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Bachelor-Arbeit Bachelor Thesis Title: Untersuchung über die Existenz von Tonarten- Charakteristiken im 21. Jahrhundert Module Name: Major Project Module Number: SAE 610 Course Number: AEBP 914 Date Submitted: 28. August 2016 Award Name: Bachelor of Arts (Hons.) Audio Production Year: 2014 / 2016 Name: Hans Bauer City: Köln Country: Germany Module Leader: Andreas Friesecke Staffing: Christoph Fischer, Stephan Lembke, Patrick Leuchter, Timo Semmler Word Count: 13947 Weighting: 100 % Theorie

Untersuchung uber die Existenz von ...ha-bauer.de/ba_tonartencharakteristiken_21_jahrhundert.pdf · T one wurde der Klang dunkler, leiser und weicher. Erst Theobald B ohm erfand 1832

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Bachelor-Arbeit

Bachelor Thesis Title: Untersuchung über die Existenz von Tonarten-

Charakteristiken im 21. Jahrhundert

Module Name: Major Project

Module Number: SAE 610

Course Number: AEBP 914

Date Submitted: 28. August 2016

Award Name: Bachelor of Arts (Hons.) Audio Production

Year: 2014 / 2016

Name: Hans Bauer

City: Köln

Country: Germany

Module Leader: Andreas Friesecke

Staffing: Christoph Fischer, Stephan Lembke, Patrick

Leuchter, Timo Semmler

Word Count: 13947

Weighting: 100 % Theorie

Untersuchung

uber die Existenz von

Tonartencharakteristiken

im 21. JahrhundertBachelor-Arbeit

Hans Bauer

24. August 2016

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis 5

Tabellenverzeichnis 5

1 Einleitung 6

1.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

1.2 These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

1.3 Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

1.4 Zielgruppe der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

1.5 Industrierelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

2 Grundlagen 8

2.1 Das historische Instrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.2 Historische Stimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2.2.1 Klarung der wichtigsten Fachbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2.2.2 Kurzer Abriss zu historischen Stimmungen . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.2.3 Erklarung der ungleichschwebenden Temperaturen anhand der

Werckmeister III-Stimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2.3 Die gleichstufige Stimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.3.1 Begriff der gleichstufigen Stimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.3.2 Abgrenzung der gleichstufigen Stimmung vom Begriff der wohltempe-

rierten Stimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.3.3 Notwendigkeit einer gleichstufigen Stimmung . . . . . . . . . . . . . . 16

2.4 Die Tonarten-Charakteristik - fruher und heute . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

3 Methodik 18

3.1 Die Umfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

3.1.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

3.1.2 Pretest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

3.1.3 Verteilung der Umfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

3.1.4 Aufbau der Umfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

3.2 Die Horbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.3 Auswertungsmethodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

3

3.4 Begrundung der Methodenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

4 Durchfuhrung 27

4.1 Planung der Umfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

4.2 Die Horbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

4.3 Die Umfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

4.3.1 Der Pretest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

4.3.2 Die Umfrage selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

4.4 Die Auswertung der Umfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

5 Ergebnisse 36

5.1 Auswertung der Ergebnisse - Frage fur Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

5.2 Interpretation der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

5.3 Mogliche Theorien, womit das heutige Empfinden der Tonarten-Charakteristiken

zusammenhangt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

6 Zusammenfassung 59

6.1 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

6.2 Kritische Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

6.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Literaturverzeichnis 63

Selbststandigkeitserklarung 64

Anhang 65

4

Abbildungsverzeichnis

1 Die Obertonreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2 Schematische Darstellung der Werckmeister III-Stimmung . . . . . . . . . . . 14

3 Ausschnitt aus dem Titelblatt zu J.S.Bachs Wohltemperiertem Clavier I . . . 15

4 Umfrage-Ergebnisse - Frage 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

5 Umfrage-Ergebnisse - Frage 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

6 Umfrage-Ergebnisse - Frage 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

7 Umfrage-Ergebnisse - Frage 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

8 Umfrage-Ergebnisse - Frage 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

9 Umfrage-Ergebnisse - Frage 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

10 Umfrage-Ergebnisse - Frage 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

11 Umfrage-Ergebnisse - Frage 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

12 Umfrage-Ergebnisse - Frage 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

13 Umfrage-Ergebnisse - Frage 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

14 Umfrage-Ergebnisse - Frage 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

15 Umfrage-Ergebnisse - Frage 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

16 Umfrage-Ergebnisse - Frage 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

17 Umfrage-Ergebnisse - Frage 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

18 Umfrage-Ergebnisse - Frage 15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Tabellenverzeichnis

1 Kreuztabelle 1 - Vergleich der Antworten verschiedener Instrumentengruppen 51

2 Kreuztabelle 2 - Vergleich der Antworten der beiden Absolut-Horer . . . . . . 52

5

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Jahrhundertelang wurde daruber diskutiert, ob den verschiedenen Tonarten bestimmte Cha-

raktere zugeordnet werden konnen. Es gab diverse Begrundungen fur die Unterschiedlichkeit

der Charaktere. In der heutigen Zeit erscheinen diese Begrundungen mehr oder weniger ob-

solet.

Sowohl die gleichschwebende Stimmung als auch die heutige Bau- und Spielart der Instru-

mente haben dafur gesorgt, dass alle Tonarten heutzutage die gleiche Qualitat aufweisen.

Trotzdem soll es immer noch Musiker geben, die die Meinung vertreten, dass bestimmten

Tonarten jeweils ein bestimmter Charakter zuordnet werden kann.

Damit ist ausdrucklich nicht der Unterschied zwischen Dur und moll allgemein gemeint,

da diese Modi sich aufgrund ihrer harmonischen Struktur sowieso voneinander unterschei-

den. Es geht vielmehr um die Unterschiedlichkeit der einzelnen Dur- bzw. moll-Tonarten

untereinander.

1.2 These

Bei Verwendung von modernem Instrumentarium und der gleichschwebenden Stimmung gibt

es keine nachweisbaren Unterschiede zwischen den einzelnen Tonarten. Somit existieren auch

keine unterschiedlichen Charaktere mehr.

1.3 Zielsetzung

Die Arbeit soll beweisen, dass Tonarten heutzutage keinen eigenen Charakter mehr haben

und es somit egal ist, in welcher Tonart ein Musikstuck gespielt wird.

Dazu werden Musikern zwei Musik-Stucke (eines in Dur, eines in moll) vorgespielt, jeweils

in drei verschiedenen Tonarten. Mittels einer Umfrage soll herausgefunden werden, ob die

Musiker heute noch einen Charakter-Unterschied zwischen den Tonarten wahrnehmen.

1.4 Zielgruppe der Arbeit

Die Zielgruppe dieser Arbeit sind vor allem Musiker und Bands, die dann schwarz auf weiß

lesen konnen, dass Tonarten heutzutage tatsachlich keinen Charakter mehr haben und es

meist von der musikalischen Erziehung und auch vom (absoluten) Gehor abhangt, ob man

einer Tonart noch einen Charakter zuordnet.

6

Dies hat naturlich unmittelbar Auswirkungen auf die Performance der Sangerin / des

Sangers einer Band, wenn die Stucke dann in der Tonart gespielt werden, in der sie fur die

Sangerin / den Sanger ideal singbar sind.

Auch Instrumentalisten konnten dann Stucke, die durch viele Vorzeichen schwierig zu lesen

und schwierig zu spielen sind, in fur sie leichtere Tonarten transponieren, ohne dass Abstriche

in der Qualitat des Stuckes gemacht werden.

Die Arbeit wird uber eine eigene Website bekannt gemacht, sowie an befreundete Musik-

wissenschaftler weitergegeben, die ebenfalls zur Verbreitung der Arbeit beitragen konnen.

1.5 Industrierelevanz

Diese Arbeit ware fur die Musikindustrie relevant, da besonders Sanger oder Sangerinnen

nicht mehr in bestimmten Tonarten singen mussten, die angeblich charakterlich besonders

gut geeignet sind – mit dem Ergebnis, dass der Klang suboptimal ist, weil die Tonart nicht

der Stimmlage des Sangers entspricht. Sie konnten dann in der Tonart singen, die fur sie

optimal ist, mit dem Ergebnis, dass auch potentielle Aufnahmen oder Live-Auftritte besser

klingen.

Auch konnten Noten von Instrumentalstucken in schwierigen Tonarten in einfachere Fas-

sungen gesetzt und vermarktet werden. Dies wurde vielleicht auch dazu beitragen, dass ei-

gentlich schwierige Literatur auch von Hobbymusikern haufiger gespielt werden konnte.

7

2 Grundlagen

Es folgen einige Grundlagen, um die Entstehung und Beschaffenheit der Tonarten-Charakteristiken

zu verstehen und auch zu begreifen, dass es heute rein logisch und mathematisch keine

Tonarten-Charakteristiken mehr gibt.

2.1 Das historische Instrumentarium

Fruher waren die Instrumente noch anders aufgebaut als heute. Ein paar Beispiele:

1. Die fruhen Barocktrompeten und auch Horner besaßen keine Klappen, hier war man

auf die Naturtonreihe beschrankt, die mithilfe verschiedener Blas-Techniken gespielt

werden konnte. Heutige Barock-Trompeten besitzen jedoch kleinere Intonationslocher

am Bugel, die bei dem genauen Treffen der Naturtone helfen.

Die fruhen Barocktrompeten konnten durch die Beschrankung auf die Naturtonreihe nur

in bestimmten Tonarten benutzt werden - meist D-Dur und C-Dur. Auch dort waren

sie erst ab der 4. Oktave melodiefahig, da erst in der 4. Oktave der Naturtonreihe eine

komplette Tonleiter moglich ist. Der Klang war durch die einfache Konstruktion der

Barocktrompeten sehr offen und hell.

Tonarten, bei denen die Barocktrompete eingesetzt wurde, also vor allem D- und C-Dur,

klangen dementsprechend sehr festlich und brillant.

2. Die moderne Querflote gab es noch nicht, stattdessen die ebenfalls quer gehaltene Tra-

versflote, die ebenfalls bis auf eine Klappe fur den Ton “dis“ komplett ohne Klappen

auskommen musste und sonst lediglich Locher besaß. Auch hier klang die Stamm-Tonart

D-Dur am besten und offensten. Bei den komplizierteren Gabelgriffen fur abgelegene

Tone wurde der Klang dunkler, leiser und weicher. Erst Theobald Bohm erfand 1832

die nach ihm benannte Mechanik, die die Querflote um einige Klappen erweiterte, so-

dass prinzipiell alle Tone spielbar waren und gleich gut klangen. Selbiges gilt auch fur

Oboen und andere Holzblasinstrumente.

3. Streichinstrumente wie die Violine wurden fruher anders gehalten. Wahrend sie heute

meist mit einer Schulter-Stutze zwischen Schulter und Kinn geklemmt werden, lagen

die Violinen fruher nur auf der Schulter auf und wurden von der linken Griff-Hand

gehalten. Diese musste also gleichzeitig die Violine festhalten und daran hindern, von

der Schulter zu rutschen sowie auch die verschiedenen Griffe ausuben. Lagenwechsel

8

waren dadurch erschwert, sodass so oft es ging in unteren Lagen gespielt wurde.

Damit einhergehend wurden naturlich viel ofter leere Saiten gespielt, die naturgegeben

offener klingen als derselbe Ton, gegriffen auf einer tieferen Saite. Heute wird hingegen

auf leere Saiten meist verzichtet, weil man auf leeren Saiten naturlich kein Vibrato

machen kann, was den heutigen Musikern jedoch sehr wichtig ist.

2.2 Historische Stimmungen

2.2.1 Klarung der wichtigsten Fachbegriffe

• Obertonreihe: In jedem klingenden Ton schwingt nicht nur der Ton selbst, sondern

auch eine Reihe harmonischer Obertone mit. Wird eine Saite in gradzahlige Verhaltnisse

geteilt, so ergeben sich die verschiedenen Intervalle. Schreibt man uber jeden Oberton

fortlaufend eine Nummer, so kann man anhand einer einfachen Skizze auch direkt das

Schwingungsverhaltnis des jeweiligen Intervalls ablesen.

Abbildung 1: Die Obertonreihe

Quelle: http://www.michael-michaelis.de/hostimg/obertonreihe.gif

So entspricht beispielsweise die Oktave einem Schwingungsverhaltnis von 21 oder die

Quinte einem Schwingungsverhaltnis von 32 .

Mochte man zwei Intervalle miteinander addieren, so muss man ihre Schwingungs-

verhaltnisse multiplizieren. Zum Beispiel:

Große Terz + kleine Terz =5

4∗ 6

5=

30

20=

3

2= Quinte

Umgekehrt muss man die Schwingungsverhaltnisse dividieren, wenn man die Intervalle

subtrahieren mochte:

9

Oktave - kleine Terz =2

1:

6

5=

10

6=

5

3= große Sexte

• Die Einheit Cent: 1875 erfunden, um Intervalle besser vergleichen zu konnen. Eine

Oktave entspricht 1200 Cent. Wird die Oktave in 12 Halbtonschritte geteilt, so ergibt

sich fur eine gleichstufige kleine Sekunde ein Wert von 100 Cent. Wenn man Intervalle

in Cent angibt, so konnen diese einfach addiert und subtrahiert werden.

• Die Einheit Hertz, abgekurzt Hz: Schwingungen pro Sekunde (Frequenz ). Um von

einem Ton mit einer gegebenen Frequenz ein Intervall zu addieren bzw. zu subtrahieren,

so muss man den Hz-Wert mit dem jeweiligen Schwingungsverhaltnis multiplizieren

bzw. dividieren.

Ist zum Beispiel a’ = 440 Hz gegeben und man mochte die Oktave daruber wissen, so

muss man rechnen:

440 ∗ 2

1= 880 Hz

Analog dazu, wenn man die Oktave darunter wissen mochte:

440 :2

1= 220 Hz

Man kann an diesem Beispiel erkennen, dass sich der Hertz-Wert pro aufsteigender

Oktave verdoppelt und pro absteigender Oktave halbiert.

• Das Komma: Hiermit werden eigentlich zwei verschiedene Werte zusammengefasst.

Da die Werte allerdings sehr dicht beieinander liegen, werden sie meist nicht getrennt

betrachtet, sondern schlicht als “das Komma“ bezeichnet:

1. Syntonisches Komma: Die Differenz zwischen vier ubereinander geschichteten

Quinten und zwei Oktaven + eine Terz. Die Differenz betragt ca. 22 Cent.

2. Pythagoreisches Komma: Die Differenz zwischen 12 ubereinander geschichteten

Quinten und sieben ubereinander geschichteten Oktaven. Diese Differenz betragt

ca. 23 Cent.

10

2.2.2 Kurzer Abriss zu historischen Stimmungen

Allgemein mussen die Oktaven einer jeden Stimmung immer rein sein, da unreine Oktaven

fur das menschliche Gehor nur sehr schwer zu ertragen sind.

Alle Stimmungen, welche mit reinen Intervallen arbeiten, haben das Problem, dass ih-

re Intervalle nicht recht ineinander passen. Wenn man beispielsweise 3 große, reine Terzen

ubereinander schichtet, so wird die Oktave, die sich daraus ergibt, deutlich zu klein sein. Um

genau zu sein: Das Schwingungsverhaltnis einer großen, reinen Terz betragt 54 . Will man Inter-

valle addieren, so muss man ihre Schwingungsverhaltnisse multiplizieren. Demnach ergeben

drei ubereinander geschichtete große, reine Terzen:

5

4∗ 5

4∗ 5

4=

125

64

Hingegen bei einer reinen Oktave verdoppelt sich die Frequenz, das Schwingungsverhaltnis

entspricht also 21 . Auf den selben Nenner erweitert ergibt sich:

2

1∗ 64

64=

128

64

Die Differenz zwischen den drei großen, reinen Terzen und der reinen Oktave betragt also:

125

128= 41 Cent

Dieser Unterschied von 41 Cent wird kleine Diesis genannt, entspricht fast der Halfte eines

Halbtons und ist daher auch fur ungeubte Ohren sehr leicht zu horen.

Wenn man jetzt die Grundregel hat, dass die Oktave jeder Stimmung immer rein sein muss,

so muss man die zu großen Quinten und die zu kleinen Terzen so anpassen, dass sie in die

reinen Oktaven passen.

Die Instrumente, insbesondere die Tasteninstrumente mussen daher temperiert (lat. tem-

perare = maßigen, mildern, ordnen, mischen) gestimmt werden.

Die Art und Weise, ob und wie welche Quinte oder Terz verandert wird, variiert von

Stimmung zu Stimmung. Seit dem fruhen Barock bis ins 19. Jahrhundert hinein gab es immer

wieder Musiker und Theoretiker, die verschiedene neuartige Stimmungen entwickelt haben.

Grundsatzlich werden vier verschiedene Arten von Temperaturen unterschieden:

1. Pythagoreische Temperatur

Wurde im Mittelalter verwendet und basiert nur auf reinen Quinten. Die Terzen galten

im Mittelalter als dissonantes Intervall und waren daher irrelevant. Alle Quinten rein zu

stimmen, ist nicht moglich - 11 reine Quinten ist das Maximum, die zwolfte ist um ein

11

pythagoreisches Komma zu klein. Diese sogenannte Wolfsquinte wird meist zwischen

die Tone Es und Gis gelegt.

Diese Stimmung war fur die Literatur des Mittelalters ideal (Chorale und Gesange),

da diese meist nur aus Oktaven und Quinten bestand. Vielleicht ist dieser Uberfluss

an Quinten auch der Grund, wieso Quint- und Oktav-Parallelen (also das Verschieben

einer Quinte oder Oktave um beispielsweise einen Ganzton) spater verboten wurden.

2. Mitteltonige Temperatur

In der Obertonreihe gibt es eigentlich zwei verschieden große Ganztone: den großen

Ganzton 98 (204 Cent, in der Obertonreihe die Tone c - d) und den kleinen Ganzton 10

9

(182 Cent, in der Obertonreihe die Tone d - e). Die mitteltonige Temperatur teilt die

reine große Terz 108 (in der Obertonreihe die Tone c - e) in zwei gleichgroße Ganztone

auf, die jeweils 193 Cent groß sind. Es gibt also nicht mehr den großen und den kleinen

Ganzton, sondern zwei “Mitteltone“, daher die Bezeichnung Mitteltonige Stimmung.

Diese Stimmung war vom 16. Jahrhundert bis ins 18. Jahrhundert weit verbreitet.

Die reine Terz steht im Mittelpunkt. Acht Terzen konnen rein gestimmt werden, mehr

sind nicht moglich - wir erinnern uns: eine reine Oktave kann nur zwei reine Terzen

(also 23) beinhalten, die dritte Terz ist um eine kleine Diesis zu groß; erweitern wir

den Gedankengang so, dass insgesamt 12 Terzen vorhanden sind, so konnen lediglich

23 davon, also acht, rein gestimmt werden. Die restlichen Terzen sind um eine kleine

Diesis zu groß und konnen daher praktisch nicht verwendet werden. Deswegen ist man

in der Auswahl der spielbaren Tonarten auch relativ beschrankt - Es-Dur, B-Dur, F-

Dur, C-Dur, G-Dur, D-Dur, A-Dur, E-Dur sind spielbar und sind aufgrund der stets

vorhandenen reinen Großterz und der etwas zu kleinen Quinte immer gleich gut in ihrer

Qualitat. Da die Qualitat der Intervalle stets identisch war, kann man hier auch noch

nicht von einer Tonarten-Charakteristik sprechen. H-Dur, Fis-Dur, Cis-Dur und As-Dur

klingen sehr falsch, weil sie um eine kleine Diesis zu große Terzen beinhalten. As-Dur

klingt besonders schlecht und ist vollkommen unbrauchbar, weil es nicht nur eine viel

zu große Terz, sondern auch noch die um 134 Komma zu große Quinte (Wolfsquinte)

gibt.

Die mitteltonige Stimmung klingt, solange man sich in den angegebenen reinen Tonarten

bewegt, sehr gut und war daher auch noch lange sehr weit verbreitet. Die Schwierigkeit

bei dieser Stimmung war es, dass man auf nur relativ wenige Tonarten beschrankt

war. Um dieses Problem zu beheben, wurden daher verschiedene ungleichschwebende

12

Temperaturen entwickelt.

3. Ungleichschwebende Temperaturen

Zur Erinnerung: Bei der mitteltonigen Stimmung wurden 11 Quinten um 14 Komma

verkleinert, sodass moglichst viele reine Terzen entstehen konnten. Das pythagoreische

Komma wurde also uberausgeglichen, sodass eine Quinte viel zu groß sein musste. Diese

Tatsache prangerte erstmals der Musiktheoretiker Andreas Werckmeister im Jahre 1691

an und stellte neuartige Stimmungen vor, bei denen lediglich vier Quinten um 14 Komma

zu klein waren. Dadurch wurde der Quintenzirkel geschlossen und alle Tonarten waren

erstmals mehr oder weniger gut benutzbar. Insofern gilt die sogenannte Werckmeister

III -Stimmung als Vorlaufer der heutigen gleichstufigen Stimmung. Man konnte zwar

alle Tonarten benutzen, aber die Qualitat der Tonarten war sehr unterschiedlich (im

Gegensatz zur gleichstufigen Stimmung).

Diese Tatsache war fur die meisten damaligen Zeitgenossen die Begrundung fur die

Existenz von Tonarten-Charakteristiken.

Eine genaue Erlauterung der Stimmung erfolgt im nachsten Unterkapitel. Diese Stim-

mung wurde durch verschiedene Musiker und Theoretiker immer weiterentwickelt, z.B.

Johann Philipp Kirnberger, Johann Georg Neidhardt und Vallotti, der sechs Quinten

um 16 Komma zu klein stimmte und damit immer naher an die heutige gleichstufige

Stimmung heranruckte.

4. Gleichstufige Temperatur

Hier ist der Abstand zwischen den Halbtonen innerhalb einer Oktave immer gleich, es

werden also 12 Quinten um 112 Komma zu klein gestimmt. Die Abstande zwischen den

Halbtonen betragen also immer 120012 = 100 Cent. Dadurch ergibt sich rein rechnerisch

betrachtet, dass jede Tonart gleich klingt, also keinen eigenen Charakter mehr hat. Jeder

Dreiklang besteht aus einer 112 Komma zu kleinen Quinte und einer um 2

3 Komma zu

großen Großterz.

2.2.3 Erklarung der ungleichschwebenden Temperaturen anhand der Werckmeister

III-Stimmung

Andreas Werckmeister war der erste, der den Quintenzirkel mit seinen Stimmsystemen ge-

schlossen hat. Dadurch gab es keine Wolfsquinte und alle Tonarten waren zum ersten Mal

mehr oder weniger gut spielbar.

13

So sieht seine bekannteste Stimmung, die sogenannte Werckmeister III-Stimmung, aus:

Abbildung 2: Schematische Darstellung der Werckmeister III-Stimmung

Quelle: http://www.hpschd.nu/g/tech/tmp/werckmeister.gif

• Quinten:

– 4 um 14 Komma zu kleine: C-G, G-D, D-A, H-Fis

– 8 reine Quinten: A-E, E-H, Fis-Cis, Cis-Gis, Gis-Dis(Es), Es-B, B-F, F-C

• Große Terzen:

– 2 um 14 Komma zu große: F-A, C-E

– 3 um 12 Komma zu große: G-H, D-Fis, B-D

– 4 um 34 Komma zu große: A-Cis, E-Gis, H-Dis(Es), Es-G

– 3 um 1 Komma zu große: Fis-Ais(B), Cis-Eis(F), Gis-His(C)

Der Quintenzirkel ist geschlossen, es gibt keine Wolfsquinte mehr. Außerdem gibt es in

dieser Stimmung keine reinen Terzen mehr.

Die Tonarten sind von unterschiedlicher Qualitat, die nach Meinung von Werckmeister aber

alle zumutbar sind:

• 2 Dur-Tonarten klingen gut: F-Dur, C-Dur

• 3 Dur-Tonarten klingen relativ gut: G-Dur, D-Dur, B-Dur

• 4 Dur-Tonarten klingen maßig: A-Dur, E-Dur, H-Dur, Es-Dur

• 3 Dur-Tonarten klingen scharf: Fis-Dur, Cis-Dur, As-Dur

14

2.3 Die gleichstufige Stimmung

2.3.1 Begriff der gleichstufigen Stimmung

Zuerst einmal muss festgestellt werden, dass der Begriff der “gleichschwebenden“ Stimmung

irrefuhrend ist. Schwebungen entstehen, wenn Intervalle nicht ganz rein sind. Zu horen ist

dies als ein periodisches An- und Abschwellen des Tones, wie ein Vibrato bei der Geige. Je

weiter man sich vom reinen Intervall entfernt, desto schneller wird die Schwebung.

Der Punkt, wieso der Begriff der “gleichschwebenden“ Stimmung ungenau ist, ist folgender:

Schwebungen verdoppeln sich namlich pro aufsteigender Oktave, analog zu den Hertz-Werten,

die sich pro aufsteigender Oktave verdoppeln (siehe Kapitel 2.2.1).

Wenn beispielsweise die Quarte a - d so zu klein gestimmt ist, dass sie 2x pro Sekunde

schwebt, so schwebt die Quarte a’ - d’ schon 4x pro Sekunde. Also hat sich die Schwebung

verdoppelt; von einer Gleichschwebung kann daher keine Rede sein. Im Verlaufe der Arbeit

wird daher von der gleichstufigen Stimmung gesprochen.

2.3.2 Abgrenzung der gleichstufigen Stimmung vom Begriff der wohltemperierten

Stimmung

Abbildung 3: Ausschnitt aus dem Titelblatt zu J.S.Bachs Wohltemperiertem Clavier I

Quelle: http://www.kulturkeule.de/media/images/Bach-das-wohltemperierte-

Klavier.jpg

Von der heutigen gleichstufigen Stimmung ist die wohltemperierte Stimmung, die auch fur

Bachs Wohltemperiertes Clavier gebraucht wurde, unbedingt abzugrenzen. Der Mathema-

tiker Andreas Sparschuh stellte auf der Deutschen Mathematiker-Vereinigung in Mainz im

Jahre 1999 die These auf, dass die Verzierungen auf dem Titelblatt zu Bachs Wohltempe-

riertem Clavier (siehe Abbildung 3) als eine Stimmanweisung zu interpretieren sind: Es gibt

11 Kringel in drei verschiedenen Varianten. Sparschuh geht davon aus, dass damit 11 Quin-

ten gemeint sind, die drei unterschiedliche Großen haben (die 12. Quinte ergibt sich von

selbst). Dadurch ist belegt, dass die wohltemperierte Stimmung also durchaus noch verschie-

den große Intervalle besaß und daher keinesfalls mit der heutigen gleichstufigen Stimmung

15

gleichzusetzen ist. Wie die Stimmanweisung im Einzelnen auszulegen ist, wurde allerdings

nie von Bach direkt beschrieben - hier gibt es inzwischen sehr viele verschiedene Theorien.

Die grundsatzliche These von Sparschuh, dass es sich um eine Anweisung fur eine ungleich-

schwebende Stimmung handelt, ist heute bei den Musikern und Musikwissenschaftlern jedoch

weitgehend akzeptiert.

2.3.3 Notwendigkeit einer gleichstufigen Stimmung

Da mit zunehmender Zeit der Wunsch starker wurde, dass man ohne viel Stimm-Aufwand

alle Tonarten gleich gut bedienen konnte, wurde schon zu Zeiten des Barock uber eine gleich-

stufige Stimmung diskutiert. Kritiker warnten in diesem Zusammenhang schon damals vor

dem Wegfallen der Tonarten-Charakteristiken und damit einhergehend einer großeren Ein-

heitlichkeit und somit Langeweile in der Musik.

2.4 Die Tonarten-Charakteristik - fruher und heute

Schon die alten Griechen glaubten, dass jede ihrer damaligen “Tonarten“ wie zum Beispiel

dorisch oder phrygisch (die ubrigens nichts mit den heutigen Kirchentonarten zu tun hatten)

einen eigenen Charakter hatte. Der alte Plato verbannte sogar manche Tonarten aus der

Erziehung, da sie schadlich seien.

Theoretiker waren sich - damals wie heute - nicht einig uber die genauen Charaktere, wie

sie zustande kamen und ob sie uberhaupt existierten.

Fruher bedeuteten Tonarten den verschiedenen Komponisten jeweils etwas anderes. Die

Tonart c-moll war zum Beispiel fur Bach mit den Schlagworten ernsthaft und ruhig verknupft,

wahrend sie fur Beethoven deutlich leidenschaftlicher war - man denke nur an Beethovens 5.

Sinfonie mit der uberaus bekannten furiosen Anfangsphrase.

Stephani legte bei seiner Definition von Tonartencharakteristiken im Jahre 1923 die Tonart

C-Dur als Basis fest und sagte, je mehr Kreuze eine Tonart habe, desto heller und freudiger

werde sie und ebenso je mehr Bs eine Tonart hat, desto dunkler und trauriger werde sie.

Diese These wird dadurch unterstutzt, dass jeder Ton mit einem Kreuz erhoht wird und mit

einem B erniedrigt - ubertragt man dies direkt auf den Charakter einer Tonart, so erscheint

es nur logisch, die Kreuztonarten als heller zu definieren und die B-Tonarten als dunkler und

melancholischer.

Zu jeder Zeit gab es auch bereits Kritiker der Tonarten-Charakteristiken - selbst, als sich

die gleichstufige Stimmung noch nicht durchgesetzt hatte und jede Tonart tatsachlich einen

16

eigenen Charakter hatte.

Im spaten 19. Jahrhundert sowie fruhen 20. Jahrhundert wurde angefangen, zwischen phy-

sischen, physiologischen und psychologischen Einflussen auf die Tonarten-Chrakteristik zu

unterscheiden:

• Physisch: Stimmsysteme, Hebelwirkung der schwarzen Tasten, sowie die leeren Saiten

von Streichinstrumenten und die Blasinstrumente mit ihren Naturtonreihen

• Physiologisch: Bestimmte Tone haben einen besonderen Einfluss auf das menschliche

Ohr

• Psychologisch: C-Dur als Ausgangstonart, Kreuze gehen hoch, Bs gehen runter; au-

ßerdem klingen die Tonnamen unterschiedlich hart oder weich - dies wird besonders

im Englisch deutlich: G flat major (Ges-Dur) und C sharp major (Cis-Dur). Flat ist

also im Englischen die Bezeichnung fur eine B-Tonart; diese Tonarten klingen fur eng-

lische Ohren offenbar flach oder glatt. Die Kreuztonarten hingegen werden von den

englischsprachigen Nationen als sharp, also scharf angesehen.

Die Tonarten-Verstandnisse waren nicht nur von Komponist zu Komponist, sondern auch

von Epoche zu Epoche verschieden. So war zum Beispiel dorisch bei den Griechen mit

wurdevoll verbunden, wahrend es im Mittelalter fur alle Affekte geeignet war. In der Re-

naissance, in der man sich wieder auf die Antike zuruckbesann, wurde die Tonart dorisch

wieder mit wurdevoll gleichgesetzt.

17

3 Methodik

Im folgenden Abschnitt wird auf die genaue Vorgehensweise und die Maßnahmen, die bei der

Forschung ergriffen wurden, eingegangen.

3.1 Die Umfrage

Fur diese Arbeit wurde die Umfrage als Methodik gewahlt.

3.1.1 Allgemeines

Im Grundlagen-Kapitel wurden die Grundlagen dafur vermittelt, wie das Tonsystem funk-

tioniert und warum es vom Barock bis in die Klassik hinein verschiedene Stimmungen und

somit verschiedene Tonarten-Charakteristiken gab.

Heutzutage hat sich die gleichstufige Stimmung weitgehend durchgesetzt. Um herauszu-

finden, ob heutzutage immer noch verschiedene Tonarten-Charakteristiken existieren, wurde

eine Umfrage durchgefuhrt. Die historische Auffuhrungspraxis wird hier bewusst außer Acht

gelassen. Ihr Name besagt ja bereits, dass in diesem Betatigungsfeld auch heute noch das his-

torische Instrumentarium und die alten Spielweisen fur die Musik benutzt werden - daher gibt

es bei der historischen Auffuhrungspraxis naturlich auch noch die Tonarten-Charakteristiken.

Rein rechnerisch wurde ja schon bewiesen, dass die Tonarten heute bei gleichstufiger Stim-

mung keinen eigenen Charakter mehr haben. Da die Praxis jedoch haufig anders aussieht,

war eine Umfrage der einzige Weg, die Theorie auch zu beweisen.

Die Datenerhebung fur diese Arbeit erfolgte mithilfe einer Umfrage mit rein geschlosse-

nen Fragen, entspricht also einer vollstandig quantitativen Forschung. Das Ziel war es

schließlich, die Meinung moglichst vieler Musiker einzuholen und zwar mithilfe von vor-

gegebenen Antwortmoglichkeiten, sodass die Auswertung nachher leichter fallt. Da es bei

dieser Bachelor-Arbeit nur eine Erhebungsphase gab, spricht man daher auch von einem

“Querschnittsdesign“. (Raithel 2008, 50).

Die Fragen einer Umfrage sollten, frei nach Raithel, stets kurz, mit einfachen Worten

(ohne doppelte Negationen, da dies zur Verwirrung der Teilnehmer beitragt) und konkret

sein. Außerdem sollten die Fragen nicht in Form von Suggestiv-Fragen gestellt werden, die so

gestellt werden, dass bestimmte Antworten erwartet werden. Desweiteren sollte der Indikativ,

also die ist-Form, verwendet werden und kein Konjunktiv, es sollte lediglich ein Sachverhalt

pro Frage abgehandelt werden, und die Fragen sollten den Leser nicht uberfordern. (vgl.

18

Raithel 2008, 73f.)

Der Aufbau des Fragebogens ist im Grunde einfach, aber doch entscheidend, da es eine

Spannungskurve in der Aufmerksamkeit der Teilnehmer gibt. Der Teilnehmer sollte erst mit

einfachen Fragen motiviert werden, danach kommen die eigentlichen wichtigen Fragen (hier

ist die Konzentration auf dem Hohepunkt) und zum Schluss sollten, falls vorhanden und zum

Thema passend, wieder ein paar einfachere Fragen, zum Beispiel zur eigenen Person, gestellt

werden. Damit die Motivation bestehen bleibt, sollte der Fragebogen außerdem moglichst

kurz sein. (vgl. Raithel 2008, 77ff.)

Bei der Auswertung von Fragebogen wird man immer vor das Problem der Antwortverzer-

rung gestellt: Grund kann, konkret auf die Umfrage fur diese Arbeit bezogen, vor allem die

Antwortverweigerung sein, weil der Teilnehmer nichts mit der Frage anfangen kann oder - bei

geschlossenen Fragen - nicht seine gewunschte Antwort unter den gegebenen Moglichkeiten

findet und daher einfach irgendeine Antwort wahlt. (vgl. Raithel 2008, 81)

Die komplette Umfrage wurde uber den Dienst “Google Formulare“ von Google durch-

gefuhrt - dies ermoglicht eine einfache Auswertung der Ergebnisse hinterher, da alles schon

digital vorliegt. Die Kreis-Diagramme, die von Google bei der Auswertung bereits generiert

werden, wurden mittels Screenshot in die eigene Auswertung ubernommen sowie die konkrete

Anzahl der Antworten danebengeschrieben - diese werden bei Google zwar auch angezeigt,

jedoch erst, wenn man mit der Maus uber einem Teil des Kreisdiagramms schwebt. Dies

machte die manuelle Anpassung der Diagramme notig.

3.1.2 Pretest

Um die grundsatzliche Machbarkeit und Vollstandigkeit der Umfrage zu uberprufen, ist es

ratsam, einen sogenannten Pretest durchzufuhren, bei dem die Umfrage von mehreren Per-

sonen, moglichst aus der spateren Zielgruppe, auf “Anwendbarkeit, Vollstandigkeit, Versteh-

barkeit und Qualitat“ gepruft wird. (Raithel 2008, 63)

3.1.3 Verteilung der Umfrage

Die Umfrage soll an moglichst viele Musiker, das heißt in diesem Fall befreundete Musiker

sowie Kollegen meiner Mutter (sie ist studierte Musikerin und in mehreren Ensembles sowie

als Dozentin an der Frankfurter Hochschule fur Musik und Darstellende Kunst und an der

Akademie fur Tonkunst in Darmstadt aktiv) und auch musikinteressierte Laien per E-Mail

weitergeleitet werden. Insgesamt wird die Umfrage an knapp 70 Personen verschickt. Da das

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Thema Tonartencharakteristiken doch sehr speziell ist, muss damit gerechnet werden, dass

die Rucklaufquote recht gering ist. Daher soll die E-Mail direkt mit dem Hinweis versehen

werden, dass die Umfrage bitte weitergeleitet werden soll, falls die betreffende Person noch

von sich aus jemand kennt, der sich fur das Thema interessieren konnte.

Der gewahlte Weg, die Umfrage per Google Formulare durchzufuhren, hat zwar den Nach-

teil, dass ich nicht personlich die Umfrage uberwachen kann, jedoch kann ich bei den Teilneh-

mern darauf vertrauen, dass sie die Umfrage gewissenhaft durchgehen werden, da ich einen

Großteil von ihnen personlich kenne.

3.1.4 Aufbau der Umfrage

1. Die erste Frage soll den Teilnehmer motivieren, die Umfrage weiter durchzufuhren, und

ist daher eine sehr leicht zu beantwortende Frage.

Es wird gefragt, ob man Musiker ist und wenn ja, welches Instrument man spielt. Zur

Auswahl stehen:

• Holz- und Blechblaser

• jegliche Tasteninstrumente

• Streichinstrumente

• Gesang

• sonstige

• Nein, ich spiele kein Instrument.

Diese Frage ist besonders entscheidend, da ein mogliches Verstandnis von Tonarten-

Charakteristiken wahrscheinlich auch von dem selbst gespielten Instrument abhangt.

Da es durchaus auch Menschen gibt, die nicht selbst aktiv Musik ausuben, sondern

lediglich konsumieren, sich jedoch intensiv mit der Musik auseinander setzen und daher

vielleicht trotzdem eine ausgepragte Vorstellung der verschiedenen Tonarten haben,

wird fur sie eine eigene Option hinzugefugt.

2. Die zweite Frage soll herausfinden, ob der Teilnehmer ein absolutes Gehor hat oder

nicht.

Diese Differenzierung ist in Hinblick auf die Interpretation des Ergebnisses durchaus

wichtig.

Da ich selbst ein absolutes Gehor habe, weiß ich, dass es fur manche, wenn nicht alle

20

Absoluthorer schwierig bis unmoglich ist, die Musik von den Tonnamen zu trennen.

Wenn ich ein Musikstuck hore, hore ich das Stuck nicht einfach nur, sondern hore -

meist unbewusst - sofort den Tonnamen mit.

Ob dies allerdings bei allen Absoluthorern so ist, ware im Rahmen einer weiteren Um-

frage zu erforschen.

3. Danach wird die erste themenspezifische Frage gestellt: Wurden Sie auch heute noch

den Tonarten bestimmte Charaktere zuordnen?

Interessant wird hier bei einer Einzelauswertung der Ergebnisse werden, ob die Musiker,

die diese Frage mit “Ja“ beantwortet haben, spater, wenn die Tonarten innerhalb der

Beispiele wechseln, immer noch behaupten, dass sich der Charakter andert.

4. Dann sollen die in den Horbeispielen verwendeten Dur- und moll-Tonarten mit einigen

moglichen Affekten belegt werden. Dabei werde ich mich auf drei Dur- und drei moll-

Tonarten beschranken, um die Umfrage halbwegs kompakt zu halten. Fur die drei Dur-

Tonarten stehen jeweils dieselben drei Optionen zur Auswahl, namlich:

a) Feierlich, festlich

b) Landlich, ruhig, lieblich

c) Freudig, frech

Selbiges gilt fur die drei moll-Tonarten. Hier gibt es die Optionen:

a) Traurig, melancholisch

b) Angenehm, zufrieden

c) Klagend, verzweifelt

5. Im Anschluss folgt das erste Horbeispiel, der a-moll-Walzer von Chopin in Original-

tonart. Dieser wird als Youtube-Video eingebunden, da Google Formulare es leider nur

erlaubt, Youtube-Videos und keine direkten Audio-Clips einzubinden.

Nach dem Anhoren des ersten Beispiels soll man sich festlegen, welchen Charakter das

Stuck in dieser Tonart hat - die Optionen sind wieder dieselben wie bei der ersten

Zuordnung von Affekten zu den Tonarten.

6. Sodann folgen Horbeispiele zwei und drei in den beiden anderen von mir festgelegten

Tonarten direkt hintereinander und es wird gefragt, ob sich der Charakter des Stuckes

durch den Tonartwechsel andert.

21

7. Danach folgt das vierte Horbeispiel, welches in einer der vorigen Tonarten ist, jedoch

um eine Oktave nach unten gepitcht. Auch hier folgt danach die Frage, ob sich der

Charakter im Vergleich zu dem vorigen Beispiel in derselben Tonart geandert hat.

Das war das Vorgehen fur das moll-Beispiel. Fur das Dur-Beispiel mit dem Bach-Praludium

werden die Schritte 5 - 7 wiederholt.

Die Tonarten wurden nach einem eingehenden Studium der Tonarten-Charakteristiken bei

den Musiktheoretikern Johann Mattheson (“Das neueroffnete Orchestre“, Hamburg 1713),

Gustav Schilling (“Encyclopadie der gesammten musikalischen Wissenschaften, oder Universal-

Lexicon der Tonkunst“, Stuttgart 1835-36) und Ferdinand Hand (“Asthetik der Tonkunst“,

Leipzig 1837) ausgewahlt:

• a-moll wird von Mattheson als “klagend, ehrbar, gelassen, gelinde und uber die mas-

sen suße“ (Steblin 1981, 337) empfunden. Gustav Schilling geht in eine vollig an-

dere Richtung, wenn er dieser Tonart “fromme Weiblichkeit und Weichheit [...], ge-

wisse Gutmuthigkeit sowohl zu Scherz als Ernst“ zuweist und sie “zu Freude und

Trauer gestimmt“ ansieht (Steblin 1981, 344). Ferdinand Hand stimmt im Punkt der

“Weiblichkeit“ mit Schilling uberein. Außerdem ordnet er dieser Tonart ein Gefuhl der

Buße zu. (vgl. Steblin 1981, 359)

• h-moll wird von Mattheson als “bizarr, unlustig und melancholisch“ angesehen (Steblin

1981, S. 340), wahrend Schilling und Hand hier die stille Erwartung des Schicksals

und Ergebung in den gottlichen Willen sehen. H-moll ist Schilling zufolge die ideale

Tonart fur eine “sanfte Klage, die niemals in ein beleidigendes Murren oder Wimmern

ausbricht“ (vgl. Steblin 1981, 356).

• Bei c-moll sind sich die drei Theoretiker einig, dass die Tonart lieblich, dabei auch

trist ist und auch die Sehnsucht, schmerzvolle Liebe sowie das Verlangen nach Trost

ausdruckt.

• C-Dur sehen alle drei Theoretiker wohl aufgrund ihrer Einfachheit (keine Vorzeichen,

nur weiße Tasten auf dem Klavier) als “unschuldig, naiv, heiter“ sowie als “Grundlage

aller weiteren Entwicklung“ an (Steblin 1981, 338, 346, 357)

• Mattheson sieht D-Dur als “etwas scharff und eigensinnig“ (Steblin 1981, 338), wahrend

Schilling und Hand schon die heute gangige Charakterisierung vertreten, dass D-Dur

die Tonart des Triumphes und des Siegesjubels ist. (vgl. Steblin 1981, 348, 358)

22

• F-Dur wird nahezu einstimmig auch als Tonart fur Frieden und Freude an den Werken

der Natur angesehen (vgl. Steblin 1981, 352) - eine Charakterisierung, die sich bis heute

gehalten hat. Beethovens 6. Sinfonie, die Pastorale, ist ebenfalls in F-Dur geschrieben

und der Name Pastorale deutet bereits ebenfalls ein landlich gepragtes Verstandnis fur

diese Tonart an.

Diese sechs Tonarten sind also rein von den Definitionen der alten Musiktheoretiker von

Grund auf verschieden und daher gut geeignet, als Tonarten fur meinen Test herzuhalten.

Sie gehoren außerdem zu den Tonarten, denen man auch heutzutage am ehesten noch einen

bestimmten Charakter nachsagt, auch wenn man sich noch nicht so eingehend mit den ver-

schiedenen Tonarten an sich beschaftigt hat. Insbesondere D-Dur wird heute durch Stucke

wie die Feuerwerksmusik von Georg Friedrich Handel mit einem Gefuhl des Triumphes und

der Festlichkeit in Verbindung gebracht.

Die ganze Umfrage soll zudem so aufgebaut werden, dass man auf jede Frage antworten

muss, um das Formular abschicken zu konnen.

3.2 Die Horbeispiele

Fur die Horbeispiele werden zwei Stucke ausgesucht, eines in Dur und eines in moll.

Ich entscheide mich dabei bewusst fur Klavier-Stucke, da das Instrument heutzutage meist

gleichstufig gestimmt ist und einen neutralen Klangcharakter hat. Da ich selbst Klavier spiele,

kann ich die Stucke dann auch selbst einspielen.

Die Stucke sollen zudem so aufgebaut sein, dass direkt mit dem Anfangsakkord die Grund-

tonart klar wird. Außerdem sollen die Stucke moglichst eingangig und jedem bekannt sein.

Dementsprechend fiel die Wahl letztendlich auf den a-moll-Walzer KK IVb, Nr. 11 von

Frederic Chopin und das C-Dur-Praludium BWV 846 aus dem Wohltemperierten Clavier

I von Johann Sebastian Bach. Besonders letzteres ist nicht zuletzt durch diverse Handy-

Klingeltone uber alle Maßen bekannt.

Beide Stucke werden gekurzt, um die Horbeispiele nicht zu lang zu gestalten - schließlich

muss sich der Teilnehmer der Umfrage die Stucke jeweils viermal anhoren. Daher wird bei dem

a-moll-Walzer in der Mitte nach einer Sinneinheit in der Stammtonart a-moll abgebrochen.

Das C-Dur-Praludium wird in der Mitte sehr gekurzt: Es fangt jetzt die ersten 8 Takte normal

an und springt dann nach ein paar Modulationen bei der Dominante G-Dur in den letzten Teil

des Stuckes, in dem die Dominante das Ende des Stuckes einleitet. Diese Kurzung ist zwar

23

wegen des Oktavsprungs von oben nach unten deutlich horbar, jedoch bleibt die Harmonie

grundsatzlich dieselbe und daher ist die Kurzung annehmbar.

So fangen jetzt, trotz teils sehr großer Kurzungen, beide Stucke in ihren Stammtonarten

(a-moll und C-Dur) an und horen dort auch wieder auf. Das macht es dem Horer einfach und

stellt ihn vor keine ungewohnlichen Uberraschungen.

Die Musikstucke werden einmal von mir per MIDI-Keyboard eingespielt. In dem verwende-

ten Software-Instrument lasst sich die Stimmung centgenau eingeben - so wird sichergestellt,

dass die Stimmung tatsachlich exakt gleichstufig ist. Die eingespielten MIDI-Noten werden

dann mit einem einfachen Tastendruck in verschiedene Tonarten transponiert. Das resul-

tiert in der exakt gleichen Performance wie bei der Einspielung, jedoch in einer anderen

Tonart. Dies macht einen objektiven Vergleich moglich, ohne dass man bestimmte mogliche

Charakter-Anderungen auf Performance-Unterschiede zuruckfuhren kann. Tatsachlich emp-

fundene mogliche Unterschiede bei den Horbeispielen sind so nur von der Tonart an sich

abhangig.

Als Tonarten fur die Stucke werden folgende ausgewahlt:

• a-moll-Walzer von Chopin

1. a-moll (Originaltonart)

2. c-moll

3. h-moll

4. c-moll, aber eine Oktave tiefer transponiert

• C-Dur-Praludium von Bach

1. C-Dur (Originaltonart)

2. D-Dur

3. F-Dur

4. F-Dur, aber eine Oktave tiefer transponiert

Es gibt also drei verschiedene Tonarten pro Stuck, sowie eine Version, die eine der schon

bekannten Tonarten benutzt, die allerdings um eine Oktave nach unten gepitcht wird. Dabei

wird jeweils die Tonart genommen, deren Grundton auf der Klaviertastatur am hochsten ist

- so wird sichergestellt, dass das Ergebnis sich noch einigermaßen gut anhort und nicht in

ein undefinierbares tiefes Grollen des Klaviers mundet. Nichtsdestotrotz ist die tiefere c-moll-

Fassung des Chopin-Walzers allerdings schon sehr grenzwertig, was das Frequenzspektrum

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angeht. Die tiefere F-Dur-Fassung des Bach-Praludiums kann man sich hingegen noch sehr

gut anhoren, ohne dass der Klang an Definition verliert.

Diese zwei um eine Oktave gepitchten Fassungen sollen dazu dienen, festzustellen, ob der

Charakter der Tonart tatsachlich nur von der Tonart abhangig ist oder ob sich der Charakter

einer Tonart andert, je nachdem, in welcher Oktave man ein Stuck spielt.

3.3 Auswertungsmethodik

Im Anschluss an die Umfrage mussen die Ergebnisse ausgewertet und spater auch interpre-

tiert werden. Da sowohl der Pretest als auch die eigentliche Umfrage mit Google Formulare

durchgefuhrt wurden, gestaltet sich die Auswertung recht einfach. Ist man bei Google an-

gemeldet und schaut sich die Ergebnisse uber die Administrierungs-Oberflache von Google

Formulare an, so werden direkt ubersichtliche Diagramme mit Legenden generiert, die die

Ergebnisse darstellen.

Leider sind die von Google generierten Diagramme wenig sinnvoll, da neben den jeweiligen

Tortenteilen der Kreisdiagramme nur die Prozentzahl der Stimmen angezeigt wird, die die

jeweilige Option gewahlt haben, nicht jedoch die Anzahl der Stimmen an sich. Die tatsachliche

Anzahl der Stimmen wird erst angezeigt, wenn man mit dem Mauszeiger uber einem der

Tortenteile schwebt.

Das ist naturlich fur die Auswertung an sich erst einmal egal, problematisch wird es je-

doch, wenn die Diagramme grafisch in die vorliegende Arbeit eingebunden werden sollen.

Daher wurden die Diagramme jeweils als Screenshot abgespeichert und mithilfe der Bildbe-

arbeitungssoftware GIMP so bearbeitet, dass sowohl die tatsachliche Anzahl der Stimmen als

auch die Prozentzahlen dargestellt werden. Diese Losung ist zwar nicht richtig elegant, je-

doch recht schnell zu realisieren und das grafische Endergebnis kann als akzeptabel angesehen

werden.

3.4 Begrundung der Methodenwahl

Es wurde schon mehrfach in dieser Arbeit betont, dass es rein mathematisch und physika-

lisch gesehen seit Einfuhrung der gleichstufigen Stimmung heutzutage keine hor- und damit

begrundbaren Unterschiede zwischen den Tonarten geben kann. Da das Verstandnis und die

Wirkung von Musik im Allgemeinen allerdings oft mehr von Gefuhl als von Verstand und

Logik gepragt ist, kann die tatsachliche Wahrnehmung der Musiker, was die Existenz von

Tonarten-Charakteristiken betrifft, durchaus anders ausfallen, als der Mathematiker bzw.

25

Physiker es berechnet.

Um herauszufinden, ob die Musiker heute noch Unterschiede wahrnehmen, bleibt also nur

das Mittel, sie direkt zu fragen. Dazu wurde eine Umfrage erstellt.

Die Methodik der Umfrage wurde gewahlt, da eine Umfrage meist eine quantitative For-

schung darstellt. Bei dieser Forschungsmethode kommt es im Gegensatz zur qualitativen

Forschung nicht auf die individuelle Meinung des einzelnen an. Vielmehr bietet die quan-

titative Forschung eine klar strukturierte Methode, um Daten zu erheben. Die Erhebung

der Daten erfolgt meist mit Fragebogen, ob digital oder auf Papier. Die Probanden erhal-

ten einen jeweils immer gleichen Fragenkatalog mit vorgegebenen Antworten. So wird eine

optimale Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewahrleistet.

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4 Durchfuhrung

“Die Alten waren der Meynung, daß jede Tonart ihre besondere Eigenschaft, und ihren

besondern Ausdruck der Affecten hatte. [...] Man hat Proben, daß mancher eine

Leidenschaft, in einer Tonart, die eben nicht die bequemste dazu scheint, sehr gut

ausgedrucket hat. Allein wer weis, ob dasselbe Stuck nicht eine noch bessere Wirkung thun

wurde, wenn es in einer andern und zu der Sache bequemern Tonart gesetzet ware? [...] Ich

will aber eine Probe vorschlagen, welche sich sowohl auf die Erfahrung, als auf die eigene

Empfindung grundet. Man transponiere z. E. ein wohlgerathenes im F moll gesetztes Stuck

ins G, A, E, und D moll; oder ein anderes in E dur gesetztes Stuck ins F, G, Dis, D und C

dur. Thun nun diese zwey Stucke in einer jeden Tonart einerley Wirkung: so haben die

Nachfolger der Alten Unrecht.“

Johann Joachim Quantz,

Versuch einer Anweisung die Flute traversiere zu spielen, S. 138f.

Dieses Zitat von Johann Joachim Quantz, einer wichtigen Figur in der Musikwelt des 18.

Jahrhunderts (er war nicht nur hervorragender Flotist, Flotenbauer, Komponist und Mu-

siktheoretiker, sondern auch Flotenlehrer Friedrichs des Großen), zeigt, dass schon vor 300

Jahren dieselbe Fragestellung die Musiker beschaftigte. Interessanterweise schlagt Quantz

hier einen Testversuch vor, der der Forschungsidee meiner Bachelor-Arbeit sehr nahe kommt.

Im Unterschied zu Quantz, der forderte, die Stucke direkt in einer anderen Tonart zu kompo-

nieren, nutze ich allerdings die moderne Technik von heute, um ein einmal aufgenommenes

Musikstuck in jeder beliebigen Tonart wiederzugeben.

4.1 Planung der Umfrage

Als das Thema Tonartencharakteristiken im 21. Jahrhundert feststand, musste ich mich zu

allererst fur eine Forschungsmethode entscheiden. Da ich moglichst viele Meinungen von Musi-

kern einholen wollte, um herauszufinden, ob es heutzutage selbst bei gleichstufiger Stimmung

noch Unterschiede in der Wahrnehmung gibt, bot sich eine Umfrage als Mittel der Wahl an.

Dann galt es, die Umfrage grob durchzuplanen, damit das weitere Vorgehen klar werden

wurde:

Es wurde recht schnell klar, dass ich die Teilnehmer zuerst nach dem jeweils gespielten

Instrument (oder den Instrumenten - hier konnte man mehrere Auswahlen treffen) fragen

wollte. In der Auswertung ware es interessant, zu wissen, ob die Musiker je nach Instrumen-

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tengruppe ahnliche Antworten geben.

Bei Sangern zum Beispiel konnte ich mir vorstellen, dass sie nicht so tonartenspezifisch wie

Instrumentalisten denken, weil sie keine Griffe oder Fingersatze zu beachten haben, sondern

lediglich die absolute Tonhohe fur sie entscheidend ist.

Interessant ware auch, herauszufinden, wie Menschen, die nicht aktiv Musik machen, son-

dern nur horen, uber Tonarten denken.

Als zweite Frage wurde zwischen Absolut- und Relativhorern unterschieden. Da laut Wiki-

pedia 10% der Musiker ein absolutes Gehor haben, war ich gespannt, ob sich diese Statistik

bei meiner Umfrage bestatigt. Außerdem war die Unterscheidung wichtig, da Absoluthorer

eine grundsatzliche andere Herangehensweise an die Tonarten haben als Relativhorer.

Anschließend kam die wohl wichtigste Frage, ob der Teilnehmer auch heute noch Charak-

teristiken bei den Tonarten feststellt. Diese Frage wird anschließend vertieft und jeweils drei

Dur- und drei moll-Tonarten sollen mit verschiedenen Charakteren in Verbindung gebracht

werden.

Danach sollten die Teilnehmer anhand von praktischen Horbeispielen sich selbst testen

konnen und herausfinden, ob sie bei den in die Horbeispiele eingebauten Tonart-Wechseln

tatsachlich einen Unterschied bemerken.

Der anfangliche Gedanke, die Umfrage mit Papierbogen zum Beispiel in der Frankfurter

Hochschule fur Musik und Darstellende Kunst durchzufuhren, wurde wieder verworfen. Ich

hatte dann zwar die Sicherheit gehabt, dass durch meine personliche Aufsicht jeder Teilneh-

mer die Umfrage gewissenhaft bearbeitet und nicht zum Beispiel die Horbeispiele gar nicht

komplett anhort und dann direkt die Fragen beantwortet.

Jedoch ist das gewahlte Thema Tonartencharakteristiken sehr speziell und ich hatte ver-

mutlich nur außerst wenige Studenten dazu uberreden konnen, an der Umfrage teilzunehmen.

Desweiteren sind die Abhorbedingungen bei den Teilnehmern zuhause besser, da fur die kor-

rekte Beantwortung der Umfrage und vor allem das Abhoren der Horbeispiele eine große

Konzentration und Ruhe vonnoten ist, die logischerweise in der Mensa oder im Foyer einer

Musikhochschule nicht gegeben sind.

Wichtig war mir auch, dass jeder tatsachlich seine eigene Meinung in die Umfrage einbringt

und sich nicht durch eventuell danebenstehende Freunde oder Kollegen beeinflussen lasst -

ein weiterer Grund fur mich, die Umfrage online durchzufuhren.

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4.2 Die Horbeispiele

Nach dieser groben ersten Planung der Forschung stand fest: Um die Umfrage durchfuhren

zu konnen, war es notig, einige Horproben zu erstellen, die fur die korrekte Beantwortung

und das Verstandnis der Umfrage essentiell waren.

Die Auswahl der Horbeispiele erfolgte nach Bekanntheit. Die Stucke sollten moglichst je-

dem bekannt und gelaufig sein, sodass man sich vollkommen auf die Tonarten konzentrieren

konnte. Die Wahl fiel daher wie beschrieben auf den a-moll-Walzer KK IVb, Nr. 11 von

Frederic Chopin, sowie das C-Dur-Praludium BWV 846 von Johann Sebastian Bach, jeweils

in etwas verkurzter Form.

Die Stucke wurde von mir jeweils in der Original-Tonart mit einem Roland A88-MIDI-

Keyboard eingespielt. MIDI (Musical Instrument Digital Interface) ubertragt keine direkten

Audiodaten an den Rechner, sondern lediglich Steuerdaten, das heißt, wie lange welche Taste

mit welcher Anschlagsdynamik gedruckt wurde, ob das Pedal gedruckt wurde und vieles mehr.

Diese MIDI-Informationen kann ich mir als großes Punkte-Diagramm in der DAW (Digital

Audio Workstation, eine Software zum Bearbeiten von Audio- und MIDI-Material) anzeigen

lassen und auch im Nachhinein zum Beispiel noch fehlerhafte Noten per Drag & Drop, also

einfachem Verschieben entweder mit der Maus oder mit den Pfeiltasten, verandern.

Daher konnte ich im Nachhinein auch einfach die gesamten MIDI-Noten in meiner DAW

(Magix Samplitude Pro X2 auf einem Windows 7-Laptop) um jeweils einen Halb- oder Ganz-

ton verschieben und dadurch die exakt gleiche Performance in mehreren Tonarten erzeugen.

Als virtuelles Software-Instrument kam der Ravenscroft 275 von VI Labs zum Einsatz.

Auf eine Einspielung mit einem richtigen akustischen abmikrofonierten Klavier wurde ver-

zichtet, da die Stimmung des Klavieres in den seltensten Fallen genau gleichstufig gestimmt

ist und sich außerdem die Performance von Tonart zu Tonart andern konnte. Außerdem

ist die reine Klangqualitat von den heutigen Software-Instrumenten bei gleichzeitig immer

gunstiger werdenden Preisen auf einem derart hohen Niveau, dass ein selbst abmikrofonierter

Flugel wahrscheinlich schlechter klingt als das Software-Instrument und sich die Abmikrofo-

nierung nur noch bei besonderen Anlassen wie großen Konzerten oder unter Umstanden fur

CD-Einspielungen (besonders im Klassik-Bereich) lohnt. Fur meine Zwecke hingegen war der

Klang sowie das einfache Handling der MIDI-Noten der entscheidende Faktor, die mich zum

Einspielen mit einem MIDI-Keyboard bewegt haben.

Die Firma Ravenscroft ist, ahnlich wie beispielsweise Fazioli, ein sehr kleines Unternehmen,

das fur seine exquisiten Flugel auf Weltklasse-Niveau bekannt ist. Der Firma VI Labs ist mit

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dem “Ravenscroft 275“ eine absolut fantastisch klingende Software-Umsetzung gelungen, die

sehr neutral klingt und daher bestens fur einen derartigen Horvergleich geeignet ist.

Der Ravenscroft 275 von VI Labs hat eine sehr detaillierte Programm-Oberflache, auf der

sich auch die Stimmung centgenau einstellen lasst. Dadurch wurde sichergestellt, dass die

Stimmung tatsachlich genau gleichstufig ist und jeder Halbton 100 Cent groß ist.

So mussten die zwei von mir ausgewahlten Horbeispiele jeweils nur einmal in der Original-

tonart eingespielt werden und konnten danach per einfachem Tastendruck in jede beliebige

Tonart verschoben werden.

Bei der Einspielung achtete ich darauf, dass ich moglichst neutral und ohne viel interpreta-

torischen Ausdruck spielte, um die Aufmerksamkeit nicht zu sehr von der Tonart abzulenken.

Danach wurden die eingespielten Horbeispiele in die jeweils von mir festgelegten Tonarten

transponiert, als einzelne wav-files exportiert und jeweils einzeln in Adobe Premiere Elements

14 geladen. Hier wurde fur jedes Beispiel ein kurzes Video erstellt: Es wurde der Name des

Stuckes sowie der Komponist als reiner Text weiß auf schwarz ausgegeben. Das Horbeispiel

lief jeweils im Hintergrund mit. Die jeweilige Tonart wurde naturlich nicht im Video verraten,

um eine großtmogliche Objektivitat bei der spateren Beurteilung durch die Teilnehmer zu

gewahrleisten. Die Videos wurden nach dem Exportieren (mit bestmoglichem Audio in 48kHz

und 24 Bit) auf den personlichen Youtube-Account hochgeladen und dort als nicht gelistet

konfiguriert, sodass nicht nach ihnen gesucht werden konnte, sie jedoch fur die Umfrage

offentlich sichtbar waren.

Dieser Umweg uber das Erstellen eines Videos hatte folgenden Grund: Die Umfrage selbst

fand mit Google Formulare statt, da dieser Service von Google eine recht einfache Aus-

wertung der Daten im Nachhinein erlaubt. Die Horbeispiele sollten direkt in die Umfrage

mit eingebunden werden, damit der Teilnehmer moglichst motiviert bleibt und nicht standig

zwischen mehreren Seiten wechseln muss, sondern in einem Fluss die Umfrage beantworten

kann.

Das Problem war, dass Google nicht die direkte Einbindung von Audio-Clips in seine

Umfragen gestattet. Hier ist nur das Inkludieren von Youtube-Videos gestattet - daher der

lastige, aber notwendige Umweg uber die Videos. Warum Google nicht die direkte Einbindung

von Audio-Clips erlaubt, erschließt sich mir nicht - ich bin bestimmt nicht der Einzige, der

auch Audio in seine Umfragen einbauen will.

30

4.3 Die Umfrage

4.3.1 Der Pretest

Um eine grundsatzliche Durchfuhrbarkeit der Umfrage festzustellen, machte ich einen soge-

nannten Pretest - darunter versteht man einen Testlauf, der den Hauptdurchlauf der Um-

frage simuliert. Dieser hat den Sinn, die spatere Umfrage schon einer kleinen Versuchsgruppe

zuganglich zu machen, sodass diese die Umfrage bereits beantworten kann und gegebenen-

falls Ruckmeldung bei Unstimmigkeiten, unklaren Formulierungen oder sonstigen Problemen

zum Beispiel mit der Bedienbarkeit geben konnen. Da dies allerdings noch nicht die richtige

Umfrage ist, besteht noch die Chance, auf mogliche Fehler in der Umfrage zu reagieren.

Da eine spatere Versuchsgroße von ca. 30 - 40 Teilnehmern erwartet wurde, beschrankte ich

mich bei dem Pretest auf drei Personen - diese bekamen, wie die spateren Teilnehmer auch,

einen Link zu dem Google Formular zugeschickt. Dort war die Umfrage mit Horbeispielen

bereits so vorbereitet, wie sie spater auch an die spateren Empfanger geschickt werden sollte.

Außerdem konnte gleichzeitig die Bedienbarkeit des Formulars getestet werden. Da ich zum

ersten Mal mit Google Formulare arbeitete, war es wichtig, zu wissen, ob und wie das Formular

funktioniert.

Die Tester sollten unter anderem auf folgende Punkte achten:

• Sind alle Fragen verstandlich?

• Zieht sich ein roter Faden durch die Umfrage?

• Wird der Teilnehmer nicht uberfordert?

• Fehlen wichtige Antwortmoglichkeiten?

• Hat die Umfrage einen angemessenen Spannungsbogen?

• Ist die Lange der Umfrage zumutbar? Kann die Konzentration wahrend der gesamten

Umfrage aufrecht erhalten werden?

• Funktionieren alle Horbeispiele (technisch gesehen)? Oder gibt es Probleme beim Ab-

spielen? Ggf. muss hier eine alternative Moglichkeit geschaffen werden.

• Ist die Auswahl und musikalische Prasentation der Horbeispiele angemessen?

Das Feedback der Tester fiel uberwiegend positiv aus, was auf eine zum großten Teil gut

durchdachte Umfrage schließen lasst. Eine Anderung wurde allerdings getatigt: In der ersten

31

Version der Umfrage konnte man bei der allerersten Frage, die nach dem selbst gespielten

Instrument fragt, nur eine Option anklicken - einer der Tester regte an, dass es vielleicht

auch Musiker gibt, die mehrere Instrumente spielen. Also wurden bei dieser Frage Checkboxen

statt der ublichen Radio-Buttons genutzt, sodass auch mehrere Optionen gleichzeitig gewahlt

werden konnten.

Ein weiteres Problem, das einem Tester aufgefallen war, ist, dass das Abspielen der Youtube-

Videos auf alteren Rechnern unter Umstanden Probleme bereitet hat. Ich habe daraufhin die

Horbeispiele als reine wav-files auch auf meiner Website zum direkten Download uber ein

zip-Archiv bereitgestellt.

Alle Tester hielten den Anspruch an die Probanden zwar fur sehr hoch, jedoch angesichts

des komplexen Themas der Arbeit fur zumutbar und unumganglich.

Abgesehen von diesen kleinen Verbesserungen wurde die Umfrage so an die anderen Pro-

banden verschickt, wie sie auch die Tester bekommen hatten.

4.3.2 Die Umfrage selbst

Die fertige, geringfugig uberarbeitete Umfrage wurde dann per Mail an moglichst viele Mu-

siker verschickt. Dazu durchforstete ich zuerst meinen Bekanntenkreis - da viele in mei-

ner Verwandtschaft auch mitunter professionelle Musiker sind, kamen hier schon einige E-

Mail-Adressen zusammen. Hinzu kamen einige fruhere Bekannte und Freunde aus dem alten

Oberstufen-Musikkurs am Gymnasium, sowie die sechs Mitglieder meiner eigenen Soulband.

So wurde auch gewahrleistet, dass nicht nur klassisch ausgebildete Musiker an der Umfrage

teilnehmen, sondern auch Musiker, der eher mit der modernen Pop-Musik aufgewachsen sind

und vielleicht auch nicht ein solch ausgepragtes Verstandnis von Tonarten haben.

Zu der Verwandtschaft und den Freunden kamen dann eine Reihe professioneller klassischer

Musiker, die Kollegen meiner Mutter sind und von denen ich viele auch personlich kenne. Um

auch hier wieder einen gewissen Ausgleich herzustellen, stellte mir meine Mutter eine Reihe

E-Mail-Adressen ihrer eigenen Studenten zur Verfugung - diese sind zwar auch klassisch

ausgebildet, haben jedoch aufgrund ihres Alters und ihrer wenigen Berufserfahrung auch

noch keine richtige Erfahrung mit den Tonarten an sich.

Da die verwendete Methode uber Google Formulare tatsachlich vollkommen anonym ist -

das heißt, nicht einmal ich als Administrator der Umfrage kann einsehen, wer welche Antwort

geschickt hat -, kann ich leider nicht nachvollziehen, von wem welche Antwort stammt.

In der E-Mail, die an alle verschickt wurde, war außerdem ein Hinweis, dass die Umfrage

32

bitte weitergeleitet werden sollte, falls die betreffende Person noch jemand aus ihrem eigenen

Bekanntenkreis kennt, der sich fur das Thema interessiert. Da ich aus Erfahrung weiß, dass

Anfragen, die langer als zwei Wochen im Posteingang liegen bleiben, leicht vergessen werden,

wurde in der E-Mail außerdem darum gebeten, die Umfrage moglichst innerhalb von zwei

Wochen zu beantworten.

Ein großes Problem bei solchen Onlineumfragen sind oft Spam-Filter. Da die Links zu den

Umfragen oft sehr kryptische Zeichenfolgen sind, die jeglicher Logik entbehren, werden Mails

mit solchen Inhalten gerne von Spam-Filtern abgefangen. Dieses Problem bezieht sich nicht

nur auf die Links, sondern auch auf den Betreff. Den Pretest verschickte ich mit dem Betreff

“Umfrage“, was sofort dazu fuhrte, dass die Mail bei einem der Tester im Spam-Verdacht-

Ordner landete. Um dieses Problem zu umgehen, wahlte ich beim Versand der Umfrage an alle

spateren Probanden einen Spam-sicheren Betreff “Bachelor-Arbeit Tonartencharakteristik“.

Da ich nicht alle Probanden personlich kannte, stellte ich mich in dem Anschreiben erst

einmal vor und erklarte dann, warum ich ihre Hilfe benotige. Dieses Anschreiben war zudem

so formuliert, dass die Leute sicher sein konnten, dass es sich bei dem Link in der Mail um

keinen Virus handelte. Da ich die Umfrage sowohl an Freunde als auch an mir unbekannte

Personen schickte, setzte ich zwei verschiedene Anschreiben auf. Die verschiedenen Anschrei-

ben hatten folgenden Inhalt:

Anschreiben 1

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin der Sohn von Sabine Bauer und studiere an der SAE in Koln Tontechnik.

Im Moment schreibe ich gerade an meiner Bachelor-Arbeit zum Thema “Tonarten-Charakter-

istiken im 21. Jahrhundert“. Dazu gehort eine kleine Umfrage, fur die ich Ihre Hilfe benotige.

Ich ware Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir 10 bis 15 Minuten Ihrer Zeit schenken konnten

und an der Umfrage teilnehmen wurden.

Die Ergebnisse sind anonym, Ihre Namen werden nirgends erwahnt.

Da ich die Umfrage noch auswerten muss, ware es toll, wenn Sie sie innerhalb der nachsten

zwei Wochen ausfullen konnten. Ich danke Ihnen herzlich fur die Unterstutzung und wunsche

33

Ihnen noch einen schonen Sommer.

Mit besten Grußen,

Hans Bauer

Anschreiben 2

Liebe Freunde,

ich schreibe gerade meine Bachelor-Arbeit zum Thema “Tonarten-Charakteristiken im 21.

Jahrhundert“. Dazu gehort eine kleine Umfrage, fur die ich eure Hilfe benotige.

Ich ware euch sehr dankbar, wenn ihr mir 10 bis 15 Minuten eurer Zeit schenken konntet

und an der Umfrage teilnehmen wurdet.

Die Ergebnisse sind anonym, eure Namen werden nirgends erwahnt.

Da ich die Umfrage noch auswerten muss, ware es toll, wenn ihr sie innerhalb der nachsten

zwei Wochen ausfullen konntet. Ich danke euch herzlich fur die Unterstutzung und wunsche

euch noch einen schonen Sommer.

Mit besten Grußen,

Hans

Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen gab es zwei Ruckmeldungen von verunsicherten Leuten,

die mich zwar personlich kennen, allerdings mit einer anderen E-Mail-Adresse und daher sich

nicht sicher waren, ob sie gefahrlos auf den Link klicken konnen.

Insgesamt sind letztendlich 35 Antworten eingegangen, was schon einer sehr guten Rucklauf-

quote entspricht, wenn man das spezielle Thema bedenkt.

4.4 Die Auswertung der Umfrage

Die Umfrage wurde zum einen direkt mit Google Formulare ausgewertet. Hier kann man

sich, wenn man angemeldet ist, direkt Diagramme zu jeder Frage anzeigen lassen. Dabei

werden fur Multiple Choice-Fragen automatisch Balkendiagramme generiert, bei denen auch

die Mehrfach-Nennungen einzelner Benutzer in den jeweiligen Saulen richtig interpretiert

34

werden. Fur sonstige Fragen, bei denen nur eine Antwort moglich ist, werden von Haus aus

Kreisdiagramme generiert - diese haben eine Legende und der Prozentsatz der Antworten

wird in dem jeweiligen Tortenstuck angezeigt. Die tatsachliche Anzahl der Antworten wird

allerdings erst angezeigt, wenn man mit dem Mauszeiger uber einem Tortenstuck schwebt.

Fur die grafische Darstellung in einer Arbeit wie dieser hier ist das naturlich keine Option.

Daher wurden Screenshots von den einzelnen Torten- bzw. Balkendiagrammen gemacht, die

dann im Nachhinein mit der Bildbearbeitungssoftware GIMP so bearbeitet wurden, dass

sowohl der Prozentsatz als auch die tatsachliche Anzahl der Antworten in jedem Tortenstuck

angezeigt wird.

Die Daten, die bei der Erhebung anfallen und bei Google gespeichert sind, wurden außer-

dem von Hand in eine Kreuztabelle eingetragen, um verschiedene Zusammenhange zwischen

den einzelnen Antworten zu untersuchen (vgl. Maats in Stockmann 2007, 305). So sollten

insgesamt zwei Kreuztabellen erstellt werden, bei denen

1. ersichtlich wird, ob die Musiker einzelner Instrumentengruppen ahnliche Antworten

geben (Kreuztabelle 1) und

2. untersucht wird, ob es einen Zusammenhang zwischen absolutem Gehor und der Wahr-

nehmung von Tonarten-Charakteristiken gibt (Kreuztabelle 2).

35

5 Ergebnisse

Da nun die Grundlagen zum Thema, sowie die These Bei Verwendung von modernem Instru-

mentarium und der gleichschwebenden Stimmung gibt es keine nachweisbaren Unterschiede

zwischen den einzelnen Tonarten. Somit existieren auch keine unterschiedlichen Charaktere

mehr. und deren geplante Uberprufung mit einer Umfrage, die einige Horbeispiele beinhal-

tet, hinreichend erlautert wurden, werden nun die Ergebnisse der Umfrage vorgestellt und

interpretiert.

Fur die Auswertung wurden die Diagramme benutzt, die von Google Formulare direkt

generiert wurden und mithilfe der Bildbearbeitungssoftware GIMP modifiziert, sodass sowohl

die Anzahl der Stimmen als auch die Prozentzahl in dem jeweiligen Diagramm sichtbar war.

5.1 Auswertung der Ergebnisse - Frage fur Frage

Zuerst werden die einzelnen Punkte der Umfrage einer nach dem anderen gelistet und jeweils

ein kurzer Kommentar zu dem Ergebnis dargelegt.

Frage 1

Abbildung 4: Umfrage-Ergebnisse - Frage 1

In der ersten Frage wurde gefragt, ob der Teilnehmer ein Instrument spielt. Auffallend ist

bei der Auswertung, dass die meisten Teilnehmer ein Streichinstrument wie Violine, Brat-

sche oder Violoncello spielen. Außerdem wird ersichtlich, dass nur Musiker bei der Umfrage

mitgemacht haben, da alle ein Instrument spielen. Dies lag vielleicht auch an der Art der

Verteilung der Umfrage und wie ich die Teilnehmer ausgesucht habe. Die wenigen von mir

36

angeschriebenen Personen, die nicht aktiv Musik machen, haben sich nicht bei der Umfrage

beteiligt - vielleicht fuhlten sie sich mit dem Thema uberfordert.

Frage 2

Abbildung 5: Umfrage-Ergebnisse - Frage 2

In der zweiten Frage wurde zwischen Absolut- und Relativhorern unterschieden, da dies fur die

Interpretation der Ergebnisse interessant sein wurde. Erwartungsgemaß fiel das Ergebnis hier

sehr zugunsten der Relativhorer aus. Da ich schon wahrend der laufenden Umfrage in Echtzeit

die temporaren Ergebnisse in Google einsehen konnte, konnte ich folgendes feststellen: Als

genau die ersten 10 Ergebnisse eingetroffen waren, war exakt ein Absoluthorer dabei. Dies

deckt sich mit der Statistik, die ich bei Wikipedia gelesen habe. Im Verlauf der Umfrage kippte

dieses Verhaltnis allerdings noch mehr zugunsten der Relativhorer. Ob sich die Ergebnisse

und Empfindungen von Absoluthorern von denen der Relativhorer unterscheiden, wird im

nachsten Abschnitt bei der Interpretation der Ergebnisse mithilfe einer Kreuztabelle evaluiert.

37

Frage 3

Abbildung 6: Umfrage-Ergebnisse - Frage 3

Die dritte Frage stellte die wohl wichtigste Frage in der ganzen Umfrage dar - ob die be-

treffende Person heute noch den Tonarten einen Charakter zuordnet. Auch hier war etwas

Interessantes zu beobachten: Als die Umfrage lief und ungefahr die Halfte der Antworten

eingetroffen war, lag die Verteilung zwischen den Befurwortern und den Personen, die die

Existenz von Tonarten-Charakteristiken leugnen (in der Folge als Gegner bezeichnet), bei ca.

50/50. Als die Umfrage abgeschlossen war, hatte sich das Verhaltnis eindeutig in Richtung

der Befurworter gewandelt.

Dieses Ergebnis ist insofern uberraschend, weil der theoretische Beweis fur die Gleichheit

aller Tonarten offensichtlich nichts mit der praktischen Wahrnehmung der Musiker zu tun hat.

Mogliche Theorien, die dieses Phanomen erklaren konnten, werden im Kapitel 6.3 vorgestellt.

Interessanterweise sind unter den Gegnern der Tonartencharakteristik drei Holz- oder

Blechblaser - bei den Instrumentgruppen der Streicher, der Tasteninstrumente sowie der sons-

tigen Instrumente gibt es jeweils nur einen Gegner. Dies ist insofern verbluffend, da gerade

die Blaser historisch bedingt eigentlich am ehesten noch Charakterunterschiede wahrnehmen

mussten.

38

Frage 4

Abbildung 7: Umfrage-Ergebnisse - Frage 4

In der vierten Frage sollten die Teilnehmer der Tonart D-Dur drei festgelegte Affekte zu-

ordnen. Bemerkenswert ist dabei, dass der ebenfalls zur Auswahl stehende Affekt “landlich,

ruhig, lieblich“ von keinem der Teilnehmer fur die Beschreibung dieser Tonart benutzt wird.

D-Dur ist damit die einzige Tonart innerhalb dieser Umfrage, der nur zwei Affekte zugeordnet

werden. Der Charakter der Tonart scheint daher sehr tief mit den Affekten “festlich“ und

“freudig“ verankert zu sein.

39

Frage 5

Abbildung 8: Umfrage-Ergebnisse - Frage 5

Die funfte Frage fragte nach einem Affekt fur die Tonart F-Dur. Hier zeigt sich, dass eine

beeindruckende Mehrheit fur “landlich, ruhig, lieblich“ entschieden hat - es ist offensichtlich,

dass sich dieser Affekt fur diese Tonart durchgesetzt hat.

40

Frage 6

Abbildung 9: Umfrage-Ergebnisse - Frage 6

In der sechsten Frage sollte der Tonart C-Dur eine passende Beschreibung zugeordnet wer-

den - hier sind sich die Teilnehmer absolut nicht einig, alle drei Antwortmoglichkeiten sind

zu mehr oder weniger gleichen Teilen vertreten.

41

Frage sieben bis neun beschaftigten sich mit Affekten fur die drei ausgewahlten moll-

Tonarten.

Frage 7

Abbildung 10: Umfrage-Ergebnisse - Frage 7

Die Tonart a-moll wird von den meisten als traurig und melancholisch empfunden. Ein Drittel

empfindet sie als angenehm und zufrieden. Nur zwei Personen haben sich fur klagend und

verzweifelt entschieden.

42

Frage 8

Abbildung 11: Umfrage-Ergebnisse - Frage 8

Bei der nachsten Tonart h-moll ist eine uberwaltigende Mehrheit fur klagend und verzweifelt.

Sie wird offenbar als das genaue Gegenteil von a-moll empfunden. Ein knappes Drittel emp-

findet h-moll als traurig und melancholisch. Nur drei Personen entscheiden sich fur angenehm

und zufrieden.

43

Frage 9

Abbildung 12: Umfrage-Ergebnisse - Frage 9

Schaut man sich die drei Diagramme an, so stellt man fest, dass teilweise dieselben Affekte

fur mehrere Tonarten benutzt worden sind. So werden den Tonarten a- und c-moll teilweise

dieselben Affekte zugeordnet. Aber auch fur h-moll und c-moll werden zu einem Großteil

dieselben Beschreibungen verwendet.

44

Danach wurde es spannend: Das erste Horbeispiel - der Chopin-Walzer in a-moll - wurde

eingespielt und die fur moll schon verwendeten Affekte sollten zugeordnet werden.

Frage 10

Abbildung 13: Umfrage-Ergebnisse - Frage 10

Die Probanden bekamen keine Informationen uber die jeweils gespielten Tonarten bei den

Horbeispielen - damit wollte ich testen, ob die jeweils in den vorigen Fragen gewahlte Be-

schreibung zu der Beschreibung bei dem jeweils ersten Horbeispiel passt.

Vor dieser Frage wurde das Horbeispiel Nr. 1 eingebaut: Dieses Horbeispiel erklang in der

Tonart a-moll. Die Charakterisierung stimmte in groben Zugen mit den Antworten in Frage 4

uberein. Interessant ist, dass nur noch zwei Antwortmoglichkeiten genutzt wurden - “klagend

und verzweifelt“ wurde nun komplett außer acht gelassen. Dies kann naturlich auch mit der

bewusst sehr neutralen Interpretation zusammenhangen.

Außerdem kann man bei der Analyse der Einzelantworten feststellen, dass 27 von 35 Teil-

nehmern bei ihrer Beschreibung der Charakteristik des ersten Horbeispiels die gleiche Ant-

wort gegeben haben, die sie in Frage 7 bereits gegeben haben, als nach der Charakteristik

der Tonart a-moll gefragt wurde.

45

Frage 11

Abbildung 14: Umfrage-Ergebnisse - Frage 11

Vor dieser Frage wurden die nachsten beiden Horbeispiele eingespielt - wieder derselbe Chopin-

Walzer, jedoch in zwei anderen Tonarten, namlich c-moll und h-moll.

Die Frage, ob die Probanden hiernach einen Unterschied horen, beantwortet eine knappe

23 Mehrheit (22 von 35) mit Ja. Es fallt auf:

In Frage 3 behaupteten noch 29 von 35 Teilnehmern, dass sie Unterschiede wahrnehmen.

Bei diesem praktischen Beispiel waren es allerdings nur 22 von 35 (interessanterweise ist eine

Person dabei, die anfangs noch bestritten hat, dass es Tonarten-Charakteristiken gibt und

jetzt hier doch einen Unterschied wahrnimmt).

Eine mogliche Erklarung dafur konnte sein, dass die Teilnehmer nur dann einen charakter-

lichen Unterschied wahrnehmen, wenn sie die Tonarten direkt gesagt bekommen.

Außerdem macht es womoglich einen Unterschied, ob man die Stucke selbst spielt oder nur

hort. Eine weitere Moglichkeit konnte sein, dass die Teilnehmer nicht fur jede Tonart einen

einzelnen Charakter festlegen, sondern die Tonarten in bestimmte Gruppen zusammenfassen,

denen sie dann ubergeordnete Werte zuordnen.

Noch eine weitere Moglichkeit ware, dass die Teilnehmer nur dann einen charakterlichen

Unterschied wahrnehmen, wenn sich die Spielweise auch andert: Stucke in c-moll werden zum

Beispiel meist mit anderem Gefuhl und Ausdruck gespielt als Stucke, die beispielsweise in

a-moll gesetzt sind. Hier war es allerdings gewollt, dass die Spielweise bei allen Horbeispielen

genau dieselbe ist.

46

Frage 12

Abbildung 15: Umfrage-Ergebnisse - Frage 12

Vor dieser Frage wurde das vierte moll-Horbeispiel eingespielt - dieses war in einer der vorigen

Tonarten (c-moll) gesetzt, jedoch um eine Oktave nach unten verschoben. So sollte heraus-

gefunden werden, ob Stimmungsunterschiede nicht nur von der Tonart an sich, sondern auch

einfach von der Lage im Frequenzspektrum abhangig sind.

Es wurden die beiden Horbeispiele 2 und 4 miteinander verglichen. Obwohl die Tonart die-

selbe ist, sprachen sich 35 der Teilnehmer fur einen Stimmungsunterschied aus. Die restlichen

25 durchschauten den Trick und sagten logischerweise, dass die Stimmung diesselbe wie im

zweiten Horbeispiel ist.

47

Frage 13

Abbildung 16: Umfrage-Ergebnisse - Frage 13

Jetzt waren die Dur-Tonarten an der Reihe. Vor dieser Frage wurde das erste Dur-Horbeispiel

eingebaut (Bach-Praludium); es erklang in C-Dur.

Zur Erinnerung: Die Tonart C-Dur scheint eine relativ neutrale Tonart zu sein, da hier bei

Frage 6 alle drei Optionen gleichmaßig vertreten sind - bei Frage 10, bei der nach einer Cha-

rakterisierung fur a-moll gesucht wurde, herrschte eine so große Einigkeit, dass eine Option

(klagend und verzweifelt) von den Beteiligten gar komplett ignoriert wurde.

In Frage 13 sind die Aussagen zur Charakterisierung von C-Dur etwas eindeutiger als bei

Frage 6, bei der ohne Horbeispiel in der Theorie nach dem Charakter der Tonart C-Dur

gefragt wurde. Eine 35 Mehrheit hat sich auf “landlich, ruhig, lieblich“ festgelegt. Die anderen

Optionen sind zu etwa gleichen Teilen vertreten.

Analysiert man die Ergebnisse einzeln, so fallt auf, dass nur 15 der Teilnehmer sowohl

bei der ersten theoretischen C-Dur-Charakterisierung als auch bei dem praktischen Beispiel

dieselbe Antwort gaben. 20 Teilnehmer hingegen haben sich nach dem Horbeispiel fur eine

andere Option entschieden.

48

Frage 14

Abbildung 17: Umfrage-Ergebnisse - Frage 14

Vor dieser Frage wurden die nachsten zwei Dur-Horbeispiele eingebaut - das Bach-Praludium

in D-Dur und in F-Dur.

Bei der Frage, ob die Probanden zwischen den insgesamt drei Fassungen einen charakter-

lichen Unterschied wahrnehmen, herrschte Gleichstand - 18 Personen sprachen sich fur einen

Unterschied aus, wahrend der Rest ihn verneinte.

Dieses Ergebnis ist sehr uberraschend, da ja anfangs 29 von 35 Teilnehmern behauptet

haben, einen charakterlichen Unterschied bei den Tonarten zu horen. Hier sind es in der

Praxis nur noch 18, die wirklich einen Unterschied wahrnehmen. Unter ihnen sind sogar zwei

Probanden, die anfangs die Existenz von Tonarten-Charakteristiken bestritten haben.

49

Frage 15

Abbildung 18: Umfrage-Ergebnisse - Frage 15

Vor dieser letzten Frage wurde das letzte Horbeispiel eingebaut - es war in derselben Tonart

wie das siebte Horbeispiel (F-Dur), jedoch um eine Oktave nach unten transponiert.

Es wurde analog zum moll-Beispiel gefragt, ob sich Beispiel 7 und 8 (die Beispiele wurden

in der Umfrage fortlaufend durchgezahlt) charakterlich unterschieden.

Hier horte jetzt die Mehrheit (19 von 35 Stimmen) keinen Unterschied mehr zwischen den

zwei Horbeispielen. Dies steht im direkten Gegensatz zu dem moll-Beispiel, wo die Mehrheit

(21 von 35 Stimmen) einen Unterschied zwischen den um eine Oktave gepitchten Versionen

gehort hat.

Meine Theorie dazu ist, dass die Reihenfolge hier eine andere war als bei dem moll-Beispiel.

Hier erklangen die beiden Dur-Beispiele im Oktav-Abstand direkt hintereinander. Dadurch

nahm man direkt wahr, dass es sich um dieselbe Tonart handelte. Bei dem moll-Beispiel

erklangen die beiden Beispiele im Oktav-Abstand nicht direkt hintereinander, so dass dort

ein charakterlicher Unterschied wahrgenommen wurde.

5.2 Interpretation der Ergebnisse

Im folgenden wird anhand zweier Kreuztabellen erst geklart, ob es innerhalb der einzelnen

Instrumenten-Gruppen Parallelen bei einigen Antworten gibt, und dann in der zweiten Ta-

belle, inwiefern sich manche Antworten der beiden Absolut-Horer ahneln.

50

Tabelle 1: Kreuztabelle 1 - Vergleich der Antworten verschiedener Instrumentengruppen

InstrumentengruppeHolz- oder

Blechblaser

Tasten-

instrumente

Streich-

instrumenteGesang Sonstige

Heutzutage Tonarten-Ch.? 6 von 9 9 von 10 12 von 13 4 von 4 3 von 4

Selbe Beschreibung

bei Frage 10 (1. Horbeispiel)

wie bei Frage 7 zugeordnet?

8 von 9 7 von 10 11 von 13 2 von 4 4 von 4

Unterschied zwischen 1., 2. und

3. Horbeispiel gehort?6 von 9 7 von 10 8 von 13 4 von 4 3 von 4

Unterschied zwischen 2. und

4. Horbeispiel (Oktavierung)

gehort?

6 von 9 7 von 10 6 von 13 4 von 4 3 von 4

Selbe Tonart bei Frage 13

(5. Horbeispiel) wie bei

Frage 6 zugeordnet?

5 von 9 5 von 10 4 von 13 2 von 4 2 von 4

Unterschied zwischen 5.,

6. und 7. Horbeispiel gehort?4 von 9 6 von 10 6 von 13 2 von 4 3 von 4

Unterschied zwischen

7. und 8. Horbeispiel

(Oktavierung) gehort?

3 von 9 5 von 10 5 von 13 2 von 4 1 von 4

Anhand der Tabelle zeigt sich, dass sich die Instrumentalisten in der Beantwortung der Fra-

gen weit weniger einig sind, als die Sanger, die an der Umfrage teilgenommen haben. Fairer-

weise muss gesagt werden, dass die Sanger in der Umfrage auch deutlich in der Unterzahl wa-

ren, sodass das Ergebnis auch nur zufallig so eindeutig ausgefallen sein kann. Moglicherweise

wurde sich bei einer großeren Anzahl Sangern eine ahnliche Inhomogenitat bei den Antwor-

ten zeigen. Hier wird eine weitere Untersuchung mit deutlich mehr Probanden stattfinden

mussen, um auch die zufalligen Antworten zu minimieren und die Ergebnisse reprasentativer

zu gestalten.

51

Tabelle 2: Kreuztabelle 2 - Vergleich der Antworten der beiden Absolut-Horer

Absolut-Horer Nr. #1 #2

Heutzutage Tonarten-Ch.? Ja Ja

Selbe Beschreibung

bei Frage 10 (1. Horbeispiel)

wie bei Frage 7 zugeordnet?

Ja Ja

Unterschied zwischen 1., 2. und

3. Horbeispiel gehort?Ja Ja

Unterschied zwischen 2. und

4. Horbeispiel (Oktavierung)

gehort?

Ja Nein

Selbe Tonart bei Frage 13

(5. Horbeispiel) wie bei

Frage 6 zugeordnet?

Ja Ja

Unterschied zwischen 5.,

6. und 7. Horbeispiel gehort?Ja Ja

Unterschied zwischen

7. und 8. Horbeispiel

(Oktavierung) gehort?

Ja Nein

In der zweiten Tabelle wurden die Antworten der beiden Absoluthorer gegenubergestellt.

Erwartungsgemaß empfinden beide Teilnehmer auch heute noch Tonarten-Charakteristiken.

Darauf, dass der Tonart ein jeweiliger Charakter (oder eine Farbe) zugeordnet wird, basiert

schließlich die ganze Fahigkeit, die Absoluthorer auszeichnet: dass sie aus dem Stand den Na-

men eines gesungenen oder angespielten Tons sagen konnen - ohne Referenzton eines Klaviers.

Absoluthorer horen die ganze Zeit, wahrend sie Musik horen, parallel dazu die Tonnamen mit.

Relativhorer konnen im Gegensatz dazu meist ebenfalls den Ton sagen, benotigen dazu al-

lerdings zwingend einen Referenzton von einem Klavier oder einem sonstigen Instrument.

Ebenso erwartungsgemaß ordneten die Absoluthorer die Beschreibungen der Tonarten bei

Frage 7 und 10 respektive 6 und 13 richtig zu, da sie ja wissen, welche Tonart gespielt wird.

Auch dass sie zwischen den jeweils anderen Tonarten bei dem moll- sowie bei dem Dur-Beispiel

einen charakterlichen Unterschied feststellen, uberrascht nicht.

52

Interessant sind die Fragen nach den jeweiligen Oktavierungen. Einer der Absoluthorer

horte hier tatsachlich einen Unterschied, obwohl er doch wissen musste, dass dieselbe Tonart

schonmal gespielt wurde. Das ist ein weiteres Indiz fur die These von Mattheson, der sagte,

dass nur die absolute Frequenz, also die absolute Tonhohe, fur den Charakter verantwortlich

ist (siehe unten).

5.3 Mogliche Theorien, womit das heutige Empfinden der

Tonarten-Charakteristiken zusammenhangt

Es folgen einige Theorien, mit denen die uberwaltigende Zahl derjenigen, die in der Umfrage

gesagt haben, dass sie heute noch Charakteristik-Unterschiede wahrnehmen, moglicherweise

zu erklaren ist:

1. Streichinstrumente: Leere Saiten werden zwar nicht mehr oft gespielt, schwingen je-

doch immer noch mit: bei bestimmten Tonarten mehr, z.B. G-Dur, bei anderen weniger,

z.B. Es-Dur. Das bedeutet, dass Tonarten, bei denen viele leere Saiten mitschwingen,

sehr viel heller und offener klingen, wahrend die Tonarten, bei denen wenige oder kei-

ne leeren Saiten mitschwingen, dunkler und bedeckter klingen. Die Streicher nehmen

das offenbar besonders wahr - von den 13 Streichern, die bei der Umfrage mitgemacht

haben, haben sich 12 fur eine Existenz von Tonarten-Charakteristiken entschieden.

2. Die technischen Anforderungen bei den Tonarten sind von Instrumentengruppe

zu Instrumentengruppe verschieden. Blechblaser werden zum Beispiel immer bei den

B-Tonarten weniger Probleme haben, wahrend fur Tasteninstrumente generell die Ton-

arten die Tonarten mit weniger Vorzeichen leichter zu spielen sind, weil mehr weiße als

schwarze Tasten benutzt werden und dadurch die Hand keine kraftaufwendige Streck-

bewegung hin zu den schwarzen Tasten durchfuhren muss. Auch bei den Streichinstru-

menten gibt es Unterschiede bei den technischen Anforderungen: Tonarten mit vielen

Vorzeichen erfordern viele schwierige Griffe und viele halbe Lagen.

3. Fur fast alle Instrumente gilt: C-Dur ist die klassische Anfangertonart. Sie wird daher

als leicht und ubersichtlich empfunden und deshalb auch mit einem naiven und unbe-

schwerten Charakter assoziiert. Je mehr Vorzeichen ein Musikstuck hat, desto schwieri-

ger ist es zu lesen und zu spielen - schwierige Tonarten wie zum Beispiel b-moll (5 Bs)

haben daher oft einen “schwereren“ Charakter.

53

4. Kreuze erhohen, Bs erniedrigen jeweils den Grundton - besonders im Englischen

wird das durch die Bezeichnungen sharp und flat deutlich. Die Tonart wird also bei

Kreuzen hoher, d.h. der Charakter wird aufgeregter, harter und gespannter, wahrend

die Tonart bei Bs erniedrigt wird - ihr Charakter wird entspannter und weicher. Das

entspricht der Stimmfuhrung bei der Rede: Man hebt die Stimme, wenn man etwas

eindringlich vermitteln will, und man senkt die Stimme, wenn man beruhigend wirken

mochte. Dafur spricht auch die Tatsache, dass manche Musiker zum Beispiel einen

Unterschied zwischen Ges-Dur und Fis-Dur horen, obwohl es theoretisch dieselben,

enharmonisch verwechselten Tone sind.

5. Der Name der Tone impliziert oft Charaktere. Beispielsweise klingt a-moll vom Wort-

laut her weicher als fis-moll mit Zischlauten. Auch hier macht es scheinbar wieder einen

Unterschied, ob man die Tonarten enharmonisch verwechselt.

6. Schon rein optisch wirken die Vorzeichen verschieden. Bs ([) wirken rund und weich,

wahrend Kreuze (]) kantig und eckig erscheinen. Schon Jean Rousseau hat 1710 im

“Methode claire“ festgestellt: ““[ mol“ has a round shape, and it is certain that every

round shape is fit to roll softly, whereas “\ quarre“ has a square shape, and experience

teaches us that every square shape only rolls in leaps and bounds, creating noise.“ (Ste-

blin 1981, 56)

Das enharmonische Phanomen konnte also auch fur diesen Punkt gelten.

7. Die Tradition und musikalische Erziehung: In Barock und Klassik gab es tatsachlich

horbare Unterschiede zwischen den Tonarten (siehe Kapitel 2 Grundlagen). Die Kom-

ponisten berucksichtigten das naturlich in ihren Werken und schrieben entsprechend in

den passenden Tonarten. Da diese Stucke heute noch gespielt werden und sehr leben-

dig in der Musikwelt sind, wachsen die Musiker mit den Verknupfungen bestimmter

Tonarten zu entsprechenden Tonarten auf. Ein paar bekannte Beispiele:

• c-moll: Beethoven, 5. Sinfonie (Schicksalssinfonie, op. 67): sehr leidenschaftlich,

heroisch

• cis-moll: Beethoven, Mondscheinsonate (op. 27, Nr. 2): nachdenklich, sehnsuchtig

• d-moll: J.S. Bach, Toccata (BWV 565): leidenschaftlich, eindrucksvoll

• f-moll: Schubert, Fantasie (op. 103, D 940): traurig, krank

• fis-moll: C.P.E. Bach, Freye Fantasie (Wq 67): Todessehnsucht, Zerbrechlichkeit

54

• g-moll: Mozart, Sinfonie Nr. 40 (KV 550): melancholisch, bitter

• a-moll: Beethoven, Albumblatt Fur Elise (WoO 59): angenehm, zufrieden

• h-moll: J.S. Bach, “Erbarme dich“ aus der Matthaus-Passion (BWV 244): klagend,

verzweifelt

• C-Dur: J.S. Bach, C-Dur-Praludium aus dem Wohltemperierten Clavier I (BWV

846): Naiv, freudig

• D-Dur: Handel, “Halleluja“ aus Messias (HWV 56): Feierlich, festlich

• Es-Dur: Mozart, Zauberflote - “Tamino: Dies Bildniss ist bezaubernd schon“ (KV

620): Liebevoll, weich

• E-Dur: Mozart, Zauberflote - “Sarastro: In diesen heil’gen Hallen kennt man die

Rache nicht“ (KV 620): feierlich, erhaben

• F-Dur: Schumann, Jugendalbum - “Der frohliche Landmann“: unbeschwert, landlich

• G-Dur: Mozart, Zauberflote - “Papageno: Der Vogelfanger bin ich ja“ (KV 620):

frech, lustig

• As-Dur: Schumann, “Widmung“ (op. 25, Nr. 1): zerrissen, zwiespaltig

• A-Dur: Schubert, Forellenquintett (D 667): Leicht, unschuldig

• B-Dur: Mozart, “Zufriedenheit“ (KV 473): zufrieden, begluckt

• H-Dur: Schumann, “Ratsel - Es flustert der Himmel, es murrt es die Holle...“ (op.

25): zerrissen, bizarr

Die Charaktere sind also von der Empfindung her eng an die Tonarten verknupft. Dies

trifft ubrigens auch zu, wenn man wie ich in einem musikalischen Haushalt aufwachst

und standig mit der klassischen Musik konfrontiert ist, selbst jedoch kein klassischer

Musiker ist, sondern eher im Bereich der Popular-Musik unterwegs ist.

Schon Friedrich Ludwig Buhrlen schreibt 1825 in der Allgemeinen Musikalischen Zei-

tung uber “Das Charakteristische der Tonarten“: Wir sind mit unserer Musik, unserer

Orchestrik aufgewachsen, unaufloslich verwachsen, und so begreifen wir auch, dass die-

ses von Umstanden bedingte, zufallige Charakteristische im Verlaufe der Zeit die ganze

Musik durchdrungen und sich an die Tonarten gewissermaassen fixirt haben konne,

so dass es nun, auch wenn jenes Fundament der Begleitung durch Bogen-Instrumente

nicht vorhanden ist, in unserem Ohr auf imaginarem Wege doch ersteht, weil es sich

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bey den Instrumenten und Stimmen an den Ton selbst geheftet hat.... Der charakteris-

tische Geist der Tonarten ist jetzt der Tonwelt eingeboren, und lasst sich nicht mehr

vertilgen, wenn nicht unser ganzes Instrumentalwesen eine Revolution erleidet. (Steblin

1981, 390)

8. Die Lage der Stucke im Frequenzspektrum bestimmt den Charakter - dies wird

durch meine Umfrage belegt, wenn einige der Teilnehmer angeben, dass sie bei den

jeweils oktavierten Beispielen einen Unterschied horen (immerhin 21 bzw. 16 Teilneh-

mer). Diese Sichtweise entspricht genau dem, was Johann Mattheson vor 300 Jahren

bereits propagiert hat. Dieser sagte namlich, dass es egal ware, ob man einem Bauern

den mixo-lydischen oder den ionischen Modus vorspielt (hier ist nur ein Ton unter-

schiedlich, namlich die 7. Stufe). Wenn der Bauer trotzdem einen Unterschied hort, so

wurde Mattheson ihm “einschencken“. Wenn er aber den Unterschied zwischen c-moll

und d-moll nicht hort, “so hat er entweder keine Ohren oder keine Seele“. (vgl. Steblin

1981, 368)

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass es zu allen Zeiten verschiedene Stimm-

tonhohen gab, teilweise mehrere gleichzeitig an einem Ort. So war der “Chorton“, in

dem die Orgeln gestimmt waren, definitiv hoher als der normale Kammerton. Auch

von Land zu Land unterschieden sich die Stimmtonhohen: In Frankreich zum Beispiel

war der Stimmton einen Ganzton tiefer als in Deutschland. Allgemein schien das kei-

nen Einfluss auf die Tonarten-Charakteristik zu haben. Auf die Frage an Beethoven,

was mit dem Charakter der Tonarten passiert, wenn der Stimmton ansteigt, antwortet

Beethoven, dass der Tonarten-Charakter mit angestiegen sei. (vgl. Steblin 1981, 192f.)

9. Die Anordnung der Tonarten bei den Horbeispielen war verschieden.

a) Horbeispiel 1: a-moll

b) Horbeispiel 2: c-moll (= kleine Terz hoher als Beispiel 1)

c) Horbeispiel 3: h-moll (= kleine Sekunde tiefer als Beispiel 2)

d) Horbeispiel 4: c-moll tief (= große Septime tiefer als Beispiel 3)

Bei dem moll-Horbeispiel ist es also so, dass man keine direkte Oktav-Versetzung zwi-

schen zwei Beispielen hat - daher hort man offensichtlich zwischen der hohen und der

tiefen c-moll-Fassung einen charakterlichen Unterschied, weil man nicht wahrgenom-

men hat, dass es zweimal dieselbe Tonart ist. Dies betrifft naturlich nicht die Horer

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mit absolutem Gehor - diese wissen ja, dass es zweimal dieselbe Tonart ist und nehmen

daher keinen Unterschied wahr.

Hier noch einmal die Reihenfolge der Dur-Beispiele:

a) Horbeispiel 5: C-Dur

b) Horbeispiel 6: D-Dur (= große Sekunde hoher als Beispiel 5)

c) Horbeispiel 7: F-Dur (= kleine Terz hoher als Beispiel 6)

d) Horbeispiel 8: F-Dur tief (= Oktave tiefer als Beispiel 7)

Hier gibt es zwischen Beispiel 7 und 8 einen direkten Oktavsprung - dies fuhrt offenbar

bei der Mehrheit der Teilnehmer dazu, dass sie dem achten Beispiel keinen eigenen

Charakter zuordnen, sondern den Charakter des vorigen Beispiels ubernehmen.

10. Physiologische Erklarungen: Einige Tone haben besonderen Einfluss auf das mensch-

liche Gehor und die Empfindung. Dies hat erstmals der Forscher H. L. F. v. Helmholtz

in seinem Werk Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage fur

die Theorie der Musik 1863 festgestellt: Er fand heraus, dass das menschliche Ohr einen

“Eigenton“ besitzt - dieser liegt beim g'''', der einer Frequenz von 3136 Hz entspricht.

Nach Helmholtz’ Forschung erklingt dieser besonders scharf. Die direkten Nachbarn

fis'''' sowie as'''' sind ebenfalls noch etwas scharf. Akkorde oder Tone, die diese Tone

als Obertone beinhalten, sind daher tendenziell scharfer als andere. (vgl. Luthy 1974,

23)

Dass dieser Eigenton ausgerechnet in dem Bereich um 3 kHz liegt und besonders schrill

klingt, mag auch damit zusammenhangen, dass unser Gehor in diesem Frequenzbereich

am empfindlichsten ist. Dies hat evolutionstechnische Grunde: Gerausche, die uns vor

Gefahr gewarnt haben, waren vor allem in diesem Frequenzbereich zu finden - daher

hat sich unser Gehor angewohnt, diesem Frequenzbereich besondere Aufmerksamkeit

zu schenken. Das ist mithin auch der Grund, wieso bei manchen Lautsprechern oder

im Mastering von Audio-Material im 3 kHz-Bereich eine breitbandige Absenkung zu

finden ist - um einen fur das Gehor gleichmaßiges Klangbild zu erreichen.

11. Schwarze und weiße Tasten beim Klavier werden unterschiedlich empfunden - der

Hebel ist hier unterschiedlich. Eine weiße Taste besitzt einen langeren Hebel und ist

daher leichter zu drucken als eine schwarze Taste, bei der der Hebel naturgemaß kurzer

ist. Es gibt sogar Menschen, die zwar kein absolutes Gehor haben, aber trotzdem beim

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Horen eines Klavierstucks unterscheiden konnen, ob weiße oder schwarze Tasten benutzt

werden.

12. Historisches Instrumentarium: Seit einigen Jahrzehnten hat die historische Auf-

fuhrungspraxis immer mehr an Bedeutung zugenommen. Die Tendenz geht dazu, dass

die alte Musik auch mit alten Instrumenten und naturlich auch in den historischen

Stimmungen aufgefuhrt wird. Damit geht einher, dass die Unterschiede der einzelnen

Tonarten viel deutlicher werden als bei der gleichstufigen Stimmung. Die historische

Auffuhrungspraxis hat sich mittlerweile derart etabliert, dass bestimmte barocke Mu-

sikstucke wie zum Beispiel J.S. Bachs “Matthaus-Passion“ heute fast nur noch mit

historischem Instrumentarium zu horen sind, sowohl im Konzert als auch bei CD-

Aufnahmen.

Ein anderes Beispiel sind die Kirchenorgeln, die damals meist mitteltonig oder ungleich-

schwebend gestimmt wurden - hier gab es also auch eine Tonarten-Charakteristik. Sehr

viele Orgeln werden immer noch bzw. wieder in diesen alten Stimmungen gestimmt.

13. Selbst spielen oder nur horen: Bei der Frage, ob man Tonarten-Charakteristiken

empfindet, spielt es sicherlich eine große Rolle, ob man selbst aktiv ein Musikstuck spielt,

oder ob man lediglich zuhort. Als aktiver Spieler wird man aufgrund der moglicherweise

vorhandenen technischen Herausforderungen und der Lesbarkeit ein Stuck in bestimm-

ten Tonarten anders interpretieren, als wenn man es in einer leichter zu spielenden

Tonart spielt. Der Horer eines Musikstucks weiß von diesen spielerischen Schwierigkei-

ten nichts und nimmt daher moglicherweise die Charakterunterschiede nicht wahr.

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6 Zusammenfassung

6.1 Fazit

Abschließend lasst sich sagen, dass meine These mit uberraschender und großer Mehrheit

widerlegt wurde: 29 von 35 Teilnehmern der Umfrage empfinden, dass es auch heute noch

Tonarten-Charakteristiken gibt. Das beweist, dass die logische und mathematische Erklarung

nicht mit dem tatsachlichen Empfinden der Musiker ubereinstimmt. Musik ist doch immer

wieder stark abhangig von Gefuhl und Geschmack und lasst sich selten mit Mathematik

erklaren.

Diese uberwaltigende Mehrheit, die sich fur die Existenz der Tonarten-Charakteristiken

ausgesprochen hat, mag allerdings auch mit dem musikalischen Background zusammenhangen.

Ich habe zwar versucht, eine moglichst große Streuung in den musikalischen Stilrichtungen

bei den Adressaten meiner Umfrage zu gewahrleisten. Jedoch liegt die Vermutung nahe, dass

von diesen Adressaten nur diejenigen auf meine Umfrage reagiert haben, die sich schon ein-

mal mit Tonarten-Charakteristik auseinandergesetzt haben. Dies wurde die relativ geringe

Rucklaufquote von 36 beantworteten Fragebogen im Vergleich zu ca. 70 abschickten Anfragen

erklaren.

Wie die einzelnen Tonarten zu beschreiben sind, daruber sind sich die Teilnehmer allerdings

nicht einig. Sowohl die Einschatzungen der Tonarten an sich als auch die Zuordnung bei den

Horbeispielen fiel durchweg sehr diffus aus.

Damit ist die Tradition ungebrochen, die schon Johann Mattheson beschrieb, dass namlich

die Leute sich bis heute nicht einig sind, welche Charaktere genau zu welchen Tonarten

passen: “Gleich wie nun die Alten / also sind auch die heutigen Musici wol schwerlich einerley

Meinung in dem was die Eigenschafft der Tohne betrifft.“ (Steblin 1981, 336)

Um noch einmal auf die Relevanz fur die Musikindustrie zuruckzukommen, so hat sich

herauskristallisiert: Sanger sollten auch heute noch in den jeweils komponierten Tonarten

singen und nicht planlos und willkurlich auf eine andere Tonart ausweichen. Sie mussen von

Fall zu Fall abwagen, ob sie die Tonart wechseln oder nicht. Wenn sie die Tonart tatsachlich

wechseln mussen, weil die Original-Tonart absolut nicht ihrer Stimmlage entspricht, sollten

sie behutsam abwagen, welche Tonart vom Charakter ahnlich der Original-Tonart ist. Bei

bekannten Musikstucken wie der Zauberflote von Mozart jedoch erwarten die Menschen einen

bestimmten Klang und wenn dann die Rache-Arie der Konigin der Nacht auf einmal in

cis-moll statt in d-moll gesungen wird, so ist vielleicht mancher Zuhorer verwirrt oder gar

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verargert.

Diese ganze Problematik der Tonarten-Charakteristiken ist selbstverstandlich nur auf die-

jenige Musik bezogen, die auch tatsachlich eindeutig definierbare Tonarten beinhaltet. Neue

ernste Musik ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts, angefangen mit der Zwolftonmusik von

Arnold Schonberg oder Alban Berg ist von der Dur/moll-Tonalitat losgelost. Hier gibt es

also keine klassischen Tonarten mehr - somit konnen bei dieser Musik auch keine Tonarten-

Charakteristiken festgestellt werden.

Wenn man uber die Charakteristik von Tonarten nachdenkt, so darf man nicht vergessen,

dass auch die Interpretation und uberhaupt die Komposition eine große Rolle spielt - ein

Stuck in der “heiteren“ Tonart A-Dur muss beispielsweise durchaus nicht heiter sein, es kann

auch je nach Komposition anders empfunden werden. Dies kann man vielleicht mit Farben in

der Malerei vergleichen: Hier kann man auch mit tristen Grau-Tonen noch ein ansprechendes

und heiteres Bild malen, wahrend man auch mit frischen Grun-Tonen ein eher beangstigendes

Bild zeichnen kann.

Um sich davon zu uberzeugen, dass die Wahl der richtigen Tonart nicht nur fur den Men-

schen eine Rolle spielt, hat fruher Gustav Schilling im Jahre 1838 tatsachlich einen Tierver-

such mit Elephanten durchgefuhrt: Als sie ein Musikstuck in D-Dur vorgespielt bekamen,

fingen sie an begluckt zu tanzen, um dann bei einem Adagio in b-moll komplett still zu

stehen. Um zu verifizieren, dass tatsachlich die Tonart fur diese Verhaltensanderung der Tie-

re verantwortlich ist, wiederholte Schilling den Versuch. Jedoch spielte er diesmal das erste

Stuck nicht in D-Dur, sondern in F-Dur. Erstaunlicherweise zeigten die Elephanten diesmal

keinerlei Regung. Daraus schloss Schilling, dass tatsachlich die Wahl der Tonart auch auf

Tiere einen Einfluss hat. (vgl. Steblin 1981, 198)

Als Schlussgedanke kann man sagen: Wenn sogar Tiere schon einen charakterlichen Unter-

schied zwischen den Tonarten wahrnehmen, so ist es kein Wunder, dass auch die Menschen

selbst im 21. Jahrhundert sich mehrheitlich fur eine Existenz der Tonarten-Charakteristik

aussprechen.

6.2 Kritische Reflexion

Die Gestaltung der Umfrage war grundsatzlich in Ordnung.

Vielleicht waren die Ergebnisse anders ausgefallen, wenn die erste Frage konkreter formu-

liert worden ware: “Wurden Sie den Tonarten heutzutage bei einer gleichstufigen Stimmung

noch einen jeweils einen anderen Charakter zuordnen?“

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Dies setzt allerdings die Kenntnis des Begriffs der Gleichstufigkeit voraus, die nicht un-

bedingt jeder Musiker hat - ein Hobby-Musiker, der zwar gut sein Instrument beherrscht,

sich aber mit der Theorie nie so richtig auseinandergesetzt hat, und vielleicht auch so man-

cher Profi-Musiker weiß so etwas moglicherweise nicht. Daher wurde die einfache, wenn auch

nicht so genaue Fragestellung verwendet: Wurden Sie den verschiedenen Tonarten heutzutage

jeweils einen bestimmten Charakter zuordnen?

Bei der Charakterisierung der einzelnen Tonarten fiel nachher durch Feedback einzelner

Teilnehmer auf, dass eine Option sinnvoll gewesen ware, bei der man selbst eine eigene Cha-

rakterisierung eintragen konnte. So mussten sich manche Teilnehmer jetzt zwischen drei Op-

tionen entscheiden, obwohl sie eigentlich keine der drei Optionen favorisieren und lieber eine

andere angegeben hatten. Dadurch ware ich zwar von einer rein quantitativen Untersuchung

abgewichen, jedoch waren die Ergebnisse nicht moglicherweise verfalscht worden.

Zudem hat bei der Charakterisierung der Tonarten eine Option fur die Leute gefehlt, die

angegeben hatten, dass Tonarten fur sie keine unterschiedlichen Charaktere mehr besitzen.

Auch sie mussten sich nun zwischen drei Optionen entscheiden, die sie moglicherweise nicht

gewahlt hatten. Auch hier muss von einer geringfugigen Verfalschung der Ergebnisse ausge-

gangen werden.

Ruckblickend war die Wahl der Plattform, uber die die Umfrage durchgefuhrt wurde, mit

“Google Formulare“ etwas suboptimal, da die schon generierten Diagramme sich nicht so, wie

gewunscht, modifizieren ließen und so aufwendige Nachbearbeitungen von Hand erforderten.

Hier wird fur kunftige Online-Umfragen vorerst eine ausfuhrliche Recherche betrieben, welche

Dienste es gibt und welche Features sie jeweils bieten.

6.3 Ausblick

Da die jetzige Umfrage mit 35 eingegangenen Antworten nicht wirklich reprasentativ ist,

ware es interessant, im Rahmen einer wirklich reprasentativen und damit aussagekraftigen

Umfrage mit mindestens 500 bis 1000 Teilnehmern aus allen Bereichen des Musiklebens fest-

zustellen, ob sich das grundsatzliche Ergebnis der Umfrage signifikant von dem Ergebnis

meiner Umfrage unterscheiden wurde.

Fur diese Umfrage konnten neben aktiven Musikern auch wildfremde Menschen angespro-

chen werden, die vielleicht nur Musik konsumieren, aber nicht selbst ein Instrument spielen.

Hier ware es interessant, zu sehen, ob auch diese Menschen einen charakterlichen Unterschied

feststellen, wenn man ihnen ein Stuck in mehreren Tonarten vorspielt.

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Ich kann mir jedoch vorstellen, dass das Ergebnis einer solch großen Umfrage ahnlich aus-

fallen wurde wie das Ergebnis meiner Untersuchung. Denn solange die alte Musik des Barock

noch mit historischem Instrumentarium gespielt wird und die Tradition des ganzen klassi-

schen Musikbetriebs aufrecht erhalten wird, ist es wahrscheinlich, dass es in der Vorstellung

der Menschen auch immer Tonarten-Charakteristiken geben wird.

62

Literaturverzeichnis

Fachliteratur

• Wolfgang Auhagen, Studien zur Tonartencharakteristik in theoretischen Schriften und

Kompositionen vom spaten 17. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Dissertation, Peter

Lang-Verlag Frankfurt 1983

• Werner Luthy, Mozart und die Tonartencharakteristik, Verlag Valentin Koerner, Baden-

Baden 1974

• Johann Mattheson, Das neu eroffnete Orchestre, Verlag B. Schiller, Hamburg 1713

• Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung die Flute traversiere zu spielen,

Berlin 1752, Faksimile-Nachdruck: Verlag Barenreiter, Kassel u.a., 6. Auflage 1978

• Hans-Joachim Schugk, Praxis barocker Stimmungen und ihre theoretischen Grundlagen,

Selbstverlag Rolf Drescher, 4. Auflage 1983

• Rita Steblin, Key characteristics in the 18th and early 19th centuries: A historical

approach, Dissertation 1981

• Andreas Werckmeister, Musicalische Temperatur, 1691, Nachdruck The Diapason Press,

Utrecht 1983

Methodische Literatur

• Judith Bell, Doing your research project, 5. Auflage 2010, Open University Press

• Umberto Eco, Walter Schick, Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt,

13. Auflage, UTB 2010

• Klaus Wolfgang Kallus, Erstellung von Fragebogen, 1. Auflage, UTB 2010

• Jurgen Raithel, Quantitative Forschung, 2. Auflage 2008, VS Verlag fur Sozialwissen-

schaften

• Reinhard Stockmann (Hrsg.), Handbuch zur Evaluation, Waxmann Verlag GmbH,

Munster 2007

• Manuel Rene Theisen, Wissenschaftliches Arbeiten, 14. Auflage, Vahlen Munchen 2008

63

Selbststandigkeitserklarung

Hiermit erklare ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbststandig und ohne fremde Hilfe

verfasst und keine anderen Hilfsmittel als angegeben verwendet habe.

Insbesondere versichere ich, dass ich alle wortlichen und sinngemaßen Ubernahmen aus

anderen Werken als solche kenntlich gemacht habe.

Ort:

Datum:

Unterschrift:

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Anhang

Die Daten-DVD beinhaltet folgende Inhalte:

• Bachelor-Arbeit.pdf

• Einen Ordner Horbeispiele als Audio mit den unkomprimierten wav-files, die fur die

Horbeispiele benutzt wurden

• Einen Ordner Horbeispiele als Video mit den unkomprimierten mp4-files, die fur die

Umfrage auf Youtube hochgeladen wurden

• Einen Ordner Fragen mit den modifizierten Diagrammen als jpg-Bilder

• Einen Ordner Umfragebogen mit den einzelnen Umfragebogen der 35 Teilnehmer

• Englische Zusammenfassung der Arbeit EnglishSummary.pdf

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