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1 Teil A Arzneimittel in der Schwangerschaft

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ATeil A

Arzneimittel in derSchwangerschaft

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IEntwicklung,

Entwicklungsstörungenund Fehlbildungen

Gerd Neumann, Klaus Friese

1 Embryonalentwicklung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2 Gesetzmäßigkeiten bei der Entstehung von Entwicklungsstörungen. . . . . . 17

3 Teratogenspezifische Fehlbildungsmuster. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

4 Ursachen von Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

5 Methoden zur Prüfung auf Embryotoxizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

6 Embryotoxizität und Teratogenität beim Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

7 Arzneimittelgebrauch vor der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

8 Medikamentenmissbrauch und -abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

9 Pränatale Diagnostik im Zusammenhang mit mutagenen, teratogenen

sowie fetotoxischen Noxen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

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A I

1 Embryonalentwicklung des Menschen

Die Arzneimitteleinnahme in der Schwanger-schaft kann zu pränatalen Entwicklungsstörun-gen führen, da die Plazenta und die embryona-len Zellen empfindlich auf verschiedene exoge-ne Noxen reagieren. Für das Verständnis derZusammenhänge pränataler Entwicklungsstö-rungen und angesichts der Schwierigkeiten, diesich bei einer Risikoabschätzung reprodukti-onstoxikologischer Effekte ergeben, sind Kennt-nisse über die normale menschliche Entwick-lung und mögliche Fehlbildungen von großerpraktischer Bedeutung.

Jede Embryonalentwicklung, auch die desMenschen, zeigt eine große Variabilität. Die

Zeitangaben für bestimmte Entwicklungsschrit-te sind daher nur als Mittelwerte zu betrachten.Die Größe der Variabilität hängt vom erreichtenEntwicklungsstand ab. Als Richtwerte kannmanfür den ersten und zweiten Monat etwa ± einehalbe Woche und für die Fetalzeit ± eine Wocheannehmen. Dabei muss die Entwicklung ver-schiedener Organe des gleichen Embryosdurchaus nicht gleichsinnig verlaufen, d. h., Em-bryonen mit dem gleichen Befruchtungsalterentwickeln sich nicht notwendigerweise auchgleich schnell. Eine Übersicht über die verschie-denen embryonalen und fetalen Entwicklungs-perioden enthält □Tab. 1.1.

□ Tab. 1.1 Embryonale und fetale Entwicklungsperioden. Nach [61]

Periode Zeitpunkt Biologische Vorgänge Entwicklungsstörungen

Gametoge-nese

Vor derKonzeption

Entwicklung der männlichen undweiblichen Keimzellen

Chromosomenaberrationen (z.B.Trisomie 21)

Blastoge-nese

0.–18. Tag Erste Teilung der Zygote, Entwicklungder Blastula, Differenzierung in Emb-ryoblast und Trophoblast

Keimtod; symmetrische undasymmetrische Doppelfehlbil-dungen

Embryoge-nese

19. Tag –8. Woche

Bildung der Organe und Organsysteme,Organdifferenzierung; Anschluss anden mütterlichen Kreislauf, Ausdiffe-renzierung der Plazenta

Einzelfehlbildungen, z.B. Dysra-phien, Herz- und Gefäßanomali-en; Schäden durch Virusinfektio-nen, z.B. Röteln-Embryopathie

Fetogenese 9. Woche –Geburt

Weiteres Wachstum, Abschluss der Or-gandifferenzierung, Ausreifung

Schädigung durch Infektionen,z.B. durch Spirochäten, Toxo-plasmen; Morbus haemolyticusneonatorum

Gametogenese ... 6 | Blastogenese ... 8 | Embryogenese ... 10 | Fetogenese ... 14

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1 Embryonalentwicklung des Menschen6

1.1 Gametogenese

Männliche und weibliche Keimzellen durchlau-fen im Rahmen ihrer Entwicklung Reifeteilun-gen und zelluläre Differenzierungen. Währendder Reifeteilung (Meiose) wird die Chromoso-menzahl im Vergleich zur normalen somati-schen Zelle auf die Hälfte reduziert, d. h. von 46(diploider Chromosomensatz) auf 23 (haploiderChromosomensatz). Diese Chromosomenzahl-reduzierung ist notwendig, weil sonst die Ver-schmelzung einer männlichen und einer weibli-chen Keimzelle ein Individuum ergäbe, dessenZellen doppelt so viele Chromosomen besitzenwürden wie die der Eltern.

1.1.1 SpermatogeneseDie Stammzelle der Spermatogenese wird alsSpermatogonie bezeichnet. Spermatogonienwerden im embryonalen Hoden in der 5. bis 6.Woche post conceptionem (p. c.) zusammenmitden Sertoli-Zellen in die soliden Keimsträngeaufgenommen und lagern dort bis zur Pubertät.Erst mit der Pubertät treten die Spermatogonienin die Phase der mitotischen Vermehrung ein.Die Spermatogenese umfasst folgende Perioden:󠀂 Vermehrungsperiode,󠀂 Wachstumsperiode,󠀂 Reifungsperiode.

Insgesamt werden bei der Spermatogenese vierStufen durchlaufen (○Abb. 1.1):1. Spermatogonie (diploid: 23 als homologe

Paare vorhandene Chromosomen),2. Spermatozyte erster Ordnung (vier Chroma-

tiden),3. Spermatozyte zweiter Ordnung (zwei Chro-

matiden),4. Spermatiden (ein Chromatid wächst zu ei-

nem Chromosom).

Die weitere Differenzierung der Spermatiden(Spermiogenese) führt zu den reifen befruch-tungsfähigen Spermien.

Bei der Spermatogenese entstehen aus einerStammzelle (Spermatogonie) vier gleichartigeZellen (Spermien); davon sind 50% männlicher(Y-Chromosom) und 50% weiblicher Prägung(X-Chromosom). Die Entwicklung von derSpermatogonie bis zum Spermium dauert beimMenschen 64 Tage.

1.1.2 OogeneseUrkeimzellen differenzieren sich beim weibli-chen Embryo in der 5. Woche zu Oogonien, diedann eine mitotische Vermehrungsperiodedurchlaufen. Etwa 4 bis 7 (–10)MillionenOogo-nien differenzieren sich zwischen dem 3. und7. Monat zu primären Oozyten, die nach Repli-kation ihrer DNA in die erste Reifungsteilungeintreten (○Abb. 1.2). Bis zur Geburt werdenalle Oogonien und ein Großteil der primärenOozyten atretisch. Die noch verbleibenden(400000–)700000 bis 1(–2) Millionen primärenOozyten – die Zahlenangaben hierzu differierenstark – bilden zusammen mit den sie umgeben-den Epithelzellen die Primärfollikel des Ovars.Bis zur Pubertät vermindert sich die Anzahl derprimären Oozyten weiter auf ca. 40000. Etwa400 davon vollenden im Laufe der folgendenJahre bis zurMenopause nach Follikelreifung imRahmen des Ovarialzyklus die erste Reifetei-lung. Dabei entstehen eine sekundäre Oozyteund ein erstes Polkörperchen. Die zweite Reife-teilung beginnt unmittelbar danach, sie wirdaber nur bei Befruchtung der Eizelle abgeschlos-sen. Jedes Ovum besitzt als Geschlechtschromo-som somit nur ein X.

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1.1 Gametogenese 7

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Wandert in die Gonade

Mitotische Teilungen vondiploiden Spermatogonien

Elongation

Urkeimzelle

Spermatogonie

Primäre Spermatozyte

Sekundäre Spermatozyte

Runde Spermatozyte

Elongierte Spermatiden (Spermatozoen)

Mitose

Meiose I

Meiose II

○ Abb.1.1 Schematische Darstellung der Spermatogenese beim Mann. Nach [82a]

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1 Embryonalentwicklung des Menschen8

1.2 Blastogenese

1.2.1 Erste EntwicklungswocheDie Befruchtung der Eizelle erfolgt beim Men-schen in der Pars anularis der Tube und ist nurin einem Zeitraum von 12 bis 24 Stunden nachder Ovulationmöglich. Die aus der Befruchtung

hervorgehende Zygote entwickelt sich durchmi-totische Zellteilung weiter (○Abb. 1.3). Hierbeierfolgen sowohl äquatoriale als auch meridiona-le Teilungen. Nachdem die Zygote das 2-Zell-Stadium erreicht hat, durchläuft sie eine Reiheweiterer Mitosen, sodass die Zellzahl weiter an-steigt. Die Zellen werden mit jeder Furchungs-

Geschlechtszelle

Chromosomensatz

Oogonie

Oozyt in der Prophase

Oozyt II. Ordnung

Ovum

Oozyt 1. Ordnungim Primordialfollikel

Oozyt 1. Ordnungin Primär-, Sekundär- und Tertiärfollikel

2n

4n

2n

n

LeptotänZygotänPachytänDiplotän

Pupertät

1. Reifeteilung

Follkelsprung2. Reifeteilung

Geburt

Meiose

○ Abb.1.2 Chronologische Zuordnung der weiblichen Geschlechtszellenentwicklung. Nach [80a]

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1.2 Blastogenese 9

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teilung kleiner.Man bezeichnet sie als Blastome-ren. Etwa 3 Tage nach der Befruchtung erreichtdie Zygote das 16-Zell-Stadium und sieht wieeine Maulbeere (Morula) aus.

DieMorula entwickelt sich aus der Zygote aufdem Weg von der Tube in den Uterus. Dabeigeht zunächst die Corona radiata des ursprüng-lichen Eies verloren, dann auch die Zona pellu-cida. Die Zona pellucida scheint die Aufgabe zuhaben, die ersten Furchungszellen (Blastome-ren) zusammenzuhalten, um eine zu frühe Ein-nistung in die Tubenwand zu verhindern. Ausder Morula bildet sich die Blastozyste. Diese be-steht aus:󠀂 Trophoblast,󠀂 Embryoblast,󠀂 Exozölom.

Die Blastozyste ist implantationsreif, d. h., siebesitzt die Fähigkeit, sich in das Endometriumeinzunisten (Implantation). Die Implantationbeginnt etwa 6 bis 7 Tage nach der Ovulation.

1.2.2 Zweite EntwicklungswocheIn der zweiten Entwicklungswoche dringt dieBlastozyste in das Endometrium ein und be-wirkt die vollständige interstitielle Implantation.Nach abgeschlossener Implantation sind an derjungen Blastozyste vier Strukturen erkennbar(○Abb. 1.4):Trophoblast: Der Trophoblast bildet eine innereaktive proliferierende Schicht, den Zytotropho-blasten, und eine äußere vielkernige Schicht,den Synzytiotrophoblasten. Im Synzytiotropho-blasten treten Lakunen auf. Aus mütterlichenGefäßen fließt Blut in diese Lakunen ein, sodass

Ovulation 1Ovar

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12–24Std.

30 Std.

3 Tage

4,5–5 Tage

Cavum uteriAdnexe

○ Abb.1.3 Ovulation, Fertilisation, Embryonalentwicklung und Tubentransport nach der Ovulation [50].(1) Expulsion der Oozyte mit 1. Polkörperchen und Spindel in der 2. Metaphase; (2) Spermatozoenpenet-ration der Oozyte, Bildung des 2. Polkörperchens; (3) Formation des männlichen und weiblichen Pronuk-leus, Spermatozoenschwanz in Oozytenzytoplasma; (4) Spindel der Metaphase der 1. Teilung; (5) Zwei-zellstadium; (6) Vierzellstadium; (7) Achtzellstadium; (8) Morula; (9) Blastozyste in der Frühphase der1. Teilung; (10) Blastozyste im Stadium der Implantation

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ein einfacher uteroplazentarer Kreislauf ent-steht.Embryoblast: Die Zellen des Embryoblastenbilden eine Entoderm- und eine Ektoderm-schicht aus.Amnionhöhle: Über dem Ektoderm kommt esin einem Spaltraum zwischen Trophoblast undEktoderm zur Ausbildung der Amnionhöhle.Primärer Dottersack: Die Entodermzellen klei-den die Blastozystenhöhle aus und bilden so denprimären Dottersack.

1.3 Embryogenese

Im Anschluss an die Blastogenese, deren Ent-wicklungsperiode von der Zygote bis zur im-plantationsreifen Blastozyste reicht, folgt diePhase der Embryogenese. In der dritten Embry-onalwoche bilden sich der Primitivstreifen undan seinem kranialen Ende der Primitivknotenaus. Das Zellmaterial aus dem Ektoderm wan-dert entlang des Primitivstreifens in die Tiefeund bildet die intraembryonale Mesoderm-schicht (○Abb. 1.5).

Im Zeitraum zwischen der 4. und 8. Entwick-lungswoche entwickeln sich aus Ektoderm, Me-

Mütterliche Sinusoide

Trophoblastlakunen

Synzytium

Zytotrophoblast

Amnionhöhle

Ektoderm

Primäres Entoderm

Primärer Dottersack

Schlusskoagulum

Entoderm

○ Abb.1.4 Blastozyste in der 2. Schwangerschaftswoche. Nach einer Originalzeichnung von Frau Mann,Universitätsfrauenklinik, Campus Innenstadt, München

Ektoderm Mesoderm Entoderm

○ Abb.1.5 Dreiblättrige Keimscheibe. Nach einer Originalzeichnung von Frau Mann, Universitätsfrauen-klinik, Campus Innenstadt, München

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1.3 Embryogenese 11

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soderm und Entoderm die für jedes Keimblattcharakteristischen Organsysteme.

1.3.1 Dritte EntwicklungswocheDie Zotten der aus dem Trophoblasten gebilde-ten jungen Plazenta haben sich stark vermehrtund verzweigt. Dadurch ist die Kontaktoberflä-che zummütterlichen Organismus stark vergrö-ßert. In den Zotten bilden sich Blutgefäße. DerStoffaustausch zwischen Mutter und Embryofindet nun über die Plazenta statt. In den Emb-ryo wachsen vomDottersack her Blutgefäße ein,auch Blutzellen werden im Dottersack gebildet;die Erythrozyten sind in diesem Stadium kern-haltig. Die Neuralgrube beginnt sich zum Neu-ralrohr zu schließen, in dessen vorderem Teilbläschenartige Ausweitungen als erste Grobein-teilung des Gehirns erscheinen. Die ersten So-miten (Vorläufer der Wirbelsäule) entstehen.Das primitive, schlauchartige Herz schlägt ver-einzelt. Als Organanlagen treten Lunge, Darm,Leber, Ohr, Auge, Niere, Schilddrüse und Mus-kulatur in Erscheinung. Der Embryo ist amEnde der drittenWoche 2mm groß.

1.3.2 Vierte EntwicklungswocheDas jetzt geschlossene Neuralrohr weist ersteHirnnerven und Ganglien als nervöse Schalt-zentralen auf. Die Somiten sind vollständig vor-handen. Der primitive Blutkreislauf schließtsich. Der einfache Herzschlauch unterteilt sichjetzt und kontrahiert rhythmisch. Die Anlagender Extremitäten sind als Knospen erkennbar.Kieferwülste bilden sich aus. Eine Augengrubeund eine Ohrgrube sind vorhanden. Die primi-tiveNierenentwicklung schreitet weiter fort, dieendgültige Niere ist angelegt. Des Weiteren sindAnlagen von Adenohypophyse (Hypophysen-vorderlappen), Luftröhre, Pankreas, Magen undZunge zu beobachten. Die Größe des Embryosbeträgt 8mm.

1.3.3 Fünfte EntwicklungswocheDas hintere Neuralrohr differenziert sich bereitszum Rückenmark. Im Gehirn sind nun diewichtigsten Teile angelegt. ImAuge differenziertsich die Retina. Pigment tritt auf und die Linsen-

grube hat sich zum Linsenbläschen geschlossen.Die Blutgefäße wandern aus dem Rumpf inKopf und Gliedmaßen ein; dort bilden sich jetztauchMuskeln. In den paddelförmigen vorderenGliedmaßen werden Gewebsverdichtungen alsVorläufer der Knochen gebildet. In der vorderenWirbelsäule beginnt die Knorpelbildung. DerDarm hat sich in mehrere Abschnitte unterteilt.Die Haut bekommt eine zweite Zellschicht. DieLunge verzweigt sich. Als neue Anlagen sind zubeobachten: Neurohypophyse (Hypophysen-hinterlappen), Epiphyse (Zirbeldrüse), Harnlei-ter, primitive Genitalleiste, Gallenblase, Milzund Thymus. Der Embryo ist 14mm groß(○Abb. 1.6).

1.3.4 Sechste EntwicklungswocheIn diesem Stadium dominiert die Kopfentwick-lung. Das Vorderhirn wächst stark, Hirnhäutesind angelegt. Der Nervus opticus (Sehnerv)wandert in die Augen ein. Augenlider sind ange-legt. Das äußere Ohr ist zu erkennen. Das Herzhat nun vier Kammern. Die Blutbildung hatsich in die Leber verlagert. In den vorderen Ext-remitäten haben sich die Finger getrennt, wäh-rend die Zehen erst fast frei sind. Knorpel tritterstmals in den Gliedmaßen auf, in der Wirbel-säule ist er dagegen schon verbreitet. AbleitendeGenitalgänge erscheinen; die Urkeimzellenwandern, vom Dottersack herkommend, in dieGenitalleisten ein; diese können sich daraufhinzur Keimdrüse entwickeln. Als neue Anlage tre-ten auf: Milchdrüsen, Speicheldrüsen, Mittel-ohr, Hornhaut des Auges. Der Embryo ist 23mmgroß (○Abb. 1.7).

1.3.5 Siebte EntwicklungswocheDie ab der 5. Woche vorhandene Schwanzknos-pe degeneriert jetzt wieder. Die Zehen sind frei;in denGliedmaßen beginnt die Verknöcherung.Das Schädelskelett entwickelt sich stark. DieHauptarterien verästeln sich. Die Muskeln set-zen die in der vorhergehendenWoche begonne-ne Differenzierung fort. Die endgültige Nierebeginnt mit der Differenzierung. Die definitiveMagenform ist erreicht. Das Lumen des Zwölf-fingerdarms ist vorübergehendmit Epithelzellen

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1 Embryonalentwicklung des Menschen12

ausgefüllt. (Kann dies nicht rückgängig gemachtwerden, so spricht man später von Duodenalste-nose oder -atresie, wie sie etwa nach EinwirkungvonThalidomid beobachtet wurde. Auch andereHohlorgane werden während der Embryonal-entwicklung zeitweise verschlossen.) Der Emb-ryo ist nun 3cm lang (○Abb. 1.8).

1.3.6 Achte EntwicklungswocheDas Gesicht bildet sich. Im Vorderhirn beginntdie Feindifferenzierung. Die großen Blutgefäßesind in ihrer endgültigen Position. In der vorde-ren Wirbelsäule beginnt die Verknöcherung.Die Muskeln sind ausgebildet und innerviert.Der Darm zeigt erste Zotten. Erstmals sind Ho-den und Eierstöcke zu unterscheiden. Die

○ Abb.1.6 (A) Menschlicher Embryo am Ende der 5. Entwicklungswoche, Länge 14mm. (B) MenschlicherEmbryo in der 5. Entwicklungswoche (6+4 SSW p.m.), Scheitelsteißlänge 7mm

○ Abb.1.7 (A) Menschlicher Embryo am Anfang der 6. Entwicklungswoche, Länge 23mm. (B) Menschli-cher Embryo in der 6. Entwicklungswoche (7+3 SSW p.m.). Scheitelsteißlänge 12mm

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1.3 Embryogenese 13

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Schilddrüse bildet Follikel. Es tritt ein physiolo-gischer Nabelbruch ein. Anlagen von Lymph-knoten und Tastkörperchen treten in Erschei-nung. Der Embryo ist 4 cm lang und wiegt 5Gramm.

Die wichtigsten Entwicklungsschritte wäh-rend der Embryonalperiode sind in □Tab. 1.2zusammengefasst.

○ Abb.1.8 (A) Menschlicher Embryo in der Mitte der 7. Entwicklungswoche, Länge 30mm. (B) Menschli-cher Embryo in der 7. Entwicklungswoche (8+4 SSW p.m.), Scheitelsteißlänge 19mm

□ Tab.1.2 Die wichtigsten Entwicklungsschritte in der Embryonalperiode [70] (Fortsetzung)

Tage p. c. Somiten Länge [mm] Stadienbeschreibung

14–15 0 0,2 Entwicklung des Primitivstreifens

16–18 0 0,4 Chordafortsatz, Blutinseln im Dottersack

19–20 0 1–2 Intraembryonales Mesoderm voll abgebildet; Primitivstreifenvollständig; Ausbildung der Nabelgefäße und der kranialenNeuralfalten

20–21 1–4 2,0–3,0 Aufrichtung der kranialen Neuralfalten und Einsenkung derNeuralrinne; Beginn der Abfaltung

22–23 5–12 3,0–3,5 Neuralrohrschluss im Halsbereich; Neuroporus ant. und post.weit offen; 1. und 2. Schlundbogen; Ausbildung der Herz-schleife

24–25 13–20 3,0–4,5 Kraniokaudale Krümmung; der Neuroporus ant. schließt sich;Augenbläschen vorhanden; Entwicklung der Ohrplakode

26–27 21–29 3,5–5,0 Der Neuroporus post. schließt sich; die Armknospe erscheint;3 Schlundbögen

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IIArzneimittel in der Schwangerschaft

– Spezieller Teil

Klaus Mörike

10 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

11 Analgetika, Antirheumatika, Lokalanästhetika, Narkosemittel und

Muskelrelaxanzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

12 Immunsuppressiva und Immunmodulatoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

13 Antiinfektiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

14 Mittel zur Behandlung von Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts . . . . . 172

15 Mittel zur Beeinflussung der Hämostase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

16 Mittel zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 197

17 Mittel zur Behandlung allergischer Erkrankungen, des Asthma

bronchiale und anderer Atemwegserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

18 Mittel zur Behandlung endokriner und Stoffwechselerkrankungen . . . . . 236

19 Mittel zur Behandlung neurologischer Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

20 Psychopharmaka und andere Zentralnervensystem-wirksame Mittel . . 281

21 Antineoplastische Mittel und Protektiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

22 Mittel zur Behandlung von Hauterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

23 Diagnostika und Mittel zur Diagnosevorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

24 Antidota . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

25 Vitamine, Mineralstoffpräparate und Spurenelemente, Antianämika,

Fluorid. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

26 Wehenfördernde Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

27 Ophthalmika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

28 Urologika. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

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10 Einführung

Der Spezielle Teil enthält Informationen zu deneinzelnenWirkstoffen nach dem aktuellen Standder wissenschaftlichen Literatur. Gesichtspunk-te, die eine Wirkstoffklasse insgesamt betreffen,sind den einzelnen Kapiteln vorangestellt.

Für die einzelnen Wirkstoffe werden unterdem Punkt „Bewertung“ jeweils die Risikokate-gorien der Food and Drug Administration(FDA) der Vereinigten Staaten (□Tab. 10.1) so-wie des Australian Drug Evaluation Commit-tee (ADEC) (□Tab. 10.2) für die Arzneimittelan-wendung in der Schwangerschaft – soweit ver-fügbar – angegeben [1]. Im Anschluss folgt eineZusammenschau relevanter Studienergebnisseund Literaturstellen, ergänzt – soweit möglichund sinnvoll – um klinisch relevante Hinweisedes Verfassers zur Anwendung des Arzneistoffesin der Schwangerschaft.

Hinweise󠀂 Die Auswahl der im Folgenden bei den

einzelnen Wirkstoffen aufgeführten Han-delspräparate erfolgt exemplarisch undist nicht gleichzusetzen mit einer Emp-fehlung.

󠀂 Bei einigen Arzneimittelgruppen werdenArzneistoffe aufgeführt, deren bestim-mungsgemäße Anwendung in derSchwangerschaft nach heutigem Stand alssicher gilt (Kasten „Bewertungsüber-sicht“). Diese Aussagen können jedocheine individuelle Beratung der Schwan-geren und eine therapeutische Entschei-dung im Einzelfall nicht ersetzen. Nicht sogekennzeichnete Arzneimittel bedeutennicht notwendigerweise ein erhöhtes Ri-siko für den Fetus bzw. Embryo.

󠀂 Die medizinische Wissenschaft unterliegteinem ständigen Wandel. Daher sollte vorder Verabreichung von Arzneimitteln anSchwangere grundsätzlich die jeweilsaktuelle Fachinformation konsultiertwerden. Dies gilt insbesondere auch fürDosisangaben.

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10 Einführung98

□ Tab.10.1 Definitionen der Schwangerschaftskategorien der Food and Drug Administration (FDA) derVereinigten Staaten von Amerika [2]

Kategorie Definition

A Kontrollierte Studien bei Frauen zeigen kein Risiko für den Fetus im ersten Trimenon (und esgibt keine Hinweise für ein Risiko in späteren Trimenons), und die Möglichkeit eines Schadensfür den Fetus erscheint fern.

B Entweder Reproduktionsstudien am Tier haben kein fetales Risiko ergeben, aber es existierenkeine kontrollierten Studien bei schwangeren Frauen, oder Reproduktionsstudien am Tier ha-ben eine unerwünschte Wirkung (außer Reduktion der Fertilität) gezeigt, die in kontrolliertenStudien bei Frauen im ersten Trimenon nicht bestätigt wurde (und es gibt keine Hinweise aufein Risiko in späteren Trimenons).

C Entweder Studien am Tier haben unerwüschte Wirkungen auf den Fetus (teratogene oder em-bryozide oder andere) gezeigt, und es gibt keine kontrollierten Studien bei schwangerenFrauen, oder Studien bei Frauen und Tieren sind nicht verfügbar.Diese Arzneimittel sollten nur gegeben werden, wenn der potenzielle Nutzen das potenzielleRisiko für den Fetus rechtfertigt.

D Es gibt tatsächliche Hinweise auf ein Risiko für den menschlichen Fetus, aber der Nutzen ausder Verwendung bei schwangeren Frauen kann trotz des Risikos (z.B. wenn das Arzneimittelin einer lebensbedrohlichen Situation oder für eine ernsthafte Erkrankung, für die sicherereArzneimittel nicht verwendet werden können oder ineffektiv sind, benötigt wird) akzeptabelsein.

X Studien beim Tier oder beim Menschen haben fetale Abnormalitäten gezeigt, und/oder es lie-gen Hinweise für ein fetales Risiko auf der Basis von Erfahrungen beim Menschen vor, und dasRisiko der Verwendung des Arzneimittels bei schwangeren Frauen überwiegt klar über demmöglichen Nutzen.Das Arzneimittel ist kontraindiziert bei Frauen, die schwanger sind oder werden können.

□ Tab.10.2 Definitionen der Schwangerschaftskategorien des Australian Drug Evaluation Committee(ADEC) [3] (Fortsetzung)

Kategorie Definition

A Arzneimittel, die von einer großen Zahl schwangerer Frauen und von Frauen im gebärfähigenAlter verwendet worden sind, ohne dass ein gesicherter Anstieg der Häufigkeit von Missbil-dungen oder anderen direkten oder indirekten schädlichen Wirkungen auf den Fetus beob-achtet worden ist.

B1 Arzneimittel, die nur von einer begrenzten Zahl von schwangeren Frauen und von Frauen imgebärfähigen Alter eingenommen worden sind, ohne dass ein Anstieg der Häufigkeit vonMissbildungen oder anderen direkten oder indirekten schädlichen Wirkungen auf denmenschlichen Fetus beobachtet worden ist.Studien beim Tier haben keine Hinweise auf eine erhöhte Häufigkeit von Schäden beim Fetusgezeigt.

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[1]Micromedex® 2.0. Truven Health Analytics Inc.www.micromedex.com

[2] Food and Drug Administration (FDA), Depart-ment of Health and Human Services: Subchapter C– Drugs: General. Part 201 – Labeling. Subpart B –Labeling Requirements for Prescription Drugsand/or Insulin. www.gpo.gov/fdsys/pkg/CFR-

2004-title21-vol4/xml/CFR-2004-title21-vol4-sec201–57.xml (Zugriff 15.02.2014)

[3]Australian Drug Evaluation Committee (ADEC):Medicines in Pregnancy – An Australian Categori-sation of Risk of Drug Use in Pregnancy. 3rd ed.Australian Government Publishing Service, Can-berra, Australia, 1996

□ Tab.10.2 Definitionen der Schwangerschaftskategorien des Australian Drug Evaluation Committee(ADEC) [3] (Fortsetzung)

Kategorie Definition

B2 Arzneimittel, die nur von einer begrenzten Zahl von schwangeren Frauen und von Frauen imgebärfähigen Alter eingenommen worden sind, ohne dass ein Anstieg der Häufigkeit vonMissbildungen oder anderen direkten oder indirekten schädlichen Wirkungen auf denmenschlichen Fetus beobachtet worden ist.Studien beim Tier sind unzureichend oder fehlen, aber die verfügbaren Daten zeigen keinenHinweis für ein erhöhtes Vorkommen von Schäden beim Fetus.

B3 Arzneimittel, die nur von einer begrenzten Zahl von schwangeren Frauen und von Frauen imgebärfähigen Alter eingenommen worden sind, ohne dass ein Anstieg der Häufigkeit vonMissbildungen oder anderen direkten oder indirekten schädlichen Wirkungen auf denmenschlichen Fetus beobachtet worden ist.Studien beim Tier haben Hinweise auf ein erhöhtes Vorkommen von fetalem Schaden gezeigt,wobei die Bedeutung für den Menschen als unklar angesehen wird.

C Arzneimittel, die aufgrund ihrer pharmakologischen Eigenschaften schädliche Wirkungen aufden menschlichen Fetus oder das menschliche Neugeborene verursacht haben oder in einemsolchen Verdacht stehen, ohne Missbildungen zu verursachen. Diese Wirkungen können rever-sibel sein. Begleitende Ausführungen sollten für Einzelheiten zurate gezogen werden.

D Arzneimittel, die eine erhöhte Häufigkeit fetaler Missbildungen oder einen irreversiblen Scha-den beim menschlichen Fetus verursacht haben, in einem solchen Verdacht stehen oder vondenen eine solche Wirkung erwartet werden kann. Diese Arzneimittel können auch uner-wünschte pharmakologische Wirkungen haben. Begleitende Ausführungen sollten für Einzel-heiten zurate gezogen werden.

X Arzneimittel, die ein so hohes Risiko haben, dem Fetus dauerhaften Schaden zuzufügen, dasssie in der Schwangerschaft oder wenn die Möglichkeit einer Schwangerschaft besteht, nichtverwendet werden sollten.

Anmerkung: Für Arzneimittel der Kategorien B1, B2 und B3 fehlen Daten beim Menschen oder sind unzureichend, und die Unterklassifizierungberuht auf verfügbaren Daten vom Tier. Die Zuweisung einer B-Kategorie impliziert nicht eine größere Sicherheit als die C-Kategorie. Arznei-mittel in KategorieD sind in der Schwangerschaft nicht zwingend absolut kontraindiziert (z. B. bestimmte Antiepileptika). Außerdem ist in ei-nigen Fällen die D-Kategorie aufgrund eines Verdachts zugewiesen worden.

10 Einführung 99

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17 Mittel zur Behandlung allergischerErkrankungen, des Asthma bronchiale undanderer Atemwegserkrankungen

Für die meisten Mittel zur Behandlung allergi-scher Erkrankungen und des Asthma bronchialegibt es keine relevanten Sicherheitsbedenken fürdie Schwangerschaft. Allerdings ist der Evidenz-grad für eine positive Empfehlung oft zu niedrig.

󠀁 BEWERTUNGSÜBERSICHT

Als sicher gelten:󠀂 Cromoglicinsäure,󠀂 Fenoterol inhalativ,󠀂 Budesonid inhalativ.

Das Thema der medikamentösen Behandlungvon Asthma und Allergien in der Schwanger-schaft wird in einer Übersichtsarbeit behandelt[1].

[1]Helbling A. Allergie und Asthma: Welche Medika-mente können in der Schwangerschaft rezeptiertwerden? Schweiz MedWochenschr 130: 551–557,2000

17.1 Antiallergika

17.1.1 Modulatoren der Mastzell-aktivierung

CromoglicinsäureFertigarzneimittel: z.B. Allergoval®, Colimu-ne®, Cromo-CT, Intal®, PENTATOP®.Bewertung: FDA-KategorieB; ADEC-Katego-rieA.

Tierversuche ergaben keinen Anhalt für eine te-ratogeneWirkung.

Aus den bisherigen Berichten hat sich keinAnhalt für eine erhöhte Häufigkeit angeborenerMissbildungen ergeben. Die Anwendung in derSchwangerschaft beim Menschen, darunterauch 185 Neugeborene der Datenbank aus Mi-chigan mit Exposition im ersten Trimenon, hatkeine Hinweise auf einen Zusammenhang mitMissbildungen ergeben [1].

[1] Briggs GG, Freeman RK, Yaffe SJ. Drugs in Preg-nancy and Lactation. 9th ed., Wolters Kluwer, Lip-pincott Williams &Wilkins, Philadelphia, PA, 2011

Nedocromil (inhalativ)Fertigarzneimittel: Irtan®.Bewertung: FDA-KategorieB; ADEC-Katego-rieB1.Tierversuche haben keine Hinweise auf Terato-genität oder andere fetale Schäden ergeben. Ausden wenigen berichteten Anwendungen in derSchwangerschaft beim Menschen ergaben sichkeine Hinweise auf ein größeres teratogenes Ri-siko.

17.1.2 H1-AntihistaminikaAzelastin (lokal, oral)Fertigarzneimittel: z.B. Allergodil®.Bewertung: FDA-KategorieC; ADEC-Katego-rieB3.

Antiallergika ... 223 | Broncholytika und Antiasthmatika ... 226 | Andere Wirkstoffe zur

Behandlung allergischer Erkrankungen und des Asthma bronchiale ... 230 | Rhinologika

und Sinusitismittel ... 231 | Antitussiva und Expektoranzien ... 231 | Atemanaleptika

und Antihypoxämika ... 233

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17 Mittel zur Behandlung allergischer Erkrankungen, des Asthma bronchiale und anderer Atemwegserkrankungen224

Es liegen keine publizierten Berichte zur An-wendung in der menschlichen Schwangerschaftvor.

CetirizinFertigarzneimittel: z.B. Zyrtec® u. v. a.Bewertung: FDA-KategorieB; ADEC-Katego-rieB2.Cetirizin ist ein Metabolit von Hydroxyzin. Beiden Neugeborenen von 39 Schwangeren, diewährend der Organogenese Cetirizin-exponiertwaren, gab es keine Hinweise auf schädigendeWirkungen; allerdings wäre aufgrund der limi-tierten Power dieser Studie nur die Entdeckungeines etwa zweifach erhöhten teratogenen Risi-kos möglich gewesen [1]. Insgesamt reichen dieverfügbarenDaten für eine fundierte Bewertungnicht aus.

[1] Einarson A, Bailey B, Jung G, Spizzirri D, BaillieM, Koren G. Prospective controlled study of hyd-roxyzine and cetirizine in pregnancy. Ann AllergyAsthma Immunol 78: 183–186, 1997

Chlorphenamin (Chlorpheniramine)Fertigarzneimittel: z.B. Balkis Dr. Henk®Schnupfenkapseln Neu (Monopräparat), Grip-postad®C Kaps. (Kombination).Bewertung: FDA-KategorieC; ADEC-Katego-rieA.Chlorphenamin gilt vor allem in den USA, wo esbereits im Jahr 1950 eingeführt wurde, als siche-res Mittel in der Schwangerschaft. Bei über 1000Schwangerschaften – auch mit Exposition imersten Trimenon – gab es keineHinweise auf eineAssoziation mit angeborenenMissbildungen [1].

Die Verwendung von Antihistaminika (allge-mein, ohne Angabe spezifischer Substanzen undDosierungen) in den letzten beiden Schwanger-schaftswochen ist mit einem erhöhten Risikoretrolentaler Fibroplasie bei Frühgeburten inVerbindung gebracht worden.

[1]Helbling A. Allergie und Asthma: Welche Medika-mente können in der Schwangerschaft rezeptiertwerden? Schweiz MedWochenschr 130: 551–557,2000

ClemastinFertigarzneimittel: z.B. Tavegil®.Bewertung: FDA-KategorieB; ADEC-Katego-rieA.

[1] Briggs GG, Freeman RK, Yaffe SJ. Drugs in Preg-nancy and Lactation. 9th ed., Wolters Kluwer, Lip-pincott Williams &Wilkins, Philadelphia, PA, 2011

CyproheptadinFertigarzneimittel: Peritol®.Bewertung: FDA-KategorieB; ADEC-Katego-rieA.Die Daten, die zur Anwendung in der menschli-chen Schwangerschaft vorliegen, reichen füreine Bewertung nicht aus.

DesloratadinFertigarzneimittel: Aerius®.Bewertung: FDA-KategorieC.Hierbei handelt es sich um den Hauptmetaboli-ten von Loratadin (s. unten). Die Daten, die zurAnwendung von Desloratadin in der menschli-chen Schwangerschaft vorliegen, reichen füreine Bewertung nicht aus.

Dimetinden (oral und extern)Fertigarzneimittel: z.B. Fenistil®.Die publizierten Daten reichen für eine Bewer-tung nicht aus. In einer Studie mit Antihistami-nika waren 19 Schwangere mit Dimetinden-Ge-brauch enthalten; größere Missbildungen wur-den bei dieser Gruppe nicht beobachtet [1].

[1]Diav-Citrin O, Shechtman S, Aharonovich A,Moerman L, Arnon J, Wajnberg R, Ornoy A. Preg-nancy outcome after gestational exposure to lorata-dine or antihistamines: A prospective controlledcohort study. J Allergy Clin Immunol 111: 1239–1249, 2003

FexofenadinFertigarzneimittel: z.B. Telfast®.Bewertung: FDA-KategorieC; ADEC-Katego-rieB2.Fexofenadin ist der aktive Metabolit von Ter-fenadin. Studien, die eine Bewertung über den

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17.1 Antiallergika 225

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Einsatz der Substanz während dermenschlichenSchwangerschaft erlauben würden, liegen nichtvor. Wenn ein orales Antihistaminikum in derSchwangerschaft benötigt wird, sollte ein Ver-treter der ersten Generation bevorzugt gewähltwerden, insbesondere im ersten Trimenon.

HydroxyzinFertigarzneimittel: z.B. Atarax®, Elroquil®N.Bewertung: FDA-KategorieC; ADEC-Katego-rieA.In hohen Dosen ist Hydroxyzin bei Mäusen undRatten teratogen, nicht jedoch bei Kaninchen.Die Teratogenität geht möglicherweise auf einenMetaboliten (Norchlorcyclizin) zurück, den Hy-droxyzin mit drei weiteren Antihistaminika(Buclizin, Meclizin und Chlorcyclizin) gemein-sam hat.

Eine ältere Kasuistik berichtet über ein Ent-zugssyndrom bei einem Neugeborenen, dessenMutter mit 600mg/d über die Schwangerschafthinweg behandelt wurde [1]. Bei den Neugebo-renen von 53 Schwangeren, die während der Or-ganogenese Hydroxyzin-exponiert waren, gabes keine Hinweise auf schädigende Wirkungen.Allerdings ließ die limitierte Power dieser Studienur die Entdeckung eines etwa zweifach erhöh-ten teratogenen Risikos zu [2].

Angesichts fehlender klinischer Daten be-trachtet der Hersteller die Substanz als in derSchwangerschaft kontraindiziert. Es liegen klei-nere Fallserien mit Anwendung in der Schwan-gerschaft vor. Ein Zusammenhang mit angebo-renen Missbildungen kann daraus nicht bewie-sen, jedoch auch nicht widerlegt werden.

[1] Prenner BM. Neonatal withdrawal syndrome asso-ciated with hydroxyzine hydrochloride. Am J DisChild 131: 529–530, 1977

[2] Einarson A, Bailey B, Jung G, Spizzirri D, BaillieM, Koren G. Prospective controlled study of hyd-roxyzine and cetirizine in pregnancy. Ann AllergyAsthma Immunol 78: 183–186, 1997

LevocetirizinFertigarzneimittel: z.B. Xusal®.Bewertung: FDA-KategorieB.Levocetirizin ist das aktive R-Enantiomer vonCetirizin (s. oben).

LoratadinFertigarzneimittel: z.B. Lisino®.Bewertung: FDA-KategorieB; ADEC-Katego-rieB1.In einer multizentrischen Studie war die Miss-bildungshäufigkeit nach Loratadin-Expositionim ersten Trimenon nicht erhöht (5 vs. 6 in derKontrollgruppe), jedoch reichte die Power die-ser Studie zum Ausschluss eines Risikos nichtaus [1].

Nach ersten Daten aus Schweden war zu-nächst der Verdacht auf eine etwa dreifache Ratevon Hypospadien bei männlichen Neugebore-nen nach Exposition der Mutter in der Früh-schwangerschaft entstanden. Dieser ursprüngli-che Verdacht hat sich jedoch in anderen Unter-suchungen [2–6] und einer Metaanalyse [7]nicht bestätigt, sondern war wohl zufallsbedingtentstanden [6].

[1]Moretti ME, Caprara D, Coutinho CJ, Bar-Oz B,Berkovitch M, Addis A, Jovanovski E, Schüler-Fac-cini L, Koren G. Fetal safety of loratadine use in thefirst trimester of pregnancy: a multicenter study.J Allergy Clin Immunol 111: 479–483, 2003

[2]Diav-Citrin O, Shechtman S, Aharonovich A,Moerman L, Arnon J, Wajnberg R, Ornoy A. Preg-nancy outcome after gestational exposure to lorata-dine or antihistamines: A prospective controlledcohort study. J Allergy Clin Immunol 111: 1239–1249, 2003

[3] Pedersen L, NØrgaard M, Skriver MV, Olsen J,SØrensen HAT. Prenatal exposure to loratadine inchildren with hypospadias: a nested case-controlstudy within the Danish National Birth Cohort.Am JTher 13(4): 320–324, 2006

[4] Pedersen L, Skriver MV, NØrgaard M, SØrensenHAT. Maternal use of loratadine during pregnancyand risk of hypospadias in offspring. Int J Med Sci3(1): 21–25, 2006

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17 Mittel zur Behandlung allergischer Erkrankungen, des Asthma bronchiale und anderer Atemwegserkrankungen226

[5] Pedersen L, NØrgaard M, Rothman KJ, SØrensenHT. Loratadine during pregnancy and hypospadi-as. Epidemiology 19(2): 359–360, 2008

[6]Källén B, Olausson PO. No increased risk of infanthypospadias after maternal use of loratadine inearly pregnancy. Int J Med Sci 3(3): 106–107, 2006

[7] Schwarz EB, Moretti ME, Nayak S, Koren G. Riskof hypospadias in offspring of women using lorata-dine during pregnancy: a systematic review andmeta-analysis. Drug Saf 31(9): 775–788, 2008

MizolastinFertigarzneimittel: z.B. Mizollen®, zolim®.Keine Daten verfügbar.

TerfenadinFertigarzneimittel: z.B. Terfenadin Al60.Bewertung: FDA-KategorieC; ADEC-Katego-rieB2.Bei 65 Schwangerschaften mit Exposition imersten Trimenon waren die Raten größererMissbildungen nicht höher als in der Kontroll-gruppe [1]. Frühgeburten oder Entwicklungsre-tardierungen waren nach Terfenadin-Expositi-on in der Schwangerschaft nicht häufiger, jedochwar das durchschnittliche Geburtsgewicht um164g niedriger [1].

[1] Loebstein R, Lalkin A, Addis A, Costa A, Lalkin I,Bonati M, Koren G. Pregnancy outcome after ge-stational exposure to terfenadine: A multicenter,prospective controlled study. J Allergy Clin Immu-nol 104: 953–956, 1999

17.2 Broncholytika und Anti-asthmatika

Bei unkontrolliertem Asthma bronchiale ist dasRisiko eines ungünstigen Schwangerschaftsaus-gangs erhöht. Kontrolliertes Asthma ist, wie Stu-dien nahelegen, mit einem verbesserten perina-talen Ergebnis verbunden [1].

Zum Management des Asthma bronchialeenthält die „Nationale Versorgungsleitlinie(NVL) Asthma“ einen gesonderten Abschnittfür die Schwangerschaft. Hier wird betont, dass

bei einer guten Kontrolle des Asthmas währenddes gesamten Schwangerschaftsverlaufs nur eingeringes oder überhaupt kein Risiko mütterli-cher oder fetaler Komplikationen besteht undim Allgemeinen die zur Behandlung eines Asth-mas eingesetzten Medikamente in der Schwan-gerschaft sicher sind [2].

In den Daten aus Schweden wurde ein leich-ter Anstieg des Risikos für angeborene Missbil-dungen beobachtet. Ein größeres Risiko gehtdanach von mütterlichem Asthma und dem Ge-brauch von Antiasthmatika nicht aus [3].

Eine Arbeitsgruppe des National AsthmaEducation and Prevention Program hat zumManagement desAsthmaswährendder Schwan-gerschaft Empfehlungen herausgegeben [4]. Ei-nige Kernpunkte sind:󠀂 Asthma sollte bei Schwangeren ebenso ag-

gressiv wie bei Nichtschwangeren behandeltwerden.

󠀂 Asthma sowie geburtshilfliche Versorgungsollten sorgfältig integriert werden und dasMonitoring von fetalem Wachstum und Ent-wicklung, der mütterlichen Symptome undder mütterlichen Lungenfunktion einschlie-ßen.

󠀂 Die Asthma-Medikation sollte für alle Pati-enten mit mehr als milder, intermittierenderErkrankung – wie für Nichtschwangere – ei-nen kurz wirksamen Reliever (normalerwei-se ein kurz wirksames Beta2-Sympathomi-metikum) und eine Langzeitmedikation, dieauf die zugrunde liegende Entzündung ge-richtet ist, einschließen.

Die Einschränkungen für die Wirkstoffe erge-ben sich vor allen Dingen für eine systemischeAnwendung. Bei der Verwendung als Dosierae-rosole oder Inhalate bleibt die Dosis zu niedrig,um eine Gefährdung des Embryos oder Fetus zubewirken.

Vergleichende Studien zum Risiko angebore-ner Missbildungen in Verbindung mit Asthma-Behandlungen im ersten Trimenon wurden ineiner Übersicht dargestellt. Es wurden keineStudien gefunden, die eine signifikante Zunah-me der Anteile angeborener Missbildungen mit

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17.2 Broncholytika und Antiasthmatika 227

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irgendeiner der untersuchten Expositionen er-gab. Es wurde aber auch klar dargelegt, dass dieStudien zu kleine Fallzahlen umfassten, um Un-terschiede von 50% oder darunter zu entdeckenund dass deswegen größere Studien erforderlichsind [6].

Inhalative Corticosteroide gelten als sicherbezüglich der fetalen Entwicklung [5].

Orale Corticosteroide (▸Kap. 12.1) sollten inder Asthma-Behandlung bei Schwangeren nichtunnötig verwendet werden. Die Risiken schwe-ren unkontrollierten Asthmas für die Mutterund vermutlich den Fetus legen jedoch nahe,dass orale Corticosteroide, wenn sie indiziertsind, beim Management des schweren Asthmasauch in der Schwangerschaft eingesetzt werdensollten [1, 7].

[1] Schatz M. Asthma and pregnancy. Lancet 353:1202–1204, 1999

[2] Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bun-desvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft derWissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell-schaften (AWMF). Nationale VersorgungsleitlinieAsthma – Langfassung, 2. Aufl., Version 5, 2009;zuletzt geändert: August 2013 (Gültigkeit abgelau-fen; LL in Überprüfung). Einsehbar unter: www.versorgungsleitlinien.de/themen/asthma (Zugriff:18.03.2014); doi: 10.6101/AZQ/000163. Internet:www.versorgungsleitlinien.de, www.awmf.org.www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/nvl-002l_S3_Asthma_2013–09.pdf

[3]Källén B, Olausson PO. Use of anti-asthmaticdrugs during pregnancy. 3. Congenital malforma-tions in the infants. Eur J Clin Pharmacol 63: 383–388, 2007

[4] Luskin AT. An overview of the recommendationsof the Working Group on Asthma and Pregnancy.J Allergy Clin Immunol 103: S350–S353, 1999

[5]Worth H. Asthma und Schwangerschaft. Pneumo-loge 10: 409–417, 2013

[6] Jadad AR, Sigouin C, Mohide PT, Levine M, Fuen-tes M. Risk of congenital malformations associatedwith treatment of asthma during early pregnancy.Lancet 355: 119, 2000

[7]Dombrowski MP, Huff R, Lipkowitz M, Schatz Mfor the American College of Obstetricians and

Gynecologists (ACOG) and the American Collegeof Allergy, Asthma and Immunology (ACAAI).The use of newer asthma and allergy medicationsduring pregnancy. Ann Allergy Asthma Immunol84: 475–80, 2000

[8] Schatz M, Dombrowski MP. Clinical practice.Asthma in pregnancy. N Engl J Med 360(18):1862–1869, 2009

17.2.1 Beta-2-Adrenozeptor-Agonisten inhalativ

DieWirkstoffe dieser Klasse sind weder im Tier-versuch noch beim Menschen teratogen. Emb-ryotoxische Effekte (Totgeburten, Resorptio-nen) wurden im Tierversuch nur bei Bambute-rol und Clenbuterol beobachtet. Die effektivenDosisbereiche lagen oberhalb des humanthera-peutischen Anwendungsbereichs. KontrollierteStudien bei schwangeren Frauen fehlen. Auskleinen Serien für einige dieser Wirkstoffe erge-ben sich keine Hinweise auf embryotoxischeWirkungen.

Inhalative Beta-2-Sympathomimetika sind inder Schwangerschaft wie gewohnt einzusetzen,wie die NVL Asthma ausführt [1].

Die Wirkstoffe dieser Klasse können diapla-zentar die Herzfrequenz des Fetus beeinflussen.Beim Neugeborenen können Hypoglykämieund Hypotonie auftreten. Offenbar spielt diesjedoch nur bei der systemischen Anwendung,z.B. als Tokolytikum, eine relevante Rolle.

Eine Fall-Kontroll-Studie hatte eine Assozia-tion zwischen der Verwendung von Bronchodi-latatoren während der Schwangerschaft und ei-nem erhöhten Risiko für Gastroschisis bei denKindern ergeben [2]. Außerdem wurde in einerKohortenstudie eine schwache Assoziation zwi-schen Bronchodilatatoren-Exposition währendder Schwangerschaft und einem erhöhten Risikokardialer Defekte bei den Kindern beschrieben[3]. Jedoch lässt die an anderer Stelle berichteteRisikoerhöhung angeborenerMissbildungen beiKindern, deren Mütter Asthma mit Exazerbati-onen hatten, gegenüber Kindern, deren MütterAsthma ohne Exazerbationen hatten [4], einemögliche Beeinflussung durch die Indikation(d.h. Exazerbationen können zum Bronchodila-

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17 Mittel zur Behandlung allergischer Erkrankungen, des Asthma bronchiale und anderer Atemwegserkrankungen228

tatoren-Bedarf führen) oder andere Faktorenannehmen [5].

[1] Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bun-desvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft derWissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell-schaften (AWMF). Nationale VersorgungsleitlinieAsthma – Langfassung, 2. Aufl., Version 5, 2009;zuletzt geändert: August 2013 (Gültigkeit abgelau-fen; LL in Überprüfung). Einsehbar unter: www.versorgungsleitlinien.de/themen/asthma (Zugriff:18.03.2014). doi: 10.6101/AZQ/000163. Internet:www.versorgungsleitlinien.de, www.awmf.org.www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/nvl-002l_S3_Asthma_2013–09.pdf

[2] Lin S, Munsie JP, Herdt-Losavio ML, Bell E, Dru-schel C, Romitti PA, Olney R; National Birth De-fects Prevention Study. Maternal asthma medica-tion use and the risk of gastroschisis. Am J Epide-miol 168(1): 73–79, 2008

[3]Källén B, Otterblad Olausson P: Use of anti-asth-matic drugs during pregnancy. 3. Congenital mal-formations in the infants. Eur J Clin Pharmacol63(4): 383–388, 2007

[4] Blais L, Forget A: Asthma exacerbations during thefirst trimester of pregnancy and the risk of conge-nital malformations among asthmatic women.J Allergy Clin Immunol 121(6): 1379–1384, 2008

[5] Schatz M, Dombrowski MP. Clinical practice.Asthma in pregnancy. N Engl J Med 360(18):1862–1869, 2009

BambuterolFertigarzneimittel: Bambec®.Bambuterol ist ein Prodrug von Terbutalin. DieSicherheit von Bambuterol in der Schwanger-schaft ist nicht etabliert.

ClenbuterolFertigarzneimittel: Spiropent®.

FenoterolFertigarzneimittel: z.B. Berotec®N.Bewertung: ADEC-KategorieA.

FormoterolFertigarzneimittel: z.B. Foradil®, Oxis®; inKombination mit Budesonid: z.B. Symbicort®.Bewertung: FDA-KategorieC.

IndacaterolFertigarzneimittel: Onbrez®.Bewertung: FDA-KategorieC.

Orciprenalin (Metaproterenol)Fertigarzneimittel: Alupent®.Bewertung: FDA-KategorieC.Als nichtselektives Beta-Sympathomimetikumwirkt Orciprenalin bronchodilatatorisch, toko-lytisch und stimulierend auf die Herzfrequenz.Fetale Tachykardie kommt vor, jedoch sindSchäden beim Fetus nicht bekannt. Es existierenkeine publizierten Berichte über angeboreneMissbildungen in Zusammenhang mit dem Ge-brauch von Orciprenalin. Die Daten der Beob-achtungsstudie aus Michigan, die 361 Fälle vonAnwendung im ersten Trimenon der Schwan-gerschaft beinhalten, geben keinen Anhalt fürAuffälligkeiten [1].

[1] Briggs GG, Freeman RK, Yaffe SJ. Drugs in Preg-nancy and Lactation. 9th ed., Wolters Kluwer, Lip-pincott Williams &Wilkins, Philadelphia, PA, 2011

Salbutamol (Albuterol)Fertigarzneimittel: z.B. Sultanol® u. v. a.Bewertung: FDA-KategorieC.

SalmeterolFertigarzneimittel: z.B. Serevent®; in Kombi-nation mit Fluticason: z.B. Viani®.Bewertung: FDA-KategorieC; ADEC-Katego-rieB3.

TerbutalinFertigarzneimittel: z.B. Bricanyl®.Bewertung: FDA-KategorieB; ADEC-Katego-rieA.

17.2.2 Anticholinergika inhalativHinweise auf teratogene oder embryotoxischeWirkungen dieser Substanzgruppe fehlen.

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17.2 Broncholytika und Antiasthmatika 229

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IpratropiumbromidFertigarzneimittel: z.B. Atrovent®; in Kombi-nation mit Fenoterol: z.B. Berodual®.Bewertung: FDA-KategorieB, ADEC-Katego-rieB1.Obwohl nur wenige Daten zur Anwendung inder Schwangerschaft beimMenschen existieren,gibt es keine Hinweise auf schädliche Wirkun-gen für den Fetus.

TiotropiumFertigarzneimittel: Spiriva®.Bewertung: FDA-KategorieC; ADEC-Katego-rieB1.Keine Daten verfügbar.

17.2.3 Glucocorticoide inhalativStudien haben gezeigt, dass inhalative SteroideExazerbationen akuten Asthmas speziell in derSchwangerschaft vorbeugen. Sie sollten daher –außer bei mildestem persistierendem Asthma –die Hauptsäule der prophylaktischen Behand-lung bilden [1]. Inhalative Corticosteroide sindin der Schwangerschaft wie gewohnt einzuset-zen [2]. Nach den ACOG-Leitlinien stellen in-halative Glucocorticoide die Anfallsprophylak-tika der ersten Wahl bei Asthma bronchiale inder Schwangerschaft dar [3].

[1] Schatz M. Asthma and pregnancy. Lancet 353:1202–1204, 1999

[2] Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bun-desvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft derWissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell-schaften (AWMF): Nationale VersorgungsleitlinieAsthma – Langfassung, 2. Aufl., Version 5., 2009;zuletzt geändert: August 2013 (Gültigkeit abgelau-fen; LL in Überprüfung). Einsehbar unter: www.versorgungsleitlinien.de/themen/asthma [Zugriff18.03.2014); doi: 10.6101/AZQ/000163. Internet:www.versorgungsleitlinien.de, www.awmf.org.www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/nvl-002l_S3_Asthma_2013–09.pdf

[3]Dombrowski MP, Schatz M; ACOG Committee onPractice Bulletins-Obstetrics. ACOG practice bul-letin: clinical management guidelines for obstetri-

cian-gynecologists number 90, February 2008:asthma in pregnancy. Obstet Gynecol 111: 457–464, 2008

BeclometasonFertigarzneimittel: z.B. Sanasthmax®.Bewertung: FDA-KategorieC; ADEC-Katego-rieB3.In der Datenbank aus Michigan wurden395 Neugeborene mit Beclometason-Expositionim ersten Trimenon identifiziert. 16 größereMissbildungen wurden beobachtet (erwarteteZahl: 16) [1].

[1] Briggs GG, Freeman RK, Yaffe SJ. Drugs in Preg-nancy and Lactation. 9th ed., Wolters Kluwer, Lip-pincott Williams &Wilkins, Philadelphia, PA, 2011

BudesonidFertigarzneimittel: z.B. Pulmicort®.Bewertung: FDA-KategorieC; ADEC-Katego-rieB3.Daten aus dem schwedischen Geburtsregisterergaben keine Steigerung angeborener Missbil-dungen durch die inhalative Anwendung vonBudesonid in der Frühschwangerschaft [1]. Einspezifischer teratogener Effekt kann dadurch al-lerdings nicht ausgeschlossen werden. Nach denACOG-Leitlinien ist Budesonid das bevorzugteinhalative Glucocorticoid in der Schwanger-schaft [2].

[1]Källén B, Rydhstroem H, Åberg A. Congenitalmalformations after the use of inhaled budesonidein early pregnancy. Obstetr Gynecol 93: 392–395,1999

[2]Dombrowski MP, Schatz M; ACOG Committee onPractice Bulletins-Obstetrics. ACOG practice bul-letin: clinical management guidelines for obstetri-cian-gynecologists number 90, February 2008:asthma in pregnancy. Obstet Gynecol 111: 457–464, 2008

CiclesonidFertigarzneimittel: Alvesco®.Bewertung: FDA-KategorieC.

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BTeil B

Arzneimittel in der Stillzeit

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IBedeutung der Stillzeit,Arzneimitteleinnahme,

Risikoabschätzung

Adolf Windorfer

1 Bedeutung der Stillzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

2 Arzneimittel in der Stillzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344

3 Risikoabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

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1 Bedeutung der Stillzeit

Nach wie vor gilt Muttermilch als die beste undverlässlichste Ernährung für den Säugling inden ersten sechs bis acht Lebensmonaten. DieErnährung eines Säuglings mit Muttermilch istnicht nur verbunden mit einer eindeutigen Ver-minderung der kindlichenMortalität insgesamt,sondern auch speziell mit der Verminderungder Häufigkeit von Infektionskrankheiten. Diemehrfach ungesättigten Fettsäuren in der Mut-termilch sind wichtig für eine optimale Ent-wicklung des kindlichen Gehirns. Stillen fördertdemnach auch die Entwicklung der kognitivenFähigkeiten. Des Weiteren wird das Risiko vonimmunologisch beeinflussten Erkrankungenwie Morbus Crohn und Diabetes mellitus ver-mindert.

Es ist einerseits der ernährungsphysiologi-sche Aspekt, der die Muttermilch so vorteilhaftvor anderen Milchzubereitungen macht: DasKind erhält mit der Muttermilch die Nahrung,die seinen Bedarf an Eiweißen, Kohlenhydraten,

Elektrolyten und Vitaminen – allerdings außerVitaminD und VitaminA – optimal deckt.

Mindestens ebenso wichtig ist jedoch derpsychologische Aspekt. Die körperliche undemotionale Nähe, der Blick-und Hautkontaktbeim Stillen können von herausragender Bedeu-tung für das Entstehen einer guten Mutter-Kind-Bindung sein. Dieser Aspekt kann garnicht hoch genug eingeschätzt werden, wie diemoderne Bindungsforschung belegt. Dies be-deutet imUmkehrschluss, dass Stillen – auch beiMedikamenteneinnahme der Mutter – immergefördert werden muss, solange keine nachweis-baren Nachteile für den Säugling entstehen.

Die Belastung der Muttermilch mit Umwelt-giften und Schadstoffen ist inzwischen so weitzurückgegangen, dass aus diesem Grunde keinezeitliche Einschränkung der Stillphase erforder-lich ist.Literatur: [6, 36, 44, 45, 224]

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2 Arzneimittel in der Stillzeit344

2 Arzneimittel in der Stillzeit

Viele stillendeMütter erhalten in der erstenWo-che post partum verschiedene Medikamente.Diemeisten dieserMedikationenwerden jedochnicht für längere Zeit eingesetzt und spielen da-her für das gestillte Kind keine wesentliche Rol-le. Eine vor einigen Jahren durchgeführte däni-sche Studie an 16001 Frauen belegt, dass 34%der Frauen im dritten Monat nach der Entbin-dung Medikamente eingenommen hatten. Dieam häufigsten eingenommenen Medikamentewaren Schmerzmittel, Abführmittel, Vitamine,Antibiotika, Antiemetika sowie Schlaf- und Be-ruhigungsmittel. In einer holländischen Erhe-bung wurde sogar bei 53% der stillenden Frauendie Einnahme von Medikamenten registriertund zwar ebenfalls vor allem Schmerzmittel(36%), Husten-Schnupfen-Mittel (7%) und An-tiinfektiva (14%). Diese Zahlen machen deut-lich, dass sowohl Ärzte als auch stillende Mütterrelativ häufig mit der Frage nach der Vereinbar-keit von Medikamenteneinnahme und Stillenkonfrontiert werden.

Es ist nachvollziehbar, wenn stillende Mütterunsicher sind und sich fragen, ob eine Beeinflus-sung oder sogar Gefährdung ihres Kindes durchden Übertritt eines Medikaments vom mütterli-chen Blut in die Muttermilch möglich ist. DieseBefürchtungen sind verständlich, da einerseitsgerade das Zentralnervensystem des jungenSäuglings in einer besonders entscheidendenEntwicklungsphase ist und andererseits die me-tabolischen sowie die exkretorischen Funktio-

nen von Leber und Niere in den ersten Lebens-wochen und -monaten noch nicht ihre volleFunktionsfähigkeit erreicht haben. Dadurchkönnten z.B. unerwartete Arzneimittelkumula-tionen beim Kind sowie auch Medikamenten-wechselwirkungen bei der gleichzeitigen Gabeverschiedener Medikamente eintreten, die unterden pharmakologischen Bedingungen eines Er-wachsenen nicht gegeben sind.

Tatsächlich besteht aber in der Fachliteratur,die sich kritisch mit diesem Thema beschäftigt,zunehmend ein Trend, der besagt, dass die Vor-teile der Muttermilch – und zwar sowohl in er-nährungsphysiologischer als auch in emotiona-ler Hinsicht – in Bezug auf die kindliche Ent-wicklung in den meisten Fällen überwiegen imVergleich zu einer eher theoretischen Gefähr-dung durch eine medikamentöse Therapie derMutter. Von den meisten Medikamenten nimmtdas gestillte Kind – auf die gewichtsbezogenemütterliche Dosis umgerechnet – nur wenigeProzent mit der Muttermilch auf; nur wenigeMedikamente sind daher als absolut kontraindi-ziert in der Stillperiode zu klassifizieren. Wich-tig zu beachten ist aber vor allem, dass der Ge-fährdungsaspekt bei einer nur kurzfristigen me-dikamentösen Behandlung ein völlig anderer istals bei einer längerfristigen Therapie. Auch hierist, wie bei psychischen oder neurologischen Er-krankungen, jeder Einzelfall gesondert zu be-trachten. Bei der Abwägung eines Stillverbotesmuss immer der große physische und psychi-

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sche Vorteil des Stillens ausreichend in Rech-nung gestellt werden, bevor unter der Devise„das Medikament geht in die Muttermilch über“eine Abstillen verlangt oder ein Stillverbot er-teilt wird. Selbstverständliche Voraussetzung fürjede medikamentöse Therapie ist, besonders

auch in der Stillzeit, eine strenge Indikations-stellung; dies soll daher bei der Betrachtung dereinzelnen Medikamente nicht mehr gesondertbetont werden.Literatur: [46, 18, 19, 20, 43, 44, 91, 210, 239,388]

2 Arzneimittel in der Stillzeit 345

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IIArzneimittel in der Stillzeit

– Spezieller Teil

Adolf Windorfer

4 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

5 Arzneimittelgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

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4 Einführung

4.1 Bewertungskriterien

Der Spezielle Teil enthält Informationen zu deneinzelnen Wirkstoffen. Anhand der vorliegen-den Literatur werden für die einzelnen Substan-zen vom Verfasser Bewertungen hinsichtlich ih-rer Vertretbarkeit während des Stillens vorge-nommen. Um die eigenen Bewertungen über-sichtlich darstellen zu können, erfolgt eineEmpfehlungseinteilung der besprochenen Me-dikamente in jeweils eine der vier nachfolgendaufgeführten Kategorien.

BewertungskategorienKategorie1: Stillen ist möglich, eine Gefähr-dung des Säuglings ist nicht zu erwarten.Kategorie2: Bei der Einnahme von Medika-menten dieser Gruppe ist eine kritische Risi-koabwägung unerlässlich. Stillen ist dannjedoch prinzipiell möglich, eine gute Beob-achtung des Kindes und Kontrolle, z.B. auchdurch einen Kinderarzt, vorausgesetzt.Kategorie3: Eine einmalige oder sehr kurz-zeitige Einnahme von Medikamenten dieserGruppe ist vertretbar. Bei längerfristiger The-rapie ist ein Stillverbot oder ein Umstellenauf ein anderes Medikament zu empfehlen.Kategorie4: Die Einnahme von Medikamen-ten dieser Gruppe ist nicht mit dem Stillenvereinbar, deshalb ist eine Stillpause, einStillverbot, bzw. das Umstellen auf ein an-deres Medikament dringend zu empfehlen.

Bewertungskriterien ... 353 | Empfehlungen der Roten Liste ... 354

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4 Einführung354

4.2 Empfehlungen der Roten Liste

Die Rote Liste enthält meist kurz gefasste Hin-weise zur Anwendung von Arzneimitteln in derStillzeit. Diese Hinweise sind jedoch für diepraktische Beratung nicht hilfreich, da Untersu-chungen für die Zulassung eines Medikamentsdurch einen Hersteller hinsichtlich der Unbe-denklichkeit eines Medikaments in der Stillzeitnicht möglich sind und daher einschränkendeAngaben („das Medikament geht in die Mutter-milch über“) aus rechtlichen Gründen erforder-lich sind. Beispielsweise führt gelegentlich alleindie Tatsache, dass ein Wirkstoff in die Mutter-milch übertritt, in der Roten Liste bereits zu derAussage, dass nicht gestillt werden sollte. Diese

Empfehlungen sind in vielen Fällen in der Praxisauf Grund späterer Daten nicht zu begründen,da die meisten Medikamente in geringer – oftaber tatsächlich unproblematischer – Menge indie Muttermilch übergehen. Der beratende Arzthat seine Datenquelle daher in erster Linie ausder wissenschaftlichen Literatur zu beziehen,deren Ergebnisse praktisch immer erst Jahrenach Zulassung des entsprechenden Medika-ments vorliegen können.

Die in den früheren Ausgaben dieses Werkesvorgenommene Gegenüberstellung der Emp-fehlungen der Roten Liste mit den eigenen Be-wertungen des Autors wird in der vorliegendenAusgabe nicht mehr durchgeführt.

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5 Arzneimittelgruppen

Hinweise󠀂 Die Auswahl der im Folgenden bei den

einzelnen Wirkstoffen aufgeführten Han-delspräparate erfolgt exemplarisch, er-hebt keinen Anspruch auf Vollständigkeitund ist nicht gleichzusetzen mit einerEmpfehlung.

󠀂 Bei den einzelnen Arzneimittelgruppensind einleitend in Form einer „Bewer-tungsübersicht“ die Arzneistoffe zusam-mengefasst, die vom Autor in die Katego-rien 1 bis 4 hinsichtlich ihrer Vertretbar-keit während des Stillens eingeordnetwerden (vgl. ▸Kap.4.1). – Diese Aussa-gen können jedoch eine individuelle Be-ratung der Stillenden und eine therapeu-tische Entscheidung im Einzelfall nichtersetzen.

5.1 Analeptika, Antihypoxämika

󠀁 BEWERTUNGSÜBERSICHT

󠀂 Kategorie2: Coffein.

CoffeinFertigarzneimittel: Coffein in Kombinations-präparaten verschiedener Hersteller; Coffein inKaffee, Tee.Bewertung: Kategorie 2.Bei Coffein handelt es sich um eine lipophileschwache Base, das Molekulargewicht liegt unter200; die Substanz ist schwach proteingebunden.DerM/P-Quotient liegt zwischen 0,5 und 0,8. Diepharmakologischen Charakteristika machen ei-nen schnellen Übertritt der Substanz in die Mut-termilch verständlich. Da die beim Erwachsenenca. 3,5 Stunden betragende Halbwertszeit beim

Analeptika, Antihypoxämika ... 355 | Analgetika, Antirheumatika ... 356 | Anthel-

minthika ... 364 | Antiallergika ... 365 | Antianämika ... 367 | Antiarrhythmika ... 367 |

Antibiotika/Antiinfektiva ... 368 | Antidiabetika ... 380 | Antiepileptika ... 382 |

Antihypertonika ... 387 | Antikoagulanzien ... 389 | Antimykotika ... 390 | Antiparasi-

täre Mittel ... 392 | Antitussiva, Expektoranzien ... 392 | Betarezeptorenblocker,

Calciumkanalblocker, Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems ... 393 | Broncholytika,

Antiasthmatika ... 397 | Cholinergika ... 398 | Corticoide ... 398 | Dermatika ... 399 |

Desinfizienzien, Antiseptika ... 401 | Diagnostika, Mittel zur Diagnosevorbereitung ... 402 |

Diuretika ... 404 | Entwöhnungsmittel ... 405 | Gichtmittel ... 407 | Gynäkologika ... 408 |

Hypnotika, Sedativa ... 408 | Immunmodulatoren ... 410 | Kardiaka ... 412 | Laxanzien ... 413 |

Lokalanästhetika, Neuraltherapeutika ... 413 | Magen-Darm-Mittel ... 414 | Migräne-

mittel ... 417 | Mund- und Rachentherapeutika ... 417 | Muskelrelaxanzien ... 418 |

Narkosemittel ... 419 | Neuropathiepräparate und andere neurotrope Mittel ... 422 |

Opthtalmika ... 422 | Psychopharmaka ... 423 | Schilddrüsentherapeutika ... 434 |

Sera, Immunglobuline, Impfstoffe ... 435 | Sexualhormone und ihre Hemmstoffe ... 436 |

Thrombozytenaggregationshemmer ... 437 | Tuberkulosemittel ... 438 | Urolo-

gika ... 438 | Wundbehandlungsmittel ... 439 | Zytostatika, andere neoplastische Mittel,

Protektiva ... 439 | Homöopathische Arzneimittel ... 440 | Phytopharmaka ... 440 |

Chinesische Kräutermedizin, Ayurveda-Medizin ... 445 | Sucht- und Genussmittel ... 446

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5 Arzneimittelgruppen356

jungen Säugling über 80 und bei Frühgeborenensogar über 100 Stunden betragen kann, ist bei re-gelmäßiger Aufnahme größerer Mengen Coffein,d.h. bei mehr als drei Tassen Kaffe bzw. schwar-zemTee proTag odermehr als einer Flasche einesCola-Getränks durch die Mutter, eine Kumulati-on von Coffein beim Kind vorstellbar. In derMuttermilch wurden Spitzenkonzentrationenvon 1,9–4,3µg/ml gemessen. Die Konzentratio-nen im mütterlichen Plasma betrugen dabei 3,6–6,15µg/ml. Berichte von einer Übererregbarkeitder gestillten Säuglinge und Schlafschwierigkei-ten, wenn die stillenden Mütter größere Mengeneines coffeinhaltigen Getränkes eingenommenhatten, liegen vor. Bei einer Coffeinzufuhr vonmaximal drei Tassen Kaffee pro Tag bzw. schwar-zemTee oder einer FlaschenCola proTagwerdenjedoch keine Gefahren gesehen.

Besonders bei sehr jungen Säuglingen, beidenen noch eine lange Halbwertszeit des Coffe-ins vorliegt, sollten Mütter nur geringe Mengencoffeinhaltiger Produkte zu sich nehmen. Stillendirekt vor der Einnahme coffeinhaltiger Medi-kamente oder coffeinhaltiger Genussmittel kanndazu beitragen, die Coffeinaufnahme des Säug-lings über die Milch etwas zu reduzieren. Wenneine Mutter regelmäßig coffeinhaltige Getränkekonsumiert, sollte das gestillte Kind hinsichtlichseines Schlafverhaltens gut beobachtet werden.Literatur: [13, 51, 52, 436]

5.2 Analgetika, Antirheumatika

󠀁 BEWERTUNGSÜBERSICHT

Zentral wirksame Analgetika󠀂 Kategorie1: Nalbuphin (bei Einzelgabe).󠀂 Kategorie2: Tramadol, Nalbuphin (bei län-

gerfristiger Einnahme).󠀂 Kategorie3: Morphin, Oxycodon (bei ein-

maliger oder sehr kurzzeitiger Gabe).󠀂 Kategorie4: Hydromorphon, Oxycodon

(bei mehrmaliger oder längerer Gabe),Pethidin (Meperidin), Piritramid.

Nicht zentral wirksame Analgetika,Antirheumatika󠀂 Kategorie1: Diclofenac (bei lokaler Be-

handlung), Ibuprofen.󠀂 Kategorie2: Celecoxib, Indometacin, Ke-

toprofen, Paracetamol.󠀂 Kategorie3: Acetylsalicylsäure, Diclofenac

(bei systemischer Behandlung), Naproxen,Piroxicam.

󠀂 Kategorie4: Metamizol, Phenylbutazon.

Spezifische Antirheumatika, Basis­therapeutika, TNF­α­Antagonisten󠀂 Kategorie2: Natriumaurothiomalat, Ada-

limumab, Etanercept, Infliximab.

Prinzipiell muss bei älteren nichtsteroidalenMedikamenten, die Infektionsreaktionen unter-drücken, auch bei ausgezeichneter analgetischerWirkung mit einer relativ hohen Rate an gastro-intestinalen Nebenwirkungen sowie Beeinflus-sungen der Plättchenfunktion gerechnet wer-den. Dies gilt nicht nur für die Mutter, sondernkann bei einzelnen Präparaten auch für das ge-stillte Kind gelten.

5.2.1 Zentral wirksame AnalgetikaHydromorphonFertigarzneimittel: z.B. Hydromorphon ver-schiedener Hersteller.Bewertung: Kategorie 4.Das halbsynthetische Morphinderivat wird alsKapsel, Tablette, Lösung oder Suppositoriumeingesetzt und vollständig durch Glukuronidie-rung abgebaut. Es liegt lediglich ein Bericht überden Übertritt des Medikaments bei acht stillen-den Frauen vor, die dasMedikament nasal appli-ziert hatten. In derMuttermilch waren deutlicheKonzentrationen nachweisbar gewesen. Darauskannman schließen, dass auch das gestillte Kinddem Medikament in nicht geringem Ausmaßeausgesetzt sein kann. Während der Gabe vonHydromorphon sollte daher eine Stillpause ein-gelegt werden.Literatur: [116, 194]

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5.2 Analgetika, Antirheumatika 357

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MorphinFertigarzneimittel: z.B. Capros®, M-beta®,Morphin verschiedener Hersteller.Bewertung: Kategorie 3.Da es sich bei Morphin um eine schwache Basehandelt, ist eine Anreicherung in der Mutter-milch durch den Mechanismus der Ionenfallemöglich. Die Halbwertszeit von zwei bis dreiStunden bei der Mutter ist bei Kindern auf 6 bis14 Stunden verlängert. Die Plasmaproteinbin-dung beträgt 40%, die orale Bioverfügbarkeitliegt wegen des First-pass-Effektes nur bei 20%.Wegen des M/P-Quotienten von 2,5 liegt dieKonzentration in der Muttermilch im Durch-schnitt deutlich über denen des mütterlichenPlasmas. Die Konzentration vonMorphin in derMuttermilch ist in den ersten 48 Stunden etwakonstant, um erst dann deutlich abzufallen. Beieinem Kind, dessenMutter am Tag vor der Mut-termilchuntersuchung 4×10mg Morphin undam Tag der Untersuchung 2×5mg erhalten hat-te, wurde mit 4ng/ml eine Morphin-Serumkon-zentration im analgetischen Bereich gemessen.Die American Academy of Pediatrics ist der An-sicht, dass eine Einnahme in der Stillzeit akzep-tabel ist, gibt hierfür jedoch keine Begründungan. Wenn auch eine einmalige oder sehr kurz-zeitige Gabe, nach den vorliegenden Literatur-angaben vertretbar zu sein scheint, so ist bei ei-nem regelmäßigen Einsatz von Morphin wegender Gefahr der Kumulation und vor allem we-gen der unbekannten Auswirkung auf die neu-ropsychologische Entwicklung dringend vomStillen abzuraten.Literatur: [46, 116, 329, 389, 496]

NalbuphinFertigarzneimittel: Nubain®, Nalpain®.Bewertung: Kategorie 1 (bei Einzelgabe); Kate-gorie 2 (bei längerfristiger Einnahme).Nalbuphin ist ein Analgetikum, das bei mittel-schweren bis schweren Schmerzzuständen indi-ziert ist. Die Halbwertszeit beträgt zwei Stun-den, die Plasmaproteinbindung liegt bei 50%.DerM/P-Quotient liegt bei 0,46. Die in dieMut-termilch ausgeschiedene Menge ist im Durch-schnitt geringer als die Hälfte der Plasmakon-

zentration und entspricht nach einmaliger Gabevon 20mg einem Anteil von 0,012% der verab-reichten Dosis. Die Konzentration des Medika-ments im Plasma von Säuglingen lag bei Unter-suchungen unterhalb der Nachweisgrenze.Selbst bei wiederholter Applikation in der Still-zeit werden demnach Nebenwirkungen bei ei-nem gestillten Kind, dessen Mutter Nalbuphinerhält, nicht erwartet. Klinische Beobachtungenvon unerwünschten Effekten liegen nicht vor.Von mehreren Autoren wird sogar empfohlen,Nalbuphin bei schweren postpartalen Schmerz-zuständen bei stillenden Müttern anstelle ande-rer Schmerzmittel einzusetzen. Dennoch solltebei einer länger dauernden Anwendung wegender insgesamt unbekannten und bisher nichtverfolgten Langzeiteffekte der Opiatrezeptora-gonisten auf das kindliche ZNS doch Vorsichtgeboten sein und eine gute Beobachtung bzw.Kontrolle des gestillten Kindes erfolgen.Literatur: [10, 212, 214, 224, 327, 492]

OxycodonFertigarzneimittel: z.B. OXYGESIC®, Oxyco-don Tabletten verschiedener Hersteller.Bewertung: Kategorie 3 (bei einmaliger odersehr kurzzeitiger Gabe); Kategorie 4 (bei mehr-maliger oder längerer Gabe).In einigen Studien konnte der ausgeprägteÜbertritt von Oxycodon aus dem mütterlichenPlama in die Muttermilch nachgewiesen wer-den. Zusätzlich wird als wirksamer MetabolitOxymorphon übertragen. Da die Proteinbin-dung mit 45% sehr niedrig ist, ist ein deutlicherÜbertritt des Medikaments in Muttermilch ver-ständlich. Der M/P-AUC-Quotient betrug imMittel 3,2. In einer retrospektiven Studie wurdebei einigen Kindern eine ZNS-Depression beiden gestillten Kindern nachgewiesen, wenn dieMütter Oxycodon, Codein oder Acetaminopheneingenommen hatten. Immerhin war diesedeutliche ZNS-Beeinträchtigung bei 20% dergestillten Kinder zu beobachten. Bei diesen Kin-dern wurden auch höhere Oxycodonkonzentra-tionen gemessen als bei den symptomlosen Kin-dern. Dies zeigt erneut, dass generelle Aussagenproblematisch sind, da die Vielzahl der Faktoren

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zu einer unterschiedlichen Medikamentenkon-zentration bei dem gestillten Kind führen kann.Es ist sicher günstig, auf ein anderes Präparatauszuweichen.Literatur: [249, 264, 407, 453]

Pethidin (Meperidin)Fertigarzneimittel: z.B. Dolantin®.Bewertung: Kategorie 4.Pethidin ist eine basische Substanz mit einerHalbwertszeit von drei bis vier Stunden und ei-ner Plasmaproteinbindung von ca. 60%. DieBioverfügbarkeit nach oraler Gabe liegt bei 50–60%. Pethidin wird zum HauptmetabolitenNorpethidin abgebaut. Dieser besitzt hinsicht-lich der ZNS-Stimulation eine noch stärkereWirkung, ist aber hinsichtlich des analgetischenEffektes nur halb so effektiv wie die Ausgangs-substanz. Norpethidin weist zusätzlich eine lan-geHalbwertszeit von 24–28 Stunden auf. Neuge-borene haben für Pethidin eine Halbwertszeitvon 6–32 Stunden und für Norpethidin bis zu 60Stunden. In einer Studie konnte gezeigt werden,dass Säuglinge, derenMütter Pethidin mehrfacherhalten hatten, schlechter orientiert und unauf-merksamer waren als Kinder, deren Mütter mitentsprechenden Dosen Morphin versorgt wor-den waren. Da bereits nach einmaliger Gabe derMetabolit Norpethidinmit einer stärkeren ZNS-stimulierenden Wirkung in der Muttermilch er-scheint und dort auch für längere Zeit nachzu-weisen ist, ist die Gabe von Pethidin – auch dieeinmalige Gabe – als nicht mit dem Stillen ver-einbar anzusehen.Literatur: [35, 125, 212, 259, 388, 429, 431]

PiritramidFertigarzneimittel: z.B. Dipidolor®.Bewertung: Kategorie 4.Untersuchungen über den Übertritt des Medi-kaments in die Muttermilch bzw. auf den Säug-ling, liegen bisher nicht vor. Eine einigermaßenseriöse Bewertung ist daher nicht möglich. Auf-grund der starken Lipophilie ist jedoch ein nichtunbeträchtlicher Übertritt in die Muttermilchanzunehmen.Literatur: [416]

TramadolFertigarzneimittel: z.B. Tramal®.Bewertung: Kategorie 2.Zum Übergang von Tramadol in die Mutter-milch liegen lediglich Untersuchungen von Sei-ten des Herstellers vor. Danach waren bis zu ei-nem Zeitraum von 16 Stunden nach einmaligerTramadolgabe an die Mutter lediglich geringeMengen des Medikaments in die Muttermilchübergetreten. Nach Einschätzung des Herstellersist die möglicherweise auf den gestillten Säug-ling übertretende Medikementenmenge zu ge-ring, um pharmakologische Effekte auszulösen.Literatur: [416]

5.2.2 Nicht zentral wirksameAnalgetika, Antirheumatika

AcetylsalicylsäureFertigarzneimittel: z.B. Aspirin®.Bewertung: Kategorie 3. Die Gabe eines ande-ren Medikaments, z.B. Paracetamol, ist zu be-vorzugen.Wegen der schnellen Hydrolyse der Acetylsali-cylsäure zu Salicylsäure im mütterlichen Orga-nismus ist für die Wirkung im Säugling der Sali-cylsäurerest ausschlaggebend. Eine Hemmungder Thrombozytenaggregation ist kaum zu er-warten. In der Muttermilch und im kindlichenPlasma wird zur Beurteilung der Salicylsäurean-teil gemessen. Die Halbwertszeit von Salicylsäu-re ist dosisabhängig. Nach analgetischen Einzel-dosen (0,5g) liegt sie bei der Mutter bei zweiStunden; die Plasmaproteinbindung beträgt90%. Bei Neugeborenen ist die Halbwertszeitmehr als doppelt so lang wie beim Erwachsenen.Im Säuglingsplasma liegt Salicylsäure imGegen-satz zum Erwachsenen nur zu 10–20% protein-gebunden vor; dies kann auch bei anscheinendgeringen Plasmakonzentrationen vergleichswei-se hohe Gewebekonzentrationen zur Folge ha-ben. Der M/P-Quotient liegt bei 0,5. Ein Säug-ling kann nach Messungen 10–70% einer anti-pyretisch wirksamen Säuglingsdosis über dieMuttermilch aufnehmen. Ein neun Wochen al-ter Säugling besaß Salicylatkonzentrationen vonim Mittel 65mg/l, während seine Mutter täglich2,6g Aspirin® eingenommen hatte. Entspre-

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chend sind in der Literatur hohe Dauergabenvon Aspirin® als Kontraindikation während desStillens angegeben. Ein weiterer Bericht schil-dert einen 16 Tage alten Säugling mit metaboli-scher Azidose, dessen Mutter alle vier Stunden650mg Aspirin® zu sich genommen hatte.

Auch wenn einige Autoren der Ansicht sind,dass Acetylsalicylsäure-Dosen von weniger als2g pro Tag keine Effekte auf das Kind habenkönnten, wird in Großbritannien die Acetylsali-cylsäure-Gabe an stillende Mütter nicht mehrempfohlen, auch wegen des theoretischen Risi-kos eines Reye-Syndroms. Unklar ist allerdings,bei welchen Dosen das nach Verordnung vonSalicylaten in Einzelfällen auftretende Reye-Syndrom ausgelöst werden kann.

Obwohl Paracetamol und Ibuprofen als An-algetika in der Stillzeit vorzuziehen sind, scheintdie gelegentliche Einnahme einer niedrigen Do-sis Acetylsalicylsäure keine Gefahr für das ge-stillte Kind darzustellen. Bei wiederholtem Ge-brauch, besonders bei höheren, antirheumatischwirksamen, Dosen müssen die Salicylat-Kon-zentrationen des gestillten Kindes überwachtwerden. Auf eine regelmäßige Einnahme vonAcetylsalicylsäure oder Salicylat in der Stillzeitsollte verzichtet werden. Die AmericanAcademyof Pediatrics sowie dieWHOWorking Group onHuman Lactation empfehlen beide, Acetylsali-cylsäure während der Stillzeit zu vermeiden.Literatur: [6, 14, 15, 210, 212, 330, 431, 460]

CelecoxibFertigarzneimittel: z.B. Celebrex®.Bewertung: Kategorie 2.Der M/P-Quotient liegt bei 0,15–0,3; damit be-steht ein geringer Übertritt in die Muttermilch.Die Proteinbindung beträgt 99%. Die von ei-nem Kind aufgenommene Dosis wurde in einergrößeren Studie mit 0,2–0,4% der gewichtsbe-zogenen mütterlichen Dosis berechnet. Bei dengestillten Kindern konnte kein Medikamentnachgewiesen werden. Nach den wenigen bishervorliegenden Daten kann dieser COX-2-Hem-mer als eher unproblematisch für ein gestilltesKind angesehen werden.Literatur: [180]

Diclofenac (oral und lokal)Fertigarzneimittel: z.B.Voltaren®.Bewertung: Kategorie 1 (bei lokaler Behand-lung); Kategorie 3 (bei systemischer Behand-lung).Das Molekulargewicht beträgt 318, die Plasma-proteinbindung liegt bei über 99%, die Halb-wertszeit ist bei Erwachsenen 1,8 Stunden. DieseCharakteristika lassen einen geringen Übertrittin die Muttermilch annehmen. Da jedoch Dic-lofenac nahezu vollständig in der Leber metabo-lisiert wird, kann die Halbwertszeit beim Säug-ling deutlich verlängert sein. In einer Übersichtvon Anderson konnte Diclofenac weder nachEinzelgaben von 50mg i.m. noch während einereinwöchigen Behandlung mit 100mg täglich,oral eingenommen, in der Muttermilch nachge-wiesen werden. In einer Kasuistik konnten nachEinzelgaben von 150mg täglich allerdings mess-bare Muttermilchkonzentrationen von Diclofe-nac gemessen werden. Insgesamt werden jedochnur geringe Medikamentenmengen in der Mut-termilch zu erwarten sein. Berichte über Neben-wirkungen bei gestillten Kindern liegen nichtvor. Bei einer längerfristigen Therapie sollte je-doch – so dies möglich ist – auf ein anderes Prä-parat z.B. Ibuprofen, umgestellt werden.Literatur: [10, 14, 224, 330, 416, 424, 426]

FlurbiprofenSiehe ▸Kap. 5.33.

IbuprofenFertigarzneimittel: z.B. Aktren®.Bewertung: Kategorie 1.Die Proteinbindung liegt mit 99% sehr hoch, dieHalbwertszeit beträgt zwei Stunden, der M/P-Quotient 0,14. Ibuprofen wird vollständig durchden hepatischenMetabolismus abgebaut, sodassbeim Säugling eine verlängerte Halbwertszeitmöglich ist. Insgesamt sind die pharmakologi-schen Eigenschaften so, dass eine geringe Exkre-tion in die Muttermilch anzunehmen ist. NachLiteraturangaben sind die unerwünschten Wir-kungen dieser Substanz insgesamt auf den Men-schen so gering, dass Ibuprofen in zahlreichenLändern aus der Verschreibungspflicht entlas-

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sen wurde. In einer Studie an zwölf Patientin-nen, die innerhalb von 24 Stunden jeweils1600mg erhalten hatten, konnte Ibuprofennicht in der Muttermilch nachgewiesen werden.In klinischen Untersuchungen wurden keinerleinegative Reaktionen bei den gestillten Säuglin-gen beobachtet. Neben Flurbiprofen besitzt Ibu-profen die beste Dokumentation über die Si-cherheit für das gestillte Kind während der Still-zeit. Ibuprofen ist daher in der Stillzeit als dasAnalgetikum der erstenWahl anzusehen.Literatur: [6, 210, 212, 431, 460]

IndometacinFertigarzneimittel: z.B. Indo-CT.Bewertung: Kategorie 2.Die Halbwertszeit schwankt von 4 bis 12 Stun-den; es besteht ein ausgeprägter entero-hepati-scher Kreislauf. 85% der Substanz werden hepa-tisch metabolisiert und als Glucuronid ausge-schieden. Da diese Stoffwechselwege beim jun-gen Säugling noch nicht ausgereift sind, bestehtdie Möglichkeit einer erheblichen Kumulation.Der M/P-Quotient liegt bei 0,19. In älteren Lite-raturstellen wird von einem Einsatz des Indo-metacin während der Stillzeit abgeraten. DieseAutoren stützen sich vor allem auf eine Fallbe-schreibung aus dem Jahr 1978, wonach ein sie-ben Tage altes Kind nach der Gabe von Indome-tacin an die Mutter Krampfanfälle entwickelthatte. Allerdings wurden im Zusammenhangmit dieser Fallbeschreibung weder Milch- nochPlasmaproben des Kindes zu einer Medikamen-tenkonzentrationsbestimmung entnommen.Untersuchungen aus dem Jahr 1991 bei mehre-ren Frauen und ihren Kindern ergaben, dass nursehr geringe Mengen Indometacin in die Milchübergehen (vgl. M/P-Quotient). Bei denmeistender untersuchten Kinder lag die Indometacin-Konzentration im Plasma unterhalb der Nach-weisgrenze. Bei keinem der Kinder wurden Ne-benwirkungen beobachtet. Aufgrund dieser Be-richte kam in den letzten Jahren daher dieMehrzahl der Autoren zu dem Schluss, dassMütter, die Indometacin „in üblichen therapeu-tischen Dosen“ einnehmen, nicht entmutigt

werden sollten, ihr Kind zu stillen, wenn einegute Beobachtung des Kindes gewährleistet ist.Auch die American Academiy of Pediatrics teiltIndometacin in die Gruppe der Medikamenteein, die „normalerweise mit dem Stillen verein-bar“ sind.

Auch wenn der Einsatz von Indometacin inder Stillperiode keine Kontraindikation gegendas Stillen darstellt, ist bei der Verordnung einesnichtsteroidalen Antirheumatikums in der Still-zeit einem Medikament wie Ibuprofen dennochder Vorzug zu geben, wenn dessen Wirkungausreichend ist.Literatur: [6, 8, 12, 13, 33, 117, 257, 330, 431]

KetoprofenFertigarzneimittel: z.B. Gabrilen®.Bewertung: Kategorie 2.Ketoprofen zeigte sich als Analgetikum in derPostnatalphase gleich wirksam wie Diclofenacoder wie Acetylsalicylsäure. In einer Untersu-chung bei 18 Frauen lag die Konzentration desMedikaments in der Muttermilch bei etwa 5%der Konzentration im mütterlichen Serum. Da-mit sind die von einem gestillten Kind einge-nommenen Medikamentenmengen sehr geringund Risiken für das Kind wahrscheinlich kaumanzunehmen.Literatur: [214, 357]

MetamizolFertigarzneimittel: z.B.Novalgin®.Bewertung: Kategorie 4.Es ist nicht nur Metamizol selbst als aktive Sub-stanz wirksam, sondern auch seine vier weiterenMetaboliten sind von Bedeutung. In einem Fallkonnten bei einem gestillten Kind dieselben Se-rumkonzentrationen wie bei der Mutter gefun-den werden. Der Hersteller empfiehlt nach Gabedes Medikaments eine Stillpause von 48 Stun-den einzulegen. Da aber nach einer Entbindungein baldiger Stillbeginn wichtig ist, wird der Ein-satz einer anderen, vergleichbaren Substanzdringend empfohlen.Literatur: [42, 43]