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Skript Grundfall Klausurfall STRAFRECHT BT II Mord und Totschlag Tötung auf Verlangen Körperverletzungsdelikte Nötigung Freiheitsberaubung Beleidigungsdelikte Hausfriedensbruch RA Christoph Zimmermann Dr. Dirk Schweinberger 3. Auflage, September 2016 Jura Intensiv

Skript Grundfall Klausurfall STRAFRECHT BT II · Skript Grundfall Klausurfall STRAFRECHT BT II Mord und Totschlag Tötung auf Verlangen Körperverletzungsdelikte Nötigung Freiheitsberaubung

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SkriptGrundfall

Klausurfall

STRAFRECHT BT II

Mord und Totschlag

Tötung auf Verlangen

Körperverletzungsdelikte

Nötigung

Freiheitsberaubung

Beleidigungsdelikte

Hausfriedensbruch

RA Christoph ZimmermannDr. Dirk Schweinberger3. Auflage, September 2016

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Herr RA Christoph Zimmermann ist seit über 24 Jahren Dozent bei dem bundes-weiten Repetitorium JURA INTENSIV.

Herr Dr. Dirk Schweinberger ist Assessor und Franchisenehmer des Repetitoriums JURA INTENSIV in Frankfurt, Gießen, Heidelberg, Mainz, Marburg und Saarbrücken. Er wirkt seit über 15 Jahren als Dozent des Repetitoriums und ist Redakteur der Ausbildungszeitschrift RA – Rechtsprechungs-Auswertung. In den Skriptenreihen von JURA INTENSIV ist er Autor bzw. Co-Autor der Skripte: Strafrecht AT I und II, Strafrecht BT II, Irrtumslehre, Arbeitsrecht, Crashkurs Strafrecht, Crashkurs Handels-recht, Crashkurs Arbeitsrecht, Crashkurs Gesellschaftsrecht, Pocket Handelsrecht, Pocket Strafrecht AT, Pocket Strafrecht BT I und II.

AutorenRA Christoph ZimmermannDr. Dirk Schweinberger

Verlag und VertriebJura Intensiv Verlags UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG Zeil 6560313 Frankfurt am [email protected]

VerlagslektorinInes Hickl

Konzept und GestaltungStefanie Körner

Druck und BindungCopyline GmbH, Albrecht-Thaer-Straße 10, 48147 Münster

ISBN 978-3-946549-13-0

Dieses Skript oder Teile dieses Skriptes dürfen nicht vervielfältigt, in Datenbanken gespeichert oder in irgendeiner Form übertragen werden ohne die schriftliche Genehmigung des Verlages.

© September 2016, Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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VORWORT

Dieses Skript enthält eine systematische Darstellung des Besonderen Teils des StGB. Der vorliegende zweite Band beinhaltet die Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter. Hierbei werden insbesondere die Straftaten gegen das Leben und die Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit in den Mittelpunkt gestellt. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Freiheitsdelikte (Nötigung und Freiheits- beraubung) sowie die Beleidigungsdelikte.Die Darstellung orientiert sich an den Bedürfnissen von Studierenden. Das Skript wendet sich an Anfänger zur Vorbereitung auf universitäre Klausuren und Examens- kandidaten gleichermaßen, indem es zunächst die Grundstrukturen erklärt, um sodann das examensnotwendige Detailwissen zu vermitteln. Didaktisches Ziel dieses Skripts ist es, Klausurwissen und Klausurtechnik zu vermitteln.

Zu diesem Zweck ist das Skript in vier Schritte unterteilt:

1. Schritt: Kurze Einführung zu jedem Thema

2. Schritt: Prüfungsschema Allen wichtigen Tatbeständen sind Aufbauschemata vorangestellt, welche die Gliederung einer entsprechenden Klausur veranschaulichen. Die inhaltlichen Ausführungen orientieren sich am Prüfungsschema, damit stets deutlich ist, welches Problem an welcher Stelle im Gutachten zu behandeln ist.

3. Schritt: Details zu jedem Thema Systematisch werden die klausurrelevanten Probleme und die gängigen Meinungsstreitigkeiten dargestellt.

4. Schritt: Hinweise zur gutachterlichen Falllösung Alle Fälle sind im Gutachtenstil gelöst. Immer wieder werden Merksätze gebildet, Formulierungsbeispiele gegeben und Klausurhinweise zur Gutachtentechnik erteilt. Marginalien am Rande weisen auf Alternativen hin, ohne den Lesefluss zu stören.

Die Ausführungen sind mit stets anschaulichen Beispielen versehen. Definitionen und Merksätze sind besonders hervorgehoben. Uber 1.300 Fußnoten geben vertie-fende Hinweise auf aktuelle Rechtsprechung und Literatur.

Für Anregungen, Verbesserungsvorschläge und Kritik sind wir besonders dankbar. Sie erreichen uns im Internet unter www.verlag.jura-intensiv.de und per E-Mail über [email protected].

Christoph Zimmermann Dr. Dirk Schweinberger

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INHALT

STRAFTATEN GEGEN DIE PERSON 1

STRAFTATEN GEGEN DAS LEBEN 2

A. Einleitung 2

1. Teil – Totschlag, § 212 I StGB 2

A. Prüfungsschema 2

B. Systematik und Vertiefung 2

2. Teil – Mord, § 211 II StGB 6

A. Einleitung 6

B. Prüfungsschema 7

C. GRUNDFALL: „ Eine Frage der Ehre“ 8

D. Systematik und Vertiefung 9

3. Teil – Täterschaft und Teilnahme bei Mord und Totschlag 32

A. Allgemein 32

B. Prüfungsschema für den Teilnehmer 33

C. Teilnahme bei Vorliegen tatbezogener Merkmale 33

D. Teilnahme bei Vorliegen täterbezogener Merkmale 33

E. KLAUSURFALL: „Die Verwechslung“ 37

4. Teil – Tötung auf Verlangen, § 216 I StGB 40

A. Einleitung 40

Prüfungsschema: Tötung auf Verlangen, § 216 I 41

B. GRUNDFALL: „Der lebensmüde Witwer“ 41

C. Systematik und Vertiefung 42

D. Teilnahme an einer Selbsttötung/Tötung in mittelbarer Täterschaft/ Nichtverhinderung eines Suizids/Sterbehilfe 47

5. Teil – Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, § 217 StGB 61

A. Allgemein 61

B. Prüfungsschema, § 217 StGB 63

C. Systematik und Vertiefung 63

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6. Teil – Fahrlässige Tötung, § 222 StGB 67

A. Allgemein 67

B. Prüfungsschema: Der Aufbau des fahrlässigen Begehungserfolgsdelikts 67

C. Systematik und Vertiefung 68

D. KLAUSURFALL: „Es ist rot!“ 70

7. Teil – Aussetzung, § 221 I StGB 73

A. Einleitung 73

B. Prüfungsschema, Grundtatbestand § 221 I StGB 73

C. GRUNDFALL: „Eine kalte Nacht“ 73

D. Systematik und Vertiefung 75

Prüfungsschema: § 221 II Nr. 1 StGB 78

Prüfungsschema: § 221 III StGB 79

STRAFTATEN GEGEN DAS WERDENDE LEBEN, SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH, §§ 218 – 219 b StGB 84

A. Einleitung 84

Prüfungsschema: Schwangerschaftsabbruch, § 218 StGB 84

B. Systematik und Vertiefung 85

I. Abbrechen der Schwangerschaft 85

II. Täterkreis 85

III. Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, § 218a I – III StGB 86

IV. Strafzumessungsgründe, § 218 II StGB 87

V. Konkurrenzen 87

STRAFTATEN GEGEN DIE KÖRPERLICHE UNVERSEHRTHEIT 89

1. Teil – Einfache Körperverletzung, § 223 I StGB 89

A. Einleitung 89

B. Prüfungsschema 89

C. Systematik und Vertiefung 90

2. Teil – Gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB 95

A. Einleitung 95

B. Prüfungsschema 95

C. GRUNDFALL: „Eine böse Falle“ 96

D. Systematik und Vertiefung 98

3. Teil – Misshandlung von Schutzbefohlenen, § 225 StGB 105

A. Einleitung 105

B. Prüfungsschema 106

C. Systematik und Vertiefung 107

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4. Teil – Schwere Körperverletzung, § 226 StGB 114

A. Einleitung 114

B. Prüfungsschema, § 226 I StGB 114

C. GRUNDFALL: „Rache“ 115

D. Systematik und Vertiefung 116

Prüfungsschema: Versuch der Erfolgsqualifikation, § 226 I, II StGB 124

Prüfungsschema: Grunddelikt vollendet, schwere Folge versucht 125

Prüfungsschema: Grunddelikt versucht, schwere Folge eingetreten 126

5. Teil – Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 StGB 127

A. Einleitung 127

B. Prüfungsschema, § 227 I StGB 127

C. GRUNDFALL: „Der Türsteher“ 127

D. Systematik und Vertiefung 129

Prüfungsschema: Teilnahme bei § 227 I StGB 136

E. KLAUSURFALL: Hooligans 137

6. Teil – Körperverletzung im Amt, § 340 StGB 144

A. Einleitung 144

B. Prüfungsschema, § 340 I StGB 144

C. Systematik und Vertiefung 144

7. Teil – Beteiligung an einer Schlägerei, § 231 I StGB 146

A. Einleitung 146

B. Prüfungsschema 146

C. GRUNDFALL: „Schützenfest“ 147

D. Systematik und Vertiefung 148

8. Teil – Fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB 155

9. Teil – Einwilligung des Verletzten, Sittenwidrigkeit der Einwilligung, § 228 StGB 155

A. Unwirksamkeit der Einwilligung 155

B. Verstoß gegen die guten Sitten 155

C. Irrtumsfälle 157

DELIKTE GEGEN DIE FORTBEWEGUNGSFREIHEIT UND FREIHEIT DER WILLENSENTSCHLIESSUNG 158

1. Teil – Nötigung, § 240 StGB 158

A. Allgemein 158

B. Prüfungsschema 158

C. GRUNDFALL: „Das Geständnis“ 158

D. Systematik und Vertiefung 160

2. Teil – Bedrohung, § 241 StGB 178

A. Bedrohungstatbestand, § 241 I StGB 178

B. Vortäuschungstatbestand, § 241 II StGB 179

C. Konkurrenzen 179

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3. Teil – Freiheitsberaubung, § 239 StGB 180

A. Prüfungsschema 180

B. Systematik und Vertiefung 180

4. Teil – Nachstellung, § 238 StGB 187

A. Prüfungsschema 187

B. Systematik und Vertiefung 188

5. Teil – Menschenraub, § 234 StGB 197

A. Tatobjekt 197

B. Tathandlung 197

C. Subjektiver Tatbestand 197

6. Teil – Entziehung Minderjähriger, § 235 StGB 198

A. Tatobjekt 198

B. Tathandlungen 198

C. Tatmittel 199

D. Täterkreis 199

E. Qualifikation des § 235 IV StGB 199

F. Erfolgsqualifikation, § 235 V StGB 199

7. Teil – Zwangsheirat, § 237 StGB 199

A. Allgemein 199

B. § 237 I StGB 199

C. § 237 II StGB 200

DELIKTE GEGEN DIE EHRE, §§ 185 ff. StGB 202

A. Einleitung 202

B. Systematik der §§ 185 – 187 StGB 203

1. Teil – Beleidigung, § 185 StGB 204

A. Anwendungsbereich 204

B. Prüfungsschema 204

C. Systematik und Vertiefung 205

2. Teil – Üble Nachrede, § 186 StGB 218

A. Anwendungsbereich 218

B. Prüfungsschema 219

C. Vertiefung 219

3. Teil – Verleumdung, § 187 StGB 224

A. Verhältnis zu § 186 StGB 224

B. Prüfungsschema 224

C. Vertiefung 224

4. Teil – Formalbeleidigung, § 192 StGB 226

5. Teil – Verunglimpfen des Andenkens Verstorbener, § 189 StGB 226

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6. Teil – Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB 227

A. Allgemein 227

B. Systematik und Vertiefung 228

STRAFTATEN GEGEN DEN PERSÖNLICHEN LEBENS- UND GEHEIMBEREICH UND SONSTIGE PERSÖNLICHE RECHTSGÜTER, §§ 201 – 205 StGB 234

1. Teil – Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 StGB 234

A. Allgemein 234

B. Systematik 234

2. Teil – Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, § 201a StGB 238

A. Allgemein 238

B. Systematik und Vertiefung 238

3. Teil – Verletzung des Briefgeheimnisses, § 202 StGB 241

A. Allgemein 241

B. Systematik und Vertiefung 241

4. Teil – Ausspähen von Daten, § 202a I StGB 244

A. Allgemein 244

B. Prüfungsschema 245

C. GRUNDFALL: „Banker auf Abwegen“ 245

D. Systematik und Vertiefung 246

5. Teil – Abfangen von Daten, § 202b StGB 253

A. Allgemein 253

B. Systematik 253

6. Teil – Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten, § 202c StGB 254

7. Teil – Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 StGB 255

A. Allgemein 255

B. Prüfungsschema 255

C. Systematik und Vertiefung 255

8. Teil – Hausfriedensbruch, § 123 I StGB 263

A. Einleitung 263

B. Prüfungsschema 263

C. GRUNDFALL: „Der rabiate Vertreter“ 264

D. Systematik und Vertiefung 265

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6 Straftaten gegen das Leben

2. Teil – Mord, § 211 II StGB

A. EinleitungKennzeichnend für den Mord ist die Tötung eines anderen Menschen unter Ver-wirklichung von Mordmerkmalen, die entweder eine besonders verwerfliche Bege-hungsweise (tatbezogene Mordmerkmale der 2. Gruppe) oder eine besonders verachtenswerte Gesinnung des Täters ( täterbezogene Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe) aufweisen.Aufgrund der absoluten Strafandrohung von lebenslanger Freiheitsstrafe sind die Mordmerkmale restriktiv auszulegen, damit die Bestrafung des Täters im Verhältnis zur Schwere sowie zum Schuldgehalt seiner Tat angemessen ist.25

Umstritten ist das Verhältnis zwischen Mord und Totschlag. Nach h.L. handelt es sich bei § 211 StGB um einen qualifizierten Fall des Totschlags gem. § 212 StGB.26 Begründet wird dies u.a. damit, dass im Mord alle Elemente des Totschlags enthalten sind und sich die Strafverschärfung aus einer besonders verwerflichen Gesinnung oder Begehungsweise ergibt, was charakteristisch für eine Qualifikation.27

Die Rechtsprechung hält bislang daran fest, dass es sich bei § 211 StGB und § 212 StGB um eigenständige Straftatbestände handelt.28 Begründet wird dies u.a. mit der systematischen Stellung im Gesetz, da § 211 StGB vor § 212 StGB genannt ist, ferner damit, dass in § 211 StGB ausdrücklich vom „Mörder“ und in § 212 StGB vom „Totschläger“ die Rede ist und damit der Gesetzgeber die Eigenständigkeit der Tat-bestände hervorheben wollte.29 Bemerkenswert ist indes, dass der BGH in einer (vereinzelt gebliebenen) Entscheidung erstmals eingeräumt hat, dass einiges für die Ansicht der Lehre spricht, da die Auf-fassung der Rechtsprechung zu Problemen im Bereich der Teilnehmerstrafbarkeit führen könne.30 Da es sich aber lediglich um ein obiter dictum handelte, ist zurzeit immer noch nach Rechtsprechung von der Eigenständigkeit der Tatbestände auszugehen.

KLAUSURHINWEISDer Streit hat Bedeutung im Bereich der Teilnahme, da es hier um die Frage geht, ob bei den täterbezogenen Mordmerkmalen § 28 I StGB (so der BGH) oder § 28 II StGB (so die h.L.) zur Anwendung kommt. Bei Prüfung eines Einzeltäters kann der Streit jedoch dahinstehen und ist nicht näher darzustellen. Proble-matisch ist die Frage nach der korrekten Paragrafen-Zitierung: Die Zitierung „§§ 212 I, 211 StGB“ impliziert, dass man den Mord mit der h.L. als unselbst-ständige Qualifikation ansieht. Deshalb wird teilweise empfohlen, man sollte nur „§ 211 StGB“ zitieren, da man sich damit zum Meinungsstreit nicht positi-oniere. Auch dies ist aber eine angreifbare These, da in der BGH-Praxis für den Mord stets nur „§ 211 StGB“ zitiert wird, diese zitierweise also nicht zwingend als „neutral“ eingeordnet werden kann. Es empfiehlt sich insoweit, auf die ört-lichen Besonderheiten der jeweiligen Universität zu achten.

25 BVerfGE 45, 187, 26726 Rengier, BT II, § 4 Rn 1, Wessel/Hettinger, BT 1, Rn 6927 Fischer, StGB, § 211 Rn 34; S/S-Eser/Sternberg-Lieben, StGB, Vor §§ 211 ff. Rn 5 f.28 BGHSt 1, 368, 37029 BGH, NJW 2005, 996, 99730 BGH, NJW 2006, 1008, 1012

24

25

Verhältnis § 211 zu § 212

h.L.: Mord als Qualifikation

2627

BGH: Mord als eigenständiges Delikt

28

29

Paragrafen- Zitierung in der Klausur

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72. Teil – Mord, § 211 II StGB

Da derzeit noch völlig unklar ist, ob und wann die „eigentlich“ geplante Reform der §§  212, 211 StGB vom Gesetzgeber umgesetzt werden wird, wird auf die vorlie-genden Entwürfe und Vorschläge im Haupttext nicht näher eingegangen.31

B. Prüfungsschema

MORD, § 211 II StGB

A. TatbestandI. Tod eines anderen Menschen

II. Handlung/KausalitätIII. Objektive ZurechnungIV. Mordmerkmale 2. Gruppe

1. Heimtücke2. Grausamkeit3. Mit gemeingefährlichen Mitteln

V. VorsatzVI. Mordmerkmale 1. Gruppe

1. Mordlust2. Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs3. Habgier4. Sonst niedrige Beweggründe

VII. Mordmerkmale 3. Gruppe Ermöglichungsabsicht, Verdeckungsabsicht

B. RechtswidrigkeitC. Schuld

31 Ausgangspunkt der Reformdebatte ist die Überlegung, dass § 211 StGB als Verkörperung der national-sozialistisch geprägten Tätertypenlehre zu begreifen und daher überholungsbedürftig sei (vgl. Wortlaut: „Mörder ist, wer …“ statt der üblichen Formulierung „Wer …“). Auch die Mordmerkmale selbst werden als Ausdruck national-sozialistischen Gedanken- guts verstanden. Allerdings muss man dabei berücksichtigen, dass nur zwei Mordmerkmale tatsächlich einen solchen Ursprung aufweisen, nämlich die Merkmale „zur Befriedigung des Geschlechtstriebs“ und „niedrige Beweggründe“. Alle Übrigen stammen aus einem Vorentwurf des Schweizerischen Strafgesetzbuchs von 1894 (dazu Köhne, JuS 2014, 1071, 1071.). Der vorgelegte Bericht der Expertenkommission weist dennoch zu Recht auf die Reformbedürftigkeit der Vorschrift hin und schlägt vor, die Worte „Mörder“ und „Totschläger“ zu beseitigen, die Mordmerkmale im Übrigen allerdings grundsätzlich beizubehalten, was selbst für umstrittene Merkmale wie „Heimtücke“, „niedrige Beweggründe“ und „Verdeckungsabsicht“ gelten soll. Ebenso wird nicht für ausgeschlossen erklärt, an den Mordmerkmalen „Mordlust, Habgier, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln, Absicht der Straftatermöglichung“ festzuhalten und allenfalls kleinere Sprachänderungen vorzunehmen. Jedoch ist man sich einig, dass auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite größere Korrekturen erforderlich sind. So sollen zusätzliche besondere Motivmerkmale aufgenommen werden, etwa wenn der Täter sein Opfer wegen dessen Geschlechts, wegen der Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder rassischen Gruppe, wegen seines religiösen Bekenntnisses oder seiner sexuellen Identität oder Orientierung tötet. Die Heimtücke soll zwar beibehalten werden, aber gegebenenfalls durch die Wendung „mittels eines hinterhältigen Angriffs“ oder „durch Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit oder einer aus anderen Gründen bestehenden Schutzlosigkeit“ ersetzt werden. Auch soll ein Mordmerkmal „Mehrfachtötung“ aufgenommen werden. Schließlich ist beabsichtigt, auf der Rechtsfolgenseite Korrekturen vorzunehmen. Danach sollen Täter eines Mordes auch in Zukunft mit lebenslanger Freiheits- strafe bestraft werden. Jedoch wird vorgeschlagen, die Möglichkeit der Abweichung von der lebenslangen Freiheitsstrafe in Fällen erheblich verminderten Unrechts oder erheblich verminderter Schuld zu schaffen. Man wird abwarten müssen, inwieweit sich ein gemeinsamer Standpunkt finden lässt, der am Ende tatsächlich zu einer Umsetzung der Änderungsvor- schläge der Expertenkommission führen könnte. (Vorstehender Text – mit kleinen Änderungen – von Jäger, JA 2015, 711, 711 f.)

31 Gesetzgebung

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PRÜFUNGSSCHEMA

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8 Straftaten gegen das Leben

C. Grundfall: „Eine Frage der Ehre“

F hatte sich von ihrem Ehemann E getrennt, nachdem sie erfahren hatte, dass dieser während ihrer Ehe zahlreiche Affären hatte. E, der sich in seinem männlichen Stolz verletzt fühlt, hat sie in der Vergangenheit mehrfach bedrängt wieder zu ihm zurück-zukehren und gedroht, ihr andernfalls etwas anzutun. Als F die Scheidung einreicht und ihm gleichzeitig mitteilt, sie habe einen neuen Partner, ruft er wutentbrannt bei ihr an und verlangt ein „klärendes Gespräch“ mit ihr in ihrer Wohnung. Er ist zu dem Zeitpunkt bereits fest entschlossen, F zu erschießen, falls sie nicht zu ihm zurück-kehrt. Dort angekommen entbrennt alsbald ein heftiger Streit zwischen den beiden, in dessen Verlauf E der F mehrmals androht, sie zu erschießen, falls sie nicht die Scheidung zurücknehme und sich von ihrem Freund nicht trenne. F, die weiß, dass E eine Pistole besitzt und auch davon ausgeht, dass E diese dabeihabe entgegnet hierauf, lieber lasse sie sich erschießen, als zu ihm zurückzukehren. E zieht daraufhin seine Waffe, richtet sie auf F und drückt zweimal ab. Die Kugeln treffen F in der Brust und sind sofort tödlich.Hat E sich gem. § 211 II StGB strafbar gemacht?

E könnte sich dadurch, dass er auf F geschossen hat gem. §  211 II StGB wegen Mordes strafbar gemacht haben.

A. TatbestandE müsste zunächst den Tatbestand des § 211 II StGB verwirklicht haben.

I. TOD EINES ANDEREN MENSCHENDer tatbestandliche Erfolg, der Tod der F ist eingetreten.

II. HANDLUNG/KAUSALITÄTDie Schüsse des E können nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg ent-fiele, daher war die Handlung kausal für den Erfolgseintritt.

III. OBJEKTIVE ZURECHNUNGIm Erfolg hat sich auch die von E geschaffene Gefahr realisiert, sodass ihm der Erfolg zuzurechnen ist.

IV. MORDMERKMALE 2. GRUPPEIn Betracht kommen könnte das Mordmerkmal der Heimtücke. Heimtückisch handelt, wer die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des Opfers in feindse-liger Willensrichtung ausnutzt. Arglos ist das Opfer, wenn es sich im Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens des Täters keines Angriffs auf Leib oder Leben versieht. Aufgrund seiner Arglosigkeit muss das Opfer wehrlos sein, darf also keine oder nur eingeschränkte Verteidigungsmöglichkeiten besitzen.Vor der Tat gab es zwischen E und F einen heftigen Streit, in dessen Verlauf E bereits gedroht hatte, die F umzubringen. F, die zudem davon ausging, dass E eine Waffe dabeihabe, war somit nicht arglos, da sie mit einem Angriff rechnen musste. Das Merkmal der Heimtücke liegt daher nicht vor.

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SACHVERHALT

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9Grundfall: „Eine Frage der Ehre“

V. VORSATZE handelte im Wissen, dass die Schüsse tödlich sein könnten und damit vorsätzlich.

VI. MORDMERKMALE 1. GRUPPEIn Betracht kommen könnte das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweg-gründe. Niedrige Beweggründe sind alle Tatantriebe die moralisch verachtenswert und sittlich auf allertiefster Stufe stehen. E fühlte sich durch die Trennung in seiner männlichen Ehre verletzt und handelte aus Eifersucht, weil sich die F einem anderen Mann zugewandt hatte. Eifersucht ist ein niedriger Beweggrund, wenn diese auf krassem Besitzdenken beruht. Da E zudem nicht aus einer affektiven Erregung heraus handelte, sondern von vornherein die Tötung geplant hatte, falls die F nicht zu ihm zurückkehrt, liegen sonstige niedrige Beweggründe vor.

B. Rechtswidrigkeit und SchuldE handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.

C. ErgebnisE ist strafbar gem. § 211 II StGB.

D. Systematik und VertiefungDa die Prüfung der tatbezogenen Mordmerkmale im Aufbau vor den täterbezogenen Mordmerkmalen erfolgt, werden zunächst die Merkmale der 2. Gruppe dargestellt.

KLAUSURHINWEISDas Gutachten kann auf zwei unterschiedliche Weisen aufgebaut werden. Einerseits kann zuerst der Totschlag (1. objektiv und 2. subjektiv) und dann die Mordmerkmale (1. objektiv und 2. subjektiv) geprüft werden. Ande-rerseits kann aber auch zunächst ein einheitlicher objektiver Tatbestand (1. Totschlag und 2. die objektiven Mordmerkmale) und dann ein einheit-licher subjektiver Tatbestand (1. Vorsatz zum Totschlag und 2. Vorsatz zu den objektiven Mordmerkmalen und dann die subjektiven Mordmerkmale) geprüft werden. Das erste Vorgehen wird vor allem für Klausuren empfohlen. Es ist übersichtlicher, weil die Tatbestandsmerkmale „schrittweise“ abgear-beitet werden.

I. TATBEZOGENE MORDMERKMALE, 2. GRUPPEKennzeichnend für die Mordmerkmale der 2. Gruppe ist die besonders verwerfliche Begehungsweise bei der Tötungshandlung. Es handelt sich sämtlich um objektive Mordmerkmale, die also auch im objektiven Teil des Gutachtens zu prüfen sind.

1. HeimtückeDa derzeit noch völlig unklar ist, ob und wann die „eigentlich“ geplante Reform vor allem des Mordmerkmals der Heimtücke vom Gesetzgeber umgesetzt werden wird, wird auf die vorliegenden Entwürfe und Vorschläge nicht näher eingegangen.

FALLENDE

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Aufbau des Gutachtens

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Objektive Mordmerkmale

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37 Gesetzgebung

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10 Straftaten gegen das Leben

DEFINITIONHeimtücke ist die bewusste Ausnutzung der auf Arglosigkeit beruhenden Wehr-losigkeit des Opfers in feindseliger Willensrichtung.32 Das Opfer ist arglos, wenn es sich im Zeitpunkt des Eintritts in das Versuchsstadium keines Angriffs auf sein Leben oder eines erheblichen Angriffs auf die körperliche Integrität versieht.33 Wehrlos ist das Opfer, wenn es aufgrund der Arglosigkeit nicht in der Lage ist sich zu vertei-digen oder in seinen Verteidigungsmöglichkeiten stark eingeschränkt ist.34

In Anwendung dieser Definition auf den Einzelfall ergeben sich viele typische Fall-gruppen, deren Kenntnis in der Prüfung verlangt wird.

a) Einzelfragen

aa) Schlafende und bewusstlose PersonenDa Arglosigkeit voraussetzt, dass das Opfer in der Lage ist Argwohn zu entwickeln, ist Heimtücke bei der Tötung Schwerkranker, nicht mehr ansprechbarer oder besin-nungsloser Menschen abzulehnen.35 Anders dagegen bei Schlafenden, da diese ihre Arglosigkeit grundsätzlich mit in den Schlaf nehmen.36 Ewas anderes kann aber dann gelten, wenn es zwischen Täter und Opfer eine heftige Auseinandersetzung gegeben hatte und das Opfer mit einem eventuellen Angriff des Täters rechnen musste, bevor es sich schlafen legte.37

Im Urteil „Familientyrann II“ sah der BGH die Sachlage aber anders: „ Die Angeklagte hatte in der Vergangenheit die Demütigungen und Misshandlungen durch ihren Mann ohne Gegenwehr über sich ergehen lassen. Es lag deshalb außer Betracht, dass dieser zum Zeitpunkt seines Einschlafens mit einer erheblichen körperlichen Attacke durch die Angeklagte gerechnet hätte. Schließlich erschoss die Angeklagte ihren Mann gezielt im Schlaf, weil sie es nicht wagte, ihm offen feindselig gegen-überzutreten.“ 38

Schon hier zeigt sich in drastischer Weise die Schwäche des Mordmerkmals der Heimtücke: Man sollte doch spüren, dass es nicht angemessen ist, der gepei-nigten und unterlegenen Frau Feigheit und fehlende Mannhaftigkeit vorzuwerfen. Vielmehr macht die Art ihrer vorsätzlichen Tötung die schon angesprochene strukturelle Schwäche der Heimtücke bei der Tötung eines schlafenden Familien-tyrannen namentlich durch das weibliche Opfer nur allzu deutlich.39 Die Heimtücke- Verurteilung wird somit zum „Privileg“ des Schwachen (meist der Frau), der den offenen Kampf nicht suchen kann.40

32 BGHSt 30, 105, 117 ff. (GrS)33 BGH, NJW, 1991, 1963; Küper, JuS 2000, 742 ff34 BGH, GA 1971, 11335 BGH, StV 1998, 545; BGH, NStZ 1997, 490, 49136 BGHSt 23, 119; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn 12037 S/S-Eser/Sternberg-Lieben, StGB, § 211 Rn 2438 BGH, BeckRS 2003, 04385 unter A. II. 2. der Gründe (insoweit in NStZ 2003, 482 nicht abgedruckt).39 Rengier, NStZ 2004, 233, 23540 Der Spiegel Nr. 37/1991, 198ff. berichtete von Protesten in England gegen Urteile, die Frauen für Tyrannentötungen wegen heim- tückischen Mordes zu lebenslangem Gefängnis verurteilten. Der Protest richtete sich gegen eine „männerorientierte” Gesetzes- auslegung: Während der typische Mann im Affekt zuschlage und daher mit Totschlag davonkomme, führe die weibliche Psyche meistens erst nach einer jahrelangen Kette von Demütigungen zu einer Reaktion, die als Mord eingestuft werde.

38Definition: Heimtücke

39

Tötung schlafender, bewusstloser Personen

40

Familientyrann 41

Schwäche des Mordmerkmals Heimtücke

42 Jura

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112. Teil – Mord, § 211 II StGB

Trotz dieser Schwächen gelingt es der Praxis meistens, vernünftige Ergebnisse zu erzielen, indem sie mit Hilfe besonderer Anforderungen an die innere Tatseite (dem sog. Ausnutzungsbewusstsein) die Anwendung des Heimtückemerkmals steuert. Kritiker bemängeln daran freilich, dass es sich um eine dogmatisch unklare Verle-genheitslösung handle, die an fehlender Transparenz leide.41

bb) Das vorgewarnte OpferGenerell ist die Annahme von Heimtücke stets problematisch, wenn das Opfer „vor-gewarnt“ war. Nicht ausgeschlossen ist die Heimtücke jedenfalls, wenn der Täter dem Opfer zwar offen entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen.42

BEISPIEL 1 (nach BGH, NStZ-RR 2006, 10): Das Opfer G stellte Kaffee und Kuchen auf den Tisch. Plötzlich griff T mit den Worten „Geli, es ist soweit!“ an und tötete G.

In Beispiel 1 hat der BGH – zutreffend – die Heimtücke bejaht.

BEISPIEL 2 (nach BGH, NStZ 2007, 268): T kündigt nach einem heftigen Streit an: „Ich komme jetzt zu dir ins Restaurant und mach dich platt.“

In Beispiel 2 hat der BGH die Heimtücke verneint: Derjenige, der heimtückisch handeln wolle, pflege seine Tat nicht kurz zuvor anzukündigen.43

Eine auf früheren Aggressionen des späteren Täters beruhende latente Angst des Opfers um sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit hebt die Arglosigkeit des Opfers erst dann auf, wenn es deshalb im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet. Ein Wegfall der Arglosigkeit ist also erst dann in Betracht zu ziehen, wenn für das Opfer ein akuter Anlass für die Annahme bestand, dass der ständig befürchtete schwerwiegende Angriff auf sein Leben oder seine körperliche Unver-sehrtheit nun unmittelbar bevorsteht.44

Auch steht der Heimtücke nicht entgegen, dass das Opfer aufgrund seiner Rolle bewaffnet ist (Polizeibeamter) oder aufgrund anderer Umstände (Politiker) latent mit einem Angriff rechnen muss, sofern in der konkreten Tatsituation hierfür kein Anlass bestand.45

Die Arglosigkeit fehlt i.d.R. auch bei einer vorausgegangenen feindseligen Ausein-andersetzung. Verbale Streitigkeiten stehen, selbst wenn sie der Tötungshandlung unmittelbar vorausgehen, der Heimtücke aber nicht generell entgegen. Es kommt auch in einem solchen Fall auf die Arglosigkeit des Opfers gegenüber einem Angriff auf Leben oder körperliche Unversehrtheit an. Eine tatsächlich vorhandene Arglo-sigkeit wird also nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Opfer nach den Umständen

41 Zur Kritik vgl. Frommel, StV 1987, 293; Spendel, StV 1984, 46; Oberlies/Giesen, Streit 1986, 16 ff., 52 f.42 BGH, NStZ-RR 2013, 341 (LS)43 BGH, NStZ 2007, 268, 269; vgl. auch BGH, NStZ 2014, 574, 574 f., für einen verabredeten Kampf „Mann gegen Mann“.44 BGH, NStZ 2013, 337, 33845 BGH, NStZ-RR 2004, 14, 15

43

Problem der „Vorankün-digung“

44

45

46 Problem der „latenten Angst“

Polizist als Opfer47

48 Problem des feindseligen Auseinander-setzung

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12 Straftaten gegen das Leben

mit einem tätlichen Angriff bloß hätte rechnen müssen aber nicht gerechnet hat. Erkennt der im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer von ihm ausgehenden bloß verbalen Attacke zur Tötung seines Opfers ansetzende Täter dessen dennoch erhalten gebliebene Arglosigkeit gegenüber der Mög-lichkeit eines tätlichen Angriffs und nutzt er diese bewusst zur Tat aus, so handelt er heimtückisch.46

cc) Tötung von Kleinkindern und SäuglingenBei Kleinkindern gilt, dass bei normaler Entwicklung die Fähigkeit Argwohn zu ent-wickeln erst ab einem Alter von etwa 3 Jahren der Fall ist.47 Auch bei Tötung von Kleinstkindern ist Heimtücke aber dann zu bejahen, wenn die Arglosigkeit schutz-bereiter dritter Personen (Eltern, Babysitter etc.) zur Tötung ausgenutzt wird.48 Aller-dings muss der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Dritten nicht herbeigeführt haben.49

BEISPIEL 3 (nach BGH, NStZ 2013, 158): Nachdem Mutter M den Vater V bei der Nachtwache am Bett des Säuglings S abgelöst hat und eingeschlafen ist, fängt S an zu schreien. Er wird von der überforderten M getötet.

Der BGH hat eine heimtückische Tötung bejaht: Aufgrund der räumlichen Nähe im Nebenzimmer und der Konzentration auf das Kind wäre V zum wirksamen Schutz des Kindes auch in der Lage gewesen. Tatsächlich konnte V aber den tödlichen Angriff auf das Leben seines Kindes nicht abwehren, da V sich im Vertrauen auf A schlafen gelegt hatte, ohne mit einem Angriff auf das Leben des Kindes zu rechnen.50 Dies ist zweifelhaft, da der Tötungsvorsatz der M überhaupt erst zu einem Zeitpunkt entstand, als V als schutzbereite Person physisch gar nicht zur Verfügung stand und deshalb als ein der Tötung im Wege stehendes Hindernis nicht ausgeschaltet werden musste. Die Situation gleicht daher der, dass V überhaupt nicht anwesend ist und aus diesem Grund dem Opfer keinen Beistand leisten kann. Dies aber ist eine Situation, in der zweifellos Heimtücke nicht gegeben ist.51

BEISPIEL 4 (nach BGH, JuS 2015, 370): Während einer ca. 30 Minuten dauernden Abwe-senheit ihres Mannes V tötet Mutter M ihre sechs Monate alter Tochter, weil sie aufgrund einer „depressiven Periode“ überfordert war.

In Beispiel 4 lehnte der BGH die Heimtücke ab. Der Dritte, auf dessen Arglosigkeit gleichsam stellvertretend für das zum Argwohn unfähige Kleinkind abgestellt wird, müsse tatsächlich überhaupt in der Lage sein, eine Gegenwehr zu entfalten. Fehlt es hieran, weil der tödliche Angriff von dem Dritten – hier V – aufgrund seiner räum-lichen Entfernung zum Aufenthaltsort des Tatopfers nicht wahrgenommen werden kann, so beruht die Wehrlosigkeit des schutzbereiten Dritten gerade nicht auf seiner Arglosigkeit.

46 BGH, NStZ-RR 2012, 371, 37147 BGH, NStZ 1995, 23048 BGH, NStZ 2006, 338, 339, Rengier, BT II, § 4 Rn 30; differenzierend Mitsch, JuS 2013, 783, 784 f.49 BGH, JuS 2015, 370, 37150 BGH, NStZ 2013, 158, 159 (kurze Darstellung bei Jahn, JuS 2013, 364 ff.)51 Mitsch, JuS 2013, 783, 785

Tötung von Kleinkindern

49

50

Schutzbereiter Dritter

51 Jura

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132. Teil – Mord, § 211 II StGB

Ob es tatsächlich – wie der BGH anscheinend meint – einen Unterschied macht, ob sich der Vater im Vertrauen darauf, dass die Mutter dem Kind nichts antut, für 30 Minuten die Wohnung verlässt, oder ob er sich im Nebenzimmer schlafen legt, kann bezweifelt werden.

MERKSATZDie Rechtsprechung zum schutzbereiten Dritten kann auch auf die Tötung von Schwerstpflegefällen in Krankenhäusern und Altenheimen übertragen werden.52

Ferner soll bei der Tötung von Kleinstkindern dann Heimtücke vorliegen, wenn das bitter schmeckende Gift mit süßem Brei vermischt wird, um die natürlichen Abwehrinstinkte des Kindes auszuschalten.53 Auch dies ist durchaus fraglich. Das Kind spuckt den bitteren Brei nicht deshalb aus, weil es Angst um sein Leben hat, sondern weil es den Geschmack nicht mag. Wenn ein Mensch die Attacke auf sein Leben nicht verstandesmäßig antizipieren kann, ist ein Zustand von Arglosigkeit schlicht unmöglich. Daran ändert die Verhüllung oder sonstige Unkenntlichma-chung des Tatwerkzeugs nichts.54

dd) Notwehr gegen ErpressungEin weiteres Problem sind die Fälle einer Notwehr gegen einen Erpresser, die sog. „Chantage“.

BEISPIEL 5 (nach BGH, NJW 2003, 1955): Erpresser E stand in der Wohnung des T und wartete auf die Bezahlung des Geldes. Völlig überraschend für E, der „keinerlei Angriff erwartete”, trat T hinter ihn, um ihn zu töten. Blitzschnell riss er den Kopf des E zurück und tötete ihn mit einem Messerschnitt durch die Kehle.

Der BGH lehnte die Heimtücke ab: Der Erpresser, welcher in einer von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpressten und in dessen Angesicht im Begriff ist, seine Tat zu vollenden (Geldübergabe oder -wegnahme), sei nicht arglos im Sinne des Mord-merkmals der Heimtücke. Das gelte auch dann, wenn er mit einer Gegenwehr seines Opfers nicht rechne und von dieser überrascht sei. Der Erpresser sei der wirkliche Angreifer. Dem Erpressten gestehe die Rechtsordnung das Notwehrrecht zu.55 Mit dessen Ausübung müsse jeder Angreifer in solcher Lage grundsätzlich rechnen.56

ee) Die zeitliche KomponenteMaßgebender Zeitpunkt für die Arglosigkeit des Opfers ist grundsätzlich der Eintritt des Täters in das Versuchsstadium. Daher entfällt i.d.R. die Arglosigkeit, wenn das Opfer vor diesem Zeitpunkt mit einem nicht unerheblichen Angriff auf seine körper-liche Integrität rechnen musste.57 Anders liegt es allerdings dann, wenn das Opfer in einen Hinterhalt gelockt wurde, wo es wehrlos dem Täter ausgeliefert ist. Die Tötung

52 BGH, NStZ 2008, 93, 9453 BGHSt 8, 216, 218 f.; 3, 330, 332; S/S-Eser/Sternberg-Lieben, StGB, § 211 Rn 25c54 Mitsch, JuS 2013, 783, 784; Heimtücke ablehnend auch Eisele, BT I, Rn 95; Rengier, BT II, § 4 Rn 2855 Hierzu ausführlich Schweinberger, JI-Skript Strafrecht AT I, Rn 463 ff.56 Zustimmend Widmaier, NJW 2003, 2788, 2791; Rengier, NStZ 2004, 233, 236; kritisch Quentin, NStZ 2005, 128, 129 ff.57 Rengier, BT II, § 4 Rn 24

52

Todesengel-Fälle53

Der versüßte Brei54

Notwehr gegen einen Erpresser

55

56

57

Zusammen-treffen von Arg- und Wehrlosigkeit

58

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ist dann als heimtückisch zu werten, auch wenn er dem Opfer in offen feindseliger Willensrichtung entgegentritt.58 Voraussetzung ist aber, dass der Täter bereits in dem Zeitpunkt in welchem er das Opfer in die Falle lockt, mit Tötungsvorsatz handelt.59

MERKSATZInfolge der Arglosigkeit muss das Opfer wehrlos sein. D.h. Arg- und Wehrlo-sigkeit müssen zusammentreffen, es genügt nicht, wenn nur einer der beiden Voraussetzungen vorliegt.60

BEISPIEL 6: Das gelähmte Opfer erkennt vor Eintritt des Täters in das Versuchsstadium dessen Absichten.

ff) Die feindselige WillensrichtungDer Täter muss zudem in feindseliger Willensrichtung gegenüber dem Opfer handeln.

KLAUSURHINWEISDas Merkmal der „feindseligen (oder auch feindlichen) Willensrichtung“ kommt ursprünglich aus der Rechtsprechung.61 Teilweise wird dies als eigene Meinung im Rahmen des Problems der restriktiven Auslegung der Heimtücke aufgeführt.62 Viele haben diese Formel jedoch inzwischen in die Grunddefinition der Heimtücke übernommen,63 weshalb auch hier emp-fohlen wird, diesen – im Ergebnis zu billigenden – Restriktionsansatz der Heimtücke-Definition zugrunde zu legen.

Das ist nicht der Fall, wenn der Täter zum (vermeintlich) Besten des Opfers handelt. So soll nach BGH die feindselige Willensrichtung fehlen, wenn das Motiv echtes Mitleid ist, oder in den Fällen des gescheiterten Mitnahmesuizids.

BEISPIEL 7: T tötet den Todkranken O, um ihm schwerstes Leid zu ersparen.64

BEISPIEL 8: Vater V hat vor dem später durchgeführten Selbsttötungsversuch seine Frau und die Kinder getötet, um ihnen ein vermeintlich weiteres, schweres Schicksal zu ersparen.65

gg) Das AusnutzungsbewusstseinFür das bewusste Ausnutzen (sog. Ausnutzungsbewusstsein) der Arg- und Wehr-losigkeit des Opfers genügt es, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit

58 BGH, NStZ 1989, 36459 BGH, NStZ 2015, 31, 32 = RA 2015, 213, 21460 BGHSt 39, 353, 36961 BGHSt 30, 105, 117 ff. (GrS); 9, 385, 389 (GrS)62 Joecks, StGB, § 211 Rn 3963 LK-Jähnke, § 211 Rn 46 ff.; Rengier, BT II, § 4 Rn 23, 3764 BGH, NStZ 2008, 93, 9465 BGH, NStZ-RR 1997, 42

59

Feindselige Willensrichtung

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61

62

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Bewusstes Ausnutzen

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152. Teil – Mord, § 211 II StGB

gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.66 Hieran kann es z.B. in Fällen fehlen, in denen Erregung, Spontaneität und alkoholbedingte Ent-hemmung in einer Gemengelage vorliegen.

Ein überlegtes und die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit bewusst einpla-nendes Vorgehen ist nicht erforderlich.67 Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Täter die Arglosigkeit herbeiführt oder bestärkt.68

b) Restriktive AuslegungTrotz einer sauberen Prüfung aller Voraussetzungen der Heimtücke werden dennoch die meisten „plötzlichen“ Tötungen die Voraussetzungen der Heimtücke erfüllen. Damit droht der Mord (und damit auch die lebenslange Freiheitsstrafe) zum Regelfall der vorsätzlichen Tötungsdelikte zu werden. Deshalb ist anerkannt, dass alle Mordmerkmale (gerade aber auch die Heimtücke) restriktiv ausgelegt werden müssen. Streitig ist, wie diese restriktive Auslegung zu erfolgen hat.

KLAUSURHINWEISDer Streit um die restriktive Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke darf nur dann aufgeworfen werden, wenn eine saubere Prüfung der „Grund-definition“ der Heimtücke stattgefunden hat und alle Merkmale bejaht worden sind. Es ist ein typischer Fehler in Klausuren, dass der Prüfling zu schnell auf das vermeintliche „Standardproblem“ eingeht und dadurch (logisch und rechtlich) vorgelagerte Probleme übersieht.

Nach der Lehre von der negativen Typenkorrektur ist Heimtücke (wie auch die übrigen Mordmerkmale) dann nicht gegeben, wenn auf Grund einer umfassenden Gesamtwürdigung die Tötung ausnahmsweise als nicht verwerflich anzusehen ist.69 Nach einer anderen Ansicht ist bei der Heimtücke zusätzlich ein besonders ver-werflicher Vertrauensbruch erforderlich, da ein „tückisches“ Vorgehen nicht nur von Heimlichkeit sondern auch von List geprägt sei.70 Demnach wäre bei bloßem Aus-nutzen eines Uberraschungsmoments Heimtücke abzulehnen. Wieder andere wollen die Restriktion der Heimtücke dadurch erreichen, dass an das Element der „Tücke“ angeknpüft wird und ein besonders „tückisch verschlagenes“ (also listig-hinterhältiges) Vorgehen verlangt wird.71

Der große Senat des BGH hat in einer Grundsatzentscheidung diese Einschrän-kungen auf der Tatbestandsebene verworfen, befürwortet aber in Analogie zu § 49 I Nr. 1 StGB eine Strafmilderung, sofern außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als nicht verhältnismäßig erscheinen lassen.72 Dafür müssten Umstände „besonderer Art“ vorliegen, die über den minder schweren Fall des § 213 StGB hinausreichen und in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen vergleichbar sind.73

66 BGH, NStZ 2012, 693, 694; BGH, NStZ-RR 2010, 175 f.67 BGH, NStZ 2013, 339, 34068 BGH, NStZ 2014, 639, 63969 Geilen, JR 1980, 309, 31470 S/S-Eser/Sternberg-Lieben, StGB, § 211 Rn 2671 Wessels/Hettinger, BT 1, Rn 108 f.72 BGHGrSt 30, 105 ff.73 BGH, NStZ 2005, 154, 155

65

66 Problemaufriss

67

Negative Typenkorrektur

68

Besonders verwerflicher Vertrauensbruch

69

Tückisch- verschlagenes Vorgehen

70

Rechtsfolgen-lösung

71

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16 Straftaten gegen das Leben

Für die Rechtsfolgenlösung ist kein Platz, wenn die Verhängung lebenslanger Frei-heitsstrafe trotz Bejahung der Heimtücke aus anderen Gründen scheitert.

BEISPIEL (nach BGHSt 48, 255 = NStZ 2003, 482, „Familientyrannen-Fall II“): Die über Jahre von ihrem Mann M brutal geschlagene und misshandelte Frau F, findet beim Auf-räumen zufällig eine Waffe ihres Mannes. Sie tritt in völliger Verzweiflung über ihre Lage an das Bett des schlafenden M und erschießt ihn.

Der BGH hat in diesem Fall die Rechtsfolgenlösung nicht angewendet, sondern für F einen Irrtum über das Vorliegen der Voraussetzungen eines entschuldigendes Notstandes gem. § 35 II StGB angenommen.74 Diskutiert wird in solchen Fällen aber sogar eine Entschuldigung gem. § 35 StGB. M sei eine Dauergefahr. Der Bedrohte habe dann das Recht, den (unverschuldeten) Notstand sofort und endgültig zu beseitigen, wenn die nachhaltige Wirkung denkbarer Alternativhilfen zweifelhaft bleibe, wenn also beispielsweise die hypothetisch gewährte polizeiliche Hilfe die Zwangslage nicht endgültig beseitigt hätte. Letztlich kommt es auf den Einzelfall an, wobei § 35 StGB genügend Spielraum bieten würde, unentschuldbarer „Selbstjustiz“ entgegenzutreten.75

KLAUSURHINWEISGegen die Lehre von der negativen Typenkorrektur und gegen die Lehre vom tückisch-verschlagenen Vorgehen spricht, dass sie zu unbestimmt ist und zu zufälligen Ergebnissen führt. Der Vertrauensbruchlösung ist entgegenzuhalten, dass nach dieser Ansicht gemeinhin als besonders ver-achtenswerte Fälle einer Tötung, wie das Auflauern aus einem Hinterhalt (Auftragmörder und sog. „Sniper“) kein Heimtückemord darstellen würde. Es empfiehlt sich daher, in der Klausur im Zweifelsfall dem BGH zu folgen. Das bedeutet dann zunächst, dass die Heimtücke auf Tatbestandsebene zu bejahen ist. Nach der Schuld im Punkt „Strafzumessung“ kann dann bei besonders gelagerten Fällen der Hinweis erfolgen, dass eine Milderung des Strafrahmens als „möglich“ erscheint. Wie der „Haustyrannen-Fall“ aber zeigt, ist die Rechtsfolgenlösung stets der „letzte Ausweg“ aus einer im Einzelfall nicht hinnehmbaren lebenslangen Haftstrafe.

2. GrausamkeitBei grausamer Tatausführung ist ebenfalls ein Mord zu bejahen.

DEFINITIONGrausam tötet, wer dem Opfer Schmerzen oder Qualen körperlicher oder see-lischer Art zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforder-liche Maß hinausgehen und von einer rohen und unbarmherzigen Gesinnung getragen sind.76

74 BGHSt 48, 255, 261 ff.; anders aber BGH, NStZ 2005, 154, 155, wo die Frau den zeitlich zurückliegenden Übergriffen durch Auszug aus der Wohnung in zumutbarer Weise hätte ausweichen können.75 Rengier, NStZ 1984, 20, 2276 BGH, NStZ 2008, 29, 29

72

Familien- tyrannen- Fall

§ 35 StGB 73

74Argumente für die Rechtsfol-genlösung

75

Definition: Grausamkeit

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ISBN 978-3-946549-13-023,90 €

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Das Skript orientiert sich an den vorangestellten Prüfungsschemata und der Struktur der einzelnen Prüfungsmerkmale. So bietet es den Studierenden eine klare Konzentration auf den Prüfungsstoff. Durch die systematische Verknüpfung von Grundfall und Examensfall dient das Skript auch der Vorbereitung auf Übungen.

Didaktisches Ziel dieses Skripts ist es, Klausurwissen und Klausurtechnik zu vermitteln.

Anhand von Fällen, kleinen Beispielen, Definitionen, Merksätzen und Klausurhinweisen zur Gutachtentechnik werden Problemschwerpunkte effektiv verdeutlicht und somit ein gezieltes Lernen ermöglicht.

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