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Arch. Toxikol. 24, 123--132 (1969) t~ber die Permeation von ~C-Obidoxim durch die sog. Blut-Hirnschranke yon Miiusen und Ratten* A. FALB und W. D. ERDMANN Institut fiir Pharmakologie und Toxikologie der Universit~t GSttingen (Abteilung ffir Toxikologie und ~europharmakologie) Eingegangen am 26. Oktober 1968 The Penetration o/14C-Obidoxime through the so-called Blood-Brain Barrier o/Mice and Rats Summary. Twenty minutes after intravenous injection of 40mg/kg I~C- obidoxime into mice, a blood concentration of 10 tzg obidoxime and brain concen- trations of 0.3--0.5 tzg/g wet weight were found. Simultaneous intravenous administration of dimethylsulfoxide (DMSO) or previous poisoning with the organophosphate paraoxone (0.5 mg/kg s.c.) had no appreciable influence on the penetration of 14C-obidoxime into the brain. Similar experiments in rats injecting 50 mg/kg laC-obidoxime intravenously revealed blood and brain concentrations which were three times as high as those in mice. Anesthesia with urethane faciliated the penetration of laC-obidoxime into the brain. Key-Words: Pralidoxime Compounds --Blood-Brain Barrier -- Dimethyl- sulfoxide -- Organophosphate Poisoning. Zusammen/assung. 20 mhi nach der i.v. Injektion yon 40 mg/kg 14C-Obidoxim an ~usen wird im Bhit eine Konzentration yon 10 ~g/ml Obidoxim und im Gehirn eine Konzentration yon 0,3~0,5 lzg/g Feuchtgewicht gefunden. Gleich- zeitige i.v. Zufuhr yon Dimethylsulfoxid (D~SO) oder eine vorangehende Ver- giftung mit dem Organophosphat Paraoxon (0,5 mg/kg s.c.) haben keinen nennens- werten Einflul~ auf die Penetration yon 14C-Obidoxim in das Gehim. Orientierende Versuche an Ratten zeigen, dal3 nach i.v. Injektion yon 50 mg/kg 14C-Obidoxim 3real h0here Bhit- und Gehirnkonzentrationen yon Obidoxim ent- stehen als an M~usen. Eine Urethan-Narkose begiinstigt die Aufnahme yon Obidoxim in das Gehirn. Schli~sselw5rter: Pralidoxim-Verbindungen -- Bhithirnschranke -- Dimethyl- sulfoxid -- Organophosphat-Vergiftung. Die BehandlungsmaSnahmen bei Vergiftungen mit esterasehemmen- den Organophosphaten kSrmen in der Reihenfolge ihrer Wertigkeit wie folgt skizziert werden: * Unserem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. reed. L. L~CDL~., zum 70. Geburts- tag gewidmet. 9 Arch. Toxikol., Bd. 24

Über die Permeation von14C-Obidoxim durch die sog. Blut-Hirnschranke von Mäusen und Ratten

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Page 1: Über die Permeation von14C-Obidoxim durch die sog. Blut-Hirnschranke von Mäusen und Ratten

Arch. Toxikol. 24, 123--132 (1969)

t~ber die Permeation von ~C-Obidoxim durch die sog. Blut-Hirnschranke

yon Miiusen und Ratten*

A. FALB u n d W. D. ERDMANN

Insti tut fiir Pharmakologie und Toxikologie der Universit~t GSttingen (Abteilung ffir Toxikologie und ~europharmakologie)

Eingegangen am 26. Oktober 1968

The Penetration o/14C-Obidoxime through the so-called Blood-Brain Barrier o/Mice and Rats

Summary. Twenty minutes after intravenous injection of 40mg/kg I~C- obidoxime into mice, a blood concentration of 10 tzg obidoxime and brain concen- trations of 0.3--0.5 tzg/g wet weight were found. Simultaneous intravenous administration of dimethylsulfoxide (DMSO) or previous poisoning with the organophosphate paraoxone (0.5 mg/kg s.c.) had no appreciable influence on the penetration of 14C-obidoxime into the brain.

Similar experiments in rats injecting 50 mg/kg laC-obidoxime intravenously revealed blood and brain concentrations which were three times as high as those in mice. Anesthesia with urethane faciliated the penetration of laC-obidoxime into the brain.

Key-Words: Pralidoxime Compounds - - B l o o d - B r a i n Barrier - - Dimethyl- sulfoxide - - Organophosphate Poisoning.

Zusammen/assung. 20 mhi nach der i.v. Injektion yon 40 mg/kg 14C-Obidoxim an ~ u s e n wird im Bhit eine Konzentration yon 10 ~g/ml Obidoxim und im Gehirn eine Konzentration yon 0,3~0,5 lzg/g Feuchtgewicht gefunden. Gleich- zeitige i.v. Zufuhr yon Dimethylsulfoxid (D~SO) oder eine vorangehende Ver- giftung mit dem Organophosphat Paraoxon (0,5 mg/kg s.c.) haben keinen nennens- werten Einflul~ auf die Penetration yon 14C-Obidoxim in das Gehim.

Orientierende Versuche an Rat ten zeigen, dal3 nach i.v. Injektion yon 50 mg/kg 14C-Obidoxim 3real h0here Bhit- und Gehirnkonzentrationen yon Obidoxim ent- stehen als an M~usen. Eine Urethan-Narkose begiinstigt die Aufnahme yon Obidoxim in das Gehirn.

Schli~sselw5rter: Pralidoxim-Verbindungen - - Bhithirnschranke - - Dimethyl- sulfoxid - - Organophosphat-Vergiftung.

Die B e h a n d l u n g s m a S n a h m e n bei V e r g i f t u n g e n m i t e s t e r a s e h e m m e n -

den O r g a n o p h o s p h a t e n kSrmen in de r R e i h e n f o l g e ih re r W e r t i g k e i t wie fo lg t sk izz ie r t w e r d e n :

* Unserem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. reed. L. L~CDL~., zum 70. Geburts- tag gewidmet.

9 Arch. Toxikol., Bd. 24

Page 2: Über die Permeation von14C-Obidoxim durch die sog. Blut-Hirnschranke von Mäusen und Ratten

124 A. FALB und W. D. E~DI~IANN:

1. Zufuhr von Atropin in hohen Rosen; 2. Bereitstellung und notfalls Einleitung kiinstlicher Beatmung und 3. Zufuhr spezifischer Antidote yore Typ der Pyridiniumoxime wie

Pralidoxim (2-PAM) oder Obidoxim (Toxogonin|

Es besteht kein Zweifel darfiber, dab Obidoxim als Cholinesterase- Reaktivator wesentlieh wirksamer als Pralidoxim ist. Im neuropharmako- logisehen Experiment ist dariiber hinaus gezeigC worden, dab nur Obid- oxim, nicht aber Pralidoxim zentrale Vergiftungserscheinungen naeh Organophosphaten beseitigen kann (t~RD~ANN, 1965; KVaA u. ]~RD- ~ A ~ , 1965, 1967). Dies kSnnte yon groBer praktiseher Bedeutung im Hinbliek auf die Prophylaxe zentralnervSser Seh~den nach Alkylphos- phatvergiftungen des Mensehen (vgl. G~gSHON u. SHAW, 1961) sein. Jedoch ist die Diskussion um die Penetrationsf~higkeit yon esterase- reaktivierenden Pyridininmoximen dureh die sog. Bluthirnsehranke bis heute nieht beendet, weft methodisch- oder speciesbedingte Wider- spriiche vorliegen (vgl. Literatur bei ERD~ANN, 1965; EDELWEJN, RUMP u. FAFF, 1966, sowie I~A~AGAWX, 1968).

Direkte Nachweisveffahren ffir die Passage yon Pralidoxim oder Obidoxim durch die Bluthirnschranke nach intravenSser Injektion an Versuchstieren sind vergleiehend bisher nur yon ERDMAWN (1965) angewendet worden. Die spektrophotometrische Analyse ergab dabei einen nennenswerten Oximgehalt des Rattengehirns nur naeh der intra- venSsen Injektion yon Obidoxim (50 mg/kg i.v.), nicht aber nach der intravenSsen Injektion yon Prafidoxim. Mit der ltC-Methode wurde yon Looms (1963) naeh intravenSser Injektion yon 40 mg/kg Pralidoxim fin Mgusegehirn keinerlei Aktivit~t, yon FIR~MA~K U. Mitarb. (1964) nach i.v. Injektion yon 20 mg/kg Pralidoxim im Rattengehirn jedoch Konzentrationen um 1 ~g/g gefunden. Mit Obidoxim warden vergleieh- bare Untersuehungen in der Isotopenteehnik bisher nieht durehgeffihrt. In der vorliegenden Arbeit wird diese Liicke gesehlossen.

Um einen Vergleich mit den Ergebnissen von Loo~zs (1963) zu ermSgliehen, und um den Verbraueh yon ~4C-Obidoxim mSgliehst gering zu halten, sollte sieh die Untersuehung vorwiegend auf die Maus als Versuchstier besehr~nken. Nur zur Kl~rung der Frage mSglieher Species- unterschiede hinsiehtlieh der Penetration yon Obidoxim dureh die sog. Bluthirnsehranke erwiesen sieh zus~tzliehe Versuehe an Ratten als notwendig.

Die vorliegende Untersuehung sollte gleichzeitig dazu dienen, den Einflul~ techniseher (Hirnpeffusion mit 0,9% NaC1), pharmakologiseher (Narkose) und toxikologischer (Organophosphat-Vergiftung) Bedingun- gen auf das Ergebnis zu studieren.

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14C-Obidoxim und sog. Blut-Hirnschranke 125

Methodik und Materialien Als Versuchstiere dienten weibliche M~use (Stamm ~)/IRI) yon 2 6 ~ 0 g KSrper-

gewieht sowie m~nnliche Ratten (Stature FW49 und Wistar) yon 200--220 g KSrpergewicht.

S~mtliehe Tiere erhielten 14C-Obidoxim (5,05 mCi/g), das das Kernforsehungs- zentrum Karlsruhe fiir uns hergestellt hatte 1, in einer Dosis yon 40 mg/kg (M/~use) oder 50 mg/kg (Ratten) intravenSs injiziert.

]~inige Rattenversuehe effolgten in Urethan-Narkose (1,1 g/kg i.p.). Im iibrigen wurden die Tiere 20 rain nach der 14C-Obidoxim-Injektion mit ~ther bet/~ubt. Naeh ErSffnung des Thorax wurde venSses Herzblnt in einer mit Vetren| versehenen Spritze entnommen. Anschliel]end effolgte eine Perfusion vom linken Herzen mit heparinisierter physiologischer Koehsalzl5sung. Leber, Niere und Gehirn warden entnommen nnd nach der yon K~BnRn~ u. RUTSCm~A~ (1961) angegebenen Methode aufgearbeitet. Die Wahl der Dosierung und des zeitliehen Abstandes zwischen Injektion und Organentnahme effolgte mit Rficksieht auf die Vergleich- barkeit der Versuchsergebnisse naeh yon Loo~IS (1963) nnd ERDMA~r162 (1965) mit- geteilten Daten.

Die IMessungen wurden mit dem Tri-carb Liquid Scintillation-Spectrometer, Modell 314-EX (Packard Instrument Company, La Grange Ill., USA) bei -1-4~ durchgeffihrt.

Ergebnisse

Die wichtigsten Ergebnisse aus den Untersuchungen an 1Vf~usen sind in Tabelle 1 zusammengestellt . Danach fiberwindet laC-Obidoxim nach intravenSser In jekt ion von 40 mg/kg in 1% iger LSsung nur in geringen Mengen die Bluthirnschranke. I m Blur war zum gleichen Zei tpunkt (20 rain nach der intravenSsen In jekt ion yon Obidoxim) eine um mehr als den Fak to r 30 hShere Obidoximkonzentra t ion vorhanden, in Leber und Niere bis zu 100fach hShere Konzentrat ionen. Die gleichzeitige i.v. Zufuhr yon Dimethylsulfoxid (DMS0, Infi l t r ina | S) in Dosen yon 0,55 g/kg (11% ige LSsung) und 1,1 g/kg (22% ige LSsung) hat te keinen sigmfikanten Einflul~ auf die Verteilung yon 14C-0bidoxim in den unter- suchten Organen (vgl. Tabelle 1, Zeile 2 und 3).

Die Pr/ifung yon DMSO als mSglicher ,Sehlittenstoff" fiir Obidoxim (hier: dureh die sog. Bluthirnschranke) erschien gerechtfertigt, nach dem Loo~is n. Jo~so~r (]966) eine Wirksamkeitssteigerung fiir Trimedoxime (TMB-4) gegeniiber phosphorylierten Cholinesterasen nachweisen konnten.

Da es denkbar erschien, dab eine Vergiftung der Tiere mi t esterase- hemmenden Organophosphaten die Penet ra t ion yon Obidoxim in das Gehirn erleichtern kSnnte, wurde eine Gruppe yon 6M/~usen mit 0,5 mg/kg Paraoxon in 0,015 % iger LSsung mittels subcutaner In jek t ion 60 rain vor der Obidoximzufuhr vergiftet. Es kam zu deutl ichen Ver- g i f tungssymptomen im Sinne starker Sekretionen und schwerer Er- regungszust/~nde. Todesf/~lle t ra ten nicht ein. Die Obidoximinjektion

1 Fiir die ~bernahme der Kosten danken wir der Fraunhofer-Gesellschaft (M~nchen).

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~C-Obidoxim und sog. Blut-Hirnschranke 127

zeigte innerhalb der Beobachtungszeit von 20 mill keine deutliche Wirkung auf die Symptomatik. Wie aus Tabelle 1 (unterste Zeile) her- vorgeht, wird durch eine Paraoxonvergiftung keine h6here laC-Obidoxim- konzentration im Gehirn yon M~usen erzielt.

In der Leber p~raoxonvergifteter Tiere ist der Obidoximgehalt deut]ich erniedrigt, was vie]leicht als Fo]ge einer dutch die Vergiftung bedingten Minder- durchblutung angesehen werden k~nn. Hier sei daran erinnert, dab die Organo- phosphatvergiftung innerhalb kfirzester Zeit zu schweren St6rungen der Leber- funktion zu ffihren pflegt (Literatur bei BO~LCKE u. ERD~A~, 1968).

In der l~iere paraoxonvergifteter MiSuse wurden gelegentlich (beachte: Streu- ung!) doppelt so hohe Obidoxim-Konzentrationen wie in den vorangegangenen Versuchen gemessen. Der normale, d.h. nicht mit Organophosphat vergiftete Warm- blfiterorganismus scheidet Obidoxim nahezu quantitativ in unver~nderter Form aus (vgl. EEDM~, Bossn u. FRA~KE, 1965). Wenn Obidoxim dagegen als Este- rasereaktivator bei Organophosphatvergiftungen wirksam wird, entstehen nach dem Zerfall des phosphorylierten Oxims erhebliche Mengen an Metaboliten, vermutlich Nitrile und Pyridone (vgl. ERDM)-~, 1968). Die hohe l~adioaktivit~it in der l~iere paraoxonvergifteter M~use kSnnte dafiir sprechen, dab hier neben laC-markiertem Obidoxim auch 14C-markierte Metaboliten dieses Pyridiniumoxims sich in diesem Ausscheidungsorgan angereichert haben.

AIs wichtigstes Ergebnis sei nochmals festgestellt: Im I-Iirngewebe yon M/iusen wird nach intraven6ser Injektion yon 40 mg/kg 14C Obid- oxim eine nut sehr geringe Obidoximkonzentration yon 0,3 [zg/g (Gro]L him) bis 0,5 [zg/g (Kleinhirn) gemessen. Demgegeniiber hat E~DMA~N (1965) mit spektrophotometrischer Bestimmungsmethode nach i.v. In- jektion yon 50 mg/kg Obidoxim an Ratten im Gesamthirn der Tiere 5,3 • 0,7 [~g/g Feuchtgewicht ermittelt. Die Diskrepanz is~ so erheblich, dab einige weitere Versuche an Ratten zur Orientierung wiinschenswert erschienen. AuBerdem sollte der EinfluB der Perfusion mit Kochsalz- 16sung (vgl. Methodik) /iberpr/ift werden, zumal El~DMA~ (1965) in seinen Versuchen an Ratten diese Methode nicht routinem/iBig angewen- det hat. Der neuropharmakologische Nachweis einer zentralnerv6sen Wirksamkeit yon Obidoxim wurde yon KVGA u. EaDMA~ (1965 und 1967) an mit Urethan beti~ubten l~atten gefiihrt. So erschien es schliel~- lich noch dienlich, auch den EinfluB yon Urethan auf die Verteilung yon 14C-Obidoxim an Ratten zu fiberlorfifen.

Wegen der geringen uns zur Verf/igung stehenden Menge an 14C- Obidoxim konnten keine gr6Beren Tiergruppen mehr Verwendung fin- den. Die Ergebnisse der Einzelversuche sind in der Tabelle 2 zusammen- gestellt.

Obwohl die in der Tabelle 2 dargestellten Ergebnisse einen nur orientierenden Charakter haben k6nnen, lassen sich folgende Feststel- lungen treffen:

1. Das Verteilungsmuster yon ~aC-Obidoxim an Ratten und Mausen weicht wesentlich voneinander ab. So zeigen die unter vergleichbaren

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14C-0bidoxim und sog. Blut-Hh~aschranke 129

Bedingungen erhaltenen Befunde (Vergleieh zwisehen Versuchs-Nr. 0 und Versnchs-Nr. 4, 5, 6), dab es bei der Rat te zu wesentlich hSheren Blur- ~md Nierenkonzentrationen yon laC-Obidoxlm kommt. Die Obidoximkonzentration in der Leber ist dagegen bei Rat ten erheblieh geringer. In Klein- und GroBhim yon Rat ten wird ein um das 2--3faehe hSherer Wert als an M/~usen gemessen.

2. Der EinfluB des Iqarkoticums Urethan a ~ die Verteflung yon ~4C-Obidoxim in den Geweben der Ratte ist evident. Beim Vergleieh der Werte aus Versuch Nr. 4, 5, 6 mit den Werten aus Versueh Nr. 7, 8, 9 wird deutlich, dab in Leber, Niere, aber auch in Klein- und GroBhirn der mit Urethan bet~ubten Tiere ungefi~hr doppelt so hohe 14C-Obidoxim- konzentrationen entstehen wie bei den Kontrollen, die eine J~ther- narkose nur unmittelbar vor der TStung erhielten.

3. Das Unterlassen einer KSrperperfusion mit 0,9 % iger Koehsalzl5sung (vgl. Versuehs-Nr. 1, 2, 3 und 9 mit den entspreehenden Kontrollen) fiihrt in Klein. und Grol~hirn yon M~usen und Rat ten zu ~4C-Obidoxim- konzentrationen, die um die IIalfte hSher liegen als in den Kontroll- versuehen. Dies dfirfte vor allem auf den Oximgehalt yon Blutresten in den CapiHaren zurtickzuftihren sein.

Diskussion

Da vor allem im zweiten Tell des Ergebnisabschnittes die den Gang der Untersuehung bestimmenden Uberlegungen erSrtert warden, kann sich die Diskussion auf die Frage eines Species~ntersehiedes hinsicht- lieh der sog. Bluthirnschranke und auf die Frage einer zentTalnervSsen, pharmakologischen Wirksamkeit yon Obidoxim beschr/~nken.

Das v611ig voneinander abweichende Verteihmgsmuster yon laC- Obidoxim in den Geweben yon Mausen trod Rat ten kann nur auf die allgemeine Formel ,,Speciesunterschiede" gebracht werden. Diese treten fibrigens ffir Pralidoxim (2-PAM) ebenso deutlich hervor: so fund Loo~Is (1963) naeh i.v. Injektion yon 40 mg/kg laC-PAM im M/iusehirn keinerlei Aktivit~t, w/ihrend FmE~_A~K U. Mitarb. (1962, 1964)an Rat ten nach intravenSser Injektion yon 20 mg/kg 14C-PA]~ 10 rain nach der Injektion Konzentrationen fiber 1 y.g/g Hirn-Feuchtgewicht gefunden haben. Es kaml hiernach keineswegs geforder~ werden, dab sich der Speeiesuntersehied 5Iaus/Ratte auf spezielle Eigenschaften der sog. Bluthirnsehranke bezieht; denn der Quotient der Oximkonzentrationen Blut/Gehirn stimmt bei beiden Tierarten gut fiberein, wie aus den Ergebnissen der Tabelle 2 abzulesen ist. Es erscheint daher berechtig~ zu vermuten, dab an Rat ten nur deshalb 3real h6here Hirnkonzentratio. hen an Obido~im als an M/~usen gefunden werden, weft die erzielten Blntkonzentra~ionen yon Obidoxim bei RaSten um den Faktor 3 hSher liegen. ~]~MA~K u. Mitarb. (1964) haben iibrigens bei Blutkonzentra-

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130 ~. FALB un(:1_ W. D. ERDiVIANN:

tionen yon 1O ~g/ml 2-PAM an Rat ten Hirnkonzentrationen dieses Oxims yon 1 ~g/g gefunden, w/~hrend Loo~is (1963) bei Blutkonzentra- tionen yon 2,5 ~g/ml 2-PAM noch keinerlei Aktivit/~t im Gehirn yon M/~usen entdeeken konnte. Der zuletzt genannte Befund wird yon FI~E~ARK u. Mitarb. (1964) u.a. damit erkl/~rt, dab LooMis 2-PAM mit einer zu geringen spezifisehen Aktivit~t verwendet hat. Alle bier dis- kutierten Befunde sprechen daf/ir, da$ Obidoxim die Bluthirnsehranke yon M/~usen und Rat ten nicht nennenswert besser fiberwindet als 2-PAM. Eine begfinstigende Wirkung yon Urethan auf die Penetrationsf/~higkeit yon Obidoxim dureh die Bluthirnsehranke mu$ nach den in Tabelle 2 dargestellten Befunden allerdings einger/~umt werden, zumal sieh hier aueh in der Praxis des neuropharmakologischen Experiments (vgl. Ku~A u. E~ D~ A~ , 1965, 1967) stets reproduzierbare Untersehiede im Einflul~ yon Obidoxim und Pralidoxim auf zentralnervSse Funktionen zeigen lassen.

Die Michaelis-Menten-Konstanten fiir die Reaktivierung einer durch Paraoxon phosphorylierten Acetyleholinesterase werden ffir Pralidoxim mit 1,2 • 10 -5 und fiir 0bidoxim mit 6,7 • 10 -7 angegeben (ENGELItAttD U. ERDMAN~r 1963). Diese Konzentrationen werden yon 0bidoxim nach den vorliegenden Messungen im M/~usehirn, vor allem aber im Ratten- h im erreicht, nieht aber yon Pralidoxim, wie aus den schon zitierten Untersuchungen yon L o o ~ s (1963) sowie FIR~MA~K u. Mitarb. (1964) hervorgeht. Dermoeh zeigt der bestehende Speciesunterschied in der erreichbaren Obidoximkonzentration im H i m yon M/iusen und Ratten, dal~ die R~tte zum Naehweis zentralnervSser Wirkungen yon Obidoxim als besonders geeignetes Versuehstier bezeichnet werden mul3. Da der Erfolg der Antidottherapie u.a. yon der Schwere der Alkylphosph~t- vergiftung abh/~ngt, wird sieh eine therapeutisehe Wirksamkeit yon Obidoxim gegen gehemmte Acetyleholinesterasen dos Gehirns bei ande- ren Tierspecies u.U. kaum erbringen ]assen. In diesem Sinne sprechen jedenfalls die Erfahrungen yon ED]SLWEJN u. Mitarb. (1966) an DFP- vergifteten Kaninehen sowie die Befunde yon BAt~CKOW U. Mitarb. (1968) bei schwersten E 605-Vergiftungen des Menschen. In einem Falle yon DFP-Vergiftung des Mensehen wurde dagegen naeh erfolglosen Pr~lidoxim-Injektionen eine ,,eindrucksvolle Aufhellung des Sensorinms" erst unmittelbar nach der sp/~ter erfolgenden Obidoxim-Injektion beob- achtet (ScmLAAX, 1966). Direkte Beweise fiir oder gegen die Permeations- f/~higkeit yon Obidoxim durch die sog. Bluthirnschranke des Mensehen stehen weiterhin aus.

Es ist bekannt, dal3 anoxische Zust/~nde, wie sie bei Vergiftungen aufzutreten pflegen, die Permeabilit/~t der sog. Bluthirnschranke ffir kSrperffemde Substanzen erheblieh zu steigern vermSgen (vgl. z.B. QVADBV~CK u. tt~LMCJ~N, 1957; Ubersieht bei DOBBI~, 1961, u.a.).

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~C-Obidoxim und sog. Blut-Hirnschranke 131

Die Vermutung , dal~ eine schwere Organophospha tverg i f tung die Per-

mea t ion yon Obidoxim in das zentrale Nervensys t em begtinst igen wiirde,

konnte in unseren Versuchen an M/~usen jedoch n ich t best/~tigt werden. En tsprechende Befunde wurden yon FI~V,~A~K u. Mitarb. (1964) vor-

gelegt.

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Dr. reed. A. F ~ B Institut fiir Pharmakologie und Toxikologie der Universit~t G6ttingen Abt. fiir Toxikologie und Neuropharmakologie 3400 GSttingen, Geis~str. 9