei uns die Bibel nicht aus dem Laptop übersetzt, sondern immer noch aus dem Buch, aber selbst das wäre möglich. Denn die Fragen, die Faust dabei stellt, sind bis auf den heutigen Tag nicht erschöpfend beantwortet. Heute werden die Teilchen nur immer kleiner, die angeblich die Welt im Innersten zusammenhalten, und man wartet auf das nächste kleine Teilchen... Die Räume auf der Bühne von Bühnenbildner Lars Peter sind theatrale Räume, die Vieldeutigkeit zulassen und mehr erzählen können als nur jeweils einen konkreten Ort. Das Stück funktioniert auch in einer heutigen Umgebung, und wir müssen nicht notwendig eine Umgebung wie vor 200 Jahren herstellen. Da kann man auf die Qualität der Texte bauen, die auch in 200 Jahren noch so funktionieren werden.

Faust. Der Tragödie erster Teil hat mehrere vorangestellte Szenen, unter anderem den Prolog im Himmel. Wie sehen Sie im Stück das Verhältnis zwischen Himmel und Erde?

Die eine Szene im Himmel ist natürlich der Anlass für alle Szenen, die folgen werden. Damit ist das Verhältnis eigentlich klar: 99 % im Himmel, ein Prozent auf der Erde, obgleich bis auf den Prolog alles auf der Erde spielt. Dramaturgisch gesprochen: Ohne den Himmel keine Erde. In Bezug auf die Schöpfung ist es auch nicht anders. Und dann gibt es noch die unmittelbare Mitwirkung des Himmels am Geschehen. Das passiert, wie ich inzwischen glaube, nicht nur an der einen berühmten Stelle im Kerker, wenn Margarethe gleich hingerichtet werden wird und die Stimme von oben kommend ihr die Vergebung zubilligt. Ich sehe die unmittelbare Mitwirkung des Himmels noch an mindestens einer anderen Stelle, indem nämlich die Osterglocken, die Faust vom Selbstmord abhalten, in diesem Jahr vorverlegt werden müssen. Denn nicht Glock auf vier hält Faust den Gifttrank an die Lippen, sondern wenn’s halt gerade dahin kommt. Jetzt muss er geweckt werden, sonst wird er als Selbstmörder nach christlichem Verständnis in die Hölle fahren. Da ist es ein guter Plan, ihn sentimental werden zu lassen, dazu benötigen wir die Auferstehung mit allem Drumherum, Glocken und Gesang. Bei Goethe heißt es ja tatsächlich auch „Chor der Engel“. Es nicht ein Kirchenchor, der da singt. Ich glaube, auch hier greift der Himmel unmittelbar ein. Der Himmel ist außerdem die ganze Zeit präsent, über den negativen Abgesandten, nämlich Mephistopheles.

In welchem Zustand ist Faust denn, dass er sich umbringen will?

Mephisto irrt sich, als er dem Herrn die Wette vorschlägt. Denn da gedenkt er zu triumphieren, wenn Faust im Staub liegt und Staub und Erde fressen muss. Ungefähr zwölfeinhalb Minuten, nachdem dieses Wort gefallen ist, wird Faust von sich sagen, dass er wie ein Regenwurm in der Erde lebt und Staub frisst. Grob übersetzt ist Faust, wie er selbst es empfindet, in der Hölle schon angekommen. Aus dieser Hölle kann Faust sich nur eine einzige Befreiung vorstellen: indem er das Leben lässt. Und er sieht die Dinge, wirklich und wahrhaftig, sehr negativ! Mehr Verachtung und Selbstverachtung, mehr Aufgabe an Lebenstüchtigkeit kann man sich schlechterdings nicht vorstellen. Selbst als Faust im Pakt mit Mephistopheles einen Katalog an Forderungen aufstellt, dann sind es, wenn man genau hinhört, alles Verlängerungen dieser Höllenvorstellung von sich auf die gesamte Welt. Der Mephisto ist erstaunt, dass das alles so schrecklich werden soll, als würde da der Teufel sprechen. Alles, was die Welt beinhaltet, vielleicht sogar zusammenhält, formuliert er ins Negative hinein. „Ich verfluche ..., ich verfluche ... “ Das entsteht, wie ich glaube, aus dieser Befindlichkeit, in der er sich befindet. Für ihn, innerhalb seines Systems gibt es keinen positiven Punkt, an dem man wieder anknüpfen könnte.

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Also muss Faust sich ändern, damit die Geschichte weitergehen kann...

Der Umschwung, den würde ich in der Hexenabteilung sehen. Und diese ersten Vorgänge sind alle nicht dem Verstand, nicht dem Gefühl, sondern dem Trieb geschuldet. Weil ja kein Argument und kein Vorgehen mehr hilft. Wir haben alle Debatten geführt, alle Debatten haben uns nicht nach vorn gebracht, keinen neuen Erkenntnishorizont. Und dass der Faust im Pakt ja gerade ausschließt, dass man in einen Zustand käme, der so ist, dass man diesen Zustand verlängern möchte. Und zwar, weil es eben nicht nur ein angenehmer, sondern ein glücklicher Zustand ist, den man in die Ewigkeit verlängern möchte – das könnte ja eine mögliche Definition des Paradies-Zustandes sein. Obgleich Faust, wie ich fest glaube, eine Hoffnung daran hat. Das sagt er nicht, aber spielen würden wir das gerne: Ich biete Dir das Negativste an und hoffe, dass es nicht eintritt. Nun muss diese Hoffnung irgendwie befördert werden, indem man versucht, einen inneren und äußeren „Lebensveränderungsvorgang“ zu etablieren. Der kann nicht mehr aus sich selbst passieren, dazu sind wir nicht mehr in der Lage. Dazu muss man weggehen: in Psychotherapie, ins Wellnesscenter, eine Reise zum Mond machen… kurz: sich Methoden aussetzen, die einem sonst nicht zugänglich sind. Da hat Mephisto einen Zugang, eben zur Hexenküche, dort wahrscheinlich durch ein Psychopharmakum die innere und äußere Veränderung vorzunehmen.

Was für ein Teufel ist Mephisto?

Ja, wenn man das wüsste! Er kickt sich ja selbst raus an einer Stelle, als er sagt, die Welt würde inzwischen den Teufel nicht mehr akzeptieren, der Böse sei aus dem Spiel, es gebe nur noch das Böse. Er sagt auch von sich, er wäre nicht einer von den Großen, also ist er ein armer kleiner Teufel. Die vielen Worte, die er macht, um sich vorzustellen, sind mehr Rätselworte als klare Aussagen – ich weiß das nicht wirklich. Der Geist, der stets verneint, ja, aber jetzt kann man im Moment ja nicht negativer als Faust sein, das geht ja gar nicht. In gewisser Weise ist Mephistopheles sogar ein positiver Teufel, indem er zu Faust sagt: Ich verschaffe dir einen Zustand, in dem du dauerhaft glücklich sein kannst. Das wird 'ne ziemliche Arbeit werden, auch erst im zweiten Teil der Faustdichtung, wo dieser Zustand fast erreicht ist…

Was für ein Teufel ist Mephisto? Der dialektische Widerspruch an sich vielleicht. Oder ist er – das wäre ja die plausibelste Antwort – einfach eine gute Theatererfindung, die wir mit allem ausstatten können, was wir gerade so benötigen. Der dauerhafte Deus Ex Machina gewissermaßen, die dauerhaft eingreifende Dramaturgie, die die Handlung vorantreibt. Das hat bei aller Metaphysik auch etwas ganz Handfestes mit Theater zu tun. Es ist eine Figur, die schon im Puppenspiel dazugehörte, die man braucht für alle möglichen Vorgänge, und: Die weniger klug ist, als man denkt, und als Mephisto selbst denkt. Einer, der sich auf eine Wette mit Gott einlässt, der muss ein wenig verrückt sein, oder eben doch ein wenig doof. Denn Gott gewinnt immer. Der weiß alles, wirklich alles. Der weiß auch, wie das Ganze ausgeht.

Und dann trifft Faust Margarethe...

Der erste Vorgang ist, dass man sich unter die Leute begibt. Und nachdem das mit der Kneipe nicht funktioniert hat, sind die Leute halt: attraktive junge Frauen. Für einen Herren im mittleren Alter, was gibt es Belebenderes als attraktive junge Frauen. Und denen wird Faust begegnen, und eine wird sich als die herausstellen, mit der man gerne weiter sprechen würde. Wenn man’s genau nimmt, will er natürlich gar nicht reden mit ihr, sondern wesentlich kreatürlichere Dinge veranstaltet wissen. Im Grunde genommen ist es völlig wurscht, wer das tatsächlich ist. Keine Namen, nur Körper. Erst schießen, dann fragen. Also, wir hätten jetzt diesen Trank getrunken, und merkt, man ist jetzt anders drauf. Und da fragt man mal so die ganzen jungen Frauen, die da sind. Und die Antwort gibt es von Margarethe. Wobei – ich find das ja gut – die Antwort eine Abfuhr ist.

Aber bei ihr bleibt auch was hängen, und durch teuflische Hilfe, durch höllische Künste werden wir eine Wiederbegegnung erleben. Und in dieser Wiederbegegnung – das ist wirklich entscheidend – wird sich Margarethe eine Fortsetzung, sogar eine intensive Fortsetzung mit Faust vorstellen können. Er ist fasziniert von ihr, nachdem er sie ein bisschen näher kennen lernt. Und dann wird die Tragödie in Gang kommen, indem um ein Kind zu töten

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erst einmal eines in die Welt gesetzt werden muss. Immer noch braucht man dafür Mann und Frau, und in diesem Fall sind es Margarethe und Faust. Das Bemerkenswerte ist, dass Faust danach erst einmal verschwindet. Und zwar mindestens zehn Monate verschwindet. Das hat vielleicht wieder ein bisschen mit Goethes Ökonomie des Stückeschreibens zu tun haben, aber: Es ist passiert, und wenn er wiederkommt, ist es zur Rettung dieser Beziehung und anderer Dinge zu spät.

Ist Gretchen naiv?

Nein, überhaupt nicht. Um das mal zu sagen: Wir spielen nicht Gretchen, wir spielen Margarethe. Alles andere wäre ja langweilig. Wie jede interessante Figur auf dem Theater hat auch Margarethe ihre Abgründe und ihre dunklen Seiten, die mehr sind als nur das Vordergründige. Es gibt immer eine Rückseite, und es ist ja ganz klar, dass in diesem Zusammenhang die Rückseite immer spannender ist als die Vorderseite. Ja, diese Margarethe hat eine Lust an diesem Schmuck, und sie ist verliebt und findet ihn toll, mit dem kann man reden, der ist charmant, alles ganze Programm – aber man wird nicht wahnsinnig, wenn man nur naiv in die Falle tappt. Das setzt ja doch eine Reflexions-Ebene voraus, dass man erkennt, dass es falsch ist. Naive haben ja für ihre Handlungen und Entscheidungen nie eine Begründung, die sind halt immer nur so.

Sie ist unerfahren und lässt sich da auch auf Sachen ein, die nicht ganz sauber sind. Also das berühmte Beispiel, das man bei uns vielleicht ein bisschen deutlicher sieht als sonst: Faust fragt sie, warum musst du schon nach Hause. Sie sagt, die Mutter hat gesagt, wenn’s dunkel wird, kommst du nach Hause. Er: können wir das nicht ändern, dann komme ich zu Dir. - Das geht auch nicht, die Mutter hat einen sehr leichten Schlaf. - Okay, dann müssen wir das jetzt anders machen, ich gebe dir hier was mit, das tust du ihr ins Essen, dann schläft die tief und fest. - Das wird sie tun. Und in dieser Nacht werden die zwei in Margarethes Bett, Wand an Wand zur schlafenden Mutter, ein Kind zeugen. So blöd, dass sie nicht merkt, was sie da tut, kann Margarethe nicht sein. Und dass sie dazu fähig ist, das ist für mich etwas, das deutlich über die Naivität hinaus geht. Deshalb versuchen wir jetzt ein Gretchen zu spielen, das eine Meinung hat und sie auch deutlich formuliert. Ich finde, sie wäre sonst auch keine Herausforderung, keine Partnerin für einen wie Faust.

Die Szene der Walpurgisnacht ist auf den ersten Blick nur eine Unterbrechung der Handlung.

Die Handlung bricht ab, Margarethe ist Faust offenbar egal, er ist lieber unterwegs. Der eigentliche Clou an der Walpurgisnacht ist für mich, dass Zeit keine Bedeutung hat. Man scheint in der Gegenwart sich aufzuhalten, aber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft überlappen sich. Deswegen sieht Faust die Hochgerichtserscheinung, die auf Margarethes spätere Hinrichtung verweist. So etwas braucht Magie, das kann wohl nur in der Walpurgisnacht geschehen.

Die Geschichte zwischen Margarethe und Faust endet in der Katastrophe, aber was wird eigentlich aus der Geschichte zwischen Faust und Mephistopheles und deren Wette?

Daraus wird entstehen, das wollen wir nicht vergessen, ein zweites Stück, ein riesiges zweites Stück, ein gewaltiges zweites Stück. Die Faustdichtung ist hier ja nicht zu Ende. Das denkt man immer so, weil Gretchen gerettet ist. Aber was ist mit Faust? Was ist mit dem Pakt? Was ist mit der Wette im Himmel? Also eigentlich die schweren Eckpunkte des Geschehens, die stehen als Cliffhanger so in der Welt herum und man wüsste gern, was wird denn jetzt. Fast wie in jedem guten Krimi. Da ist ein Beschuldigter, der die unvorstellbarsten Dinge tut, also irgendwie mit dem Teufel und so, und dann ist da Margarethe, wahnsinnig geworden und wird den Kopf verlieren – also, was macht denn der Mann dann? Man müsste unbedingt Faust II spielen!

Das Interview führte die Produktionsdramaturgin Astrid Reibstein im Juli 2013.

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Beispielszene aus der TfN-Strichfassung Studierzimmer

Faust mit dem Pudel hereintretend.

Faust:

Verlassen hab ich Feld und Auen, Die eine tiefe Nacht bedeckt, Mit ahnungsvollem, heil'gem Grauen In uns die beßre Seele weckt. Entschlafen sind nun wilde Triebe Mit jedem ungestümen Tun; Es reget sich die Menschenliebe, Die Liebe Gottes regt sich nun.

Sei ruhig, Pudel! renne nicht hin und wider! An der Schwelle was schnoperst du hier? Lege dich hinter den Ofen nieder, Mein bestes Kissen geb ich dir. Wie du draußen auf dem bergigen Wege Durch Rennen und Springen ergetzt uns hast, So nimm nun auch von mir die Pflege, Als ein willkommner stiller Gast.

Ach wenn in unsrer engen Zelle Die Lampe freundlich wieder brennt, Dann wird's in unserm Busen helle, Im Herzen, das sich selber kennt. Vernunft fängt wieder an zu sprechen, Und Hoffnung wieder an zu blühn, Man sehnt sich nach des Lebens Bächen, Ach! nach des Lebens Quelle hin.

Knurre nicht, Pudel! Zu den heiligen Tönen, Die jetzt meine ganze Seel umfassen, Will der tierische Laut nicht passen. Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen, Was sie nicht verstehn, Daß sie vor dem Guten und Schönen, Das ihnen oft beschwerlich ist, murren; Will es der Hund, wie sie, beknurren?

Aber ach! schon fühl ich, bei dem besten Willen, Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen. Aber warum muß der Strom so bald versiegen, Und wir wieder im Durste liegen? Davon hab ich so viel Erfahrung. Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen, Wir lernen das Überirdische schätzen, Wir sehnen uns nach Offenbarung, Die nirgends würd'ger und schöner brennt Als in dem Neuen Testament. Mich drängt's, den Grundtext aufzuschlagen,

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Mit redlichem Gefühl einmal Das heilige Original In mein geliebtes Deutsch zu übertragen,

(Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an.)

Geschrieben steht: »Im Anfang war das Wort!« Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, Ich muß es anders übersetzen, Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn. Bedenke wohl die erste Zeile, Daß deine Feder sich nicht übereile! Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft? Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft! Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe. Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!

Soll ich mit dir das Zimmer teilen, Pudel, so laß das Heulen, So laß das Bellen! Solch einen störenden Gesellen Mag ich nicht in der Nähe leiden. Einer von uns beiden Muß die Zelle meiden. Ungern heb ich das Gastrecht auf, Die Tür ist offen, hast freien Lauf. Aber was muß ich sehen! Kann das natürlich geschehen? Ist es Schatten? ist's Wirklichkeit? Wie wird mein Pudel lang und breit! Er hebt sich mit Gewalt, Das ist nicht eines Hundes Gestalt! Welch ein Gespenst bracht ich ins Haus! Schon sieht er wie ein Nilpferd aus, Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß. Oh! du bist mir gewiß! Für solche halbe Höllenbrut Ist Salomonis Schlüssel gut.

Geister (auf dem Gange):

Drinnen gefangen ist einer! Bleibet haußen, folg ihm keiner! Wie im Eisen der Fuchs, Zagt ein alter Höllenluchs. Aber gebt acht! Schwebet hin, schwebet wider, Auf und nieder, Und er hat sich losgemacht. Könnt ihr ihm nützen, Laßt ihn nicht sitzen!

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Denn er tat uns allen Schon viel zu Gefallen.

Faust:

Erst zu begegnen dem Tiere, brauch ich den Spruch der Viere: Salamander soll glühen, Undene sich winden, Sylphe verschwinden, Kobold sich mühen.

Wer sie nicht kennte Die Elemente, Ihre Kraft Und Eigenschaft, Wäre kein Meister Über die Geister.

Verschwind in Flammen, Salamander! Rauschend fließe zusammen, Undene! Leucht in Meteoren –Schöne, Sylphe! Bring häusliche Hülfe, Incubus! Incubus! Tritt hervor und mache den Schluß!

Keines der Viere Steckt in dem Tiere. Es liegt ganz ruhig und grinst mich an; Ich hab ihm noch nicht weh getan. Du sollst mich hören Stärker beschwören.

Bist du, Geselle Ein Flüchtling der Hölle? So sieh dies Zeichen Dem sie sich beugen, Die schwarzen Scharen!

Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren. Verworfnes Wesen! Kannst du ihn lesen? Den nie Entsproßnen, Unausgesprochnen, Durch alle Himmel Gegoßnen, Freventlich Durchstochnen?

Hinter den Ofen gebannt, Schwillt es wie ein Elefant Den ganzen Raum füllt es an, Es will zum Nebel zerfließen. Steige nicht zur Decke hinan! Lege dich zu des Meisters Füßen!

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Du siehst, daß ich nicht vergebens drohe. Ich versenge dich mit heiliger Lohe! Erwarte nicht Das dreimal glühende Licht! Erwarte nicht Die stärkste von meinen Künsten!

Mephistopheles tritt, indem der Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender Scholastikus, hinter dem Ofen hervor.

Mephistopheles:

Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten?

Faust:

Das also war des Pudels Kern! Ein fahrender Skolast? Der Kasus macht mich lachen.

Mephistopheles:

Ich salutiere den gelehrten Herrn! Ihr habt mich weidlich schwitzen machen.

Faust:

Wie nennst du dich?

Mephistopheles:

Die Frage scheint mir klein Für einen, der das Wort so sehr verachtet, Der, weit entfernt von allem Schein, Nur in der Wesen Tiefe trachtet.

Faust:

Bei euch, ihr Herrn, kann man das Wesen Gewöhnlich aus dem Namen lesen, Wo es sich allzu deutlich weist, Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt. Nun gut, wer bist du denn?

Mephistopheles:

Ein Teil von jener Kraft, Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Faust:

Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?

Mephistopheles:

Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, Ist wert, daß es zugrunde geht; Drum besser wär's, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt, Mein eigentliches Element.

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Faust:

Du nennst dich einen Teil, und stehst doch ganz vor mir?

Mephistopheles:

Bescheidne Wahrheit sprech ich dir. Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt Gewöhnlich für ein Ganzes hält – Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht, Und doch gelingt's ihm nicht, da es, so viel es strebt, Verhaftet an den Körpern klebt. Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön, Ein Körper hemmt's auf seinem Gange; So, hoff ich, dauert es nicht lange, Und mit den Körpern wird's zugrunde gehn.

Faust:

Nun kenn ich deine würd'gen Pflichten! Du kannst im Großen nichts vernichten Und fängst es nun im Kleinen an.

Mephistopheles:

Und freilich ist nicht viel damit getan. Was sich dem Nichts entgegenstellt, Das Etwas, diese plumpe Welt So viel als ich schon unternommen Ich wußte nicht ihr beizukommen Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand – Geruhig bleibt am Ende Meer und Land! Und dem verdammten Zeug, der Tier- und Menschenbrut, Dem ist nun gar nichts anzuhaben: Wie viele hab ich schon begraben! Und immer zirkuliert ein neues, frisches Blut. So geht es fort, man möchte rasend werden! Der Luft, dem Wasser wie der Erden Entwinden tausend Keime sich, Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten! Hätt ich mir nicht die Flamme vorbehalten, Ich hätte nichts Aparts für mich.

Faust:

So setzest du der ewig regen, Der heilsam schaffenden Gewalt Die kalte TeufelsFaust entgegen, Die sich vergebens tückisch ballt! Was anders suche zu beginnen Des Chaos wunderlicher Sohn!

Mephistopheles:

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Wir wollen wirklich uns besinnen, Die nächsten Male mehr davon! Dürft ich wohl diesmal mich entfernen?

Faust:

Ich sehe nicht, warum du fragst. Ich habe jetzt dich kennen lernen Besuche nun mich, wie du magst. Hier ist das Fenster, hier die Türe, Ein Rauchfang ist dir auch gewiß.

Mephistopheles:

Gesteh ich's nur! daß ich hinausspaziere, Verbietet mir ein kleines Hindernis, Der Drudenfuß auf Eurer Schwelle –

Faust:

Das Pentagramma macht dir Pein? Ei sage mir, du Sohn der Hölle, Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein? Wie ward ein solcher Geist betrogen?

Mephistopheles:

Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen: Der eine Winkel, der nach außen zu, Ist, wie du siehst, ein wenig offen.

Faust:

Das hat der Zufall gut getroffen! Und mein Gefangner wärst denn du? Das ist von ungefähr gelungen!

Mephistopheles:

Der Pudel merkte nichts, als er hereingesprungen, Die Sache sieht jetzt anders aus: Der Teufel kann nicht aus dem Haus.

Faust:

Doch warum gehst du nicht durchs Fenster?

Mephistopheles:

's ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster: Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus. Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte.

Faust:

Die Hölle selbst hat ihre Rechte? Das find ich gut, da ließe sich ein Pakt, Und sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schließen?

Mephistopheles:

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Was man verspricht, das sollst du rein genießen, Dir wird davon nichts abgezwackt. Doch das ist nicht so kurz zu fassen, Und wir besprechen das zunächst Doch jetzo bitt ich, hoch und höchst, Für dieses Mal mich zu entlassen.

Faust:

So bleibe doch noch einen Augenblick, Um mir erst gute Mär zu sagen.

Mephistopheles:

Jetzt laß mich los! ich komme bald zurück; Dann magst du nach Belieben fragen.

Faust:

Ich habe dir nicht nachgestellt, Bist du doch selbst ins Garn gegangen. Den Teufel halte, wer ihn hält! Er wird ihn nicht so bald zum zweiten Male fangen.

Mephistopheles:

Wenn dir's beliebt, so bin ich auch bereit, Dir zur Gesellschaft hier zu bleiben; Doch mit Bedingnis, dir die Zeit Durch meine Künste würdig zu vertreiben.

Faust:

Ich seh es gern, das steht dir frei; Nur daß die Kunst gefällig sei!

Mephistopheles:

Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen In dieser Stunde mehr gewinnen Als in des Jahres Einerlei. Was dir die zarten Geister singen, Die schönen Bilder, die sie bringen, Sind nicht ein leeres Zauberspiel. Auch dein Geruch wird sich ergetzen, Dann wirst du deinen Gaumen letzen, Und dann entzückt sich dein Gefühl. Bereitung braucht es nicht voran, Beisammen sind wir, fanget an!

Geister:

Schwindet, ihr dunkeln Wölbungen droben! Reizender schaue Freundlich der blaue Äther herein! Wären die dunkeln Wolken zerronnen! Sternelein funkeln,

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Mildere Sonnen Scheinen darein. Himmlischer Söhne Geistige Schöne, Schwankende Beugung Schwebet vorüber. Sehnende Neigung Folget hinüber; Und der Gewänder Flatternde Bänder Decken die Länder, Decken die Laube, Wo sich fürs Leben, Tief in Gedanken, Liebende geben. Laube bei Laube! Sprossende Ranken! Lastende Traube Stürzt ins Behälter Drängender Kelter, Stürzen in Bächen Schäumende Weine, Rieseln durch reine, Edle Gesteine, Lassen die Höhen Hinter sich liegen, Breiten zu Seen Sich ums Genüge Grünender Hügel. Und das Geflügel Schlürfet sich Wonne, Flieget der Sonne, Flieget den hellen Inseln entgegen, Die sich auf Wellen Gauklend bewegen; Wo wir in Chören Jauchzende hören, Über den Auen Tanzende schauen, Die sich im Freien Alle zerstreuen. Einige klimmen Über die Höhen, Andere schwimmen Über die Seen, Andere schweben; Alle zum Leben, Alle zur Ferne Liebender Sterne, Seliger Huld.

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Mephistopheles:

Er schläft! So recht, ihr luft'gen zarten Jungen! Ihr habt ihn treulich eingesungen! Für dies Konzert bin ich in eurer Schuld. Du bist noch nicht der Mann, den Teufel festzuhalten! Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten, Versenkt ihn sei in ein Meer des Wahns; Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten, Bedarf ich keines Rattenzahns. Nicht lange brauch ich zu beschwören, Schon raschelt eine hier und wird sogleich mich hören.

Der Herr der Ratten und der Mäuse, Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse Befiehlt dir, dich hervor zu wagen Und diese Schwelle zu benagen, So wie er sie mit Öl betupft – Da kommst du schon hervorgehupft! Nur frisch ans Werk! Die Spitze, die mich bannte, Sie sitzt ganz vornen an der Kante. Noch einen Biß Wisch, so ist's geschehn. – Nun, Fauste, träume fort, bis wir uns wiedersehn.

Faust (erwachend):

Bin ich denn abermals betrogen? Verschwindet so der geisterreiche Drang Daß mir ein Traum den Teufel vorgelogen, Und daß ein Pudel mir entsprang?

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