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Archly 0hr- usw. ]=[eflk.u. Z. ttals- usw. Heilk., Bd. 162, S. 332--354 (1953). (~ber Neuorientierung in Problemen einer klinischen Neurologie des Ohres. Von F. KOBRAK, (Eingegangen am 2. Dezember 1952.) I. Yegetatives Nervensystem und stato-akustisehe Sensorik. Die als Titel gew/~hlte Gegenfiberstellung zweier scheinbar gi~nzlieh wesensverschiedener Komplexe wird zun/~chst seltsam berfihren. Zur vorl/~ufigen Orientierung mSchte ich darauf hinweisen, d~ es sich bei dem Veg. _Nerv.-System (VNS), den ,,Lebensnerven" (L. R. MffLL]~), um ein Einordnungssystem primitiven -- Lebens --, bei dem statoakustischen Nervsystem um ein Einordnungssystem primitiven -- Erlebens -- (yon Raum und Zeit) handelt. C:~oN, ein um die Jahrhundertwende prominenter franzSsischer ExperimentMphysiologe, erregte ein gewisses Aufsehen, als er (1908), abweichend yon seiner bisher strong experimentell physiologischen Linie, in einer ausffihrlichen Monographie ganz be- sonders such die -- psychologischen -- Seiten der physiologisch be- grfindeten ]%aum- und Zeiterfahrungen analysierte. Seine Argumente gingen dahin aus, den Vestibularnerven als -- l%aumnerven --, den Cochlearnerven als -- Zeitnerven -- einzuordnen und abzugrenzen. Ver- fasser hat zu CYo• in seiner Monographie fiber ,,Statische Funktionen" (Berlin 1922, S. Karger) ausffihrlieh Ste]lung genommen. Das Raum-Zeit- problem, betrachtet im Lichte der Cochlear-Vestibularfunktion, stellt sich heute anders dar. Sei es, daB, wie KiTZ (Mensch und Tier, Zfirich 1951) mit Recht darauf hinweist, die -- r~umliche -- HSrrichtungs- sch~tzung zeitlich bedingt sei, da~ also sensorisch eine enge Kopplung, mindestens unter bestimmten Bedingungen, zwischen r~umlichen und zeitlichen Eindrficken vorhanden sei. Sei es, daB, im R~hmen meines ,,coehleovestibul/~ren HSrprinzips" (-- ,,cvH" --), die sensorische l%aumzeitkopplung als eine Folge phylogenetisch bedingter, physio- logischer Zus~mmengehSrigkeit der beiden Zweige des Nervus stato- aeustieus erscheine. (Zum Tell indirelcte) Zusammenh~nge zwisehen VNS und statoalcustischer Sensorik wurden yore Verfasser wiederholt berfihrt oder ausfiihrlich abgehandelt i. 0bwohl yon Mu und seiner Schule (DEDERDI:NG) wiederholt auf die Bedeutung des ,,Veget. Systems" (F. K~ivs) dutch die Rolle des Wasserhaushaltes, i Siehe Literatur am Schlul~ des Aufsatzes.

Über Neuroientierung in Problemen einer klinischen Neurologie des Ohres

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Archly 0hr- usw. ]=[eflk. u. Z. ttals- usw. Heilk., Bd. 162, S. 332--354 (1953).

(~ber Neuorientierung in Problemen einer klinischen Neurologie des Ohres.

Von F. KOBRAK,

(Eingegangen am 2. Dezember 1952.)

I.

Yegetatives Nervensystem und stato-akustisehe Sensorik.

Die als Titel gew/~hlte Gegenfiberstellung zweier scheinbar gi~nzlieh wesensverschiedener Komplexe wird zun/~chst seltsam berfihren. Zur vorl/~ufigen Orientierung mSchte ich darauf hinweisen, d ~ es sich bei dem Veg. _Nerv.-System (VNS), den , ,Lebensnerven" (L. R. MffLL]~), um ein Einordnungssystem primitiven - - Lebens - - , bei dem statoakustischen Nervsystem um ein Einordnungssystem primitiven - - Erlebens - - (yon R a u m und Zeit) handelt. C:~oN, ein um die Jahrhunder twende prominenter franzSsischer ExperimentMphysiologe, erregte ein gewisses Aufsehen, als er (1908), abweichend yon seiner bisher strong experimentell physiologischen Linie, in einer ausffihrlichen Monographie ganz be- sonders such die - - psychologischen - - Seiten der physiologisch be- grfindeten ]%aum- und Zeiterfahrungen analysierte. Seine Argumente gingen dahin aus, den Vestibularnerven als - - l%aumnerven - - , den Cochlearnerven als - - Zeitnerven - - einzuordnen und abzugrenzen. Ver- fasser hat zu CYo• in seiner Monographie fiber ,,Statische Funkt ionen" (Berlin 1922, S. Karger) ausffihrlieh Ste]lung genommen. Das Raum-Zeit- problem, betrachtet im Lichte der Cochlear-Vestibularfunktion, stellt sich heute anders dar. Sei es, daB, wie KiTZ (Mensch und Tier, Zfirich 1951) mit Recht darauf hinweist, die - - r~umliche - - HSrrichtungs- sch~tzung zeitlich bedingt sei, da~ also sensorisch eine enge Kopplung, mindestens unter best immten Bedingungen, zwischen r~umlichen und zeitlichen Eindrficken vorhanden sei. Sei es, daB, im R~hmen meines ,,coehleovestibul/~ren HSrprinzips" ( - - , ,cvH" - - ) , die sensorische l%aumzeitkopplung als eine Folge phylogenetisch bedingter, physio- logischer Zus~mmengehSrigkeit der beiden Zweige des Nervus stato- aeustieus erscheine. (Zum Tell indirelcte) Zusammenh~nge zwisehen VNS und statoalcustischer Sensorik wurden yore Verfasser wiederholt berfihrt oder ausfiihrlich abgehandelt i.

0bwohl yon Mu und seiner Schule (DEDERDI:NG) wiederholt auf die Bedeutung des ,,Veget. Systems" (F. K~ivs) dutch die Rolle des Wasserhaushaltes,

i Siehe Literatur am Schlul~ des Aufsatzes.

Neuorientierung in Problemen einer klinischen Neurologie des Ohres. I. 333

yon F~RSTE~B~RG U.a. in U.S.A. durch die Rolle des Blutchemismus (Kalium- gehalt) hingewiesen wurde, scheint die Erkenntnis der Wesentlichkeit des Veget. Nervensystems oder im weiteren Sinne des ,,Vegetat. Systems" iiberschattet worden zu sein yon an sich hSchst wertvollen histologischen, aber - - ~tiologisch - - z. T. den Zusammenh~ingen ausweiehenden Befunden des Labyrinths bei l~Iorb. M6ni~re (HALLPIKE, ROLLIN n.a.). Vielleicht mag die Konzentration des In- teresses auf die Blockade des Gangl. stellatum und ihre therapeutischen MSglich- keiten bei M~ni~rescher Krankheit (PASSE) nunmehr das Interesse der Funktio- nellen 0tologie am Vegetativen System in gebfihrender Weise wachhalten.

Das VNS steht also in einer gewissen indirekten Beziehung zur stato-akustischen Sensorik, indem es die statoakustische Funktion durch vegetoneurale Mitreizung mehr oder weniger beeinflu~t. Das ist fiir d e n - - Vestibularis - - ohne weiteres klar. Ffir d e n - - H6rprozel3 - - er- geben sich vegetoneurale Einfliisse n. a. durch die (1949) geforderte (Zt. Lar. 28, 2, 77/78) - - Ganzhei tsbetrachtung - - des HSrprozesses, d .h . unter Einschlul~ der zugeordneten Binnenohrmuskelfunktion in das rezeptive akustische System, sowie unter Bezugnahme auf das ,,cvH", d. h. auf die phylogenetisch bedingten - - vestibul~iren Quali- ta ten - - des HSrens (und vestibulare Mitreizung beim ttSren).

Aber die Beziehungen zwischen VNS und Stato-akustischer Sen- sorik scheinen, in einer weiter gefaBten Schau, noch tiefer zu wurzeln. Das VNS, als das System der , ,Lebensnerven" (L. 1~. 1V[i~LLER) hat zwecks Erhaltung des Lebens eine besondere biologische Grundfunktion, Es dient der Aufrechterhaltung der - - Ordnung - - des Organismus. Dazu gehSrt in erster Reihe die - - Einordnung - - des lebenden Orga- nismus in die anorganische und organische Ordnung der Aul~enwelt, mit welcher der lebende Organismus in st~ndigem Kontakt ist, in welcher er lebt, und dutch welche er vegetativ sein Leben aufrecht erh~lt.

Dureh die vestibuli~re Statik scheint eine enge ZugehSriglseit zum Einflul~kreise des VNS zu bestehen (MIES, ROSSBE~G). In der Akusti lc diirfte aber aueh noch eine gewisse Verwandtschaft mit der Funktions- welt des Vegetativum erkennbar sein: des Vegetativum a l s - - p r i m i t i v e n - - Lebens und Erlebens, damit wohl aber auch des - - Ins t inkt iven-- . Aus einer (,,evil") phylogenetisch erklarbaren, anatomisch-physiologischen Verwandtsehaft zwisehen HSrfunktion und vegetativer Funktion, yon denen die Vegetative Funktion einem variablen, sich adjustierenden, die ttSrf~higkeit einem dureh die gebotenen ,,Gestalten ''1 gegebenen, fixierten adjust ierten Ordnungsprinzip dient: aus einer also dem Vege- tat iven verwandten Funktion, welche Beziehungen zum Triebleben des ,,Tiefenmenschen" [F. KRA~S] hat, wird es verst~tndlieh, dal~ ein erstaunlicher Grad reproduktiver - - musikalischer Begabung - - bei geistig relativ minderwertigen Individuen vorkommt, dal3 also ein

1 Siehe hierzu Aufsatz (II) fiber ,,Cochl. vestib. HSrprinzip und Gestalts- psyehologie".

Arch. Ohr- usw. l~cflk, u. Z. Hals- usw. t~eilk., Bd. 162. 23

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durchaus iiberdurchschnittlicher Grad musfl~alischer Begabung keines- wegs intel!ektgebunden zu sein braucht, sondern in tieferen Sehichten des Hirnbausystems ]okalisiert ist. Setbstversti~ndlich sind musikalische Spitzenleistungen und sctiSpferische Produktion besonders zu bewer- ten. Wie die Musik derjenige HSrkomplex ist, welcher unmit telbar das - - , , I n n e r s t e " - - des Menschen trifft und keineswegs an hShere intel- lektuelle Vorgiinge gebunden zu sein braucht, so scheint auch die primitive - - musikalisehe M o t o r i k - unmit telbar aus dem Innersten, aus der , , T i e f e n p e r s o n " des Menschen hervorzuquellen und a priori keinen verstandesmi~l~igen Gesetzmi*Bigkeiten zu unterliegen. Das,,coehl. vest. I-I5rpr." wurde ursprfinglich aus H S r , , / i i h l s " w e r t e n entwickelt durch den Versuch einer Analyse der Spezifitiit der - - , , K o n s o n a n z " - - bei dem Zusammenklingen zweier TSne. Durch Selbstbeobachtung er- gab es sich, dal3' das Charakterist ikum der Konsonanz - - nicht ein (schallhaft) sondern ein - - ,,geffihlsmg~l~ig" - - bedingter Faktor ist, , , g e f f i h l s " m ~ i g nieht nur in dem rein taktilen, sondern auch in dem veredelten Sinne desWor tes . In dieser doppelten ,,Geffihls"bewertung ]iegt vielleieht die spezifische Wirkung der - - Sprache: Musik - - auf das Vegetat ivum des musiksensiblen Menschen, eine Wirkung, die in ihrer Unmittelbarlceit yon Iceiner durch Vermi t t lung des Intel lekts empfangenen WortschSpfung (Poesie) erreicht werden kann. Da die Sprache ja nicht frei yon musikalischen Beiqualitgten ist, werden wir nicht fehlgehen, bei jeder Sprachrezeption geffihlsmgl~ig gebundene Sensationen anzunehmen, welehe auch die ,,Schizakusis", die Spaltung

zwischen - - peripherer - - sprachlicher und Reintonsensation in einem nicht nur klinisch, sondern auch psychophysiologisch bedeutsamen Lichte erscheinen lassen.

Besonders mit den zuletzt erSrterten Beziehungen des HSrprozesses zur Funkt ion des Vestibularis und Vagus wird abet auch unsere Stellung- nahme zur - - Psychologie - - des ttSrens zwingender als zuvor beriihrt. Die Erkenntnis, dal~ eine Physio]ogie des H6rens ohne Psychologie (anthro- pologiseh gesehen) devitalisiert ist, scheint sich gelegent]ich Bahn zu brechen, wenn aueh die ,,Audiologie" diesen Problemen noch relat iv interesselos gegeniibersteht.

I t ie rauf werden wir im Aufsatz (II) fiber , ,cvH und . . . Gestalts- psychologie" zurfickkommen.

Die derzeitige, topodiagnostisch unentbehrliche, Bevorzugung mono- phoner HSrsensationen im elektrophysiologischen-- und (abgesehen yon Sprachprfifungen) klinisehen - - Exper iment (Reinton-Sehwellenwerts- prfifungen) erinnert bis zu gewissem Grade an den Entwieklungsgang, den die Psychologie der letzten vier Jahrzehnte gegangen ist, yon einer , ,atomistiseh" sieh auf einzelne Lokalreize aufbauenden assoziativen Erkli*rung dieser dem Hirn einzeln zugeleiteten Reize zu dem aus der

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Psyehologie wohl k a u m mehr wegzudenkenden heurist ischen Geriist der , ,GestMtspsychologie" - - . Wird die gSrphysio logie (psychologisch) auf einem in der Allgemeinpsychologie zum Teil verlassenen ,,atomisti- sehen" S t a n d p u n k t der psyohophysiologisohen Pr~ponderanz der einzelnen l~einrcize verhar ren oder an die moderne l~ichtung der Psycho- logie, insbesondere die GestMtungspsyehologie, sieh ansehliegten? Diese Frage scheint nioht nur theoretisoh wissensohaftliehes, sondern auoh praktisches, kliniseh diagnostisohes Interesse zu haben.

I m Gegensatz zu der in weitem MM]e rein mathemat isch-physikMisch erfM~baren lohysiologischen Optilc, die a rm an neurovegeta t iver ,,Be- ]as tung" ist, spielen eben in die Statoakustilc (unbequeme) vestibular- vagMe Fak to ren hinein, welche eine (dem exakten Wissenbedfirfnis un- erwiinschte) Unsicherhei tsnote hineintragen und die Begeisterung ffir eine exakt mathemat i sch physikMisohe Betrachtungsweise - - klinisoh! - - eindi~mmen sollten! Vogelstrau~poIit ik kSnnte dazu ange tan sein, auf Grund eintSniger l~eintonbefunde zu verzerr ten Schlul~folgerungen zu fiihren. Das heil~t : die ]Zeintonbefunde m S g e n - - absolut richtig - - sein, wenn man die betreffende klinische Unte r suchung Ms ein mit ReintSnen ausgeffihrtes klinisehes - - Exper iment - - Ms eine topographisch diagno- stische Hilfsprfifung auffM~t. Aber, der akustische und statische Mensch - - ist, ganz besonders unter pathologischen Bedingungen, neu- rovegetativ beeinflui~t. Das gilt bei gest6rter Funk t ion vor Mlem dann, wenn die St5rung auf Schockschi~digung - - T r a u m a ! - - zurfiokzufiihren ist. Das Vegetativum liiflt sich daher aus der statoakustischen Sensorik nicht wegdenlcen !

L i t e r a t u r .

PAssow: Beitr. X, XI, betr.: ,,KMorische Gef/i~theorie" (1918) . - Lehrbuek Prakt. Ohrenheilk. (1918) yon JANSEI~-KOBRAK: Berlin: Springer. S. 92, betr. binnenohrmuskul, bedingter neurasthen. HSrerschSpfung. - - F. KOB~K, Internat. Zbl. 0hren usw. Heilk. 1921; betr. Labyrinthneurose des Veget. N.-Systems. - - F. KOB!aAK, in PASSOWS Beitr. XVIII., betr. : ,,Angioneurot. Octavuskrise" (1922). - - F. KoB~A~, in Neue deutsche Klinik, Erganzungsheft (1934) betr. ,,0ktavus- krise-Morbus M ~ i ~ v . " . - - 1~. KOB~AK in Pract. 0tolar. I, 3/4/5 (1938) betr. ,, Spas- mophile Otosklerose" und betr. ,,Mittelohrinsuffizienz"; 1~. KOBlCAK in Z. Lar. (1951) betr. Presbyakusis u'nd H(irtonus. - - F. KO~R~I( in Z. Lar. (1952) Verb. Siidwestdt. ttN-0hreni~rzte.

II. Cochleovestibul~ires Hiirprinzip (, ,cvH") und statoakustisehe

Gestaltspsychologie.

E i n l e i t u n g .

Die experimentell physiologische Neurologie des Ohres ist vorwiegend elektrophysiologisch und mathematisch-physikMisch ausgerichtet . Die - - klinische - - Neurologie des Ohres, soweit sich eine solche bisher,

23*

336 F. KO~R~K:

abgesehen yon den neurologischen Komplikat ionen otitiseher Erkran- kungen, entwiekelt hat, I/~$t es gegenfiber dem zu imposanter Bedeutung entwickelten Zweige der experimentell physiologischen Neurologie

'seltsamerweise an - - eigenen ~ Fragestellungen fehlen. Das liegt naeh meiner Ansieht daran, dab sieh die ktinische Neurologie zu sehr yon der experimentell physiologisehen Neurologie hat ins Sehlepptau nehmen lassen. Hier dfirfte nur dana eine Xnderung zu erwarten sein, wenn die - - Psyehologie ~ mit selbst~ndigen Fragestellungen auftr i t t und nieht ihrerseits aueh wieder zu sehr im Fahrwasser der experimentellen Physiologie und physikMisehen Mathematik sich bewegt. Es seheint so, dag in der Psyehologie die - - G e s t a l t s p s y c h o l o g i e - dazu berufen sein kSnnte, funktionell otologiseher Forsehung, Diagnose - - und Therapie! - - aussiehtsreiehe Wege zu weisen.

Die Gestaltspsychologie befagt sich u . a . mit der Organisiertheit yon Sinnesempfindungen. D i e s e - Organisationsf~higkeit - - der Sinnessysteme seheint einen bemerkenswerten therapeutischen Aus- bliek z n gew~hren, weleher aus der F/ihigkeit zu einer - - Umorgani- sation - - gestSrter Sinnesempfindungen sieh herMtet . Das ist der Grund, warum ieh das Gebiet der - - scheinbar - - der funktionellen Oto- logie ferner liegenden Gestaltspsyehologie dem otologisehen Leser n/~!aer zu bringen versuehen mSehte (und zwar die Gestaltspsychologie z. T. in offenbar engen Beziehungen der Gestalt spsyehologie zum ,,evil").

Gestaltspsyehologie und eoehleovestibul~ires ltiirprinzip (,,evil"). Der Begriff einer akustischen , ,Gestalt" 1/s sieh am ehesten ver-

stehen, wenn man die Melodie, wie es urspriinglieh v. ER~ENFELS tat, als eine akustisehe Gestalt betraehtet . Die dureh v. E~RENFELS in den Vordergrund geriiekte musikMisehe - - Gestalt - - der Melodie seheint nun bereits eine Sonderform akustiseher Gestalt zu sein, in welcher die Bedeutung des rhythmisehen Faktors eine dominierende I~olle spielt. I m g a h m e n des ,,eoehleovestib. HSrprinzips" ( , ,cvil") diirfte abet bereits ohne ,,l%hythmus", der, wie unten kurz e rSr te r t werden wird, als - - i s g h y t h m u s - - dem - - inneren Rhythmus - - des , ,evi l" gegeniibergestellt wird, ein akustiseher Gestat tstyp bestehen. t I ierbei soll keineswegs die Fruehtbarkei t und Notwendigkeit der Unter- suehnng des - - /s l~hythmus - - der akustischen Gestalt be- zweffelt werden. Es erseheint mir nun, der ieh nicht yon vornherein , ,gestalts"gebunden in der Analyse der Probleme vorging, einfacher, zungchst den guBeren Rhy~hmus aus der Analyse herauszulassen.

Die ph~nomenologische ursprtinglich nieht , ,gestalts"ansgeriehtete Analyse fiihrte reich sehlieBlieh zu der (freflieh zun~ehst hypothetisehen) t~olgerung, dab die , ,Konsonanz" kein rein ,,akustiseher", kein rein ton,,sehall"bedingter Proze8 zu sein seheint, sondern~_dag ein ton-

Neuorientierung in Problemen einer klinischen Neurologie des Ohres. II. 337

talctiler, ein H5r,/i~hl"faktor, mit hineinspielt. Wahrscheinlich ein tiefensensibler Fakr t t ier an eine Vestibularisbeteiligung zu denken, lag fiir reich umso n~her, da ich sehon mehrfach in meinen klinischen Beobachtungen und akustisch musikalischen Uberlegungen auf den Verdacht einer Mitwirkung ves~ibularer Reizung gestoBen war 1. Ich glaubte - - zun~chst - - aussehlieBen zu sollen, daft eehte vestibulare i~eizung, d.h. also unmittelbare Reizung des Vestibularapparates selbst bei der $onalen Rezeption mit in Frage kommt, weft der Vestibular- appara t offenbar nicht a u f - pitch - - abgest immt ist. Es mugte sich dann also um eine vestibulare Reizung innerhalb des Cortischen Organs handeln oder wenigstens um einen Vorgang, den ich dann sp/iter - - vestibular quMifizierte - - Reizung des Cortisehen Organs genannt habe.

Die phylogenetische Entwicklung der Cochlea aus der Lagena hot, wie frfiher mehrfach auseinandergesetzt wurde e, die Brficke zur Erkl/~rung.

Es handel~ sich m. E. bei der - - vestibular qualifizierten - - Wahr- nehmung der Schallvibrationen dureh die Cochlea um eine direkte Wahrnehmung der SehallweIlendichtigkeit, d .h . um ein psychophysio- logisehes ~quivalent der - - physikalischen Dichtiglceit - - der auf- einander folgenden Schallwellenvibrationseinheiten (Perioden). t t ierbei sei bemerkt, dag zwisehen psychologischer Tondichtigkeit und Frequenz ein proportionales Verhalten angenommen wird. Die Tondichtigkeit dtirfte i iberhaupt auch innerhalb des h6rsehallhaften It6rbereichs eine

- - latente - - Rolle spielen. Diese Rolle bleibt latent infolge der Dominanz der tonschallm~fiigen Frequenzen. (Freilich glaubte Verf. mehrfach yon h6hergradig tI6rgesehi~digten spontan angegebene, nicht schallhafte, Sensationen als eehte Sensationen und nieht als Sinnestguschungen bewerten zu dfirfen. Solehe Patienten, deren HSrverlust z. B. ffir eine Frequenz, sagen Mr, 60 db betrug, gaben u. U. sehon bei 40 oder 50 db an, ,,etwas zu merken", das aber kein richtiges , , t t6ren" w~tre. Ich bezeichnete das frfiher einmal als - - ,,priialcustische Phase" - - des It6rens.) AuBerhalb des tt6rschallbereichs, also in den tiefsten und h6chsten Frequenzen (unter etwa 18 Hz und fiber etwa 20000 tIz), seheint die Tondichtigkeit, auch unter h6rnormalen Bedingungen, einer yore Sehallklangh6ren isolier~en Beobachtung zug~nglich zu sein.

Somit scheinen also der Forschung zug/ingliche Unterlagen dafiir gegeben zu sein, daft tontaktile Fakgoren beim tISren eine Rolle spielen k6nnen, naehdem wir davon ausgingen, daft, aufter der Frequenzrelation, eine Relation der Schallwelleneinzelperioden ( - - , , S c h w e p " - - ) fiir den Eindruck der - - Konsonanz - - als best immend angesehen wurde. :Die - - physikalische Dichtigkeit - - der Schweps wird durch mehr oder weniger diehte Aufeinanderfolge yon - - Druckmaxima - - bedingt, welche mit dem Punkt der grSBten Velocitas der Schallwelle bei ihrem Durchgang dureh die Schallaehse zusammenh/ingen.

338 F. KOBRAK:

Ein durch die Ineinanderverwebung der Schweps zustande kommen- der - - , ,Innerer l~hythmus" - - (siehe Anhang D) macht sich nicht nur in der - - Konsonanz - - , sondern auch in der Tonfolge, der sogenannten - - , ,Personanz" - - geltend. Deren schalltaktile Zusammengeh6rigkeit

Bindung - - diirfte darauf beruhen, dab der zustande kommende - - vestibular qualifizierte und/oder vestibulare - - Reiz, wie jeder vesti- bulare t~eiz, tonisierend, d. h. nachwirkt, sei es, dal] den vestibular quali- fizierten Reeeptorstellen des Cortischen Organs phylogenetische bedingte tonisierende Eigenschaften innewohnen, sei es, dab es sieh um eine sehallbedingte Mitreizung des Vestibularapparates selbst (Sacculus) und eine auf diesem Wege vermittelte, offenbar im Kerngebiete fiber- geleitete, vestibular-tonische Stimulation der eochlearen Kernzentren handelt. Durch den tonisierenden - - bindenden - - Nacheffekt wird die (innerrhythmisch) ,,gestaltliche" Bindung der TSne - - trotz zeitlicher Trennung! - - , ermSglicht. Das seheint der Dienst d e s ,,Raumnerven": Vestibularis an dem ,,Zeitnerven":Cochlearis zu sein, wenn man (vgl. vorigen Aufsatz ,,I") die alte Cro~sche Einteflung der Raumzei tfunkt ion zwischen Vestibularis und Cochlearis in modifizierter Form wieder auf- leben lassen will. Zur Konsonanz und Personanz kommt als drit ter Faktor die - - ,,Insonanz" --hinzu: das heigt nach dem , ,evi l" werden die einzelnen Schweps nicht isoliert rezipiert und perzipiert , sondern - - gebunden - - auf Grund vestibularer Tonisierung, so dab den ein- zelnen Frequenzeinheiten, in ihrer Zusammensetzung aus Mikroperioden, e i n e - gebundene - - , dynamisch zusammenge[i~gte, Ordnung zukommt: ,,Insonanz", eine dynamisehe Ordnung, wie sie yon der Gestaltspsycho, logie, vor a l l e m optischen Sinneswahrnehmungen als charakteristiseb zugesprochen wird. Man kann sich wohl vorstellen, dab durch die (vestibular qualifizierte .oder evtl. auch direkt vestibular stimulierte) Insonanz erst ein dynamischer Zustand eintritt, welcher aus den Einzel- vibrationen, aus den einzelnen Schallwellenimpulsen (im oben erwghnten BfiK~su die Tonganzheit, bei 18 Hz, entstehen, es zu einer - - ,,Verschmelzung", ,,Fusion" - - der unterhalb 18 t tz einzeln wahr- genommenen SchalldruckstSl3e kommen l~gt.

Der wesentliehe Unterschied zwischen der (auf Grund des ,,cvH"), auf Bindunge~ sieh aufbauenden Analyse yon Tonmischung und Tonfolge einerseits und der z .Z . im Vordergrunde wissenschaftliehen Interesses stehenden elektrophysiologiseh-analytischen Zerstiiclclung des Tongeschehens andrerseits (es sei an das Charakterist ikum der den T o n f l u l ~ - u n t e r b r e c h e n d e n - gefrakti~rperiode der AktionsstrSme erinnertl), der wesentliehe Unterschied in dem Betrachtungsergebnis ist offenbar. Jede der beiden analytischen Methoden hat ihre Berechti- gung und ihre Aufgaben. Die psychologische Einstellung (z. B. , ,evi l") darf nicht die Grunds~tze elektrophysiologischer Experimentalergeb.

Neuorientierung in Problemen einer klinischen Neurologie des Ohres. II. 339

nisse iibersehen. Die psychologische Erforschung des H6rens daf t aber auch nicht die Phgnomene des Einzeltones in ihrer Bedeutung fiir den physiologisehen und psychologischen Au/bau des Gesamth6rprozesses fiberbewerten. Ebensowenig daf t die elektrophysiologische Forschungs- riehtung die psychologischen Analysen (vie]leicht als unmathematisch), beiseite sehieben, um so weniger deshalb, weft Vielleicht die Bezie- hungen zwischen psychologischer Betrachtungsweise nnd klinisch prak- t ischem H6rerleben viel enger nnd wichtiger sind als die Beziehungen zwischen gewissen elektrophysiologischen Teflergebnissen yon Beobach- tungen mit Einzelt6nen oder gar nur mit - - ,,Clicks"(!) - - .

Eine - - gebundene - - Zusammensetzung (aus den einzelnen Schweps) wurde Ms Frequenzganzheit oben er6rtert.

L~13t sich dieser Ganzheits-Charakter des Tones im Tonempfinden mit greifbareren Argumenten belegen?

Man kann sich vorstellen, dal3 die verschiedenen T6ne (Frequenz- ganzheiten) als verschiedene Gestalten empfunden werden, was aller- dings in ausgesprochenem Nag nur bei den Individuen zutrifft, welche mit dem sogenannten absoluten TongehSr begabt sind, wie wir bald noch besprechen werden. Ein (wie das ,,cvI-I" annimmt, vestibular-r~nmlich beeinfluBter) absoluter Tonsinn scheint nur bei mnsikalisch besonders gut Veranlagten wirklich ausgepr~gt zu sein, ebenso wie andere F/ihig- keitsformen yon musikalisch Hoehtalentierten (Spielen nach dem Geh6r, evtl. ohne richtige l\Totenkenntnis, yon relativ nieht ganz einfaehen Musikstfieken). Diese letztere, an sich recht hochwertige Leistung musikaliseher Reproduktion hat u. U., wie sehon im Aufsatz (I) erwghnt, wenig oder manehmal sogar sieher garniehts mit musikaliseher Intel- ligenz zu tun, sondern ist vielmehr verankert in (raumtaktilen) F/~hig- keiten, die, wie die - - Statik - - und deren z. T. vestibulare Regulation yon Automatismen beherrscht sind. (Deren Besonderheit in der musi- kalisehen Sensomotorik seheint bedingt zu sein durch die enge ana- tomisehe [und physiologisehe] Verbindung yon vesSibularer Funktion mit den dem Triebleben nahe verwandten Eigensehaften des vege- tativen NervensgsZems. Siehe Aufsatz I.)

Es 1/iBt sieh gerade gestaltspsyehologiseh his zu gewissem Grade verstehen, dag eine der Grundfunktionen musikMischer Begabung, die Differenzierung der verschiedenen T6ne, und so bis znm Grade ,,abso- lurer Tonempfindung", bei verschiedenen Individuen versehieden fein ausgebildet ist. Zur Illus~rierung der Beziehung zwischen absolutem Tonempfinden und gestaltspsyehologiseher Be~raehtungsweise m6ehte ich nut auf einige Punkte hinweisen. Wie die Fiihigkeit, Physiognomien zu unterseheiden, versehieden ist, oder die zeichnerisehe F/ihigkeit, die z. T, auf der - - gestaltlichen - - Begabung zu beruhen sehein~, k6rper- liehe Objekte in ihren einfaehen Konturen, Ges~Mtslinien, zu sehen, so

340 F. KOB~AX:

ist auch die Fghigkeit verschieden, Tgne als akustische - - Gestalten - - zu unterscheiden. Ffir den Unmusikalischen hat der einzelne Ton offenbar fiberhaupt keine Gestalt, so daI~ es ihm nicht mfglich ist, zwei T fne korrekt voneinander zu unterscheiden. Musikalisch Begabte nun mit sogenanntem absolutem Tonempfinden scheinen eine Gestaltsempfindung bei der Tonwahrnehmung zu haben, die es ihnen gestattet , den pitch jedes Tones als solchen zu empfinden. Ein Vergleich mit der Differential- empfindung der Farben ffihrt uns nicht viel weiter. Die gestaltspsycho- ]ogische Orientierung zeigt uns offenbar Neuland der Erkenntnis und fraglos auch (indirekt) praktischer Bet~tigung.

Die - - leider vorlaufig noch! - - dem funktionellen Otologen ferner liegende - - Tonmischung - - der Musik wird hoffentlich bald in seinen Arbeitsbereieh aufgenommen werden, obwohl eine nach dieser Richtung yon mir an maBgebender Stelle vorgebrachte Anregung, a]s die faeh- lichen Interessen in gewisser Beziehung zersplitternd, mit (wohlwollender) Ablehnung beantwortet wurde. Nun, die Tonmischung der Sprache setzt sich als Untersuchungsmethode yon t t f r s t f rungen in modernisierter, methodologisch-technisch wohl kontrollierter, Form immer mehr durch.

Auch hier bietet das , ,cvH" (Schizakusis!) Anregungen, da das , , cvH" als erkenntnistheoretische Verbindung zwischen physiologischer Akustik und Gestaltspsychologie wertvoll zu sein scheint, bier besonders in Sprachgeh5rs- und anderen zentralen t t f r s t f rungen , unter Betonung der vestibularen Komponente des, ,c .v.H.". Bei der Analyse zentraler Hf r - stfrungen3 von einigen yon P6TZL, ARNOLD U. a. beriehteten ~ l l e n wurde die Schlul~folgerung gezogen, dab - - vestibuli~re - - Reize einer , ,Hf r" - bahn fiber das - - Kleinhirn - - ver]aufen mfissen und in eine Art Senso- motorik des Hfrens eingeordnet werden kfnnen, in Anbetracht insbeson- dere der bemerkenswerten Beobachtungen A~NOLDS, PfTZLS u. a. fiber - - r~umliche - - H5rverschiebung (,,Alli~sthesie") bei bes t immten zentralen (nicht corticalen) Hfrs t f rungen . Es ist yon Interesse, dab in ]etzter Zeit bei tierexperimentell akustisch corticaler Reizung vom hinteren Wurm des - - Kleinhirns ! - - Akt ionsst r fme abgeleitet werden konnten 4.

Der in dem Aufsatz gemachte Versuch einer gestaltspsychologisch orientierten Darstellung konnte nur aphoristisch sein. Es sollte vor allem auch gezeigt werden, dab die Grundlage des ,,cochl. vestib. H6rprin- zips" der - - Gestaltspsychologie - - sehr nahe steht, wenn nieht in irgend einer Form in die Gestaltspsychologie eingeordnet werden kann. Doch fiber diese psychologische Frage mfissen sich die Psychologen iiu~ern.

Schlu~bemerkung. Die Gestaltspsychologie bedient sich einer Betrachtungsweise, an

weleher die Otologen leider bisher kein Interesse gezeigt haben. Die Elektrophysiologie beherrscht in der Neurologie des Ohres, wie in dem

Neuorientierung in Problemen einer klinischen Neurologie des Ohres. II. 341

einleitenden Kapitel des Aufsatzes gesagt wurde, das Feld. Die Ver- nachl/~ssigung der Psychologie ist nicht nur aus wissenschaft, lichen, son- dern auch aus praktisch therapeutisehen Grfinden zu bedauern. Der dureh die Gestaltspsychologie gegebene Faktor der - - Umorganisierbar- keit - - einer krankhaf t ver~nderten Sinnesrezeption und Sinnesperzep- tion yon Tonganzheiten dfirfte uns vielleicht mehr f6rdern als die Er- kennung dieses oder jenes Aktionsstromes yon Sinneseinzelreizen, die also aus ihrer - - Ganzheit - - , aus ihrem funktionellen Milieu heraus- genommen, isoliert sind. Die gestaltspsychologische Organisation und Umorganisation beruht auf der - - Ganzheit - - yon Sinnesempfindungen. Der wirklidhe Wer~ yon HSriibungen, z. B. yon H6rverbesserungen nach Fensterung ira Verlaufe erst yon Monaten (naeh Abklingen der ser6s labyrinthischen Ver/~nderungen der ersten Wochen), u. a. Probleme sind ein iiberaus wichtiges Gebiet der funktionellen Otologie, dessen einheit- liche Erfassung im R ahm en der Gestaltspsychologie in einem anderen Aufsatz behandelt werden soll.

Was seltsamerweise eigentlich noeh zu fehlen seheint, ist die Sehau einer genuinen - - klinischen Neurologie - - des Ohres, welche dem HSr- erleben unter normalen und pathologisehen Bedingungen Rechnung triigg. Eine wirkliche - - klinische - - Neurologie, welehe u. a. auch das wiehtige und aufschlul3reiehe Gebiet mangelhafter musikalischer Be- gabung, als eines Objektes der - - Pathologie des H6rens - - , zu erfassen haben wird, d/irfte den Frages~ellungen angewandter Psychotogie n/~her s t e h e n - - sollen ! - - , Ms manehen Fragestellungen und Teilergebnissen der experimentellen Physiologie, so grfindlich fundiert und allgemein wissen- sehaftlich aufschlul3reieh letz~ere aueh sein m6gen. Exl0erimentelle Physiologie und physikMisehe Mathematik nehmen zur Zeit eine ftihrende Stellung in der funktionell otologischen Forsehung ein. Sie sind mag- gebende HilJswissensehaften, deren die funktionelle Otologie ebenso- wenig entraten kann, wie der experimentellen Psyehologie (ich erinnere an die yon FISCH~R-Wo])AK vor 30 Jahren fiir die Vestibularpathologie gezogenen wertvollen Schlfisse aus der Lehre des , ,exakten Subjek- t ivismus" in der mensehlichen Sinnesphysiologie), wie der Itistologie (tIistoehemie), wie gewisser Zweige der Soziologie und P/~dagogik. Bei anthropologisch-psychologischer Einstellung der klinisehen Vertreter funk- tioneller Otologie wird sieh eine - - Umorientierung in den Problemen einer klinischen Neurologie des Ohres - - zwangsl~ufig ergeben mfissen.

Anhang. (A).

,,C.v.H" Der Begri// der ,,Konsonanz" im Gegensatz zu --,,Juxtasonanz" -- . Wenn ich jetzt retrospektiv die akustischen V6rg~nge, die ich im ,,c.v.H."

zu analysieren versuchte, betrachte, so glaube ich sagen zu diirfen, dab der - - akustische Gestalt~typ - - bereits bei den reinen pitch-Relationen (TonhShe)

342 F. KOBRAK:

besteht , d . h . a l s o - ohne - - d i e Notwendlgkeit der Komponente eines - - ~ul~eren - - Rhythmus . Das ,,c.v.H." ging ursprfinglich (wohlgemerkt: ohne einen , ,Gestalts"- eharakter ins Auge zu fassen, da dem Verf. damals die Grundziige der Lehre der Gestaltspsyehologie so gut wie unbekann t waren) yon einem Sonderfall der pitch-Relation, der - - Konsonanz - - aus. Durch Selbst- beobachtung wurde versuch% zu analysieren, worin die Eigenar t der tonalen , ,Konsonanz" bestehe, da die bisherigen ,,Erkli~rungen", wie z .B . ,,VerschmeL zung", , ,Einheit l ichkeit" usw. keine Erkl~rungen, sondern nu t Umschreibungen :zu sein sehienen. Ich habe beim AnhSrea erstklassig dargebotener polyphoner 5~usik (Radio) systematiseh reich nieht auf die Gesamtform des Musikwerkes konzentriert , sondern auf die - - rein tonalen - - Eindriicke yon gleichzeitig er- kl ingenden Tiinen (harmonische Konzonanz) und yon aufeinanderfolgenden TSnen (Melodie). Ich legte mir zunachst die Frage vor, worauf kann ich es in - - primi- tiver - - Weise zuriickfiihren, dal3 gleichzeitig klingende TSne nicht nur - - juxta- sonant - - , sondern eben - - , ,konsonant" - - erscheinen, worin also ph~nomeno- logiseh die eigenartige Verschmelzung besteht , welche der , ,Konsonanz" yon TSnen jene Einheit l iehkeit verleiht, die dem bloBen Nebeneinanderkl ingen der TSne (Juxtasonanz) nicht eigen ist.

(B) . Der ton,,tal~tile" Fa]ctor in ,,Konsonanz" (c.v.H.).

Wie sollte nun das tiefensensible - - HSr,,ffihlen" - - bei der Rezeption der Schallwe]lenvibrationen zustande kommen.

Die ,,Juxtasonanz" der TSne glaubte ich auf eine gleiehzeitige Rezeption der Sehallwellen,,frequenzen" als einer - - E i n h e i t - - (wenn man so will, als einer - - Sehall- we]len,,gestalt" 1 - - ) zurfiekfiihren zu diirfen. Bei der , ,Konsonanz" jedoch seheint es sieh um eine noch viel engere und feinere Ineinanderverwebung - - gleiehzeitig - - rezipierter Sehal]wellenvibrationen zu handcln, um die Verwebung n~mlieh der Einzelvibrat ionen, Einzelperioden der Sch~llwellensysteme mite inander und in- einander. Dal3 nicht nur die Frequenzganzheiten, sondern auch die einzelnen Schallwellenvibrationen rezipiert (und perzipiert) werden kbnnen, zeigte B~K~sr , ohne daraus in unserem Sinne weitere tonpsyehologisehe Folgerungen zu ziehen. Wenn nicht ein tonschallhafter , sondern ein tontaIctiler Fak to r (HSr,,ffihlen"!) hicrbei eine Rolle spielt, so interessiert die Frage, u m welehen tontakt f len Fak to r es sieh wohl handeln k5nnen.

(c). Das Frequenzspe]ctrum unterhalb etwa 18 Hz und oberhalb etwa 20000 Hz.

Unterha lb 18 t t z konnte B]~K~Su mit exzessiv intensiven Schallvibrat ionen Einzelpulsat ionen bei der Vp. nachweisen, die bei und oberhalb 18 Hz verschmolzen, also, wie man wohl sagen darf, zur Frequenzganzheit, zur - - Frequenz, ,gestal t" - - wurden. Oberhalb etwa 20000 Hz, also in den hSehsten Tonlagen des Sehall- spektrums, ist es mSglich, noch Qualit~ten yon Schallfrequenzen zu unterscheiden, aber nieht mehr auf der Grundlage yon p i t ch , sondern yon - - Diehtigkeit - - , oder, wie man aueh sagen diirfte- nicht mehr au f der Grundlage yon Pitchgeh6r, sondern yon Pitchge/i~hl.

(D). ,,C.v.H.": Die Verschiebung der Schallwelleneinzelperioden im Konl~ord. - -

Der Begri//: ,,Innerer Rhythmus". Die Dichtigkeitswerte stellen sich, wie hier auf Grund frtiherer ausfiihrlieherer

Darstel lung der Verh&ltnisse nur rekapi tul ierend gesagt sei; als Mikrodruelce dar, deren , ,Rhythmus" verschieden ffir die verschiedenen Konsonanzen ist. Das ergibt

Neuorientierung in Problemen einer klinischen Neurologie des Ohres. IL 343

:sich aus der ganz einfaehen reehnerischen Analyse der Zahlenrelat ionen der Inter- valle, z. B. Quinte (2:3). Wenn man den (Maximaldruek-)t~hythmus der 2 bzw. 3 Schl/~ge je Sekunde graphisch derart untereinander stellt, dab am Ende der Fre- quenzganzhei t die Zwei- und Drei takter ver t ikal untere inander ausgerichtet sind, so ergibt sich zwischen diesen Ausriehtungsstel len eine Zwischenperiode der Ver- .schiebung der dichtigkeits-,,rhythmischen" Sch]/~ge gegeneinander. In groBen Zfigen scheint zu resultieren, dab bei dem Zusammenklingen zweier , ,konsonanter" TSne Verschiebungen zwisehen den Druckrhy thmen der Vibrationszfige der zwei T6ne gegenehmnder stat t f inden, die um so komplizierter (bei graphischer Darstel- lung umso unfibersiehtlicher) sind, je - - , ,dissonanter" - - der Konkord klingt. Diese Eigenschaft trifft zwar nicht als Gesetzmgl]igkeit ffir alle Interval le zu, scheint aber auf vier oder ffinf Konsonanzen (Quint, Terz, Quart, Sext) anwend- bar zu sein. Das geht u . a . aus einem Vergleich der Ubersichtl ichkeit der durch alas , ,c.v.H." gefundenen Dissonanzkurven mit den yon SsAsgoaE festgestellten Graden gr~iBerer oder geringerer Konsonanz (also aueh Dissonanz) hervor.

Auch der - - Gleich,,klang" - - der Oktave 15st sich bei dieser Betraehtungs- weise nieht als ein tonschallhaftes, sondern als ein tonales - - , , innerrhythmisches"

- - Ph/~nomen ~uf, als eine innerrhythmische Tongestalt. Innerer und/ iuBerer Rhy th - mus seheinen in einem gegenseitigen Abh.~ngigkeitsverh/iltnis zueinander zu stehen. Daffir sprieht z. B. die Melodienfindung auf Grund eines zuerst im musika- ]ischen Bewul]tsein aufgetauchten Rhythmus . Daffir spricht, dab nicht jede 1Vfelodie jeden Rhy thmus ver t ragt , so sehr dieses musikkulturwidrige Exper iment auch dutch eine gewisse Uberver jazzung den t tSrern als alltggliehe Unterhal tungs- musik aufzutischen versueht wird.

(E). Der Hochmusikalische. Sein ,,absolutes Tonemp/inden". - - Der Unmusikalische.

DaB ein - - gestaltl icher - - Eindruck bei der absoluten Tonempfindung eine wesentliche Rolle spielen dfirfte, scheint folgender Fall zu zeigen, den ich jfingst zu sehen Gelegenheit ha t te . E in Doktor der Musikwissenschaften machte reich auf folgende Eigentfimlichkeit seines - - absoluten Tonempfindcns - - au~'merksam. Es ware ihm wohl in der Mehrzahl der ibm gestellten Aufgaben m6glich, den pi tch a u f Grund seines absoluten Tonempfindens richtig anzugeben, wenn der Pri i f ton als - - Einzel ton - - auf dem K1avier angeschlagen werde. So gut wie immer, also mi t fast a b s o h t e r Treffsicherheit aber sei er dessen f~hig, wenn der betreffende Tes t ton im - - Dreiklangakkord - - geboten werde. I s t nicht in dieser Beobachtung ein Beweis daffir zu erblicken, mindestens ein wertvoller Hinweis darauf, dab - - entsprechend einem der Haupt lehrs~tze der Gestaltspsychologie - - , die Teilreize (in unserem Falle der Einzelton) eine Funk t ion der Ganzgestal t und nicht die Ganzgestal tsempfindung eine Funk t ion der Einzelreizempfindung ist?

E in Gegenstfick (r~umlich) gestalt l ichen Tonempfindens: - - E in funktionell otologisch sehr versierter Fachkollege ber ichtete mir fiber seinen ,,Mangel an musikalischer Begabung ~ Ich fragte ihn, oh er Musik, wie z. B. ein anderer zeich- nerisch besonders ta lent ier ter Kollege mir versicherte, als unangenehmes Ger~usch empfinde. Keineswegs, meinte er. E r h~t te in Wien stets mi t GenuB die Oper besucht. Worin bes tand der GenuB, fragte ich ihn. Er sagte: Abgesehen yon den szenischen Vorg/~ngen, h~t te er an der rhy thmischen Bewegung der )~usik eine ausgesprochene Freude. Das sei doch abet , wandte ich ein, nu r ein sehr simples musikalisches Empfinden ohne musikalisch ~sthetischen Einschlag. Durchaus nicht, erwiderte er, sich gegen meinen Einwand mit Nachdruck verwahrend, er h~ t t e nicht nur eine grebe Freude, sondern einen ~sthetischen Genul3 daran, zu empfinden, wie die aufeinander folgenden TSne sich - - ,,bewegen ~ - - . Ich sehe

344 F. KO~A~K:

noch heute, viele Jahre nach dieser mit ihm in London gehabten Unterhaltung, wie er diese Empfindung dadurch unterstrich, da~ er sich erhob und mit seinem Arme eine Art wellenfSrmiger Bewegungen auf und nieder machte, die er mit wiegenden Bewegungen seines KSrpers begleRete.

Literatur. 1 F. Ko~aAK: J. Lar. and Otol, 59, 5, 174/75 (1944). - - 2 F. KOB~AK: Arch.

Ohr- usw. Heilk. 157, 650 (1951). - - a F. KO~RA~:: Arch. Ohr- usw. Heilk. 157, 666 (1951). - - a tIAMPso~r J. L.: g. Neurophysiol. 12, 37 (1949).

III. t~ber ,,Cochleare Kompensation" des HSrens.

W~hrend meiner T~tigkeit an der Ohrenklinik des University College Hospital in London habe ich fiber Jahre hin Patienten mit de- generativer SchwerhSrigkeit laufenden Kontrolluntersnchungen unter: worfen, um festzustellen, ob und-bis zu welchem Grade sich diese Schwer- hSrigkeitsformen medikamentSs beeinflussen lieBen. Die Art und In- dikationsstellung in der Wahl der Medikamente kann hier unerSrtert bleiben. Fiir unsere Betrachtung ist nur das Gesamtergebnis yon Inter- esse. Die Patienten lieBen sich in 3 Gruppen teilen. 1. Sie berichteten fiber eine Verschlechterung des GehSrs, was sich durch HSrprfifung be- st~tigen lieB. Gruppe 2 meinte, es sei keine Ver~nderung im GehSr ein- getreten. Gruppe 3 gab an, ihr GehSr sei ,,besser" geworden. Die An- gaben der Gruppe 2 stimmten mit der H6rkontrolle iiberein, welche zeigte, dag keine (nennenswerte) Ver~nderung eingetreten sei. Jedoch die Angaben der Gruppe 3 liegen sich im allgemeinen nicht best~tigen. Patienten, welche meinten, ,,besser zu hSren" , was sich ja naturgem~g im wesentliohen auf das SprachgehSr bezog, hatten zwar keine Ver- schlechterung, aber auch keine wirkliche erw~hnenswerte Besserung ihres ReintonhSrens (fibliche Schwellenwertsaudiometrie) zu verzeichnen. Sprachpriifungen konnten leider nur in einer Form ausgefiihrt werden, die fiir die vergleichende Bewertung fortlaufender Testergebnisse nicht beweiskr~ftig ist. Auf Grund der t~eintonprfifungen konnte man also nur so viel sagen: ---Es schien bei Gruppe 3 ebenso wie bei Gruppe 2 ein - - Sti l ls tand im degenerativen Prozefl - - eingetreten zu sein.

Aus diesen Betrachtungen wurde der SchluB gezogen 1, dab man beim HSren einen Untersehied zwischen HSr,sensi t iv i ty ' und HSr,ef j i - ciency' machen mfisse, wobei HSrsensitivity wohl am besten als - - Rein- tonsensi t iv i t~t - - , HSrefficiency als - - HSrlcomplexle is tung - - definiert werden kann. Wie man sich diese HSrkomplexleistung (,efficiency')vor- stellen sol], konnte Verfasser damals nur in Umrissen - - vermuten - - , aber nicht wirklich verstehen, da ihm die Grundzfige der im vorigen Auf- satz (II) erSrterten Gestaltspsychologie noch fast unbekannt waren. Es

Neuorientierung in Problemen einer klinischen Neurologie des 0hres. III . 345

geht aber aus dem, was Verfasser damals (1943) fiber die ,Compensation' des HSrens schrieb, hervor, dal] seine (Jberlegungen sieh auf den Bahnen der Betrachtungsweise der Gestaltspsychologie bewegt haben. Verfasser schrieb (bei fast wortgetreuer ]Sberses des englischen Textes, p 441):

, ,In der Beurteilung der ttSr,efficiency' ist die - - Verwertungsf~hig- keit - - der noch zur Verffigung stehenden ,HSrsensitivity' yon Wichtig- keit. Die ,efficiency' beruht nicht nur auf Sensitiviti~t yon Schwellen- werten, sondern auf D~mpfung und psychologischen Faktoren." (Hier sei bemerkt , dab Verfasser bereits 1942 in den Proceedings of Roy. Soc. of Medicine, Section of Otology darauf hingewiesen hat, dal3 die Binnen- ohrmuskeld~mpfung keine rein abdrosselnde , sondern eine Art korrektiver Di~mp]ung sein mfisse.),,Die ,efficiency' beruht also auf einer Art y o n - Kompensat ion - - . Die Kompensat ion des Sinnesorgans durch ein anderes Sinnesorgan, infolge Nachlassens oder Ausfalls der Funkt ion eines ge- sch~digten Sinnesorgans, ist allgemein bekannt. In unseren Beobachtun- gen haben wit es aber his zu einem gewissen Grade mit der - - senso- rischen Kompensat ion in einem Sinnesorgan - - zu tun, wenn ein Teil yon ihm mehr oder weniger funktionsgesch~digt ist. Der fnnktionstiichtig bleibende Tell p a s t s ich einer neuen funktionellen Situation an." (Eng- lischer T e x t : ' T h e surviving par t adjusts to a new functional situation. ') ,,Aber eine solche Anpassung kann nicht eintreten, solange noch kon- tinuierliche Xnderungen in der Funkt ion vorkommen. Der Stillstand eines fortschreitendes Prozesses (,stabilization') gew~hrt dem Organ eine Ruhepause u n d d a m i t die MSglichkeit einer Anpassung und Kompen- sat ion" ( 'adjustment and compensation').

Es wurde also hier ffir das Cortische Organ und Cochlearnervsystem eine Art funktioneller - - Umorganisation - - angenommen, die, wie dem Verfasser erst jfingst bekannt wurde, ffir das Sehen der Hemianoptischen "con K. GOLDSTEI~ 2 beschrieben worden war. Wie GOLDSTEIN land, zen- trieren t temianoptische ihr genaues Sehen nicht im Gebiete der Fovea centralis, sondern etwas leteral oder medial davon, je nachdem es sich um eine rechtsseitige oder linksseitige t temianopsie handelt. Die Ein- stellung auf eine neue - - funktionelle - - area centralis an Stelle der alten - - anatomischen - - fovea centralis lieB sich durch gestaltspsychologisch eingerichtete optische Experimente zeigen.

Man kann sich nun wohl vorstellen, da$ auch der degenerativ Schwer- hSrige sein HSren urn eine neue area centralis, um eine neue akustisehe Achse des schi~rfsten HSrens herum (also unterhalb oder oberhalb eines 10O0 Herz-Bereichs) - - um/ormiert - - , vorausgesetzt, dal3 der degene- rat ive Proze$ keine nennenswerten Fortschri t te mehr macht und vor allem auch nicht h/iufigen Schwankungen unterworfen ist, kurz, da$ also eine gewisse Stabilisierung eingetreten ist, wie eingangs dieses Aufsatzes auseinandergesetzt wurde.

346 F. Ko~AK:

Die yon uns oben genannte Gruppe 3, welche objekt ive - - ReintSne: - - bei gewShnlicher Schwellenwertspriifung k a u m oder gar nicht besser hSrte, aber die Umgangssprache besser zu hSren angab, Pat ienten, bei denen aber sicherlich keine , ,Schizakusis" vorlag mit ihrer recht massiven Diskrepanz zwischen ReintonhSren und fiblicher Sprachprf i fung: diese Gruppe (3) ha t t e es offenbar gelernt, d u r c h - U m f o r m u n g - des HSrens (urn eine vermut l ich neue HSraehse herum) wieder zu einer leidlichen HSrform, einer verwer tbaren - - akust isehen Gestalt - - zu gelangen. Diese F~higkeit zu funktionelier Transformat ion h a t offenbar der Gruppe (2) gefehlt. Solehe Beobaeh tungen kSnnen leicht y o n einem mechanist isch auf die Einzelfrequenzen des Sehwel lenwertaudiogramms eingeschworenen Otologen als unverwer tbare Beobachtungs t~usehungen oder dergleichen beiseite geschoben werden. Solche Beobach tungen soll- ten aber vielmehr dem 0 to logen eine Mahnung sein, n icht die fiblichen l~eintonhSrkurven zu fiberseh~tzen, sondern dem HSren als einem - - HSrerlebnis - - seine Beach tung zu schenken, nicht nu t mathemat i sch- physikalisehe, sondern auch psychologisch-physiologische (~berlegungen in seinen Interessen- und Urteilskreis aufzunehmen, eine Warnung , welche durch un ten erw~hnte Beobach tungen LANGENBECKS nachdri ick- lich unters t r ichen wird.

Solehe Beobach tungen sollten ffir den funktionellen Otologen die Notwendigkei t ergeben, sieh den - - psychologischen - - l%agen der Sinnesphysiologie, die leider im Gesamt rahmen der Forschung fast ganz in den Hin te rg rund getreten zu sein seheinen, wieder e ingehender zu- zuwenden !

Am ehesten diirfte diese Renaissance der akustischen Psychophysiologie yon Seiten der Phoniater zu erwarten sein, die j~ neurologischen und psychologischen iJberlegungen nicht fremd gegeniiberstehen. Eine yon mir dahin gehende An- regung, die Phoniatrie mit der Oktiatrie, der Lehre yore nervus 6uT5~, als - - , , P h o n o k t i a t r i e " - - zu vereinen, wurde zwar yon maBgebendster Seite (wohl- wollend) abgelehnt. Trotzdem bringe ich diese Forderung hier nochmals mit allem Nachdruck vor. Das Interesse der Otologen an der - - Psychologie - - m u f f geweckt und gehoben werden. I)enn die gestaltspsychologische Arbeitsrichtung scheint fiir die Otologie yon besonderen, nicht nut wissenschaftlich theoretischer, sondern auch praktisch-therapeutischer Wichtigkeit zu sein. Psychologische Einstellung getattet uns, zu t~glichen Fragen der HSrbeurteilung einen viel lebensn~heren Standpunkt einzunehmen als es auf Grund eines zwar wertvollen, aber immerhin doch einseitigen HSrverlustaudiogramms oder selbst auf Grund komplizierter Ergebnisse yon Reintonpriifungen mSglich ist, so sehr diese z.B. fiir topische Differentialdiagnose unentbehrlich sin&

Die yon V. vo~ U~BA~TSC~ITSC~ fiir Taubs tumme mit t tSr res ten seiner Zeit (1896) empfohlenen HSri ibungen erscheinen uns in einer neuen Perspektive, wenn wir die Grundlage solcher HSrf ibungen gestalts- psychologiseh betrachten. Infolge unserer histologischen Sehulung in der Beurtei lung pathologischer Vorgange im Innenohr bei heredi tar degene-

Neuorientierung in Problemen einer klinischen Neurologie des 0hres. IIL 347

rat iver SchwerhSrigkeit, waren wir wohl zu sehr geneigt, an die ErSrte- rung des Problems der erw~hnten H5riibungen mit einem gewissen thera- peutischen Pessimismus heranzugehen, da man sich sagte, da~ die histo- logischen Defekte der - - einzelnen - - ergriffenen Sinnesze]len und ihrer Nervenbahnen durch ~bung nicht wieder zum Leben erweckt werden kSnnen. Die gestaltspsychologische Betrachtungsweise gesta t te t uns aber, an die Frage mit therapeutischem Optimismus heranzutreten, wenn man sich darauf sttitzt, dal~ sich (aus zwar weniger und schlechteren Einzelelementen) im Endeffekt eine neue HSrform, HSrgestal t bilden kSnne, die natiirlich der urspriinglichen nicht gleichwertig ist, aber mehr leistet, eine grS~ere ttSr,efficiency' erzielt als wenn die zurfickgebliebenen einzelnen Teile in einer Art akustisch amorphen Zustandes ungeformt, ungestaltet blieben. Soweit es eben nicht - - spontan - - zu Umformierun- gen nach Stabilisierung degenerativer HSrnerverkrankungen kommt , wie wir oben erSrterten, diirften systematische HSrfibungen (also nicht nut bci Taubstummen, wie ursprfinglich yon U~BA~SCJ~WSCH empfoh- len), am Platze sein. In USA sind, wie aus dem yon DAWS herausgegebe- hen Buch fiber ,,GehSr und Taubhei t" (,Hearing and Deafness' ,Murray Hill Books Inc., New York, Toronto) hervorgeht, HSriibnngen besonders unter FShrung yon SILWS~A~ u. a. eine selbstverst~ndliche Pr~xis zur Verbesserung des GehSrs oder der Geh5rsausnutzung bei Prothesen- tragern, r e g e l m ~ i g aber auch im Zuge der Rehabil i tat ionsbestrebungen der durch den Krieg HSrgesch~digten. Es mSgen bei den HSrfibungen Faktoren eines ,,HSrtonus", wobei u. a. der Binnenohrmuskeltonus eine gol le spielen dfirfte, yon Bedeutung sein. Ganz besonders wohl aber k o m m t eben das gestaltspsychologische Moment der Anpal~barkeit an neues HSr,sensit ivity 'bedingungen in Frage, eine Transformierungsfithig- keit, ja vielleicht bis zu gewissem Grade eine Transformierungstendenz zur Herstellung oder Wiederherstellung eines (gestaltspsychologisch be- trachtet) inh~renten sensorischen Ordnungsprinzips : - - Cochleare Kom- pensation - - .

Die F~higkeit und Tendenz bei erworbener degenerativer Schwer- hSrigkeit zu akustischer Umorganisation, ,,cochlearer Kompensat ion" , zur Anpassung an die Gesamtform, die - - Ganzgestalt - - einer neuen dynamischen Schalldruckverteilung der die ,efficiency' zusammensetzen- den Einzeldrucke der HSr,sensit ivity ' ist sicher individuell sehr ver- schieden. Diese F~higkeit nnd Tendenz kommt u. ~. dann zum Ausdruck, wenn Pat ienten einen elektrischen HSr~pparat zu tragen beginnen und durch ihn aus ihrer HSrisoliertheit, aus ihrer HSrinaktivi t~t befreit wer- den. Bei manchem Tr~ger solcher Apparate spielt sich die cochleare Kompensat ion spontan ein, bei ~nderen bedarf es der Nachhilfe der oben erSrterten systematischen Ubungen. Wenn die spontane cochleare Kompensat ion bei dem Tr~ger des Apparates gut fortschreitet, d a n a

348 F. Ko~AK:

kann es dazu kommen, worauf jfingst wieder MEYEr-Hamburg auf dem HNO-KongreB in Bremen hingewiesen hat, dal~ solche Patienten, wenn sie eine Zeit lang den Appara t getragen haben, den Eindruck haben, auch ohne Appara t besser als vor Benutzung der Prothese zu hSren. Das h~ngt offenbar damit zusammen, dab die Pat ienten mit Hilfe des HSrapparates ihr GehSr zu ,,iiben" in der Lage waren unter Einsehlul~ intelligenz- bedingter Einfiiisse. Diese Pat ienten erfahren also, bei sachgem~tl~er Ad- justierung des Apparates nicht nut eine dynamische Ausgleichung der Schalldrucke der Einzelfrequenzen, sondern (gestaltspsychologisch ge- sehen) ein Wiedervertrautwerden mit Sehallbfldern, die nur aul~er 0"bung gekommen sein mSgen, zum Tell aber und vielleicht zum fiber- wiegenden Tefl durch die Anpassung des GehSrs an eine neue funktionelle Situation, unter der (vermuteten) Verlagerung einer funktionellen area acustica sch~rfsten HSrens.

Hierher gehSrt meines Erachtens eine sehr interessante Beobachtung LANGENBECKS, die zu einem Meisterstiick therapeutisehen KSnnens, er- worbenen - - und intuitiven ! - - Wissens in der Physiologisehen Akustik, j a u m die Physiologisehe Akustik ftihrte 3. L~rG~B:~CK begegnete einem Typ yon Pat ienten mit degenerativer SehwerhSrigkeit, denen pro- thetisch nicht zu helfen war, wenn ihnen sehematisch naeh dem H S r - verlustaudiogramm (fibliehen Schwellenwertsaudiogramm) eine H6r- prothese angepal~t wurde. Denn trotz sorgfgltiger prothetiseher Aus- fiillung der HSrliicken in den Einzel tSnen war bei diesem LA~GE~BnCX- Typ das akustische Gesamtbfld zu ,,hell". Die akustische - - Gestalt - - war, wie der Pat ient sich ausdriickte, ,,nieht dunkel genug". Dadurch, dag die an sieh ,,dunkleren" tiefen Einzelt6ne in dem Gesamtbilde der Tonmischung: Spraehe nieht genug hervortraten, bier also eine Art - - cochlearer t t6rblendenwirkung - - dureh tiefe T6ne in eventueller Er- g~nzung der in Reiehenhall (1952) ~ diskutierten Binnenohrmuskel- blendenwirkung, erschien die - - Ganzgestalt - - der Sprache irgendwie verzerrt. Die Ursache dieser Verzerrung kam aber nieht eben im/ibliehen Schwellenwertsaudiogramm heraus, sondern erst durch eine best immte Form der oberschwelligen Kurve im LA~OEZ~BECKsehen Ger~iusehaudio- gramm. LANOENBECK stand hier (1949) an der Schwe]le der Gestalts- psyehologie, ebenso wie Verfasser (1943) mit der Aufstellung des Prinzips einer ,,cochlearen Kompensat ion" 'des H6rens, ohne dab wir beide uns dessen bewul~t waren. )lilt dem Schliissel der Gestaltspsychologie nun scheint es m6glieh zu sein, das Sehlol~ zu dem Schreine des Geheimnisses des HSrerlebens zu 5ffnen, wie durch Ba~K~s~ u. R~tNKE das Tor zu der Kammer physikalisch-physiologischer Vorgi~nge weiter als bisher ge- 5ffnet wurde. Mit dem Gebrauch beider Sehliissel wird sieh d e r m i t HSr- therapie besch~ftigte Otologe ver t raut maehen miissen. Es ist yon Inter- esse, dab die (gestaltspsyehologisch gesehene) akustisehe MiBgestalt des

Neuorientierung in Problemen einer klinischen Neurologie des Ohres. III. 349

H6rens des LA~GE~BECK-Typs sich nicht im fiblichen Schwellenwerts-, sondern erst im Oberschwellenwertsaudiogramm offenbarte, und dab das intuitive Erfassen dieser Situation LANGENBECK dazu veranlagte, den St5rbereich prothetisch abzudrosseln, wonach die gewfinschte HSr- besserung eintrat. Ein grunds/~tzlicher Unterschied zwischen schwelligem und oberschwelligem HSren kann meines Erachtens (nach dem ,,cvH") auch darin bestehen, dab erst der 0berschwellenbereich die akustische Gestalt erfagt: Man kann sich das so vorstellen, dag die Schwellenwerte vorwiegend (oder a]lein) schallha[t cochlear bcdingt sind, w~hrend erst die oberschwelligen Werte mehr ta]ctil vestibular werden. Ffir diese Annahme spricht die tierexperimentell gefundene Tatsache, dag der Schwellen- wert der inneren und ~ugeren Itaarzel]en verschieden zu sein scheint. Der .~r der Schwellenwertaudiogramme wfirde daher im Sinne des coch- learen vestibularen HSrprozesses darin bestehen, dal~ sie nur das reine ,,schallhafte" ItSren erfassen, ohne fiber den offenbar viel wesentlicheren Tefl des H6rprozesses etwas auszusagen.

Im Aufsatz IV werden wit zu der Schlugfolgerung gelangen, dab das ,,schallhafte" HSren iiberhaupt nicht der wesentliche oder charakte- ristischste Teil des tt5rens zu sein scheint, so dag also Audiogramme, we]che nur die iiblichen Schwellenwerte anzeigen, uns in der Information fiber die - - wesentlichen - - Faktoren des HSrens im Stiche lassen mtissen. Das geht ja aus F~llen, wie denen des LA~GENBEcK-Typs, zur Genfige hervor und ist durch eine Ger/~uschaudiometrie bewiesen, welche z. B. in einem hohen Frequenzbereich besondere Anomalien an- zeigte, die bei der gew6hnlichen Sehwellenwertsaudiometrie verborgen blieben ! Wenn in F~llen vom LANGE~BECK-Typ bereits eine ,,eochleare Kompensation" oder wenigstens eine Tendenz dazu im Gange war, welche der pathologischen H5rsituation besser gerecht wurde als das re]ativ primitive Audiogramm des Ohrenarztes, das sich lediglich auf Schwellenwerte stfitzte, dann wird eine nach diesem Audiograinm an- gepal3te H6rprothese den spontan quasi auf ttSrbesserung eingestellten Patienten nicht unterstiitzen, sondern st6ren, indem die Prothese die in Umformierung begriffene, eine Neuordnung anstrebende eochleare Kom- pensation in Unordnung bringt !

Wit sehen uus also durch die gestaltspsychologische Betrachtung des H5rprozesses und durch die Einffihrung des auf Umformierung beruhenden Begriffs einer - - ,,Cochlearen Kompensation" - - nicht nur neuen wissenschaftlichen Fragestellungen der tISrphysiologie gegeniiber, die eine notwendige Erg~nzung zu der mathematisch-physikalisch be- tonten Erforschung der Reintonfunktion sein dtirfte, wir begegnen bier auch durchaus praktischen Fragestellungen der SchwerhSrigkeitsthera- pie, welche es rechtfertigen, dem Funktionelle Otologie treibenden Ohrenarzte zu empfeh]en, fiber die ffir die ,,Cochleare Kompensation"

Arch, Ohr- usw. ]Keilk. 11. Z. l:[als- usw. Heilk., Bd. 162. 2 4

350 F. Ko~RAx:

in Be t rach t k o m m e n d e n Grundlagen der Gestaltspsychologie u n d auch fiber die Betrachtungsweise des , , c vH" sich eine orient ierende In forma- t ion zu verschaffen.

Ads Beispiel gestaltspsychologisch bedingter kompensator ischer MSg- l ichkeiten yon HSrf ibungen mSehte ich kurz den folgenden Fa l l aus

d e m Gebiete musil~alischer HSrstSrung anfiihren, fiber deren Einzel- he i ten hoffentlich der Pa t i en t e inmal selbst ber ich ten wird:

Joseph L., Neurologe, ]eider an Presbyakusis. Er klagte z. Z., als ieh ihn fiber einen Zeitraum yon Jahren beobachtete, erstens fiber SchwerhSrigkeit in der Unterhaltung, zweitens aber, was ihn sehr deprimierte, fiber zunehmende Unf~hig- keit, Musik zu hSren. Selbst wenn er die Sendung am Radio schallstark genug einstellte, erschienen ihm die in ihren Einzelheiten seit Jahrzehnten wohlvertrauten Werke so verzerrt und fremd, dab er schliei~lieh auf das ttSren yon Musik ver- ziehten mui3te. Nach langer Zeit musikalischer Abstinenz versuchte er dann doch wieder Musik zu hSren, und es gelang ihm, erst durch HSren yon einfachen, dann von etwas komplizierteren Werken ein Wiedererkennen der alten, ibm einst so vertrauten musikaiischen SchSpfungen, - - ,,Gestalten" - - , zu erreichen und sein musikalisches GehSr so welt aufzubauen, d.h. im Sinne einer ,,eoehlearen Kom- pensation" umzubauen, dal~ ihm das AnhSren yon ~[usik wieder Genul~ bereitete.

Literatur. 1 ~. KOB~A~: J. Laryng. a. Otol. 58, 11, 441, Teil I (1943) yon ,,Functional

Pathology of the Ear". - - ~ Der Aufbau des Organismus. ttaag 1934. Zit. bei KATZ, Gestalt Psykologi, Stockholm 1947. - - 3 F. Ko~A~:: Z. Laryng. 28, 10, 464 (1949). - - 4 F. KOB~AK: Kongrel~bericht 1952 Arch. Ohr- usw. Heilk. 161, 34I (1952).

IV.

Ist unser basales musikalisches Hiiren mehr , , s cha l lk l anghaW' oder mehr , ,schall takti l ''~.

(Als weiterer Beitrag zum Cochleovestibularen ]:ISrprinzip ,,cvH".)

/ )as , , c v t t " , fiber dessen Einzelhei ten in frfiheren Arbe i ten nach- ge]esen werden k a n n 1, n i m m t an, dab unser HSren zum Teil sehallklang- haft , zum Teil aber schal l takt i l ist. Das , ,cvH" unterscheide t zwisehen einem - - , ,HSrh6ren" - - u n d einem - - , ,HSrfi~hlen" - - . Die takt i le (tiefensensible) Eigenschaft des HSrens ist erkl~rbar durch die phylo- genetische E n t s t e h u n g der Cochlea aus der Lagena (Sacculus). Das , , c y H " n i m m t ffir die Cochlea selbst ein (phylogenetisch bedingtes) - - ves t ibular qualifiziertes - - HiSren an. Zu diesem schallhaften u n d schall- tak~flen ]-I6ren der Cochlea gesellen sich im Saeeulus nichtsehallhafte , sondern nu r takt i le Reize hinzu, we]che durch Ve rb indungsbahnen im H i r n s t a m m (H~LDsche Bahnen) yon dem vest ibul~ren auf das eochlearo Kerngebie t f ibertragen werden. Auf diesem Wege wird eine Tonisierung, d. h. offenbar eine Vers t~rkung oder Verbesserung des coehleonucle~ren HSrreizes angenommen.

Neuorientierung in Problemen einer klinischen Neurologie des Ohres. IV. 351

Wie nun 2 ausgefiihrt wurde, is~ in den Verbindungsbahnen zwischen vestibul~rem Kerngebiet und Kleinhirn mit der Fortleitung yon cochleo- vestibul~ren Impulsen, als Fortleitungselementen der in Cochlea und Saeculus rezipierten, im vestibul/~ren Kerngebiet zusammenlaufenden Schallreize, zu rechnen, welche z. B. - - r~umliche - - Verlagerung beim HSren (der ,,ItSrgestalten"), d. h. Anomalien wie All~sthesie (A_a~cOLD, PSTZL) bei gewissen zentralen HSrstSrungen erkl/~ren w[irden. So scheint also die - - HSrbahn - - in das Kleinhirnsystem, in das allgemeine - - Tiefensensibflit~tssystem - - eingeschaltet zu sein, derart offenbar, dag cochleo-vestibul~re Reize eine zentrale Steuerung oder Kongrolle im Kleinhirn erfahren. Bemerkenswerterweise ha t HA_~PsoN im Tierexperi- mea t gezeigt, daB, bei Reizung des akustischen Cortex, AktionsstrSme veto Kleinhirn abgeleitet werden kSnnen.

I m Lichte solcher Tatsachen und Oberlegungen ist es yon Interesse, sich dariiber klar zu werden, ob unser basales musikalisches HSren mehr schallklanghaft oder mehr schalltaktil ist, wobei bemerkt sei, dag unser allt/~gliches HSren (SprachhSren) nut eine besondere Art musikalischen HSrens ist. Gerade das musikalische t t6ren nicht als vorwiegend schall- klanghaft anzusehen, mug manchem zuerst befremdlich erscheinen. Ver- fasser mSchte aber daran erinnern, dal3 die zum ,,cvH" ffihrenden Grundbetrachtungen yon der Analyse der - - Konsonanz - - ausgingen, deren Eigenschaften sich nicht schallklanghaft, wohl abet schall~aktil erkl~ren liegen und da$ wit in der Konsonanz wohl eines der charakte- ristischsten musikalischen Ph~n0mene erb]icken diirfen. Da nun das , ,evi l" auf die - - tiefensensiblen - - l~eize beim Schallempfang groBen Weft legt, so u. a. auf Weichheit, Spitzheit, It/~rte, Ffille, Schwere usw. des Tones (es sei an die ausschlaggebende Rolle der Schall,,dunkelheit" in dem Fall des LA~G~B~cK-Typs - - A u f s a t z I I I - - erinner~!), und da diese tiefensensiblen Reize, oh yon der Cochlea oder vom Sacculus rezi- piert, in vestibulare Bahnen zentral fibergeleitet oder direkt in vesti- bularen Bahnen fortgeleitet werden, wie das ,,cvH" annimmt, so ist die Untcrsuchung der Frage yon Interesse, ob wir Anhal tspunkte ffir die Annahme des ,,cvIt" haben, daft solche vestibul~ren Impulse bei aku- stischer l~eizung und Fortleitung in Frage kommen. Ich glaube, dab uns bier die Erfahrungen beim Klavierspiel wertvollen Aufschluf~ geben, und zwar die Erfahrungen mit der Nuancierung des Anschlages: der Spitz- heir, der Weichheit, der H/~rte, der Schwere des Anschlages, Nuancen, deren - - Beherrschung - - es u. a. dem Kiinstler gestattet , z. B. Mozart oder Bach oder Brahms stflgerecht zu spielen. Wie k o m m t die - - Be- herrschung - - dieses Anschlags zuwege ? Durch - - initial willkfirlich - - bewul~te Einstellung auf einen best immten Ansehlag (Stil), der aber dann unbewul3t, automatisch weiterl/~nft, da ja der ausfibende I~iinstler selbstverst/~ndlich nicht w~hrend der ]~eproduktion des Werkes dauernd

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352 F. KonRAx:

durch eine willkfirlich bewuftte (fingersensible und schallhaft akustische) Cooperation yon der gesamtkfinstlerischen Reproduktion abgeleitet sein kann. Eine dauernd schallhaft akustische Kontrolle wfirde aber fraglos den Aufmerksamkeitsbereich des Kfinstlers yon seiner Hauptaufgabe einer geistig-geffihlsm~Big vollendeten Wiedergabe in einem die Gesamt- leistung fiberm~Big einschrKnkenden Grade ablenken. Die Form des An- schlages - - mul3 - - sich daher - - automatisch - - abwickeln, wie etwa die Form des Ganges. Wie kommt nun die (anfangs bewuBt wfllkfirliche) Einstellung auf einen best immten Anschlag zustande ? Offenbar dadurch, dab das tiefensensible Geffihl des Fingerkontaktes mit den Klavier- tas ten angeglichen wird und bleibt an eine - - tiefensensible Taktflit~t - - der vestibulgren HSrsensation, an das HSr/i~hlen, an eine Sensation, die also einerseits beim Anschlag ausgelSst wird und andrerseits wieder den Anschlag kontrolliert. Nach den obigen Ausffihrungen fiber vestibul~re zum Kleinhirn laufende HSrbahnen erscheint es ohne weiteres verst~nd- lich, daft sich vestibuldre H6rbahn und Fingertastbahn im - - Kleinhirn - - treffen, so dab also yon hier aus automatisch die Anschlagsnuancen un- bewul3t kontrolliert werden, ohne eine dauernde, cochlear-schallhaft- akustische Kontrolle, die entweder cortical oder in einem ffir solche Leistungen nicht, in gleichem Mal~e wie das Kleinhirn, in Betracht kommenden Subcorticalen Ganglienbereich ausgefibt werden mfil3te.

Wenn man sich die ffir den HSrproze8 geltenden Schlul3folgerungen des , ,evi l" zu eigen macht, dann bedeutet es nur noch einen kleinen Schritt zu der Erkenntnis, dab unser basales musikalisches t tSren mehr hSrtaktil als hSrschallhaft ist. Das heil3t (nach dem ,,cvH"): Alle Fein- heiten, z. B. des mnsikalischen HSrens (die ja in abgewandter Form auch im allt~tglichen HSren der Sprache wiederkehren), so die lquancen des Tones, Rhythmus, Sprachmelodie usw., werden durch H5r/iihlen und nicht vorwiegend durch HSrhSren vermittel t . Das HSrhSren ist nur das Medium, welches es gestattet , eine auBerordentlich f e i n e - Graduierung - - des ttSrffihlens (schallhaft) vorzunehmen. Das HSrhSren ist also nicht so sehr die t tSrfunktion selber, sondern eine Art Mefi/unktion, welches durch die yon B~K~s:~ u. I~A~:E erforschten physikomeehanischen und hydrodynamischen Gesetze in der Schnecke geregelt ist. Das HSrhSren ist also ein physikalisch betonter physiologischer Vorgang, w~hrend das ttSrffihlen, d . h. die Vermitt lung der vielen feinen Spielarten der ttSr- sensationen, ein (vestibular vermitteltes) psychologisch betontes, physio- logisches Erleben ist, worauf im Aufsatz I I bereits eingegangen wurde.

ZusammenIassende Schlul~folgerungen (zu I - - I V ) . L~Bt der in den vorhergehenden Aufs/itzen angeschnittene Fragen-

komplex sich einer zusammenfassenden Erklgrung n~ther bringen? Zur K1/irung mfil3ten freilich viele physiologisch-physikalische Einzelfragen

Neuorientierung in Problemen einer klinisehen Neurologie des Ohres. IV. 353

gegeneinander abgewogen werden, deren Bearbeitung in erster Reihe dem physiologisehen Physiker zukommt. I-Iier kann daher nur der Versueh gemaeht werden, den Problemenkomplex zusammenfassend so darzustellen, wie er yon einem - - kliniseh neurologiseh - - eingestellten Otologen, unter Beriieksiehtigung der Betraehtungsweise d e s eoehleo- vestibul~ren H6rprinzips, aufgefal3t wird.

Drei Faktoren seheinen in Betracht zu kommen: 1. Sehleuderungsmaximum der Sehallwelle, welches den Reizplatz

im t%ezeptionsorgan bestimmt (Theorie RA~x~). 2. Veloeitas-~aximum der Schallwelle, fiir welches noeh offenbar

die Entseheidung aussteht, ob es wie die Sehleuderung gleiehfalls auf dem Luftwege vermittelt wird, oder ob es nieht - - auch oder nur - - , auf dem Knoehenleitungswege sieh auswirken kann (eoehleovestibuliires I-I6rprinzip).

3. Von (I) und (II) unabh~ngige Faktoren der Sehall , ,diJ/erenzierung".

Faktor (1) wirkt - - peripher - - im l%eeeptororgan, Faktor (2) - - retroperipher - - in dem reiehen retroperipheren mit den Haarzellen verbundenen Nervfasernetzwerk. Faktor (3) wirk t weder peripher noeh retroperipher, sondern wird peripher nur rezipiert, dann aber yon hier (quasi en bloc) zentralwarts transferiert und 16st erst zentral die - - Wirkung - - der , ,DiJferenzierung" aus.

Die ErSrterung der Frage, ob die Reizfaktoren (1) und (3), soweit die Schnecke in Betraeht kommt, an versehiedenen oder an gleichen Bezirken des CoRrIschen Organs ansetzen, wiirde hier zu weir fiihren und soll an anderer Stelle er6rtert werden. Nur die in obigen Aufs~tzen mehrfaeh ber/ihrte Beziehung zwischen der Betrachtungsweise der Gestaltspsyehologie und des eoehleovestibul/~ren HSrprinzips bedarf noeh einer kurzen zusammenfassenden Erl~uterung. Das eochleo- vestibul~re HSrprinzip stiitzt sich zum Tell auf die Annahme einer direkten Empfindung der Dictttiglceit der aufeinanderfolgenden Sehall- wellen, auf die Empfindung yon bisher sogenannten - - Diehtigkeits- maxima - - . Es erscheint zweckm~Big, diesen Begriff dutch den der - - ,, Ve loc i tasmaxima" - - zu ersetzen, d. h. dutch die maximale Velocitas der Schallwelle beim Durehgang dureh die Schallaehse. Diese Veloeitas- maxima sind nicht nur yon der aufeinanderfolgenden Dichtigkcit, sondern aueh yon der Amplitude der Sehallwellen abhgngig, wobei die Dichtigkeit der Frequenz, die Amplitude der Schallintensit~t propor- tional ist. Bei diesen Velocitasempfindungen handelt es sich nun nieht um - - einzelne - - Schallplatzempfindungen (durch Schleuderungs- maxima), sondern um die - - Verbindung - - yon Empfindung an rain- destens zwei Reizpl~tzen, da ja eine Welle keine Sukzessionsdiehtigkeit haben kann. Diese yon Sukzessionsdiehtigkeit abh/~ngigen Velocitas- maxima werden am ehesten da eine koordinierte Empfindung vermitteln,

354 F. KO~RAK: Probleme einer ktinisehen Neurologie des Ohres. IV.

wo d ie e inzelnen P la tz re ize zusamment re f fen kSnnen, d . h . in dem retroperipheren Cochlearfasernetzwerk . H ie r gewinnen die Schallreize, in ihrer Ve rb indung un t e r e inande r - - akus t i sche , ,Ges ta l t " - - . Es sei hinzugeff igt , dab diese s t ruk tu re l l e Auffassung der akus t i sehen Ges ta l t n ieh ts m i t der EwALDsehen Seha l lb i ld theor ie zu t u n ha t , y o n weleher die Seha l lempf indung a u f spezifische Sehal lwel lenformen zur / iekgef / ihr t und in das per iphere Reeep to ro rgan , also n ieh t in das r e t rope r iphe re Fase rne tz , ver leg t wird.

Ziteratur. F. KOBI~AK: Pratt . Otolar. 1947, IX., 6 und 1949, XI., 1. F. KO~RAK: Zcitschr.

Lar. 30, 9 (1951). F. KOBRAK: Arch. Ohr- usw. Heilk. 157, 650 (1951). - - 2 F. Ko- BRAK: Arch. Ohr- usw. Heflk. 157, 666 (1951), - - 3 F. KO~RXK: Arch. Ohr- usw. Heilk. 157, 661 (1951).

Prof. F. KOdiAK, Hachen (Westfal.) Xrs. Arnsberg