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NORD. MED, ARKIV, 1904. APd. I1 (lure mdicii), Hift, 3, N:r (I Uber die biologische Bedeutung der krankhaften Erscheinungen. Einige Erwagungen uber die Stellung der pathologischen Vorglinge zur Evolutionslehre. l) von Dr. med. ABTUB VESTBEBO, Uppsaln, Schweden. I. Die moderne Pathologie strebt ohne Frage danach, eine exakte biologische Naturwissenachaft zu sein. Sie bildet ein Glied in der Geschwisterkette der modernen Naturwissen- schaften, deren Aufgabe es ist, die verschiedenen Seiten des organischen Lebens zu erforschen. Und gleichwohl darfte es nicht zu bestreiten sein, dam die Pathologie in gewissen Hinsichten noch ziemlich fremd der fibrigen Biologie gegenabersteht, dass Rie zur biologischen Ge- samtforschung eine allzu isolierte Stellung einnimmt. Die Xrankhaften, LebenRSusserungen sind bisher allzusehr als etwas Abseitsstehendes, far den nllgemeinen Gang des Lebens Frem- des, kurz als etwas bctrachtet worden, das mit dem physiolo- gischen Lebensverlauf nichts gemeinsam hat. Das menschliche BerliirfniP, die Natureracheinungen zu klassifizieren, hat uns Dieser kleine Anfsatz, ler Relaktiun im Jnli 1906% znpegangen, pibt in $was nnigearbeitetrr Form einen Vortrng wieder, gehalten in der Festsitznng des Arztevereins zu Uppsnln an1 17. Sept. 1903 und in seiner nrspriinglichen Fnasnug nnf schrvedisch erachienen in Uppanla Liikarefol-. Fdrhandl., Ad. IS, 5. 1 ff. Nord. med. arkiv, 1904.' Afd. II, n:r 9. 1

Über die biologische Bedeutung der krankhaften Erscheinungen. : Einige Erwägungen über die Stellung der pathologischen Vorgänge zur Evolutionslehre

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NORD. MED, ARKIV, 1904. APd. I1 (lure mdicii), Hift, 3, N:r (I

Uber die biologische Bedeutung der krankhaften Erscheinungen.

Einige Erwagungen uber die Stellung der pathologischen Vorglinge zur Evolutionslehre. l)

von

Dr. med. ABTUB VESTBEBO, Uppsaln, Schweden.

I.

Die moderne Pathologie strebt ohne Frage danach, eine exakte biologische Naturwissenachaft zu sein. Sie bildet ein Glied in der Geschwisterkette der modernen Naturwissen- schaften, deren Aufgabe es ist, die verschiedenen Seiten des organischen Lebens zu erforschen.

Und gleichwohl darfte es nicht zu bestreiten sein, dam die Pathologie in gewissen Hinsichten noch ziemlich fremd der fibrigen Biologie gegenabersteht, dass Rie zur biologischen Ge- samtforschung eine allzu i so l ie r te Stellung einnimmt. Die Xrankhaften, LebenRSusserungen sind bisher allzusehr als etwas Abseitsstehendes, far den nllgemeinen Gang des Lebens Frem- des, kurz als etwas bctrachtet worden, das mit dem physiolo- gischen Lebensverlauf nichts gemeinsam hat. Das menschliche BerliirfniP, die Natureracheinungen zu klassifizieren, hat uns

Dieser kleine Anfsatz, ler Relaktiun im Jnli 1906% znpegangen, pibt in $was nnigearbeitetrr Form einen Vortrng wieder, gehalten in der Festsitznng des Arztevereins zu Uppsnln an1 17. Sept. 1903 und in seiner nrspriinglichen Fnasnug nnf schrvedisch erachienen in Uppanla Liikarefol-. Fdrhandl., Ad. IS, 5. 1 ff.

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dam getrieben, allzusehr die krankhaften Erscheinungen &us dew allgemeinen Naturzusammenhai~ge herauszureissen.

Daher hat auch die Pathologie bis heute es vermieden, eine konsequente Stellung zur Evolutionslehre einzunehinen, die doeh eine so grundlegende Bedeutung fur alle moderne Biologie hat. Nur auf einzelnen Gebieten der Pathologie haben die Anschauungen der phylogenetischen Entwicklungslehre sich einigermassen geltend gemacht, nicht aber als leitender Ge- danke fiir die ganze pathologieche Auffassung.

So ist man in der Frage der erblichen Rrankheiten und Krankheitsanlagen notwendigerweise mit den Vererbunga- gesetzen im allgemeinen in Beruhrung gekommen, mit der Frage nltch den Ursachen der individuellen Variation und der anderen Frage, ob und in welchem Masse erworbene Eigen- schaften - hier krankhaftc - auf Nachkornmen vererbt wer- den kiinnen, oder wie mttn eonst die Erfahrungen erklsren soll, die eine solche Vererbung vorauszusetzen scheinen - Fragen, die zu den schwierigsten Problemen der Abstainmunpslehre gehiiren. Dieses allgemein biologische Interesse innerhalb der Pathologie hat aber nur einigen besonderen Krankheitaformen gegolten, die ala exzeptionelle Falnilienvererbungen aufge- treten sind.

Die geiierelle Vererbungsfrage in der Pathologie, die Frage, wie all die gut charakterisierten Krankheitstypen, die nian beim Menschen und den haheren Tieren tindet, z. B. bestimmte Zelldegenerationen, Entziindungen, Geschwulstbildungen, Fieber u. s. w., wie alle diese stilndig wiederkehrenden Krankheits- formen ein Erbteil unseres Gewhlechts geworden sind, diese Frage ist bisher kaum far die naturwissenschaftliche Pathologie aktuell geworden. Bei der Pathogenese, die man eifrig zu er- forschen gesucht, hat es sich bieher nur urn die Entstehung der Veranderung im einzelnen Falle, bei dem kranken Indivi- duum gehsndelt, nicht urn die Entstehung der Xrunkl~eitsfor?n selbst inncrhalb der Tierreihe.

Mit einem Wort: wir entbehren noch einer vergleichendera PathoZogie. Dieaer Mange1 bildet die vornehmste Ursache fur die isolierte Stellung der Pathologie unter den biologischen Wissenschaften, far die Abwesenheit von Ankntipfungspunkten zwischen ihr und der allgemeinen Biologie. In dem Masse wie tliese Briicke gescblagen wird, lriinncn wir, wic mir scheint, hoffen, dasa die Vorstellungen erweitert und vertieft, eventuell

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DIE BIOLOG. BEDEUTUNG DER PRANKHAFTEN ERSCHEINUNGEN. 3

berichtigt werden, die wir uns gegenwgrtig iiber die biologische Bedeutung der krankhaften Veranderungen machen kijnnen.

%’oh1 ist bereits von Botanikern, Zoologen, Veterinaren, Bakteriologen und Experimentalpathologen eine Menge Mate- rial angesammelt worden, das Vorn rbe i t en ftir eine vergleich- ende Pathologie enthtllt, aber die syatematische Bearbeitung dieses Materials zu dem Zwecke, das Problem der Evolution auch vom pathologischen Geeichtspunkt aus zu erfirtern, hat eben erst begonnen. Die Arbeit auf diesem Gebiete erfiffnet zu haben, iet da8 Verdienst METSCENIKOFFS. Er ist der erste, der eine aus der Pathologie dea Menschen und der hilheren Tiere bekannte Erscheinung in ihrer Entwicklung von den niedrigsten Stadien des Tierlebens un zu verfolgen geeucht hat. Ich komme sphter mit einigen Worten auf seine Arbeit nber die oergleichende Pathologie der Ent.eiindzcng’) zuriick.

Die Ursache davon, dass man so spat begonnen hat, die Pathologie von allgemein biologischem GeBichtspunkt aus zu bearbeiten, ist - stelle ich mir vorS) - eine Bbereilte, allzu beschrgnkte Auffassung von der biologischen Bedeutung der Krankheitserscheinungen. Die Bedeutung, die man diesen Er- scheinungen beipemessen hat, httt nicht vermocht, um ihret- willen jenen Forschern ein entscheidendes lnteresse einzuflvsuen, die sich vorzugeweise mit der organischen Entwicklung be- schaftigt haben, wie Zoologen und Botaniker. Far sie haben die krankhaften Erscheinungen im grossen ganzen nur Bedeut- ling ale Ausserungen der Minderwertigkeit bei den Individuen, die dureh die natilrliche Auswahl zum Entergang verurteilt eind, oder hijchatens ale Mittel in der Hand der Natur zur Vollstreckung dieses Urteils. Die schwgcheren, kranklichen Indi- viduen - so diirfte der Gedankengang sein - gehen friiher oder seater zu Grunde, das Erbe ihrer Eigenschaften kann jeden- falls nicht durch viele Generationen hindurch fortleben. Es kann also nicht bestimmend fiir die Entwicklung werden. Die I(rankheitserscheinung hat nach diesem Gedankengang nur eine voriibergehende uad vollstgndig negative Bedeutung ftir die Entwicklung, sie kann nicht - wenigstens nicht direkt -

l) E. MITSCHNIKOFF, Legons BUT la pathologie comparCe de l’infiammution. Pnrk 1893.

z, Verf., der nusschliesslich durch seine Tatigkeit 01s Pathologe dnzu veranlaset wnrde, iiber den vorliegenden Gegenstand nsher nnchzudenken, ist in der iibrigen uatnrwiasenschaftlichen Biologie nur Dilettant und gibt su, in der Philosophie Igno- rant zu stin.

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zu besttindigen, geschweige denn zu neuen und besseren Eigen- schaften bei der Nachkommenschaft Anlass geben. Die krank- haften Stiirungen sollten demnach nur rein zuftillig durch ge- wisse ausserhalb des Organismus liegende Bedingungen ent- standen sein, und ihr Fortbestand sollte nur auf einer 8 t h -

digen Wiederholung dieser zuftilligen iiusseren Bedingungen beruhen. Ein dauerndes Gepriige vermiichten sie den Genera- tionen nicht aufzudrucken, die ihrem aussondernden Einfluss entgaugen sind.

Wenn die krankhafte Stiirung unvernieidlich zum Tode des kranken Individuums fiihrte, bevor es eich fartzupflanzen vermocht hat, oder zum Erliischen seiner Kachkommenechaft nach verhiiltnismhsig wenigen Generationen, so ware gegen diese Auffassung nichts einzuwenden. Aber das ist keineawegs der Fall. Krankheiten kiinnen such mit vollstiindiger Genesung enden, j a sogar in gewissen Fallen mit Erwerbung neuer Eigen- schaften - Immunitlt gegen erneuten Angriff -, die es dem Individuum nur um so mehr ermiiglichen, den Konkurrenz- kampf zu bestehen und eigene Nachkommen zu erzeugen. Diese erworbene Immunitat vererbt sich freilich nicht unmit- telbar, so dass bereits dadurch eine bleibende neue Eigenschaft fur das Geschlecht gewonnen w'tire. So handgreiflich ist iibri- gens niemala die Entstehung ueuer, konstanter Eigenschaften durch die Evolution. Aber die individuellen Vorziige, die be- reits vor der Krankheit vorhanden waren und durch die diese gliicklich iiberwunden wurde, kOnnen solcher Art sein, dass sie sich vererben. Die Mrjglichkeit scheint also nicht ausge- schlossen, dase bei wiederholter Auslese durch Uberstehung derselben Krankheit bei den Nachkommen in einer Reihe von Gliedern die speziell gegen die Krankheitsursache niitzlichen Eigenschaften sich zu einer positiven Anpassung gegen diese Krankheitsursache oder gegen die Schtiden, die sie dem Orga- nismus zufiigt, summieren. Die krankhaften Erscheinungen wiirden dann - abgesehen von ihrer Rolle als negativer. aus- sondernder Faktor, die natiirlich unbestreitbar ist - auch eine for die Entwicklung bestimmende Rolle spielen, ntimlich die Auslosung einer niitzlichen pathologischen Reaktion bewirken, sie wiirden mit anderen Worten eine solche, der Entwicklung ftihige Funktion in s ich schl iessen. Die Krankheitaerschei- nungen wlirden auch eine positive Seite der Evolution, eine pa- thologische AnTassung reprlsentieren.

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DIE BIOLOQ. BEDEUTUNB DER KRANKHAFTEN ERSCHEINUNOEN. 5

So weit sich gegenwiirtig schliessen lasst, scheinen die krankhaften Veranderungen fur die natiirliche Auslese und die organische Evolution in der Tat diese doppelte, teils negative (indirekte), teils positive (direkte), Bedeutung zu haben. Ihre negative Bedeutung liegt, wie eben angedeutet, darin, dass durch einen durch aie hervorgerufenen friihzeitigen (patholo- gischen) Tod echwgchere, im allgemeinen minderwertige Indi- viduen von einem erblichen Einflues auf die folgende Ent- wicklung ausgeschlossen werden. Die positive Bedeutung besteht darin, die Individuen, die das beste Vermdgen einer fiir die Selbsterhaltung niltzlichen pathologischen Reaktion be- sitzen, zu erproben und zu weiterem Leben und zur Fort- pflanzung zuzulaesen, und auf solche Weise eine besondere Form von Anpassung, die pathologische Afipasszctag, auszulhen.

Von diesen beiden Seiten der fraglichen Erscheinungen erscheint die erstgenannte, die negative, so selbstverstiindlich und wird wohl auch so allgemein, wenngleich meistens still- echweigend, angenommen, dnsa dariiber weitere Erarterungen hier nicht natig sind. Die folgenden Zeilen werden sich des- halb hauptsiichlich auf die andere, die positive, Seite he- schrsnken.

11.

Die Annahme einer pathologischen Anpassung durch die Ausldsung einer niitzlichen pathologischen Reaktion scheint, wie angedeutet worden, seitens der Selektionslehre keinen oniiber- windlichen Schwierigkeiten zu begegnen. Vom pathologischen Standpunkt aus ist sie eine Notwendigkeit. Fur eine Reihe pathologischer Erscheinungen gibt es kaum eine andere bio- logisch giltige Erklarung. Es gibt niimlich bekanntlich patho- logische Vorgsnge, die Momente einer dem Anschein nach zweckmassqefi Reaktion enthalten, j a - man miichte sagen - EO sinnreiche Kombinationen von eolchen bilden, dass sie mit Notwendigkeit Erklarungsgriinde verlangen, analog den Ur- sachen, die wir bei dern voraussetzen, was in den normalen Lebenserscheinungen als Zweckmassigkeit erscheint. Die heu- tige Pathologie hat den grossen hippokratischen Gedanken von der Heilkraft der Natur in der Krankheit vSllig beststigt. Wir kannen aber in unserer Erkliirung der heilsslnen Ileaktion nicht bei der Natur als einem mystischen, mit Vorbedacht

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handelnden Wesen oder bei der gleich myrtischen Lebenekraft einer spiiteren Zeit stehen bleiben.

Andererscits gibt es natiirlich auch krankhafte Erschei- nungen von far den Organismus lediglich oder vorwiegend schudlicher Wirkung. I m allgemeinen sind wohl die patholo- gischen Prozesse aus beiden zusammengesetzt, aus Lasionen iind Reaktionen. J e nachdem die ersteren oder die letztereri vorherrschen, dtirfte die Krankheit -- geniiiss den1 oben Ge- sagten - dahin neigen, in dem einzelnen Falle durch Aiielese die Entwicklung ala ein Ize,yatiz.er oder ale ein positiver Faktor zu beeinflussen.

Krankhafte Proxesse, in deneii nut,zliclze Reaktionen arr- genfallig sind, gehijren keineswegs zu den Ausnahmen. Sie treten uns, rnehr oder weniger nach dieser Itichtung hin aus- geprtlgt, auf den meieten Gebieten der allgemeinen Pathologic des Menschen entgegen. Kaum anf einem Gebiet, ausser hiu- sichtlich solcher Kijrperschiiden, die direkt den Tod nach sicli ziehen, liisst sich, wie mir scheint, der Gedanke. dass eine solche Reaktion - wenigstens in gewissem Grade - in deu Krankheitserscheinungen enthalten ist, ohne weiteres abweisen.

Am augenfalligsten sind derartige nutzliche Reaktionen bei den (pathologiachen) Regenerationen, vor allem den kompli- zierteren und funktionell vollsttlndigeren. Hier, wie in den niichstfolgenden Beispielen, tritt dae Niitzliche in der Reaktion so stark hervor, daes man kaum geneigt iat, diese Prozesse ala krankhaft aufzufassen, was sie doch nattirlich sind.

Den Regenerationen am niichsten stehen in der hier frng- lichen Beziehung die Arbeitsl~ypertruphien und in1 allgeineinen die von W. Roux sogenannte ficnlitionelle Anpassung, der funktionell Pzweckmasaige, Utnbau von Qrganen bei patholo- gisch veriinderten Bedingungen ihrer Tatigkeit, wie die An- deruug der architektonischen Struktur des Rnochena bei ver iinderter Belastungsrichtung und der Liinge der Muskelfasern bei vergnderter Beweglichkcit der dazu gehiirigen Gelenke. Ein anderes, grossartiges Beispiel bietet die oft ausgedehnte Umge- staltung des Gefassaystems in nbereinstimmung mit den neuen Zirkulationsbedingungen, die bei Entstehen eines Hindernisses in den normalen Blutbahnen eintreten.

Ale ein Beispiel von den rein lokalen ZirX.zclatioiustor21,i!le,L kann vielleicht die Thrombose genannt werden, besonders ale Mittel zur spontnnen Stillung einer Blutung.

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Die erfolgreichen Untersuchungen der letzten Jtrhrzehnte iiber die Infektionskrankheiten und besonders iiber die Im- niunitatsbedingungen bei diesen haben uns bekanntlich eine Menpe Schutafunktionen des Organismus kennen gelehrt, die einem integrierenden Bestnndteil dieser Krankheiten ausmachen und nicht bloes im Heilungsstadiurii sondern whhrend des gan- Zen Verlaufs der Krankheit in den krankhaften Ermheinungen hervortreten. Und diese Erkenntnis hat weiter, iiber die In- fektionskrankheitan hineus gefiihrt.

Vor allem sind es der lokale pathologische Prozess par prhfbrence, die Entaiindang, und der allgemeine, darr Fieber, in ihren wechselnden Formen, die man in Ubereinetimmung rnit der alten hippokratischen Anschauung mehr und mehr als ihrem eigentlichen Wesen nach niitzliche, fiir die Wiederer- langung der Gesundheit wirkeame, wenn auch oft rerfehlte, Reaktionen des kranken Organismus uufzufassen beginnt.

METSCHNIEOFF hat, wie bereits angedeutet, die Entzihdung in ihrer Entwicklung innerhalb der Tierreihe zu studieren ge- sucht. Nach ihm ist die Entziindung bei den hiiheren Tieren und dem illenschen ein Kampf des Organismus gegen die Krankheitsursache, alao eine auf Heilung gerichtete Reaktion. Das Vermijgen zu dieser inflamrnatorischen Keaktion ist das Ergebnis einer durch die natiirliche Auslese vollzogenen An- passung. Ihre friihesten Voraussetzungen finden sich bereits bei einzelligen Tieren in ihrer chemotnktischen Keizbarkeit und ihrem phagocytaren Digestionsvermiigen. Bei mehrzelligen Tieren tritt auch in dieaer Beziehung eine Arbeitsteilung unter den Zellen cin, und bei Entwicklung besonderer Keiuibl8tter differenzieren eich die genannten Zellfunktionen zu einer be- sonderen Schutafunktion, die gewiesen mobilen Mesodernizellen zuknrnmt. Bei hijheren Tieren mit Zirkulation solcher Zellen (Leukocyten) im Blute hat die Mobilisierung dieser, die Schutz- funktion vorzugsweise austibenden Zellen nach bedrohten Punkten des Organismus hin ihre hiichete Vollendung in der inflammtr- torischen Exsudation erreicht.

Dass die Phagocytose in METWXINIKOFFS Inflammations- theorie wahrscheinlich allzu einseitig ale die einzige wesent- liche Schutzfunktion hervorgehoben worden, ist leicht erklhrlich. Bei morphologiechen Untersuchungen, z. 13. an durchsichtigen Mikrozoen, ist dieaee Phanomen das am meisten in die Angen fallende. Man kann nicht verlangen, dass die erste vergleich-

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ende Untersuchung fiber die Entzibdung vollsttindig erschiip- fend sein 8011, alle Seiten dieses verwickelten Prozesees hin- reichend beachten kann. Die eventuelle Bedeutung der pus- sigerz. Exsudation, z. B. durch vermehrte lokale Zufuhr von ini Blutplasrna gelfisten Schutzstoffen, u. a. Miiglichkeiten, harren noch ihrer Ihrstellung.

Unabhangig von vergleichenden Gesichtspunkten - un solchen fehlt ee, wie ich oben betont habe, noch im ganzen in der Pathologie - hat die rein pathologische Analyse der Ent- zandungserecheinungen zu derselben Betrschtungsweise, bezag- lich ihrer Bedeutung a18 Schutzfunktionen, gefiihrt, zu der METSCHNIKOFF auf vergleichendem Wege gelangt ist. Diese Auffassung scheint auf gutern Wege zu sein, unter den Patho- logen allgemein zu werden. Dnss fur das kranke Individiiuni niitzliche Reaktionen in den Prozessen enthalten sind, die von Alters her zu den Entziindungen gerechnet werden, eingerechnet die spezifischen Entziindungen, wie Tuberkulose u. 8. w., w i d heutzutage wohl kaum von jemand hestritten. Geteilt aber iat noch die Buffassung dariiber, ob im einzelnen Falle die salu- tilren Mornente oder die deletaren vorwiegen, und beziiglich des Zusamnienhanges beider mit dem, wt1s als wesentlich fur die Entziindung anzusehen iut. Verschiedene Forscher, wie LEBER, MARCHAND, NEUMANN, RIBBERT, tragen kein Bedenken, in der Schutzfunktion dieses Wesentliche zu sehen und sie ale Ausdruck eines durch phylogenetische Anpassung erworbenen Verniijgens zu betrachten.

Hauptstichlich dieselbe biologisclie Auflassung macht sich beziiglich des Fiebers und der allgemeinen Lciilcocytose gelt end.

MARCHAND hat in seiner Antrittsvorlesung in Leipzig s i i h die natiirlichen Schzctamittel des Oryalzistnuss l ) klar und be- stimmt diesen Standpunkt entwickelt, ohne sich indeesen auf seine allgemein biologischen Konsequenzen weiter einzulassen. RIBBERT eucht in seinem Lehrbuci der allgemeinen PathoZogie2) hei wiederholten Gelegenheiten, eine Reihe pathologischer Er- scheinungen in ihren allgemein biologischen Rahmen zu stellen. Ein konsequenter Versuch aber, d i e k rankha f t en Er sche i -

*) 1’. ~IAFLCHAND, Uber die naturlichen Schotzniittel des Organiamos mit be-

a) H. RIBBERT, Lehrb. d. nllgern. Pathol. und der allgem. pathol. Anntomie. aonderer Beriieksiehtigung des Entzundnngsvorgan~es. Leipzig. 1900.

LeipziK, 1901.

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nungen im a l lgemeinen u n t e r Ges ich t spunk te d e r Evo- lu t ions l eh re zu s te l len , existiert meines Wiasens nicht.

Andererseite besteht bei einer Reihe von Forschern die Tendenz, zwar nicht den Nutzen gewisser Einzelheiten bei diesen pathologischen Prozessen in Abrede zu stellen, aber ihnen, als Gauzes betrachtet, die Bedeutung niitzlicher und zweckmsssiger Reaktionen abzusprechen. Man hebt mit Recht hervor, davs die Entziindung und das Fieber an und fiir sich stets dem Kiirper Scbaden zufiigen, ja dass sie neue Verwicklungen herbeifiihren liiinnen, die geradezu zu Todes- ursachen werden. Dieser Einwand reicht aber nur hin, diesen Erscheinungen eine nbsichtliche, wissentlich geplante Zweck- msssigkeit abzusprechen, denn in idealer Weise erreichen sie ihr Ziel allerdinga nicht. Gegen einen gewissen Grad von bedinyter, konsekutiver Zweckmsssigkeit infolge von Anpassung spricht die Unrollkonimenheit ihrer Wirkung nicht. Diese Unvollkomrnenheit zeigt bloss, dass die Anpassung ecrzvollstZindig ist. Die reaktiven Schutzerscheinungen in einem Krankheits- prozess sind unvol lkommen sowohl d a r i n , dass s i e nicht imrner d i e Schi id l ichkei ten zu i iberwinden vermiigen, du rch d i e s ie he rvorge ru fen wurden, a l s nuch dar in , das s s i e i m a l lgemeinen n e u e Schsd l i chke i t en mi t sich fi ihren, d i e i iberwunden w e r d e n miissen. Darin liegt das Pathologische bei ihnen.

EY ist vielleicht nicht von so grosser prinzipieller Bedeu- tung, wie man quantitativ sich die Rollenverteilung in eineni bestimmten Brankheitsprozess, wie die Entziindung, zwischen den beiden Arten in ihr enthaltener Momente, der Lssionen und Reaktionen, denkt. Hauptsache ist dns Zugestiindnis, davs ein ‘Ceil dessen, was in der Ihankheit geschieht, zurn Nutzen des Organismus und durch dessen eigene Renktion geschielit. und dass demnach der Organismus gegeniiber der Krankheits- ursache und ihren unmittelbaren Wirkungen scblechter gestellt wsre, menn er nicht auf diese Weise reagieren kiinnte. Gibt es eine Reihe solcher fiir das Individuiirn niitzlicher Glieder in eineni bestimmten Krankheitsprozess, YO ist es schwer einzu- sehen, weshnlb dieee nicht eine rnitbestimmende Rolle bei der Auslese, die die Krankheit austibt, spielen, und daher im Laufe der Zeit mehr und mehr vorherrachend merden sollten.

Das Vermiigen der niitzlichen Reaktionen, die in krttnk- haften Prozessen enthalten sind, is? wohl einerseits a18 das

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Resultat einer pathologischen Anpassung wiihrend der vorher- gehenden Entwicklung anzusehen. Andererseits nitissen die individuellen Variationen dieses Vermijgens durch Einwirkung auf die natiirliche Auslese j a iiiimer weiter diese’ Anpassung fijrdern.

Zmei einander entpegengesetzte Gruppen von krankhafteu Erscheinungen scheinen auf den ereten Blick hin wenig ge- eignet, um irgend einem wesentlichen Teile nach als Ausdruck einer niitzlichen Anpassung des Organismus erklgrt werden zu kijnnen. Und ein Versuch in dieser Richtung ist auch meines Wissens in Bezug auf sie nicht gemacht worden. Die eine Gruppc besteht aus den Erscheinungen, die unter der Bezcich- nung regressive Ernahrzmgsstorungen zusammengefasst zu wer- den pflegen, die andere umfasst die am meisten progressiven, niimlich die echten Geschwulste. Man kijnnte meinen, dass die ersteren einen renktionsfreien, rein dcletiiren Verlauf darstellen, die letzteren, die Geschwiilste, dagegen eine Reaktion in ab- surdum, ausschliesslich Zuni Schaden des Organismus. In- dessen diirfte eine nghere Untersuchung nicht einmal hier die Mijglichkeit von fiir die Selbstverteidigung niitzlichen Seiten ausschliessen kiinnen. So scheint mir recht nnnchmbar, dass das Vermiigen der Atrophie der Ausdruck einer niitzlichen Anpassung des Gewebes an pathologisch verschlechterte Er- nahrnngsbedingungen Rein kann. Ohne dasaelbe wiirde das Gewebe leichter der Nekrose anheimfallen. Die Nekvose ist natiirlich an und fiir sich eine rein deletiire Erscheinung. nber das Verrnijgen zu einem n u r loktalen Absterben (wie gleich- falls zu der Reaktion, die dann die abgestorbene Partie ent- fernt und ersetzt) ist eine wertvolle Eigenschaft des Organis- mus. Auch in den verschiedenen Formen der Gewebsdeptwvt- tion diirfte man ein niitzliches Vermiigen der Zelle voraus- zusetzen haben, ihren einseitig gestijrten Stoffwecheel in ein neues Gleichgewicht zu bringen, so dam der Ernahrungs- mechanismus nicht unmittelbar stehen bleibt. und Nekrose ein- tritt. Hechnet ninn zu dieser Gruppe auch die Getmbsinfiltva- tione??, so ist z. B. die Perkalkung in vielen Fallen ein Glied in der Unechildlichmachung von dem Leben des Ziijrpers fremden und schgdlichen, organischen Stoffen innerhalb des- selben.

Schwerer ist es bei unserer gegenwartigen Kenntnis von den Geschwulsten, in dem Auftreten derselben irgendwie eine

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Schutzvorrichtung des Organismus zu erblicken. Unser fast vollsttkndiger Mange1 nn Einblick in die hervorrufenden Ur- sachen der Geschwulstbildung macht gegenwartig jede Diskus- sion uber ihren hiologischen Wert unmfglich. I m Hiublick auf die weitgehenden Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Geschwulstforrnen ist es kanm anzunehmen, dass ihnen eine vijllig einheitliche Bedeutung zukommen sollte. Indessen diirfte es nicht ganz auazuschliessen sein, dass wenigstens einige, be- sonders die bGaartigen, miiglicherweise Ausdrticke einer den) Ansatz nach niitzlichcn, wenn auch den] Effekt nach hnupt- sachlich verfehlten Reaktion gegen ein schtidliches Agens sintl (welch letzterem daher nicht notwendig parusitare Natur zu- peschrieben zu werden brnucht). Man kiinnte sich vielleicht denken, dass in der iibertriebenen Zellenvermehrung miiglicher- weise ein pathologisches Seitenstiick zu der auf anderen Ge- bieten der Evolution beobachteten Erscheinung vorliegt, dass eine urspriinglich niitzliche und daher tlrterhaltende Eigenschaft schliesslich in schgdliche ubertreibungen umschl%gt. Man hat diese mit der Selektionslehre 80 achwer vereinbare Beobachtung (woftir u. a. die hinderliche Geweihkrone des Hiraches, die iibertriebene Iiiirperrnasse des Elephnnten rila Beispiele ange- fiihrt werden) durch die Annahme zu erklben geeucht, dass eine durch die Auslese lange brgiinstigte Vari i i t ionsr ichtung schliesslich t r o tz der Aiieleee eingehalten werden kiinnte.')

Die Fruge abw, ob die Geachwulatbildung und undere pathologieche Erscheinungcn irgenclwie nls Resultate einer An-

') Ausser der yhylogenetirchen Anpassang, die in dieaem Aufsntz hauptsiichlich in Betracht kommt, hat 0. ISRAEL besonders die cytogenelische Anpnseung der Zellen ( i m individuellen Leben des Organismus) - und zwar nicht von dem Ge- sichtspunktr. geleitet, dass in der Anpassung etraa f i r den Organismus Niitzliehes liegeu konne - zur Erkliirong der Pathogenese und der Binlopie der Geschwviilste hervorgehoben. In mehreren Anfsiitzen (Berliner Klin. Wochenschr. 1900; Arch. f. Kliu. Chirurgie Bd 67, 1902; Virchoss Arch. Bd 172, 19&3), die mir zur Zeit Ineines Vortrags noch unbekannt waren, hut I. mit fkhWfEjnn und Konsequenz dir Amchiiuungen der Descendenslehre auf dieses Gebiet bezogen. I. sieht in der Ge- schwulstbildnng eine Reaktion des Organismus gegen irgend welche fortdanernde Agentien. Durch diese wird eine nndauernde Zellenvermehrung aasgelost, aus der, besonders hei die Variation der Zellen begiinstigenden Verhaltnissen (wie embryonalen uud eraorbenen Dystopien), dnrch fortgesetzte Aaeashl der fortpAaozungstiichtigten Zelliudividuen ueue Zellenstimme hervorgehen, die zn einscitiger Selbstrrniihrungs- fiihigkeit und Fruchtbarkeit angeziichtet worden sind nnd somit fur das selhstandige Lebeu nls Gesch\vulstzelleu angepasst sind.

So fruehtbar diese. noeh nicht nach Gebiihr in der oukologinrhen Literotur herucksichligte, cptogenetische Anpassuugstheorie fiir die Geschwuldtlehre zu werden verspricht, sie hat doch notig, durch phrlogeuetische Betrnchtangen ergiiuzt xu wrden, was such I. wiederholt hervorheht.

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passung im obigen Sinne anzusehen sind, diirfte nicht sicher zu beantworten sein, bevor u. a. nicht ihr Auftreten in der Tierreihe geniigend erforscht worden ist.

111.

Ich habe im Vorhergehenden hervorzuheben gesucht : erst in grijsster Kiirze vom Ge~ichtspunkt der Evolutionslehre aus die Miiglichkeit einer pathologischen Anpassung, dann voni Standpunkt der Pathologie aus in einer Reihe von Fallen die Notwendigkeit, in anderen die Miiglichkeit eine solche An- passung anzunehmen. Gemass dem Gedankengang, den ich zu entwickeln gesucht, nehmen die krankhaften Verttnderungen mit gewissen Einschrknkungen eine analoge Stellung zur orga- nischen Entwicklung ein, wie die physiologischen. Fur die Klarstellung der biologischen Bedeutung der ersteren bleibt rnir also iibrig zu sagen, wie ich mir den Un te r sch ied zwischen d iesen be iden Ar ten von Anpassung, d e r physiologischen und d e r pa thologischen , vorstelle.

Ich muss da zungchst betonen, dass, was sie unterscheidet, nicht U bergknge zwischen ihnen auszuschliessen braucht. Uberall, wo es sich um Verhttltnisse in der Natur handelt, finden sich unmerkliche Ubergsnge zwischen fiir unsere Auf- fassung verschiedenen Erecheinungen. Die Natur schematieiert nicht, und unsere Klassifizierung der Erscheinungen ist stets niehr oder weniger kunstlich. Unsere Begrifle und Defini- tionen sind schematische Abstraktionen. Wir sehen und miissen die Dinge vom Gesichtspunkt unseres menschlichen Erkenntnis- vermiigens aus sehen, sie eozusagen Stuck fur Stuck erkennen. Erst spgter und nur allmtihlich wird uns ihre Stellung im Na- turzusanimenhange klar. Wenn wir alles zu sammeln und zii sondern suchen, das unter einen Begriff, den wir uns gemacht, z. B. Bpathologische ErscheinungP, gehiirt, so finden wir, dass der Gesichtspunkt zu eitieeitig war, dass die Natur nicht die Grenzen respektiert, die wir gesteckt, sondern dass sic wPatho- logisches)) und uPhysiologisches) zusammenfliessen lasst. So verschieden die pathologischen Lebenserscheinungen in ihren Extremen fur uns von den physiologischen Bind, ist zwischen heiden doch nirgenda eine Kluft errichtet. Uberall wird die Grenzlinie millkiirlich, wenn wir auf die Ubergttnge Riicksicht nehmen.

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DIE BIOLOG. BEDEUTUNG DER KRANKHAFTEN ERSCHEINPNQEN. 13

Das letzte grosse Ergebnis der experimentellen Pathologie ist die Entdeckung des wunderbaren VermBgens des Organismus zu besonderen Schzctareaktionm gegen allerhand eingefiihrte frem- de organische Stoffe, wie verschiedenartige Zellen, gelirste Eiweisskbrper, Schutzstoffe snderer Tiere, indem gewisse Kiir- perzellen einen jedem eingefiihrten Stoff entsprechenden Schutz- stoff' hervorbringen. Diese Entdeckung hnt eine Feinheit in der Anpassung der Schutzfunktionen dieser Kiirperzellen gegen Krankheitsursachen dargetan, von der man vorher wohl keine Ahnung hatte. 1st nun dieses Reaktionsvermirgen das Resultat einer besonileren p a thologi sc hen Anpassung, verschieden von der physiologischen? EHRLIGH, der mit seiner genialen Bseiten- kettentheorie)) so vie1 Klarheit in die Auffassung dieser ver- wickelten Reaktionserscheinungen gebracht hat, hat eine solche Annahme nicht fitr notwendig erachtet. E r erklart die spezi- fischen Reaktionen der Zellen gegen resorbiertc fremde Stoff'e aus ihrer Erntihrungsfunktion, aus ihrer Anpassung zur Assimi- lation verschiedener Nahrungsstoffe.

Es herracht eine augenfallige Verwnndtschaft zwischen dieser Auffasaung und der Auffnssung METSCHNIKOFFS von der Phagocytose bei dem e inze l l igen Tier, nicht als einer beson- deren pathologischen Abwehrfunktion sondern als einer allge- nieinen nutritiven Funktion. I n be iden F a l l e n is t es e ine und d i e se lbe Anpassung, d ie in ih ren W i r k u n g e n te i l s in d a s G e b i e t d e s Phys io logischen , t e i l s i n due des P a - tho logischen fal l t . I n ihrer weiteren Evolution aher wird die Phagocytose nach METSCHNTKOFF, durch Arbeitsteilung bei den Zellen in dem mehrzelligen Tier, bei einigen Zellen eine pathologische Schutzanpassung und bei anderen eine physio- Iogisch nutritive. Ebenso muss das Herauftreiben der qez i - fischen Schutzreaktion gegen in den Organisinus eingefiihrte Stoffe, wie es bei der I?ranzunisiewng gegen diese zuatande- kommt, ale eine (individuelle) pa thologische Anpassung be- trachtet werden.

Die Krafte und elementaren Reaktionen, die in patholo- giwhen Schutzfunktionen enthalten eind, s tammen wohl s t e t s a u s d e m phys io logischen L e b e n , und sie durften auch in ausgepritgt pathologischen Prozessen im Grunde nichts Anderes ale diejenigen sein, die normalerweise - wenn auch in rnehr unmerklichem Grade - noch inimer dem Organiemuv zu Ge- bote stehen. Auch hier ist die Festsetzung absoluter Grenzen

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zwischen Bpathologisch, und ))phsysiologisch% unhaltbar. Sobald aber diese urspriinglich physiologischen Reaktionen in einem pathologischen Prozeae, z. B. einer Entzundung, einen Grad und eine Kombination erreicht haben, wie sie nie unter physio- logischen Bedingungen ausgeliist werden, muss i h r e wei - t e r e En twick lung ale Schutzfunkt ion an e ine beson- d e r e pa thologische Anpassung gebunden sein. Gibt es iiberhaupt eine Anpassung in cinem pathologischen Prozees als aolchem, 60 setzt eie zu ihrer Ausbildung naturlich auch wihrend der frtiheren Stadien der Entwicklung die Einwirkung der abnormen Bedingungen voraus, die bei dcm Einzelnen den Prozess nuszulijeen vermiigen, d. h. das Durchinachen der Kr an k heit.

Um eine Vorstellung von der besonderen Bedeutung dieser pathologischen Anpassung zu erhalten, muss man sich ein wenig in die Wirkungsweise und Begrenzung der phyaiologischen An- passung hineindenken.

Die Anpassung an gewisse %ussere Lebensbedingungen, die jede Art wtlhrend ihrer Enwicklung erfahren hat, ist nicht derartig, dass sic einem festen, unveranderlichen Zuatande alier dieser Bedingungen entsprgche. Die klimatischen Faktoren variieren in jedern Augenblick, und die Schwankungen von Wgrme, Licht, Luftdruck, Feuchtigkeitrgehalt der Luft 11,s. w. kiinnen recht bedeutend sein. Dawelbe gilt von der Menge iind Beschaflenheit der Nahrungsmittel, dem Masse erforder- licher Muskelarbeit u. 8. w. Allen diesen Va,riationen muss das Individuum angepnsst sein, wenn seine Lebensprozesse trotzdem auf eine fur die Art normale Weise fortgehen sollen.') Diese natiirliche Anpasmng kann entweder derart sein, dass das Individuum fiir die Schwankungen unempf indl ich ist, dass diese keine besonderen vitalen Reaktionen bei ihm aus- zuliisen vermiigen. So kann man sich z. B. das Verh&ltnie der poikilothermen Tiere zu gewiihnlichen Temperaturachwankungen beim umgebenden Medium denken. Oder auch mtissen die Reaktionen. die von den Variationen der %usseren Bedin- gungen ausgeliht werden, darauf ausgehen, d e n Orgsnis inus in e ine n e u e Gle ichgewichts lage e inzus te l leu , die den

I) Dass deer Meuseh artifiziell durch Kleiduug, Behanauug 11. 8. w. eiue Reihe iiusserer Bedjngungen fur sich und seine Haastiere init seiner Aupasaung und der ihrigeu in Ubereinstimmuug bringeu knuo, t u t der Giltigkeit dieses Sntzes keiueu Eintrag.

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DIE BIOLOB. BEDEUTUNB DER KRANKHAFTEN ERSCBERJUNBEN. 15

normalen Verlauf der Lebensprozesse trotz der Veriindevung der ilusseren Bedingungen ermijglicht. So verhglt es sich bei den warmbltitigen Tieren gegeniiber guseeren Temperatur- verlnderungen. Das Resultat der Anpseung ist in diesem Fall ein Re~zcl ierungs~p~arat , der innerhalb gewiaeer Grenzen auto- matisch funktioniert und den Organismus nach dem jeweilig herrschenden Grade eines tlusseren Einflusses einstellt. Ein anderes Beispiel fiir diem Anpassungsform ist die Einstellung des Atmungsmechanismus j e nach verschiedenem Sauerstoffdruck in der eingeatmeten Luft. Ich glaube, die Physiologie kennt manche solche ReZ;ulierungsvorrichtungen des Organismus ge- geniiber Verfinderungen der aueseren Bedingungen.

In beiden Fsllen kiinnte man von einer gewissen Anpass- utagshreite beim Organiamus gegeniiber jedcr besondercn Ein- flussart reden, einer Anpassungsbreite, die natiirlich individuell durch Trainierung vermerhrt werden kann oder umgekehrt.

Indessen hat die Funktion dieser Einstellungsapparate uncl die Unempfindlichkeit in anderen Ftlllen gegenilber den Be- tlingungstlnderungen ihre Grenzen. Extrem tiefe und extrem hohe Aussentemperaturen wirken sowohl auf das warmbliitige wie auf dau kaltblatige Tier schtldlich. Der Regulierungs- mechanismus - wo er vorhanden ist - konimt gewissermassen in Unordnung oder versagt ganz, und der Lebensprozess kommt inehr oder weniger nue seinem gewijhnlichen Geleise, es treten krankhafte Stijrungen ein. Die Intensit&tegrade der tlusseren Einfliisse, die auuserhalb der Greozen cler phyeiologiachen An- passung, ausserhalb der BAnpassungsbreiteB, liegen, wirken als Krankheitsursacheta. Dam diese Anpassungsgrenzen individuell verschieden liegen, zeigt sich in individueller Disposition bezw. Inzmur&at gegeniiber (mtlssigeren Graden der) entsprecbenden I h n k heitsursachen.

Alle ausseren Krankheitsureachen, wie Sauerstoffmangel, Inanition, Hitze, Kulte, Traumen, Qifte, pathogene Bakterien 11. e. w., diirften von diesem Gesichtspiinkt aus zu betrachten sein, d. h. als dem Grad oder teilweise der Art nach aueser- halb des Gebietes der tlusseren Einflilese liegend, denen der Organismus sich phys io logisch angepasst hat. Was die in- ueren Iirankheitauraachen betrifft, so sind sie wohl ale orga- nische F e h l e r i n d e r Anpaseung se lbs t anzusehen, als ex- zeptionelle Unzul&nglichkeit derselban nach gewissen Rich- tungen hin, wofern sie nicht von derselben Natur sind wie

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die gusseren. z. B. eine vererbte Infektion, eine Autointoxi- kation.

Alle diese von einander so verschiedenen Krankheits- ursachen haben das gemeinsam, dass sic zur Surung des nor- malen Gleichgewichts unter den Krilften fuhren, die in den Lebenserscheinungen innerhalb eines oder mehrerer der Zellen- territorien des Kijrpers wirksam sind, dass sie Zellen eventuell lahmen oder tijten. Damit will ich nicht gesagt haben, dass die unmi t te lbare Wirkung eineA atiologischen Moments stets eine seitens des Organismus pasaive Lgsion seines lebenden Gewebesubstrates ware. Ich finde es im Gegenteil wahrschein- licher, dass die meisten pathogenen Einfliisse in ihrem gelinde- sten Grade als Reizwitfel auf die Zelle wirken, direkt eine nktive Reaktion seitens der Zelle in irgend einer Form hervor- rufen, z. B. einen chemotaktisch ausgelijsten Platzwechsel, eine Phagocytose, Hypertrophie oder Proliferation. For eine Beihe von Momenten, besondem infektiiisen, durfte dies sicher sein. Hierbei zwischen einer funktionellen Reizung, die such patho- logisch mijglich wgre, und einer nzctritiven (formativen) Reizung, die nur mittelbar, durch vorhergehende LRsion, pathologisch hervorgerufen werden kbnnte, zu unterscheiden, hiesse, wie mir scheint, kfinstliche Distinktionen aufstellen, die die Natur selbat schwerlich anerkennt. Dazu stehen Funktion und Nutrition bei der Zelle i n allzu intimem Zuaammenhang. Wo aber daa stio- logische Moment an und fur sich nicht die Beaktion hervorruft, da wird sie allerdings mittelbar durch die Gemebslasion her- vorgerufen, wenn diese einen bestiriimten Grad erreicht hat.

Wenn die Kranlzheitsursache rein ijrtlich und mit einer bcstimmten Intensitat wirkt, nimmt die Reaktion gewiihnlich eine der Formen der Entzundung an, ohne Rhcksicht auf die Quulitat des ursilchlichen Moments. Die8e relative Gleich- fbrmigkeit der pathologischen Reaktion gegen verschiedensrtige Ursachen dtirfte entweder aus der Gleichfiirmigkeit der pri- maren Liision zu erklsren sein, deren letztes Ergebnis, ohne Riicksicht auf die Ursache, Gewebsnekrose ist, oder nuch aus der begrenzten Bfijglichkeit des Gewebes, auf mehrere fii r unse re S inne wahrnehmbare Weisen zu reagieren.

Genug, in der Entziindung haben wir eine typische lokale Beaktion gegen Schadlichkeiten von wechselnder Beschsffen- heit. Diese Schildlichkeiten sind, wie e r w h t , zum grossen Teil nur Ubertreibungen gewchnlicher, physiologischer Ein-

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fliisse, zu einem andern Teil gewisserniassen qualitativ ver- schieden von diesen, in beiden Fallen aber kommen sie oft so allgemein vor, dass nahezu kein Individuum von ihnen frei bleibt. Welcher Mensch und welches Tier zieht sich nicht eininal ein Trauma, eine Infektion zu oder erfahrt irgend einen anderen Einfluss der Art, wie er bei den hiiheren Tieren und dcm Menschen eine Entzlindung herbeifiihrt? An Voruussetz- ungen scheint es danach nicht zu fehlen, dass eine Auslese von solchen Individuen zustande korninen kann, die unter der ah- normen Bedingung auf solche Weise reagieren! dass die krank- hafte Stiirung so wenig wie miiglich sch&dliche Folgen fiir den Iiranken hat. Aus d i e se r Aus lese g e h t d i e pntholo- g isc he A np as s ung h e r vor.

Ein ahnlicher Gedankengang diirfte sich auch auf mdere pathologische Prozesse anwenden lassen nls die Entzihdung ; Tor allem gilt dies fiir die Regeneration u. a. Vorgtlnge, aber auch auf das Fieber (oder richtiger die dem Fieber zu Grunde liegenden Prozesse) cheint er in der Hauptsache anwendbar zu sein.

Ausser durch die eben berfihrten Bedingungen f a r i h r e En t s t ehung unterscheidet sich die pathologische Anpassung von der physiologischen auch durch ihren Effek t . Man kiinnte wohl das Ideal fiir die erstere, die pathologische Anpassung, bezeichnen als clas Verrnogen des Organisinus, azcf die best- miigliche Weise sich in abnonne (d. h. extreme, ausserhalb seiner physiologischen Anpassung liegende) Bedingwtgen 8%

finden oder, init anderen Worten, so yegen diese reagieren BU konnen, dass er so wenig wie miiglich Schadefi durch sie er- leidet. Dies schliesst auch das Vermiigen in sich, nachdem die abnormen Voraussetzungen aufgehiirt, wieder zum physio- logischen Gleichgemicht .zuriickkehren zu kiinnen. Dariiber hinaus kann diese Anpassung als pnthologisch niemals ge- langen. Vermag sie a l l e n Schaden flir den Organismus zu verhindern, auch einen vorfibergehenden, dann iet sie eine volls t end ige Anpassung, aber nicht’niehr pathologisch sondern physiologisch.

IV.

Es liegt also meines Erachtens in der Natzcr der patholo- Die Mengel, die

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bisweilen in der ~Zweckm%ssigkeita der physiologischen Er- scheinungen nachgewiesen werden konnen, liegen bei den pa- thologischen so oEen zu Tage, dass es oft schwierig ist, aber- haupt eine Anpassung in ihnen zu erblicken.

Gleichwohl gibt es, wie ich nun zu zeigen versucht habe, eine solche. Der Organismus ist an den 8ussersten Grenzen der Einfltisse, denen er sich vollstanclig angepasst hat, nicht auf einmal gbnzlich wehrlos. Aitsserhalb dieset. Grensen lie,@ ein Gebiet uizvollstandiger Anpassung, die ein fortgesetztes Leben, sei es auch ein Leben in Krankheit, ermiiglicht. Der Wert tlieser yathologischen Anpasszcngssone ist der, einige Zeit das Leben des Organismus aztsserhalb der physiologischen Zorie zzc erhalten zind es irn besten Fall in diese anl.iicl;zubringen. In dem Masse wie die pathologische Anpassung dieses ermvg- licht, bildet sie ein Supplement zzw physiologischen. Sie trbgt also dazu bei, t e m p o r l r d i e G r e n z e n far unsere Exia tenz- m8gl ichkei ten fiber d a s Geb ie t , d a s wir im al lgemeinen behe r r schen , h inaus zu erwei tern.

Darin lie$ meines Erttchtens die positive Seite der biolo- gischen Bedeut ung der krankhaften Erscheinungen.

Kranlilieit kann - nach dew Gedankengang, den ich hier zu entwickeln versucht habe - voin allgemein biologischen Gesichtspunkt aus definiert werden als die Summe dev Ver- andemngen des physiologischen Lebensverlanfes, die dadarch bedingt werden, dass das Individuum aassere Einflusse erfahrt, f u r die seine (crerbte oder erworbene) Aiipassiing unvollstan-

In dern Masse, wie die Anpassung fiir einen btiologischen Einfluss relativ entwickelt ist, ninimt der Ihnkheitsprozess fiberwiegend die Form einer zur Heilung tendierenden Reak- tion an. In dem Masse dagegen, wie die Anpaaswig gegeniiber dem betreffendcn Einflaes unvollstbdig ist, tritt entweder gar keine oder eine zu schwache Reaktion ein oder auch eine Re- aktion, die durch Einfiihrung neuer schbdlicher Momente ihre Aufgabe verfehlt. In diesem Fall tritt unmittelbar oder mit- telbar der pathologische Tod ein.

Die krankhaften Erscheinungen als ein Gauzes sind also nicht allein als ein indirektes Mittel zur Entwicklung zu be- trachten, indern sie dazu beitragen, minderwertige Individuen von einern erblichen Einfluss auf die~elbe auszuschliessen, son- dern gleichzeitig als ein aktiver Hebel far sie anzusehen. Daa

dig iat.

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Vermiigen, krankhaft zu reagieren, wo eine physiologische Re- aktion nicht weiter mijglich ist, ist ein positiver Vorteil, dessen Besiiz im Kampf urns Dssein zur natfirlichen Auswahl der Sieger mi twirkt. Jede ffir die Erhaltung der Art nilltzliche Eigenschaft tr8gt tlber dic Vorauseetzung zur weiteren Steigerung in sich. Demnach muss man auch auf dem pethologischenGe- biete eine Evolution annehmen, eine zunehmende Vervollkomm- nung des Verniirgens lebender Wesen, durch krankhafte Er- scheinungen auf eine nfitzliche und heilsame Weise, d. h. zur Wiedererla ngung des physiologischen Gleichgewichts in den Lebensprozessen, zu reagieren.

h a dev RoEZe, die d i e Lrankhaften Erscheinungen bei der natudichen Auslese spielen, tmd besondeys iia der yathologischen Aqmssztng a h einer Seite der organischen Entwicklznig, liegt die biologische Bedeutung dieser Erscheinutzgen.

Stockholm 1904. Bungl. Doktryckeriet.