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Zur Arbeit von Dr. K ochs aus der orthop~idische n Klinik der Universit~tt K6ln -Prof. Cramer. (Archiv ftir orthopadische und Unfall-Chirurgie, Bd. XXI, Heft 2.) Uber Statistik, Atiologie und Therapie des angeborenen Klumpfu6es vor und nach dem Kriege. Yon Prof. D5 F. Schultze-Duisburg, Chirurg. Oberarzt am St. Vincenz-HosPital. (Eing*gangen am 27. Dezember 1923.) In der Arbeit yon Kochs vermisse ich den Hauptinhalt des Krankheits- bildes vom angeborenen KlumpfuB, n~mlich die pathologische ~4.natomie und das ~inlsche Bild. Es ist dies keine auffallende Erscheinung, sucht man doch in der ganzen ~Veltliteratur vergebens nach diesen Unterlagen, welche allein bestimmend sind ffir die therapeutischen ])IaBnahmen. Die einzelnen KlumpfuBformen sind gleich, je nachdem es sich um eine muskul~re, ligament~re oder ostale Form handelt. Jenseits der Wachstums- zone erfahren diese Formen naturgem~l] eine -~nderung, da die Ossifikation eintritt. Die Formen haben dann insgesamt einen ostalen Charakter. Die muskul~ren und ligament~ren Formen gehen ineinander fiber und prbsentieren im ldinischen Bild die Form mit der geschwungenen Fuflsoble. Die ostalen Formen zeichnen sich immer durch die typische Form aus, es steht der Vorderful] zum ttinterflfl] im rechten Winkel. Daraus ergibt sich folgende Aufstellung, welche das Gesamtbild der Varusdeformit~t umfal]t. Pes equino-varus congenitus. I. Klumpful] des I.-Quinquenniums. 1. Urformen. A. Muskul~re Form. B. Ligament~re Form. C. Ostale Form. a) Form mit rechtwinkliger Stellung des VorderfuBes zum HinterfuB. b) Metatarsusdeformit~t. 2. Ver~nderte Urformen. A. Dcformit~t des Kalkaneus und Talus. B. Deformit~t des Talus und Kalkaneus. C. Deformiti~t des ~etatarsus.

Über Statistik, Ätiologie und Therapie des angeborenen Klumpfußes vor und nach dem Kriege

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Zur Arbeit von Dr. K o c h s aus der orthop~idische n Klinik der Universit~tt K6ln - P r o f . C r a m e r .

(Archiv ftir orthopadische und Unfall-Chirurgie, Bd. XXI, H e f t 2.)

Uber Statistik, Atiologie und Therapie des angeborenen Klumpfu6es vor und nach dem Kriege.

Y o n

Prof. D5 F. Schu l tze -Duisburg , Chi ru rg . O b e r a r z t a m St. V i n c e n z - H o s P i t a l .

(Eing*gangen am 27. Dezember 1923.)

In der Arbeit yon K o c h s vermisse ich den Hauptinhalt des Krankheits- bildes vom angeborenen KlumpfuB, n~mlich die pathologische ~4.natomie und das ~inlsche Bild. Es ist dies keine auffallende Erscheinung, sucht man doch in der ganzen ~Veltliteratur vergebens nach diesen Unterlagen, welche allein bestimmend sind ffir die therapeutischen ])IaBnahmen.

Die einzelnen KlumpfuBformen sind gleich, je nachdem es sich um eine muskul~re, ligament~re oder ostale Form handelt. Jenseits der Wachstums- zone erfahren diese Formen naturgem~l] eine -~nderung, da die Ossifikation eintritt. Die Formen haben dann i n s g e s a m t einen ostalen Charakter. Die muskul~ren und ligament~ren Formen gehen ineinander fiber und prbsentieren im ldinischen Bild die Form mit der geschwungenen Fuflsoble. Die ostalen Formen zeichnen sich immer durch die typische Form aus, es steht der Vorderful] zum ttinterflfl] im rechten Winkel. Daraus ergibt sich folgende Aufstellung, welche das Gesamtbild der Varusdeformit~t umfal]t.

Pes e q u i n o - v a r u s c o n g e n i t u s .

I. Klumpful] des I.-Quinquenniums. 1. U r f o r m e n .

A. Muskul~re Form. B. Ligament~re Form. C. Ostale Form.

a) Form mit rechtwinkliger Stellung des VorderfuBes zum HinterfuB. b) Metatarsusdeformit~t.

2. V e r ~ n d e r t e U r f o r m e n . A. Dcformit~t des Kalkaneus und Talus. B. Deformit~t des Talus und Kalkaneus. C. Deformiti~t des ~etatarsus.

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II . Klumpfui3 des II . Quinqucnniums und der folgenden Jahre. 1. U r f o r m e n .

A. Mit geschwungener Ful3sohle. a) Deformit~t des Kalkaneus-Talus. b) Deformit~,t des Talus-Kalkaneus.

B. Mit rechtwinkliger Fu~ohle . C. Metat arsusdeformit~,t.

2. V e r t i n d e r t e U r f o r m e n . A. Deformit~t des Kalkaneus-Talus. B. Deformit~t des Talus-Kalkaneus. C. Deformit~t des ~Ietatarsus.

Die einzelnen K l u m p f u J 3 f o r m e n h a b e n g l e i c h e n T y p u s , geringe Verschiedenheiten ~ndern den Typus nicht. Zur Beurteflung der Formen mu/3 man klar sehen, L i n i e n s t u d i e r e n , Knochen palpieren - - Kalkaneus. So gelangt man bald zu einem sicheren klaren Urteil fiber jede Form.

Das Stimraungsbi]d einer jeden Deformit~tt finder seinen Ausdruck im FuBsohlenabdruck, welcher unter exakter Beinstellung - - Patella parallel zur Horizontalen - - gemacht werden mul l Man ist dann immer fiberrascht, fiber die Formen, welche erst stehenden Ful3es dutch Angliexlerung an den Unterschenkel ihre groteske Form pr~tsentier~en.

Zum St.udium der Pathologie ist, neben der Inspektion des ganzen Ful3es yon vorn und hinten, das S o h l e n b i l d sehr geeignet.

Dann kommt man auch bald zu der Uberzeugung, dab die J~hnliehkeiten der einzelnen Formen, um nicht zu sagen die. Kongruenz, niemals fehlt, sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Unser gr61]ter Feind im Kampfe gegen den Klumpfu/3 ist der Kalkaneus. Aber auch dieser Gegner ist bMd zu Boden geschlagen, wenn man ihn erkannt hat. Der Talus, welcher bis heute noeh als der Hanptat tent~ter angeschuldigt wird, ist, wenn auch nicht so ganz, aber fast ttnschuldig, er spielt e ine u n t e r g e o r d n G t e Ro l l e . Lange war auch ich, wie alle im gesamten Klumpfu/31ager der Meimmg, daI3 der Talus der ~bel- tS, ter sei.

Der Talus ist lest mit dem Kalkaneus verbunden, wie dies dem Ful3- skelett zu entnehmen. Betrachtet man yon der Au l3ense i t e das Skelett, so sight man, da/3 der Talus mit einem Keil in den Kalkaneus geschlagen, auf der I n n e n s e i t e wird der Talus dutch das Sustentaeulum tall gestfitzt und hin ten durch den Processus t~li. Eine Verschiebung dieser beiden Knoehen ist, abgesehen yon diesem kn6chernen Aufbau, dutch die Vielseitigkeit des ligament~ren Apparates ausgeschlossen. Die hier liegende Deformit~,t befindet sich inamer in erster Linie im Kalkaneus, weleher in seiner Calx , in H6he der Processus trochlcaris eine Knickung erfahrt und zugleieh eine Drehtmg um seine I~ngsaehse. Begfinstigt wird diese Pathologie dureh den ener~sehen Zug des Triceps surae. Palpiert man in Bauehlage - - beide Patellen parallel zur Horizo~ltalen - - den Kalkaneus, so hat man immer denselben Befund i. e. eine deutliche klobige ) 'erbreiterung, wohingegen der normale Kalkaneus einen grazilen schlanken glatten Aufbau bei der Palpation zurn Ausdruck bringt. Das ist Gin Typus, der immer wiederkehrend, nach gewonuener Kenntnis

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niemals dem PalpationsgefOhl und dem GedS, chtnis entsehwindet. Wie dean iiberhaupt die pr~,zise Diagnose der Varusdeformiti~t a u f A n h i e b gestcllt werden hUlk

DaB der Talus bei jeder Varusdefornit~t aus dem Ge]enklager heraus- gekippt wird, in mehr oder n i n d e r grof~en ~aBe, ist typisch. Diesen Talus dana direkt anzugreifen, wie ich dies in frfiheren Jahren auch immer betont habe, i s t n i c h t r i c h t i g .

Der weiterhin sich angliedernde Tarsus ist ver~ndert i n Os naviculare, wo auch im Ta]onavikulargeleltk die Hanptdrehung des VorderfuBes i n Sinne der Adduktion sich volhieht. Die Cunefformia sind unwesentlieh vergndert. Wohl hat der ~eta tarsus eine aadero S t e l l u n g , in F o r m ist er nicht ver~ndert.

End[ieh die Zehen, ein g a n z w i e h t i g e s K a p i t e l , wenn n a n sieh ver- gegenwgrtigt, dal] n u t durch vollcndete Ausnutzung der Zehen Und besonders der GroBzehe ein ko r re !< te r G a n g z u s t a n d e k o n n e n k a n n .

Fersen hebt, Knie beugt, mit Ausspannung der gesamten Beinnuskula tur ist die Vorfibung ffir jeden ordnungsgen~8 ausgefiihrten Gang.

Therapie. Ich vertrete den Standpunkt, dal] bei den sog. leichten Formen eine

Korrektur ohne die Technik der yon mir angegebenen Apparate nicht erreicht werden kaun. Die zur Zeit aller Orten gehandhabte Therapie ist die nach L o r e n z . Auch ich habe n i t L o r e n z begonnen, bis mir fiber Nacht die Erleuchtung dec Kompressionstechnik kan . Von dem Augenblick habe ich die L o r e n z - Teehnik verlassen. Der Untersehied zwischen der Technik L o r e n z und der neinigen besteht darin, daB L o r e n z nur Stellungs~er~,nderungen nach t , ohne sich um die Pathologic der ICuochen zu k f inne rn . Kurz gesagt, es wird keine Diagnose gemacht. Durch he ine Methode wird jede pathologische Stellung und pathologische Knoehenform beseitigt zugunsten der normalen.

~Iethode. Prini ir ist die Tenotomie stets vorzunehnen. Ich ~ill nun keine Ausschaltung des Triceps surae, sondern nur eine

Sehwii~hung desselben. Dies erreiche ich dadurch, da6 ich in der ]Iitte des Unterschenkels quer den ~%[uskel durchtrenne. Dutch die subkutane :~'beit trenne ich an dieser Stelle nur den ~usculus gastrocnenius, der ~usculus soleus bleibt stets erhalten. Es resultiert eine Schw~chung des Triceps surae, welche geniigt, u n den Kallmneus in seiner F o r n resp. den ganzen Ftd] zu beeinflussea. Ich ziehe diese ~-~r der Sehnenverl~agerung vor. Dureh I e t z t e r e wurde der Kalkaneus w i l ] e n l o s , dutch u n s e r e neue Technik wird der M u s k e l g e s c h w ~ c h t , d ie F u n k t i o n e r h a l t e n . Nun beginnt die Behandlung, welche dureh he ine Osteolda.sten I u n d L[ besorgt wird. Jeder FuB wird z u n vollendeten Spitzful~ entvAckelt in ca. 10 ~inuten. Dann folgt in l~fickenlage die Korrektur tier Metatarsus- and Tarsus-I)efornitii t . Is t diese Pathologie be- seitigt, so wird in Bauchlage der Ft~B eia'gestellt, tun den Kalkaneus die nornale F o r n wieder zu geben. Dutch Kompression wird unter Anwendung bes t imnter Pelotten der Kallmneus bearbeitet, so daB z. B. die eingestellte Calx yon 6 cm

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auf 3 cm im Durchmesser zusammengedriiekt wird - - in 31) Sekunden. - - Der Effekt ist die VerSmderung der Kaoehenform zugunsten der Norm.

Der auf den Kalkaneus ruJaende Talus hat aueh eine andere Stellung erfahren, tier Talus ist ~deht mehr prominent. Um den noeh in relativer Spitz- stelhmg verharrenden Fug zu korrigieren, wird letzterer in C I I eingestellt unter bestimmten vorsehriftsmi~gigen Mal3nahmen. Naeh ca. 10 Minuten ist unter dem EinfluI3 einer extremen Dorsalflexion die Vollkorrektur erreieht. Auf lq'ingerdruek mul3 der Fug die Normalstellung halten.

G i p s v e r b a n d : Die Teehnik, grundcsi~tzlieh durch den Gipsverband eine Korrekttu" zu erreiehen, lehnen wir ab. Wit vertreten den Standpunkt, dab der dutch unsere Teehnik vSllig korrigierte Fug dutch einen Gil)sverba.nd gefesselt wird.

])er (:;ipsverband umfaflt immer das ganze Bein his zum H(iftgelenk. Es ist stets der Gipsverb~md so zu maehen, dab die Zehen ordmmgsgemi~13 in geihe und Glied in ihrem Lager wohl korrigiert ausruhen.

Jeder Gipsverband wird naeh dem Erh~rten s o f o r t aufgeschnitten; das Zehenlager ist zu revidieren und gut zu 1)r:,~,p~rieren. Die Zehen mind selbst- redend vorher roll und ganz korrigiert und yon jeder auch der geringsten Kon- traktur beseitigt.

])auer des Verbandes 4--6 Woehen. Kein Laufverband. Die Ansieht, dureh Belastung den Ful3 zu korrigieren resp. die Korrel,:tur zu siehern, habe ich seit Jahren aufgegeben. Wir mtissen den Verband sehonen und zu erhalten Stleh{;ll.

Die Behandlung einer Krankheit hat man nur dann wirkungsvoll in der Hand, wenn man das Krankheitsbild beherrseht. In m~seren vorhandenen Lehrbfehern finder man keinen geniigenden Anhaltspunkt. Wenn man die Orthopi~die yon Lunge als Leitfaden benutzen will, so wird man niemals Kor- rekturen erreiehen. Der diesbeziigliehe Hauptinha.[t des Buehes ist die Ein- lagenteehnik, sogar Einlagen f~r Klumpfiige. Man mag ja vielleieht manehem KlumpfuBe eine Erleiehtemmg sehaffen, der Patient verlangt aber aktive Ortho- piddle. Die aktive Orthopi~die vermil3t man bei L u n g e vollsti~ndig, sowohl im Kapitel der FuBdeformitgten als aueh in dem der kongenitalen Luxation. Ge: rade ist hier d er A u t or , dem wit den Ausbau der Behandlung kongenitaler Luxati,meu des Hiiftgelenks zu verdanken haben, nieht einmal erwi~hnt.