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Sybille Münch Integration durch wohnungspolitik?

Sybille Münch Integration durch wohnungspolitik? · 2013. 7. 23. · 4.1 Entstehung, Kritik und Weiterentwicklung der Policy-Forschung 68 4.2 Die Entdeckung von Ideen in der Policy-Forschung

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Sybille Münch

Integration durch wohnungspolitik?

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Sybille Müncl1

Integration durchwohnungspolitik?Zum Umgang mitethnischer Segregationim europäiscl1en vergleich

I IVS VERLAG

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Zug!. Dissertation an der Technischen Universität Darmstadt, 2010

D 17

1. Auflage 2010

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften ISpringer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

Lektorat: Dorothee Koch / Tanja Köhler

VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien.Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes istohne Zustimmung des verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesonderefür vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei­cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, warenbezeichnungen usw. in diesemWerk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solcheNamen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachtenwären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, MörlenbachGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany

ISBN 978-3-531-17562-1

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Danksagung

Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung einer am 26. Januar 2010 ander TU Dannstadt am Institut für Politikwissenschaft verteidigten Dissertation.Sie ist als eine von sieben Dissertationen im Rahmen eines Vorhabens der vierraumwissenschaftlichen Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft zum demogra­phischen Wandel gefördert worden und am Leibniz-Institut für Länderkunde (ItL)in Leipzig entstanden.

Aufrichtig danken möchte ich meinem Erstgutachter Hubert Heinelt für seineHilfestellung insbesondere bei der Bearbeitung des politikwissenschaftlichenAnalyserahmens. Sebastian Lentz danke ich herzlich für seine Betreuung alsZweitgutachter sowie für die vielfältige Unterstützung, die mir im Rahmen meinerForschung am ItL zuteil geworden ist. Meine besondere Dankbarkeit gilt hierinsbesondere Sabine Tzschaschel, deren inhaltlicher Rat und kontinuierlicheErmunterung einen wichtigen Beitrag zum Gelingen der Arbeit geleistet haben.

Danken möchte ich zudem meinen zahlreichen Interviewpartnem, die mir mitihrer Zeit und Offenheit die Bearbeitung meiner Fragestellungen überhaupt erstermöglicht haben.

Ein großes Dankeschön sei auch all denjenigen Freunden und Kollegen ausge­sprochen, die mir behilflich gewesen sind, im einzelnen Bettina Bruns, PetraMakowski, Kirsten Rowedder, Christian Smigiel, Sonja Smalian und Ada vonOppen. Ein besonderes Verdienst für das Zustandekommen dieser Arbeit trägtauch Sibylle Richter-Salomons, deren Überzeugungskraft mich darin bestärkt hat,mein Interesse für das Thema in einer Dissertation weiter zu verfolgen.

Für seine Zuversicht, Geduld und persönliche Unterstützung möchte ich schließlichLorenz Riemer von Herzen danken.

Gewidmet ist die Arbeit meiner Familie, insbesondere meinem Vater AlfredMünch, der mir alles ermöglicht hat.

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis 13

1. Einleitung 15

2. Segregation und ihre Folgen - Einführung in den Forschungsstand •.• 312.1 Segregation: Definitionen und Messmethoden 322.2 Die Sozialökologie als zentrale Forschungstradition 342.3 Ursachen ethnischer Segregation 35

2.3.1 Makrosoziologische Erklärungen 352.3.2 Mikrosoziologische Erklärungen 37

2.4 Verwendung des Ghetto-Begriffs für europäischeEinwandererviertel 39

2.5 Die vermeintlichen Folgen von Segregation: Die umstrittenenNachbarschaftseffekte 402.5.1 Dimensionen der Nachbarschaftseffekte 43

2.5.1.1 Soziale Dimension 432.5.1.2 Symbolische Dimension 452.5.1.3 Materielle Dimension 462.5.1.4 Politische Dimension 47

2.5.2 Kritik an der Quartierseffektsforschung 472.6 Fazit 49

3. Die Konstruktion sozialer Phänomene als soziale Probleme 513.1 Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit 523.2 Die konstruktionistische Soziologie sozialer Probleme 543.3 Die zentralen Strömungen einer konstruktionistischen

Problemsoziologie 583.3.1 Der reflexive Ansatz 583.3.2 Das strikte Programm 593.3.3 Verortung der vorliegenden Arbeit im kontextuellen

Konstruktionismus 60

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3.4 Kritik am Konstruktionismus 623.4.1 Der Relativismus-Vorwurf 633.4.2 Strukturalistische und postmoderne Kritik 643.4.3 Kann der Konstruktionismus kritisch sein? 65

4. Interpretative Weiterentwicklung der Policy-Forschung 674.1 Entstehung, Kritik und Weiterentwicklung der Policy-Forschung 684.2 Die Entdeckung von Ideen in der Policy-Forschung 704.3 Die interpretative Wende in der Policy-Forschung 74

4.3.1 Dvora Yanows Ansatz einer interpretativen Policy-Analyse 764.4 Die narrative Policy-Analyse nach Deborah Stone 804.5 Die argumentative Wende in der Policy-Forschung 83

4.5.1 Die veränderte Rolle des Policy-Forschers 844.5.2 Inhaltliche Neuausrichtung 86

4.5.2.1 Die Untersuchung von Policy-Narrativen nachKaplan 87

4.5.2.2 Die Untersuchung von "Rahmen" nach Rein/Schön 884.5.2.3 Policy-Diskurse nach Hajer 904.5.2.4 Abgrenzung der Diskurskoalitionen von den

Advokaten-Koalitionen 934.5.3 Kritik an den Arbeiten der argumentativen Wende 964.5.4 Anknüpfungspunktefür die vorliegende Arbeit 98

4.6 Die Wissenspolitologie nach Nu1lmeierlRüb 984.7 Die soziale Konstruktion von Zielgruppen nach Schneider/Ingram 1034.8 Potenziale und Leerstellen des gewählten Analyserahmens 107

5. Methodische Operationalisierung der Fragestellung 1095.1 Besonderheiten interpretativer, ländervergleichender Policy-

Forschung 1095.1.1 Konjunktur der Methode 1095.1.2 Abstraktionsebenen des Vergleichs 1105.1.3 Vergleichstrategien - von Ähnlichkeit zu Differenz 1115.1.4 Besonderheiten der international vergleichenden

Wohnforschung ..... ....... ..... 1115.1.5 Qualitative Policy-Verg1eiche 1125.1.6 Häufige Schwierigkeiten komparativer Arbeiten 1145.1.7 Konsequenzenfür die vorliegende Arbeit 116

5.2 Diskursanalyse als empirische Methode 1185.2.1 Definition und Abgrenzung 119

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5.2.2 Forschungspraktische Umsetzung 121

6. Kontextualisierung der Mischungsdiskurse 1256.1 Lesarten von Migration und Integration im Vergleich 125

6.1.1 Das dominante framing von Migration 1256.1.1.1 Deutung der Migration in Deutschland 1266.1.1.2 Deutung der Migration in den Niederlanden 1366.1.1.3 Deutung der Migration in Großbritannien 141

6.1.2 Der Integrationsbegriff im niederländischen, britischen unddeutschen Kontext 1486.1.2.1 Historische Wurzeln 1496.1.2.2 Integration - Die länderspezifische Semantik eines

verbreiteten Begriffs 1506.1.2.3 Pfadabhängigkeiten gesellschaftlicher

Integrationskonzepte 1536.1.2.4 Das "Ende des Multikulturalismus" 1586.1.2.5 Fazit 167

6.2 Vergleich der nationalen Wohnungspolitiken 1706.2.1 Wohnungspolitik als Reaktion auf gesellschaftliche

Destabilisierung 1716.2.2 Gemeinsame Trends 173

6.2.2.1 Eigentumsförderung 1736.2.2.2 Deregulierung 1746.2.2.3 De- und Rezentralisierung 177

6.2.3 Aktuelle Anbieterstrukturen 1786.2.3.1 Unterschiede der Sozialwohnungen 1786.2.3.2 Die schwarzen Wohnungsbauvereinigungen als

britische Besonderheit 1806.2.4 Vergabekriterien im sozialen Sektor 1816.2.5 Aktuelle Entwicklungen 1826.2.6 Fazit 183

6.3 Die Wohnqualität als Integrationsmaßstab 1846.3.1 Deutschland und die Niederlande: Vom Wohnheim in den

privaten Altbau 1856.3.2 Großbritannien in den 1960er Jahren: Diskriminierung und

Öffnung der Sozialwohnungen 1866.3.3 Niederlande und Großbritannien: Eigentumserwerb als

Notlösung 1866.3.4 Deutschland: Die 1980er Jahre im Zeichen von Sanierung

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und Wohnungsnot 1876.3.5 Die Niederlande der 1980er Jahre: Gradueller Zugang zu

Sozialwohnungen 1896.3.6 Kontinuität der schlechteren Wohnbedingungen im

Großbritannien der 1980er Jahre 1896.3.7 Aktuell: Ausstattung der Wohnungen 1906.3.8 Obdachlosigkeit 1936.3.9 Verteilung der Minderheiten auf die verschiedenen

Wohnungsmarktsektoren 1946.3.10 Fazit 198

6.4 Ausprägungen von ethnischer Segregation im Ländervergleich 1996.4.1 Regionale Verteilung der Zuwanderer 1996.4.2 Ausmaß der ethnischen Segregation 2016.4.3 Unterschiede zwischen den Migrantengruppen 2026.4.4 Aktuelle Trends 2036.4.5 Fazit 205

7. Konstruktion und Bearbeitung des Problems Segregation ..•.•..•.•....•.• 2077.1 Deutungsmuster zur Entstehung von ethnischer Segregation 207

7.1.1 Der vermeintliche Rückzug in eigenethnische Enklaven alsdominanter Diskurs 2087.1.1.1 Deutschland: "Unter sich bleiben" 2087.1.1.2 Großbritannien:"Very worrying drift towards

self-segregation" 2137.1.1.3 Niederlande: "Ethnische Segregation durch soziale

Segregation" 2167.1.2 Alternative Interpretationen 219

7.1.2.1 Deutung von Segregation als Ergebnis wohnungs-und sozialpolitischer Entscheidungen 220

7.1.2.2 Deutung von Segregation als Folge direkterSteuerung durch die Kommune 234

7.1.2.3 Deutung von Segregation als Folge desGeschäftssinnes der privaten Vermieter 237

7.1.2.4 Deutung von Segregation als Folge vonZugangsschwierigkeiten im privaten Sektor 238

7.1.2.5 Deutung von Segregation als Ergebnis bewussterSegregierung durch Wohnungsanbieter 241

7.1.2.6 Deutung von Segregation als Folge derBenachteilung als Eigentümer 242

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7.1.2.7 Deutung von Segregation als Ergebnis derStrategien der Mehrheitsgesellschaft 243

7.1.2.8 Deutung von Segregation als Folge desdemographischen Wandels 248

7.1.3 Fazit 2517.2 Deutungen zu den Folgen ethnischer Segregation 252

7.2.1 Einführung 2537.2.2 "Gefahr durch soziale Segregation" 2547.2.3 Segregation als Hindernis für die individuelle Integration 257

7.2.3.1 "durch erschwerten Spracherwerb" 2577.2.3.2 "durch Behinderung der kulturellen und

sozioökonomischen Integration" 2607.2.3.3 "durch Schulsegregation" 263

7.2.4 Risiken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt 2667.2.4.1 "durch zu große Sichtbarkeit der Minderheiten" .. 2667.2.4.2 "durch Konkurrenz" 2687.2.4.3 "durch Vorurteile" 2717.2.4.4 "durch ,Rassenunruhen" 2717.2.4.5 "durch hohe Infrastrukturkosten" 276

7.2.5 Befürchtete Risiken für das Quartier 2787.2.5.1 Stigmatisierung 2787.2.5.2 Kriminalität 282

7.2.6 Alternative Deutungen 2847.2.6.1 Folgenlosigkeit von ethnischer Segregation 2847.2.6.2 Chancen für die individuelle Integration 2867.2.6.3 Chancen für das Quartier 288

7.2.7 Fazit: Diffuse Ablehnung der Sichtbarkeit 2907.3 Wohnungspolitische Reaktionen auf ethnische Segregation 291

7.3.1 Einbettung in den historischen Diskurs zu sozialerMischung 293

7.3.2 Steuerungsversuche auf nationaler Ebene 2967.3.2.1 Deutschland: Das Leitbild der "gesunden

Mischung" 2967.3.2.2 Großbritannien: Symbolische Auseinandersetzung

seit den 1960er Jahren 3007.3.2.3 Die Niederlande: Glaube an social engineering 3127.3.2.4 Die Niederlande und Großbritannien: Wahlfreiheit

ersetzt Bewohnerauswahl 3157.3.2.5 Verteilung von Flüchtlingen, Asylbewerbern und

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Spätaussiedlern 3197.3.2.6 Verhinderung von Segregation durch

Diskriminierungsschutz 3257.3.3 Durchmischungsstrategien auf kommunaler Ebene 335

7.3.3.1 Kommunales Handlungsfeld I: Zugangbeschränken 336

7.3.3.2 Kommunales Handlungsfeld 11: Angeboterweitern 355

7.3.3.3 Kommunales Handlungsfeld III: SozialeMischung erhöhen 359

7.3.4 Strategien der Wohnungsanbieter 3737.3.4.1 Die deutsche Wohnungswirtschaft als zentraler

Akteur 3737.3.4.2 Die Haltung der britischen

Wohnungsbauvereinigungen 3827.3.4.3 Die Haltung der niederländischen

Wohnungsbauvereinigungen 3867.3.5 Kritik an den gängigen Policies 3887.3.6 Fazit 396

7.4 Diskurspartner und Wissensquellen 3997.4.1 "Mantra der Mischung" statt speaking truth to power 3997.4.2 Austausch von Ideen unter wohnungspolitischen

Praktikern 4097.4.3 Vage storylines als Klammerfür heterogene Positionen 4127.4.4 Konvergenz trotz eines geringen internationalen

Austauschs 4147.4.5 Fazit 417

7.5 Konstruktion der Zielgruppen durch Mischung 4207.5.1 Migranten: Zuverlässig, aber nicht erwünscht 4217.5.2 Intolerante Unterschicht und wertvolle Mittelschicht 4247.5.3 Wohnungsanbieter als Frühwarnsystem und

"Reparaturkolonne" 4267.5.4 Fazit 428

8. Zusammenfassung und Ausblick 429

Bibliographie 443

Verzeichnis der Interviewpartner 483

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Abkürzungsverzeichnis

• A8 [GB]= Neue EU-Mitgliedsstaaten• ABG Holding = Aktienbaugesellschaft Frankfurt Holding Wohnungsbau- und

Beteiligungsgesellschaft mbH• ACF = Advocacy-Koalitionsansatz• AGG = Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz• BBR = Bundesamt für Bauordnung und Raumforschung• BGW = Bielefelder Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft• BMBF = Bundesministerium für Bildung und Forschung• BME [GB] = Black or Minority Ethnic• BNP [NL] = British National Party• CBL [GB] = Choice Based Lettings• CDA [NL] = Christen Democratisch Appel• CIC [GB]= Commission on Integration and Cohesion• CIH [GB]= Chartered Institute ofHousing• CLIP = Cities for local integration policies• C ofE [GB] = Church ofEngland• CRE [GB]= Commission for Racial Equality• CU [NL] = ChristenUnie• DCLG [GB]= Department ofCommunities and Local Govemment• Difu = Deutsches Institut für Urbanistik• EU = Europäische Union• EUMC = European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia• FBHO [GB] = Federation ofBlack Housing Organisations• GB = Großbritannien• GBG = Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft mbH• GdW = Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienuntemehmen• Gewobau = Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Rüsselsheim

mbH• GEWOS = Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung

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• GLC [GB] = Greater London Council• HLM = Habitation aloyer modere• IBA = Internationale Bauausstellung• ID = Dissimilaritätsindex• IdeA [GB] = Improvement and DevelopmentAgency• ILS = Institutfür Landes- und Stadtentwicklungsforschung NRW• InWIS = Institut:für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regio-

nalentwicklung• IRB = Innerstädtische Raumbeobachtung• LEG = Landesentwicklungsgesellschaft NRW GmbH• LGA [GB] = Local Government Association• LPF [NL] = Lijst Pim Fortuyn• NASS [GB] = National Asylum Support Service• NGO = Nichtregierungsorganisation• NL = Niederlande• NRW = Nordrhein-Westfalen• PvdA [NL] = Partij van de Arbeid• RLW = Ruhr-Lippe-Wohnen• RRA [GB] = Race Relations Act• RRB [GB] = Race Relations Board• RVK [NL] = Regeling Rijksvoorkeurswoningen• SCP [NL] = Sodal and Cultural Planning Office• SED = Sozialistische Einheitspartei Deutschlands• SOEP = Sozioökonomisches Panel• SWSG = Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft• VdW Rheinland Westfalen = Verband der Wohnungs- und Immobilienwirt-

schaft Rheinland Westfalen• VdW südwest = Verband der Südwestdeutschen Wohnungswirtschaft e.Y.• VEB = Volkseigener Betrieb• vhw = Bundesverband :für Wohnen und Stadtentwicklung• VVD [NL] = Volkspartij voor Vrijheid en Democratie• VINEX [NL] = Vierte außerordentliche Note zur Raumordnung• WoBauG = Wohnungsbaugesetz• WWR [NL] = Wissenschaftlicher Ratfür Regierungspolitik

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1. Einleitung

"One of the most significant developments in the social geography of major WestEuropean cities during the past few decades has been the settlement of large anddiversified ethnic minority populations" halten Kestelootlvan WeeseplWhite(1997: 100) fest. Doch während die enge Verbindung von Migration und Stadt zuden Gemeinplätzen von Sozialgeographie und Soziologie gehört (Fischer­KrapohllWaltz 2007: 8; Häußermann/Siebel200 I :68) und viele Städte mittlerweileihre Attraktivität fiir Zuwanderer' in Zeiten von Globalisierung und demographischemWandel als Standortfaktor erkannt haben, ist diese scheinbar natürliche Symbiosein den meisten Staaten nicht selbstverständlich. Verbreitet ist das Deutungsmuster,die Integration der ethnischen Minderheiten sei mangelhaft, ihre räumlicheKonzentration in bestimmten Stadtteilen nehme zu und wirke sich wiederumnegativ auf die Integration der Bewohner aus.

ProblemaufrissDie Existenz von Nachbarschaften mit einem hohen Anteil Migranten2 wird welt­weit in sehr unterschiedlichen Staaten als Problem wahrgenommen. So verschiedeneLänder wie das weitgehend ethnisch homogene Finnland (Vilkarna 2007) und dasliberale Wohlfahrtsregime des Einwanderungslandes USA teilen Versuche, durchden Abbau von ethnischer Segregation und die Herstellung einer ethnischenMischung Integration fördern zu wollen. Maßnahmen reichen von strengen Ober­grenzen und Quotierungen bis zu US-amerikanischen Mobilitätsprograrnmen(Gautreaux, Moving to Opportunity)3, die über die Vergabe von Gutscheinen an

1 Die weibliche Form sei in der folgenden Arbeit stets mitgedacht.2 Die Begriffe Zuwanderer und Migrant sowie Person mit Migrationshintergrund werden syno­

nym verwendet.3 Durch eine Klage der Stadtteilaktivistin Dorothy Gautreaux kam es 1969 zu einem Gerichtsent­

scheid mit dem Verbot an die Stadt, Sozialwohnungen nur in schwarzen Innnenstadtbezirken zubauen. Das Verteilungsprograrnm liefbis 1998 mit etwa 25.000 Teilnehmern und wurde insofernkritisiert, als ohnehin nur "gute" Mieter einen Gutschein bekamen (Atkinson 2005: 21). Moving toOpportunity wird seit 1994 in fiinf US-Städten durchgefiihrt. Untersuchungen kamen zu demErgebnis, dass das Sicherheitsempfinden der schwarzen Familien in ihrem neuen Wohnurnfeldzugenommen habe und es keine negativen Wirkungen auf ihre Netzwerke gegeben habe (a.a.O.:25).

S. Münch,Integration durch Wohnungspolitik?, DOI 10.1007/978-3-531-92571-4_1,© VS Verlag flir Sozialwissenschaften ISpringer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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schwarze Haushalte den Fortzug in weiße Stadtteile fördern sollen (Goetz 2007).Viele Staaten mit Einwanderung verfolgen Desegregations- und Verteilungsstrategienzur Herstellung von ethnischer und sozialer Durchmischung in den Quartierenihrer Städte, wobei sich zu Beginn des 21. Jahrhundert im Zuge der Politisierungdes Integrationsthemas ein neues Interesse an diesen zum Teil seit den 1960erJahren diskutierten Strategien zeigt: "As questions of migrant integration havebecome increasingly politicised, we have seen a renewed commitment, acrosscountries, to policy approaches believed to promote ethnic desegregation, commonvalues, stability and national unity" (phillips 2006a: 2). Zu den europäischen Ländernmit desegregativen Wohnungspolitiken zählen Deutschland, die Niederlande,Belgien, Großbritannien, Schweden, Dänemark, Finnland, Dänemark undFrankreich (Musterd 2005: 340; Ministeriet for Flygtninge, Indvandrere ogIntegration 2005). In der vorliegenden Arbeit soll der wohnungspolitischeUmgang mit ethnischer Segregation in der Bundesrepublik (BRD), den Niederlanden(NL) und Großbritannien (GB) verglichen werden. Dabei ist zu differenzierenzwischen nationalen und kommunalen Steuerungsversuchen sowie dem Belegungs­management der Wohnungsunternehmen.

Begründung der FallauswahlDer Untersuchung dienen Deutschland, die Niederlande und Großbritannien4 alsVergleichsfalle. Aufgrund des qualitativen Analyserahmens handelt es sich umeinen fallorientierten - im Gegensatz zum generalisierenden variablenorientierten ­Vergleich, der der Komplexität des Einzelfalls Rechnung trägt.

GB mit seinem hohen Anteil an Wohneigentum, einem residualistischen Sozial­wohnungssektor und seiner längeren Einwanderungstradition soll als besonderskontrastierender Fall fungieren. Es wird erwartet, dass die in der BRD oftmalsstigmatisierende Untertöne aufweisende Problematisierung ethnisch geprägterNachbarschaften hier aufgrund der multikultura1istischen, die diversity betonendenTradition und des höheren Organisationsgrades der Minderheiten auf größerenWiderspruch stößt. Zugleich ist zu vermuten, dass aufgrund des hohen Anteils vonWohneigentum andere Policies greifen müssen als im Mieterland Deutschland.Zudem liefert GB insofern eine gänzlich andere Ausgangssituation, als die engeVerknüpfung von sozialer und daraus folgender ethnischer Segregation wie im

4 Im Bezug aufdie Wohnungspolitik wäre es eigentlich angemessener, von ,,England" zu sprechen, daes in diesem Politikfeld Unterschiede zu Schottland gibt (Norton 1990: 9). Ebenso erreicht Zu­wanderung traditionell eher England, während Wales und Schottland einen geringenMigrantenanteil etwa dem ostdeutschen Anteil entsprechend aufweisen. In der vorliegendenArbeit wird jedoch überwiegend von Großbritannien gesprochen, da Diskurse und Policies zuMigration und Integration an diese Ebene geknüpft sind.

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deutschen Fall nicht gegeben ist: "Some ofthe most difficult estates (...) ha[ve]virtually no ethnic minority populations" (power 1998: o.S.). Die Beschäftigungmit dem britischen Fall wird auch insofern für fruchtbar gehalten, als die Debatteum Desegregation in Form der Förderung von community cohesion eine imVergleich zu Deutschland und den Niederlanden jüngere Debatte ist - obgleichdas viktorianische England als Mutterland der Idee der sozialen Mischung gilt(Sarkissian 1976: 234). Während im deutschen Fall argumentiert werden könnte,dass sich das seit den 1970er Jahren haltende Leitbild der ethnischen Mischungaufgrund von Steuerungsverlusten und vor dem Hintergrund des demographischenWandels überholt hat, verdeutlicht der britische Fall die weiterhin gültige Aktualitätderartiger Mischungskonzepte. Während es in der Vergangenheit in GB kaumAkteure gab, die die Konzentration nicht-weißer Gruppen grundsätzlich negativeinschätzten (Harrison 2005: 92), haben zunächst die Unruhen in Nordengland imJahr 2001 und die islamistischen Anschläge in London im Sommer 2005 dieFurcht vor der unterstellten "Selbst-Segregation" der Minderheiten angeheizt.

Die Niederlande wurden als Vergleichsland gewählt, da sie lange Zeit inDeutschland als Vorbild für erfolgreiche Integrationspolitik galten. Hier hat derWohlfahrtsstaat einen starken Einfluss auf die Wohnsituation, wobei der Umgangmit ethnischer Segregation eine dynamischere Entwicklung genommen hat und imVerlaufder vergangenen 30 Jahre größeren Veränderungen ausgesetzt war, als diesin der BRD der Fall gewesen ist. Die politische Bewertung von Segregation alsProblem und die daraus folgenden Konzepte scheinen hier stärker als in der BRDpolitischen Konjunkturen unterlegen gewesen zu sein. Weitere Differenzenzwischen den drei Untersuchungsländern sind aufgrund unterschiedlicher Minder­heitendefinitionen zu erwarten. Während sich in Deutschand die Mischungsstrategienoffiziell aufdie Gruppe der rechtlichenAusländer beziehen, wobei hier Einschrän­kungen gegenüber EU-Bürgern gelten, kann eine solche staatsbürger8chaftsbezogeneZuschneidung in GB und NL nicht greifen, da viele Migranten durch die kolonialeVergangenheit und eine andere Einbürgerungskultur den Pass des Ziellandesbesitzen. Zudem ist zu erwarten, dass die ethnischen Minderheiten durch ihreStimme bei politischen Wahlen ein größeres Gewicht besitzen als dies in der BRDder Fall ist.

Weitere Differenzen in den Mischungsstrategien lassen sich aufgrund weiterergravierender Unterschiede im Wohnungssektor vermuten. So verfUgen zwarsowohl GB als auch die Niederlande über einen im Vergleich zu Deutschlanddeutlich größeren Sozialwohnungssektor, doch unterscheiden sich beide erheblichin denAllokationskriterien: Im universalistischenAnsatz der Niederlande wird dieBereitstellung von Wohnraum als öffentliche Verantwortung verstanden, die vongemeinnützigen Organisationen geleistet wird, während der britische Sozial-

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wohnungssektor als residualistisch zu bezeichnen ist (Czischke 2007: 8). Dement­sprechend dürfte es Unterschiede im Ausmaß geben, in dem die Vergabe vonSozialwohnungen als Instrument der Mischung herangezogen werden kann.Deutschland befindet sich auf dem Kontinuum zwischen einem universalistischenund einem residualistischen Ansatz etwa im Mittelfeld, da die wohnungspolitischeFörderung von breiten Teilen der Bevölkerung mittlerweile durch eine Unterstützungfür diejenigen abgelöst wurde, die sich nicht selbst am Markt versorgen können.

Als Ausgangsthese lässt sich festhalten, dass sich die Ablehnung von ethnischerSegregation offenbar mit offiziell gänzlich unterschiedlichen Integrationskonzeptenvereinbaren lässt (Multikulturalismus in NL und GB sowie ein eher assimilatio­nistisches Verständnis in der BRD), wobei sich in den meisten Staaten Europas einTrend hin zu einem rigideren Integrationsverständnis abzeichnet (vgl. Musterd2005: 340).

ForschungslückeTrotz der Verbreitung der Maßnahmen zur ethnischen Mischung, die im 21. Jahr­hundert selbst in Ländern mit multikulturalistischer Tradition Fuß gefasst haben,sind die Mischungspolicies und die Problemdeutungen, in die sie eingebettet sind,nur in sehr geringem Maße wissenschaftlich beachtet worden. In Untersuchungenzur Entstehung und zu den Folgen von ethnischer und sozialer Segregation weistdie deutsche Forschung bislang einen blinden Fleck für die spezielle Rolle derWohnungspolitik auf (Bürkner 2002: 92). Zwar gibt es seit den 1970er Jahrenverschiedene Untersuchungen zu den Verteilungsmustem von Migranten imstädtischen Raum sowie den Folgen von ethnischer Segregation für die Integrationvon Migranten (siehe 2.5), gleichwohl impliziert die Übertragung US-amerikanischerKonzepte wie der Sozialökologie der Chicagoer Schule, die in vielen Arbeitenmitschwingt, einen marktwirtschaftlichen Wohnungssektor und somit, dass einZusammenspiel aus sozioökonomischen Zwängen und Diskriminierung auf dereinen und persönlichen Präferenzen der Zuwanderer auf der anderen SeiteMigranten in bestimmte Wohnquartiere filtere (Dangschat 1997: 623). Steuerungs­versuche durch die Wohnungspolitik (national und kommunal) und das Belegungs­management großer institutioneller WohnungsanbieterS wurden bislang kaumuntersucht (Ausnahmen bilden Planerladen 2004; 2005; ILS 2006). Insofern hatdie vorliegende Arbeit auch einen in Teilen explorativen Charakter, da insbesonderedie Strategien der Wohnungsanbieter wenig transparent sind.

5 Wenn im folgenden von Wohnungsanbietem die Rede ist, sind damit nicht die privaten Kleinan­bieter oder Amateurvermieter gemeint, in deren Besitz sich etwa 14 Millionen der insgesamt 23Millionen deutschen Mietwohnungen befinden, sondern die professionell-gewerblichen Anbieter.

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Trotz der seit gut drei Jahrzehnten anhaltenden Versuche, durch wohnungspolitischeEingriffe der als Problem wahrgenommenen ethnischen Segregation zu begegnen,sind diese Policies ein "in weiten Bereichen unzureichend ausgeleuchtetes Unter­suchungsfeld" (Planerladen 2005a: 36). Einerseits scheint das weitgehendeDesinteresse an ethnischen Mischungsversuchen durch Wissenschaft und Öffent­lichkeit eine Spezifik des deutschen Falles zu sein, während sich die überwiegendniederländische, britische und schwedische Wohnforschung deutlich häufiger mitderartigen Maßnahmen auseinandersetzen.6 Andererseits stellt Rowland Atkinson(2005: 3) in einem umfassenden Review fest, dass es weltweit ausgesprochenwenige Studien gebe, die sich explizit mit dem Thema "Mischung" befassen undweitaus mehr, die die Nachbarschaftseffekte segregierter Gebiete behandeln. Auchder Europäische Verbindungsausschuss zur Koordinierung der Sozialen Wohnungs­wirtschaft CECODHAS (2007: 11) kommt zu dem Ergebnis: "Overall, we foundthat despite the extensive information available on immigration and integrationpolicies, it is very difficult to find explicit links between these policies and housingpolicies or measures - or even with a housing dimension ofthe issues dealt with."

Das weitgehende Desinteresse der sozialwissenschaftlichen Forschung amThemenkomplex "Wohnen und Integration" steht im Kontrast zur Praxis, wo zuBeginn des 21. Jahrhunderts in allen hier untersuchten Ländern Vertreter vonWohnungsunternehmen in die Entwicklung von Integrationsstrategien eingebundensind. So war der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen(GdW) in einer Arbeitsgruppe des Nationalen Integrationsplans vertreten, dieVorsitzende des Dachverbandes der Amsterdamer Wohnungsbauvereinigungen istVorsitzende des städtischen Diversitätsbeirats und der stellvertretende Vorstands­vorsitzende der englischen Regulierungsbehörde für die sozialen Wohnungsbau­vereinigungen (Housing Corporation) war Mitglied der Commission on Integrationand Cohesion der britischen Regierung. Das im neuen Jahrtausend gewachseneInteresse am migrantischen Wohnen drückt sich auch in den Bemühungen aus, aufeuropäischer Ebene einen Austausch von bestpractice anzuregen (vgl Die Beauf­tragte 2005: 67).7

Ebenso wie es eine Diskrepanz zwischen den wohnungspolitischen Steuerungs­versuchen und dem weitgehenden Desinteresse insbesondere der deutschenForschung an ihnen gibt, klafft eine Lücke zwischen dem beachtlichen Output der

6 Als Beleg können die Teilnehmer des International Research Network on Housing, Ethnicity andPolicy gelten sowie das Sonderheft der Fachzeitschrift Housing and the Built Environment vomDezember 2009.

7 Beispielsweise widmete sich der erste Themenblock des European Network of ewes for LocalIntegration Policies for Migrants (CLIP) dem Themenkomplex Wohnen (European Foundation2007a).

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Segregations- und Quartierseffektsforschung einerseits und der mangelndenBeachtung dieser Erkenntnisse durch die wohnungspolitische Praxis. Die Einheit­lichkeit der Ablehnung von ethnischer Segregation durch viele wohnungspolitischeAkteure in Europa überrascht nämlich insofern, als eine akademische Bewertungder Folgen von ethnischer Segregation in sämtlichen europäischen Staaten mitZuwanderung ausgesprochen ambivalent ausfällt. Wissenschaftlich ist es keines­wegs hinreichend geklärt, ob und gegebenenfalls aufwelche Weise das Wohnvierteldie individuellen Lebenschancen seiner Bewohner beeinflusst. Dies gilt für dieWirkungen von Armut und Kriminalität, noch mehr aber für Annahmen bezüglicheiner Wirkung der "ethnisch" geprägten Nachbarschaft (Söhn/Schönwälder 2007:73; Ouwehand/van der Laan Bouma-Doff2007: 9; Musterd 2005: 342; Dangschat2007: 180). "A clear problem for those who have consistently asked for moresocially diverse communities as the basis for sustainability and social equity is thatthis position has relied on an intuitive rather than explicit evidence-base" (Atkinson2005: 27).

ForschungsanstoßDieses Spannungsverhältnis zwischen einer klaren Ablehnung von ethnischerSegregation durch (kommunal-) politische und wohnungswirtschaftliche Akteureaufder einen Seite und einer weitaus positiveren Einschätzung insbesondere durchSozialwissenschaftier auf der anderen Seite hat den Impuls für die vorliegendeArbeit gegeben. Anstoß waren die Erfahrungen, die die Autorin als wissen­schaftliche Referentin im BMBF-geförderten Projekt "Zuwanderer in der Stadt"gesammelt hat. Hier hatte sich gezeigt, welch große Bedeutung auf kommunal­politischer und insbesondere wohnungswirtschaftlicher Seite den Versuchen, aufQuartiersebene eine ausgewogene ethnische Mischung herzustellen, beigemessenwird. Im Rahmen des Verbundvorhabens von Schader-Stiftung, DeutschemStädtetag, GdW - Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunter­nehmen, dem Deutschen Institut für Urbanistik und InWIS hatte ein Expertenforum,besetzt mit Vertretern aus Kommunalverwaltungen, der Wohnungswirtschaft undStadtforschern, ,,Empfehlungen zur stadträumlichen Integrationspolitik" erarbeitet.Diese wurden in einem zweiten Schritt an acht deutsche Großstädte weitergeleitet,die sich im Vorfeld bereit erklärt hatten, auf Grundlage der Empfehlungen eigeneStrategien zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Dabei erhielten überraschender­weise weniger die Empfehlungen selbst eine hohe Aufmerksamkeit, als diejenigenAusführungen, die eigentlich vor allem die Prämisse des Projektes darlegen sollten:Der Slogan "Integration statt Segregation" sollte ausdrücken, dass die Integrationvon Zuwanderern trotz ihrer Konzentration in bestimmten Nachbarschaften möglichsei. Der Versuch, Integration allein durch die "gesunde Durchmischung" der

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Wohnbevölkerung erreichen zu wollen, werde angesichts abnehmender Steue­rungsmöglichkeiten scheitern.

Das Verbundvorhaben war in der Konsequenz mit einer Reihe von unerwartetheftigen Reaktionen konfrontiert (detailliert in Höbel et al. 2007). Die Ausgangs­überlegung des Projektes stieß bei einigen Rezipienten auf Widerstand, da sie alsAnstoß für eine gezielte Herstellung segregierter Strukturen missverstanden wurde.Doch auch von zahlreichen anderen Akteuren in den Kommunalverwaltungen undWohnungsunternehmen des "Praxis-Netzwerks", die die Parole "Integration trotzSegregation" nicht derartig missdeuteten, wurde sie abgelehnt. Die Kritik bezogsich zum einen auf die operative und zum anderen auf die inhaltliche Ebene.Verschiedene Akteursgruppen in unterschiedlichen Städten vertraten die Position,dass Segregation nicht hingenommen werden sollte und durchaus durch Quoten­regelungen bzw. Belegungssteuerung beeinflusst werden könne.8 Insbesondere dieVertreter der Wohnungswirtschaft lehnten die positive Diskussion von Segregationmehrheitlich ab, da sie befürchteten, dass diese ihre auf ausgewogene Mischungs­verhältnisse abzielende Belegungspolitik konterkariere. Gleichzeitig erkanntenjedoch insbesondere die größeren, kommunalen Wohnungsunternehmen, dass sieauch mit ihrer Belegungspolitik Segregation nicht (überall) verhindern können.Neben dem Hinweis aufdie weiterhin bestehende Handhabbarkeit des Mischungs­instrumentariums wurde die Ausgangsüberlegung des Projektes jedoch auch aufinhaltlicher Ebene mit dem Hinweis kritisiert, Segregation gehe mit einerAbschottung der Quartiersbewohner einher. Der Slogan "Integration trotz Segre­gation" wurde als Kapitulation vor den migrationsbedingten Problemen und alsRückzug der Politik aus ihrer Verantwortung interpretiert.

Die Ablehnung der Ausgangsbeobachtung hatte mancherorts grundsätzlicheFolgen für den weiteren Projektverlauf. In Berlin-Mitte wurde die Umsetzung der"Empfehlungen" vor allem auch wegen ihrer Prämisse als ungeeignet abgelehntund daher nicht weiter verfolgt. In FrankfurtJMain brach die Unternehmensfiihrungeines Zusammenschlusses von sechs Wohnungsunternehmen die Beteiligung amProjekt ab. In anderen Städten signalisierten die Vertreter der Kommunalverwal­tungen zwar Zustimmung zur Aussage, dass Integration auch trotz Segregationgelingen könne und gelingen müsse, sprachen sich aber gegen eine Diskussion desThemas aus.

Den Anstoß für einen Vergleich der in verschiedenen europäischen Staatenüblichen Desegregationspolitiken erhielt die Autorin durch die Reaktionen aufeinen Vortrag im Rahmen der dänischen Anti-Ghetto-Initiative im Herbst 2006.

8 In der Diskussion um Belegungssteuerung wurde nach Einschätzung der Begleitforscherinnen vonDifu und InWIS mehrheitlich nicht zwischen sozialer und ethnischer Segregation differenziert.

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Während die dänische Regierung ethnische Segregation als Problem ausgemachthat, das es mit wohnungspolitischen Eingriffen - bis hin zu Abrissen und Um­siedlungen - zu beheben gelte, reagierten hier insbesondere die Vertreter derWohnungswirtschaft verwundert über die Auskunft, in der BRD erfolge eineexplizit ethnische Mischung. In Dänemark wird nämlich, wie in anderen europäischenLändern auch, die ethnische Mischung über eine soziale Mischung operationalisiert,da Verfassung und politische Kultur eine Ungleichbehandlung der Migrantenverbieten. Die vermeintliche Konvergenz der wohnungspolitischen Strategienübersieht also wichtige Unterschiede in der Problematisierung und politischenBearbeitung von ethnischer Segregation, die in der vorliegenden Arbeit aufgezeigtwerden sollen (vgL Arthurson 2005: 520).

Theoretischer Zugang zum UntersuchungsgegenstandDie Beobachtung, dass es keine Einigkeit darüber gibt, ob ethnische Segregationals ein Problem zu begreifen sei oder nicht, hat die vorliegende Arbeit zu einemkonstruktionistischen9 Zugang aus der Soziologie sozialer Probleme bewegt (sieheKapitel 3). In einem solchen Verständnis handelt es sich bei sozialen Problemen,also in diesem Fall ethnische Segregation, nicht um Phänomene, die von sich ausproblematisch wären. Vielmehr muss dieser Charakter erst über gesellschaftlicheDefinitionsprozesse aktiv hergestellt werden. Es geht in der vorliegenden Arbeitdaher um die Wahrnehmung der Akteure und ihre Kausalannahmen bei derKonstruktion und politischen Bearbeitung des "Problems" Segregation (vgl.Gadinger 2003: 12).

Die Erkenntnis der Konstruiertheit von sozialen Problemen zieht einen Bruchmit der Rolle der ,,klassischen" Policy-Analyse als traditioneller "Problemlösungs­wissenschaft" nach sich. Die Dissertation nutztAnsätze der interpretativen Policy­Analyse, durch die sich über die Begriffe "Ideen", "Argumente" und "Interpre­tationen" - also Wissen im weitesten Sinne - der Durchbruch zur Offenheitgegenüber allen Formen der Konstruktion von Wirklichkeit in der Politikwissen­schaft vollzogen hat (Kapitel 4). Im Zentrum der Arbeit stehen dementsprechenddie Produktion und Wirkung politisch relevanter Deutungsmuster im Umgangmit ethnischer Segregation (vgl. Lepperhoff2006: 252).

9 Während in anderen Kontexten meist von Spielarten des Konstruktivismus die Rede ist, hat sichin der Problemsoziologie der BegriffKonstruktionismus eingebürgert (Schmidt 2000: 153).

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Fragestellung undAbgrenzungDie vorliegendeArbeit nähert sich ihrer Themenstellung mit folgenden Forschungs­fragen, die komparativ fiir Deutschland, Großbritannien und die Niederlandebeantwortet werden:

• Was sind die zentralen Interpretationsangebote fiir die Verursachungsmecha­nismen und Folgen von ethnischer Segregation?

• Wie werden diese Elemente miteinander verknüpft, welche kausalen undpolitischen Verantwortungszuschreibungen werden vorgenommen und welcheKonsequenzen fiir wohnungspolitische Praktiken werden daraus abgeleitet?

• Wie sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen denjeweiligen nationalenInterpretationsrepertoires sowie im Zeitverlauf zu erklären, zum Beispieldurch kulturelle Traditionen, politische und rechtliche Gelegenheitsstrukturenund Problembetroffenheit (vgl. Keller 2004: 204)?

• Welche Diskurskoalitionen (Hajer 2003) lassen sich beobachten und aufwelchen Wissensquellen basiert das von ihnen "FÜTWahrgehaltene"?

• Welche Zielgruppenkonstruktion (Schneider/Ingram 1993) geht mit den Deutungs-und Lösungsmustern einher?

Damit grenzt sich die Themenstellung ab von empirizistischen Arbeiten zumStand der sozialräumlichen Integration, zu den Nachbarschaftseffekten ethnischsegregierter Quartiere sowie von einer Erklärung der Wohnstandortverteilung derMigranten. Im Gegensatz zu Hanhörster (1999) wird in der vorliegenden Arbeitnicht untersucht, wie die wohnungspolitischen Strategien die kleinräumigeSegregation der Migranten beeinflussen. Es wird also offen gelassen, ob dieMaßnahmen ihr Ziel, Segregation zu vermeiden, erreicht haben. Ebenso wird eineBewertung der jeweiligen Herangehensweise hinsichtlich ihrer integrations­fördernden Wirkung ausbleiben müssen.

Gleichermaßen wird daraufverzichtet, sich dem Themenkomplex migrantischesWohnen und Integration unter architektonisch-gestalterischen Aspekten zu nähern(zu Gestaltung und Zusammenleben siehe Brech 2005). Zudem beschränkt sichder Vergleich auf wohnungspolitische Eingriffe mit unterstellten Folgen fiir diesozialräumliche Verteilung der Minderheiten. Das ohnehin fließende Grenzenaufweisende Politikfeld Wohnen (vgl. Heinelt 2004: 46) wird hier insofern sehrweit gefasst, als auch Zuzugssperren als vor allem aufenthaltsrechtliche Maßnahmendarunter fallen, sofern sie sich dezidiert auf die Wohnstandortverteilung derMigranten beziehen. Auf die Darstellung von Versuchen, der ebenfalls problema­tisierten Schulsegregation entgegenzuwirken, wird hingegen ebenso verzichtetwie auf eine Analyse kompensatorischer Maßnahmen, die keinen Anspruch aufeine Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung der Nachbarschaft erheben.Stadtteilentwicklungsprogramme wie die "Soziale Stadf' oder das (sozialarbeiterische)

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Engagement von Wohnungsuntemehmen in ihren Nachbarschaften werden dem­entsprechend ausgeblendet.

Die Autorin ist sich darüber im Klaren, dass unter dem Schlagwort "Integration"der Faktizität des Einwanderungslandes nur sehr einseitig Rechnung getragenwerden kann, da die Dimensionen Chancengleichheit und Teilhabe im alltäglichenBegriffsgebrauch häufig hinter der einseitigen, einem Containermodell-Denkenverhafteten Forderung zurückbleiben, die "Zuwanderer" mögen sich an die"Einheimischen" oder die "Aufnahmegesellschaft" anpassen (Hess/Moser2009: 14). Das Konzept wird hier dennoch genutzt, um vor allem das denDiskurs dominierende Verständnis von gesellschaftlicher Inklusion abzubilden.

Auswahl der VergleichseinheitEine Arbeit, die den Umgang mit ethnischer Segregation in Nachbarschaften undStadtteilen analysiert, muss die berechtigte Frage antizipieren, warum sie die Defi­nitionsprozesse und daraus abgeleiteten Policies zwischen verschiedenen Staatenvergleicht und nicht die Strategien verschiedener Städte. Bislang gibt es nur wenigevergleichende Studien im Bereich des Wohnens oder der Wohnungspolitik, die dieregionale oder die lokale Ebene miteinander vergleichen (Matznetter 2006: 4).Matznetter (2007: 2) führt dies darauf zurück, dass die vergleichende Policy-For­schung zu einer Zeit entstanden ist, in der der nationale Wohlfahrtsstaat aufder Höheseiner Entwicklung angekommen war. Erst seit kurzem haben die starken Variatio­nen zwischen lokalen Wohnungsmärkten und Maßnahmen, die sich selbst innerhalbzentralistischer Nationalstaaten wie Schweden und im Vereinigten Königreich zei­gen, Forscher zu einem Vergleich der lokalen Ebenen bewegt. Ein Hauptargumentdafiir lautet, dass sich mit dem in vielen Ländern zu beobachtenden Rückzug desStaates aus der Wohnungspolitik und der voranschreitenden Kommodifizierung desWohnens regionale oder lokale Unterschiede stärker ausprägen und dementspre­chend dezidiert regionale oder städtische Wohnungspolitik den spezifischen Proble­men begegnen müsse (a.a.O.: 3). Schlagworte im Zusammenhang mit ethnischenMischungspolitiken wie ,,Frankfurter Vertrag" oder ,,Rotterdamer Modell" verdeut­lichen, dass auch in diesem konkreten Fall Städte unterschiedliche Wege gehen.

Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen dennoch Produktion und Wirkung der natio­nalen Interpretationsrepertoires im Umgang mit ethnischer Segregation, da eineerste Bearbeitung des Themas deutlich gemacht hatte, dass die Unterschiede inner­halb eines Landes in der Regel weniger gravierend sind als die Unterschiede zwi­schen den Staaten. lO Dies gilt umso mehr fiir das in wohnungspolitischen Fragen

10 Für die heterogenen Positionen der niederländischen Städte gilt dies in geringerem Maße.

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zentralistischere GB. Obgleich sie auf die Mikroebene des Stadtteils bezogensind, sind die verschiedenen Strategien zur Herstellung von sozialer Mischungnicht oder nicht ausschließlich der lokalen Ebene zuzuordnen. In allen drei Fall­studienländern gehen damit national spezifische Leitbilder einher, die etwa imdeutschen Beispiel auch durch das Bundesbaugesetz oder das nationale Wohn­raumfördergesetz verankert sind. So wenig die desegregativen Mischungsstrategieneinem klar begrenzten Politikfeld (Integrationspolitik, Wohnungspolitik, Stadtent­wicklungspolitik) zugeordnet werden können, so wenig ist auch eine Einord­nung auf der kommunalen, föderalen oder bundesstaatlichen Ebene möglich,wie ein Blick auf das Fallstudienland Deutschland verdeutlicht: Einerseits ist dieRegelung der Zuwanderung in der BRD eine klare Bundesaufgabe, die zugleichwesentliche Integrationsbedingungen bestimmt, zugleich sind es vor allem diegroßen Städte Westdeutschlands gewesen, die versucht haben, durch kommunaleKonzepte die mangelnde Kohärenz bundesdeutscher Integrationspolitik aufzu­fangen. Einerseits zeugen der Nationale Integrationsgipfel und die vom Bundesin­nenminister einberufene Islamkonferenz davon, dass das Thema Integration nunauch aufder Bundesebene Einzug gehalten hat, zugleich ist mit der Verantwortungfür den Neubau von Sozialwohnungen durch das 2002 in Kraft getretene Wohn­raumfördergesetz ein wichtiges Steuerungsinstrument im Umgang mit Segregationden Bundesländern übertragen worden. 11

Anmerkungen zur UntersuchungsmethodeDie Arbeit beruht entsprechend dem Anspruch der interpretativen Policy­Forschung auf qualitativen Methoden der Datenerhebung (Yanow 2003):

,,Politische Programmentwürfe, policyrelevante Stellungnahmen und öffentliche Äußerungensowie die verabschiedeten Gesetzestexte und spezifizierten Verwaltungsvorschriften werden alsText, als Narrative, als Ideenskripte oder als Ausdruck von Grundüberzeugungen bzw. von hand­lungssteuernden 'Rahmen' und als Einsatz bzw. Ergebnis von diskursiven Praktiken zur Gene­rierung von politischen Problemdeutungen und Verantwortungszuweisungen interpretiert"(Schneider/Janning 2006: 171).

Neben dieser Auswertung von Primärquellen wie beispielsweise von kommunalenIntegrationskonzepten, Ausschussanhörungen zu Gesetzgebungsprozessen, Stel­lungnahmen und Auftragsarbeiten der Wohnungswirtschaft sowie insbesondere

11 Auch wenn die Finanzierung der Wohnraumförderung mittlerweile vollständig Sache der Län­der ist, wird über Ausgleichszahlungen weiterhin eine finanzielle Beteiligung des Bundes beste­hen. Eine Verlagerung der wohnungspolitischen Verantwortung auf die Länder und auf die kom­munale Ebene wird von vielen begrüßt, um der Ausdifferenzierung der Wohnungsmärkte inDeutschland in den letzten Jahren Rechnung zu tragen (Harms 2007: 56).

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im britischen Fall von offiziellen Berichten und Handreichungen für Kommunenund Sozialwohnungsanbieter stützt sich die Arbeit aufhalbstrukturierte Interviewsmit insgesamt 44 Experten und Akteuren, die im Sommer und Herbst 2008 und imFrühjahr 2009 in der BRD, GB und NL geführt wurden (siehe Liste der Interview­partner). Insbesondere im Fall der Niederlande, wo aufgrund mangelnder Nieder­ländischkenntnisse der Autorin überwiegend auf die Analyse von Dokumentenverzichtet werden musste, konnten durch die Interviews nicht nur Sachfragengeklärt, sondern auch Einblicke in tiefer liegende Handlungslogiken und -zusammen­hänge relevanter Akteure gewonnen werden.

Zur Auswertung der Daten nutzt die Arbeit die Diskursanalyse (siehe Kapitel5.2), die antritt, "Prozesse der sozialen Konstruktion, Objektivierung, Kommuni­kation und Legitimation von Sinnstrukturen auf der Ebene von Institutionen,Organisationen bzw. kollektiven Akteuren zu rekonstruieren und die gesellschaft­lichen Wirkungen dieser Prozesse zu analysieren" (Keller 1998: 34). Dabei unter­scheidet sich die Diskursanalyse von der Inhaltsanalyse durch die spezifischeperspektivische Kontextualisierung der analysierten Materialien (KellerNiehöfer0.1.: o.S.). In der vorliegenden Arbeit sollen Diskurse als mehr oder wenigererfolgreiche Versuche verstanden werden, Sinn-Ordnungen zumindest aufZeit zustabilisieren und dadurch eine kollektiv verbindliche Wissensordnung zu instituti­onalisieren (Keller 2004b: 7). Dabei wird davon ausgegangen, dass der Kembe­stand an Grundaussagen, der hier als Interpretationsrepertoire bezeichnet wird, imgesellschaftlich-kulturellen Wissensvorrat verfügbar sein muss (Keller 1998: 36),dass eine Deutung also auf "wohlfahrtskulturelle Resonanz" (Lepperhoff 2006:259) treffen muss, um diskursbestimmend werden zu können. "In der Rekonstruktionder Diskurse wird untersucht, inwieweit je unterschiedliche, reflexiv verfügbaresoziokulturelle Traditionen und institutionelle Verfestigungen des gesellschaftlichenNaturbezugs die Diskurse über die Probleme prägen" (a.a.O.: 33). Anders formuliertfungiert der Diskurs als Index des kulturellen Kontextes, in den Policies eingebettetsind (Smith 1989: 108).J2

Aufbau der ArbeitKapitel 2 widmet sich der Systematisierung des Forschungstands zur Entstehungvon Segregation und ihren Folgen, die von Arbeiten zu den Quartierseffekten

12 Dabei ist es fiir den britischen Fall einfilcher, einen kohärenten Diskurs auszumachen, da die Re­gierung seit den "Rasssenunruhen" in Nordengland im Jahr 2001 eine Community-Cohesion­Agenda aufgelegt hat, die den Rahrnen fiir die Diskussion setzt und auf die die Diskursteilnehmerexplizit bezugnehmen. Die Rekonstruktion eines Mischungs-Diskurses ist hingegen insbesondereim deutschen Fall deutlich schwerer, da sich hier keine kohärente Debatte abzeichnet, sondern eineVielfalt an über Jahrzehnten lokalisierbaren Aussagen.

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untersucht werden. Das Kapitel stellt eine ländembergreifende Einführung in daswissenschaftliche framing des Themenkomplexes dar und zeigt Definitions- undMessprobleme auf. Ziel des Kapitels ist eine Unterfütterung der bereits eingangserwähnten Ausgangsbeobachtung, dass die verbreitete Ablehnung von ethnischerSegregation, die die Grundlage für die verschiedenen Mischungspolicies legt, vonempirischer Forschung stark in Zweifel gezogen wird.

Ausgehend von diesem Spannungsverhältnis zwischen politischer Problemati­sierung und wissenschaftlichem Gegenstandpunkt wird in Kapitel 3 der sozial­konstruktivistische Zugang zum Untersuchungsgegenstand erarbeitet, der dieDefinition von Problemen und ihre Konstituierung in sozialen Prozessen insZentrum stellt. Zu diesem Zweck soll zunächst in die Grundlagen des Konstruktio­nismus (3.1) und eine durch ihn geprägte Soziologie sozialer Probleme (3.2) ein­geführt werden. Anschließend werden die zentralen Strömungen innerhalb diesesAnsatzes (reflexives, striktes und kontextuelles Programm) kritisch diskutiert, undes erfolgt eine Verortung der vorliegenden Arbeit im kontextuellen Konstruktio­nismus. Das Kapitel schließt mit einer Auseinandersetzung mit den wesentlichenKritikpunkten an den konstruktionistischen Prämissen, denen ein immanenterRelativismus und die Nichtbeachtung struktureller Problemursachen unterstelltund denen vorgehalten wird, ob eine konstruktionistische Gesellschaftskritikmöglich sei.

Durch den konstruktionistischen Rahmen erfolgt ein Bruch mit einem traditio­nellen Politikverständnis, wonach soziale Probleme Bestandteil einer gegebenenWirklichkeit seien, auf die Policies lediglich reagierten (Schram 1993: 252). InKapitel 4 werden daher zunächst die Entstehung und Grundlagen der traditionellenPolicy-Forschung dargestellt, um deren positivistische Prämissen mit konstruktio­nistisch inspirierten Ansätzen der interpretativen Policy-Forschung zu kontrastieren,die sich seit den 1990er Jahren verbreitet haben. Im Anschluss sollen die Arbeitender zentralen Autoren der verschiedenen Strömungen innerhalb des interpretativenParadigmas vorgestellt und kritisiert sowie jeweils Anknüpfungspunkte für dievorliegende Arbeit aufgezeigt werden. Das Kapitel schließt mit einer Diskussionder Potenziale und blinden Flecken des gewählten Ansatzes.

In Kapitel 5 werden die zentralen Methoden der Arbeit, nämlich der qualitativeVergleich und die Diskursanalyse eingeführt sowie das mit ihnen verbundeneVorgehen erläutert. Dies soll nicht nur die Forschungspraxis transparent machen,sondern darüber hinaus eine theoretische Auseinandersetzung mit den Methodenanregen. Trotz der Verbreitung der Methode des Vergleichs erfolgt eine dezidierteBeschäftigung mit dem ländembergreifenden, fallorientierten Vergleich außer­ordentlich selten, denn qualitative Texte neigen dazu, den Ländervergleich zuvernachlässigen, während Ländervergleiche häufig zu einer variablenorientierten,

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auf Generalisierbarkeit abzielenden Herangehensweise tendieren (vgl. Mangen1999: 109). Ebenso erscheint eine Einführung der Diskursanalyse als Methodenotwendig, da die deutsche Politikwissenschaft - im Gegensatz zur englisch­sprachigen post-positivistischen Policy-Forschung - sie bislang kaum rezipiertund reflektiert hat.

Die Forschungsaufgabe für eine Arbeit, deren Prämissen im Konstruktionismusbegründet sind, besteht in der Analyse von Definitionsleistungen in ihrem kultu­rellen und sozialstrukturellen Kontext (Schmidt 2000: 165). Dieser wird in Kapi­tel 6 beleuchtet. Da in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen wird, dass so­wohl die Problematisierung eines Phänomens selbst, als auch die zu seiner Bear­beitung herangezogenen Policy-Instrumente kontingent sind und an bestehendeIdeen erfolgreich anknüpfen müssen, werden die jeweils nationalen Deutungs­muster zu Migration (6.1.1), zum Integrationsverständnis (6.1.2) sowie die in derWohnungspolitik (6.2) geronnenen Ideen analysiert. Da als Kontext auch die pro­blematisierten Phänomene selbst in Betracht kommen - auch wenn der Sozialkon­struktivismus ihren Einfluss auf die Problemkonstituierung als vergleichsweisegering veranschlagt - sollen zudem die Wohnsituation der Migranten als Integra­tionsindikator (6.3) sowie Ausmaß und Muster der ethnischen Segregation (6.4)dargestellt werden.

Kapitel 7 widmet sich der Analyse der Deutungsmuster ethnischer Segregationin Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden. Dabei soll zunächst (7.1)verglichen werden, welche Entstehungszusammenhänge von ethnischer Segre­gation sich im jeweiligen nationalen Diskurs als dominant behaupten können. Esfolgt ein Vergleich der Folgen, die der ethnischen Segregation in den drei unter­suchten Ländern nachgesagt werden. In 7.3 werden die Policies analysiert undmiteinander verglichen, die wohnungspolitische Reaktionen auf ethnische Segre­gation darstellen. Dabei wird differenziert zwischen nationalen und kommunalenPolicies sowie den Steuerungsversuchen der Wohnungsanbieter. Zudem wird dieKritik an den verschiedenen Ansätzen dargestellt und die Unterschiede undGemeinsamkeiten der Policies zwischen den drei untersuchten Ländern beleuchtet.

Eine interpretative Arbeit, die die Relevanz von Deutungen und Ideen für diepolitische Bearbeitung von Problemen unterstreicht, muss versuchen, Erklärungenanzubieten, woher die relevanten Akteure ihr Wissen beziehen. In Kapitel 7.4soll daher der Frage nachgegangen werden, welche Ideen sich zur ethnischenMischung behaupten können, wie die unterschiedlichen Fähigkeiten der Akteureeinzuschätzen sind, ihr Wissen am "Wissensmarkt" zu platzieren und welcheDiskurskoalitionen sich zum Thema ethnische Mischung aufzeigen lassen. InKapitel 7.5 soll inAnlehnung an die sozialkonstruktivistischen Policy-ForscherinnenSchneider/Ingram (1993) untersucht werden, welche Konstruktion der Ziel-

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gruppen mit den Policies einhergeht, also welche Rollen den Zuwanderern sowieder Mehrheitgesellschaft zugewiesen werden und welche Verantwortlichkeit zurLösung des Problems konstruiert wird.

Das Schlusskapitel dient einer Gesamtschau der Ergebnisse und ihrer Rück­bindung an den Analyserahmen. Dabei orientiert sich die Gliederung des Kapitelsan den Forschungsfragen, die die Untersuchung angeleitet haben. Die Arbeitschließt mit einem Rückblick auf offene Fragen und Ausblick auf lohnendeGegenstände künftiger wissenschaftlicher Beschäftigung mit ethnischer Segre­gation und Desegregationsversuchen.

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2. Segregation und ihre Folgen - Einführung in denForschungsstand

Menschliches Zusammenleben ging seit jeher mit einer Hierarchisierung desRaumes einher (Dangschat 1997: 619). Dementsprechend zentral für die Stadtfor­schung jeglichen disziplinären Hintergrundes ist die Beschäftigung mit Segrega­tion13, definiert als disproportionale Verteilung von Bevölkerungsgruppen über einGebiet. Während Friedrichs (1988: 56) die residentielle Segregation, die er alsZusammenhang zwischen sozialer und räumlicher Ungleichheit begreift, als zen­trale Forschung der Stadtsoziologie bezeichnet, werfen Brown und Chung (2006:125) die rhetorische Frage auf: "What could be more inherently geographical thansegregation?" Eine politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem The­menfeld, wie sie in der vorliegenden Arbeit stattfindet, ist ausgesprochen selten,obgleich die durch wohnungs- und stadtpolitische Entscheidungen bedingtenMakrobedingungen in den meisten Arbeiten als Erklärungsfaktor herangezogenwerden (vgl. Friedrichs 1988: 56).

Das folgende Kapitel dient als eine länderübergreifende Einführung14 in denaktuellen Forschungsstand und wissenschaftlichen Diskurs zu ethnischer Segrega­tion und ihren potenziellen Folgen. Hier sollen zunächst die in der internationalenForschung anzutreffenden Erklärungen für die Entstehung von ethnischer Segre­gation sowie ihre Messung kritisch diskutiert werden. Dies erfolgt weitgehendlosgelöst von den national spezifischen Deutungsmustern zur Entstehung vonMigrantenvierteln, wie sie in Kapitel 7.1 auf Grundlage der Experteninterviewsund Auswertung der Policy-Dokumente miteinander verglichen werden.

Obgleich sich europäische Wissenschaftler in der Regel darüber einig sind, dassder Begriff Ghetto der Beschreibung ethnisch segregierter Nachbarschaften ineuropäischen Städten nicht gerecht wird (Schönwälder 2006: 21), hält sich dieseBezeichnung sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch im politischenDiskurs in allen untersuchten Ländern. Daher soll in einem zweiten Schritt erläu-

13 In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff neutral verwendet und nicht als Gegensatz zur Integ­ration im Sinne der Segmentation.

14 Südeuropäische Staaten werden jedoch bislang in der Konstruktion einer "European metaphor ofsegregation" kaum berücksichtigt (Arbaci 2007: 403).

S. Münch,Integration durch Wohnungspolitik?, DOI 10.1007/978-3-531-92571-4_2,© VS Verlag flir Sozialwissenschaften ISpringer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

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tert werden, warum dieses Konzept ungeeignet ist, Segregationstendenzen inEuropa zu erfassen und warum dementsprechend in der vorliegenden Arbeit aufdiesen Terminus verzichtet wird.

Abschließend wird in diesem Kapitel der Frage nachgegangen, welche negativenFolgen der ethnischen Segregation in der wissenschaftlichen Literatur zu denNachbarschaftseffekten diskutiert werden. Dies erscheint notwendig, da bereitseingangs darauf hingewiesen wurde, dass die weitgehend einheitliche politischeAblehnung von ethnischer Segregation in den meisten europäischen Länderndurch empirische Forschungsergebnisse ausgesprochen wenig Rückendeckungerhält (Atkinson 2005: 27). Dabei werden an dieser Stelle die nationalspezifischenDeutungsmuster der drei Fallstudienländer noch nicht berücksichtigt, da zunächstherausgearbeitet wird, wie ambivalent die vermeintlichen Folgen von Segregationin der Forschungsliteratur bewertet werden.

2.1 Segregation: Definitionen und Messmethoden

In Forschungsarbeiten wird zwischen sozialer, ethnischer oder demographischerSegregation unterschieden, wobei mit letzterem die unterschiedliche Verteilungverschiedener Altersgruppen bezeichnet wird (Erdmann 2001: 146).15 Segregationkann sowohl zwischen Stadt und Umland, zwischen Stadtteilen als auch innerhalbeiner Nachbarschaft beobachtet werden (van Kempen/Özüekren 1998: 1632).Wenn relativ stark segregierte Minderheiten mehrheitlich in nur wenigen Gebietender Stadt leben, spricht man von Konzentration (Sturm 2007: 245). Dabei müssensich Mischung und Konzentration nicht widersprechen, wenn etwa zehn verschie­dene Gruppen jeweils einen Anteil von 10% an der Bevölkerung des Stadtteilsstellen, aber beispielsweise alle Chinesen in diesem Stadtteil leben (van Kempen/Özüekren 1998: 1633).

Segregationsindizes sind die klassischen, aus der nordamerikanischen Stadt­soziologie stammenden, aber nicht unumstrittenen Verfahren zur Messung vonSegregation. Der Segregationsindex (IS) misst die Differenz in der räumlichenVerteilung einer Bevölkerungsgruppe im Vergleich zur Restbevölkerung, derDissimilaritätsindex (ID) die unterschiedliche Verteilung zwischen zwei Gruppen(Domburg-De RooijlMusterd 2002: 114). Dabei beschreibt der ID-Wert 0 einenZustand, bei dem die Zusammensetzung der Einwohner jedes Stadtteils dem derStadt insgesamt exakt entspricht, während steigende Werte eine steigende Abwei-

15 Ist in einem Quartier die überlappung aller drei Dimensionen festzustellen, wird dies oftmals alsVerbleib der "A-Gruppen" - Arme, Alte und Ausländer - bezeichnet.

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chung der Siedlungsmuster signalisieren. Bei einem Wert von 100 würden diebeiden Vergleichsgruppen in unterschiedlichen Vierteln jeweils vollkommen ge­trennt von einander leben (Schönwälder/Söhn 2007: 40). Segregation wird nachdem Segregationsindex also gefasst als Prozentsatz derer, die umziehen müssten,um ein Gleichgewicht herzustellen. Der IS bezieht die gesamte Bevölkerung einerStadt in den Vergleich ein, während mit dem ID auch zwei ausgewählte Gruppenmiteinander verglichen werden können. Dementsprechend sind ID und IS deckungs­gleich, wenn beispielsweise Ausländer und Deutsche mit einander verglichenwerden.

Aus normativer Sicht wird am Segregationsindex kritisiert, dass er eine Wertungimpliziere, obwohl eine empirische Forschung im Sinne des Kritischen Rationa­lismus wertfrei sein müsste (Dangschat 1997: 630):

"This phrasing, which can sound so neutral and merely statistical to some ears, to others carriesobjectionable white integrationist assumptions. Why construct an index of segregation tbatpietures the Blacks as rnoving while the Whites stay where they are? Really to achieve lowerracial concentration, don 't both groups have to rnove? The definition oftbe index also suggeststhat the desirable goal is a proportionate rnixing of whites and people of colour through allresidential areas" (Young 2000: 199).

Problematisch am Segregationsindex ist zudem auf der operativen Ebene, dass dieHöhe der Indexwerte sowohl von der Größe als auch von der Anzahl der zugrundegelegten Teilgebiete abhängt (ILS 2006: 96). Zum einen steigt der Index, je kleinerdie Einheit gewählt wurde, zum anderen sind kleinräumige Daten in den meistenStaaten selten (Benenson/Omer 2002: 11; Dangschat 1997: 627). Zudem ist nicht zuerkennen, aufGrundlage welchenAusmaßes der Konzentration einer Bevölkerungs­gruppe der Durchschnittswert zustande gekommen ist (Dangschat 1997: 623). Dem­entsprechend schwierig gestaltet sich auch der internationale Vergleich von Segrega­tionsindizes angesichts unterschiedlicher Minderheitendefinitionen, verschiedenerGrößen des zugrunde liegenden Raums, unterschiedlicher Zuwanderergruppen(Gastarbeiter, Asylbewerber, high potentials, Bürger ehemaliger Kolonien) mit un­terschiedlicher Aufenthaltsdauer (Domburg-De Rooij/Musterd 2002: 114).

Ab wann ein Segregationsindex eine "hohe" Siedlungskonzentration anzeigt,kann außerdem nicht länderübergreifend oder an einem objektiven Schwellenwertfestgemacht werden (Schönwälder/Söhn 2007: 41). Während Friedrichs (1995:80) vorschlägt, einen ID bzw. IS-Wert ab 40 als hoch zu bewerten, werden dembritischen Geographen Peach (2007: 14) zufolge Werte bis 39 als niedrig, Wertezwischen 40 und 49 als moderat, von 50-59 als gemäßigt hoch, von 60 bis 69 alshoch und ab 70 als sehr hoch interpretiert.

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