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Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 2005 Zum Umgang mit Burgruinen Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte ...€¦ · infernale» bezeichnet hat, 4 kann sich hier konstellieren. Ich habe derlei in der Schweiz kaum je beobachtet

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Page 1: Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte ...€¦ · infernale» bezeichnet hat, 4 kann sich hier konstellieren. Ich habe derlei in der Schweiz kaum je beobachtet

Untervazer Burgenverein Untervaz

Texte zur Dorfgeschichte

von Untervaz

2005

Zum Umgang mit Burgruinen

Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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2005 Zum Umgang mit Burgruinen Lukas Högl in: Gesicherte Ruine oder ruinierte Burg? Erhalten Instandstellen Nutzen.

(Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters Bd. 31) Bearb.: Marianne Flüeler-Grauwiler. Basel: Schweiz. Burgenverein, 2005.

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S. 79: Hierzulande ist es gebräuchlich, dass die kantonalen und städtischen

Denkmalpflegebeauftragten, in einzelnen Fällen auch die eidgenössischen, für

sich den Titel «Denkmalpfleger» beanspruchen. Schon ihre Mitarbeiter dürfen

sich nur in wenigen Ämtern so bezeichnen. Jene Personen, welche Denkmäler

tatsächlich pflegen, indem sie Hand anlegen oder wenigstens sagen, wie

konkret Hand angelegt werden soll, hüten sich dagegen vor der Anmassung,

welche der Gebrauch dieser Bezeichnung merkwürdigerweise bedeuten würde.

Anders beim Beruf des Archäologen: Den Kantonsarchäologen (in deren

Obhut die Burgruinen nicht weniger Kantone gegeben sind) stehen ganz

selbstverständlich andere Archäologen innerhalb und ausserhalb des Amts zur

Seite. Ich erwähne diese Unterscheidung zwischen Denkmalpflegern und

Denkmalpflegenden, von der ich nicht weiss, seit wann sie gilt, weil damit eine

der Fronten bezeichnet ist, welche die Geschichte der schweizerischen

Burgendenkmalpflege, welche zugleich eine Geschichte des Streits der

Fachleute ist, geprägt haben. Ich merke auch an, dass der folgende Beitrag von

einer Person geschrieben ist, welche für die Sicherung von Burgruinen

Projekte verfasst und leitet und zuweilen als Berater auftritt, also, nach dem

Sprachgebrauch, nicht von einem Denkmalpfleger.

Weil ich es gewohnt bin, auf dem Bauplatz zu agieren, ist es nahe liegend, hier

nicht theoretische Erörterungen vorzulegen, sondern vom Werdegang einer

Burgruinen-Konservierung zu berichten. Allerdings soll nicht ein konkretes

Projekt1 vorgestellt und der Kritik des Lesers ausgesetzt, sondern anhand eines

gedachten Projektablaufs sollen einige Fragen aufgegriffen werden. Die in

Betracht gezogenen Stationen des Projekts betreffen die Aussicht einer

Burgruine, konserviert zu werden, die Beteiligten, die Mittel und verschiedene

Aspekte der Sicherung selber.

Welche Burgruinen werden in der Schweiz konserviert?

Aus der Sicht des Burgenfreunds und Ruinenliebhabers wünschte man sich

einen planvollen Einsatz der raren, für diesen Zweck zur Verfügung stehenden

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Mittel. Kriterien für ein erhaltendes Eingreifen könnten der archäologische,

geschichtliche, landschaftliche und malerische Wert einer Ruine sein, unter

technischem Blickwinkel der Grad der Gefährdung und das Verhältnis

zwischen notwendigem Aufwand und erzielter Wirkung.

Dem Wert des Denkmals, dessen Bedeutung in der Schweiz als lokal, regional

oder national eingestuft wird, trägt tatsächlich die entsprechende Staffelung der

Subventionssätze in den meisten Kantonen und bisher beim Bund Rechnung.

Dabei bleiben allerdings die oben erwähnten technischen Kriterien und damit

der Aspekt der relativen Wirkung der Mittel unberücksichtigt. Ausserdem

werden mit dem Subventionssystem lediglich die aus dem lokalen Zufall

entstandenen Initiativen unterstützt, nicht aber nach übergeordneten Kriterien

als dringlich erachtete Vorhaben angestossen. Besonders angesichts der

grossen vom Bund in Form von Subventionsbeiträgen getragenen Last und der

ihm mit der Eidg. Kommission für Denkmalpflege, dem Bundesamt für Kultur

und weiteren Institutionen zur Verfügung stehenden Fachkompetenz ist diese

Zurückhaltung erstaunlich. Das war früher anders. Fachleute mit

bewundernswürdigem, wenn auch subjektiv getöntem Überblick übten den

wesentlichen Einfluss aus und griffen tätig ein. Wichtige Anlagen wie

Dorneck, Silenen, Hospental wurden ab Ende des 19. Jahrhunderts erstmals

gesichert, als die Institutionen der Denkmalpflege, vorerst des Bundes, im

Aufbau begriffen waren und in einigen Kantonen die historischen

Gesellschaften agierten. Und als ab 1927 die «Schweizerische Vereinigung zur

Erhaltung der Burgen und Ruinen» (heute «Schweizerischer Burgenverein»)

tätig wurde, rollte eine Welle von Burgensicherungen durchs Land. Es

entsprach, um ein Beispiel zu nennen, offenbar auch damaligem

Staatsverständnis, wenn der Bund 1908 die sogenannte Gesslerburg in

Küssnacht, nahe der Hohlen Gasse, erwarb, um sie vor dem drohenden

Verschwinden durch Abbruch und Überbauung zu bewahren. Während

Jahrzehnten wendete er grosse Summen für die Freilegung und Konservierung

dieser, wie sich im Lauf der Ausgrabungen zeigte, bedeutendsten

hochmittelalterlichen Burganlage der Innerschweiz

S. 80: auf, anfänglich vor dem Hintergrund der wörtlich genommenen

Befreiungstradition, die hier den Sitz des Tyrannen Gessler sah, bald im

Wissen um die symbolische Bedeutung der inzwischen zum Nationaldenkmal

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gewordenen Ruine. Wenn heute, fast hundert Jahre nach der Erwerbung, über

ihre Veräusserung nachgedacht wird, scheint sich auch darin das (gewandelte)

Staatsverständnis auszudrücken.

Es gibt heute auch auf der Ebene der Kantone nur wenige systematische

Anstrengungen zur Ruinenkonservierung. Solothurn kennt ein weites, wenn

auch längst nicht lückenloses Ruinenpflegekonzept, das auf die erste Hälfte des

20. Jahrhunderts zurückgeht und im Lauf der Zeit dank weitsichtiger

Persönlichkeiten aufrecht erhalten und gefestigt wurde. Im Aargau gibt es eine

an Einzelpersonen gebundene Tradition des Überblicks über den Bestand und

der Bemühung um systematische Arbeit auf den Burgruinen. Auch St. Gallen,

wo das jahrzehntelange Wirken von Franziska Knoll-Heitz nach Möglichkeit

systematischer weitergeführt wird, und Ansätze in Bern sind zu nennen.

Einige Kantone, wie Schaffhausen, Basel-Stadt oder Neuenburg sind dank

ihres geringen Ruinenbestands der Sorge um dessen Pflege weitgehend

enthoben, während die nach der Zahl ihrer Burgruinen ebenfalls kleinen

Kantone Zug und Genf sich ihrer kritischen Objekte angenommen haben oder

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annehmen. In den meisten anderen Kantonen und besonders in jenen mit den

grossen und wichtigen Burgruinenbeständen sind mir kaum gezielte

S. 81: und weiter blickende Bemühungen bekannt: Im Wallis und im Tessin fehlen,

wie im Jura, offenbar die Ressourcen. In Graubünden wurde zwar in den

1960er-Jahren vom damaligen Denkmalpfleger ein Schadeninventar in Auftrag

gegeben. Dessen erste Lieferungen waren aber, wie der Einsturz auf Campell

bald erwies, mit unbegreiflichen Fehleinschätzungen behaftet, und das

Unternehmen mündete schliesslich in die Neuherausgabe des für

Burgenfreunde und Historiker zwar interessanten, für die Erhaltung der

Denkmäler selber aber kaum nützlichen «Burgenbuch von Graubünden».2 Auf

seitherige Angebote für eine Schadensbeurteilung der Bündner Burgen wurde

mit dem Hinweis auf die föderalistische Kantonsstruktur nicht eingegangen.

Unter diesen Umständen ist es meist der Zufall ganz unterschiedlicher

Gegebenheiten, welcher zu Konservierungsprojekten führt. Vorhandene

Pflegestrukturen von Vereinen oder Gemeinden können, vor allem bei

grösseren Anlagen und solchen, die bereits einmal konserviert wurden,

Ausgangspunkt sein. Bei häufig besuchten Ruinen können Meldungen aus dem

Publikum ihre Wirkung haben. Öfter sind es erst grössere Einstürze, welche

die Gefahr für Besucher oder den Verlust am Bauwerk drastisch vor Augen

führen und Aktivitäten auslösen. Immer wieder sind es spontan sich bildende

lokale Gruppen, welche aus kulturellem Interesse oder romantischer

Begeisterung die Initiative ergreifen. Neben dem idealistischen Antrieb sind

zuweilen, in schwer durchschaubarer Gemengelage, Begehrlichkeiten

vorhanden, wie etwa das Zielen auf wirtschaftlichen Nutzen für das Gewerbe

oder von Anwohnern. Die Hoffnung auf Prestigegewinn kann für einzelne

Initianten und für Standortgemeinden zuweilen eine Rolle spielen. Hierbei

kann es zu skurriler «Überpflegung» von Burgruinen kommen, oder zu fataler

Übernutzung. Allerdings werden auf diese Weise in der Schweiz auch äusserst

beachtliche Leistungen möglich, wie etwa die Arbeiten an der Gamsenmauer

VS, an Bossonnens FR, auf Kastelen LU, auf Urgitz AG, auf Gräpplang SG

oder die erstaunlich zahlreichen Bündner Burgensicherungen der letzten

Jahrzehnte.

Unbefriedigend bleibt, dass normalerweise der ausschliesslich lokale

Blickwinkel dieses Schweizer «System» der Ruinenpflege bestimmt, dass

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weder landesweit noch auf kantonaler Ebene Prioritäten gesetzt werden.

Unbefriedigend bleibt, dass oft erst nach grossen, durchaus absehbaren

Verlusten gehandelt wird (Abb. 1/2), dass die Mittel, je nach Fall, weniger

bedeutenden statt wichtigen Bauten und weniger gefährdeten statt hochgradig

gefährdeten Ruinen (Abb. 3) zufliessen, dass sie nicht nach Möglichkeit dort

eingesetzt werden, wo sich ein gutes Verhältnis zwischen Aufwand und

Wirkung erzielen lässt (Abb. 4). Ein Lichtblick und Beleg dafür, wie einfach es

anders möglich wäre, ist die unvergessene Abforstaktion, die der Burgenverein

Graubünden in den Jahren 1974-78 durchführte. In neuster Zeit wird deshalb

die Idee einer landesweiten Ruinenbeobachtungs- und

Schadenbeurteilungsstruktur diskutiert, welche ihre Hilfe Interessierten

anbieten könnte.3

Die Handelnden

Wie bei anderen Bauaufgaben bilden die an einer Ruinenkonservierung

Beteiligten eine Dreiheit, bestehend aus der Bauherrschaft als Auftraggeber,

den Ausführenden und der Öffentlichkeit.

Die Bauherrschaft

Die Art der Bauherrschaft hängt mit den Eigentumsverhältnissen zusammen.

Diese sind bei Burgruinen oft insofern ungewöhnlich, als sich manche

Grundeigentümer, als zufällige Besitzer einer Ruine, für deren Erhaltung

keineswegs verantwortlich fühlen. Selten treten Privatpersonen als

Auftraggeber auf. Gewöhnlich sind es Baukommissionen, Stiftungsräte oder

Vereinsvorstände, manchmal auch formlos organisierte Arbeitsgruppen.

Während Baukommissionen meist direkt die Eigentümer, etwa Gemeinden

oder Stiftungen, vertreten, handeln Stiftungsräte, Vorstände und

Arbeitsgruppen oft an Stelle des Eigentümers, dem es entweder an den Mitteln

oder am Interesse fehlt. Neben verknöcherten und passiven Gremien gibt es,

meist frisch aus örtlicher Initiative entstanden, unglaublich tätige und

erfolgreiche, an deren Spitze sehr oft eine starke Führungspersönlichkeit steht.

Solch aktive Gremien fordern nach meiner Erfahrung den Bauleiter heraus,

können aber mit diesem, und im besten Fall zusammen mit allen weiteren

Beteiligten, eine fast verschworene Gemeinschaft bilden, welche höchste

Leistung erbringt und gleichzeitig ein Gemeinschaftserlebnis vermittelt, das

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kein Beteiligter vergisst. Dass in solchem Schwung die Gefahr steckt, über das

Ziel der Ruinensicherung hinauszuschiessen, versteht sich von selbst. Es ist

Aufgabe der Projekt- und Bauleitung, sowie im äussersten Fall der Vertreter

der Öffentlichkeit, des kantonalen Denkmalpflegers oder des

Kantonsarchäologen, zuletzt des Bundesexperten, dies zu verhindern.

Mancher Aussenstehende fragt sich verwundert, woher der Antrieb, eine

Burgruine zu erhalten, überhaupt

S. 82: kommt. Ist es Einsicht in ihre historische und kulturgeschichtliche Bedeutung?

Das sind die etwas blutlosen Argumente des Wissenschafters und des

Denkmalpflegers.

Wer sich über Jahre mit nicht erlahmender Energie als Bauherr für eine

Ruinenkonservierung einsetzt und ihre Finanzierung, vielleicht in

Millionenhöhe, schliesslich sichert, der hat tiefer reichende Gründe für sein

Tun. So wie die Ruinen sowohl konkret fassbare wie auch unfassliche Aspekte

enthalten, sowohl zerfallenes Mauerwerk sind als auch Träger von

Bedeutungen und Projektionsflächen von Gefühlen, so sind offenbar auch die

Kräfte und Antriebe, sich mit ihnen baulich zu befassen, vielschichtig. Einer

meiner Auftraggeber erklärte sich mir kürzlich mit diesen Worten: «Die Ruine

isch so schön! Do muesch eifach verliebt si.» Ich glaube, dass damit mehr

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gesagt ist, als es auf den ersten Blick den Anschein macht. In den häufigen

Auseinandersetzungen zwischen Burgenliebhabern kann sehr wohl gekränkte

Liebe solcher Art eine Rolle spielen.

Die Absichten des Bauherrn sind unterschiedlich. Gelegentlich steht die

Forschung als Hauptzweck im Vordergrund, meist die archäologische

Ausgrabung, die Konservierung des freigelegten Gemäuers ist dann lediglich

die notwendige Folge.

Manchmal ist das vorrangige Ziel die Nutzung, naturgemäss meist bei

grösseren Anlagen, wo durch Überdachung Räume zu gewinnen sind (vgl.

Beitrag Hans Rutishauser). Aber auch Ruinen, welche diese Möglichkeit nicht

bieten, sollen zuweilen einer Nutzung zugeführt werden. Dabei wird unter

Nutzung nicht einfach der Besuch des interessierten Publikums verstanden, der

auf jeder nicht abgesperrten Ruine stattfinden kann und stattfindet, sondern

mehr. Man darf es so apodiktisch formulieren: Jedes dieser weiter gesteckten

Ziele ist durch die notwendigen Eingriffe und den gewollten Mehrverkehr dem

Ruinenbauwerk letztlich abträglich, es führt zum Verschleiss durch den

Gebrauch.

S. 83: Häufig, nach meiner Erfahrung erstaunlich häufig, ist die Bauherrschaft vom

Willen beseelt, die betreffende Burgruine zu erhalten, einfach zu erhalten. Eine

verbesserte Zugänglichkeit und bescheidene Sicherheitseinrichtungen für die

Öffentlichkeit sind dann nicht mehr als eine unscheinbare und notwendige

Folge der Konservierung, die zwar auf verschiedene Weise, aber letztlich

immer zum grössten Teil von dieser Öffentlichkeit getragen wird.

Die Bauleitung

Die Projekt- und Bauleitung wird auf unterschiedliche Weise und von

unterschiedlicher Seite wahrgenommen. In einzelnen Fällen tritt der Staat

selber mit seinen Fachleuten auf, so zuweilen in den Kantonen Bern und Basel-

Landschaft, was den Vorzug der Ansammlung spezialisierter Kenntnis und

Erfahrung hat. Lokale Initianten treten manchmal selber nicht nur als Bauherr

sondern gleichzeitig auch als Bauleiter und als Ausführende auf. In dieser

Konstellation kann mit Begeisterung Grosses geleistet werden, für die

staatliche Aufsicht treten aber wegen der Tendenz zur Eigendynamik

manchmal schwierige Situationen ein.

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Das Spektrum beauftragter Projekt- und Bauleiter reicht naturgemäss und nicht

zuletzt beeinflusst vom Auftraggeber, vom inkompetenten sogenannten

Praktiker über den kompetenten und im besten Fall über Geschmack und

Zurückhaltung verfügenden Techniker und Ingenieur bis zum ehrgeizigen

Künstlerarchitekten und romantischen Rekonstrukteur, welch letztere ich beide

für gleichermassen gefährlich halte. Das, was Joachim Zeune als «trio

infernale» bezeichnet hat,4 kann sich hier konstellieren. Ich habe derlei in der

Schweiz kaum je beobachtet.

Erste Pflicht des Projekt- und Bauleiters muss es sein, durch intelligentes

Fragen das Gespräch zwischen allen Beteiligten zu leiten: Bauherrschaft,

Denkmalpfleger, Bauforscher, Statiker, Unternehmer, und als Mittler zwischen

einander vorerst widersprechenden Forderungen und Anliegen zu walten,

zwischen Sicherheit für Bau und Besucher und geringst möglichem Eingriff,

Dauerhaftigkeit der Massnahmen und ihrer Verträglichkeit,

Pflegefreundlichkeit und Naturfreundlichkeit, Zugangserschliessung und

stimmungsvoller Atmosphäre, wirtschaftlicher Effizienz und

wissenschaftlicher Korrektheit.

Der geeignete Ingenieur zeichnet sich dadurch aus, dass er sich vorerst

problemorientiert in die besonderen Gegebenheiten des Ruinenbaus und seiner

Geschichte einarbeitet, dann lösungsorientiert Vorschläge einbringt und im

offenen Gespräch das Projekt mitgestaltet.

Das Verhältnis zwischen Bauherr und Projekt- bzw. Bauleiter sollte auf

Vertrauen beruhen. Die Schwierigkeit, trotz all dem Unvorhersehbaren, das

eine Ruinenkonservierung meist bringt, die Kosten unter Kontrolle zu halten,

fordert den Bauleiter heraus und verlangt dem Bauherrn manchmal ein hohes

Mass an Langmut und Toleranz ab. Wenn aber am Ende das mit saurer Mühe

gesammelte Geld auf eine Art verbraucht ist, die beide als die sinnvollste

ansehen, so ist das im Interesse der Allgemeinheit angestrebte Ziel in

freundschaftlicher Gemeinsamkeit erreicht.

Der Unternehmer

Der Unternehmer kann einen nicht einfachen aber recht prestigeträchtigen

Auftrag ausführen. Je mehr der allgemeine Baubetrieb rationalisiert,

standardisiert und technisiert wird, desto mehr wird der «Ruinenbaumeister»

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zum Spezialisten, der gefördert werden sollte.5 Das wird von einzelnen

Denkmalpflegeämtern zu wenig verstanden. Dabei ist deren Unterstützung

nicht zuletzt unter dem Regime der heutigen, auf harte Preiskonkurrenz

zielenden Submissionsregeln immer wichtiger.

Die Öffentlichkeit

Die Öffentlichkeit ist in mehrfacher Weise an einer Ruinenkonservierung

beteiligt. Sie unterstützt als Subventionsgeberin dieses Unternehmen im

öffentlichen Interesse. Sie überwacht durch das Denkmalpflegeamt oder den

archäologischen Dienst gleichzeitig die Verwendung der Subventionen in

fachlicher Hinsicht, das heisst auf technischer, denkmalpflegerischer und

archäologischer Ebene. Sie tritt aber auch als Baubewilligungsbehörde auf. Da

mache ich in letzter Zeit und von Jahr zu Jahr zunehmend wunderliche

Erfahrungen, etwa, wenn sich der Waldabstand auf der so genannten

Gesslerburg als nicht eingehalten erwies. Derlei liess sich aber bisher immer

einvernehmlich regeln.

An dieser Stelle, wo es um die am Projekt Beteiligten geht, muss an das

Phänomen des Streits der Fachleute erinnert werden, weil dieser, wie man an

der Art der Äusserungen leicht erkennen kann, weniger thematisch begründet

ist, als dass er von den Persönlichkeiten bestimmt wird, welche Burgen- und

Ruinenprojekte leiten oder beurteilen. Die umstrittenen Themen waren im Lauf

der Zeit sehr unterschiedlich: Konservieren gegen Rekonstruieren, «richtige»

gegen «falsche» Rekonstruktion, Konservieren gegen Forschen, Zement gegen

Kalk. Was über die deutschen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts geschrieben

wurde, gilt offenbar auch für die Schweiz: «Mag

S. 84: sein, dass der Materie etwas vom Kampfgeist der Ritter anhaftete, er übertrug

sich auf die stillen Gelehrten, die alsbald mit Leidenschaft ihre Theorien

gegeneinander vertraten, sich befehdeten und widereinander stritten.»6

Die Mittel

Die Beschaffung der für eine Ruinensicherung notwendigen Mittel ist

gewöhnlich die dauernde Sorge der Bauherrschaft. Neu gegründete

Trägerschaften stehen vor dem Problem, Geld für ein Unternehmen sammeln

zu müssen, das noch gar nicht geplant ist und dessen Kosten noch nicht

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bekannt sind. In Graubünden wird diese wiederkehrende Notsituation seit

einiger Zeit wirkungsvoll entschärft, indem der Kanton für die Ausarbeitung

eines Vorprojekts bei Bedarf die Hälfte der Kosten übernimmt und der Planer

einen moderaten, im Voraus vereinbarten Pauschalbetrag in Rechnung stellt.

Dieses Vorprojekt mit zugehöriger Kostenschätzung dient dazu, die

Öffentlichkeit zu informieren und, das ist in jenem Augenblick am wichtigsten,

als Grundlage für die Einreichung von Unterstützungsgesuchen. Gleichzeitig

ist es so ausgearbeitet, dass die technische und denkmalpflegerische

Diskussion im Hinblick auf die Ausführung zwischen der Bauherrschaft und

der subventionierenden Denkmalaufsicht stattfinden kann. Gratis erstellte

Projekte erweisen sich oftmals als unsichere Grundlage. Dagegen kann der

Planer der Bauherrschaft darin entgegenkommen, dass er seine

Rechnungstellung bis zu dem Zeitpunkt aufschiebt, wo genügend Mittel

vorhanden sind, und das Unterfangen anrollen kann.

Von mancher Seite pflegt die beträchtliche Höhe der veranschlagten Baukosten

in Frage gestellt zu werden, oft von Aussenstehenden und zuweilen von den

subventionierenden Stellen, erstaunlich selten jedoch von der Bauherrschaft.

Dabei stehen wohl vor allem zwei Vorstellungen im Hintergrund, die eine

besteht darin, dass Ruinensicherung eine Arbeit für Freiwillige in Ferienlagern

sei, die andere, dass es um ein einfaches «Herumpflastern» an zerfallenem

Gemäuer gehe, was dem verständlichen Gefühl entspricht, dass die Regeln der

Baukunst für Ruinen nicht gelten können.

Tatsächlich erreichen die Baukosten rasch hunderttausende von Franken,

zuweilen wird die Millionengrenze überschritten. Gemessen an den Kosten

anderer Bauaufgaben verwundern diese Beträge zwar nicht, aber im Vergleich

zu früher sind sie tatsächlich bestürzend. Bei dem zur Projektierung

gehörenden Studium der oft vorhandenen Akten früherer Sicherungen stösst

man zuweilen auf die damals veranschlagten oder aufgewendeten Geldbeträge.

Hier zwei Beispiele:

Gesamtrestaurierung Jörgenberg GR

1929 Fr. 31 800.--

1997/2000 Fr. 1'500'000.-- Faktor = 48

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Restaurierung Belfort GR

1933 Aufwand gemäss Kostenschätzung Fr. 57000.--

2001 Aufwand gemäss Kostenschätzung Fr. 2'600'000.-- Faktor = 46

Man stösst aber auch auf Arbeitsrapporte, die über die damals bezahlten Löhne

Auskunft geben, auch dazu zwei Zahlenbeispiele:

Verrechnete Stundenansätze 1934 (Pontresina, Spaniolaturm) und

Stundenansätze 2002 Graubündnerischer Baumeisterverband

Maurer 1934 Fr. 1.70 Handlanger 1934 Fr. 1.20

2002 Fr. 71.50 2002 Fr. 63.50

Faktor = 53 Faktor = 42

Die kleinen Frankenzahlen von früher bedeuten offenbar nicht, dass

Burgenkonservierungen damals real billiger waren. Was sich allerdings in den

Akten auch angedeutet findet, ist die besonders in der Zwischenkriegszeit

herrschende Stimmung, die von Ärmlichkeit und daraus leicht entstehendem

Streit geprägt war, von heute kaum mehr vorstellbarer Härte und Ungleichheit

zwischen den Partnern. Früher wie jetzt war und ist offenbar die

Geldbeschaffung für Ruinenpflege harte Arbeit.

Das schweizerische System der Denkmalpflegesubventionen geht vom

Gedanken aus, dass die Leistungen, die ein Eigentümer eines Kulturdenkmals

für dessen Erhaltung erbringt, im öffentlichen Interesse liegen und deshalb von

der Öffentlichkeit unterstützt werden sollen. Da die Bauherrschaft gewöhnlich

auch einen unmittelbaren eigenen Nutzen aus der Erhaltung zieht, wenn sie

etwa ihr Wohnhaus instand stellt oder ihre Kirche erneuert, werden für die

Subventionierung eigene und öffentliche Interessen anteilsmässig

gegeneinander abgewogen. Das heisst allerdings nicht, dass, wenn ein Bauherr,

wie bei einer Ruinensicherung, ausschliesslich im öffentlichen Interesse

handelt, ihm seine Kosten vollständig vergütet würden. Aber der

Subventionsanteil von Kanton und

S. 85: Bund zusammen kann 30 % bis 50 % oder gar mehr erreichen, je nach Kanton,

abhängig vom Rang des Objekts und falls die Beteiligten alle Möglichkeiten

ausschöpfen und alle Kniffe anwenden. Es ist wohl kaum nötig zu erwähnen,

dass in neuster Zeit die finanziellen Schwierigkeiten gewachsen sind und die

Möglichkeiten, staatliche Beiträge zu erhalten, eingeschränkt wurden.

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Obwohl heute nicht klar ist, ob es unter diesen Umständen überleben wird,

möchte ich in diesem Zusammenhang das «Bündner Modell» kurz vorstellen:

Seit längerer Zeit fuhrt der Graubündnerische Baumeisterverband alle zwei

Jahre mit seinen Lehrlingen des 2. und 3. Lehrjahrs einen Natursteinkurs auf

konkreten Baustellen durch, der früher in den Hallen der Maurerschule in

Sursee stattfand. Seit 1994 sind die Objekte Burgruinen (Abb. 6)7 Die

Bauherrschaft hat für die Bauinstallation, das Material, Unterkunft und

Verpflegung zu sorgen, der Verband stellt einen ausgezeichneten Instruktor

und die Lehrlingsarbeit. Die Kosten für den Bauherrn belaufen sich so noch

auf 40 bis 50 %, welche im besten Fall durch die Subventionsbeiträge

abgedeckt sind. Grosse Burgenkonservierungen der letzten Jahre in

Graubünden konnten allein dank dieser Möglichkeit verwirklicht werden. Es

hat sich gezeigt, dass nicht jede Burgruine für die Lehrlingskurse geeignet ist.

Die anteilsmässige Zusammensetzung der verschiedenen Arbeitsgattungen wie

Erstellen von Mauerwerk, Ergänzen von Einzelheiten wie Tür- und

Fensteröffnungen oder Gewölben, Reinigungsarbeiten, Neuvermörteln von

Fugen usw. muss stimmen, die Baustelle muss für den Instruktor gut

überblickbar und sollte nicht allzu exponiert sein. Sind diese Voraussetzungen

gegeben, so ist das Ergebnis nicht nur für die Bauherrschaft günstig, sondern

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auch für die Lehrlinge positiv, was sich in der zumeist sehr guten Stimmung

auf dem Bau äussert, und ebenso für den Verband, der sich vor dem

Hintergrund prominenter Objekte der Öffentlichkeit präsentieren kann. Es ist

mir ein grosses Anliegen, dass diese grossartige Möglichkeit der Bündner

Ruinensicherung durch künftig veränderte Subventionsbedingungen nicht

vereitelt wird. Die unabhängig vom Bündner Beispiel durch Thurgauer

Maurerlehrlinge 2001 ausgeführten Arbeiten auf der Neuburg bei Mammern

bestätigen, dass auch andernorts solche Einsätze erfreuliche Ergebnisse

zeitigen können.8 Und es wäre sehr wünschenswert, wenn auch in weiteren

Kantonen mit vergleichbaren Konservierungsproblemen bei Burgruinen

ähnliches geschaffen würde.

Erhalten und erforschen

Mit der Erteilung von Subventionen durch Kantone und Bund ist immer die

Bedingung verbunden, eine wissenschaftlichen Massstäben genügende

Dokumentation zu erarbeiten und abzuliefern. Bei der Konservierung von

Burgruinen werden heute darunter folgende Punkte verstanden:

- das Festhalten des Vorzustands in Plänen und Fotos

- die Durchführung einer bauarchäologischen und nötigenfalls

bodenarchäologischen Untersuchung

- das Festhalten des Arbeitsablaufs und

- das Festhalten des Nachzustands

Während Vorzustand, Arbeitsablauf und Nachzustand von einer sorgfältigen

und umsichtigen Bauleitung festgehalten werden können, muss die

Bauuntersuchung (und gegebenenfalls die Bodenuntersuchung) von einer

archäologischen Fachkraft durchgeführt werden. Der Idealfall sind Personen,

die alles zu leisten im Stande sind. Die archäologische Untersuchung und

Dokumentation ist unabdingbar, weil selbst die behutsamste

Konservierungsarbeit mit der Zerstörung oder Überdeckung von Teilen des

Bestands, also von baulichen «Urkunden» verbunden ist, die deshalb vorher

festgehalten und im Zusammenhang interpretiert werden müssen. Auch wenn,

etwa bei bereits früher gesicherten Ruinen, nur wenig in den mittelalterlichen

Bestand eingegriffen werden muss (was selten ist), sind sie nötig, einerseits,

weil auch kleine Eingriffe Wichtiges treffen können und andererseits, weil die

tangierten Sicherungsvorrichtungen, die vor mittlerweile vielleicht 50 oder 100

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Jahren ausgeführt wurden, selber zur Baugeschichte gehören und über

damalige Denkmalpflegeauffassungen und -techniken interessante Aufschlüsse

geben können (Abb. 7).

S. 86:

Dass die Restaurierungsgeschichte ein Teil der Baugeschichte ist, wird nicht

von allen Archäologen anerkannt.9 Die seit den 1960er-Jahren ausgebildeten

Architekten haben dagegen das Bewusstsein des «Weiterbauens», sie lernten,

dass ihr Beitrag im Gefüge der Landschaft oder der Stadt oder ihr Eingriff in

den historischen Bau lediglich Teil einer sich dauernd fortsetzenden

Baugeschichte ist. Dem entsprechend gehen sie weniger von der kategorischen

Unterscheidung zwischen mittelalterlichem Original und späteren

beziehungsweise modernen Zutaten und Eingriffen aus.

Neben den Verlusten, welche die konservierenden Eingriffe verursachen, ist

ein weiterer Grund für die Durchführung einer Bauuntersuchung, dass diese

wichtige Hinweise darauf liefert, wie die zum Schutz hinzuzufügenden Teile

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gestaltet werden müssen. Und schliesslich spielt auch die einfache Tatsache

der durch die Gerüste gegebenen Zugänglichkeit des Baues eine Rolle. Die

allermeisten Burgruinen, die heutzutage gesichert werden, selbst wenn es um

Nachkonservierungen geht, sind noch nie mit dem heutigen archäologischen

Wissen und Können untersucht worden. So ist das Vorhandensein eines

Baugerüsts eine Gelegenheit, die sich die Bauforschung einfach nicht entgehen

lassen darf.

Dem Denkmalpflegenden stellt sich allerdings damit zuweilen ein neues

Problem: Manche Bauforscher sind einen bedenklichen Alltag gewohnt, vor

allem bei Wohnbauten, die anschliessend abgebrochen oder bis nahe an den

vollständigen Verlust erneuert werden.10 In diesen Fällen ist Rücksicht auf den

Bestand ohne Sinn, und der Bauforscher ist aufgerufen, überall aufzuspitzen,

abzubrechen und Probenmaterial zu entnehmen, wo ein Ergebnis erhofft

werden kann. Anders auf einer Konservierungsbaustelle, wo das Ziel die

Erhaltung ist und die baugeschichtliche Erkenntnis ein Teil der Zielsetzung.

Der Bauforscher muss hier akzeptieren, Umwege und Unsicherheiten in Kauf

zu nehmen und unter Umständen auch eine Wissenslücke zugunsten der

Bestandeserhaltung bestehen zu lassen. Insbesondere bei der Holzdatierung

mittels der Jahrringmethode ist diese Zurückhaltung manchmal wenig

ausgebildet, munter werden dann sogenannte Stammscheiben

heruntergeschnitten, statt bloss Teilkeile oder Bohrproben zu entnehmen, die

mühsamer auszuwerten sind, oder ganze Bauhölzer einfach entfernt. Eine Spur

von Sägemehl zieht sich heute durch manche unserer Burgruinen, als ob nicht

auch die mittelalterlichen Hölzer zum Baubestand gehörten, den möglichst

unbeeinträchtigt zu erhalten das Ziel des ganzen Unterfangens einer

Burgensicherung ist.

Es hat Jahrzehnte der Überzeugungsarbeit und der Rückschläge gebraucht, bis

heute unbestritten ist, dass jede bauliche Konservierung die Bauforschung

zwingend voraussetzt. Ihre Stellung hat sich gefestigt. Ihre Ergebnisse sind in

den meisten Fällen fundamental und stellen häufig die bisherigen Annahmen

der Überblicksinventare auf den Kopf. Sie zeigen ausserdem, dass manche

Fragen am Bau gelöst werden können, deren Beantwortung früher nur von

bodenarchäologischen Untersuchungen erwartet wurde.11 Eine besondere

Frage, bei der die Meinungen zuweilen aufeinander prallen, ist deshalb jene

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nach der Bodenforschung bei Burgensicherungen. Wo nur noch wenig

aufgehendes Mauerwerk vorhanden ist, muss nur schon für eine

Kronensicherung viel Mauerwerk freigelegt, also (archäologisch) ausgegraben

werden. Das Unternehmen ist dann eher eine Burgenausgrabung mit folgender

Sicherung zu nennen als eine Burgenkonservierung. Bei der Sicherung der

meisten hochragenden Ruinen hingegen braucht es auf technischer Ebene

keine oder höchstens punktuelle Bodeneingriffe, etwa bei der Fundation eines

nötigen Stützpfeilers. Man sollte sich in solchen Fällen davor hüten,

Konservierungsbestrebungen mit ausgreifenden Bodenuntersuchungen zu

belasten, das hat schon zur Verhinderung auch der dringend notwendigen

Mauersicherung geführt.

Damit soll keinesfalls der berechtigten Forderung nach wissenschaftlichen

Burgenausgrabungen widersprochen werden. Aber die archäologischen müssen

jedenfalls gegenüber den konservatorischen Interessen offengelegt werden.

Das Ausspielen der Bestrebungen der Archäologie

S. 87: gegen die denkmalpflegerischen Bemühungen kann nur zu zwei Verlierern

führen.

Es gibt zwei Ursachen für die Haltung, die Bodenforschung in den

Vordergrund zu stellen und sich mit der Bauforschung nicht zufrieden zu

geben, eine sachliche und eine historische: Tatsächlich reicht die Forschung im

Boden weiter als jene am aufgehenden Bau. Nur mit ihrer Hilfe können

Befunde ans Licht geholt werden, die zeitlich vor dem bestehenden Bau liegen.

Die aktuellen wissenschaftlichen Fragen des frühen Burgenbaus, insbesondere

der Burgen aus Holz, können nur mit Ausgrabungen angegangen werden. Und

die Rätsel mancher baugeschichtlicher Vorgänge, die am Aufgehenden nicht

abzuklären sind, können im Boden gelöst werden. Es ist deshalb an sich eine

der Grundforderungen der Mittelalterarchäologie, dass Bauforschung und

Bodenforschung (zusammen mit der Bearbeitung der Archivalien) als Ganzes

zu sehen sind. Und doch gibt es bei der Konservierung von Burgruinen, wie

zahlreiche neuere Beispiele zeigen, oft den Fall, dass entweder sich am

Aufgehenden die Baugeschichte genügend klärt, 12 oder dass die Trennung

zwischen Bau- und Bodenforschung, bei guter Dokumentation, ohne Verlust

gemacht werden kann.13 Dabei darf in Rechnung gestellt werden, dass, anders

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als die Bodenforschung, die Bauuntersuchung ihren Gegenstand nicht

zerstören muss.

Die historische Ursache ist, dass es die Bodenarchäologie war, welche die

Schweizer Burgenkunde zur Burgenforschung, das heisst zu einer modernen

und anerkannten Wissenschaft machte. Was diesen Übergang innerhalb des

Schweizerischen Burgenvereins betrifft, so war er von starken Spannungen

begleitet, zwischen dem Burgenarchitekten und Gründungspräsidenten Eugen

Probst, der von den «neuen Ausgrabungsmethoden nichts hielt, und den

Historikern und Archäologen Hugo Schneider und Werner Meyer, welche sich

schliesslich durchsetzten. Ungeachtet der wie es scheint noch heute nicht ganz

verheilten Wunden,14 muss das Interesse am Bau und jenes an der

Bodenforschung nicht als Konkurrenz, sondern als sich gegenseitig

unterstützend und ergänzend verstanden werden, was für die meisten

Bauforscher und Ausgräber inzwischen selbstverständlich ist.

Hinsichtlich der Subventionierung stellt sich manchmal ein Problem, wenn der

Subventionssatz niedrig ist und die Untersuchung und Dokumentation von den

kantonalen Diensten weder selber ausgeführt noch separat entschädigt werden

können. Dann kommt es vor, dass eine Trägerschaft auf die Subvention, die

von der wissenschaftlichen Arbeit grossenteils gleich weggefressen würde,

verzichtet und sich dafür beim baulichen Vorgehen keine Vorschriften machen

lassen will. Es ist klar, dass gerade bei einer so denkenden Bauherrschaft die

Mitsprache der Fachleute (via Subventionen) nötig wäre. Die Beiträge an

Untersuchungen sollten deshalb in solchen Fällen im Voraus von jenen an die

Konservierungskosten getrennt werden.

Erhalten und Gestalten

Bei der Konservierung von Burgruinen müssen früher oder später

gestalterische Entscheide getroffen werden. Auf diesem Feld kann der

Architekt, dessen Aufgabe neben dem Verfassen des Projekts und der Leitung

der Arbeiten die konkrete Formgebung ist, eine Hauptrolle spielen. In den zum

Teil lauten Auseinandersetzungen um Ruinenrestaurierung in der ersten Hälfte

des 20. Jahrhunderts war in der Schweiz mit Eugen Probst tatsächlich ein

Architekt die Hauptfigur. Sein Streit mit dem Solothurner Historiker Eugen

Tatarinoff entzündete sich an gestalterischen Einzelheiten der

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Teilrekonstruktion des Turms von Alt-Falkenstein SO. Wer die beiderseitigen

Schmähschriften15 heute liest, sieht allerdings rasch, dass es nur vordergründig

um diese baulichen Einzelheiten, im Grunde aber um die Behauptung von

Territorien und um persönliche Unverträglichkeit ging. Tatsächlich auf der

Ebene der Problematik von Erhalten und Gestalten bewegten sich die

Auseinandersetzungen um Dorneck SO, wo Probsts Rekonstruktionsideen auf

den Widerstand der Vertreter von Bund und Kanton stiessen.16

In den Fällen, wo Probst seine Wiederaufbau- und Umbaupläne verwirklichen

konnte, wie auf Reichenstein BL, Rotberg SO, Ehrenfels GR oder Marschlins

GR ist es interessant, die heutigen Urteile zu hören: Während manche

Burgenforscher diese Werke noch immer vehement ablehnen, wird deren

gestalterische Qualität von Architekturhistorikern durchaus anerkannt. Sie

dienen allerdings auch den Vertretern des Rekonstruierens als Begründung und

Entschuldigung für ihr Tun.

Bewahren oder verändern

Diese Art der Rechtfertigung sehe ich als Gefahr. Die Rekonstruktion ist nur

eine Form der grundlegenden Veränderung von Burgruinen, neben anderen,

wie der «kontrastierenden Ergänzung», der «dialektischen Neuinterpretation»

usw., hinter denen mit Schlagworten wie «Revitalisierung» oder «zeitgemässe

Nutzung des Denkmals» verkleidete Ideen stehen. Für Studentenarbeiten

S. 88: oder gefährlicher kulturell ehrgeizige Bauherren, kann die Ruine ein

Tummelfeld architektonischen Gestaltungsdranges darstellen, für den

beauftragten Architekten das Objekt zur Freude am architektonischen Eingriff

(vgl. Beitrag Renaud Bucher).

Für ein ganzes Projekt heute seltener, aber in Einzelheiten sehr oft, spielt der

«Rekonstruktionsdrang» eine Rolle. Er scheint eine metaphysische Kraft zu

sein, die fast ausnahmslos bei jeder Ruinenkonservierung irgendwann ins Spiel

kommt: Könnte man nicht das an deutlichen Resten noch ablesbare Burgtor

zum Teil ergänzen, vielleicht ganz rekonstruieren? Sollte nicht ein Dach auf

den Turm gesetzt werden, dessen Form so klar vorgegeben erscheint? Müsste

man nicht Balken in die vorhandenen Balkenlöcher und darüber Bretter legen?

Für jeden Rekonstruktionsvorschlag liegen immer auch sachliche

Begründungen bereit: Was schützt das Mauerwerk besser als ein Dach? Wie

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sehr könnte der Unterhalt vereinfacht werden mit den begehbaren

Bretterböden! Erst das rekonstruierte Tor würde dem Laien die Burganlage

recht erklären. Ganz besonders die Bedürfnisse der Didaktik werden gerne als

Begründung ins Feld geführt, am liebsten bei den mit kindlicher Freude

diskutierten Elementen der Wehrhaftigkeit.

Weitergeben oder aneignen

Im Blick auf die Verluste und Beeinträchtigungen nach einem Jahrhundert

Schweizer Burgen- und Ruinenrestaurierung wünscht man sich tatsächlich

mehr Zurückhaltung. In dieser Hinsicht ist Joachim Zeunes recht streitlustiger

Architektenschelte (die von deutschen Verhältnissen ausgeht) in der

Stossrichtung zuzustimmen.17 Mit ihrem Zielen gegen bestimmte

Berufsgruppen werden allerdings im Hinblick auf die Schweiz lediglich alte

Gräben im Dreieck von Forscher/Denkmalpfleger/Architekt neu betoniert, die

quer zu den tatsächlichen Fronten laufen. In Wirklichkeit stehen einander zwei

vorwiegend an die Einzelpersönlichkeit gebundene Haltungen im Umgang mit

dem Denkmal gegenüber: auf der einen Seite das Bemühen um dessen

unversehrte Weitergabe an die kommenden Generationen durch Erhaltung, auf

der anderen der zupackende Wille zu dessen Aneignung durch verändernde

Gestaltung.

Allen Begehrlichkeiten, die in der einen oder anderen Form, direkt oder

mittelbar Opfer am Bestand fordern, steht das Wissen um die

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Unvermehrbarkeit des Originals entgegen. In diesem Konflikt gibt uns, neben

anderen wichtigen Texten, die gute, alte Charta von Venedig (1964)

S. 89: in präzises Messinstrument zur Beurteilung und ein vorzügliches Werkzeug für

die Planung und Ausführung von Massnahmen in die Hand.18

Zur Durchsetzung des tatsächlichen Erhaltens ist, nach dem Projekt- und

Bauleiter, der beamtete Denkmalpfleger gefordert. In seiner Funktion als

Wächter und Bewahrer droht ihm allerdings Gefahr in verschiedener Form:

Als direkter, persönlich oder politisch ausgeübter Druck und als wirkliche oder

vermeintliche Beschädigung seines Bildes in der Öffentlichkeit. Besonders

wenn es um Projekte architektonisch interessanter und spektakulärer Eingriffe

geht, läuft er Gefahr, als rückwärts gewandter Verhinderer hingestellt zu

werden. Trotzdem wird der unerschrockene Mut, zu verhindern, zuweilen

aufgebracht.

Gestaltungsziele

Ob es sich um rein konservierende Eingriffe handelt oder um Hinzufügungen

in weiter reichender Absicht, immer wird etwas sichtbar, das Gestalt hat. Und

soll schliesslich nicht der Wirrwarr der Beliebigkeit das Bild bestimmen, so

braucht es, bewusst oder unbewusst, ein Gestaltungsziel oder

Gestaltungsprinzip. Summarisch können wohl vier unterschiedliche

Zielrichtungen namhaft gemacht werden: die romantische, jene der

Ablesbarkeit, jene des Kontrastierens und jene der Zurückhaltung.

1. Das heute als veraltet geltende Konzept der Ruinengestaltung im

romantischen Sinn sieht die Ruine als einen ästhetischen Gegenstand, dessen

Form bewusst verbessert werden kann. In der 1929 von der «Schweiz.

Vereinigung zur Erhaltung der Burgen und Ruinen» (Burgenverein) unter

Eugen Probst herausgegebenen kleinen Schrift «Allgemeine Grundsätze für die

Erhaltung von Burgruinen» werden in Artikel 3 neue Mauern nur zugelassen,

«wo sie zur Sicherung alter Bauformen und Konstruktionen notwendig sind».

In der Neuauflage von 1948 kommt der Passus hinzu, «und wo sie zur

Herausarbeitung des fortifikatorischen Gedankens, welcher der ganzen

Wehranlage zugrunde liegt, dienen können.19 Hinter dieser Neuerung steht

zwar eine vorerst gewiss didaktische Absicht, die aber auch das Bild der Burg

anzielt und jedenfalls Gestaltung im Auge hat, wie das Wort «herausarbeiten»

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deutlich macht. Probst selber ist bereits 1925/26 auf Castello di Mesocco

weiter gegangen, indem er nicht nur die Ringmauer im Grundriss schloss,

sondern auch die Silhouette an einzelnen entscheidenden Punkten, wie etwa

am Westturm, akzentuierte. Am Torbau erreichte er dies, indem er in die

Gebäudeecken mit kulissenartig aufgesetzten Mäuerchen die Spannung

aufragender Ruinenmauern brachte (Abb. 8).

Während man heute die sichere Gestaltungskraft Probsts, die in solchen

gleichermassen sich einfügenden wie ablesbaren Zutaten steckt, anerkennen

muss und bewundern kann, bleiben die Ergänzungen der Umfassungsmauern

historisch und denkmalpflegerisch problematisch. Jene auf Castello di

Mesocco, genau wie auf Belfort, korrigiert das historisch wichtige Faktum der

Lücke, die auf den Burgenbruch zurückgeht, welcher erst beide Anlagen zu

Hauptmonumenten der Bündner Befreiungstradition gemacht hat. Das Konzept

der Ruinengestaltung erweist sich an diesen Beispielen, obschon es den

formalen Bereich der «Ruinensprache» nicht verlässt und gekonnt umgesetzt

ist, als höchst fragwürdig.

2. Über die Ablesbarkeit der am Denkmal gemachten Eingriffe hatten schon

die staatlichen Vertreter des «wissenschaftlichen Restaurierens» (Zemp) und

die Exponenten des Burgenvereins unterschiedliche Ansichten. Während

Joseph Zemp 1907 schrieb: «Nach unserer Theorie soll das <Restaurieren> vor

allem im Erhalten bestehen. Und müssen neue Sachen her, so sollen sie als

solche erkenntlich sein»,20 hiess der entsprechende Passus in den

«Allgemeinen Grundsätzen» 1929 (und 1948 praktisch gleich lautend): «Die

vorzunehmenden Arbeiten dürfen an dem historischen Bestand des Bauwerks

nichts ändern und müssen so ausgeführt werden, dass sie nicht als

nachträgliche Zutat und Flickarbeit durch Farbe und Veränderung der Technik

kenntlich werden.»

Beide Forderungen sind vor dem Hintergrund der noch sehr hohen

Kunstfertigkeit des traditionellen Maurerhandwerks in der ersten Hälfte des 20.

Jahrhunderts zu lesen. Heute sind es nur noch wenige spezialisierte Maurer

und Restauratoren, die die Kunst beherrschen, originalgetreu zu mauern. Die

Erkennbarkeit des Neuen ergibt sich damit heute meist von selbst, und die

geforderten Markierungen und eingehauenen Jahreszahlen präzisieren nur, was

ohnehin sichtbar ist.

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Wenn sich heute das neue Mauerwerk vom mittelalterlichen unterscheidet, so

hierzulande meist, indem es zu «schön» gemacht ist, also zu regelmässig und

zu perfekt, und das alte damit konkurrenziert und herabmindert. Unabhängig

davon, in welcher Art sich Alt und Neu unterscheiden, geht das Bemühen unter

dem Ziel der Ablesbarkeit dahin, dass sich das Neue trotz Erkennbarkeit dem

Bestehenden gut und zwanglos einfüge (Abb. 9). Wo die Einfügung zugunsten

der Erkennbarkeit zurücksteht oder

S. 90: ganz zurücktritt, liegt der Übergang zum Konzept des Kontrasts (Abb. 10).

3. Das Konzept des kontrastierenden Eingriffs ist mit der Einführung der

modernen Bautechniken und Baustoffe zum gestalterischen Allgemeingut

geworden. Dahinter stehen Arbeiten wie jene Scarpas am Castel Vecchio in

Verona. Auf Burgen und Ruinen ist unter Berufung auf dieses «dialektische»

Konzept viel Unfug getrieben würden (Abb. 11), wie unter anderem die

Beiträge von Heinrich Boxler und Joachim Zeune im vorliegenden Band

zeigen. Allein unter der Voraussetzung, dass die Gestaltung mit grösster

Zurückhaltung und wacher Sensibilität erfolge, kann eventuell ein

befriedigender Dialog im Kontrast zwischen Alt und Neu stattfinden.

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4. Mit dem Begriff der Zurückhaltung möchte ich eine vierte Vergehensweise

umschreiben, die im besten Fall auch ein Konzept genannt werden kann. Der

Zurückhaltung auf allen Ebenen des Eingriffs und an allen Stellen des Baus

muss ein durchdachter Plan zugrunde liegen, damit technisch und für das Auge

ein sinnvolles Ganzes entsteht. Gelingt dies, so. ist die grösste Annäherung an

die reine Konservierung erreicht.

Beurteilungsmassstäbe

Ideen und Konzepte sind beim Bauen (und nicht nur dort) das eine, das

konkrete Ergebnis das andere. Ganz besonders beim Bauen an Denkmälern

und auf nochmals eigene Weise bei der Arbeit an Ruinen sind strenge

Massstäbe am Ergebnis anzulegen. Der «Wahrheit» als Messlatte ist nur sehr

bedingt zu trauen, wir haben gelernt, dass die historische Wahrheit immer nur

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unsere historische Wahrheit sei, die Materialwahrheit ist heute ohnehin

fragwürdig geworden. Die Angemessenheit hingegen ist meines Erachtens ein

zentrales Kriterium. Sie zu definieren fällt mir schwer, sie hat aber mit

Zurückhaltung und Takt gegenüber der Burgruine zu tun. Das Missbehagen

des Betrachters oder sein Wohlbefinden geben darüber Auskunft, ob

Angemessenheit vorhanden ist. Ähnlich bei der Ästhetik, die von der

Angemessenheit nicht zu trennen und das Ergebnis eines sicheren, guten

Geschmacks des Handwerkers, des Bauleiters und der Bauherrschaft ist.

«Grundoperationen» der Ruinenkonservierung

Mit der Erwähnung einiger wesentlicher Arbeitsgänge der reinen

Ruinenkonservierung soll die Gestaltungsfrage wenigstens andeutungsweise

konkretisiert werden.

S. 91: Erstens müssen die statischen Verhältnisse konsolidiert werden. Dafür braucht

es meistens stützende Ergänzungen. Diese «Prothesen» können je nach

Gestaltungskonzept hervortreten oder sich einpassen (Abb. 12). Metallene

Hilfsglieder können gezeigt oder versteckt werden.

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Zweitens muss die Mauerkrone gefestigt werden. Neben der unausweichlichen

Diskussion über Dach- und Bepflanzungsvarianten sowie über Begradigungen

der Silhouette geht es hier in allererster Linie um das handwerkliche Können

und Geschick sowohl des Maurers als auch des Bauleiters, welche Aussehen

(und Dauerhaftigkeit) bestimmen (Abb. 13).

Drittens müssen die ausgewitterten Fugen der Wandflächen geschlossen

werden, damit die Steine nicht aus der Mauer fallen und nicht zuviel Wasser in

die Mauer dringt. Zu verhandeln ist das Fugenmaterial (der Mörtel) und die

Fugentiefe. Neben handwerklicher Grundkenntnis in Altmauerkonservierung

ist Sorgfalt und Zuverlässigkeit gefragt.

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Beim Verfugen entscheidet es sich, ob eine Mauer nachher «tot» aussieht, wie

bei allen Spritzmörtelverfahren, oder ob sie noch Spuren des Alters und damit

des Lebens zeigt.

Viertens muss dieser Punkt gehört für den Bauleiter an die erste Stelle

sorgfältig abwägend und bewusst überdacht werden, welchen Teilen der Ruine

eine Behandlung erspart werden kann (Abb. 14). Unbearbeitete Flächen und

Einzelheiten sind nicht nur die archäologisch wertvollen Belegstücke des

Originalbestands. Sie allein sind es, die das ganze «Leben» der Ruine

bewahren. Die unbearbeiteten Teile sind die wichtigsten des konservierten

Baus!

Schliesslich müssen, fünftens, der Ruine die aus Sicherheits-, Unterhalts- oder

anderen Gründen manchmal unumgänglichen Abschrankungen, Stege und

dergleichen eingefügt werden. An diesen neuen Baugliedern für

S. 92: einen neuen Zweck kommt besonders klar zum Ausdruck, ob Zurückhaltung

und Anstand dem Denkmal gegenüber eingehalten und eine hohe Qualität der

Ausführung und Gestalt erreicht wurden oder nicht. Wünschbar sind

Konstruktionen und Eingriffe, die so bescheiden wie möglich sind,

selbstverständlich erscheinen und ansprechend aussehen (Abb. 16).

Konservieren oder nicht

Es ist der gemeinsame Schmerz fast aller Burgenfreunde und Ruinenliebhaber,

dass die ganz sich selber überlassenen Burgruinen zerfallen und letztlich

verschwinden, während jene, welche konserviert werden, von ihrer

ansprechenden Unberührtheit viel verlieren, wie sorgfältig und zurückhaltend

auch immer gearbeitet wird. Sollten Burgruinen gar nicht gesichert werden?

Die Frage nach den «glücklichen Ruinen» ist gestellt.21 Vor einigen Jahren

wurde vorgeschlagen, wenigstens bestimmte Ruinen einem

Konservierungsverbot zu unterstellen.22

Der Widerspruch zwischen «schönem» Zerfall und störender Konservierung ist

unlösbar und liegt im Wesen der Ruine. Mit den dargelegten Forderungen

unter dem Motto: «wenig, angemessen, qualitätvoll» lässt er sich gewiss nicht

lösen, aber wenigstens entschärfen.23

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Und schliesslich heilt die Zeit auch bei Ruinen manche

Konservierungswunden, am ehesten und am besten, wenn sie mit

zurückhaltender Sorgfalt geschlagen worden sind.

Erhalten, aber wie?

Wenn über die Konservierung von Burgruinen gesprochen wird, so müssen

auch die, technischen Aspekte zur Sprache kommen. In Anbetracht der eben

erwähnten «Grundoperationen» der Ruinensicherung, Stützung,

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Abdichtung der Mauerkronen und Mörtelergänzung in ausgewitterten Fugen,

scheint die Sache recht einfach zu sein. Man könnte sich darüber hinaus sagen,

dass Ruinen, die neben einzelnen übriggebliebenen Hölzern, allein aus Mörtel

und Steinen bestehen, wohl keine sehr komplexen technischen Probleme

erwarten lassen und dass man deren Lösung getrost einem tüchtigen Maurer,

vielleicht unterstützt vom Statiker, überlassen kann.

Tatsächlich auftretende Schäden weisen allerdings auf kompliziertere

Verhältnisse und sogar auf die mögliche Konsequenz der Bestandeszerstörung

durch verfehlte Konservierungsmassnahmen hin. Vier Beispiele zur

Veranschaulichung:

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1930 resümiert Eugen Tatarinoff bezüglich der Restaurierung auf Alt-

Falkenstein: «So war der Turm 1891

S. 93: an derselben Stelle zerfallen, wurde aufgemauert, brach wieder auseinander

und musste 1901 abermals aufgemauert werden. In der Neujahrsnacht 1922/23

erfolgte wieder ein Einsturz, immer über der Stückscharte.»24 Grund:

Baustatische Schwachstelle.

1946 schreibt Eugen Probst über seinen Besuch auf «der Wildenburg bei Baar,

die vor einigen Jahren von Schutt befreit und restauriert wurde» ( ... ), «dass

dort für die Ausfugung der Mauern Zement verwendet wurde, der schon an

vielen Orten herausgefallen ist.»25 Grund: Bauphysikalische Unverträglichkeit

(Abb. 15).

An der ab 1909 freigelegten und in vielen Etappen konservierten Ruine der

sogenannten Gesslerburg stürzte über die Neujahrstage 1966/67 eine grosse

Wandfläche des Hauptbaus ein, in den 1970er und 1980er-Jahren erfolgten

andernorts kleinere Wandausbrüche, und im Winter 1988/89 kam es zum

zweiten Grosseinsturz am Hauptbau. Grund: Beschleunigte Mantelablösung

durch zu dichten und zu harten Verfugungsmörtel (Abb. 16).

Der heute bekannteste Fall ist der dramatische Einsturz auf Neu Thierstein

vom 1./2. März 1997, 13 Jahre nach der letzten umfassenden Sicherung (vgl.

Beitrag Samuel Rutishauser). Grund: Mörtelschwäche gefördert durch

Fugenabdichtung.

So einfach scheint es also doch nicht zu sein, mit den Ruinen, diesen Gebilden

aus nichts als Stein und Mörtel, richtig umzugehen. Mindestens zwei Gründe

dafür leuchten auch unmittelbar ein:

- Altmauerwerk ist nicht, wie heute errichtetes, nach Normen gebaut.

- Ruinenmauerwerk wurde im allgemeinen nicht als solches errichtet, sondern

als Mauerwerk von bedachten Bauten.

Die Schweizerische Vereinigung zur Erhaltung der Burgen und Ruinen

(Burgenverein) bemühte sich seit ihrer Gründung 1927, vor allem in der

Person von Eugen Probst, auch um die technischen Aspekte der

Ruinenkonservierung. Bereits in den «Allgemeinen Grundsätzen» von 1929

äusserte er sich in der notwendig knappen Weise zu den Fragen der

Bindemittel, der Wasserhaltung und des Pflanzenwuchses. Neben den nicht

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gezählten mündlich und schriftlich ergangenen Beratungen gab er bis zu seiner

Abwahl als Präsident 1955 allein im Nachrichtenblatt des Burgenvereins unter

anderem folgende Stellungnahmen ab: 1934 zu Problemen der Vegetation auf

Ruinen,26 1946 zur Zementfrage,27, ebenfalls 1946 zur Verputzproblematik.28

1948 erschien eine überarbeitete und erweiterte Fassung der «Grundsätze» von

1929,29 1953 äusserte er sich erneut zu Verputzfragen,30 im selben Jahr zum

Restaurieren im allgemeinen31 und 1955 wiederum zum Mörtelproblem, wobei

er die Salzproblematik des Zements32 aufs Tapet brachte.

Seit der Hinwendung des Burgenvereins zur archäologischen Bodenforschung

sassen vorerst noch zwei Baufachleute in dessen Vorstand, später noch einer,

ab 1995 keiner mehr. Mit dem Wegfall des Burgenvereins als wenigstens

kleines «Kompetenzzentrum» lag die Sorge um Ruinen gänzlich bei den

(inzwischen ausgebauten) Institutionen der staatlichen Denkmalpflege. Deren

Sorge galt und gilt aber im Wesentlichen Kirchen mit Stuck und

Wandmalereien, Bürgerhäusern mit Täferstuben und Tapeten, jedenfalls

Bauten unter Dach, und höchstens am Rande den Ruinen.

Im Erfahrungsbereich der staatlichen Denkmalpfleger waren inzwischen die

häufig verheerenden Wirkungen des Gebrauchs der harten, dichten und

salzbelasteten Zementmörtel und anderer moderner Baumaterialien erkannt

worden, und man versuchte die daraus gezogenen Lehren mit dem Einsatz von

Kalk auch auf die Ruinenkonservierung anzuwenden. Damit wurde eine neue

Front auf dem Feld der Ruinenkonservierung eröffnet, zwischen den

staatlichen Denkmalpflegern und einigen Denkmalpflegenden der Generation

nach Probst. Im Unterschied zu ihm nahmen diese Jüngeren die

Zementproblematik nicht wahr, und Fehlschläge der Kalkbefürworter gaben

ihnen vordergründig auch Recht.33

Ausserdem kamen hier altüberlieferte, grundsätzlich sich entgegenstehende

Haltungen zum Ausdruck: Während die handwerklich ausgerichteten

Denkmalpflegenden zuerst darauf achteten, dass die von ihnen eingefügten

Stütz- und Schutzelemente (zum Beispiel die neue Verfugung) keine Schäden

erlitten, waren die meisten Denkmalpfleger eher bereit, solche Schäden

hinzunehmen (zum Beispiel, dass der Verfugungsmörtel absandete), wenn nur

der Originalbestand selber nicht durch Nebenwirkungen der Schutzelemente

Schaden litt (zum Beispiel, dass durch zu festen Fugenmörtel eine

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Mantelablösung provoziert wurde). Ein wichtiger Umstand, der diese bis heute

andauernde Diskussion erschwerte und erschwert, ist die Tatsache, dass

Schäden· an den Schutzelementen eher rasch auftreten, während es Jahrzehnte

dauern kann, bis die Nebenwirkungen am Originalbestand, dafür dann meist

umso verheerender, manifest werden.34 Zu bedenken ist auch, dass eine uns

nicht kurz erscheinende

S. 94: Bewährungszeit von beispielsweise 25 Jahren ganzen drei Prozent eines

Ruinenalters entspricht.35

Es kann hier nicht darum gehen, die Geschichte der Schweizer

Ruinenrestaurierung darzustellen, sondern lediglich darum, das nicht einfache

Umfeld anzudeuten, in dem sich die Praktiker auf der Konservierungsbaustelle

bewegen müssen. In ihren Augen ist es bedauerlich und, angesichts der

insgesamt bedeutenden Mittel, die für Ruinenkonservierung ausgegeben

werden, unbegreiflich, dass sich in der Schweiz bis heute keine der

Denkmalpflegeinstitutionen der technischen Seite der Ruinenproblematik

angenommen hat.36 Einer von ihnen versucht hier sein Bedauern, nicht ohne

einen etwas polemischen Unterton, ansatzweise zu begründen, indem er von

praktischen Problemen seines Alltags37 berichtet und Schwierigkeiten der

Untersuchung technologischer Fragen am Fall von Neu-Thierstein beschreibt:

Zum Beispiel der Mörtel: Die Ruinenflicker und -ausgräber in der Schweiz

wissen schon lange, dass es mittelalterliches Mauerwerk von äusserst

unterschiedlicher Qualität gibt. Wir kennen die Streuung gemessener

Mörtelfestigkeiten an stehenden mittelalterlichen Bauten zwischen etwa 0,5

und 20 N/mm, vielleicht sind sie noch grösser. Das sind einerseits Mörtel, die

man zwischen den Fingern zerdrücken kann, andererseits solche, die einen 400

Meter hohen Turm tragen könnten. Über die Gründe für diese Unterschiede

gab es Spekulationen und auch heute gibt es nicht mehr als ein paar

Hypothesen. Man diskutiert über Festigkeitsabbau durch Alterung,

Verfestigung durch Alter, gezielte oder zufällige Mörtelzusätze, heisses

Löschen des Kalks, Kalkspatzen als Ursache man kennt die Ursachen nicht. Da

ist die Aussage des Denkmalpflegers, dass im Mittelalter mit Sumpfkalk

gearbeitet wurde, da der Zement (wie wir wissen) noch nicht erfunden war,

wenig hilfreich, ja falsch. Mit dem, was er unter Sumpfkalk versteht, sind

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1, vielleicht 2 N/mm erreichen.

Zum Beispiel der Steinverband: Der zu früh verstorbene Ingenieur Fredi

Schneller versuchte sich in Ansätzen einen Überblick über die inneren

Mauerstrukturen des Mittelalters zu verschaffen. Ohne viele Typen, die er

unterschied, aufzuzählen, kann man heute aufgrund seiner Studien sagen, dass

das Spektrum vom durchgemauerten Quadermauerwerk bis zum betonartigen

Gemenge reicht, bei dem die Steinbrocken ungeregelt im Mörtel

«schwimmen» (Abb. 17). Ein drittes Extrem, in den Alpen recht häufig zu

finden, ist der verkeilte Verband, wo Stein und Stein, ähnlich dem

Trockenmauerwerk, sich berühren und der Mörtel nur deren Verdrehung

verhindert (Abb. 18).

Was bedeutet es nun, wenn der eine oder andere Mörtel mit dem einen oder

anderen Steinverband ein Mauerwerk bildet? Was bedeutet das für die

Konservierung? Was für die Anforderungen an den Neumörtel, was für dessen

Applikation? Bei diesen nach dem heutigen Kenntnisstand schwer

beantwortbaren Fragen bedenke man, dass das Festigkeitsproblem von

Mauerwerk ein einfaches ist, selbst wenn noch unbekannte Phänomene der

Mauerwerksverformung hinzu kommen (über die es auch Hypothesen gibt),

ein einfaches im Vergleich zu jenem des Feuchtigkeitshaushalts und des

Temperaturausgleichs im unbedachten Mauerwerk oder jenem der

Verwitterungsfestigkeit der Materialien. Kurz, wir wissen kaum, womit wir es

zu tun haben beim Ruinenmauerwerk, das wir konservieren wollen. Und was

können wir da erst wissen über die Wirkung unserer, wie wir doch hoffen

müssen, konservierenden Eingriffe?

Einzelheiten sind zwar bekannt oder lassen sich ausdenken und werden von

uns auch berücksichtigt. Was

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S. 95:

passiert also, wenn wir eine Mauerkrone festigen? Wir haben darauf geachtet,

dass wir mit dem Bindemittel kein neues Salz in die Mauer bringen und haben

deshalb auf den in vielerlei Hinsicht vorteilhaften hydraulischen Kalk im

Mörtel verzichtet und ausser Weisskalk für die im ersten Winter nötige

Frühfestigkeit nur etwas vom teuren dänischen Weisszement beigemischt.

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Wir haben uns bemüht, einen nicht zu harten Mörtel zu machen, der auch

genug saugfähig ist, damit der neue sich nicht vom alten, weichen und

saugkräftigen Mörtel ablöst. Der Mörtel auf dieser Mauerkrone sollte aber

doch eine Weile halten, bei Temperaturschwankungen von -20°C bis + 40°C

und bei voller kapillarer Sättigung und plötzlich eintretendem Frost. Zu weich

und zu stark saugend darf er also doch nicht sein. Wir haben auch einen Sand

gesucht, der in der Farbe erträglich ist, den bläulichen, dessen übrige

Eigenschaften so gut sind, haben wir deshalb ausschliessen müssen. Und der

Sand sollte nicht von irgendwo weit her kommen, das hat der Denkmalpfleger

gewünscht, weil «sie» damals im Mittelalter den Sand sicher gleich von

nebenan genommen haben. Für den Maurer war dieser Sand zu scharf, darum

haben wir Sand aus einer anderen Grube, genauer gesagt von einem anderen

Kieswerk (auch dieses nicht weit weg) genommen. Der hat zu viel Wasser

gebraucht, und der Mörtel ist nicht gut gestanden, hat in der Fuge abgehängt.

Schliesslich hat es mit dem Mörtel doch noch geklappt, und wir haben die

Mauerkrone gefestigt. Das erste Stück sah nicht sehr überzeugend aus, der Rest

ist aber besser geraten.

Und was passiert jetzt? Der neue Mauerabschluss wird einige Zeit, hoffentlich

einige Jahrzehnte halten. Er wird das Wasser daran hindern, ins Mauerwerk

einzudringen, und es wird deshalb über die Wandfläche hinab laufen. Der

Maurer hat zwar darauf geachtet, dass sich das Wasser nicht an einer Stelle

konzentriert, sondern sich breit verteilt, und wir haben ihn angewiesen, dass

die südwestexponierte Wandfläche, also jene mit den meisten Frost-Tau-

Zyklen, weniger Wasser bekommen müsse als die andere. Aber das Wasser

fliesst jedenfalls in die Wandflächen ab, wo es früher nicht hingelangte, als es

noch im Kronenmauerwerk versickerte.

Und was wird jetzt mit dem hervorragend erhaltenen, 750 Jahre alten Pietra-

rasa-Verputz geschehen? Der würde jetzt ziemlich rasch zerfallen oder sich

ablösen, wenn wir nicht auch daran gedacht hätten. Wo unten mittelalterliche

Verputzflächen sind, haben wir verlangt, dass die ganze Kronenentwässerung

nach der anderen Seite zu gehen habe. Nur bei den Verputzflächen des 17.

Jahrhunderts, wo eine kleine, aber einzigartige Bauinschrift die letzte

Bauphase datiert und den Bauherrn mit dessen Initialen nachweist, haben wir

darauf vertraut, dass nichts passiert, weil sie nicht nur von der Wetterseite

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abgewandt sind, sondern auch so weit unterhalb der Mauerkrone liegen, dass

nach unserer Meinung kein abfliessendes Wasser bis hierher gelangen kann,

zumal unser Stopfmörtel in den darüber liegenden Wandflächen fast nur mit

Weisskalk gebunden ist und deshalb fast so gut saugen sollte wie der

Altmörtel.

Wir meinen, an alles gedacht zu haben, woran bei einer Kronensicherung zu

denken ist. Bei der Kontrolle nach wenigen Wintern, von denen einer mit ganz

ausserordentlich intensiven Niederschlägen und nachfolgendem Frost begann,

stellen wir bestürzt Schäden fest: Die Mauerkrone hat sich zwar tadellos

gehalten, aber Teile des Pietra-rasa-Verputzes haben sich vom Untergrund

gelöst und beginnen herunterzufallen (Abb. 19). Und an der anderen Stelle hat

der Verputz des 17. Jahrhunderts derart stark abgesandet, dass von der Inschrift

nur noch wenig

S. 96: bleibt. Was ist geschehen? Hat der Wind trotz des Gefälles das Wasser über

die Mauerkrone auf die Seite mit dem Pietra-rasa-Verputz geblasen? War es

der ausserordentliche Winteranfang, dessen Regenfalle vielleicht das gesamte

Mauerwerk völlig durchnässt haben? Oder ist, im Fall des Verputzes aus dem

17. Jahrhundert, durch die neue Mauerkrone das Mauerwerk im Gegenteil so

stark ausgetrocknet, dass früher verborgene Salze jetzt aktiv wurden und die

Absandung bewirken? Was ist geschehen? Was hätten wir anders machen

müssen? Und vor allem: Was müssen wir jetzt tun und was müssen wir das

nächste Mal anders machen? Das fragen wir uns auf der

Konservierungsbaustelle. Und wir sagen uns: Es gibt in unserem Land doch

Amtsstellen mit Chefs und Beratern, Kommissionen mit Präsidenten und

Fachmitgliedern, Amtsstellen mit Denkmalpflegern und Angestellten, Institute

mit Leitern und wissenschaftlichen Mitarbeitern und Lehrstühle mit

Professoren und Assistenten, die sich alle mit den Problemen der

Denkmalpflege befassen, die müssen doch Antworten geben können!38

Sie können es nicht. Als nach dem Einsturz von Neu-Thierstein vom 2. März

1997 eine Planungsgruppe gebildet wurde, gehörte auch der Schreibende zu

den Beratern und setzte sich also für einmal, am Rande, mit jenen ins Boot,

von denen die Denkmalpflegenden am Bau Rat und Hilfestellung erwarten.

Denkmalpfleger Samuel Rutishauser hatte die Herausforderung dieser

ausserordentlichen Situation angenommen und sich in einer für die Schweizer

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Ruinendenkmalpflege beispiellosen Weise dafür eingesetzt, dass Grundlagen

für die technischen Entscheide bereitgestellt wurden: Rasch analysierte

Ingenieur Fredi Schneller die statischen Verhältnisse des Einsturzes und legte,

untermauert durch Mörtel- und Feuchteuntersuchungen, dessen Ursachen und

Ablauf dar: Umlagerung und Konzentration der statisch wirksamen Kräfte

durch sekundär im Mauerwerk eingebrochene Öffnungen und Schwächung der

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geringen Anfangsfestigkeit des vernässten Mauerwerks durch Frost. Die

Notwendigkeit, den eingestürzten Teil als neuen Fixpunkt des Baus in sehr

solider Konstruktion (Beton oder Stahl) zu ergänzen und das übriggebliebene

Mauerwerk möglichst auszutrocknen, war unbestritten, ebenso, dass zu diesem

Zweck eine Bedachung unumgänglich sei. Umstritten blieb, wie weit das alte

Mauerwerk einer zusätzlichen Verstärkung bedurfte und wie die Austrocknung

konkret bewerkstelligt werden sollte. Die nicht endenden Kontroversen

darüber zwischen den ratlosen Fachgelehrten, deren Grundwissen, angewendet

auf den Ruinenfall, sich gegenseitig widersprach, waren die Gründe dafür, dass

es nicht gelang, die Grundlagenbeschaffung (als Kernstück der Druckversuch

an zwei grossen Mauerwerkskörpern in situ) systematisch zu Ende zu führen39

und mittels geringfügiger Zusatz- und Nachuntersuchungen für andere Fälle

verwertbar zu machen.

Nicht anders als vorangegangene, viel bescheidenere Versuche erwies der

Verlauf des Projekts Neu-Thierstein die Schwierigkeit ja Unmöglichkeit, unter

den Gegebenheiten und Überforderungen einer konkreten Bauaufgabe zu

allgemeiner anwendbarem Wissen über die Ruinenproblematik zu gelangen.

Allein am Fehlen der wenigen benötigten Zusatzmittel kann es im Blick auf

die Gesamtkosten des Restaurierungsprojekts Neu-Thierstein nicht gelegen

haben. Was in unserem Land jedoch offensichtlich fehlt, ist eine Stelle, welche

das spezifische denkmalpflegerische und technische Interesse an den Ruinen

vertritt, laufende Bemühungen koordiniert und Kräfte bündelt und

unterstützt.40

S. 98: Abbildungsnachweis

1 Denkmalpflege Graubünden

8 Postkarte, Wehrliverlag, Kilchberg ZH

12 Foto: Hansjörg Frommelt, Archäologie FL

17 Foto: M. Hochstrasser, Kantonale Denkmalpflege Solothurn

Alle übrigen Abbildungen vom Verfasser

Adresse des Autors

Lukas Högl, Binzmühlestrasse 399/13, CH-8046 Zürich

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Zusammenfassung

Bemerkungen zum denkmalpflegerischen Umgang mit Burgruinen in der

Schweiz

Die Konservierung von Burgruinen in der Schweiz geht ähnlich vor sich wie

die Erhaltung anderer Baudenkmäler, aber in wichtigen Punkten gibt es

Unterschiede. Oft ist kein Eigentümer vorhanden, der die Verantwortung für

den Baubestand übernimmt. Da zudem die Denkmalpflegestelle des Bundes

wie auch jene der meisten Kantone keinen Überblick über die vorhandenen

Burgruinen, über deren Denkmalwert, ihren Zustand und die Dringlichkeit von

Sicherungsmassnahmen haben, bestimmt im allgemeinen der Zufall lokaler

Initiativen, welche Ruinen gesichert werden.

Die materialtechnischen und bauphysikalischen Probleme der

Ruinenkonservierung unterscheiden sich in wichtigen Einzelheiten von jenen

der üblichen Restaurierungsarbeit an Bauten unter Dach. Sie sind in der

Schweiz bisher kaum erforscht, weil sich keine der vorhandenen staatlichen

Denkmalpflegeinstitutionen damit befasst hat. Deshalb drohen dem

überforderten Baupraktiker bei komplexeren Ruinensicherungen gefährliche

Fehlschläge.

Die gestalterischen Fragen sind im Grunde unlösbar, da jeder konservierende

Eingriff die zur Ruine gehörende Unberührtheit stört. Das gestalterische

Bemühen sollte deshalb, unter Wahrung hoher formaler Qualität, auf

Bescheidenheit und Angemessenheit zielen.

Selbst bei hohen Subventionsansätzen belaufen sich bei grossen und wichtigen

Burgruinen die von den Initianten aufzubringenden Restkosten oft auf

hunderttausende von Franken oder überschreiten die Millionengrenze. Mehrere

Projekte dieser Grössenordnung konnten in den letzten Jahren in Graubünden

nur dank dem Baumeisterverband verwirklicht werden, der seine Lehrlinge auf

Ruinenbaustellen in den Techniken des Natursteinmauerns ausbildet. Das

Beispiel verdient es, andernorts nachgeahmt zu werden.

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S. 97: Anmerkungen:

1 Von solchen Projektberichten wird erwartet, besonders lehrreich und von allgemeinerer Gültigkeit zu sein, oder sie sollen, reformatorisch, «neue Wege» weisen. Ich könnte beides nicht leisten.

2 OTTO P. CLAVADETSCHER/WERNER MEYER, Das Burgenbuch von Graubünden (Zürich 1984), in der Nachfolge von ERWIN POESCHEL, Das Burgenbuch von Graubünden (Zürich 1929/30).

3 Projektidee des Expert-Centers für Denkmalpflege, Labor Zürich (vgl. Anm. 35). 4 Das «duo infernale» aus unsensiblem Bauträger und Architekt erweiterte sich somit

rasch zum «trio infernale» Auch optisch drängte sich die Bauleistung des Architekten und Statikers in den Vordergrund, die historischen Gemäuer in möglichst avantgardistische bzw. spektakuläre Neukreationen einzubinden, mit denen sich letztlich auch der Bauträger in der Öffentlichkeit profilieren konnte. Problematisch war ausserdem, dass der Architekt prozentual am Bauvolumen, der Statiker an aufwendigen technischen Lösungen reichlich mitverdienten. Beide brachten daher in der Regel neben ihren verständlichen Profilierungsbestrebungen ein natürliches Interesse ein, das Bauvolumen möglichst umfangreich aufzublähen.» JOACHIM ZEUNE: Freund oder Feind? Einige Anmerkungen zu Burgensanierungen. In: Wider das finstere Mittelalter Festschrift für Werner Meyer, hrsg. vom Schweizerischen Burgenverein. Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 29 (Basel 2002) 70.

5 Anderer Meinung ist] Jakob Obrecht in seinem Aufsatz «Methoden zur Konservierung von Burgruinen». In: Schweizerischer Ingenieur und Architekt 20, 1986, 480 sowie in: Nachrichten des Schweizerischen Burgenvereins 1986/1,54.

6 WERNER MEYER (München), Die Entwicklung der Burgenforschung nach Piper bis zur Gegenwart. In: OTTO PIPER, Burgenkunde (Nachdruck, Frankfurt a.M. 1967) 645.

7 1994 Splügen, Zur Burg, 1996 und 1998 Campell/Campi, 2000 Jörgenberg und Friberg, 2002 und 2004 Belfort.

8 Vgl. Mittelalter, Zeitschrift des Schweizerischen Burgenvereins 9, 2004/1. 9 Während Hans Rudolf Sennhauser betont, dass die Erfassung der

Restaurierungsgeschichte ein künftig immer wichtiger werdendes Gebiet sei (zuletzt Expertenbericht Gesslerburg 2004), sind etwa in Werner Meyers Burgeninventaren die erfolgten Restaurierungen nur am Rande oder gar nicht erwähnt (z.B. Neu-Thierstein in WERNER MEYER, Burgen von A bis Z, [Basel 1981]215, Castelmur, Spaniola in CLAVADETSCHER/MEYER 1984 [Anm. 2] 225, 236) und meist nur als «Verwischung» und «Verwüstung» des Bestandes zur Kenntnis genommen (z.B. Rotberg in MEYER 1981,220, Boggiano in CLAVADETSCHER/MEYER 1984 [Anm. 2] 261).

10 Es sei klargestellt, dass sich diese Bemerkungen nicht gegen eine Berufsgruppe richten. Sie wollen Folgerungen aus der Zielsetzung des Erhaltens darlegen, die für alle am Bau Beteiligten gelten.

11 Zum Beispiel Werner Meyer über Belfort: «Völlig ungenügende Dokumentation des Originalzustandes und gänzlicher Verzicht auf archäologische Beobachtungen haben allerdings die baugeschichtlichen Befunde weitgehend zerstört, so dass die Zusammenhänge und die Entwicklung des Gebäudekomplexes heute nicht mehr befriedigend erklärt werden können.» Und Bodenfunde sind nicht gesammelt worden. Notizen über allfällige stratigraphische Beobachtungen fehlen. Die photographische Dokumentation (Sammlung Probst im Schweiz. Burgenarchiv) ist

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dürftig und unbrauchbar.» (CLAVADETSCHER/MEYER 1984 [Anm. 2] 52, 56). Dagegen legt Augustin Carigiet nach der bauarchäologischen Begleitung von 2 der geplanten 6 Konservierungsetappen die weitgehend geklärte, vielgliedrige Baugeschichte vor, AUGUSTIN CARIGIET, Brienz/Brinzauls, Burgruine Belfort. Baugeschichtliche Untersuchung, 1. und 2. Etappe. In: Jahresberichte 2002 des Archäologischen Dienstes Graubünden und der Denkmalpflege Graubünden (Haldenstein/Chur 2003) 184ff.

12 Beispiele aus meinem unmittelbaren Kenntnisbereich: PATRIK ELSIG, Le château de Tourbillon. L'évolution historique du site (Typoskript 1996). AUGUSTIN CARIGIET, Die Burgruine Campell/Campi in Sils i.D. In: Jahresberichte 1996 des Archäologischen Dienstes Graubünden und der Denkmalpflege Graubünden (Chur 1997) 167-177. GUIDO FACCANI, Zur Baugeschichte der Burgruine Dorneck bei Dornach. In: Archäologie und Denkmalpflege im Kanton Solothurn, 4/1999, 7-36. AUGUSTIN CARIGIET, Zu den Burgen Friberg (Siat) und Jörgenberg (Waltensburg). In: Jahresberichte 2000 des Archäologischen Dienstes Graubünden und der Denkmalpflege Graubünden (Haldenstein/Chur 2001) 150-162.

13 z.B. MARGARETA PETERS/ROBERT NEUHAUS, Die Burgruine Gräpplang in Flums SG. Bericht über die bauarchäologische Untersuchung 1990/91. Nachrichten des Schweizerischen Burgenvereins 67, 1994, 93-100. CHRISTOPH REDING, Die Burgruine Schenkenberg bei Thalheim. Mittelalter, Zeitschrift des Schweizerischen Burgenvereins 9, 2004/4, 85-105.

14 Vgl. die Abrechnung mit dem längst verstorbenen Eugen Probst: WERNER MEYER, Burgenforschung in der Schweiz Ein kritischer Blick in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Mittelalter, Zeitschrift des Schweizerischen Burgenvereins 7, 2002/1,4.

15 Nachrichten der Schweiz. Vereinigung zur Erhaltung der Burgen und Ruinen (Burgenverein) No. 9, November 1929 [Eugen Tatarinoff], Verteidigung des Historischen Vereins des Kantons Solothurn gegen die Angriffe des Herrn Eugen Probst, Architekt in Zürich, Solothurn Februar 1930 Antwort auf die Schmähschrift des Historischen Vereins Solothurn vom Februar 1930 von Eugen Probst, Architekt in Zürich, Zürich März 1930 [Eugen Tatarinoff], Entgegnung des Historischen Vereins des Kantons Solothurn auf die «Antwort» des Herrn Eugen Probst, Architekt in Zürich, Solothurn Dezember 1930.

16 FACCANI 1999 (Anm. 12) 30 ff. 17 Vgl. Anm. 4. 18 Deutsche Übersetzung in ICOMOS Landesgruppe Schweiz, Nachrichten 111990,48-

51. Was Joachim Zeune unter dem Titel «Die Charta von Venedig und andere Katastrophen» schreibt, betrifft nicht die Charta, sondern deren Missbrauch durch das Herausreissen eines Teils von Artikel 5 aus dem Zusammenhang. Die Aussage «Insbesondere in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren kam es in der Folge der berühmten Charta von Venedig zur Verstümmelung von Hunderten von Burgruinen (Zeune 2002), (Anm. 4) überschätzt ausserdem die Wirkung der Charta bei weitem, wie ich vermute auch in Deutschland und jedenfalls in der Schweiz.

19 Allgemeine Grundsätze für die Erhaltung von Burgruinen. Nachrichten der Schweiz. Vereinigung zur Erhaltung der Burgen und Ruinen (Burgenverein) 1/1948, 77-79.

20 JOSEPH ZEMP: Das Restaurieren. Schweizerische Bauzeitung 50 (5. Okt. 1907) 173.

21 HANSJÖRG FROMMELT/LUKAS HÖGL/ULRIKE MAYR, Eine glückliche Burg?! In: Die Burgenforschung und ihre Probleme. Ergrabung - Konservierung - Restaurierung, hrsg. vom Bundesdenkmalamt, Abteilung Bodendenkmale (Fundberichte aus Oesterreich , Materialheft A/2, Wien 1994) 155.

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22 LUKAS HÖGL/RETO LOCHER: Studie zur Bewährung von

Erhaltungsmassnahmen an dachlosen Mauerwerksbauten, Teilprojekt NFP 16, Schlussbericht (Typoskript 1988).

23 Mit den Worten von Robert Durrer in seinem Expertenbericht von 1929 zur Konservierung der Ruine Ringgenberg: «Man pflegt ironisch zu sagen, die besten Restaurationen seien die, die nicht gemacht wurden, das ist freilich nicht wahr, aber die besten Restaurationen sind die, die man dem Objekt äusserlich nicht ansieht, die schützen, sichern, aber nicht hervorstechen.»

24 [Tatarinoff] Verteidigung 1930 (Anm. 15) 10. 25 EUGEN PROBST, Zement für Burgruinen?! Nachrichten der Schweiz. Vereinigung

zur Erhaltung der Burgen und Ruinen (Burgenverein) 1946/1, 7f. 26 EUGEN PROBST, Vom Einfluss der Vegetation auf die Ruinen. Nachrichten der

Schweiz. Vereinigung zur Erhaltung der Burgen und Ruinen (Burgenverein) 193411, 33-35.

27 Wie Anm. 25. 28 EUGEN PROBST, Über äusseren Mauerverputz an historischen Gebäuden.

Nachrichten der Schweiz. Vereinigung zur Erhaltung der Burgen und Ruinen (Burgenverein) 1946/6, 29f.

29 Wie Anm. 19. 30 (Ohne Autorenangabe), Verputz von Aussenmauern. Nachrichten der Schweiz.

Vereinigung zur Erhaltung der Burgen und Ruinen (Burgenverein) 1953/3, 16f. 31 EUGEN PROBST, Vom Restaurieren. Nachrichten der Schweiz. Vereinigung zur

Erhaltung der Burgen und Ruinen (Burgenverein) 1953/4,5, 22f. 32 EUGEN PROBST, Die Bedeutung des Mörtels bei der Erhaltung von Burgen und

Ruinen. Nachrichten der Schweiz. Vereinigung zur Erhaltung der Burgen und Ruinen (Burgenverein) 195511, 74f.

33 «Um dem Vorwurf der hämischen Schadenfreude auszuweichen, sei hier auf die Aufzählung von kürzlich erfolgten Restaurierungsarbeiten, bei denen der nach modernsten Erkenntnissen der Denkmalpflege gemischte Mörtel nach kürzester Zeit der völligen Auf- und Ablösung verfiel, ausdrücklich verzichtet. WERNER MEYER: Die Ausgrabungen auf Zwing Uri. In: WERNER MEYER/JAKOB OBRECHT/HUGO SCHNEIDER, Die bösen Türnli. Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 11 (Olten 1984) 86.

34 Auf der sogenannten Gesslerburg SZ bewirkten die früher ausgeführten Fugenvermörtelungen nach 30 bis 60 Jahren die grossen Mauereinstürze. Die Mörtelauflösung und der Mauerwerkszerfall unter den Sicherungsschichten von Sternenberg SO werden erst heute, nach ca. 40 Jahren, richtig sichtbar. Das ganze Ausmass der durch die Sicherungsmassnahmen, trotz Unterhalt, bewirkten Schäden beginnt sich auf der Löwenburg JU heute, nach ca. 35 Jahren, zu zeigen. Wenn Hugo Schneider 1979 schrieb, dass sich die Konservierung von 1956/57 auf Alt-Regensberg ZH «sehr bewährt» habe (HUGO SCHNEIDER, Die Burgruine Alt-Regensberg. Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 6 [Olten 1979] 99), gab es damals wohl noch keine gravierenden Schäden, 1986 war der Zustand derart desolat, dass der komplette Abbruch und Wiederaufbau des 30jährigen Sicherungsmauerwerks nötig war, mit den entsprechenden Verlusten am Originalbestand. Entsprechende Beobachtungen zur Langfristigkeit der Bewährung bzw. Nichtbewährung führten zum NFP 16 Teilprojekt «Studie zur Bewährung von Erhaltungsmassnahmen an dachlosen Mauerwerksbauten(Anm. 22).

35 LUKAS HÖGL, Sicherungstechnische Lehren aus frühen Schweizer Ruinensicherungen. In: Die Burgenforschung und ihre Probleme. Ergrabung -

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Konservierung - Restaurierung, hrsg. vom Bundesdenkmalamt, Abteilung Bodendenkmale (Fundberichte aus Österreich, Materialheft A/2, Wien 1994) 75f.

36 In allerjüngster Zeit ist die Thematik allerdings aufgenommen worden und eine Dynamik entstanden, die zu Hoffnung Anlass gibt: Die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege beabsichtigte 1999 eine Tagung zu technischen Ruinenproblemen durchzuführen, die allerdings wegen des Todes von Ingenieur Fredi Schneller abgesagt werden musste, im August 2003 organisierte sie ein Kolloquium unter dem Titel «Finanzierung von Erhaltungsmassnahmen an Ruinen». 2003/2004 fand die zweiteilige Vortragsreihe des Instituts für Denkmalpflege der ETH-Zürich, der Vereinigung der Schweizer Denkmalpfleger und der Landesgruppe Schweiz des ICOMOS unter dem Titel «Die Burg: Umgang mit dem Denkmal. Konservieren, konstruieren oder konsumieren?» statt, die im vorliegenden Band veröffentlicht wird. 2004 wurde am Expert-Center für Denkmalpflege, Labor Zürich, eine Projektidee zur technischen Ruinenproblematik ausgearbeitet.

37 Die rapportierten Einzelheiten haben sich auf verschiedenen Konservierungsbaustellen zugetragen.

38 Das Bundesamt für Kultur hat kürzlich eine Bundesexpertin und einen Bundesexperten zur Ergründung und vielleicht Lösung der Probleme ernannt.

39 Charakterisierung des geprüften Mauerwerks (vgl. Ankündigung im technischen Bericht vom 11. 12.2000), Verfolgung der Feuchtigkeitsentwicklung im Mauerwerk und der Veränderung der Mörtelfestigkeit nach dem Bau des Daches.

40 Projektidee vgl. Anm. 36.

Wir danken dem Verfasser bestens für die freundliche Wiedergabebewilligung. Internet-Bearbeitung: K. J. Version 08/2012

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