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Vergleichende Betrachtungen und Laboruntersuchungen zur Wirkung von Erstblitzentladungen auf biologische Materialien Comparative considerations and laboratory studies on the effect of lightning first stroke discharges on biological materials Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Kupfer, Wissenschaftl. Beratungsbüro Elektropathologie, Berlin, [email protected] Prof. Dr.-Ing. habil. Michael Rock, TU Ilmenau, FG Blitz- und Überspannungsschutz, [email protected] Dr.-Ing. Carsten Leu, TU Ilmenau, FGR Hochspannungstechnologien, [email protected] Dipl.-Ing. Stefan Gossel, FGR Hochspannungstechnologien, [email protected] Dipl.-Ing. Christian Drebenstedt, TU Ilmenau, FG Blitz- u. Überspannungsschutz, [email protected] Kurzfassung Stefan JELLINEK (1871 bis 1968) leitete mit Beginn der Jahrhundertwende eine systematische „Spurensuche der Elektrizität“ ein. Die Erklärungsversuche zur Wirkung direkter Blitzeinschläge beinhalten oft phänomenologische Dar- stellungen der Schädigungen, die Einbeziehung physikalisch-elektrotechnischer Aspekte bei den Erklärungsversuchen erfolgt nur in begrenztem Maße. Daher soll geprüft werden, in wie weit Ergebnisse theoretischer wie labortechnischer Untersuchungen zu Wirk- und Ausbreitungsmechanismen energiereicher Impulsentladungen auf biologische Materia- lien übertragbar sind. Bisher sind kaum Aussagen über die transient wirksam werdenden elektrischen Feldstärken, die Stromführung über und durch den Organismus sowie die Ausbreitung und Wirkung von Entladungen an Oberflächen, insbesondere der Haut, verfügbar. Zur Annäherung an die Thematik wurden orientierende Versuche an frischen Tier- präparaten und Teilen von Bäumen sowie theoretische Betrachtungen zu hochspannungstechnischen Anordnungen durchgeführt. Damit sollten folgende Fragestellungen beantwortet werden: Wie wirken die Grenzflächen biologischer Materialien auf die Entstehung und Ausbreitung von Entladungen? Können die Entstehungsbedingungen von Entladungen beschrieben und reproduzierbar erzeugt werden? Unter welchen Bedingungen bilden sich die vielfach im Rahmen der Analyse von Blitzunfällen beschriebenen Lichtenberg-Figuren als Folge von Entladungen über die Haut aus? Wie kann diese Entladungsform physikalisch und elektrotechnisch charakterisiert werden? Sind die in Hochspannungslaboren verfügbaren Anlagen zur Erzeugung technisch relevanter Spannungen, insbeson- dere der Impulsspannung, geeignet, die Blitzspannungen, wie sie an Mensch, Tier und Pflanze in der Natur auftreten, nachzubilden? Dieser Beitrag steht im Kontext der Aktivitäten des Ausschusses für Blitzschutz und Blitzforschung (ABB). Sein inter- disziplinär zusammengesetzter Arbeitskreis ‚Blitzunfälle’ fasste den Stand der Kenntnisse zur medizinisch-biologischen Blitzforschung für in Deutschland interessierte Berufsgruppen (Blitzschutzbeauftragte, medizinisches Personal und Rettungskräfte, interessierte Wissenschaftler) zusammen. Abstract Stefan Jellinek (1871 to 1968) initiates at beginning of the turn of century a systematic "Search of Traces in Electricity". Attempts to explain the effects of direct lightning strikes often involve phenomenological representations of damages, inclusion of physical-electrotechnical aspects of attempts for explanation are only of limited extent. Therefore, examining to what extent are results of laboratory investigations as theoretical to effects and propagation mechanisms of high-energy pulse discharges applied to biological materials to be assigning. So far hardly statements about transient effective electric field strengths, current conduction on and through the body and propagation of discharges and effects on surfaces, particularly the skin, are available. To approach the topic comparative laboratory tests on fresh specimens of animals and parts of trees as well as theoretical considerations were performed to high-voltage engineering assemblies. With those, the following questions should be answered: How boundary surfaces of biological materials affect formation and spread of discharges? Can be described condi- tions of formation of discharges and generated reproducible? Under what conditions, the often in analysis of lightning accidents described Lichtenberg figures develop on the skin as a result of discharges? How can this form of discharge be characterized physically and electrically? Are available in high voltage laboratories equipment for generation of technically relevant voltages, in particular impulse voltages, suitable to simulate lightning voltages that occur at humans, animals and plants in nature? This contribution can be seen in context of activities of the Ausschuss für Blitzschutz und Blitzforschung (ABB). The interdisciplinary working group ‘lightning accidents’ summed up the knowledge of medical-biological lightning research for interested professional groups in Germany (lightning protection specialists, medical personnel and emergency workers, interested scientists). 11. VDE/ABB-Blitzschutztagung, 22. – 23. Oktober 2015 in Neu-Ulm ISBN 978-3-8007-3899-1 © VDE VERLAG GMBH Berlin Offenbach 105

Vergleichende Betrachtungen und Laboruntersuchungen · PDF filenimmt bei den hier zur Diskussion stehenden(transien- ten) Vorgängen eine Schlüsselfunktion ein. Aus Experimenten unbekannt

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Page 1: Vergleichende Betrachtungen und Laboruntersuchungen · PDF filenimmt bei den hier zur Diskussion stehenden(transien- ten) Vorgängen eine Schlüsselfunktion ein. Aus Experimenten unbekannt

Vergleichende Betrachtungen und Laboruntersuchungen zur Wirkung von Erstblitzentladungen auf biologische Materialien Comparative considerations and laboratory studies on the effect of lightning first stroke discharges on biological materials Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Kupfer, Wissenschaftl. Beratungsbüro Elektropathologie, Berlin, [email protected] Prof. Dr.-Ing. habil. Michael Rock, TU Ilmenau, FG Blitz- und Überspannungsschutz, [email protected] Dr.-Ing. Carsten Leu, TU Ilmenau, FGR Hochspannungstechnologien, [email protected] Dipl.-Ing. Stefan Gossel, FGR Hochspannungstechnologien, [email protected] Dipl.-Ing. Christian Drebenstedt, TU Ilmenau, FG Blitz- u. Überspannungsschutz, [email protected]

Kurzfassung Stefan JELLINEK (1871 bis 1968) leitete mit Beginn der Jahrhundertwende eine systematische „Spurensuche der Elektrizität“ ein. Die Erklärungsversuche zur Wirkung direkter Blitzeinschläge beinhalten oft phänomenologische Dar-stellungen der Schädigungen, die Einbeziehung physikalisch-elektrotechnischer Aspekte bei den Erklärungsversuchen erfolgt nur in begrenztem Maße. Daher soll geprüft werden, in wie weit Ergebnisse theoretischer wie labortechnischer Untersuchungen zu Wirk- und Ausbreitungsmechanismen energiereicher Impulsentladungen auf biologische Materia-lien übertragbar sind. Bisher sind kaum Aussagen über die transient wirksam werdenden elektrischen Feldstärken, die Stromführung über und durch den Organismus sowie die Ausbreitung und Wirkung von Entladungen an Oberflächen, insbesondere der Haut, verfügbar. Zur Annäherung an die Thematik wurden orientierende Versuche an frischen Tier-präparaten und Teilen von Bäumen sowie theoretische Betrachtungen zu hochspannungstechnischen Anordnungen durchgeführt. Damit sollten folgende Fragestellungen beantwortet werden: • Wie wirken die Grenzflächen biologischer Materialien auf die Entstehung und Ausbreitung von Entladungen? Können

die Entstehungsbedingungen von Entladungen beschrieben und reproduzierbar erzeugt werden? • Unter welchen Bedingungen bilden sich die vielfach im Rahmen der Analyse von Blitzunfällen beschriebenen

Lichtenberg-Figuren als Folge von Entladungen über die Haut aus? Wie kann diese Entladungsform physikalisch und elektrotechnisch charakterisiert werden?

• Sind die in Hochspannungslaboren verfügbaren Anlagen zur Erzeugung technisch relevanter Spannungen, insbeson-dere der Impulsspannung, geeignet, die Blitzspannungen, wie sie an Mensch, Tier und Pflanze in der Natur auftreten, nachzubilden?

Dieser Beitrag steht im Kontext der Aktivitäten des Ausschusses für Blitzschutz und Blitzforschung (ABB). Sein inter-disziplinär zusammengesetzter Arbeitskreis ‚Blitzunfälle’ fasste den Stand der Kenntnisse zur medizinisch-biologischen Blitzforschung für in Deutschland interessierte Berufsgruppen (Blitzschutzbeauftragte, medizinisches Personal und Rettungskräfte, interessierte Wissenschaftler) zusammen.

Abstract Stefan Jellinek (1871 to 1968) initiates at beginning of the turn of century a systematic "Search of Traces in Electricity". Attempts to explain the effects of direct lightning strikes often involve phenomenological representations of damages, inclusion of physical-electrotechnical aspects of attempts for explanation are only of limited extent. Therefore, examining to what extent are results of laboratory investigations as theoretical to effects and propagation mechanisms of high-energy pulse discharges applied to biological materials to be assigning. So far hardly statements about transient effective electric field strengths, current conduction on and through the body and propagation of discharges and effects on surfaces, particularly the skin, are available. To approach the topic comparative laboratory tests on fresh specimens of animals and parts of trees as well as theoretical considerations were performed to high-voltage engineering assemblies. With those, the following questions should be answered: • How boundary surfaces of biological materials affect formation and spread of discharges? Can be described condi-

tions of formation of discharges and generated reproducible? • Under what conditions, the often in analysis of lightning accidents described Lichtenberg figures develop on the skin

as a result of discharges? How can this form of discharge be characterized physically and electrically? • Are available in high voltage laboratories equipment for generation of technically relevant voltages, in particular

impulse voltages, suitable to simulate lightning voltages that occur at humans, animals and plants in nature? This contribution can be seen in context of activities of the Ausschuss für Blitzschutz und Blitzforschung (ABB). The interdisciplinary working group ‘lightning accidents’ summed up the knowledge of medical-biological lightning research for interested professional groups in Germany (lightning protection specialists, medical personnel and emergency workers, interested scientists).

11. VDE/ABB-Blitzschutztagung, 22. – 23. Oktober 2015 in Neu-Ulm

ISBN 978-3-8007-3899-1 © VDE VERLAG GMBH ∙ Berlin ∙ Offenbach105

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1 Historische Würdigung Anknüpfend auf die bereits von Michael FARADAY (1791 bis 1867) hingewiesene Wechselwirkung von Strom und Materie sah Stefan JELLINEK (1871 bis 1968) als Arzt und Physiker eines seiner wissenschaftlichen Lebensziele darin, Spuren der Elektrizitätseinwirkung zu sammeln, zu beurteilen und vor allem nach physikali-schen, chemischen und medizinischen Aspekten zu ord-nen. In seinen zugehörigen theoretischen Abhandlungen lehnte er sich zunächst an „Kriterien der FARADAY’ schen Kraftlinien als naturgegebene Leitmotive“ an [1], um diese dann nach eigenen Erkenntnissen zu erweitern. In den von ihm veranlassten Experimenten zeigte sich, dass dabei „Plus und Minus eine Rolle spielt ... die weder mit Zeichen von Hitze noch mit chemischen Veränderun-gen einhergeht und die außerdem noch reversibel ist“ [1]. Es entstanden die richtungsweisenden, international ein-maligen Zusammenfassungen: • Atlas zur Spurenkunde der Elektrizität, Wien 1955, und • das nicht mehr in seiner Geschlossenheit existierende

„Elektropathologische Museum“ in Wien. Bezüglich Blitzeinwirkungen bezog JELLINEK dabei Beobachtungen anderer Persönlichkeiten des öffentlichen und wissenschaftlichen Lebens mit ein. Als ein Beispiel sei GOETHE genannt, der 1823 „aus dem Funde kleinster Holzkügelchen in einer blitzgetroffenen Windmühle eine „gestaltende Tätigkeit der negativen Elektrizität“ abzu-leiten suchte [1].

2 Ergebnisse aktueller Recherchen Im Vorfeld durchgeführte Recherchen ergaben wenige Ansatzpunkte, um zum Beispiel geometrische Feldver-teilungen technischer Anordnungen mit definierten Kenn-werten (spezifische Leitfähigkeit κ, relative Permittivität εr) auf biologische Gebilde (z.B. Übergang Kopf-Hals-Schulterregion) übertragen zu können.

Zahlreiche Fragen der Wirkung energiereicher Blitzentla-dungen auf Mensch und Tier und deren lebenswichtige Organe (Haut, Herz, Atmung, Muskel- und Nervensys-tem) konnten bis heute nicht abschließend beantwortet werden. Dazu gehört der Entstehungsmechanismus soge-nannter Lichtenberg- bzw. Blitz-Figuren ([2], [7]). Sie verblassen innerhalb kurzer Zeit (Stunden) restlos, unab-hängig davon, ob der von einem direkten Blitzschlag mit Gleitentladungen über die Haut betroffene Mensch über-lebte oder nicht.

Mit Aufnahme eigener Untersuchungen stand die Forde-rung, ein „Hochspannungs-Ersatzschaltbild“ für die Anordnung Luft-Fettgewebeschicht zu entwickeln, ver-gleichbar mit Modellbildungen zu grundlegenden Feldan-ordnungen mit mindestens zwei Dielektrika sowie Schräggrenzflächen. Abzuleiten sind Mechanismen, die bei der Erklärung von Vorgängen bei einer Blitzentladung über den Menschen hilfreich sind. Bei diesen Überlegun-gen wurde von folgenden Paradigmen ausgegangen:

• Natürliche Prozesse streben i. d. R. ein Minimum des Energiebedarfs an.

• Die Verteilung kapazitiver und resistiver Stromanteile nimmt bei den hier zur Diskussion stehenden (transien-ten) Vorgängen eine Schlüsselfunktion ein.

Aus Experimenten unbekannt blieb bisher die quantitative Stromaufteilung zwischen Körperinneren und äußerer Gleitentladung beim Blitzunfall. Für technische Anord-nungen gilt dagegen diese Frage unter Beachtung bestimmter Randbedingungen und für definierte Material-eigenschaften weitestgehend als beantwortet. Inwieweit sich deren Ergebnisse auf biologische Materialien über-tragen lassen, war ein weiteres Ziel der hier beschriebe-nen orientierenden Laborversuche und Berechnungen. Im Vordergrund stand dabei das Interesse an der Beantwor-tung folgender Fragen: • Unter welchen Bedingungen lassen sich Gleitentladun-

gen auf biologischen Oberflächen nachbilden? • Sind Spuren bei beobachteten Gleitentladungen nach-

weisbar und wie unterscheiden diese sich bei unter-schiedlichen biologischen Materialien?

• Sind Entladungsvorgänge an definierten Grenzflächen reproduzierbar und welche Wirkungen hinterlassen sie grundsätzlich?

• Welche Schlussfolgerungen lassen sich hinsichtlich di-rekter Blitzeinwirkungen aus den Experimenten ablei-ten, vor allem bezüglich der bei Unfällen beobachteten Lichtenberg-Figuren im Ergebnis von Entladungen, die Gleit- bzw. Oberflächenentladungen zuzuordnen sind?

• Wie sind die bei der Beanspruchung biologischer Mate-rialien aufgezeichneten Spannungs- und Stromverläufe im Vergleich zu Ergebnissen an technischen Objekten zu interpretieren?

• Inwieweit lassen sich mit in Hochspannungslaboren erzeugten Impulsen Blitzwirkungen, wie sie an Mensch und Tier in der Natur auftreten, nachbilden? Welche Schlussfolgerungen ergeben sich hinsichtlich multipler Blitzentladungen?

3 Experimente mit Hochspannungsentladungen an biologischen Präparaten

3.1 Experimentalaufbauten Bei allen Vergleichsuntersuchungen wurden verschiedene Materialien mit Impulsentladungen bei Blitzstoßspannung mit einer Spitzenelektrode sowie bei Tesla-Entladungen über eine Drahtspitze beansprucht. Die Abstände zwi-schen Elektrode und Objekt wurden variiert und betrugen maximal 20 cm (Luftstrecke). Die Objekte standen auf oder hingen mit Abstand über einer Kupferplatte, welche über die Strommesseinrichtung leitend mit einem darunter geerdeten Aluminiumtisch verbunden war. Der Gesamt-strom wurde mit einem Weitbereichsstromwandler gemessen.

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Die Spannungsmessung erfolgte über einen gedämpften RC-Impulsspannungsteiler, wobei die Messsignale mit einem Digitalspeicheroszilloskop aufgezeichnet wurden. Soweit nicht anders vermerkt, wurden die Versuche mit folgender Beanspruchung durchgeführt: • Positive Blitzstoßspannung 1.2/50 µs bei Ladespannun-

gen des Marx-Generators von max. 300 kV • mit Tesla-Generator erzeugte unregelmäßig schwin-

gende Spannung mit ca. 200 kHz bei ca. 300 kV. Die Fotodokumentation erfolgte neben Einzelbildaufnah-men (Langzeitbelichtung) sowie Videoaufzeichnungen mit hochauflösender Kamera.

3.2 Biologische Materialien Als pflanzliches Material wurden dünne Buchenstämme (rund, Durchmesser ca. 8 cm; Länge ca. 40 cm) in zwei Varianten verwendet: • frisch geschnitten, naturbelassen „trocken“ sowie • in Salzwasser gelagert „nass“ (Hinzugabe von Salz, um

sicher zu gehen, dass wie in der Natur Mineralien/Ionen aufgenommen werden.)

und gegenübergestellt. Außerdem wurden trockene Holz-latten (Fichte) zum Vergleich herangezogen.

Das Tiermaterial war frisch geschlachteten Rindern und Schweinen entnommen. Verwendet wurden Präparate der Extremitäten von Kuh (Rinderbein, Länge ca. 40 cm) und Schwein (Klaue, Länge ca. 30 cm) sowie Schweinehaut (ca. 3 – 5 mm dick; Fläche ca. 20 cm × 35 cm).

4 Bewertung von Beobachtungen und Fotodokumentationen

4.1 Buchenstamm unter Blitzstoßspannung Der simulierte Blitzeinschlag in einen Baum wurde mit einem auf geerdeter Flächenelektrode stehendem Buchen-stamm und Impulsspannung nachgestellt (Bild 4.1).

Bild 4.1 Versuchsanordnung und Langzeit-Fotodokumentation von Impulsspannungsentladungen gleicher Amplitude

Bild 4.1 fasst drei Beobachtungen zusammen: a) Versuchsanordnung bei Luftentladung (Blitzstoßspan-

nung an Spitze über Schnittfläche von Buchenstamm) b) Buchenstamm „trocken“: Auf der Schnittfläche ent-

steht eine mehrfach strahlenförmig zur Innengrenz-schicht der Rinde verzweigte Gleitentladung.

c) Buchenstamm „nass“: signifikanter Unterschied zu b), Entladung gabelt sich nicht zur Rindenumhüllung auf.

Eine quer zum Buchenstamm eingeleitete Entladung (Bild 4.2) führt direkt zum Überschlag über die Rinde.

Bild 4.2 Verhalten einer Luftentladung bei Blitzstoßspannung unter Zwischenschaltung eines Stützers zur geerdeten Flächenelektrode

Bewertung: • Beim trockenen Buchenstamm ist eine Entladung im

Spalt zwischen Holz und Rinde anzunehmen, die einer Luftentladung recht nah kommt.

• Inwieweit sich beim nassen Buchenstamm eine Grenz-flächenentladung zwischen Holz und Rinde ausbildet oder der Strom über die evtl. relativ gut leitfähige zylin-dermantelförmige Grenzschicht durch Volumenleitung geführt wurde, war nicht festzustellen.

• Eine Sprengwirkung bzw. das Aufplatzen oder Aufreißen der Rinde war bei der im Labor nachzubildenden Impulsspannungsbelastung nicht zu erwarten und wurde auch nicht beobachtet. Dafür ist eine höhere Stromamplitude und eine längere Stromflussdauer (hohe impulsförmige Energiezufuhr), wie beim realen Blitzereignis, notwendig.

4.2 Rinder- und Schweineklaue unter Blitz-stoßspannung

Vom Einschlagpunkt am Rindebein ausgehend bilden sich verzweigende Gleitentladungen. Die Hauptentladung läuft über das Fell und mündet in den Hufansatz (Bild 4.3). Vermutlich geht die Entladung am Übergang Fell/Haut zum Hornhuf nach innen oder durch den gespaltenen Huf und von dort zur Kupferplatte über.

Bild 4.3 Versuchsanordnung bei Entladung (links) und Einschlag in das auf geerdeter Kupferplatte stehende Rinderbein (rechts)

Bewertung: • Beim Ableiten des Stromes wirken generell die Leitfä-

higkeit des biologischen Materials und die Zünd- und

a) b) c)

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Stromleitungsprozesse auf dem Fell. Letztere werden bestimmt durch die transiente Feldverteilung und wir-ken zugleich auf sie zurück. Die Hauptentladung lässt erkennen, dass der Strom in das offene Bein eintritt, um dann auf der Felloberseite, zum Teil verzweigt, weiter zu laufen. Wahrscheinlich, aber nicht gemessen, ist ein amplitudenschwächerer Stromfluss im Inneren.

• Wurde die Spitzenelektrode direkt ins Fleisch gesteckt, fließt der Strom zunächst über das biologische Material. Durch Höhe und Richtung der Feldstärke sowie das Erfüllen der Zündbedingungen am Übergang Fell-Luft setzt die Gleitentladung auf dem Fell ein (etwa im Spit-zenbereich der Elektrode, Bild 4.4 links). Diese Tatsa-che unterstreicht die Vermutung, dass ein direkter Ein-tritt in Körperöffnungen (z.B. Augen, Mund) möglich ist und trotzdem Lichtenberg-Figuren auf der Haut sichtbar werden. Wie in Bild 4.4 links erkennbar, setzt die Gleitentladung direkt am oberen Übergang „Körper-öffnung“-Haut ein.

Bild 4.4 Spitzenelektrode ca. 3 cm in das Fleisch eingestochen (links) und Metallbrücke auf dem Fell (rechts, Kupferstreifen ca. 5 cm × 1 cm); (Langzeitbelichtung)

Bild 4.5 Schweineklaue bei Blitzstoßspannungsbeanspruchung; Objekt stehend mit den Zehen auf geerdeter Kupferplatte (links) und Klaue ca. 5 cm über geerdeter Kupferplatte schwebend mit Spitzenelektrode ca. 3 cm tief ins Fleisch gesteckt (rechts).

• Erwartungsgemäß überbrückt ein Metallelement (vgl. Schmuck auf der Haut) den sonst auf der Oberfläche durchgehenden Gleitentladungshauptkanal (Bild 4.4 rechts). Die hohe Leitfähigkeit und die Ausformung des

elektrischen Feldes wirken konzentrierend auf die Ober-flächenentladung.

• Auch bei Haut ohne Fell kommt es zu Gleitentladungen bzw. zum Überschlag (Schweineklaue, Bild 4.5 rechts). Allerdings setzt die Gleitentladung direkt am oberen Übergang „Körperöffnung“-Haut ein. Die Beobachtun-gen im Experiment decken sich mit Unfallbildern ([3]).

4.3 Schweinehaut unter Blitzstoßspannung Auf einer, eine geerdete Kupferplatte überspannenden, Schweinehaut konnten keine Gleitentladungen generiert werden (Bild 4.6), wie sie auf Oberflächen von Isolierma-terialien auftreten. Es war (im Nachhinein) nicht festzu-stellen, ob die dünne Hautschicht durchschlagen wurde oder ob die Gasentladung auf der Haut ansetzt und ein kapazitiver Verschiebungsstrom durch die Haut zur geer-deten Plattenelektrode fließt.

Bild 4.6 Schweinehaut, direkt auf Kupferplatte liegend, mit ca. 20 cm Abstand zur Spitzenelektrode (Langzeitbelichtung)

Bewertung: • Durch die mit ca. 3 mm vergleichsweise dünne, trotz

hohem Fettanteil definiert leitfähige, Hautschicht wird der Strom, ohne sichtbare Folgen in Form von Spuren aufzuweisen, geleitet. Es wird jedoch zudem ein Strom-anteil über die Hautoberfläche vermutet. Dieser hängt empfindlich vom Oberflächenwiderstand ab, der von der Eindringtiefe des Stroms in die Haut und der Leitfä-higkeit der Hautoberfläche selbst bestimmt wird. Fließt ein Strom durch den hohen Oberflächenwiderstand, kann sich eine Spannung aufbauen, die Gasentladungs-prozesse bewirkt. Die genannten Prozesse bewirken ei-nen Energieumsatz auf und in der Haut, so dass sich das Entladungsbild phänomenologisch ändert. Dazu gehört auch das Wechseln („Springen“) der Entladungspfade.

4.4 Versuche mit Tesla-Entladungen Tesla-Generatoren, die auf Basis der Kopplung und Anre-gung zweier Resonanzkreise arbeiten, erzeugen perio-disch gedämpfte Spannungsschwingungen von einigen hundert kHz und einigen hundert kV. Die Spannungsän-derungsgeschwindigkeiten korrelieren mit Steilheiten bei Blitzentladungen. Einige Perioden dieser Tesla-Spannung können näherungsweise ein Ersatz für multiple Blitzim-pulse sein, die durch Stoßspannungsgeneratoren im Labor nicht nachzubilden waren. Mit der längeren Einwirkdauer im Experiment war zudem eine bessere visuelle Beobachtung der Entladungsvorgänge verbunden.

11. VDE/ABB-Blitzschutztagung, 22. – 23. Oktober 2015 in Neu-Ulm

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Von Interesse sind das Entladungsbild und die Wirkungen an Oberflächen biologischer Materialien bei Spannungen mit der genannten Spannungsänderungsgeschwindigkeit. Die Entladungen selbst sind energieschwach, erst deren Periodizität kann Wirkungen generieren, die zu Spuren an biologischen Materialien führen, z.B. an trockenem Holz, siehe Bild 4.7. Blitzunfälle an hölzernen Unterständen weisen ähnliche Spuren auf ([3]), deren Entstehungsme-chanismus nachgegangen werden sollte. Bild 4.7 doku-mentiert folgende Beobachtungen: • An einer trockenen Latte traten die Entladungen an un-

terschiedlichen Stellen ein und aus (Bild 4.7 a – c). Die Entladung kann also über die Schnittfläche eindringen, sich über Fasern im Holz ausbreiten und an anderer Stelle wieder austreten.

• An sehr trockenem Holz bildeten sich bei längerer Beanspruchung Kohlenstoff-Spuren („Brandspur“) vor allem an der Holzoberfläche aus (Bild 4.7 d).

• Während der Entladungen richten sich feine Holzfasern an der Holzoberfläche auf und bleiben nahezu senkrecht abstehend (Bild 4.7 e).

Bild 4.7 Trockene Holzlatte bei und nach längerer hochfrequenter Tesla-Hochspannungsbeanspruchung

Bewertung: • Obwohl jeder Einzelimpuls einer Tesla-Entladung mit

geringer Stromamplitude und kurzer Dauer sehr ener-giearm ist, ergibt sich bei wiederholter Einwirkung eine um den Entladungskanal örtlich begrenzte thermische Belastung. Bei wesentlich energiereicheren Blitzimpul-sen einschließlich Langzeitentladung tritt dieser Effekt mit „Brandspuren“ verstärkt in Erscheinung. Nach sol-chen Spuren sollte nach einem Blitzeinschlag gesucht werden.

• Bewegliche Fasern richten sich nach elektrischen Feldli-nien („Kraftlinien“ von Verschiebungs-Strömen) aus. Dieser Effekt ist zu vergleichen mit dem „Sträuben“ der Haare im erdnahen elektrischen Gewitterfeld.

Bei den Tesla-Beanspruchungen an Rinderbein und Schweineklaue wurde die vom Transformator kommende Drahtelektrode so platziert, dass die Luftentladungen Fleisch, Knochen oder die Fell-/Hautoberfläche treffen konnten (Bild 4.8 a, b).

Bild 4.8 Tesla-Entladungen treffen Fleisch, Knochen oder den oberen Fell-Haut-Ansatz (Langzeitbelichtung)

Die an den Zehen der schwebenden Schweinklaue aus-tretenden Entladungen durchschlagen die Luftstrecke zur geerdeten Elektrodenplatte (Bild 4.8 c). Thermische Spu-ren an Knochen oder Fleisch (dunkle Verfärbungen) zeigten sich erst nach längerer (> 30 s) Einwirkung.

Bewertung: • Im Fall der Schweineklaue überbrückt diese einen Teil

der Entladungsstrecke als Widerstandselement, in des-sen Innerem der elektrische Strom über ein hochfre-quentes Strömungsfeld fließt.

• Gleitentladungen auf der Oberfläche entstehen im Ge-gensatz zur Blitzstoßspannungsbeanspruchung nicht.

• Ohne messtechnischen Nachweis muss davon ausgegan-genen werden, dass die Entladungsströme das tierische Material durchdringen. Dabei ist anzunehmen, dass auf-grund der hohen Frequenz die Entladungsströme in die Randschichten der Beinabschnitte (Hautschichten und unmittelbar darunter) verdrängt werden.

• Die an den Ansatzstellen der Entladungskanäle (Kno-chen, Grenzschicht zwischen Fleisch und Knochen sowie Zehenspitzen) erkennbaren Verfärbungen sind Eiweiß-Zerstörungen, wie sie als Strommarken auch nach Blitzunfällen festgestellt werden.

Bei einem weiteren Tesla-Experiment wurde Schweine-haut auf eine elektrisch isolierende Pappe (Ersatz für Knochen oder Fettschicht) gelegt, unter der sich eine ge-erdete Plattenelektrode befand (Bild 4.9).

Bild 4.9 Beanspruchung von Schweinehaut mit Tesla-Entladungen (Langzeitbelichtung)

a) b) c)

a) b) c) d) e)

11. VDE/ABB-Blitzschutztagung, 22. – 23. Oktober 2015 in Neu-Ulm

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Die über mehrere Sekunden aufgezeichneten Entladungen sind hier als Teilentladungen zu erkennen. Dabei enden die Entladungskanäle mit einem stark leuchtenden Ansatzpunkt auf der Schweinehaut. Bewertung: • Es ist zu vermuten, dass durch die Schweinehaut ein

„ohmsch-kapazitiver Strom“ und durch die hochisolie-rende Zwischenlage aus Pappe ein nahezu „rein kapazi-tiver Verschiebungsstrom“ fließt. Aufgrund der hohen Frequenz der Tesla-Entladungen ist die Impedanz der Reihenschaltung aus Schweinehaut und Pappe klein.

• Der Ansatzpunkt bewegt sich bei sekundenlanger Tesla-Beanspruchung auf der Haut. Nicht auszuschließen ist, dass nach Unfällen variable Blitzspuren auf der Haut auf multiple Ereignisse hindeuten können.

5 Ergebnisse der elektr. Messungen Nur wenige Kenntnisse zur Wirkung von Blitzentladun-gen auf Mensch oder Tier fußen auf messtechnischen Angaben. Daran wird sich auch zukünftig nichts ändern. Deshalb haben vergleichende Laboransätze mit Modellen und messtechnischer Unterstützung große Bedeutung. Zugleich muss nachdrücklich auf damit verbundene Ein-schränkungen in Deutung und Verallgemeinerung der ermittelten Ergebnisse hingewiesen werden.

Die folgend dargestellten, gemessenen Spannungen und Ströme stellen Gesamtgrößen dar. So werden die Span-nung von Hochspannungs-Spitzenelektrode zur Erdelek-trode (Luftdurchschlag in Reihe zum Objekt) und der Summenstrom (z.B. Strom durch Objekt und parallele Gleitentladung an Objekt) angegeben.

Für eine Untersuchungsanordnung wurden mehrere Versuche (10) zur statistischen Sicherheit durchgeführt. Dargestellt werden jedoch nur ausgewählte Zeitverläufe.

5.1 Buchenstamm unter Blitzstoßspannung Die gemessenen Spannungs- und Stromzeitverläufe der Stoßspannungsentladungen für die Anordnungen entspre-chend Bild 4.1, sind im Bild 5.1 dargestellt. Sowohl bei trockenem, wie auch bei nassem Holz ist der Anfangs-verlauf der Stoßspannung gleich und wird vorrangig von der Festigkeit der Luftstrecke zwischen oberer Elektrode und der Schnittfläche des Holzes bestimmt. Mit dem Überschreiten der kritischen Feldstärke erfolgt der Durch-schlag. Die zuvor isolierende Luftstrecke wird durch ei-nen leitfähigen Plasmakanal kurzgeschlossen, der auf der oberen Schnittfläche des Stamms fußt. Es kommt zur Ausbildung eines Stromflusses durch den Buchenstamm, der bedingt durch die Leitfähigkeit des biologischen Ma-terials maßgeblich den Spannungsfall über dem Stamm bestimmt. Mit steigendem Strom steigt der Spannungsbe-darf weiter an.

An dem trockenen Stamm wird in der Grenzschicht zwi-schen Stamm und Rinde die kritische Feldstärke über-schritten. Es kommt zur Ausbildung einer Entladung, die

innerhalb kürzester Zeit die komplette Strecke entlang des Stamms überbrückt. Auf Grund des kurzschlussähnlichen Charakters der Entladung sinkt der Spannungsbedarf deutlich ab (Bild 5.1, trockener Buchenstamm). Es stellt sich ein hoher Impulsstrom ein.

Der feuchte Stamm weist dagegen eine deutlich höhere Leitfähigkeit auf, so dass der Stromfluss die zur Zündung einer Entladung ausreichende Spannung bzw. Feldstärke nicht aufbauen kann. Der Stromfluss erfolgt in Form einer ohmschen Leitung während des ganzen Entladungspro-zesses (Bild 5.1, feuchter Buchenstamm). Der Widerstand bleibt gegenüber dem trockenen Holz vergleichsweise hoch, so dass der fließende Strom stark reduziert wird.

Bild 5.1 Spannungs- und Stromverläufe von Luftentladungen bei Blitzstoßspannungsbeanspruchung eines „trockenen“ und eines „nassen“ Buchenstamms

Bewertung: • Der nasse Buchenstamm wies nahezu ohmsches Verhal-

ten auf, er ist ein vergleichsweise guter elektrischer Leiter.

• Demgegenüber ist der Widerstand des trockenen Buchenstamms deutlich höher. Mit dem Einsatz einer Entladung in der Grenzschicht zwischen Stamm und Rinde sinkt jedoch die Impedanz der Gesamtanordnung weit unter jene des nassen Buchenstamms.

5.2 Rinderbein unter Blitzstoßspannung Die Spannungs- und Stromverläufe sind denen der Versu-che mit trockenem Buchenstamm ähnlich (Bild 5.2). Die Spannungs- und Stromamplituden liegen in der gleichen Größenordnung. Die Spannung bricht schnell zusammen, so dass nur ein kurzer Spannungsimpuls entsteht. Der Strom reduziert sich nach einer sehr kurzen kapazitiven Spitze und klingt dann exponentiell ohmsch ab.

Wird die Luftentladungsstrecke zum Rinderbein reduziert, tritt der Überschlag zeitlich später auf. Das verzögerte Überschlagsverhalten zeigt sich besonders deutlich in zwei Anordnungen mit Spitzenelektrode (Bild 5.3):

a) Wird die Hochspannungsspitzenelektrode direkt auf den von Fleisch umgebenen Knochen aufgesetzt, ver-breitern sich die Spannungs- und Stromimpulse (Bild 5.3

11. VDE/ABB-Blitzschutztagung, 22. – 23. Oktober 2015 in Neu-Ulm

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rote Kurven). Außerdem treten kleinere Spannungsam-plituden und Strommaximalwerte auf. Der Strom bildet sich dabei als ein breites Plateau ab.

b) Wird die Elektrodenspitze ca. 3 cm tief ins Fleisch gesteckt, verstärkt sich der unter a) beschriebene Effekt noch einmal (Bild 5.3 schwarze Kurven). Die Spannungs-amplitude sinkt weiter, der Strom fällt flach ab. Danach schließt sich mit dem Fellüberschlag ein exponentiell abklingender Stromverlauf an.

Bild 5.2 Luftentladung auf Rinderbein stehend auf geerdeter Kupferplatte (Luftstrecke 20 cm) mit Spannungs- und Stromverlauf bei Blitzstoßspannung

Bild 5.3 Stoßentladung mit Blitzstoßspannung bei Spitze direkt an bzw. im Rinderbein

Bewertung: • Zu deuten ist das nachgewiesene Verhalten wie folgt:

Im Anfangsbereich des Impulses konzentriert sich der Stromfluss nahezu vollständig auf das Beininnere. Danach findet verzögert ein vollständiger Außenüber-schlag statt. Gleiches Verhalten wird beim direkten Ein-schlag auf Personen oder Tiere vermutet.

• Bisher ist ein Zugangsweg für die differenzierte Mes-sung von innerem Strom und Überschlagsstrom nicht bekannt. Weitere Überlegungen zu Labormodellen und rechnerische Versuche bieten sich an.

• Spannungs- und Stromverläufe bei Zwischenschaltung einer Metallbrücke auf dem Fell unterscheiden sich kaum zu bisher interpretierten Messungen. Beim Blitz-

unfall kann von entsprechendem Verhalten ausgegangen werden.

5.3 Schweineklaue unter Blitzstoßspannung Die erreichten Spannungswerte sind niedriger als bei ver-gleichbarer Anordnung mit dem Rinderbein; Stromspitzen und Mittelwerte des schwingenden Stromes liegen höher (Bild 5.4). Wird die Elektrodenspitze direkt auf dem Fleisch aufgesetzt, bleibt es bei einem Außenüberschlag über die Haut (vgl. auch Bild 4.5). Dieses Verhalten ist unter anderem auf die Geometrie der Schweineklaue (kürzere Abmessungen und geringerer Elektrodenabstand) und möglicherweise der anderen Hautstruktur (keine Haare) gegenüber dem Rinderbein zurückzuführen.

Bild 5.4 Spannungs- und Stromverläufe bei Luftentladung (Luftstrecke 2 cm) von einer Spitze unter Blitzstoßspannung an Schweineklaue stehend auf Kupferplatte

Wurde die Elektrodenspitze ca. 1 … 2 cm tief ins Fleisch gesteckt, ergaben sich vergleichbare Messergebnisse. Unterschiede in Stromspitzen und im Mittelwert der schwingenden Ströme werden auf eine Beeinflussung des Plasmas der Überschlagsentladung zurückgeführt.

Berührt die Fußspitze nicht die geerdete Kupferplatte (Abheben beim Laufen), verändert sich das Spannungs- und Stromverhalten bei Blitzstoßspannung nicht. Die Werte sind aufgrund der verlängerten Entladungsstrecke etwas kleiner.

Bewertung: • Das Spannungs-Strom-Verhalten und damit die elektri-

sche Beanspruchung der Tierbeine unterscheiden sich kaum, trotz differenzierter Hautoberfläche (Rind: Fell; Schwein: unbehaart).

• Um die vermutete annähernde Übereinstimmung der Spurenbildung (Gleitentladung) vom Blitz getroffener behaarter und unbehaarter Körperpartien zu stützen, ist das Verhalten des Plasmakanals näher zu untersuchen. Bild 4.3 bis Bild 4.5 legen nahe, dass ein einzelner Ent-ladungskanal entsteht. Verbunden mit einer stärkeren Kühlwirkung der unbehaarten Haut (bei Schweineklaue) wird die Leitfähigkeit des Plasmakanals reduziert und damit die Stromamplitude verringert (bei natürlicher Blitzentladung nicht möglich).

• Eine Verlängerung der Entladungsstrecke z.B. durch angehobene(s) Bein(e) wird beim Blitzunfall nicht von Bedeutung sein.

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5.4 Zusammenfassung – Schlussfolgerungen Folgende Ergebnisse der Experimente mit Blitzstoßspan-nung und Tesla-Entladung lassen sich zusammenfassen: • An trockenem Holz kommt es zur Entladung in der

Grenzschicht zwischen Rinde und Holz. Bei direkter Einwirkung (Einschlag) auf die Rinde tritt eine Gleit-entladung bzw. ein Überschlag auf.

• Der direkte volle Stromdurchgang ist an mit Salzwasser durchfeuchtetem Holz (ohmscher Widerstand) zu beo-bachten.

• Auf dem Fell von einem Rinderbein bildet sich ein Überschlag bzw. eine Gleitentladung aus.

• Metallteile bzw. leitfähige Elemente auf der Haut/auf dem Fell überbrücken einen Abschnitt der Gleitentla-dungsstrecke; Gleitentladungen konzentrieren sich dabei an solchen leitfähigen Teilen.

• Bei unmittelbarer oder direkter Impulseinspeisung tritt der Außen-(Fell-/Haut-)Überschlag verzögert auf. Dies entspricht dem Mechanismus bei natürlichem direktem Blitzeinschlag in einen Menschen oder in ein Tier.

• Es waren keine signifikanten Unterschiede des Entla-dungsverhaltens bei Blitzstoßspannung an Rinderbein oder Schweineklaue festzustellen.

• Auf einer Schweinehaut mit unterlegter Erdelektrode bildet sich keine Gleitentladung aus; es kommt zum Stromfluss durch die dünne Hautschicht.

• Gleitentladungen hinterlassen bei laborerzeugter Blitz-stoßspannung keine sichtbaren Spuren bzw. Verände-rungen auf dem Fell oder der Haut von tierischem Ma-terial. Dies ist mit der sehr kurzen, stromschwachen und energiearmen Entladung im Vergleich zur natürlichen Blitzentladung zu erklären.

• Hochfrequente Hochspannung bei Tesla-Entladungen führt nur bei Isolatoren, z.B. sehr trockenem Holz, zu Gleitentladungen bzw. Überschlägen. An unvollständig getrocknetem oder durchfeuchtetem Holz sowie an tie-rischem Material, wie Rinderbein, Schweineklaue oder Schweinehaut, lassen sich keine Gleitentladungen pro-vozieren. Dies ergibt sich aufgrund der vergleichsweise kleinen (überwiegend kapazitiven) Impedanzen, die bei den hohen Frequenzen der Tesla-Entladungen vorliegen.

Zusätzlich werden folgende Anmerkungen gegeben: • Natürliche Blitzentladungen sind viel energiereicher, als

sie an einer Hochspannungsimpulsanlage nachgebildet werden können. Die spezifische Energie des Blitzstro-mes beträgt in der Natur für einen Einzelimpuls (Erst-blitz) etwa 6 kA²s bis 15 MA²s. Bei den hier vorge-stellten Laborexperimenten mit Blitzstoßspannung waren es 1.8 A²s bis 2.4 A²s, was einem riesigen Faktor von 3000 bis 7500000 zur Natur entspricht. Aber auch in der Natur treten deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Stromkomponenten und den Fällen ‚nur Erstblitz’ oder ‚Erst- und Folge- und Langzeitstrom-Einwirkung’ auf.

• Lichtenberg-Figuren auf Oberflächen von biologischen Materialien zu erzeugen, war unter Laborbedingungen nicht möglich. Temporäre Blitz-Figuren sind mit hoher

Wahrscheinlichkeit auf die punktuelle Reizung der Haut ohne (bleibende) Gewebeschädigung durch die unmit-telbare energetische Einwirkung (Strahlung) der Entla-dungskanäle von verzweigten Gleitentladungen zurück-zuführen. Da keine irreversiblen Gewebeveränderungen auftreten (anhand mikroskopischer Hautuntersuchung nachweisbar), bilden sich die Figuren durch Regenerati-onsmechanismen der Haut nach einiger Zeit zurück (ähnlich der Rötung der Haut nach Schlag mit flacher Hand o.ä.).

6 Hochspannungstechnische Beschreibung und Erklärungen

Mit folgenden rechnerischen Abschätzungen besteht die Möglichkeit, die bereits vorgenommenen „Bewertungen“, vor allem Erklärungen für die Ausbildung von Gleitentla-dungen bei direkter Blitzeinwirkung zu geben, sowie wirksame Impedanzen, maximale Spannungen und damit die Stromaufteilung näherungsweise zu bestimmen.

6.1 Entladungsvorgänge an Grenzflächen Für biologisches Material wird ein „Hochspannungs-Ersatzschaltbild“ entworfen, das der Anordnung Luft-Fett-Gewebeschicht entspricht und zudem Gleitentladung sowie Überschlag abbilden kann.

Gleitentladungen treten an Schräggrenzschichten auf, wo Tangential- und Normalkomponenten der elektrischen Feldstärke vorhanden sind. Die Gleitentladung ist eine Teilentladung mit Impulscharakter, bei der die Ladungs-trägerproduktion nach dem Townsend- und Kanal-Me-chanismus erfolgt. Die Ladungsträger der Gleitpol-Pola-rität werden dabei gegen die Oberfläche gedrückt, ihre Beweglichkeit wird reduziert und lokale Flächenladungen beeinflussen das elektrische Feld. Der Gleitpol ist die ‚Elektrode’, an der die Gleitentladung startet. An Schräg-grenzschichten unterscheiden sich Anfangs(Einsatz)- und Überschlagspannung.

6.2 Netzwerkmodell für Gleitentladungen Beim Ansatz eines Blitzentladungskanals an einem Men-schen entwickelt sich meist eine Gleitentladung über die Haut bzw. die Kleidung (Bild 6.1) ([4]).

Die Entwicklung der Gleitentladung startet hier, im Ge-gensatz zu vielen technischen Anordnungen (z.B. Durch-führung; hochspannungsfest isolierte Ableitung), vom Ansatzpunkt des Blitzkanals (‚Hochspannungselektrode‘). Mit geringem Spannungsbedarf breitet sich diese Entla-dung mit zur Erde gerichteter Bewegung, beeinflusst von der Leitfähigkeit des Menschen mit seiner Kleidung und dem Wirken hoher kapazitiver Verschiebungsströme, aus. Diese Ströme sind durch das schnell veränderliche elek-trische Feld an der als Isolierstoffschicht wirkenden Haut bzw. Kleidung relativ groß.

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Bild 6.1 Vorstellung zum elektrischen Verschiebungs- und Strömungsfeld beim direkten Blitzeinschlag in einen Menschen

Mit Hilfe von kapazitiv-resistiven Netzwerken können elektrisches Verschiebungs- und Strömungsfeld bei der Blitzentladung direkt am Menschen abgebildet werden. Die vorwachsende (Gleit-)Entladung auf der Oberfläche (Haut, Kleidung) wird dabei anhand automatisch schließender Schalter (Funkenstrecken) dargestellt.

6.2.1 Kettenschaltung und Parameter der Elemente Jedes Raumelement des elektrischen Feldes kann durch Impedanzen zu den Nachbarelementen ersetzt werden. Abhängig vom Verhältnis ω·ε/κ bestimmen die Kapazi-täts- oder Leitfähigkeitsanteile die Potentialverteilung. Die Feldanordnung darf auf eine Ersatzkettenschaltung reduziert werden, wobei auf Längeneinheiten bezogene Elemente (Beläge) verwendet werden. Tangential- und Normalkomponenten des Grenzschichtfeldes können durch Längs- und Querkapazitäten eines Kettenleiters dargestellt werden. Längs über dem Kettenleiter tritt bei anliegender zeitveränderlicher Spannung (du/dt ≠ 0) eine hyperbolische Potentialverteilung auf, deren Versteuerung (Abweichung von linearem Verlauf) vom Verhältnis der Quer- zur den Längskapazitäten abhängt. Diese Potential-verteilung bewirkt, dass die höchste Feld- bzw. Span-nungsbeanspruchung unmittelbar am Gleitpol erscheint.

Entsprechende Ersatzschaltbild(er) aus längenbezogenen Kapazitäten und Widerständen (und Induktivitäten) für eine direkt vom Blitz getroffene Person, die der Vorstel-lung in Bild 6.1 zuzuordnen sind, zeigt Bild 6.2. Die längenbezogenen Ersatzelemente in Bild 6.2 werden wie folgt bezeichnet und mit mittleren Werten versehen: RK

/ – Körper(innen)widerstand (zusammengefasst aus Blutgefäßen, Nervenfasern, Muskelgewebe, Spinalkanal, Knochen/Skelett, …) 360 – 480 – 560 Ω/m [4], [5], [6], LK

/ – Körperinduktivität 0.3 – 0.5 – 1.0 µH/m, R/ – Hautlängswiderstand 0.1 – 10 – 30 MΩ/m [4], G/ – Hautquerwiderstand(Leitwert) 50 – 100 – 200 kΩ·m, C/ – Hautlängskapazität 4 – 10 – 100 pF·m, K/ – Hautquerkapazität 20 – 60 – 100 µF/m [9], CH

/ – Streukapazität zum Hochspannungspotential (Blitz-kanal) 5 – 10 – 20 pF/m,

CE/ – Streukapazität zum Erdpotential (Boden/Standflä-

che) 60 – 80 – 120 pF/m, F/ – Funkenstrecke (Einschalter) mit Zündspannung 300 – 500 – 650 kV/m.

Bild 6.2 Vereinfachte R-C-Ersatzschaltbilder für elektrische Feldanordnung a) ohne und b) mit Gleitentladung

Mit dem Zünden einer Funkenstrecke wird ein Funken-widerstand RF zugeschaltet, der sich nach dem Toepler’ schen Funkengesetz RF(t) = kT·F/QF(t) errechnet. Darin ist kT – Toepler-Konstante für Luft 5.5 mVs/m und F – Funkenlänge 0.1 m sowie QF(t) = ∫i(t) dt – geflossene La-dung mit i(t) – Funkenstrom (Gleitentladungsstrom über die Haut). Das ergibt einen Spannungsbedarf U/ der Gleit-entladung (Leader) von ungefähr 1 ... 2 ... 3 kV/m. In einem Beispiel wird ein negativer Erstblitzstoßstrom inEB der Form 1/200 µs mit einem Scheitelwert von 30 kA am höchsten Punkt der Person (Kopf) eingeprägt.

6.3 Transiente Entladungsentwicklung Eine transiente Netzwerksimulation soll den Zeitverlauf des Vorwachsens einer Gleitentladung (zeitabhängiger Endpunkt des Entladungskopfes) nachbilden. Zugleich können damit die Spannungs- und Stromzeitverläufe an der Hautoberfläche und im Körperinneren bestimmt wer-den.

Bei Anfangs- bzw. Einsetzspannung zündet die erste, dem aufsitzenden Gleitpol (Ansatzpunkt des Blitzkanals) be-nachbarte, Funkenstrecke.

Die Querkapazität K/ (und CE/ und CH

/) des ersten Ober-flächenelements lädt sich auf die volle Spannung auf und schiebt damit das Gleitpol-Potential auf der Oberfläche vor. Dann zündet die zweite Funkenstrecke und so weiter. Der ‚Widerstand’ des Funkenkanals ist umgekehrt pro-portional zur durch den Kanal geflossenen Ladung. Große Querkapazitäten K/ bedeuten große Ladungsmengen und kleine ‚Widerstände‘, was zum weiteren Vorschieben des Gleitpol-Potentials und damit zur Überbrückung großer Schlagweiten bei relativ niedriger Spannung führt.

Der Strom durch den Körper und der Strom über die Haut bzw. die Gleitentladung werden erdnah gemessen. Für die Berechnung wurde ein Mensch mit 1.8 m Körpergröße durch eine Serie von 18 Kettengliedern dargestellt.

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Damit repräsentiert ein Kettenglied einen Längenab-schnitt von F = 10 cm.

Bild 6.3 Körper- und Gleitentladungsstrom sowie Spannung über Mensch bei direkter Erstblitzentladung

Die Simulationsrechnung ergab die Stromverläufe und die Spannung in Bild 6.3. Der Zeitverzug zwischen dem Zün-den der obersten und der untersten Funkenstrecke beträgt nur ca. 0.31 µs ([8]). Damit kann man fast von einem sofortigen Überschlag des gesamten Körpers ausgehen.

7 Zusammenfassung und Aussagen für die Praxis

Auf der Basis von Ergebnissen orientierender Laborver-suche wurden phänomenologisch die Prozesse der Bean-spruchung von biologischem Material unterschiedlicher Art erörtert. Bekannte oder vermutete Effekte an Personen und Tieren im Zusammenhang mit Blitzentladungsvor-gängen konnten damit bestätigt oder erhärtet werden.

Es muss jedoch einschränkend vermerkt werden, dass mit den technisch in Hochspannungs- bzw. Hochstrom-Laboren realisierbaren Blitzstoßspannungen und -strömen die realen Bedingungen eines Blitzunfalls mit seinen differenzierten Folgen, nicht vollständig nachgestellt wer-den können. Laboranlagen liefern i. d. R. nur einen Ein-zelimpuls, entweder hoher Spannungsamplitude bei klei-nem Strom und kurzer Dauer oder hoher Stromamplitude bei vergleichsweise niedriger treibender Spannung. Die jeweilige „Antwort“ des biologischen Materials auf syn-thetische Strom-Spannungs-Beanspruchungen hat das Verständnis zur Wirkung von Blitzspannungen auf Men-schen oder Tiere jedoch in großem Maße gefördert. Es zeigte sich, dass das Entladungsbild an biologischen Gebilden auch bei voller Kenntnis aller Parameter und Prozesse nicht in vollem Umfang vorhergesagt werden kann. Es konnten wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden, die bei der Interpretation von Blitzunfällen bzw. -schäden anzuwenden sind.

Experimentell konnte durch die Beaufschlagung biologi-scher Präparate mit Blitzstoßspannung eindrucksvoll

gezeigt werden, dass bei variierten Arten der Einwirkung meist Oberflächenentladungen (Gleitentladungen auf Rinde, Haut oder Fell) auftreten. Über die Grenzfläche zwischen der vergleichsweise leitfähigen Körperoberflä-che und der leicht ionisierbaren Luft wird der Hauptteil der Energie abgeführt. Bisher sind nur wenige solcher Experimente an pflanzlichem oder tierischem Material bekannt. Trotz beobachteter verzweigter Gleitentladungen wurden keine Blitz-Figuren auf z.B. Hautoberflächen festgestellt. Bei der angewandten Blitzstoßspannungsbe-anspruchung traten zudem weder massive mechanische noch thermische Wirkungen an den biologischen Präpa-raten auf.

Die Auswertung der umfassend international vorliegen-den Literatur ist nicht abgeschlossen. Insbesondere gilt das für die wenigen beschriebenen tierexperimentellen Untersuchungen, die hinsichtlich vergleichbarer (Blitz-) Beanspruchungen und daraus abgeleiteter Schlussfolge-rungen überprüft werden sollten.

8 Danksagung Die Autoren danken dem Ausschuss für Blitzschutz und Blitzforschung (ABB) und dem ABB-Fördererkreis für die wissenschaftliche und finanzielle Unterstützung des Arbeitskreises „Blitzunfälle“.

9 Literatur [1] Jellinek, S.: Elektropathologie. Die Erkrankungen durch Blitzschlag

und elektrischen Starkstrom in klinischer und forensischer Darstellung. Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart, 1903; Jellinek, S.: Atlas der Elektropathologie. Verlag Urban & Schwarzenberg, Berlin, 1909; Jellinek, S.: Atlas zur Spurenkunde der Elektrizität. Verlag Springer, Wien, 1955

[2] Lichtenberg, G.C.: Schriften und Briefe, Dritter Band (1), Aufsätze, Entwürfe, Gedichte, Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche, Carl Hanser Verlag, München, 1972, Von einer neuen Art die Natur und Bewegung der elektrischen Materie zu erforschen, Erste Abhandlung, S. 24 – 34

[3] Kupfer, J.; Rock, M.; Raphael, Th.; Zack, F.: Unsicherheiten zwi-schen Blitzeinschlagpunkt, sichtbaren Schäden und Verletzungen, erörtert am Beispiel des Golfplatzunfalls 2012 mit vier Todesopfern (5.3), 10. VDE/ABB-Blitzschutztagung, Neu-Ulm, 24. – 25. Oktober 2013, VDE-Fachbericht 70, S. 140 – 145, VDE Verlag, Berlin, 2013

[4] Kitagawa, N.; Turumi, S.; Ishikawa, T.; Ohashi, M.: The Nature of Lightning Charges on Human Bodies and the Basis for Safety and Protection, 18. International Conference on Lightning Protection (ICLP), München, 1985, Session 6.7, pp. 435 – 438

[5] Gabriel, C.; Gabriel, S.; Corthout, E.: The dielectric properties of biological tissues: I. Literature survey, Phys. Med. Biol., Vol. 41, 1996, pp. 2231 – 2249

[6] Gabriel, S.; Lau, R.W.; Gabriel, C.: The dielectric properties of biological tissues: II. Measurements in the frequency range 10 Hz to 20 GHz, Phys. Med. Biol., Vol. 41, 1996, pp. 2251 – 2269

[7] Cherington, M.; McDonough, G.; Olson, S.; Russon, R.; Yarnell, P.R.: Lichtenberg Figures and Lightning: Case Reports and Review of the Literature, Cutis, Vol. 80, August 2007, pp. 141 – 143

[8] Pedersen, P.O.: Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Lichtenberg-schen Figuren und ihre Verwendung zur Messung sehr kurzer Zeiten, Annalen der Physik, IV. Folge, Band 69, S. 205 – 232

[9] IEC/TR 60479-5: Effects of current on human beings and livestock – Part 5: Touch voltage threshold values for physiological effects, Technical Report, Edition 1.0, November 2007

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