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Aus dem Institut fur landwirtscbaftliches Versucbs- und Untersuchr~ngswesen Rostock Direktor Prof. Dr. K. Nehring Versuche uber den Gesichtskreis der Enten Von CARLHEINRICH ENGELMANN Mit Abbildungen Eingegangen am 12. Oktober 1913 Ebenso wie zuvor beim Huhn (ENGELMANN 3952) habe ich jetzt auch bei Enten die Weite ihres Gesichtskreises gepriift. Ich erwartete IJnterschiede zu finden, da das Huhn - urspriinglich ein Dschungelbewohner - einen anderen Gesichtskreis haben mochte als das Flugwild mit seinem weiten Sehfeld; aui3er- dem sucht jede Art ihr Futter auf ganz andere Weise und nimmt es anders auf. Als Versuchstiere dienten 6 Pekingenten (1952), von der ersten Lebens- woche bis zum Alter von 10 Monaten, sowie 2 wildfarbige rasselose andert- halbjahrige Enten; 1953 dagegen 6 Pekingenten im Alter von 6-12 Wochen. Die Versuche begannen in dem gleichen Glashaus wie zuvor die Hiihnerver- suche (s. 0.). Auch den Enten bot ich zuerst einen tiefen weif3en Teller mit Wasser, dann Gruppen von 8 Mais- bzw. 15 Meizenkornern, schliei3lich ein- zelne Korner auf dem Boden des Glashauses. Die Versuche liefen, durch Fiitterungsversuche unterbrochen, von April 1952 bis September 1953. I. Te 11 e r v e r s uc h e E r w a c h s e n e E n t e n laufen anfangs aufgeregt und verangstigt wie blind im Glashaus umher und finden den bereits bekannten Teller allenfalls zufallig. Erst nach mehrtagiger Eingewohnung scheinen sie nach dem Futter- gefaf3 Ausschau zu halten, wobei sie wie die Hiihner im Zickzack umhergehen oder stehend bzw. geradeausgehend den Kopf hin und her wenden. Waren die Enten so bis auf etwa 6 m zum Teller herangekommen, liefen sie geradenwegs und ohne weitere Kopfbewegungen auf ihn zu (Abb. 1 a, b). Abb. 1. Aus 3 m Abstaiid geht die Ente. a) abwechselnd rechts- und linkdugig fixierend, b) die letzten 6 ni ohne Kopfwendungen zunl Teller

Versuche über den Gesichtskreis der Enten

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Page 1: Versuche über den Gesichtskreis der Enten

Aus dem Institut fur landwirtscbaftliches Versucbs- und Untersuchr~ngswesen Rostock

Direktor Prof. Dr. K . Nehring

Versuche uber den Gesichtskreis der Enten Von CARLHEINRICH ENGELMANN

Mit Abbildungen

Eingegangen am 12. Oktober 1913

Ebenso wie zuvor beim Huhn (ENGELMANN 3952) habe ich jetzt auch bei Enten die Weite ihres Gesichtskreises gepriift. Ich erwartete IJnterschiede zu finden, da das Huhn - urspriinglich ein Dschungelbewohner - einen anderen Gesichtskreis haben mochte als das Flugwild mit seinem weiten Sehfeld; aui3er- dem sucht jede Art ihr Futter auf ganz andere Weise und nimmt es anders auf.

Als Versuchstiere dienten 6 Pekingenten (1952), von der ersten Lebens- woche bis zum Alter von 10 Monaten, sowie 2 wildfarbige rasselose andert- halbjahrige Enten; 1953 dagegen 6 Pekingenten im Alter von 6-12 Wochen. Die Versuche begannen in dem gleichen Glashaus wie zuvor die Hiihnerver- suche (s. 0.). Auch den Enten bot ich zuerst einen tiefen weif3en Teller mit Wasser, dann Gruppen von 8 Mais- bzw. 15 Meizenkornern, schliei3lich ein- zelne Korner auf dem Boden des Glashauses. Die Versuche liefen, durch Fiitterungsversuche unterbrochen, von April 1952 bis September 1953.

I. T e 11 e r v e r s u c h e

E r w a c h s e n e E n t e n laufen anfangs aufgeregt und verangstigt wie blind im Glashaus umher und finden den bereits bekannten Teller allenfalls zufallig. Erst nach mehrtagiger Eingewohnung scheinen sie nach dem Futter- gefaf3 Ausschau zu halten, wobei sie wie die Hiihner im Zickzack umhergehen oder stehend bzw. geradeausgehend den Kopf hin und her wenden.

Waren die Enten so bis auf etwa 6 m zum Teller herangekommen, liefen sie geradenwegs und ohne weitere Kopfbewegungen auf ihn zu (Abb. 1 a, b).

Abb. 1 . Aus 3 m Abstaiid geht die Ente. a ) abwechselnd rechts- und linkdugig fixierend, b) die letzten 6 ni ohne Kopfwendungen zunl Teller

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Vcrsuche iiber den Gcsichtskreis der Enrcn

Anders als die Huhner suchen hungrige Enten oft erfolglos; sie laufen dann, laut nach ihren Gefahrten rufend, schnell und ziellos im Glashaus umher. Das geschieht, wenn Menschen am Glashaus vorubergehcn, wenn andere Enten Z. 13. in 50 m Abstand schnattern oder auch ohne erkennbaren Anlal3.

Auch auf Hindernisse auf dem Weg Zuni gesichteten Teller sprachen sic anders an: Wahrend die Huhner vor einer Wasserpfutze scheuten und angst- lich herumgingen (ENGELMANN 1952, I , S. 93), liefien sich die Enten durch zum Trocknen ausgelegte Erbsenpflanzen nicht storen, sondern umgingen sie ohne Zogern und ohne ihr Ziel aus dem Auge zu verlieren.

Im ganzen ubertreffen die alten Enten die bisher gepruften Huhner erheb- lich. Sie gehen auf den 9 m entfernten Teller noch in 60 O / o der Falle ZU, die Huhner nur mehr zu 25 " /o , und sie versagen bei 10 m Abstand noch nicht

437

100 50,o * 6,4 44,4 * 5,2

2,5 j 1,4 0

immer: Erstaunlich ist der Unterschied in

Tab. 1. T e l l e r v e r s u c h e i m den Leistungen der jungen und alten Enten: Die 10 Wochen alten Tiere ver- sagen vollig bei einer Entfernung (6 m), die den 1- bis 2iahrigen Enten keinerlei

G l a s h a u s i n i t 3 a l t e n u n d 6 j u n g e n E n t e n . Am = Abstand in rn:

90 60 90

120 30

nern, obwohl der Unterschied bei ihnen nicht so krai3 ist wie hier (ENGELMANN 1952, 1, S. 92, 96, 100).

Schon damals fiihrte ich dieunglei- che Leistung auf den verschiedenen Grad der S e l b s t s i c h e r h e i t zu- ruck. Da Enten vie1 scheuer sind als

- E

Q

3 4 5 6 7 8 9

10

- 100 100 100 100 100 88,3 i- 4 , l 59,6 I 7,6 lo,? k 4,3

20 20 30 60 80 60 42 56

infolge ihrer Angstlichkeit als wegen schlechter Sehleistung zuriickbleiben. Dem entspricht, dal3 dieselben Jungenten und ihre bisher nicht gepruften Geschwister nach langerem Fasten unter dem Hungerdruck weit besseres leisteten:

Wie stark solche Furcht selbst erwachsene Enten hemmt, zeigen Teller-

Am I Ein Hungertag Drei Hungeftage versuche im Freien; hier leisteten Huhner weniger als im Glashaus, weil die Fulle

5 I 77 ,O + 5,2 65 100 30 der Reize sie ablenkte und zu erhohter 6 25,O * 4,7 84 80,4 * 4 J 87 Vorsicht zwang (ENGELMANN 1952, 1, 7 1 0 1 30 I 33f3 f ' l o 1 90 S. 92). Auch die Enten wagten es

anfangs nicht, sich dem weii3en Teller mitten auf dem breiten Wege, der durch den 40 m langen Mitscherlichkafig fuhrte, aus 4, 5 und 7 m Abstand zu nahern, so auffallig er auch dastand. Nach mehrfacher Wiederholung aber gingen sie aus 10 und 20 m Abstand schnurgerade zum Teller, allerdings immer noch vorsichtig: Lal3t man sie zu dritt frei, gehen sie gemeinsam, behutsam, aber zielsicher auf den Teller zu, schlingen hastig einige Bissen hinunter und laufen plotzlich eilig zum ver- trauten Ausgangsort zuruck. Das wiederholt sich nach einigen Minuten. Jedes Tier konnte an der Futterschale panisch erschrecken und alle anstecken.

Auf einem Teich freilebende Enten kehrten, nachdem sie aus einem am Ufer aufgesteilten Futtertrog einige Bissen gefressen hatten, immer von neuem zum Wasser zuruck, um zu trinken.

Im ganzen leisten die Enten, sofern sie ihre angstliche Scheu uberwinden, auch im Freien Besseres als die Huhner.

4-70 i- n1 I n -t% f m I

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438 CARLHEINRICH ENCELMANN

2,s 3,O 4,0 S,O 6,O

88,3 f 2,s 1 170 1 100 95,s f 1,4 210 95,3 f 2,7 64 100 192 31,7 i- 4,2 120 7 1 , l f 3,7 152 89,6 f 5,0 100 sicherem Aufsuchen

1 32 I 100 weit ab, war von ziel-

3,8 + 1 ,7 130 38,8 i- 3,7 175 j3 ,3 s,o 103 nicht mehr die Rede, 0 1 30 I 16,2 f 4,4 1 68 4,O :r 4,4 20 wahrend die Hiihner

Tab. 3. W e i z e n Tub. 4 . W e i z e n - k o r n c r (K) i n

w c c h s c l n d e r n + y o f n i I n + % f i n I n A n z a h l a u f 2 m

Zwerghiihner H ii hn er

I I I A b s t a n d I I

10 I S 25 50

En ten + % k m

I no Y0,O $I 2,3 90,4 f 2,3 33,3 f 4,7 25,O f 4 3 12,s + 2,6 0

Wiederum

24,2 ?C 3,s 145 33,3 + 4,8 95 77,7 + 4,4 90 96,7 f 1,4 155

6U 165 I 100 I 431 I

90,9 f 8,7 1 1 ';'; 1 85.1 * 4.8 1 54 I 100 I 55 100 84,8 i- 9,Y 13 100 5 0 IS5 2 7 3 f 2 9 172 62,6 i- 7,6 40

7 0 ( o' I l i l t I 2o

xreichen die Enten die LeistunEen der Huhner nicht. Nur selten frailen sie alle 1 5 Korner. Bei ihrem anfaGglichen aufgeregten Umher- laufen achteten sie selbst auf die '/2 m entfernte Weizengruppe nicht. Als ich daraufhin die Kornerzahl je Gruppe anderte, zeigte es sich, dai3 die Auffallig- keit deutlich mitsprach: Je mehr Korner, urn so besser das Ergebnis (vgl. ENGELMANN 1952, 1, S. 94).

Den groilten Haufen aus 50 Kornern sahen die Enten aus 2 ni Entfer- nung immer.

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Versuche ubcr den Gesichtskreis dcr Enten 439

Enten Zwerghtihner A m / ,.

1,O 82,6 5 3,s 1 1 5 100 2 5 2,O 7 3 , 2 i 3,9 128 90,6 i 3,4 7 4

4,0 0 40 39,s j, 4,4 14s

+ "/o * m I n + yo * m I n

3,0 50,5 + 3,9 162 38,J + 3,7 172

Huhne r Laufrichtung erst, als + %, i. Ih I n sie ihrn auf 1 rn riahe-

gekornnien waren. 100 10 Die Enten leiste- 100 54

51 , i 5,s 89 wenn das Korn zwi- 53,s f 3,6 187 ten deutlich weniger>

1 U L h .

Die Enten suchen 0,s mit dem Schnabel ta- 0 , i stend den Boden ab und 0,9

0,s

beknabbern rnit Leiden- schaft die Schienen. Von einem Ausschauhalten nach den Kornern oder einem ,,Liegemehen" kann bei ihnen keine Rede sein.

111. V e r s u c h e m i t A r t g e n o s s e n

Diese Versuchsreihe ist wenig einheitlich. Irn G 1 a s h a u s sahen die Enten, selbst junge in der 8. Lebenswoche, einander auch in der grofltrnog- lichen Entfernung, der Diagonalen von 17,3 rn.

I m F r e i e n litten auch diese Versuche sehr unter der Furchtsarnkeit der Enten. Eingeschuchtert durch die frernde Urngebung liefen junge wie alte oft blindlings fort, wobei sie durch lautes Rufen Verbindung zu den Stallge- fahrten herzustellen versuchten. Dabei fluchteten sie uber freie Flachen und vermieden - ganz im Gegensatz zum Huhn - Gebusche und andere Dek- kungsrnoglichkeiten. Als weitere Schwierigkeit kornrnt hinzu, dal3 Enten sehr genau auf akustische Reize achten und ihnen unsichtbare Gefahrten, die sie horen, auch uber unbekanntes Gelande fast gradlinig aufsuchen. Deshalb band ich ihnen wahrend der Versuche den Schnabel zu, so daR sie nur noch leise und gedampfte Tone von sich geben und auch nicht rnehr schnattern konnten. Das Gelande war ihnen vollig unbekannt oder nur wenig vertraut, wie z. B. ein Weg, auf dern ich die Enten zweimal zu einem Teich hin und ZU- ruck getrieben hatte, einrnal davon wahrend der Damrnerung, bei der die Enten erheblich besser sehen als die Huhner. Er war 200 rn lang.

90,9 k 2,3 155 100 64 83,s i- 4,8 60

17, l i 2,6 205 66,O * 3,3 208 87,s * 4,l 64 o 55 26;6 f 4,6 90 62,s 3 6,O 64

64,O + 3,0 250 82,0 4,2 83 86,2 f 3 , l 116

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440 C A R I J i E I N R I C H ENG1:LMANN

1. Auf einem 3 m breiten Wege, dcr gerade und eben vcrlauft und an scinem Anfang und Ende an einer Flieder- bzw. Koniferenheckc zu tiefer gelegenen Ackern rechtwinkelig abbiegt, setzte ich 2 Enten im Abstand von 50 m ab. Beide beachreten einander nicht. Die eine Izuft vollig verwirr t in ein seitlich angrenzendes, lucki- ges Kartoffelfeld, die andere geht schnell das gut uberseh- bare gerade Wcgstiick entlang, das ihr von den Ausflugen zum Teich bekannt ist, und erreicht den vom Wege aus nicht sichtbaren Stall ohne Muhe.

Andere Enten, a n gleicher Stelle ausgesetzt, schlagen

ebenfalls sofort die Richtung zum Stall ein, ohne auf die Geffhr ten zu achten. Obwohl hier der Weg auf 5 0 m frei und klar zu uberblicken ist, folgen die Enten ausschlieRlich ihrer

Abb. 2. Erwachsene Enten gehen auf 50 m im Zickzackgang auf- cinander zu

Erinnerung. 2. Auf bekanntem Gelande dagegen, auf einem breiten Wege, der auf der einen

Seite an hohen Bfumen entlangfuhrt, gehen die erwachsenen Enten aus der gleichen Ent- fernung (50 m) unter wechsel-

0 2 ---o- - - - - I

a!s dieser im rechten Winkel Abb. 3. Auf 115 m sahen si& die Enten nicht; die vordere biegt einen Seitenweg abgibt, in no& auf 103 m Abstand von der anderen (beim Pfeil) in den diesen Nebenweg ,,in, der cber

das in 1. eeschilderte Gelande Seitenweg ein

zum Sta l r fuhr t und auch dieser Entc als HeimwcR vom Teich bekannt ist (s. S. 437). Die andere Ente ist 103 m weit weg (Abb. 3) .

Als ich das gleiche Tier hinter dieser Weggabcl auf die Erde setzte, lief cs unter Kopf- wendungen auf die 80 rn entfernte Gefahrtin zu (Abb. 4 a), die ihm dann aus 55-60 m Abstand entgegenkam. V i d e Wiederholungen mit andcren Enten sowie den glcichen, aber ausgetauschten Parrnern brachten grundsatzlich das gleiche Ergebnis: Im besten Fall ver- raten die Entcn bci einem Abstand von 70-80 m, daR sic sich gesehen haben. Dabei gehen sic recht vorsichtig und zogernd aufeinander zu, erst r o n 40 m an laufen sie eilig dem Partner entgegen. Bei der BegruRung, die bei Huhnern unter diesen Urnstiindcn stets mit einer Kopulation endete, bcgnugen sich die Enten mit Geschnatter und Auf und Ab des Kopfes und Halses (Abb. 4 b).

Junge Enten, an derselben Stelle in1 Abstand von 80 m ausgesetzr, achten nicht auf- einander: Wihrcnd die cine ratlos ein Stuck den Wcg entlanglauft und-sich dann umwendet, flieht die andere kopflos in ein liickiges Kartoffelfeld, das die Enten sonst - wic allcs uniibersichtliche Gelande - streng meiden.

Anscheinend ist dies ebene, durch keine hohe Versuchsfrucht unubcrsiehtliche Gelande am besten geeignet, d a die Enten den zunachst unbekannten Wegabschnitt ohnc erkennbare Angst bctreten.

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Vcrsuche uber den Gesichtskrcis der Enten 441

4. Das Bild andertc sich, als ich die Enten im kritischen Abstand von 60-70 m in cincm cbcnfalls flachen und ubcrsichtlichen Gel lnde priifte, TVO sic uber cinen umgegra- bcnen Acker laufen muflten. Hier hicltcn sie sich an die schmalen Stcigc, wclche kleine Versuchsparzcllen mit niedrig wamsenden Radicschcn und Mohrcn trcnnten. Selbst als einmal cine der 6 0 m entfcrnt abgcsctztcn Enten die Schnabel- bindc vcrlor und laut ricf, IieRcn die Priiflinge die akusti- schc Hilfe unbeachtet. Die bestcn Tierc folgen dem Pfad, der sie a m Randc des Ackcrs entlang auf cinem unbedeuten- dcn Umweg zu den Gefahrten fuhrt. Sie reagiercn sicherer, wenn sich dcr Gegcnspieler bewegt. Meist l u g t dieser in aufgcrichtcter Hal tung zu dem unsichcr hin und her laufenden Gefihr ten hiniiber, kommt ihm aber erst aus 40-50 m Abstand cntgcgen (Abb. 5 a und b).

5. Zwei Enten werden an den gegeniiberlicgendcn Tiiren der Mitscherlich-Station in 40m Abstand auf den Boden gesetzt. Eine findet am Boden Futter- rcste, die andere Iauft auf dem breiten Wep zwischen den Ge- Abb. 4. Aul 70 ni Abstand hingesetzt. 15uft a) die vordere Ente

zur hinteren, die ihr b) die letzten Meter entgegcn konimt stcllcn fur- die Mitschcrlich- G c f a h auf den Gefihr ten zu. Auch von auRerhalb des Kafigs, auf cinen den Gang verlan- gernden Weg gesetzt, sieht die Ente ihre Stallgenossen auf 60 m und cilc zu ihnen hin. Hier crlcichtert die Anordnung dcr Gcsrellc zwcifellos die Aufgabe, weil der Blick gcradczu zur andercn Tiire hingezogcn wird.

6 . Auch im letzten Beispiel handelt die Enre stark erinnerungsgebunden. Nach Ver- suchen im Glashaus standen 5 junge Enten drauRen vor dcr Glashaustur zunachst unschliissig hcrum, suchten dann cinen 6 m cntferntcn Futterplatz fur Huhner auf, trankcn hier und sctzten sich schlicfllieh vor der Glashaustur niedcr. Nur widerstrebend lieflen sie sich auf eincm ihncn noch unbekannten 3 m brciten Weg stallwarts treiben. In der Mitte des Wcges, 30 m von Stall und Gehege entfernt, laufen sic plotzlich eilig los, aber nicht zum Gehege,

a

Abb. 5. a) Die Enteilinks vorn sieht auf 60 m die hintere, die (Pteil) im Bewuchs urnherire. Als diese frei sichtbar wird b) lauft die vordere (Mitte) auf sie zu

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442 CARLHEINRICH ENGELMANN

das sic von dicser Seite aus noch nichr kcnnen, sondcrn eincrn Feld rnit jungern Senf zu. welches sic von ihrern Auslauf tiiglich in 10 m Abstand licgen sahcn. Auch hicr verrnag dcr Anblick dcs Auslaufs mit den bekannten Trink- und Futterschalen nicht, die Bindung an One zu zcrreiRcn, die allein wegcn ihrer optischen Vertrauthcit den Wcrt gcfahrcnfreier Fluchtziele erhalten.

Das Verhalten der Enten wird unter diesen Versuchsbedingungen von wenigen Momenten bestirnrnt:

1. Sie ziehen bequem begehbaren, festen Boden (Wege) allen anderen Gelandeformen vor und scheuen sich, Gebusche, Unterholz oder Wald zu betreten. Anscheinend brauchen sie freie Sicht nach oben, urn sich sicher zu fuhlen.

2. Sie folgen, wo irnmer rnoglich, bekannten Wegen, und zwar so aus- schliefllich, dai3 sie fur SO wichtige Dinge wie vertraute Artgenossen in der Ferne weder Auge noch Ohr zu haben scheinen.

3. In frernder Urngebung vollends werden sie derrnaflen angstlich, dai3 sie nur noch auf Sinnesrneldungen achten, die ihnen die Ruckkehr zurn Stall errnoglichen.

4. Begegnen sich in frernder Urngebung Artgenossen, die einander sehen oder horen konnen, SO versuchen sie, rniteinander in Verbindung zu treten, wobei sie den allgerneinen Charakter der Urngebung, nicht aber Einzelheiten beachten.

IV. B e s p r e c h u n g d e r E r g e b n i s s e

Beim Huhn liei3en sich die ein- zelnen verwendeten Gegenstande - der weine Teller, die Korngruppen, Einzelkorner und der Artgenosse - nach ihrer Reitstarke als ,,Sehding" ab- srufen; innere Antriebe wie Neugier, Furcht, Seitenstetigkeit u. a. m. bestirnm- ten das Verhalten nur angesichts reizschwacher Sehdinge (ENGELMANN 1952, 1, s. 99).

Bei der Ente lassen sich die verwendeten ,,Blickfange" nicht so abstufen; keines der gebotenen Sehdinge, auch der Artgenosse nicht, ist reizstark genug, urn die inneren Handelnsantriebe zu uberwinden. Hochstens der Anblick eines Gewassers oder selbst einer kleinen Wasserstelle konnte so anziehend sein, dai3 eine Ente dariiber alle Angstlichkeit vergii3t. Bekanntlich machen Enten weite Wege, urn z. B. Teiche aufzusuchen. Meine Tiere gingen aller- dings nie aus eigenern Antrieb zu dem 300 rn entfernten Teich - wahrend andere, die nur 50 rn zuruckzulegen hatten, regelrnai3ig ihr Bad nahrnen. Kunstlich unter einem Hydranten geschafiene Planschbecken auf dem Haupt- weg irn Mitscherlichkafig besuchten meine Enten erst nach 2 Tagen Gewoh- nungszeit und auch dann noch furchtsam, allenfalls aus 10 rn Abstand.

Es durfte sich nach alledern bei dern starken Vorherrschen der ,,inneren Antriebe" urn eine a r t e i g e n t u m 1 i c h e B e s o n d e r h e i t der Enten handeln.

In Wahlversuchen iiberrascht irnrner wieder, wie schnell Enten zu prirni- tiven Entscheidungen ihre Zuflucht nehrnen. ZAHN'S Enten, die unter 10 gleichen Kastchen das einzig duftende herausfinden sollten, gingen sehr bald zurn ,,Reihenabsuchen" uber. Mir rnachte bei zahlreichen Zweifach-Wahlver- suchen die ,,Seiten- und Ortsstetigkeit" der Enten vie1 zu schaffen und bei den jetzigen Versuchen die ,,Sturheit", mit der sie sich trotz weiter Auslaufrnog- lichkeiten in fast stereotypem Bewegungsablauf auf eng begrenztem Raum beschrankten.

Man gewinnt aus alledem den Eindruck, als behielten die Enten einrnal erfolgreich oder ungefahrdet durchgefuhrte Handlungen bei, weil sie sich auf

R e i z s t a r k e d e r S e h d i n g e .

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Versuchc iibcr den Gesichtskreis dcr Enten 443

ihre R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t und damit auf die rasche Aus- wertung momentaner Sinnesmcldungen nicht verlassen konnen. Wie aus den Ergebnissen bei den Tellerversuchen und denen mit Artgenossen hervorgeht, fehlt es an guten Sinnesleistungen gewifl nicht. Der kegelformige Augapfel der Enten durfte dem linsenformigen des Huhns eher uber- als unterlegen sein. Ahnlich wie SPERRY und CLARKS einaugig dressierte Fische das SO Ge- lernte mit dem anderen Auge nicht zu realisieren vermochten, konnte man auch bei der Ente an zentrale Unzulanglichkeiten denken, die die sofortige sinnvolle Beantwortung gewisser Sinnesreize erschweren.

N a h - u n d F e r n s e h l e i s t u n g . Dann wiirde es auch einiger- mai3en verstandlich, warum die Enten in der Fernsehleistung die Hiihner iiber- trefien, aber in der Nahsicht ihnen unterlegen sind: Bei Fernzielen reicht eine Iangere Reaktionszeit hin, um die Sinneseindriicke ausreichend zu verarbeiten, ehe das Sehding in bedrohliche Nahe ruckt und eine Antworthandlung fordert. Solch eine Sehweise muflte sich ahnlich auswirken, wie wenn das Entenauge auf die Ferne eingestellt ware; das Huhn braucht fur seine Art der Futter- suche - man denke dabei nur an das Aufpicken von Freflbarem im aufge- scharrten Erdreich - ein scharfes, a u f d i e N a h e eingestelltes Auge, und sein ,,personlicher Wirkungsbereich" (ENGELMANN 1952, 1, S. 99) ist mit 5 m Radius nicht grofl. Die grundelnde, schnatternde Ente dagegen findet ihr Futter unter starker Beteiligung des Tast- und Geschmackssinnes und vielem Probieren, wahrend sie ihr weitreichendes Auge fur ganz andere Dinge braucht. Wie bereits bekannt (ENGELMANN 1952, 2, S. 397 und 1953, S. 109 und 110), stellen Enten an die auflere Beschafienheit des Futters geringere Anspruche als Huhner und achten bei optischer Beurteilung nur auf die grobsten Merkmale. Ebenso oberflachlich wie Enten lihre Nahrung beurteilen, so wenig sagt ihnen der Grund und Boden, auf dem sie herumlaufen. Es fehlt ihnen ein den Ver- haltnissen beim Huhn entsprechender ,,personlicher Wirkungsbereich". Ja, noch mehr: Aus diesem Mange1 an einem abgrenzbaren Raum besonders deutlichen Sehens erklart sich wohl zugleich das Fehlen von zeremoniellen Kampfspielen bei der Ente und das Zuriicktreten des ,,Willens zur person- lichen Behauptung", ohne den eine so strenge Rangordnung wie beim Huhn nicht denkbar ist. Den Gefahrten kommt deshalb als besondere Tierperson bei weitem nicht die vom Huhn her bekannte Bedeutung zu. Enten fressen zwar gierig, aber ohne den Stallgefahrten vom Napf wegzubeiflen, und aus- gesprochen herrschsuchtige Tiere sind eine Seltenheit. Und beiflen sie einmal das Nachbartier ab, dann geschieht es so, als schwammen sie noch alle auf dem Wasser; d. h. das uberlegene Tier schiebt Kopf und Hals iiber den Rucken des schwacheren, als ob es dies niederdrucken und untertauchen wollte, oder es greift mit dem Schnabel ins Gefieder des anderen hinein. Auch eine An- griffsentfernung gibt es bei Enten nicht; Erpel beginnen erst zu kampfen, wenn sie sich auf Korperberuhrung nahe gekommen sind.

Ebenso fehlt der Ente eine Bindung an den Raum, wie sie sich beim Huhn in den verschiedenen Sicherheitszonen ausdruckt (vgl. ENGELMANN 1949, S. 264). Fur sie als ursprunglichen Wasser- und Flugvogel konncn der Boden und sein Bewuchs wohl nie so bedeutungsvoll werden wie fur das Huhn, dessen naturlicherLebensraum er ist. Es wirkt ganz so, als prage sich die Ente, die vie1 schneller und hastig eine Flache durcheilt, nur die auffalligsten Merkmale ein. Sie macht sich dadurch weitgehend von Einzelkennzeichen des Bodens frei, kann somit weitere Strecken zurucklegen und sich friiher in einem grofie- ren Gebict zurechtfinden als Huhner, die vom Stall ausgehend langsam dic neue Umgebung erforschen und sich ihre Einzelheiten einpragen mussen,

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444 CARLHEINRICH ENGELMANN

ehe sie sich zurechtfinden. Zudern spielt fur die Enten als gute Flieger die Fern- orientierung eine unvergleichlich groi3ere Rolle als fur das Huhn.

Alles in allern sind diese Besonderheiten der Enten wohl Anpassungen an ihr Leben als Wassergeflugel; das Streben, nach oben freie Sicht zu haben (das Meiden von Gestrupp und dichten Pflanzenbestanden), die wenig auf- merksarne Beobachtung ihrer nachsten Urngebung (die merkrnalsarme Wasser- oberflache regt hierzu nicht an), die Scheu, unbekanntes und ,,verwirrend nierk- rnalsreiches" oder schwer begehbares Gelande zu betreten, das Fehlen eines personlichen Wirkungsbereichs, der auf dern Wasser kaurn abzugrenzen ware, und die rnangelnde Bindung an den Raurn sind so wohl zwangslos zu erklaren.

S i n n e s l e i s t u n g e n b e i H u h n u n d E n t e . Dieuber den Ge- sichtskreis und andere Sinnesleistungen von Huhn und Ente vorliegenden Er- gebnisse fordern geradezu zu einern Vergleich der Leistungen beider Vogelarten heraus. Ganz grob geurteilt, mui3 man der Ente die bessere Fernsicht, dem Huhn die besseren Sehleistungen irn nahen Urnkreis zugestehen. Es geht jedoch aus beiden Versuchsreihen hervor, wie stark psychische Faktoren die volle Aus- niitzung der Sinnesorgane und ihrer Verrnogen verzogern und verhindern konnen. Unser Interesse gilt daher rnehr und rnehr den hernrnenden oder ein- schrankenden ,,inneren Faktoren", und es drangt sich die Verrnutung auf, die sinnlichen Leistungen rnochten ahnlich sein, die Wahrnehrnungen aber urn SO verschiedener ausgewertet werden. Zweifellos nirnrnt - wie sich hier wiederum bestatigt - das Auge eine Sonderstellung ein. Bei den ubrigen Sinnen laRt sich ohne weiteres der Leistungsunterschied erf'assen und der Nachweis fuhren, daR der Geschrnack (und wohl auch der Geruch) bei der Ente besser entwickelt ist, der Tastsinn dagegen beini Huhn. Unterschiede in der Sehleistung sind off ensichtlich vorhanden, doch waren ganz andere Methoden anzuwenden, um zu klaren, ob z. B. etwa eine geringe Akkornodationsfahigkeit den Enten die Urnstellung vorn Fern- zum Nahsehen erschwert oder inwieweit zentrale Unterschiede rnitbeteiligt sein rnogen. Eine weitere Klarung ist zu erwarten, wenn man eine Geflugelart rnit ahnlicher Lebensweise zurn Vergleich heran- zieht, deren ,,Selbstgefuhl" starker ist und bei der keine ,,Angstzustande" auf- treten. Das ist verrnutlich bei der Gans der Fall. An ihr sollen darurn weitere Vergleichsversuche durchgefuhrt werden.

Zusammenfassung

An insgesarnt 14 Enten wurde gepruft, auf welche Entfernung sie einen weiflen Teller, Kornergruppen und Einzelkorner von Mais und Weizen sowie Artgenossen erblicken und aufsuchen. Die entsprechenden kritischen Ent- fernungen liegen in den Tellerversuchen bei 10 rn (alte) bzw. 5 rn (junge Enten), in den Korngruppenversuchen bei 4 rn (Mais) bzw. 2,5 rn (Weizen), in den Einzelversuchen bei 3 rn (Mais) bzw. 0,7 rn (Weizen). Den anderen Art- genossen sehen Enten in offenern Gelande aud rund 60-70 rn.

Die Sehleistungen der Enten werden stark beeintrachtigt durch die deli Enten eigene angstvolle Scheu sowie die - wohl aus dern Leben auf dern Wasser zu erklarende - geringe Aufrnerksamkeit allen nahen Dingen gegen- uber. Irn Vergleich zurn Huhn haben Enten ein weiteres Blickfeld; sie sehen ferne Ziele besser, nahe dagegen z. T. betrachtlich schlechter.

Summary Experiments were made on fourteen domestic ducks to ascertain a t what

distance they would recognize a white plate, single grains of maize and wheat, groups of such grains and, lastly, fellow members of their species. T h e

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Versuche iiber den Gesichtskreis der Enten 445

critical distances at which they recognized the plate were 10 meters for old and 5 meters for young ducks. Groups of maize grains were recognized at 4 meters, of wheat at 2l/2 meters, single maize grains at 3, single wheat grains at 0,7 meters. Fellow members of the species were recognized as such at distances of 60-70 meters in open country.

The visual reactions of ducks are considerably handicapped by their characteristic shyness and propensity to escape reactions and also by the fact that they pay liittle attention to things in their immediate neighbourhood, a property which, perhaps, can be explained by their life on the water. Compared with chickens, ducks have a considerably wider field of vision. They see far goals better than chickens do, but they are less good at recognizing objects quite near to them.

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