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Uber chemische und anaerobe Tumorbildung bei Pflanzen. Von Hans Aulcr. (Aus dem Universit~tsinstitut fiir/~rebsforschung zu Berlin. -- Direk~or: Gehcim- rat ~roL Dr. Ferdinand Blumenthal.) Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen am 25. Juni 1925.) Die hyperplastischen Wachstumsanomalien an der Pflanze sind wohl ebenso schwierig im Sinne des Klinikers in gutartige und bSsartige Neubildungen einzuteilen wie an Mensch und Tier. Unter strenger :Be- rficksichtigung der der Pflanzenzelle eigenen biologischen Potenz ge- winnt der Beobachter meist den Eindruck, dab es sich um Organisa- tionsvorgi~nge zwecks Beseitigung einer StCirung handelt. Es liegt daher nahe, alle Wucherungen an der Pflanze als Granulome zu deuten. Auf der anderen Seite zeigen abet nicht wenige der uns bekannten Gallen (so z. ]3. der Kartoffelkrebs und die Tumefaciensgeschwiilste) so b(isartigen Charakter, dab das Leben des Geschwulsttr~tgers sehr ernst- lich gest(irt bzw. vernichtet wird. Ich bezweifle, dab die Pflanzenzelle bei ihrer phylogenetischen Potenz in der Lage ist, in gleieher Weise ,,maligne" Eigenschaften zu offenbaren wie die tierische Krebszelle. Die Pflanzenzelle steht in der Reihe des Lebens welt vor der Zelle des metazoischen Organismus, woraus sich mehrere wichtige Unter- schiede ergeben, die auf der einen Seite die h(ihere Wertigkeit der ]?flan- zenzelle, aui: der anderen SeRe infolge weiterer ])ifferenzierung des meta- zoischen Organismus die geringere Potenz der animalischen Zelle zur Folge haben. Diese zeigen sich vor allem in der grol~en Akkommodations- fi~higkeit der Pflanzenzelle, z. B. hinsichtlieh der Transplantibilitiit: Eine Pflanzenzelle ist ]eicht nicht nut auf artgleiehe, sondern auch auf artfremde Pflanze transplantabel, die tierische Zelle ist selbst im Zu- stande maligner Entartung die yon mehreren Autoren als ein Erwachen progoniseher Eigenschaften gedeutet wird, nur auf artgleiche Tiere transplantabel und auch innerhalb der Art nur im engsten Rahmen. ~)io Ubertragung einer Geschwulst einer wilden ~atte auf zahme Ratten ist selten erfolgreich. Wesentlieher noch sind die Unterschiede im Stoffwechsel: So der Kohlenhydratstoffwechsel, insbesondere die CO2-Assimilation dutch die Pflanzenzelle, die in der Pflanzenzelle sich zeigende Eigensehaft anaerob zu atmen. Wachstumsanomalien sind im

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Page 1: über chemische und anaerobe Tumorbildung bei Pflanzen

Uber chemische und anaerobe Tumorbildung bei Pflanzen. Von

Hans Aulcr.

(Aus dem Universit~tsinstitut fiir/~rebsforschung zu Berlin. - - Direk~or: Gehcim- rat ~roL Dr. Ferdinand Blumenthal.)

Mit 9 Textabbildungen.

(Eingegangen am 25. Juni 1925.)

Die hyperplastischen Wachstumsanomalien an der Pflanze sind wohl ebenso schwierig im Sinne des Klinikers in gutartige und bSsartige Neubildungen einzuteilen wie an Mensch und Tier. Unter strenger :Be- rficksichtigung der der Pflanzenzelle eigenen biologischen Potenz ge- winnt der Beobachter meist den Eindruck, dab es sich um Organisa- tionsvorgi~nge zwecks Beseitigung einer StCirung handelt. Es liegt daher nahe, alle Wucherungen an der Pflanze als Granulome zu deuten. Auf der anderen Seite zeigen abet nicht wenige der uns bekannten Gallen (so z. ]3. der Kartoffelkrebs und die Tumefaciensgeschwiilste) so b(isartigen Charakter, dab das Leben des Geschwulsttr~tgers sehr ernst- lich gest(irt bzw. vernichtet wird. Ich bezweifle, dab die Pflanzenzelle bei ihrer phylogenetischen Potenz in der Lage ist, in gleieher Weise ,,maligne" Eigenschaften zu offenbaren wie die tierische Krebszelle.

Die Pflanzenzelle steht in der Reihe des Lebens welt vor der Zelle des metazoischen Organismus, woraus sich mehrere wichtige U n t e r - schiede ergeben, die auf der einen Seite die h(ihere Wertigkeit der ]?flan- zenzelle, aui: der anderen SeRe infolge weiterer ])ifferenzierung des meta- zoischen Organismus die geringere Potenz der animalischen Zelle zur Folge haben. Diese zeigen sich vor allem in der grol~en Akkommodations- fi~higkeit der Pflanzenzelle, z. B. hinsichtlieh der Transplantibilitiit: Eine Pflanzenzelle ist ]eicht nicht nut auf artgleiehe, sondern auch auf ar t f remde Pflanze transplantabel , die tierische Zelle ist selbst im Zu- stande maligner En ta r tung die yon mehreren Autoren als ein Erwachen progoniseher Eigenschaften gedeutet wird, nur auf artgleiche Tiere t ransplantabel und auch innerhalb der Art nur im engsten Rahmen. ~)io Ubertragung einer Geschwulst einer wilden ~ a t t e auf zahme Ra t t en ist selten erfolgreich. Wesentlieher noch sind die Unterschiede im Stoffwechsel: So der Kohlenhydratstoffwechsel, insbesondere die CO2-Assimilation dutch die Pflanzenzelle, die in der Pflanzenzelle sich zeigende Eigensehaft anaerob zu atmen. Wachstumsanomalien sind im

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weitesten Sinne des Wortes auf StSrungen im Stoffwcchsel zuriick- zuffihren. Unter diesem Gesichtswinkel betrachtet , ergibt sich, dab die assimilierenden Teile der Pflanze sehr selten Geschwiilste wie die Tume- faciensgeschwiilste haben, fast immer die Kohlenhydratdcpots , die Knolle: Kartoffelkrebs, Rfiben: Runkelriiben, Zuckerrfiben, Mohrriiben, dann weniger oft die Stengel der Pflanzen, in denen in der I-Iauptsache der Stoff transport vor sich geht. ]3esonders sind es in dem letzteren Organ, die um die, Gefii[]biindel und zwischcn ihnen liegenden Zcllcn, die Meristemzonen, von denen das Geschwulstwachstum ausgeht. Wird z. B. durch einfaches Umknicken eines Pflanzcnstengcls, der An- und Abflul~ der Stoffwechselprodukte und die Atmung (s. weiter unten) ge- stSrt, so kommt es an Stelle der Verletzung zu einer Stagnationsgarung.

Organischc S~uren wcrdcn frei, und cs scheint, dal3 gera~e diese letzteren es sind, die das Ents tehen eines oft sehr iippigen Callus am Orte des Traumas veranlassen. In dem Augenblicke, wo die StSrung wieder beseitigt ist, erfolgt Wachstums- stillstand. Die Assimilationsorgane, die Bl~itter, werden kaum befallen, und wenn ja, dann fast immer die Blattnerven. Die Pflanzengeschwiilste die von chlorophyll- haltigen Zellen ausgehen, sind stets chlo-

Abb. 1. Durch B. tumef , e rzeug te Wuche- rophyll~irmer als die normalen Zellen, rungen auf der Mohrriibenscheibe. sehr oft sind sie weift wie Krebsgewebe

(bei Sinapis alba). Trotzdem hat in diesen Fallen die in Wucherung geratene Meristemzelle nicht die F~higkeit ver- loren sich weiter zu differenzieren; so haben wir bei Sin~pis alb~ und Brassica rapa nach Tumefaciensimpfung in den S tamm auf dem markigweiBen Tumor verki immerte BlOtter mit normalem Chlorophyll- gehalt sich entwickeln sehen. Die animalische Geschwulstzelle zeigt diese F~higkeit sich weiter zu differenzieren nur in ganz beschr~nktem Mal~e. Klinisch und experimentcll beobachten wir gclegcntlich in dem eigentlichen Vorstadium der Gew~ichserkrankungen Differenzierungs- vorggnge, die wir als progonische Wachstumsanomalien (Organoide) auffassen miissen, so die Papillome, Cornu cutaneum beim Teerkrebs. Die Beurteilung nach Gewebsreifc oder DifferenzierungsmOglichkeit er- gibt, dab wir eine groBe Anzahl der Pflanzengeschwiilste als gutart ige gelten lassen mtissen. Ffir die biologische Seite des Problems ist diese Feststellung bedeutungslos, da wir prinzipielle Unterschiede zwischert gutart igen und b6sartigen Gew~chsen nicht kennen.

Wiederum ist es bei der Unzuliinglichkeit unscrer Kenntnisse hin- sichtlich der formalen und kausalen Genese der Gewiichse an Menschen

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und Tieren nieht s tat thaft , jede :~hnlichkeit zwischen pflanzlichen und tierisehen Geschwiilsten zu leugncn.

So fordern insbesondere die Ergebnisse der i~tiologisehen Forschung auf dem Gebiete der Neubildungen an der Pflanze strengste Beachtung, insofern auch hier gezeigt werden konnte, wie die verschiedensten ~tiolo- gischen Faktoren - - Parasiten, chemische und physikalisehe Agenticn - - alle zu dem gleichen Endergebnis, zur Neubildung ffiihren, dal~ die Ur- saehen, lebende und tote trotz gr0i~ter Verschiedenheit durch ihnen allen gemeinsame Eigenschaften miteinander verwandt sind und es

Abb. 2. Mohrriibenscheibe gekratzt, in O-armer Atmosphere, Lfingsschnitt durch eine Papille. VergrSl~erung 60fach.

wohl in letzter Linie die ihnen allen eigenen Eigenschaften sind, die zur Gewebshyperplasie fiihren. Es ist augcnscheinlich, daJl diese Ergebnisse nicht dazu beitragen k6nnen, die Virchowsche Reiztheorie, insbesondere die These, dalt jeder Reiz, wenn er nur lange genug einwirkt, zur Ge- schwulstentstehung fiihren kann, zu stiitzen, uns vielmehr dazu auf- fordert, in den Gew~chserkrankungen ein gesetzm~Big festgelegtes System zu sehen, das trotz der Vielheit der ~tiologischen und konditio- nellen Faktoren in der Schlul~formel immer sich gleich bleibt. Die Genese der Geschwtilste basiert auf einem durch besondere Gesetze um- schriebenen System, in dessen Mittelpunkt die Zelle steht. (Das gene- tische System der Gew~chserkrankungen.)

Wie bereits oben erwi~hnt, sind Trauma, St6rungen des An- und Ab- flusses der Gewebesi~fte, die dadureh ver~inderte Atmung und das Auf-

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t reten organischer S~uren fiir die Entstehung dcr NcubiMungen an der Pflanze bedeutungsvoll.

In den yon E. Smith isolicrtcn Tumefacienstammen sind mehrere Fettsguren, so die Ameisensaure, die Essigsiiure nachgewiescn und die Milchs~ure vermutet wordcn. Es war ein grol3er Fortschritt , dal~ es Ferdinand Blumenthal und Paula Meyer gelang, mit Milchs~ure auf Mohrrfibenscheibcn papill~re Geschwfilste zu erzeugen, was von Bitt- mann best~tigt wurde.

N'gmec hat 1913 mit Fetts~uren prosoplasmatische Wucherungen er- zeugt. Versuche yon Kiister mit Fctts~uren und fettsauren Salzen an

Abb. 3. Gef~$biinde| mit Proliferationsherden aus Abb. 2. Vergr. 120fach.

der Pflanze Neubildungen zu erzielcn, blieben resultatlos. 1923 hat Petri nach Injcktion yon 0,2~{~ Natriumglykolat an Vitis Wucherungen cntstehen sehen. Popo// berichtet fiber callOse Wucherungen auf Mohrrfibenscheiben dutch Stimulierung mit 8% MgC12 q- 12% MgSO 4 oder 7O/oo MgCI 2 -4- 14~ MgSO~ und darauf folgende Spiilung mit Leitungswasser. Wel~/me,r schreibt bestimrate Wachstumsvorg~nge an sauren Gallen der Wirkung freier H-Ionen zu. H-Ionen und Histogenese werden weiter von Pristley und Pearsall in Beziehung gebracht. _Ft. Weber bringt in ilarcr sehr interessanten Arbeit ,,Theorie der Meristem- bildung" (Naturwissensch. 1924, 2, 289) die Entstehung meristematischer Zellen mit den Wirkungen des isoelektrischen Punktes in Zusammen- hang. DaB dutch freie S:,~urcn, besonders die niedern Fettsauren und

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i h r e N H 2 - h a l t i g e n D e r i v a t e W u c h e r u n g e n a n d e r P f l a n z e h e r v o r -

g e r u f e n w e r d e n kOnnen , g e h t a u c h a u s u n s e r c n V e r s u c h e n h e r v o r .

Die nun folgenden Versuche sind an Mohrriibenseheiben gemacht worden. Die Mohrrtiben werden sorgf~iltig un te r der Wasserleitung mit einer nicht zu hal"~en :Biirste gereinigt und dann ftir einige Augenblieke in ~/x000 Sublimatl6sung getaucht. Nachsptilen mit physiologischer NaC1-LOsung. Mit einem Rasicr- messer mit m6glichst Ilachem Riicken schneidet man erst den t l i ibcnkopf ab, dann die tiefer licgenden Teilc in Seheibcn v(m etwa a/2 cm Dicke. Am besten ftir die Versuche cignen sich die ersten 2- -3 Scheiben unterha lb des t/iibenkot)fes. Der Boden sterilcr Petr ischalen bzw. bcsondcrcr, un tcn n/iJmr erw'hhnten Schalen werden mit einer doppcltcn Lage sterilen Flicgpapieres ausgelegt, welches nfit

Abb. 4. Papillenl$ingsschnitt. Mohrriibenscheibe mit Ameisen- s~iure gepinselt. Vergr6flerung 120fach.

physiologischer 1N'aC1-LSsung getr/tnkt ist. Die in die Schalen hineinge]cgtcn Scheiben werden im allgemeinen vor dcr Versorgung mit den Agcnticn mit ciner Nadel leicht gcritzt, wcil wir durch diesen lqeiz ein besscrcs Waehs tum der Ge- schwulst beobachte t haben. Auf die n/iherc Bcgriindung dieser Mafinahme gehe ich weiter un ten ein. Sodann wird die L6sung dtinn aufgetragen, dic Sehalen go- schlossen und ins Warmhaus 20 ~ gestellt. I)auer dcr Versuche 3 - -4 ~Vochen. Ein Teil der Mohrrtibenscheiben wurden mit 1/1~o o Amcisens/ture, ein andever mit ~/10oo Formamid, cin dr i t ter mit Acetamid ~/10o0 gepinselt. Mehrere gekratze )Ioh~Ttibenscheiben dienten als Kontrolle. Nach 8 Tagen zcigtcn sich besonders in den Meristemzonen stecknadelgrol3e, blal3gclbe Papillen mlt unebner Obeffliichc und norma]er Konsistenz. Im Laufe der n/tchsten "Wochcn wurdcn die (]eschwii]ste gr613er und erreichten zum Tcil Erbsengr61]e. Der mit Formamid anges(,tzte Versuch zeigte iippigeres Wachs tum als der Versuch mit Ameisensiiuve. Am schw/tchsten war das Wachs tum bei dcn mi t Acetamid bestrichenetl Schciben.

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Die Kon t ro l l en zeigten keine Neub i ldungen auf de r Oberfl/ iche wohl aber A n d e u t u n g e n solcher auf de r dem Fl ieBpapie r auf l iegenden Seite. Die R e a k t i o n dieser sehr viel k le ineren papi l l~ren Neub i ldungen war an L a c k m u s geprfif t , schwach sauer . Es lag nahe, d a r a n zu denken , d a b die schleehtere L i i f tung auf dem Wege der G/~rung ~hnliche ehe- mische Verb indungen en t s t ehen liel~, wie die im H a u p t v e r s u c h ange- wendeten .

Der folgende Versuch bes t~ t ig t diese Vcrmutung .

Abb. 5. VergrSBerung yon Abb. 4. VergrSl lerung 330 fach.

Gekratzte Mohrr(ibenscheiben wurden in Schalen gelegt, dcren ])cckol mit Plastdin verkittet wurden. Die verschlossenen Gef~Be wurdcn untcr Wasser auf Luftdiehtigkeit gepriift, iNaoh ctwa 10 Tagen zeigten sieh auf der gekratzten obcren Fl~che der Scheiben Neubildungen derselben Art und mit derselbcn Lokali- sation wie in den oben beschriebenen Versuchen, die zicmlich rasch wuchsen. Bei einzelnen Papillen beobachtete ich nekrotischen Zerfa]l.

Histologisch unte rsche iden diese Neubi ldungen sich n ieh t yon den m i t Bak te r i en und den e rw~hnten Stoffen erzeugte . Die Gesehwii ls te en twicke ln sich in al len Versuchen aus den Meris temzel len, d . h . tol i - po ten ten , den e m b r y o n a l e n Zellen g lc iohar t igen Zellen.

Ein Sagittalschnitt durch ein Papille zeigt cine unobenc zum Tell mi~ Kork- zellen bedeokte Oberfl/~che, unregelm/tBig gelagerte atypische GefkBbiindel, die in allen Ebenen die Geschwulst durchziehen. Um diese Biindel herum odor in n~chster ,Nkho die jiingsten Proliferationsherde. In unregelm~Biger, atypischer Lagerung sieht man polymorphe Zellen, gelegent.lich mel~'kcrnige Zellen, mit den Anzeichen iibcrstiirzten Wachstums. Stellenweise Carotinablagerung. Eisen-

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farbungen ergeben nut sp/~rliche Resultate. Mit dcr Lipoidfhrbung nach Smith- Dietrich fitrben sich die Gef/ifibiiadeI sehr schSn blauschwarz, wobei bcsonders randst~4ndige Granula in den Tracheen sich besonders deu~lich abheben, stellcn- weise sind auch die Zellen blauschwarz bis blau gef/irbt. In mehrcren Pr/iparaten konnte ich in den Schciben selbst Proliferationsherdc bcobachten, in dcren Um- gebung die normalen Zellen aufgelfst zu werden schienen (die durch ZellzeffMl auftretenden A.nderungen in mechanlscher und chemischcr Hinsich~ bcdeutcn h/~ufig fiir die iiberlcbenden Zellen einen sehr starkcn Wachstumsreiz).

Da, wiehtigste Ergebnis dieser Untemuchun!len ist, daft der da,v Wach~'- turn aust6sende Reiz in den zuletzt geschiIderten Versuchen nicht dire~:t

Abb. 6. t 'roliferationsherd im normalen Mohrriibengewebe. Pinselung mit Formamid. Vergr~i~erung 120fach.

dutch Parasiten, chemische Sto/]e oder R6ntgen,~trahle~e geboten wird, sondern dutch Sto/]e, die o]]enbar in den ZeUen unter den angegebenen Be- dingungen entstanden sind. Es ist wahrscheinlich, dal3 es sich um Gi~rungsprodukte handelt, die sich bei schlechter Sauerstoffversorgung bilden, und zwar Fetts~iuren, bzw. deren NHe-haltige Derivate.

Die anaerobe Atmung ist in der Pflanzenwelt sehr verbreitet. (Munk, Bre/eld, de Suca). Pasteur ist mit seiner These: ,,G~rung ist Leben obne Sauerstoff" der Begriinder der Lehre yon der anavxoben Atmung. Munk hat dann spi~ter COs und Alkoholbildung bei hSheren Pilzen unter anaeroben Bedingungen festgestellt und weiter gezeigt, dab die Pflanze in reiner Stickstoffatmosph~re anaerob atmet. Die entstandenen sauren KSrper diirften das Ergebnis einer abgearteten G~rung sein. Die Wirkung dieser Stoffe wird verstiirkt durch traumatische Reize,

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die nach Smirnoff an sich schon einen bedeutenden EinfluB auf die anaerobe Atmung haben, besonders, wenn die Objekte abwechselnd unter anaeroben und aeroben l%dingungen gehMten werden. Dies ist ja aueh in obigen Versuchen gesehehen, es wurde jeden zweiten Tag gelfiftet. Daher ist es praktiseher mit anaeroben Schalen zu arbeiten. Die Untersuchungen O. Warburg8 fiber den Zuckerstoffwechsel der Geschwulstzelle, die Untersuchungen E. Bauers, E. Ve]norurva u. a. fiber den Einfluil der oberflgchenaktiven Kgrper auf das Zclhvachstum machen den oben dargelegten Zusammenhang wahrscheinlich.

Abb. 7. Vergr6Berung der Abb. 6. Vergr6Berung 830~ach.

Zum Schlufl sei noch einmal auf die den bekannten Gallen und Pfl~nzengeschwfilsten gemeinsamen und die sie unterscheidenden Merk- male eingegangen. Von den gew6hnliehen GMlen, die durch ]~nto- phageneier (Dryophanta folii, Oligotrophus taxi u .a . ) auf den Bli~t- tern oder Knospen bestimmter Pflanzen (Eichen, Eiben) entstehen, gibt es flieBende l~'berggnge zu der Gruppe yon Pflanzengeseh~ilsten, die wir als die den tierischen Blastomen am meisten /~hnliche ansehen. Dazu geh6rcn die Geschwfilste an der Kartoffel (Synchytrion endobio- ticum), die Kohlhernie (Plasmodiophera brassicae) die dureh Bacterium tumefacicns Smith und die yon Blumenthal, Auler, Paula Meyer be- schriebenen durch neoplastische Bakterien entstandenen Geschwfilste und schlieBlich die durch chemische Agentien (Blumenthal, Pa~la Meyer, Bittmann) und l~.6ntgenstr~hlen (Hideo Kumoro) entstehenden

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Geschwfilste. Die einfache Galle ist zwar el)enso wic die yon E. Smith Crowngall bcnannten Neubildungcn einc dutch Absonderungen der Parasiten entstandene Neubildung, zeigt aber eine so hohe Anpassung an den Parasiten, daf~ man in vielen F~llen yon eincr Symbiosc sprechcn daft. Die Wucherung kommt sofort zum Stillstand, wetm der Reiz be- seitigt, d. h. das Ei in der Galle bzw. die Insektenlarve getStct wird. (Werner Magnus.) Ich bin fiberzeugt, dal3 wenn die Beseitigung der Iqoxe bei den anderen Pflanzenwucherungen m6glich wfire, auch bei diesen sofort ein Waehstumstillstand eintreten wiirde. Dasselbe gilt

Abb. 8. Mohrri ibenscheibe gekratzt , ()-arm. Die j(ingsten Wach~- tumsherde in der Umgebung der Gef~iLlbiindel. u 120 fach.

m. E. aueh f/iv die tierisehen Gesehwflste, denn spontane Hei]ungen und dutch therapeutisehe Eingriffe erzielte Riiekbildungen sind doeh, wenn aueh nur in geringer Anza.hl, zu verzeiehnen. In der Haupts~ehe unterseheiden sieh die Gallen yon den Cesehwfilsten dureh ihre Struktur. Die Zellen in den Gallen sind gr61~er als normale Zellen mad lagern sieh in ziemlieher Ordnung um den Parasitenherd. Die Zellen in den Ge- sehwfilsten sind meist kleiner als normal, plasmareieher und viel- gestaltiger.

Sehr oft finden wit vielkernige }~iesenzellen in den Gallen, so be- sonders in den Alehengallen (Heteroeler~ radieieola). Nebenbei sei er- wghnt, dab Nabokieh mehrkernige Zellen bei anaerobem Waehstum ent- stehen sah. (L'ber anaerobe Zellteilung Berieht d. Dtseh. hot. Ges. 1904,

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22, 62). Hinsichtlich des infiltrierenden ,,gleitenden" Wachstums er- geben sich zwischen den Gallen best immter Art und den Neubildungen dureh B. turner., ehemische und physikalische Reize keine nennens- werten Unterschiede. I m allgemeinen vollzieht sich das Wachstum an der Pflanze so, dai~ eine Zellschicht die andere vor sich hersehiebt. VSchting hat zuerst in Neubildungen h6herer Pflanzen weit verzweigte Zellen beschriebcn, die mit ihren spitzen Ausl~ufern wie Hyphen ge- wissermal~en hinkriechen (Untrs, z, exp. Anat. u. Path. des Pflanzen- k6rpers 1908, 1, ]91, 192, 236). In der Galle von Urophlyetis leproides

Abb. 9. VergrOl~erung der Abb. 8. Verg r6$orung 880 fach.

auf Beta vulgaris schickt die vergr6fierte vom Parasiten bewohnte Zelle ihre Ausstiilpungen in das benachbarte Gewcbe hinein. Jensen, der die Riibenk6pfe bei Beta vulgaris beschrieben hat, gibt an, dal] er dutch Pfropfung yon Geschwulstteilen auf t~tiben mit anderen Farben, infiltrierendes Waehstum habe nachweisen kSnnen. Kiister, der die Versuche Jensen8 nachgeprtift hat, h~ilt das inffltrierende Wachstum des Riibenkopfes vorl~ufig nieht fiir erwiesen. Inwieweit die Fahig- keit des infiltrierenden Wachstums der Pflanzenzelle fiberhaupt eigen ist, in Anbetracht des starren Gewebsverbandes und der in Neubildungen hi~ufig auftretenden zellulosigen Entar tung, ist ganz unbest immt. Auf der anderen Seite sehen wir jedoeh, wie, sobald Zellen in Gallen zugrunde gehen, die benachbarten Zellen sofort in diese Lticken hineinrticken, so z. B. in den -~lehengallen.

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Eine Sonderstellung nehmen die yon E. Smith und yon mir be- schriebenen embryonalcn ~hnlichen 5Ieubildungen cin. Der Ausgangs- punkt dieser Geschwiilste sind die v611ig undifferenzierten totipotenten Meristemzellen. Die Zellen der Tumoren k6nnen, wie schon erwiihnt, gelegentlich ihren Differenzierungsweg weitergehen, und es kommt auf diese Weise zu zum groBen Tell sehr kiimmerlichen Entwickhmg von Bl~ttern, Wurze|n. Auf Abbildung 1 sind an zwei Stellen yon den Papillen ausgehende Wurzeln sichtbar.

Die experimentellen Ergebnisse auf dem Gebiete der Wucherungen an der Pfl~nze haben ffir die Erforschung dcr Gew~chserkrankungen am Menschen eine unverkennbare Bedeutung und verdienen yon Seiten der Mediziner mehr Beachtung als ihnen heute entgegengebracht wird. Ich halte es ffir miil~ig und unfruchtbar, die Neubildungen an der 1)flanze n~ch den Gesichtspunkten zu erkl~ren und zu deuten, die bei der Beurteilung der Gew~ehse an Mensch und Tier geltend zu machen sind. Lediglich Vergleiche sind s tat thaft , und zwar unter Berficksichti- gung der M6glichkeit zum malignen Wachstum, die die Pflanzenzelle in Anbetracht des Stoffwcchsels und des Gewebeaufbuucs fiberhaupt hat. Viel wertvoller sind meines Erachtens die Zusammenh~nge in genetischer }Iinsicht zwischen den Neubildungen an der Pflanze und den Gew~chsen an Tier und Mensch, insofern der groBen Mehrzahl der zellenerzeugenden Parasiten wie auch mehreren Parasiten, die beim Tier im Exper iment Geschwulstwachstum hervorrufen (Wiirmer, Socho- romyces) ein sehr intensiver Glykogenstoffwechsel zugesprochen werden mui] und andererseits h~ufig an diesen die zuckerreichsten Organe sehr oft befallen werden. Ein Abbau des Glykogens zu Fetts~iuren in freien H durch Ascoris unter anaeroben Bedingungen ist durch Weinland vor etwa 20 Jahren festgestellt worden.