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Ue er ¥erletz ngen cterAugen rch ]3 amit. Yon Professor Dr. A. v. Hippel in Giessen. In dem Krankenmaterial meiner Klinik nehmen die Ver- letzungen des Auges durch ihre Zahl und Mannigfaltigkei~ eine hervorragende Stellung ein. Die Lage unserer Hooh- schule in unmittelbarer N~he tier dutch eine ausgedehnte l~Iontanindustrie ausgezeichneten Thtiler der Lahn, Dill und Sieg bringt es mit sich, dass unsere Kliniken den Sammelpunkt far alle jene Patienten bilden, welohe theils in den zahlreiehen Bergwerken, theils iu den Hiittenwerken oder Eisengiessereien verungltioken. Aber auch die l~ind- lithe BevSlkerung 0berhessens, welehe bei der Armuth tier Provinz alle mSglichen Nebenbesohtiftigungen treiben muss, stellt daneben ein so grosses Contingent zu den Verletzungen des Auges, wie man es in anderen Gegenden nioht leieht beobachtet. So erkl~rt es sich, class Unter 3471 Patienten, welche yon 1879--1886 st~tionar in meiner Ktinik behandelt wurden, sich 554 schwer Verletzte befanden.

Ueber Verletzungen der Augen durch Dynamit

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Ue er ¥erletz ngen cter Augen rch ]3 amit.

Yon

Professor Dr. A. v. Hippe l in Giessen.

In dem Krankenmaterial meiner Klinik nehmen die Ver- letzungen des Auges durch ihre Zahl und Mannigfaltigkei~ eine hervorragende Stellung ein. Die Lage unserer Hooh- schule in unmittelbarer N~he tier dutch eine ausgedehnte l~Iontanindustrie ausgezeichneten Thtiler der Lahn, Dill und Sieg bringt es mit sich, dass unsere Kliniken den Sammelpunkt far alle jene Patienten bilden, welohe theils in den zahlreiehen Bergwerken, theils iu den Hiittenwerken oder Eisengiessereien verungltioken. Aber auch die l~ind- lithe BevSlkerung 0berhessens, welehe bei der Armuth tier Provinz alle mSglichen Nebenbesohtiftigungen treiben muss, stellt daneben ein so grosses Contingent zu den Verletzungen des Auges, wie man es in anderen Gegenden nioht leieht beobachtet.

So erkl~rt es sich, class Unter 3471 Patienten, welche yon 1879--1886 st~tionar in meiner Ktinik behandelt wurden, sich 554 schwer Verletzte befanden.

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Es mSge mir gestattet sein, eine Gruppe yon Yer- btzungen der Augen etwas eingehender zu besprechen, die im ganzen wenig beka.nnt und dabei durch ihre Ge- fihfliohkeit furchtbarer ist, als alle tlbrigen: ich meine die dutch Dynamitexplosion tlervorgerufenen.

Die Literatur tiber diesen Gegenstand is~ eine sehr beschrinkb, denn ausser einer Dissertation yon Daniels*), welche unter Zugrundelegung yon zwei in der Klinik yon Saemisch beobachbten FiUen verf~sst ist~ finder sich nut eine kurze Bemer]alng yon letzbrem selbst in dem ,Hand- buch der gesammten Augenheilkunde', Bd. IV., p. 343, deren Inhalt mi~ den in jener niedergelegbn Ansbhten im Wesentlichen fibereinstimmt. Von weiteren Publikationen babe ich nur eine yon Ponti**) und eine yon Schiess***) aufgefhnden, wdche beide lediglich kasuistischen Inhaltes sind.

¥om Jahre 1880--1886 kamen in meiner Klinik 20 Falle yon DynamRverletzungen der Augen zur Auf- nahme und zwar ] 7 doppelseitige und 3 einseitige. 19 real handelte es sich um Bergleub, welche meist beim Sprengen yon Gesbin hn 8chacht verungltlckt waren, einmal um einen ]indlbhen Arbeiter, der den lest in der Erde haftenden Stumpf eines Baumes durch Dynamit hatte beseitigen wollen; alle Patienten standen im besten Mannes-

alter. Obgleich die Bergpolizei-Verordnungen Anweisungen

fiber (lie Aufbewahrung und Verwendung des Dynamit

*) Ueber Yerletzungen des Auges (lurch Explosion yon Dynamit. Diss. inaug. Bonn 187"2.

**) Explosion de dynamite. Congr6s intern. ~ ]Eita.n 1880. Compte rendu 1881~ p. 307.

***) Dynamitverletzung bei4er Augen. XIL Jahresbericht, p. 31~ 1876.

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sowie die dabei zu beobachtenden Vorsiehtsmassregeln geben, scheinen dieselben den Bergleuten zum Theil nich~ aus- reiohend bekannt gemacht und eingesch'~rft zu werden; einige meiner Patienten behaupteten wenigstens auf das Bestimmteste, yon den bezfiglichen Vorscbriften hie etwas geh~rt zu haben. Die Mehrzahl hatte die Verletzung allerdings wohl nur eigener grober Unvorsichtigkeit zuzu- sehreiben. In 13 F~llen erfolgte dieselbe dadurch, dass die in Brand gesteekte Z~lndsehnur etwas langsamer als gew~hnlieh glimmte und die Bergleute in tier 5Ieinung, dieselbe w~re erlos¢hen, sich vorzeitig demBohrloch naherten, um eine neue Schnur an der Patrone zu befestigen. Fast stets trat gerade in diesem Moment die Explosion eiu und die Wirkung war dann hat , I tch furohtbar. Drei Patienten verunglackten bet dem Versucb, eine nieht explodirte Patrone aus dem Bohrloch zu entfernen, eine Manipulation, die abrigens wegen ihrer Gefahrlichkeit anf alas Strengste verboten ist, zwei durch Explosion yon Minen, ~iber deren Lage sie nieht orientirt waren; ether dadnreh, dass er mit einem vffen brennenden Lieht der Zandschnur einer Patrone zu nahe kam, welche er wegen der N~sse im Schaoht mit einem Harz~lberzug versehen sollte; der letzte endlich in tier Weise, dass er, um sich raseh warmes Wasser zu sehaffen, eine rothglahende Eisenstange in einen Eimer mit Wasser tauehte, in welchem unmittelbar vorher ohne sein Wissen gefrorene Dynamitpatronen aufgethaut waren.

Die in den Bergwerken bier in tier Umgegend zur Verwendung kommenden enthalten Nitroglycerin mit Kiesel- guhr gemischt, gefrieren bei einer Temperatur unter ÷ 8 o C. und haben eine L~tnge yon 5--15 Cm. Beim Laden der Mine werden soviel Patronen als n~thig einzela in das Bohrloeh geschoben und vorsichtig auf einander gedr~ickt;

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auf die oberste kommt die mit Zt~ndhfitehen und Zand schnur versehene, Pulver enthaltende Zt~ndpatrone und dar- fiber ein Besutz yon Bohrmehl, Sand, Letten oder Wasser zur Erh6hung der Wirknng.

Diese kurzen Mittheilungen ~ber die Art der Ladung musste ich vorausschicken:weiI dutch dieselbe gewisse char~k- terist~iehe Eigenthi~mtichkeiten der Dynamitverletzungen ihre Erklarung finden, denen wit bei aller Versehiedenheit der einzelnen F~lle immer wieder begeg~en. Hierher ge- h~rt zunaehst eine ausgedehnte, bald oberflaelflichere, bald tiefere Verbrennung der Haut des Gesichtes und des Lider die unmittelbar naeh tier Vertetzung yon schw~rzliehen~ aus geronnenem Bier, BohrmehI und Pulverschleim be- stehenden Schorfen, sowie einer gressen ZahI gr(~sserer und kleinerer Fremdktlrl)er bedeckt zu sein pflegt, welche zum Theil nur oberflachtich sitzen, zum Theit fief in des Cerion ja sogar bis zum Periost eingedrungen sind, meis~ens aus Splittern des abgesprengten Gesteins bestehen und unregel- m~ssige gerissene Wunden mit gequetschten R~udern her- vorrufen. Constant fend ieh ferner subconjunctival~ Ecchymosen und eine mehr minder ausgespreehene Ver- brennung der Con]unctiva, bald verbunden mit hochgradiger Injection and wallartig die Hornhaut umgebender Chemosis, bald dureh jene gelbgrauliche Verf~rbung mit gttnzliehem Fehten yon sichtbaren Gefl~ssen eharakterisirt, wie sie den tiefgehenden Yerbrennungeu dieser Membran eigeu- thtimlieh ist. Aueh in ihr sassen stets zahlreiehe Fremd- k•rper sowohl auf der 0berfifiche des Bulbus als auch in den Uebergangsfalten, hfinfig zeigte sie ausgedehnte Riss- wunden, so dass ganze Lappen yon der Sclera abgel~ist waren.

Die charakteris~ischesteu ¥er~nderungen beebachtet man an der Cornea: ganz unabhlfngig yon der Schwere der Verletzungen ist in allen F~llen die Hornhaut yon einer grossen Zaht weissgrauer punktfOrmiger Trabnngen.

Ueber Verletzungen tier Augen dnrch Dynamit. 209

bedeckt, welche theils im Epithe], theils in den mittleren Parencbymlagen, theils in den tiefsten Schichten sitzen und dadurch entstehen, dass dutch die Gewalt der Explosion der im Besatz des Bohrloches befindliche Sand mit grosset Kraft in d ie Gewebe des Auges hineingetrieben wird. (Die Angabe yon Daniels, dass derselbe einen Bestand- theil der Patronea setbst bilde, kann ich naeh den yon mir eingezogenen Informationen nicht besti~tigen.) Neben diesen Sandk(~rnchen finder man stets noch Partikel des abge- sprengten Gesteins auf und in der Hornhaut, welche dutch ihre dunklere Ffirbung leicht yon jenen zu un~erscheiden sind sowie Spuren des in den I)atronen enthaltenen Kiese]guhrs, der bekanntlich aus kleinsten, unter dem Microseop als solche leicht erkennbaren Radiolarienpanzern besteht. Das Epithel der Cornea war in allen Fallen verbrannt, an vielen S~ellen in Fetzen yon der Unter- lage abgehoben odin • yon zahlreicben kleinen Defecten durchsetzt, das Parenehym bald nur oberfl~chlich, bald bis in die tieferen Schichten rauchgrau oder weisslieb getriib&

Die eben geschilderten Symptome allein zeigen nut die leichtesten Formen yon Dynamitverletzung, welche ich an ]0 Augen beobachtete, 27 real traten dazu noch eine Reihe schwererer pathologischer Veriinderungen, die bald das Gesicht and die Augenlider, bald die Bulbuswandungen, bald die innern Theile des Auges - - nicht selten alle gleieh- zeitig - - betrafen. Weitaus die haufigste Complication bilden neben den oberflachlichen Substanzverlusten die perforirenden Wunden der Cornea. Form, Gr~sse, Lage nnd Zahl der- selben variirten in den einzelnen F~llen sehr erheblieb, allen gemeinsam abet war die mangelnde Glatte, die un- regelmassige Gestalt und die parenchymatSse Infiltration der Rfinder, wie wit sie bet Verletzungen dutch Steinsplitter fast stets beobaehten. Viel seltener fiend ich perforirende

v. Graefe's Archly fiir Ophthalmolog~e XXX~.I. 3. :1~:

2[0 Prof. Dr. A. ~. HiNge1.

VerIetzungen der Sclera, die stets aueh mi~ einer Durehtrennung der tieferen Angenh'~ute and (JlaskSrper- verfall verbunden waren; einmal reichte die Wnnde yore inneren unteren Comealrande his dieht an die Papilla optiea, shmmtlieheContenta w~ren ausgetreten und derBulbus ganz- tioh eellabirk

Die Iris zeigte nur ausnuhmsweise einfache t:Iyper- ~mie, in der ttegel ansgesproehene en~z(~ndliehe Sym- ptome, nieht seltenDialysen am Ciliarrande. Handelte es sieh um perforirende Wnndeia der Cornea, so war aueh fast stets die Regenbogeuhaat zerrissen nnd I~et, zen derselben lagen zwisehen and vet den Wundr~tndem tier Hornhauk Bei einer Anzahl yon Patienten konnte leh diesetben feinen Sandk0rnehen, welche so zahlreieh in die Cornea einge- sprengt waren, aueh in dem Gewebe der Iris mittelst seit- lieher Beleuchtung deutlieh naehweisen, ohne dass es darum zu einer Anfhebung der vorderen Augenkammer gekommen war. Ebenso fanden sic sieh h~ufig in tier vorderen Linsen- kapsel and in der S~bst~anz tier Linse selbsk knsgedehntere Risse in der Kapsel mit; rapider Engwiekelung traumatiseher Cataract geselI~en sieh zu allen perforirenden Corneal- wunden, Lnxation der Linse bei intaeter Xapsel wurde nur einmal beobachtet.

Ueber das Verhalten des Corpus vitreum and der Regina mit dem Augenspiegel einen sieheren Aufsehluss zu gewinnen, war nut ganz ansnahmsweise m0glieh, da einerseits die zahlreiehen Trtlbungen tier Cornea, anderer- seits Btat, erg~sse in die vordere Kammer oder C~araet den Einbliek in das Innere tier Augen hinderten. In einem Falle yon Sderalperforation ohne Linsenverletzung fand ieh naeh Heilung tier Wunde den Glask0rper yon flottirenden dannen Membranen d~trehsetzt und anf diesen eine grosse Anzahl kleiner SandkSrnehen, welehe bei anffallendem Liehg wie CholestearineD~stNle glitzer~en und ein der

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Syachisis scintillans ~hnliches Bild darboten; daneben bestand eine partielle Amotio des untersten Theiles tier Retina.

In einem anderen konnte ich ophthalmoskopisch die Entstehung und weitere Entwickelung eines Gtask~ITer- abscesses verfotgen, bei den abrigen (23) schwer verletzten Augen war ich lediglich auf die Prfifung des Lichtscheins angewiesem Die v~llige Aufhebung desselben in 12 F~llea bereits unmittelbar nact~ der Verletzung beweis~ die grosse H~ufigkeit des Vorkommens totaler Ne~zhautabl~sungen in Folge yon Dynamitexplosionem

In auffallendem Gegensatz zu den zahlreiohen, dutch grSssere FremdkSrper veran[assten perforirendeu Wunden der Bu]buswandungen s~eht das serene Vorkommen ]ener im Innern der verle~zten Augen; nur einmal fund ich einen 7 Mm. langen und 4 Mm. breiten Steinsplitter im hinters~en Abschni~t des grossentheils mit Blur erfallten G]askSrper- r a u m e s .

Bezaglich des Verlaufes und der Ausg~nge der Dynamitverletzungen muss man die leichten, lediglich auf die Oberfl~che des Bulbus beschr~nkten yon den schwereren trennen. Bei jenen s~ossen sich die auf der ~usseren Haut, tier Conjunctiva und Cornea liegenden Brandschorfe im Laufe der ersten Woche ab und mit ihnen verschwinden die meisten oberflachlich sitzenden kleinen FremdkSrper, sodass die Anfangs yon einer graubr~unlichen Kruste fast v~llig bedeckte und dadurch ganz undurch- sichtige Hornhaut ef~ fiberraschend schne]l ihre Trans- parenz theilweise wiedergewinnt und zu spiegeln beginnt. Um die in den tieferen Schichten sitzenden Sandk~rnchea uad Gesteinpartikelchen entwickelt sich in der Regel eine circumscripte traumatische Keratitis, kenntlich an dem Auftreten eines kleinen weisslichen Itofes in der Umgebung jedes FremdkSrpers. Ist die Zahl dieser nicht sehr gross,

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so trennt transparentes Gewebe die Herde yon einander and man bekommt fast den Eindruck multipler Infiltrate; sitzen sie dicht, so entsteh~ dutch Confiuiren derselben eiue diffuse weissgraue parenchymat0se Triibung, duroh welche die Corpora aliena zeitweilig fast total verdeckt werden kSnnen. Im Laufe yon 2--3 Wochen pflegt diese Keratitis abzulaufen and die Hornhaut hellt sich dann allmalig bis auf einen gewissen Grad auf, ohne indessen jemals ihre normale Transparenz wiederzugewinnen, l'~ach starkeren Quetschungen der Cornea durch grSssere Stein- fragmente sowie bet Vorhandensein yon nicht perforirenden Riss- oder Lappenwunden kommt es leicht zu nmschrie- boner eitriger Infiltration der Wundrander und ihrer naehsten Umgebung mit gleichzeitigem Anftreten von tiypopyon und Iritis. Bet geeigne~er Behaudlung blieb abet die Suppuration in diesen F~lien eine begrenzte and die Wunden heilten schliesslich mit Hintefla.ssung leucomatOser Trabungen.

Ganz anders gestaltete sich dagegen der Verlauf bet perforirenden Verletzungen der Cornea und traumatischer Cataract. Unter starker 6dematSser Sehwellung der Lider, hochgradiger Injection und Chemose der Conjunetiva ent- stand bet vier Patienten, yon den Wundr~ndern ausgehend, rasch eine eitrige Infiltration der ganzsn Cornea, die zu v~ltiger Schmetzung derselben und zum Ansbruch yon Panophthalmitis fiihrte. Bet den tibrigen war der Verlauf zwar weniger starmisch, der husgang abet ebenso truurig, insofern, als es unter den Symptomen ether mehr minder heffigen Iridoeyditis odor Iridoehorioiditis zu Phthisis bulbi

moist mit vOlligem Verlust jeder Spur yon Lichtschein - - kam. Zuweilen beschr~nkte sich die Phthisis auf den vorderen Bulbusabschnitt, stets waren dann aber feste narbige Verwachsungen zwisehen Cornea, Iris and ge- schrumpfter Linse vorhanden, wetche jede operative Hilfe unm(iglich machten.

Ueber Yerletzungen der Augel~ dutch Dynamit. 213

Wahrend die schnelle Entwickelung einer Panophthal- mitis wohl sicherlich dutch das Eindringen yon Infections- keimen in den er~ffneten Butbus zu erktfiren ist., verdankt meiner Ansicht nach die viel haufiger vorkommende Iri- docyclitis ihre Entstehnng dem complieirten Trauma, bei dem es sich stets gleichzeitig um Quetsehung und Zer- reissung der Cornea and Iris, ErSffnung der Linsenkapsel and das Eindringen zahlreicher kleinster FremdkOrper in das Innere des Butb~s handelt.

Gt~nstiger war der Verlauf in dem einen der beiden Fi~lle yon Seleralruptnr in der Nahe des inneren Corneal- randes mit Prolapsus iridis, Hyphaema, GlaskSrperblutung und partieller Amotio der untersten Netzhautpartien. Trotz der Anwesenheit zahlreicher Sandkbrnchen im Corpus vitreum entzfinde~e sich dassetbe nicht, sondern hellte sich nach Heilung der Wunde nnd Resorption des Blutes so- weir auf, dass sieh S auf fast 1/2 hob. - - 1'/2 Jahre nach der En~lassung des Patienten aus der Klinik hatte ioh Gelegenheit, denselben nochmals zu untersuchen; die Amoti~ war stationer, das Sehverm~gen nnver~ndert geblieben.- Zu Phthisis bulbi kam es dagegen in einem zweiten Falt yon Perforation der Sclera in Folge massenhaften Glas- k6rperverlustes mit consecutiver Blutung in das Iunere des Auges and Amotio retinae.

Die einzelaen Kraakengeschichten in extenso mitzu- theilen, erscheiat mir zwecklos trod ermadend, ich be- schr~nke reich daher daranf in nachstehender Tabelle eiuen kurzen Ueberbliek aber Art and Verlauf der Verletzung, sowie aber das erreiehte SehvermSgen zu geben:

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Ueber Verletzungen 4er Augea durch Dynamit. 215

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Ueber V~letzungen der Augen dm'ch Dynamit. 217

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218 Prof. Dr. A~ ~. Hippel.

Wie ein J31iok auf die letzte Spalte der Tabelle lehr~, sind die Resultate so traurige, wie wir sie bei keiner an- deren AffeGtion der Augen wiederfinden; yon den 20 Ver- letzten erblindeten 8 doppelseitig, 7 einseitig unheitbar; zweimal wurden nur Finger in 2 Meter gezfihlt, ~%xmal eine Sehseh~irfe yon 2°/see erreicht, welche zur Erhaltung der Erwerbsfahigkeit der Patienten in ihrem bisherigen Deruf nicht gent~g~. Je einmal hob sigh S anf 2%00 resio. ~°/~o, s°/5o, ~°/4o, ~,iermal endtieh auf S%o. Bei der Nehr- zahl dieser Pa~denten war dann aber des andere Auge amanro~iseh geworden, sodass ihnen die Fortsetzung ihrer /krbeiten im Bergwerk doeh unm0glich gemaeht wurde; eine A~tsnatm~e hiervon bilden allein die gerletzgen geitz uad Sehmidt (4[ u. 8), welche ihrem Beraf wieder naebgehen konnten.

Aus dem Nitgetheilten geh~ hervor, dass die Prognose in der Nehrzahl tier F~.lte von Dynamitvertetzung der Augen absolut sehleeht, in den fibrigen sehr zweifelhaft ist, da es sieh fast stets um ttusserst complioirte Traumen handel& VSllig verloren zu geben sind yon vornherein die Augen, bei welehen sieh eine perfbrirende Wunde tier Cornea odor Sdera mit traumatiseher Cataract verbindet; nile ohne Ausnahme gingen dureh Iridoehoroiditis mit eon- seeu~iver Amotio und Phthisis odor dutch Panophthatmitis zu Grunde. Nieht ganz so ungtinstig gest altet sieh die Prognose bei den mehr oberfl~ehliehen Verletzungen and Quetschungen der Co~junegiva, Cornea and Selera dutch dngedmngene Fremdk6rper, vorsiehtig muss sie abet aueh hier Anfangs gestellt werden, weil nieht selten erst mehrere Tage naeh der Verletzung eine parenehymatOse Keratitis entsteht, die entweder zu diffuser diehter Trabung der Cornea oder gar zur Eiterung ftthren kann.

Die Therap ie vermag bei der Sehwere des Traumas nur wenig zu leisten. In f}isehen l~illen ist die erste

Ueber Verletzungen der Augen durch Dynamit. 219

Aufgabe, alle gr6sseren Fremdk~rper, die einigermassen oberflaehlieh sitzen, aus der Haut, der Conjunetiva, Cornea and Sclera zu entfernen, was mit Hilfe des Cocains meist sehmerzlos gelingt. Besonders hat man dabei auf die obere Uebergangsfalte zu aehten, aus der ich in einer Anzahl yon Fallen gr6ssere spitzige Steinsplitter extrahirte, welche sich tier in die Schleimhaut eingebohrt hatten und die Cornea in hohem Masse gefahrdeten. Die bedeutende ~demat~se Schwellung der Lider ersehwert das ~ Ectro- pioniren des oberen allerdings oft so erheblich, dass die Chloroformnareose sich nieht immer entbehren l~sst. - - Naeh Beseitigung der gr~sseren Fremdk~rper empfiehlt es sieh, den ganzen Conjunctivalsack and die Oberfl~tche des Augapfels mit einer auf K(~rpertemperatur erw~trmten Sublimatl~sung (1:5000) grandlieh zu irrigiren, um alle nur lose anhaftenden SandkUrnchen und Ges~einpartikelchen m6gliehst zu entfernen und zugleieh die zahlreichen gr6sseren und kleineren Wunden zu desinficiren. Ein etwaiger ¥ersuch, die im Gewebe der Conjunetiva~ Cornea und Selera sitzenden kleinen Corpora aliena mit einer Nadel herauszuheben, ist durehaus verkehrt, denn die oberfl~chlichen stossen sich zum gr0sseren Theil mi[ dem verbrannten Epithel in einigen Tagen spontan ab, die tieferen stecken so lest in dem Parenehym, dass sie sieh ohne erhebliehe Verletzung desselben nicht entfernen lassen. Wegen der stets vorhandenen ausgedehnten Verbrennung der Haut des Gesichts und der damit verbundenen heftigen Schmerzen ist es zweckmassig, den Kopf mit Sublimatgaze zu bedecken, die dauernd feueht gehalten werden muss~ his die Brandschorfe sich sammtlich abgestossen haben. Nach Entfernung derselben benutzte ich his zur v~lligen tteilung der Hautwunden Jodoform-Vaseline oder Jodoform- Lanolin zu den Verbanden. Bei oberfl~ehlieher ¥erletzung der Augen kommt man mit dieser einfaehen Therapie aus;

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entsteht parenGhymat0se Keratitis oder [ritis~ so ist veto Atropin und der feuohten W~trme Gebrau~h zu roughen.

Perforirende Cornealwunden ohne gleiohzeitige Linsen- verletzung heilen zwar nach Abtragung der meist vor- handenen Irisvorf'~lle unter antiseptisohem Druokverband, fas~ stets bleiben aber wegen Quetsohung der R~inder un- regelmassige breite Narben, nicht selten so ansgedehnte Fl~chenverwachsungen zwischen Cornea und Iris zur~lek, dass es zu mehr mimer vollstandiger Aufhebm~g der vorderen Kammer uud Abflachung der Hornhant, znweilea zu Phthisis anterior kommt.

Bei unregelmlissigen Lappenwunden der Cornea, die die Tendenz znm Klsffen zeigten, sohritt ich wiederholt mit Erfolg znr Anlegnng yon Sutures. Bedient man sich stark gekrammter, sehr scharfer Nadeln und feil~ster, in Sublimatl~sung gut desinficirter Seide, so l~sst sieh die Cornea ohne nennenswerthe Quetsehung oder Zerrung durehsteehen und die Faden k0nnen 4~6 Tage liegen bleiben, ohne die gerings~en Reizungserscheinungen zu verursaehen. Ebenso erwies sieh die Anwendung yon Suturen sehr ntitzlieh bei perforirenden Seleralwunden mit Glask~rpervorfalt. Bei tier Leiehtigkeit, mit weleher es in dera~tigen F~Ilen trotz antiseptiseher Verbande zu einer In%etion des frei liegenden Corpus vitreum kommt, ist es besonders wansehenswerth, naeh Abtragung desselben die Wunde in den Bnlbuswandungen so rasch als m6glieh zu festem Versehlnss zu bringen. - - Verb~ndet sieh eine Perforation der Cornea oder Selera mit Verletzung der Linse, so bleibt jede Therapie ohnm-;iehtig, well dureh die quellenden Cortiealmassen noch ein neuer, des Trauma eomplioirender Factor hinzukommt, tier einerseits die Heilung tier Wunde hindert, andererseits zu Entzandung der Iris und des Corpus ciliare Veranlassung giebt. Ein

Ueber Verletzungen der Augen dutch Dynamit. 22t

e~waiger Versuch, die getrabte Linse zu extrahiren, miss- lingt stets, denn die Cohi~renz ihrer einzelnen Theile ist so gross, dass sich h6chstens einige k]eine Partikel ent- fernen tassen. Durct~ die weitere Er¢~ffnung tier Kapsel und die Verschiebung der Linsenfragmente steigert ma.n nut die Entztlndungserscheinungen und fiihrt rasch eine vUltige Aufhebung des Lichtscheines herbei. Ebenso wenig natzt in diesen Fallen die Iridectomie, well die tterstetIung eines ausreichend breiten C0toboms durch die Fllichenver- waehsung zwischen Iris und Linse und die bet der Operation stets eintretende Blutung vereitelt wird. Der Verlauf der Iridoeyelitis resp. Iridoehorioiditis gestaltet sieh ftir den Kranken noch am Ertragliehsten bet Anwendung eines antiseptischen, feuehtwarmen Druckverbandes.

Die Ursache, wamm im Gegensatz zu anderen per- forirenden Verletzuugen mit Cataraeta traumatiea gerade die durch Dynamitexplosion verantassten mit dieser fatalen Nothwendigkeit zu totalem Verlust des SehvermSgens fahren, tiegt in dem gleiehzeitigen Eindringen zahlreieher K(irnehen yon Sand und Kieselguhr in das Innere der hugen. Von ihrer Anwesenheit in der Linse, dem Glas- k6rper, der Chorioidea und Retina habe ich reich wieder- holt a~ enucteirten Augen iiberzeugen kSnnen.

Ist die perforirende Wunde der Bulbuswandungen so gross, dass ein erheblicher Theil der Contenta ausgetreten und Amotio mit Verlust des Liehtschdns entstanden ist, so halte ieh die Enucleation far indicirt, ebenso z(~gere ich mit derselben nieht, sobald sieh die symptome der beginnenden Panophthalmitis zeigen, denn es erscheint mir ungereehtfertigt, den ohnehin schwer leidenden Patienten die mit der Entzandung verbundenen heftigen Schmerzen aufzuerlegen. Enucleirt man unter streng antiseptisehen Cautelen und sehliesst die Conjunctivalwunde durch Suturen,

222 Prof. Dr. A. v. Hippel.

so eraehte ieh die Operation anch bd beginnender Panoph= thalmitis far durohaus ungef~hrlieh. Ist letztere bereits auf der tt~ho der Entwickdung, wean der Kranke in Be- hand]ung tritt, wie ioh dies zweimal sah, so ziehe ich eine Indsion in den Bulbus zur Entleernng des Eiters der Enucleation vet. - - Zuweilen wird die Entfernung eines sehon phthisisch gewordenen Bulbus nod1 lunge Zeit nach der Verletzung nothwendig, entweder wegen hart- n~ddger Empfindtiohl~eit des Corpus ciliate odor wegen permanenter, sehr qu~Iender subjeotiver Liehterseheinungen. In beiden F~tllen sind eingedrungene kleine Fremdk6rper die Ursache der Besehwerden.

Die genaue Untersnqhung tier enudeirten Augen or- gab mit Ausnahme der Anwesenheit zahlreicher kleiner Corpora aliena im Inneren keinen besonders charakteristisehen Beflmd. Stets land ieh neben entztindlicber Infiltration und Verdid~mng der Sdera und Chorioidea totale trichter- f6rmige Abl6sung der Retina mit Zerreissung derselben und Verdterung des GlaskSrpers, partielIe AblUsung der Chorioidea, eitrige 8d~melzung der Hornhaut mit Vorfall der IrEs - - knrz Ver~tnderungen, wie man sic bd be= ginnender Panophthalmitis auch nacll anderen schweren Verletzungen antrifft; ieh unteflasse es daher, die Resul- tare der mikroskopischen Uatersuehung eingehender mitzu- theilen.

W~thrend derselben Zeit, welehe mein Berieht umfasst, wnrden auf der chirurgischen Klinik meines Collegen Bose 10 F~alte yon Dynamitverletzung aufg'enommeu, iiber die nachstehende Tabelle kurze Auskunf~ giebt.

Ueber Verletzm~gen der Augen durch Dynamit. 9~')

lC

Namen.

D~tz . . . .

P. Sch~ddt

Heak~ufer

Jung . . .

Stiicker . .

Adelfang .

G15ckner .

K i s s e l . . .

) ~ e y e r . . .

Becker . .

A r t der V e r l e t z u n g . V e r l a u f nnd

Ausgang .

49

29

30

~2

20,

22

26

~9.2

25

24

Zerschmettertmg der reehten Hand.

Zermalmung der rech- ten Band.

Zerschmettemng der linken Hand und der Nasenwurzel.

Risswunde auf dem linken Haudriicken mit Freilegung des dritten Metaearpalknoehens.

Verletzung der ersten Phalanx dos linken Dau- mens lind Zeigefing'ers.

Complicirte Fraetur des Stirnbeins mit De- pression eines 3~ Cm. langen and 2 Cm. brei- ten hnochenstiiekes.

Totale Zersplitterung des reehten Obe~arms dicht fiber den Cendylen, ausgedehnte Zerreissung der Weichtheile.

Complieirte Fractur des reehten Seheitelbeins und Siebbeins.

Fractur des Unterkie- lets, des Prec. alveol, des

t Oberkiefers, des Septum narium, Er~ffnung tier StirnhShle. Ausgedehnte ~eiehtheilwtmden,

Complieirte Fractur des nTalus u. des Condyl. ext. femoris. Einfaehe Fraetur d. 1. Unterschen- kels. Zahlr, Weiehtheil- Verletzungen am Xopfe.

Amputatio anti- braehii, geheiit

Amlmtatio anti- braebii, geheilt.

Amputatio anti- brachii, geheilt.

@eheiIt.

Geheilt.

Trepanation, ge- heilt.

Geheilt.

Trepanation. Tod an eiteriger He- ningitis.

Geheilt~

Geheilt.

224 Profi Dr. A. v. Hippel.

Angesiehts der Thaisache, class im Laufe yon 6 Jahren in einem ttospRal 29 Bergleute zur Aufnahme kamen, welche dutch DynamRexplosionen die schwersten Schfi- digungen an ihrer Gesundheit erlRten und zum gr(isseren Theft dauernd erwerbsunfahig warden, kann man nur annehmen, dass entweder die bisher erlassenen berg- polizeiliehea Vorsehriften tiber den Gebrauch des Dynamit nicht eingehend und precise genug abgefa.sst sind oder dass die mit ihrer Ausfahrung betrauten Aufsichtsbeamten dieselben nieht strenge genng handhaben. M(ichtea die m~ssgebenden Beh(frden der Angelegenheit bald ihre Auf- merksamkeit zuwenden !

Giessen, 1. August 1886.