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Trauma und Vernachlässigung als Katalysator schwerer psychischer Störungen? Deborah Janowitz und Hans J. Grabe Universitätsmedizin Greifswald Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

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Trauma und Vernachlässigung als Katalysator schwerer

psychischer Störungen?

Deborah Janowitz und Hans J. Grabe Universitätsmedizin Greifswald

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

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Ungünstige Kindheitsereignisse

Kindheitstrauma auch genannt:

Kindheits-Belastungsfaktoren,

frühkindliche Stress-Erfahrungen,

Adverse Childhood Experiences kurz: ACE

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Ungünstige Kindheitsereignisse

• Was verstehen Sie darunter?

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Definition im Childhood Trauma Screener (CTS)

Handlungen:

• Körperlicher Missbrauch (KM)

• Emotionaler Missbrauch (EM)

• Sexueller Missbrauch (SM)

Unterlassungen:

• Körperlicher Vernachlässigung (KV)

• Emotionale Vernachlässigung (EV)

Glaesmer et al., 2013, Grabe et al., 2012

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Childhood Trauma Screener (CTS)

Als ich aufwuchs…

1. …hatte ich das Gefühl, geliebt zu werden. (EV)

2. …schlugen mich Personen aus meiner Familie so stark, dass ich blaue Flecken oder Schrammen davontrug (KM)

3. …hatte ich das Gefühl, es hasste mich jemand in meiner Familie. (EM)

4. …belästigte mich jemand sexuell. (SM)

5. …gab es jemanden, der der mich zum Arzt brachte, wenn ich es brauchte. (KV)

Grabe et al., 2012; Glaesmer et al., 2013

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Deutsche Befragung von 2504 Erwachsene retrospektiv nach Kindheitstraumen bis zum Alter von 18 Jahren

(Mehrfachnennungen möglich)

Form der Misshandlung leicht bis extrem % schwer/extrem %

emotionale Misshandlung 14,9 1,6

körperliche Misshandlung 12,0 2,7

sexuelle Misshandlung 12,5 1,9

emotionale Vernachlässigung

49,3 6,5

körperliche Vernachlässigung

48,4 10,8

W. Häuser, G. Schmutzer, E. Brähler, H. Glaesmer: Maltreatment in childhood and

adolescence: Results from a survey of a representative sample of the German

population. In: Dt. Ärzteblatt International. 2011, 108, S. 287–294.

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Adverse Childhood Experiences (ACE) Studie

• US-Bevölkerungsstichprobe von über 17.000 Personen

• Kindheitsbelastungs-Erfahrungen (unter 18 Jahren) retrospektiv

• zusätzlich zu den Kindheitstraumen wurden fünf Situationen familiärer Dysfunktion erfragt

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Adverse Childhood Experiences (ACE) Studie

Kindheitsbelastungs-Kategorie Prävalenz %

emotionaler Missbrauch 10,6

körperliche Misshandlung 28,3

sexueller Missbrauch (körperliche Berührung)

20,7

emotionale Vernachlässigung 14,8

physische Vernachlässigung 9,9

Gewalttätigkeit gegenüber Mutter 12,7

Substanzmissbrauch von Haushaltsmitglied

26,9

psych. Erkrankung von Haushaltsmitglied 19,4

Trennung/ Scheidung der Eltern 23,3

Haftstrafe von Haushaltsmitglied 4,7

V. J. Felitti, R. F. Anda, D. Nordenberg, D. F. Williamson, A. M. Spitz, V. Edwards, M. P. Koss, J. S. Marks: Relationship of childhood abuse and household dysfunction to many of the leading causes of death in adults. The Adverse Childhood Experiences (ACE) study. In: American J Preventive Medicine. 1998; 14, S. 245–258.

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SHIP: Kindesmisshandlung und Depression

Childhood Trauma Questionnaire

none-mild versus

moderate-severe Prävalenz Life-time MDD OR

Emotionaler Missbrauch 3.8 % 45.2 % 3.9

(2.5-6.3)

Körperlicher Missbrauch 4.7 % 28.0 % 2.1

(1.3-3.3)

Sexueller Missbrauch 3.6 % 31.7 % 2.02

(1.3-3.3)

Emotionale Vernachlässigung 12.6 % 26.8 % 2.1

(1.6-2.8)

Körperliche Vernachlässigung 16.9 % 19.7 % 1.3

(1.1-1.8)

Missbrauch insgesamt: 9.0% Vernachlässigung insgesamt: 21.9%

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Kindesmisshandlung: Gen-Umwelt-Interaktion

Gen Risiko einer Erkrankung Gen x Umwelt

Protektion

Stressor

s/s; s/l

l/l

z.B. frühkindliche Traumatisierungen,

adulte Stressoren

z.B. soziale Unterstützung, Resilienz,

Kohärenzsinn

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Was passiert bei Stress?

Bei anhaltendem Stress erfolgt langfristig eine erhöhte Kortisol-Ausschüttung.

Es kommt zu Beeinträchtigungen der Hirnentwicklung und zu „biologischen Narben“,

was sich in einer lebenslangen Dysfunktion des Stress-Verarbeitungssystems im Sinne einer erhöhten Vulnerabilität für körperliche wie psychosoziale Belastungssituationen niederschlagen kann.

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Adverse Childhood Experiences (ACE) Studie gesundheitliche

Risikoverhaltensweisen ACE = 0 (%) ACE ≥ 4 (%)

raucht gegenwärtig 6,8 16,5

schweres Übergewicht (BMI ≥ 35)

5,4 12,0

Bewegungsmangel in Freizeit

18,4 26,6

≥ 2 Wochen deprimierte Stimmung

14,2 50,7

jemals Suizidversuch 1,2 18,3

sieht sich als Alkoholiker 2,9 16,1

jemals illegale Drogen genommen

6,4 28,4

jemals Drogen i.v. gespritzt 0,3 3,4

Promiskuität (≥ 50 Sexualpartner)

3,0 6,8

jemals sexuell übertragene Krankheit

5,6 16,7

V. J. Felitti, R. F. Anda, D. Nordenberg, D. F. Williamson, A. M. Spitz, V. Edwards, M. P. Koss, J. S. Marks: Relationship of childhood abuse and household dysfunction to many of the leading causes of death in adults. The Adverse Childhood Experiences (ACE) study. In: American J Preventive Medicine. 1998; 14, S. 245–258.

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FKBP5-Gen Das kodierte Protein scheint ein wichtiger Regulator des Glukokortikoid-Rezeptors zu sein und zu bestimmen, wie wirkungsvoll der Organismus auf Stresshormone reagiert. Der TT-Genotyp hat eine relative Cortisolresistenz . Bei Traumatisierung im Kindesalter wird von der DNA an einer bestimmten Stelle eine Methylgruppe abgespalten, was die Aktivität von FKBP5 deutlich erhöht. Interessanterweise wurde diese dauerhafte Veränderung der DNA vor allem durch Traumata im Kindesalter erzeugt. Bei Studienteilnehmern, die ausschließlich im Erwachsenenalter traumatisiert wurden, ist keine Demethylierung im FKBP5-Gen nachweisbar. (Binder, 2009; 2011)

Angelehnt an Abb. aus Max-Planck-Institut

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SHIP: Gen-Umwelt Interaktion: FKBP5 Gen

Appel et al., 2012

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N=114 psychotic disorder patients and 81 healthy control

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Nature 2010

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Folgende Schutzfaktoren haben sich empirisch als wirksam erwiesen:

• dauerhafte gute Beziehung zu mindestens einer primären Bezugsperson, • sicheres Bindungsverhalten • Großfamilie, kompensatorische Elternbeziehungen, • Entlastung der Mutter (vor allem wenn alleinerziehend), • gutes Ersatzmilieu nach früherem Mutterverlust, • überdurchschnittliche Intelligenz, • robustes, aktives und kontaktfreudiges Temperament, • internale Kontrollüberzeugungen, • Selbstwirksamkeit, • soziale Förderung (z.B. durch Jugendgruppen, Schule, Kirche), • verlässlich unterstützende Bezugsperson(en) im Erwachsenenalter, • lebenszeitlich spätere Familiengründung (i.S. von Verantwortungsübernahme), • Geschlecht (Mädchen sind weniger vulnerabel).

U. T. Egle, J. Hardt: Gesundheitliche Folgen von Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung in der Kindheit. In: M. Cierpka (Hrsg.): Frühe Kindheit 0 - 3. Springer, Berlin 2012, S. 103–114.

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!