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69 MMW-Fortschr. Med. Nr. 1 / 2012 (154. Jg.) SEMINAR FORTBILDUNG _ Das primäre Ziel der Behandlung von Hypertonikern ist und bleibt die maxi- male langfristige Reduktion des kardio- vaskulären Risikos. Dieses Ziel erfor- dert, dass neben der Behandlung des er- höhten Blutdrucks auch alle anderen kardiovaskulären Risikofaktoren erfasst und behandelt werden. Genereller Zielblutdruck: < 140/90 mmHg Aufgrund zahlreicher internationaler Studien propagieren heute die meisten Fachgesellschaften für die Behandlung von Hypertonikern einen Zielblutdruck von < 140/90 mmHg. Frühere Leitlinien haben für Hyper- toniker mit sehr hohem kardiovasku- lärem Risiko noch einen Zielblutdruck von < 130/80 mmHg empfohlen. Doch davon ist man wieder abgekommen. Be- denken gegen eine zu starke Blutdruck- senkung ergaben sich z. B. aus einer Post- hoc-Analyse der International Verapa- mil-Trandolapril Study (INVEST). Hier zeigte sich bei Werten < 120/70 mmHg eine Zunahme des Risikos (J-Kurve). Insbesondere für Hochdruckkranke mit KHK scheint ein zu niedriger Blutdruck prognostisch ungünstig. Ältere und sehr alte Patienten Für Hypertoniker bis zum Lebensalter von 80 Jahren gilt der allgemeine Ziel- blutdruck von < 140/90 mmHg. Bei Pa- tienten im Alter von ≥ 80 Jahren genügt es, den systolischen Druck auf Werte unter 150 mmHg zu senken. Besonders bei dieser Altersgruppe ist das Ausmaß der anzustrebenden Blutdrucksenkung stark vom allgemeinen Gesundheitszu- stand abhängig zu machen. Thiaziddiu- retika, Kalziumantagonisten, AT 1 -Anta- gonisten, ACE-Hemmer und Beta-Blo- cker kommen auch bei älteren Patienten sowohl für die initiale als auch die lang- fristige Behandlung in Frage. Ältere Hypertoniker neigen eher zu orthostatischem Blutdruckabfall als jün- gere. Deshalb sollten die Blutdruckmes- sungen bei Älteren am stehenden Pati- enten vorgenommen werden, die Blut- drucksenkung langsam erfolgen und aufmerksam beobachtet werden (cave Sturzgefahr). Diabetiker mit/ohne Nephropathie Bei hypertonen Diabetikern sind All- gemeinmaßnahmen in besonderem Maße angebracht. Vor allem sollte eine Gewichtsabnahme und eine Redukti- on der Kochsalzeinnahme angestrebt werden. Der Blutdruck sollte in einem Korri- dor zwischen 130–140/80–85 mmHg eingestellt werden. Dazu ist oft die Kom- bination von zwei oder mehr Antihyper- tensiva erforderlich. Die Behandlungs- strategien sollten Maßnahmen gegen al- le kardiovaskulären Risikofaktoren ent- halten. Infolge einer autonomen Neuropa- thie neigen manche Diabetiker zu or- thostatischem Blutdruckabfall. Daher sollten die Blutdruckwerte auch im Ste- hen kontrolliert werden. Wichtig: Die Blutdrucksenkung hat einen nephroprotektiven Effekt. Er ist besonders ausgeprägt beim Einsatz von ACE-Inhibitoren und AT 1 -Antago- nisten. Auch bei hoch normalem Blut- druck und gleichzeitig nachgewiesener Mikroalbuminurie sollten daher bevor- zugt ACE-Inhibitoren und AT 1 -Antago- nisten eingesetzt werden. Wenn bereits eine diabetische Ne- phropathie vorliegt, kann das Fort- schreiten der Niereninsuffizienz vor al- lem durch zwei Maßnahmen aufgehal- ten werden: Blutdruckkontrolle und Re- duzierung einer bestehenden Protein- urie möglichst auf Normalwerte. Vorteil- haft ist ein Zielblutdruck von < 130/80 mmHg bzw. von ≤ 125/75 mm Hg bei ei- ner Proteinurie ≥ 1 g/Tag. Meist sind die- se Ziele nicht in Monotherapie, sondern SEMINAR Hochdrucktherapie bei Alten, Diabetikern, Nierenkranken Update der Leitlinien der Deutschen Hochdruckliga JOCHEN AUMILLER Seit der Publikation der Leitlinien zur Behandlung der arteriellen Hyperto- nie im Jahre 2008 hat es eine Reihe von Erkenntnissen gegeben, aus denen sich therapeutische Konsequenzen ergeben: zum Zielblutdruck, zur antihy- pertensiven Therapie bei älteren und sehr alten Patienten sowie zum Blut- hochdruck bei Diabetikern. Hier eine komprimierte Version der Leitlinien- Aktualisierung. Bluthochdruck im Blickpunkt Regelmäßiger Sonderteil der MMW-Fortschritte der Medizin. Herausgeber: Deutsche Hochdruckliga e.V. DHL® – Deutsche Gesellschaft für Hypertonie und Prävention Berliner Straße 46, D-69120 Heidelberg; Tel.: 06221/58855-0, Fax: 06221/58855-25 [email protected] Redaktion: Prof. Dr. med. Ulrich Kintscher, Berlin (Vors. d. Vorstandes) Hochdruckliga Dr. med. Jochen Aumiller München

Update der Leitlinien der Deutschen Hochdruckliga

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Page 1: Update der Leitlinien der Deutschen Hochdruckliga

69MMW-Fortschr. Med. Nr. 1 / 2012 (154. Jg.)

SEMINAR–FORTBILDUNG

_ Das primäre Ziel der Behandlung von Hypertonikern ist und bleibt die maxi-male langfristige Reduktion des kardio-vaskulären Risikos. Dieses Ziel erfor-dert, dass neben der Behandlung des er-höhten Blutdrucks auch alle anderen kardiovaskulären Risikofaktoren erfasst und behandelt werden.

Genereller Zielblutdruck: < 140/90 mmHgAufgrund zahlreicher internationaler Studien propagieren heute die meisten Fachgesellschaften für die Behandlung von Hypertonikern einen Zielblutdruck von < 140/90 mmHg.

Frühere Leitlinien haben für Hyper-toniker mit sehr hohem kardiovasku-lärem Risiko noch einen Zielblutdruck von < 130/80 mmHg empfohlen. Doch davon ist man wieder abgekommen. Be-denken gegen eine zu starke Blutdruck-senkung ergaben sich z. B. aus einer Post-hoc-Analyse der International Verapa-mil-Trandolapril Study (INVEST). Hier zeigte sich bei Werten < 120/70 mmHg

eine Zunahme des Risikos (J-Kurve). Insbesondere für Hochdruckkranke mit KHK scheint ein zu niedriger Blutdruck prognostisch ungünstig.

Ältere und sehr alte PatientenFür Hypertoniker bis zum Lebensalter von 80 Jahren gilt der allgemeine Ziel-blutdruck von < 140/90 mmHg. Bei Pa-tienten im Alter von ≥ 80 Jahren genügt es, den systolischen Druck auf Werte unter 150 mmHg zu senken. Besonders bei dieser Altersgruppe ist das Ausmaß der anzustrebenden Blutdrucksenkung stark vom allgemeinen Gesundheitszu-stand abhängig zu machen. Thiaziddiu-retika, Kalziumantagonisten, AT1-Anta-gonisten, ACE-Hemmer und Beta-Blo-cker kommen auch bei älteren Patienten sowohl für die initiale als auch die lang-fristige Behandlung in Frage.

Ältere Hypertoniker neigen eher zu orthostatischem Blutdruckabfall als jün-gere. Deshalb sollten die Blutdruckmes-sungen bei Älteren am stehenden Pati-enten vorgenommen werden, die Blut-drucksenkung langsam erfolgen und aufmerksam beobachtet werden (cave Sturzgefahr).

Diabetiker mit/ohne NephropathieBei hypertonen Diabetikern sind All-gemeinmaßnahmen in besonderem Maße angebracht. Vor allem sollte eine Gewichtsabnahme und eine Redukti-

on der Kochsalzeinnahme angestrebt werden.

Der Blutdruck sollte in einem Korri-dor zwischen 130–140/80–85 mmHg eingestellt werden. Dazu ist oft die Kom-bination von zwei oder mehr Antihyper-tensiva erforderlich. Die Behandlungs-strategien sollten Maßnahmen gegen al-le kardiovaskulären Risikofaktoren ent-halten.

Infolge einer autonomen Neuropa-thie neigen manche Diabetiker zu or-thostatischem Blutdruckabfall. Daher sollten die Blutdruckwerte auch im Ste-hen kontrolliert werden.

Wichtig: Die Blutdrucksenkung hat einen nephroprotektiven Effekt. Er ist besonders ausgeprägt beim Einsatz von ACE-Inhibitoren und AT1-Antago-nisten. Auch bei hoch normalem Blut-druck und gleichzeitig nachgewiesener Mikroalbuminurie sollten daher bevor-zugt ACE-Inhibitoren und AT1-Antago-nisten eingesetzt werden.

Wenn bereits eine diabetische Ne-phropathie vorliegt, kann das Fort-schreiten der Niereninsuffizienz vor al-lem durch zwei Maßnahmen aufgehal-ten werden: Blutdruckkontrolle und Re-duzierung einer bestehenden Protein-urie möglichst auf Normalwerte. Vorteil-haft ist ein Zielblutdruck von < 130/80 mmHg bzw. von ≤ 125/75 mm Hg bei ei-ner Proteinurie ≥ 1 g/Tag. Meist sind die-se Ziele nicht in Monotherapie, sondern

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Hochdrucktherapie bei Alten, Diabetikern, Nierenkranken

Update der Leitlinien der Deutschen HochdruckligaJochen Aumiller

Seit der Publikation der Leitlinien zur Behandlung der arteriellen Hyperto-nie im Jahre 2008 hat es eine Reihe von Erkenntnissen gegeben, aus denen sich therapeutische Konsequenzen ergeben: zum Zielblutdruck, zur antihy-pertensiven Therapie bei älteren und sehr alten Patienten sowie zum Blut-hochdruck bei Diabetikern. Hier eine komprimierte Version der Leitlinien-Aktualisierung.

Bluthochdruck im BlickpunktRegelmäßiger Sonderteil der MMW-Fortschritte der Medizin.

Herausgeber: Deutsche Hochdruckliga e.V. DHL® – DeutscheGesellschaft für Hypertonie und Prävention Berliner Straße 46, D-69120 Heidelberg; Tel.: 06221/58855-0, Fax: 06221/[email protected]: Prof. Dr. med. Ulrich Kintscher, Berlin (Vors. d. Vorstandes)

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mit der Kombination von zwei oder mehr Antihypertensiva zu erreichen. ACE-Inhibitoren und AT1-Antagonisten sind die Mittel der ersten Wahl. Bei Überwässerung sind Schleifendiuretika erforderlich.

Niereninsuffizienz ohne DiabetesAuch bei nicht-diabetischer Nierenin-suffizienz wirkt ein niedriger Blutdruck nephroprotektiv. Jafar et al. werteten in einer Metaanalyse 11 Studien aus, bei denen Patienten mit nicht-diabetischer Niereninsuffizienz entweder mit ACE-Hemmern oder mit anderen Antihyper-tensiva behandelt wurden. Die Progres-sion der Niereninsuffizienz war am ge-ringsten, wenn systolische Blutdruck-werte von 110–129 mmHg erzielt wur-den. Allerdings handelte es sich um eine Post-hoc-Analyse von Subgruppen.

Therapieresistente HypertonieDie Hypertonie kann als resistent oder refraktär bezeichnet werden, wenn das angewandte Therapieregime aus Lebens-stiländerung plus mindestens drei Antihy-pertensiva aus drei unterschiedlichen Klassen (unter Einschluss eines Diureti-kums) nicht in der Lage ist, den Blutdruck ausreichend zu senken.

Das Phänomen der therapieresisten-ten Hypertonie ist nicht selten. Etwa 15–20% der Hypertoniker sind unter einer Kombinationstherapie nicht einstellbar. In der Regel sollte dann eine Zuweisung zu einem Facharzt mit speziellen Kenntnis-sen der Hypertonie angestrebt werden.

Es gibt verschiedene Gründe für eine Therapieresistenz (Tab. 1). Ausgeschlos-

sen werden sollten auch Weißkittelhyper-tonie oder die Benutzung zu kleiner Blut-druckmanschetten bei großen Armum-fängen.

Auslassversuch kann das Rätsel lösenEine wichtige Ursache für eine angeb-lich therapierefraktäre Hypertonie ist geringe Therapietreue. Bei Verdacht kann es nützlich sein, jegliche antihy-pertensive Therapie unter enger medi-zinischer Betreuung abzusetzen. Der Beginn mit einem neuen und einfachen antihypertensiven Therapieregime kann helfen, den Teufelskreis zu durch-brechen.

Unter den sekundären Hypertonie-ursachen, die Grund für eine echte The-rapieresistenz sind, stehen vor allem Nie-renerkrankungen, obstruktive Schlaf-apnoe und das Conn-Syndrom im Vor-dergrund.

Therapie bei resistenter HypertonieWenn kausal behandelbare Ursachen ausgeschlossen sind, kommen therapeu-tisch Antihypertensiva der zweiten Wahl oder neue invasive Verfahren in Frage. Zu den Antihypertensiva zählen z. B. Doxazosin, Aldosteronrezeptorblocker oder auch Minoxidil. Letzteres sollte nur zusammen mit einem Schleifendiureti-

kum und einem Betablocker gegeben wer-den, um den Hauptnebenwirkungen der Flüssigkeitsretention und Reflextachykar-die entgegenzuwirken.

Nierenarterien-Denervation und BarorezeptorstimulationDerzeit werden die renale Sympathikus-Denervation und die Barorezeptorsti-mulation intensiv untersucht. Bei erste-rem Verfahren werden durch eine Kathe-terablation die afferenten sympathischen Nervenfasern in den Nierenarterien un-terbrochen. Die Verminderung der sym-pathischen Afferenz hat in einem großen Teil der Fälle eine signifikante Blutdruck-senkung zur Folge.

Bei der Barorezeptorstimulation wer-den Elektroden im Bereich der Karotis-gabel implantiert, um über eine chro-nische Stimulation der dort lokalisierten Barorezeptoren auf reflektorischem Wege eine Sympathikushemmung und damit eine Blutdrucksenkung zu erzielen.

Für beide Verfahren sind noch wenig Daten zur langfristigen Sicherheit und Effektivität vorhanden. Ihre Anwen-dung ist derzeit als mögliche Alternative bei Versagen anderer Therapieformen auf spezielle Zentren mit entspre-chender Erfahrung in diesen Techniken beschränkt, so das Votum der Hoch-druck-Liga. In der Praxis sieht es leider anders aus: Die Nierenarterienverödung erlebt in vielen Krankenhäusern, nicht nur in speziellen Zentren, einen Boom wie einst die Ballondilatation.

Anschrift des Verfassers:Dr. med. Jochen AumillerRabenkopfstr. 9 D-81545 München E-Mail: [email protected]

■ Quelle: https://st1.hochdruckliga.de/tl_files/content/dhl/downloads/DHL-Leitlinien-2011.pdf

Ursachen für eine therapie-resistente Hypertonie_ Nicht diagostizierte sekundäre

Hypertonie_ Nicht ausreichende Therapietreue_ Fortgesetzte Einnahme von Medikamenten, die den Blutdruck steigern_ Unfähigkeit der Lebensstilände-rung_ Gewichtszunahme_ Schlafapnoe_ Übermäßiger Alkoholkonsum_ Flüssigkeitsüberladung auf Grund von: _ inadäquater diuretischer Therapie_ progressiver Niereninsuffizienz_ hoher Kochsalzzufuhr

Tabelle 1

German Hypertension Society: Update on the management of hypertension

Target blood pressure – Hypertension in the elderly – Type-2-Diabetes and Hypertension – Resistant Hypertension

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