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WAS UNS MORGEN BEWEGT Ausgabe 1/2018 12,50 Euro E-BUSSE Deutschland muss von China lernen SHARING Volkswagen startet die Aufholjagd BLOCKCHAIN Warum die U-Bahn bald uns allen gehören könnte NGIN MOBILITY 31082018 12,50 EURO

WAS UNS MORGEN BEWEGT - Gründerszene Magazin · Der Zukunftsforscher Matthias Horx sah schon 1999 unter der Schlagzeile „Willkommen im Jahrhundert der neuen Nomaden“ eine Welle

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WAS UNS MORGEN BEWEGT

Ausgabe 1/201812,50 Euro

E-BUSSEDeutschland muss von China lernen

SHARING Volkswagen startet die Aufholjagd

BLOCKCHAIN Warum die U-Bahn bald uns allen gehören könnte

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NGIN MOBILITY I 3

Warum reden gerade alle über neue Mobilität? Was ist so schlecht an unseren Autos, Verkehrssystemen und der Infrastruktur? Die Antwort ist einfach: alles. Wir haben uns leider daran gewöhnt.

Wir quälen uns täglich mit dem Auto durch den Berufsverkehr und stehen ständig im Stau. Die Abgase verpesten die Luft unserer Städte. Wertvoller Platz in unseren Innenstädten ist mit parkenden Autos vollgestellt. Auf Autobahnen kann man eigentlich nicht mehr fahren, ohne dass es an Baustellen zu Verzögerungen kommt, die ö� entlichen Verkehrsmittel sind zu Stoßzeiten ho� nungslos überfüllt.

Das U-Bahnnetz in Berlin und vielen anderen Städten wird seiner Aufgabe kaum noch gerecht. Es ist zu einer Zeit gebaut und geplant worden, als die Städte völlig anders funktionierten. Mit Hilfe von Datenanalyse ließe sich der Einsatz von ö� entlichen Verkehrsmitteln e� zienter und intelligenter steuern. Oder die Bürger kaufen sich mit Hilfe der Blockchain-Technologie gleich eine eigene Bahn (Seite 44).

Unsere Verkehrssysteme sind dysfunktional. Doch durch die Kom-bination aus digitaler Technik, künstlicher Intelligenz, Vernetzung und neuen Ideen sind wir jetzt in der Lage, das zu ändern.

Wir wollen in unserem Magazin zeigen, an welchen Mobilitäts-Lö-sungen für eine bessere Zukunft gerade gearbeitet wird. Ganz konkret. Von elektrischen Rollern bis zu Drohnen, die durch Lagerhallen fl iegen. Von kleinen Startups und großen, weltbekannten Marken. Im Bereich Logistik wird zum Beispiel an der Kombination von cloudba-siertem Flottenmanagement und selbstfahrenden Lkw gearbeitet. Alles soll schneller, präziser und kostengünstiger funktionieren (Seite 72). In einem Schwerpunkt über Shuttle-Dienste haben wir unter anderem aufgeschrieben, wie sich Autobauer zu Mobilitätsanbietern wandeln. Die Chinesen sind uns beim � ema elektrische Busse weit voraus. Wir haben uns angeschaut, was die kommende Weltmarke BYD besser macht als unsere Hersteller (Seite 62).

Viele Städte in der ganzen Welt sind gerade dabei, sich neue Kon-zepte für den Verkehr der Zukunft auszudenken und zu planen (Seite 6). Sie arbeiten dafür mit Startups und Forschungseinrichtungen zu-sammen. In Berlin werden derweil Tempo-30-Zonen eingerichtet oder es wird darüber nachgedacht, ob man bestimmte Straßen komplett für den Autoverkehr sperren sollte. Hier ist deutlich mehr politischer Mut und gestalterische Finesse gefragt, wenn Deutschland seine führende Rolle als Technologie- und Mobilitätsstandort behalten will.

Viel Spaß bei der Lektüre!

Frank Schmiechen(Chefredakteur)

LIEBE LESERINNEN,LIEBE LESER!

IMPRESSUM Verantwortlich für den Inhalt: Vertical Media GmbH, Wallstr. 27, 10179 Berlin | Geschäftsführer: Dr. Lars Janzik | Chefredakteur: Frank Schmiechen | Chef vom Dienst: Anja Francesca Richter | Fotografi en: Chris Marxen | Layout/Produktion: Sylvio Murer, Jana Hormann | Titelmontage: Dominik Schmitt | Titelfoto: Seabubbles | Herstellung: Silvio Schneider | Druck: optimal media GmbH, 17207 Röbel | Anzeigenabteilung: [email protected] | Redaktionsschluss: 31. August 2018 | Erscheinungstag: 24. September 2018Wir danken allen Beteiligten des Vertical-Media-Teams.

FRANK SCHMIECHEN

Chefredakteur

ALEX HOFMANN

Stellv. Chefredakteur

JANAKUGOTH

Verantwortliche Redakteurin

MARCOWEIMER

Verantwortlicher Redakteur

DR. LARSJANZIK

CEO Vertical Media

JÜRGEN STÜBER

Verantwortlicher Redakteur

NICHT VERPASSEN Auch in diesem Jahr fi ndet in Berlin unsere NGIN Mobility Conference statt.Mehr Informationen fi nden Sie unter: conference.ngin-mobility.com

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VW FÜR ALLE

„Im Team arbeiten und als Diktator entscheiden“Murat Günak über seine Arbeit als Chefdesigner von Ono. Mehr von ihm und seiner Arbeit am E-Cargobike im Interview

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Unter dem GrundEs gibt futuristische Ansätze für den künftigen U-Bahn-Verkehr. Doch Experten raten zu Geduld

Auf neuen GleisenIm Interview spricht Flixtrain-Geschäftsführer Fabian Stenger über Pläne und Probleme

Ein Stück S-Bahn gefällig?Dank der neuen Finanzierungsform kann uns allen bald ein Stück S-Bahn gehören

In Darmstadt geht’s abDie „Digitalstadt“ in Hessen testet den Verkehr von morgen. Ein Ortsbesuch

Kommt mein Taxi geflogenWie geht es mit den Vorzeigeprojekten Hyperloop und Flugtaxi voran? Eine Bestandsaufnahme

Drohnen mit StartproblemenNoch beschränken technische und rechtliche Probleme den Einsatz von Drohnen in Lagerhallen

Lenkrad? Weg damit!Führerlose Lkw, autonome Betriebshöfe, Platooning: Was sich in der Branche tut

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Von A nach Bin WindeseileLeihrad, Taxi oder Shuttle-Service? Sieben Redakteure testen in Berlin, mit welchem Verkehrsmittel sie am schnellsten unterwegs sind

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INHALT

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Sie bringt BMW und Daimler zusammenWenn die Mobilitätsdienste der beiden Autobauer fusionieren, wird Daniela Gerd tom Markotten ganz vorne mit dabei sein

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Noch ein Grund für ParisSchwebende Wassertaxis? Klingt irgendwie nach Action-Film. Oder „Zurück in die Zukunft“. Tatsächlich aber entwickelten zwei Freunde ein genau solches Fahrzeug

Für jeden etwas dabei Moia, Ioki, Clevershuttle & Co.: Wie die populären Shuttle-on-Demand-Services unseren Verkehr – und die Umwelt – verändern wollen. Ein Dossier

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Hafenrundfahrt!Alle Startups an DeckWas tut sich eigentlich am Hamburger Hafen in Sachen Mobilität und Startups? Jede Menge! Wir haben fünf Unternehmen in der Hansestadt besucht

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Philipp Reth greift mit seinem Carsharing-Dienst UMI aus dem Hause VW die Konkurrenz von Car2Go und DriveNow an

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NGIN MOBILITY I 76 I NGIN MOBILITY

PROBLEM MASSENVERKEHR

UNTERWEGS IN EINER NEUEN ZEIT

2050 werden 70 Prozent der Menschen in Mega-Citys leben. Das stellt die Mobilität vor neue Herausforderungen. Wie kann das funktionieren?

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Wer im Jahr 1855 in einen Zug von Hamburg nach Ber-lin stieg, legte die knapp 300 Kilometer in sechseinhalb Stunden zurück. 1914 hatte sich die Zeit halbiert. Heu-te sind es 102 Minuten. Und in 30 Jahren? Werden wir

uns dann in einer Hyperloop-Röhre von SpaceX-Gründer Elon Musk in 20 Minuten ans Ziel schießen lassen? Der Verkehr hat Fahrt aufgenom-men. Er wird sich weiter beschleunigen.

Der Zukunftsforscher Matthias Horx sah schon 1999 unter der Schlagzeile „Willkommen im Jahrhundert der neuen Nomaden“ eine Welle an Mobilität auf die Menschheit zurollen. Er verortete ihr Epi-zentrum an der „Schnittstelle zwischen den Megatrends der Individu-alisierung, der Globalisierung und der Digitalisierung“. Horx sieht Mo-bilität als mögliche „Kernutopie eines neuen Menschenbildes“, das am Übergang der industriellen in eine Wissensgesellschaft entsteht. Dieses lässt sich heute, fast 20 Jahre später, besser fassen: Zwar erleidet die Glo-balisierung derzeit Rückschläge, doch Digitalisierung und Individuali-sierung sind in vollem Gange und ändern die Art, wie wir uns bewegen.

Es lohnt sich vor allem, die Individualisierung der Mobilität näher anzuschauen. Es geht dem heutigen Menschen nicht mehr nur um das Schneller, Höher, Weiter. An Bedeutung gewonnen hat die Erfahrung von Sinnhaftigkeit in der Mobilität. So gewinnt das Fahrrad an Attrak-tivität, wie das Meinungsforschungsinstitut Infas herausgefunden hat. Die Verkehrsleistung, also alle in Deutschland per Rad zurückgelegten Kilometer, ist gegenüber 2008 um ein Fünftel gestiegen. Will heißen: Die Deutschen fahren nicht nur häufi ger Rad, sondern auch länger.

Die mit dem höheren Kraft- und Zeitaufwand einhergehende Ent-schleunigung ist gewollt. „Zeitwohlstand wird zur Luxuserfahrung“, di-agnostiziert der Trendforscher Mark Morrison vom Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main in der „Zeit“. Mobilität sei zum Ausdruck von Frei-heit, Unabhängigkeit, Individualität und Selbstbestimmung geworden. „Wir werden ein steigendes Bewusstsein für die Sinnhaftigkeit und den Nutzen umfassender Mobilität erleben“, schreibt Morrison. So werde auch die Senkung des CO2-Ausstoßes durch die gerade beginnende Elektromobilisierung des Straßenverkehrs zum grundlegenden Wirt-schaftsprinzip der Zukunft avancieren, sagt der Trendforscher voraus.

Auch der Boom neuer Mobilitätsdienstleistungen von Carsharing bis Ridepooling steht für diesen Megatrend der Individualisierung. Ihr Potenzial wird inzwischen mit zweistelligen Milliardenbeträgen und zweistelligen Wachstumsraten bewertet. Und das ist erst der Anfang: Eine Analyse der Unternehmensberatung McKinsey beschreibt die heu-tigen Services von Uber, Lyft und Co. als „Ridesharing 1.0“ und mahnt die Branche zu einem kundenfreundlicheren Service. Denn 83 Prozent der Nutzer wollen an erster Stelle Bequemlichkeit. Erst dann kommt der Preis. Dass Ridesharing 2,8 Mal mehr Autoverkehr erzeugt als es vermeidet und Nutzer dazu verleitet, nicht mit den Ö� entlichen oder dem Rad zu fahren, wie der Analyst Bruce Schaller in den USA heraus-gefunden haben will, stellt die Nachhaltigkeit dieser Verkehrslösung in Frage und spricht eher für den hedonistischen Zeitgeist derer, die sich gegen die ökologische Vernunft für Uber Pool oder Clevershuttle statt das Fahrrad oder die ö� entlichen Verkehrsmittel entscheiden.

Ein anderer Megatrend begrenzt die Individualisierung: die Ur-banisierung. 68 Prozent der Weltbevölkerung werden im Jahr 2050 in Städten leben. Diese könnten um 2,5 Milliarden Einwohner wachsen, sagen die Vereinten Nationen voraus. Schon 2030 könnte es 43 Me-

Indische Metropolen wie Mumbai werden bis 2030 insgesamt um 416 Millionen Menschen wachsen. Wer die Herausforderungen an die Mobilität verstehen will, muss also dorthin schauen

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ga-Citys mit mehr als zehn Millionen Einwohnern geben – zu 90 Prozent in Afrika und Asien. Indische Metropolen werden um 416 Millionen Menschen wachsen, chinesische um 255 und nigerianische um 189 Millionen Bewohner. Wer die He-rausforderungen an die Mobilität verstehen will, muss also dorthin schauen. Bestenfalls entstehen solche Städte samt ihrer Mobilitäts-Infrastrukturen am Reißbrett, wie im Fall der koreanischen Smart City Songdo, schlimmstenfalls wird es sich um wuchernde Moloche ohne funktionierende Ver-kehrssysteme handeln.

In Deutschland ist der Trend zur Urbanisierung ver-gleichsweise verhalten zu spüren. Denn hier leben bereits drei Viertel aller Menschen in Städten. Ihre Zahl wird von 61 Millionen im Jahr 2000 auf 67 Millionen im Jahr 2050 steigen – ein Plus von knapp zehn Prozent, so die UN-Sta-tistik. Die Mobilität in Deutschland wird angesichts dieser Prognose weiter wachsen – wie bereits in der Vergangenheit. Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass der sogenannte Verkehrsaufwand im Personenverkehr von 1991 bis 2016 um 38 Prozent gestiegen ist. Der Luftverkehr erzielte die höchsten Zuwachsraten: um 183 Prozent von 1991 bis 2015. Diese Zahl bezeichnet das Produkt aus der Zahl der beför-derten Menschen und der zurückgelegten Kilometer.

Im ö� entlichen Straßen- und Schienenverkehr ist da-gegen eine unterdurchschnittliche Zunahme um etwa 29 Prozent zu verzeichnen, wobei der private Autoverkehr seine dominierende Stellung behalten hat. Das am meisten verbreitete Verkehrsmittel ist das Auto mit einem Anteil von etwa 76 Prozent. Den Rest teilen sich der Fußgänger sowie Rad-, Schienen- und Busverkehr mit zusammen rund 20 Pro-zent.

Statt eines explosionsartigen Wachstums wie in Schwel-lenländern werden wir in Deutschland einen anderen Trend sehen: die zunehmende Alterung – mit erheblichen Folgen für die Mobilität. Die Bevölkerungspyramide der Jahrtau-sendwende wird sich bis 2050 in einen Pilz verwandelt ha-ben – mit einem stattlichen Kopf, der die hohe Zahl der alten Menschen symbolisiert. Der Altersquotient 65 (über 65-Jäh-

Colliers International Berlin GmbHBudapester Str. 50 | 10787 Berlin | Tel.: +49 30 202993-0 | [email protected] | www.colliers.de

Mobilität neu denken. Wir geben Ihnen den Raum dafür. Der Berliner Büromarkt ist wie Sie und Ihre Branche: immer in Bewegung! Deshalb braucht es jemanden an Ihrer Seite, der sich auskennt. Wir verstehen die Bedürfnisse von Start-ups in deutschen Metropolen. Wir fi nden, was Sie suchen. In jeder Lage und jeder Größe.

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Text: Jürgen Stüber

Problem Mobilität BEWEGUNGSVERHALTEN Neue Möglichkeiten der Mobilität ma-chen Menschen fußfaul. Der Anteil der ausschließlich zu Fuß zurückgelegten Wege sinkt von 24 Prozent (2002) auf aktuell 22 Prozent. Waren 2008 noch 90 Prozent der Bürger täglich unterwegs, waren es 2017 nur noch 85 Prozent. Die Wegezahl ist von 3,4 auf 3,1 im Jahr 2017 gesunken. Offenbar sitzen immer mehr Menschen zu Hause, schauen Netflix und lassen sich liefern, was sie zum Leben brauchen.

IN DEUTSCHLAND WERDEN IN 2050 RUND 67 MILLIONEN MENSCHEN IN STÄDTEN LEBEN – EIN PLUS VON KNAPP ZEHN PROZENT GEGENÜBER DEM JAHR 2000

AUS EINER STATISTIK DER UN

schen Passagier- und Warendrohnen haben das Potential, ein globaler Markt im Wert von 74 Milliarden Dollar bis 2035 zu werden. Diese Prognose macht eine Markt-Studie von Porsche Consulting. Volocopter, das führende deut-sche Startup in diesem Marktsegment, träumt schon heute von Städten mit Dutzenden Volo-Hubs und Volo-Ports ge-nannten Start- und Landeplätzen, an denen bis zu 100.000 Passagiere pro Stunde abheben. Bereits in zehn Jahren sei das möglich, behauptet Volocopter. Die Porsche-Studie un-termauert diesen Trend mit Zahlen: Air Taxis könnten 2025

rige je 100 Personen von 15 bis 64 Jahren), schreibt die Al-tersforscherin Ursula Lehr, liege in Deutschland heute bei 34,1 und werde auf 56 bis 60 im Jahr 2050 ansteigen. Was bedeutet das? 75-Jährige sind noch längst nicht pfl egebe-dürftig, aber gewisse Einschränkungen in der Mobilität häu-fen sich, analysiert Lehr. „Konzepte der Stadtentwicklung, von der Verkehrsführung bis hin zu Sportstätten und Sport-möglichkeiten für Ältere, die Erreichbarkeit von Arztpraxen, Poststellen und Supermärkten sind zu überdenken.“

Die tragende Säule der urbanen Mobilität ist neben dem Auto der ö� entliche Nahverkehr. Beispiel Berlin: Im Jahr 2017 stellten die lokalen Verkehrsbetriebe BVG einen Rekord von 1,064 Millionen Fahrgästen auf, das sind mehr als 2,9 Millionen Fahrten pro Tag. Sie erreichte damit einen Anteil am Gesamtverkehr von 27 Prozent. Verkehrsplaner Stefan Weigele vom Verkehrsberatungsunternehmen Civi-ty fordert deshalb einen „radikalen Vorrang für Busse und Trams im Straßenraum“. Denn Mobilität in den Städten der Zukunft wird sich ohne massentaugliche Verkehrsmittel nicht realisieren lassen.

Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die ö� entli-chen Verkehrsträger investieren. „Der ÖPNV braucht dich-tere Liniennetze und deutlich kürzere Taktzeiten und damit mehr Fahrer und mehr Fahrzeuge“, sagt Weigele. Der Schie-nenverkehr bietet hier einen großen Vorteil: Die ÖPNV-Stu-die der Beratungsagentur Civity belegt den sogenannten „Schienenbonus“ in deutschen Städten. Je höher der Anteil schienengebundener Abfahrten ist, desto höher ist auch der Marktanteil des Nahverkehrs, ist ein Fazit aus dem Vergleich von 50 Städten. Busse und Bahnen drohen gegenüber ande-ren Verkehrsdienstleistern ins Hintertre� en zu geraten, was sich an fehlenden Konzepten für die Bepreisung der städti-schen Mobilität zeigt, vom Nahverkehr über Parkgebühren bis hin zum Taxiverkehr und Sharing-Angeboten. „Das wäre fair, hätte eine steuernde Wirkung und würde zusätzliche Fi-nanzierungsquellen erschließen“, sagt Weigele. In der Stadt der Zukunft werden sich auch die Flächenkonfl ikte ver-schärfen. „Die Politiker trauen sich da nicht ran“, kritisiert der Verkehrsforscher.

Den größten Hype in der Debatte um die Mobilität der Zukunft verursachen Flugtaxis. Vertikale Mobilität im ur-banen Raum wird ein integraler Bestandteil des Verkehrs in den Zukunftsstädten, sagen Studien. Inspektions-, Waren- und Passagierdienste mit den senkrecht startenden elektri-

zunächst als Shuttles für Geschäftsreisende abheben. In den folgenden zehn Jahren könnten elektrisch betriebene Senk-rechtstarter eine Stückzahl von 23.000 erreichen und einen Umsatz von 32 Milliarden Dollar allein für Passagierdienste erwirtschaften.

Bis es soweit ist, sind noch viele Probleme zu lösen: Die Reichweite der zweisitzigen batteriebetriebenen Flugzeuge endet bei etwa 30 Kilometer, der Luftraum ist hoch reguliert, eine Infrastruktur gibt es noch nicht. Und die Akzeptanz des neuen Verkehrsmittels ist fraglich. Zumal belastbare Informationen zur Sicherheit der Flugtaxis nicht existieren. Risikomodelle gehen laut Porsche-Studie davon aus, „dass 23.000 Passagierdrohnen, die annähernd 50 Millionen Flug-stunden pro Jahr erreichen, jeden zweiten Tag zu einem kri-tischen (nicht notwendigerweise tödlichen) Vorfall führen würden, was eindeutig nicht akzeptabel ist“.

Vertikale Mobilität ist kein Allheilmittel zur Lösung von Verkehrsstaus. Aber: „Sie kann ein entscheidender Teil einer integrierten Lösung sein, um unsere wachsenden Transport-probleme zu lindern“, heißt es in der Studie. „Vor allem die Globalisierung bietet neue Möglichkeitsräume für mehr Menschen als je zuvor“, schreibt der Verkehrsforscher Weert Canzler. „Werden die vermehrten Handlungsoptionen auch genutzt, entsteht zusätzlicher Verkehr.“ Insofern seien mo-derne di� erenzierte Gesellschaften tendenziell verkehrsrei-che Gesellschaften.

GETTY IMAGES

Die Verkehrsleistung, also alle in Deutschland per Rad zurückgelegten

Kilometer, ist gegenüber 2008 um ein Fünftel gestiegen. Das bedeutet:

Die Deutschen fahren nicht nur häufi ger Rad, sondern auch länger

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10 I NGIN MOBILITY

DATEN & FAKTEN

Wie oft werden die Sitzbezüge der Deutschen Bahn gewaschen? Und wo fahren die meisten E-Busse? Ein Überblick zu unnützem, aber gleichwohl spannendem Wissen

Text: Michel P

enke wurde der erste Elektromotor konstruiert.

1834

ELEKTROBUSSE fahren in Deutschland – die meisten davon in Solingen (50 Stück). In der chinesischen Stadt Shenzhen sind es 16.359.

528MENSCHEN steigen durchschnittlich pro Sekunde in Züge der Deutschen Bahn.

81

EURO gibt der Durchschnittsdeutsche pro Monat für Mobilität aus.

335

EURO haben deutsche Flugtaxis bisher eingebracht.

MILLIONEN Euro wurden bisher in deutsche Flugtaxis investiert.

0 130

HEKTAR stillgelegte Flächen stellt die Deutsche Bahn Hobbyimkern zur Verfügung.

50

nannten sich in den ersten Jahrzehnten des Kraftverkehrs die AUTOFAHRER.

AUTLER

PROZENT des heutigen gesamten Stromverbrauchs in Deutschland müsste zusätzlich generiert werden, wenn 75 Prozent aller Pkws elektrisch fahren würde. Rund 200 Terawattstunden insgesamt. 20

EURO soll ein Flugauto des niederländischen Hersteller Pal-V für Endkunden kosten.

Mindestens300.000

MONATE Gefängnis drohen in Deutschland für die Nutzung elektronischer Skateboards mit Geschwindigkeiten über sechs Stundenkilometer.

12Bis zu

WOCHEN werden die Sitzbezüge der Deutschen Bahn gewaschen. 6Alle

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INTERVIEW

„WIR WOLLEN DEN MARKT VON HINTEN AUFROLLEN“BMW und Daimler sind in Deutschland seit Jahren die Marktführer im Carsharing. Jetzt will Volkswagen aufholen – und tausende E-Fahrzeuge in Berlin verteilen

Mit der Urban Mobility International GmbH (UMI) steigt Volkswagen ins Carsharing-Ge-schäft ein – und will es besser machen als die Konkurrenz. Im Interview spricht CEO Philipp

Reth über starre Strukturen, starke Marken und dynamische Preise.

Philipp, Medien und Wettbewerber verfolgen genau, was aus dem Volkswagen-Konzern zum � ema New Mobility kommt. Stehst du in deiner neuen Rolle als UMI-CEO jetzt mehr unter Beobachtung?Absolut, bislang stand ich nicht so im Rampenlicht. Im All-tag erlebe ich allerdings noch keinen Unterschied. Ich habe schon vor meiner Zeit bei Volkswagen an Mobilitätsthemen gearbeitet.

Mit der UMI entwickelt ihr ein Carsharing mitE-Autos. Warum hat Volkswagen dazu eine neue Einheit gegründet? Die UMI ist ein Corporate Venture, eine Art Startup im Konzern. Diese Struktur soll ermöglichen, dass das Carsha-ring-Angebot schnell auf den Markt kommt. Wir sind ein kleines Team und haben kurze Entscheidungswege. Bis Ende des Jahres wollen wir auf 30 Mitarbeiter wachsen.

UMI ist der Name der neuen Konzerneinheit. Wird so auch die Marke des Volkswagen-Carsharing-Angebots heißen?

Nein. Alle unsere Vehicle-on-Demand-Services, so nennen wir Dienste, bei denen Nutzern für einen bestimmten Zeit-raum Fahrzeuge zur Verfügung stehen, die sie – zumindest noch – selbst fahren, werden unter „WeShare“ laufen.

Das Ziel von Volkswagen ist es, ein internationales Carsharing-Angebot zu starten. Welche Rolle spielt dabei der Au� au einer starken Marke?Das ist auf jeden Fall sehr relevant – und daraus ergibt sich unsere Aufgabe. Wir müssen nicht nur eine starke Marke, sondern auch eine breite Nutzerbasis au� auen und verste-hen, welche Mobilitätsangebote die Menschen in Ballungs-räumen wünschen.

In welcher Stadt wollt ihr starten?Wir werden in Berlin an den Start gehen.

Volkswagen war mit Quicar schon mal als Carsharing-Anbieter unterwegs, der Service wurde 2016 wieder ein-gestellt. Warum jetzt der zweite Versuch?Ganz aufgegeben hat Volkswagen das Projekt nie. Quicar ist in dem niederländischen Greenwheels aufgegangen, einem stationären Carsharing-Anbieter, an dem Volkswagen noch immer eine Minderheitsbeteiligung hält.

Der Zeitpunkt für den zweiten Anlauf verwundert. Gerade haben die Wettbewerber Car2Go und DriveNow verkündet, ihre Kräfte zu bündeln.

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Wir sehen uns als „smart follower”. Der Markt wächst wei-ter, die niedrigsten Prognosen gehen in Europa von einem Wachstum von jährlich 15 Prozent aus und viele Menschen sind bereits mit Vehicle-on-Demand-Angeboten vertraut. Volkswagen wird diesen Markt weiterentwickeln und Services in verschiedenen Formaten einer noch breiteren Nutzergruppe anbieten. Wir wollen den Markt von hinten aufrollen. Das hat schon einmal funktioniert.

In welchem Fall?Bei SUVs. Auch hier war Volkswagen nicht unter den ersten Anbietern auf dem Markt, ist recht spät mit dem Tiguan eingestiegen. Mit diesem Modell hat Volkswagen schnell aufgeholt. Ein solches Vorgehen schwebt uns auch im Bereich Shared-Mobility-Services vor. Aber wir wissen auch: Es wird kein Sprint, den wir zurücklegen müssen. Sondern ein Marathon.

… und den wollt ihr elektrisch zu-rücklegen. Ihr habt angekündigt, ausschließlich auf E-Fahrzeuge zu setzen – obwohl ein Sharing-Ange-bot mit elektrischen Autos bisher kaum wirtschaftlich betrieben werden kann.Das liegt daran, dass ein Großteil der E-Auto-Modelle heute noch nicht über die für ein Sharing-An-gebot nötigen Reichweiten von mindestens 250 Kilometern verfügt. Mit dem Modell I.D. aus der neuen Generation von Elektrofahrzeugen von Volkswagen soll 2020 ein Fahrzeug auf den Markt kommen, dessen Reich-weite mit bis zu 600 Kilometern über der des Tesla S und deutlich über der des Tesla 3 liegt.

Aber ihr wollt schon ein Jahr früher, nämlich 2019, mit eurem Angebot starten.Ja. Zunächst setzen wir auf den e-Golf, etwas später soll auch der e-up! in die Flotte integriert werden. Auch diese Fahrzeuge bieten dann die erforderliche Reichweite. Grundsätzlich wollen wir unterschiedliche Fahrzeugklassen anbieten, auch Transporter fi nden wir spannend.

Wie viele Fahrzeuge wollt ihr zum Start auf die Straße bringen? Wie viele sollen es einmal werden?Mit deutlich mehr als tausend Fahrzeugen werden wir starten. Innerhalb weniger Jahre wollen wir in Europa alle relevanten Metropolmärkte abdecken. Da reden wir dann über zehntausende.

Schon heute ist es eng auf den Straßen, Parkplätze sind schwer zu fi nden. Droht in den Städten einFlächenkampf ?Nein. Wir gehen davon aus, dass die Anzahl der geteilten Fahrten innerhalb der Metropolregionen steigt – und Sha-red-Mobility-Services eine immer stärkere Alternative zum eigenen Auto werden. Der Parkdruck in den Innenstädten wird durch Carsharing-Angebote nicht erhöht, da diese Ser-vices mindestens im gleichen Umfang Privatautos ersetzen. Wir gehen im Gegenteil davon aus, dass wir mit Free-Floa-ting-Car-Sharing deutlich entlastende E� ekte erreichen.

Einen neuen Service mit tausenden Fahrzeugen aufzu-bauen kostet viel Geld. Wie viel Kapital will der Konzern in die UMI investieren?Unser Ziel ist es, mit großer Wucht in den Markt zu starten. Wir wollen schnell wachsen und das Angebot schnell aus-bauen. Das kostet zunächst einmal Geld. Eine genaue Sum-me kann ich allerdings nicht nennen. Gleichzeitig müssen wir aber auch beweisen, dass wir unsere selbstgesteckten Kunden- und Wachstumsziele erreichen.

Schwarze Zahlen zu schreiben scheint zumindest in den ersten Jahren nicht das primäre Ziel zu sein. Was will VW mit UMI eigentlich erreichen? Wir wollen den Menschen ein ganzheitliches Mobilitätskon-zept anbieten, mit Lösungen für verschiedene Mobilitäts-bedarfe – von der wenige Minuten dauernden Kurzstrecke bis zur wochenlangen Urlaubsreise. Dabei möchten wir schließlich zur ersten Wahl unter den Anbietern von Vehic-

le-on-Demand-Diensten werden. Darüber hinaus werden sich unsere Fahrzeuge sichtbar in das Stadtbild integrieren. Das hat sicherlich auch einen verkaufsfördern-den E� ekt – wir sehen einen klaren Bei-trag von „WeShare“ zur Anlaufphase für E-Fahrzeuge von Volkswagen. Langfristig wollen wir aber natürlich Geld verdienen und unseren Beitrag zum Konzernumsatz leisten.

Wen seht ihr als Kunden? Ausschließ-lich private Autofahrer? Oder denkt ihr

auch über Geschäftsmodelle wie das von Audi Pool nach, bei denen Bauprojektierer den Bewohnern ihrer Immobi-lie ein Sharing-Auto zur Verfügung stellen?Grundsätzlich sehen wir großes Potenzial in der Ver-knüpfung unterschiedlicher Business Modelle und Use Cases – das kann für die Optimierung der Auslastung ein großer Hebel sein. Wir zielen mit „WeShare“ daher sowohl auf private als auch auf gewerbliche Kundengruppen ab. Tatsächlich werden wir gleichzeitig zu unseren ö� entli-chen Shared-Mobility-Services auch ein „Compound Car Sharing“, wie das Andocken von Carsharing-Fahrzeugen an Wohnanlagen heißt, anbieten. Die Details dazu planen wir derzeit, es wird aber defi nitiv auch in 2019 damit losgehen.

Könnte das bedeuten, dass ich als Privatkunde je nach Wochentag und Uhrzeit einen anderen Preis für ein Carsharing-Auto zahlen muss?Das sogenannte Surge Pricing, wie es vom US-Fahrdienst Uber bekannt ist, sehen wir auch als mögliches Modell für Shared-Mobility-Services. Mit einem dynamischen Preis ließe sich das Nutzungsverhalten steuern. Wer zeitlich fl exibel ist, beispielsweise ein Student, zahlt in nachfrage-schwachen Zeiten weniger. Gleichzeitig untersuchen wir, wie wir die Kunden in die betrieblichen Vorgänge wie das Parken an einer Ladesäule einbinden können. Das gibt es ja auch heute schon.

In Metropolen spielen Sharing-Angebote eine immer größere Rolle. Neben Autos werden Fahrräder und elek-trische Tretroller geteilt. Auch UMI will künftig weitere Dienste anbieten. Welche könnten das sein?

Da kann ich noch nicht viel verraten. Nur so viel: Wir denken auf jeden Fall nicht nur zweispurig, sondern auch einspurig. Und alles, was wir anbieten, wird voll elektrisch sein.

Neben UMI entwickelt auch die New-Mobility-Marke Moia neue Services für Volkswagen. Hast du Moia-CEO Ole Harms schon einmal um Rat gefragt?Ja. Ole und ich kennen einander schon aus der Zeit, bevor ich bei Volkswagen angefangen habe. Wir tauschen uns bis heute regelmäßig aus.

Welche Unterschiede gibt es zwischen der von Ole Harms geführten Marke Moia und UMI?Prinzipiell gilt: Moia entwickelt Geschäftsmodelle rund um das � ema „gefahren werden“, also „Mobility-on-Demand“ mit Ridehailing- und Pooling-Angeboten. Dabei rufen Fahr-gäste per App ein Fahrzeug, Reisende mit einer ähnlichen Route werden zusammengeführt. Wir ergänzen Moias An-gebot komplementär durch Angebote, bei denen der Nutzer selbst fährt. Wir sehen uns daher als Partner und defi nitiv nicht im Wettbewerb.

Was ist mit der Idee der „Mobilität aus einer Hand” geworden? Die verfolgen wir weiterhin, langfristig wird sicher die Diskussion zu führen sein, wie wir unterschiedliche Ange-bote zusammenführen. Wenn der Car-to-Go-Case, also das

ZUR PERSON Bevor Philipp Reth, Jahrgang 1975, zum CEO von UMI wurde, arbeitete er für die Deutsche Bahn und deren Tochter Arriva. Unter anderem hat der studierte BWLer dort Bike- und Carsharing-Projekte verantwortet.

Philipp Reth startet mit „We Share” in Berlin

„WIR ZIELEN SOWOHL AUF PRIVATE ALS AUCH AUF GEWERBLICHE KUNDEN AB“PHILIPP RETH

Text: Jana Kugoth Foto: Chris Marxen

klassische Carsharing, zum Car-to-Come-Case wird, bei dem das Fahrzeug zum Kunden kommt, macht es keinen Un-terschied, ob ich mir ein Taxi, ein Shuttle oder ein Carsha-ring-Auto bestelle. Irgendwann muss ich mir kein Fahrzeug mehr suchen. Stattdessen rufe ich es per App, es holt mich an meinem Standort ab und fährt mich zum Ziel. Über den Preis wird dann geregelt, ob das Angebot für mich exklusiv ist oder ob ich mir die Fahrt mit anderen Fahrgästen teile.

Wenn du an 2050 denkst – wie ist es um UMI dann im besten Fall bestellt?Bis dahin werden wir Volkswagen für die Mobilitätswelt der Zukunft aufgestellt haben und wesentlich zum Konzerner-trag beitragen. Wir werden nicht nur in Europa, sondern auch in Nordamerika und Asien aktiv sein. Wir werden dann alle Formen von Shared Mobility anbieten – nach 2050 mit höchster Wahrscheinlichkeit vollautonom.

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NGIN MOBILITY I 1716 I NGIN MOBILITY

DOSSIER SHUTTLE-ON-DEMAND

SIND WIR BALD ALLE IN EINEM SHUTTLE UNTERWEGS?Kunden verlangen immer häufi ger nach individualisierten und flexiblen Angeboten. Die großen Konzerne überbieten sich mit Shuttle-Konzepten. Wer macht das Rennen?

Für Holger Spitzner ist es die große Chance. Vor rund einem Jahr, als die Johanniter Unfallhilfe in Ham-burg ihren Fahrdienst einstellte, verlor er seinen Job. Jetzt hat er einen neuen: Spitzner, grauer Bart

und im Besitz eines Personenbeförderungsscheins, sitzt wieder hinterm Steuer. Er fährt einen der kleinen elektri-schen Shuttle-Busse, die Ioki, die Mobilitätsmarke der Deut-schen Bahn, gemeinsam mit den Verkehrsbetrieben Ham-burg-Holstein testweise auf die Straße geschickt hat.

Anders als die Fahrer am Steuer eines Linienbusses fährt Spitzner nicht nach festem Fahrplan. Er kommt, wenn er gerufen wird. Fahrgäste können die Kleinbusse zum Preis

eines ÖPNV-Einzeltickets per App bestellen. Spitzner oder einer seiner Kollegen holen sie an einem der Haltepunkte ab, von denen keiner mehr als 200 Meter vom nächsten entfernt liegt. Das Angebot soll in Hamburg eine kleine Ver-kehrswende einläuten. Das Pilotprojekt in den Hamburger Ortsteilen dient der Deutschen Bahn als Feldversuch für den großen Aufschlag: 2019 sollen weitere Stadtteile einge-bunden werden, mehr Autos auf die Straße kommen. Die Shuttlebusse bieten einen komfortablen Anschluss an den bestehenden ÖPNV, wirbt Berthold Huber, Vorstand Perso-nenverkehr bei der Bahn: „So wird die Fahrt mit dem eige-nen Auto überfl üssig.“

Doch auch die Autobauer rüsten sich im Kampf um die Kunden, die immer häufi ger nach individualisierten und fl exiblen Angeboten verlangen. Daimler entwickelt mit sei-ner Tochter Moovel eine Software für digitale Shuttlebusse, die beim Mitfahrdienst „Flex Pilot“ in Stuttgart zum Einsatz kommt (siehe Seite 20). Volkswagen bringt sich mit Moia in Stellung. Etwas später als die Bahn will die Volkswagentoch-ter mit bis zu 200 Fahrzeugen an den Start gehen – ebenfalls in Hamburg. Auch hier werden die extra für den Service entwickelten elektrischen VW-Busse per App bestellt und Fahrgäste mit einer ähnlichen Route „gepoolt”. So nennt die Branche das Zusammenführen von Fahrgästen, die eine ähn-liche Strecke fahren wollen. Die Betreiber der Services wer-ben damit, dass ihre Angebote gut für die Umwelt seien, weil sie langfristig die Anzahl der privaten Pkw auf den Straßen verringern würden. Kritiker sehen das skeptisch und verwei-sen auf Studien aus New York und San Francisco. Dort sind Fahrten mit Uber und Lyft Alltag. Die Studien zeigen, dass die Zahl der Fahrzeuge auf der Straße durch die neuen Fahr-dienste sogar gestiegen ist. Außerdem kannibalisieren sie die Angebote des ö� entlichen Nahverkehrs. Der regionale Zug-betreiber in San Francisco hat nach eigenen Angaben eine Vielzahl an Fahrgästen verloren. Hierzulande sind den kom-merziellen Betreibern mit dem geltenden Personenbeför-derungsgesetz starre Grenzen gesetzt (siehe Kasten). Bisher dürfen Ridesharing-Anbieter aber nur zeitlich begrenzt und mit Aufl agen ihre Dienste in den Städten testen. Oder aber sie nutzen eine rechtliche Lücke und beantragen die Zulas-sung als Mietwagen oder Linienverkehr – das ist allerdings wieder mit Sonderaufl agen wie der Einrichtung virtueller Haltepunkte (Linienverkehr) oder der Rückkehrpfl icht ver-bunden. Zwar wird seit geraumer Zeit eine Lockerung der Aufl agen diskutiert. Doch eine Gesetzesänderung lässt wei-ter auf sich warten. Zu groß ist die Sorge, dass die digitalen Fahrdienste die bestehenden Mobilitätsangebote aus dem Markt drängen.

Matthias Kempf beobachtet die Entwicklung seit eini-ger Zeit im In- und Ausland. Der Mitgründer und Partner bei Berylls Strategy Advisors berät große deutsche Automobil-hersteller und Zulieferer bei der Entwicklung neuer Mobili-tätskonzepte. „Für Verkehrsbetreiber wie die Deutsche Bahn rechnen sich smarte Mobilitätsdienstleistungen zu einem früheren Zeitpunkt als bei anderen“, meint der Experte. Indi-vidualisierte Angebote könnten tatsächlich mehr Menschen dazu bringen, statt des eigenen Autos neue Mobilitätsdiens-te der Ö� entlichen zu nutzen. Außerdem ließe sich der Ver-kehr in Randgebieten mit den digitalen Shuttles e� zienter gestalten, ergänzt der Berater. Bisher werden oft zu wenig Menschen in zu großen Bussen umhergefahren. Für die meisten Städte und Kommunen ist der Betrieb des ö� entli-chen Nahverkehrs in abgeschiedenen Gebieten deshalb ein riesiges Verlustgeschäft. Zuletzt, so Kempf, können mit fl exi-blen Kleinbussen Randgebiete, in denen bisher kaum Busse oder Bahnen fahren, schnell und kostengünstig eingebun-den werden. So wie die Hamburger Stadtteilen Lurup und Osdorf, dem Pilotgebiet der Deutschen Bahn.

Private Anbieter wie Moia indes werden einige Zeit brauchen, bis ihre Dienste wirtschaftlich sind, so Kempf. Da-mit sich solche Angebote rechnen, „ist eine hohe Nachfrage und Pooling-Quote nötig, oder die Regulierungsbehörden erlauben den Anbietern eine fl exible Preisgestaltung”. In dieser Hinsicht haben Anbieter Vorteile, die bereits eine

Mitarbeiter: 50Hauptsitz: Frankfurt a. M. Gründungsjahr: 2017Investment: 2-stelliger Millionenbetrag (Deutsche Bahn)

Mitarbeiter: 50Hauptsitz: BerlinGründungsjahr: 2016Investment: Investment: 2016 hieß es, in den nächsten beiden Jahren wolle VW einen höheren dreistelligen Millionenbetrag investieren (Volkswagen)

Mitarbeiter: 50Hauptsitz: StuttgartGründungsjahr: 2015Investment: k.A.

Mitarbeiter: 70Hauptsitz: HamburgGründungsjahr: 2014Investment: Series B, k.A. zur genauen Höhe (Business Angels und VCs)

Mitarbeiter: 70Hauptsitz: BerlinGründungsjahr: 2014Investment: 5 Millionen (u.a. Deutsche Bahn, Daimler)

Mitarbeiter: 100Hauptsitz: Berlin, Porto Alegre Gründungsjahr: 2012Investment: 27 Millionen US-Dollar (u.a. Business Angels, KfW-Bankengruppe)

Anbieter im Überblick

Mit dem Shuttle zum S-Bahn-hof: Unsere Redakteu-rin hat es getestet

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NGIN MOBILITY I 1918 I NGIN MOBILITY

HAMBURG

LÜBECK

DUISBURG

FRANKFURT A.M.

HANNOVER

MÜNCHEN

STUTTGART

FREYUNGKARLSRUHE

WITTLICH

BERLIN

DOOR2DOOR

(IOKI, NUR FÜR DB-MA)

IOKI, AB 2019 MOIA, WUNDER (TEST)

MOIA

CLEVER-SHUTTLE

DOOR2DOOR, VIA ANGEKÜNDIGT

DOOR2DOOR

MOOVELMOOVEL

DOOR2DOOR

IOKI

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20

18)

„FÜR VERKEHRSBETREIBER WIE DIE DEUTSCHE BAHN RECHNEN SICH SMARTE MOBILITÄTSDIENSTLEISTUNGENZU EINEM FRÜHEREN ZEITPUNKT ALS BEI ANDEREN“MATTHIAS KEMPF, MITGRÜNDER UND PARTNER BEI BERYLLS STRATEGY ADVISORS

DOSSIER SHUTTLE-ON-DEMAND

EINSAMDURCH HANNOVER Moia will 1.000 Shuttles nach Hamburg bringen. Erste Erfahrungen im Straßenverkehr hat die VW-Tochter zunächst in Hannover gesammelt. Bei unserer Testfahrt zeigte sich, dass Konzept und Realität an manchen Stellen noch auseinanderklaffen

Die schwarze Schiebetür ö� net automatisch. Ich werde vom Fahrer mit Namen begrüßt und sofort höfl ich aufgefordert, mich anzuschnallen. Meine Wunschstation, die ich fünf Minuten zuvor in der

App angegeben habe, wird bereits auf dem großen Display zwischen den beiden Vordersitzen angezeigt, Ankunftszeit an der virtuellen Haltestelle inklusive. Ich bin der einzige Fahrgast im geräumigen VW-Bus. Eigentlich hätten in dem Moia-Shuttle bis zu sechs Personen Platz. Während meiner Fahrt kreuz und quer durch Hannover bleibe ich jedoch der einzige Kunde. „Nichts los zur Zeit“, sagt ein Fahrer. Ferien und 33 Grad in der niedersächsischen Landeshauptstadt. „Trotzdem müssen wir die ganze Zeit in Bewegung bleiben“, sagt er. Ob er das auch einhält, wird vom System protokol-liert. Bei seinem früheren Arbeitgeber habe der Mann zwi-schendurch mal irgendwo halten und eine Pause einlegen können. Das sei nun nicht mehr drin. Mit mir reden dürfe er eigentlich auch nicht. Neue Anweisung, sagt er. Ich frage, ob wir das Radio anstellen können. „Nein, das passt nicht zum Konzept.“ Von der Unternehmensseite heißt es dazu, man wolle das „Höchstmaß an Sicherheit“ garantieren – der Fah-rer solle sich konzentrieren.

Mein Fahrer ist darüber verärgert, dass alle paar Tage neue Anweisungen hinzukommen. Trotz der vielen Ände-rungen, die während der Testphase des Shuttle-Angebots an-stehen, sei er aber insgesamt zufrieden. Das Fahrzeug sei kli-matisiert, die Kunden freundlich, die Arbeitszeiten human. Aktuell seien 140 Fahrer für Moia im Einsatz, heißt es vom Unternehmen. Bevor Moia seinen großen Aufschlag mit 1.000 Shuttles in Hamburg startet, hat die VW-Tochter das Shuttle-Angebot in Hannover getestet. Seit Oktober 2017 beförderten eigenen Angaben zufolge 35 Fahrzeuge rund 3.500 Test-Kunden. Allerdings noch ohne E-Antrieb und WLAN an Bord. Beides kommt erst mit dem neuen Fahrzeug hinzu, das 2019 vom Band laufen soll.

Auch das nächste von mir angeforderte Shuttle hält punktgenau und pünktlich vor meinen Füßen. Wieder bin ich alleine mit dem Fahrer, wieder werde ich mit meinem Vornamen angesprochen. „Man weiß, mit wem man es zu tun hat“, sagt der zweite Fahrer, als ich ihn darauf anspreche, ob das so üblich ist. Dass es beim Taxifahren damals immer

anonym abgelaufen sei, habe ihm nicht gefallen. Anschei-nend kennt er die neue Aufl age noch nicht, dass er sich ei-gentlich nicht mit mir unterhalten darf. Er erzählt, dass er damals besser verdient habe, dafür aber auch unregelmäßi-gere Arbeitszeiten hatte und ein schlechteres Fahrzeug. Ich suche in der App nach einer Funktion, um zumindest etwas Trinkgeld zu geben. Denn die Fahrt kostet mich in der Test-phase nur einige Cent. „Das geht nicht“, sagt der Fahrer. We-der digital, noch dürfe Bares angenommen werden. Darauf habe man in der Testphase keinen Fokus gelegt, kommen-tiert ein Unternehmenssprecher auf Nachfrage. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, eine solche Funktion noch zu ergän-zen. Mit dem o� ziellen Start ab Ende Juli werden schritt-weise die Preise angehoben. Eine Fahrt soll später preislich zwischen dem ÖPNV und einem Taxi liegen. „Wir werden die Kunden stückweise freischalten, um das System in den ersten Wochen nicht zu überlasten“, sagt der Unternehmens-sprecher. Auch bei meinen zwei letzten Fahrten bleibe ich der einzige Passagier.

Geschäftsbasis etabliert haben, wie zum Beispiel der zu Daimler gehören-de Taxi-Vermittler Mytaxi. Seit einiger Zeit testet der Dienst unter dem Namen „match” eine Pooling-Funktion in Ham-burg und Berlin. Rund 5.000 Fahrer sind auf der Plattform registriert – allein in Berlin. Der Vorteil gegenüber Moia, so Kempf: „Mytaxi verfügt über eine große Flotte und kann auf Basis eines bereits funktionierenden Geschäftsmo-dells das Pooling-Angebot langsam ausbauen.” Ähnlich habe Uber sein Pooling-Produkt Uberpool auf dem US-Markt eingeführt, mit durch-schlagendem Erfolg. „Allerdings ist Mytaxi nicht so konsequent für das Pooling konzipiert wie Moia.“ Dass die Verkehrswende in Deutschland nicht über Nacht kommt, weiß auch Moia-Chef Ole Harms. Zuerst einmal müsse Moia mit den neuen Pooling-An-geboten überzeugen. Bisher scheint es an beidem noch zu hapern (siehe Seite 20). Profi tabel wolle man erst in einem zwei-ten Schritt werden, angepeilt sei das Jahr 2025, meint Harms weiter.

Um kein Geld zu verbrennen, gehen Moia und Co. zwei Wetten ein: dass sie mit ihrer Lobbyarbeit zur Lockerung des Personenbeförderungsgesetzes Erfolg haben und dass autonome Fahrzeuge in nicht allzu ferner Zukunft auf deutschen Straßen fahren dürfen. Denn in einem Punkt sind sich die meisten Experten einig: Richtig Geld abwerfen werden die Dienste erst, wenn die Fahrzeuge auto-nom fahren. Keine guten Nachrichten für Ioki-Fahrer Spitzner, er wird dann nicht mehr gebraucht. Allerdings dürfte es Prognosen zufolge noch Jahre dauern, bis in Deutschland Robo-Autos fahren. Optimisten gehen von 2025 aus, ande-re – wie der Präsident der Fraunhofer Gesellschaft Reimund Neugebauer – se-hen für die Technologie vor 2030 keinen Durchbruch. Spitzner kann aufatmen, bis dahin ist er im Ruhestand. Seine jün-geren Kollegen allerdings müssen sich wohl später etwas Neues suchen.

PERSONENBEFÖRDERUNGSGESETZ Nicht jeder darf Menschen gegen Geld von A nach B fahren. Dafür braucht es eine Genehmigung. Unter welchen Voraussetzungen diese erteilt wird, regelt das Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach aktueller Rechtslage (Stand August 2018) können Ridesharing-Dienste nur als Mietwagen oder Linienverkehr zugelassen werden. Oft sind sie zudem nur testweise oder mit Ausnahmegenehmigung erlaubt. Anbieter wie der US-Fahrdienst Uber und die Volkswagen-Tochter Moia halten das PBefG für überholt. Unter anderem kritisieren sie die für Mietwagen geltende Rückkehrpflicht, laut der die Fahrer nach jeder Tour an ihren Ausgangspunkt zurückkehren müssen. Sie dürfen sich nicht – wie Taxifahrer – an strategisch günstigen Stellen der Stadt positionieren und auf Kundschaft warten. Das Taxigewerbe argumen-tiert dagegen, die Regelungen des Gesetzes würden Kunden und Unternehmen vor Dumping und unlauterem Wettbewerb schützen. Das Bundesverkehrsministerium hat zuletzt bekräftigt, so schnell wie möglich eine Änderung auf den Weg bringen zu wollen.

Text: Jana KugothFoto: Chris Marxen

Text und Foto: Marco Weimer

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NGIN MOBILITY I 2120 I NGIN MOBILITY20 I NGIN MOBILITY

DOSSIER MOOVEL

HERRIN DER

DATENIm Studium hat sie sich mit

Programmieren über Wasser gehalten. Jetzt soll die

Moovel-Chefi n Daniela Gerd tom Markotten die geplante Fusion der Mobilitätsdienste von Daimler und BMW mit in

die Wege leiten

Ihr ist anzumerken, dass sie gerne mehr erzählen würde, als sie darf. Solange das Bundeskartellamt noch darüber berät, ob die Mobilitätsmarken der Autokonzerne Daim-ler und BMW fusionieren können, bleibt es bei Andeu-

tungen. „Wir ziehen auch um“, lässt Daniela Gerd tom Mar-kotten, Chefi n des Daimler-Mobilitätsdienstleisters Moovel, während des Gesprächs durchblicken. In Branchenkreisen wird sie bereits als Chefi n der neuen Unternehmenseinheit in Berlin gehandelt.

Was in Berlin passieren soll, könnte das Kräfteverhältnis auf dem Mobilitätsmarkt verändern. Am neuen Firmensitz, der bisher unter dem Decknamen KITT geführt wird – be-nannt nach dem Computerauto der TV-Serie Knight Rider – sollen alle Mobilitätsdienste der beiden großen deutschen Autobauer zusammengefasst werden: Neben den Carsha-ring-Angeboten Car2Go und DriveNow betri� t das die Daimler-Dienste Moovel und Mytaxi sowie die BMW-Mar-ken ChargeNow und ParkNow.

Wenn die Zustimmung der Behörde vorliegt, werden sich die Mobilitätsanbieter in fünf „Verticals“ unterteilen: Carsharing, Ridehailing, multimodale Plattform, Parking und Charging, erklärt Daniela Gerd tom Markotten. Hierbei soll es sich zunächst um einzelne Joint Ventures handeln. Die Moovel-Chefi n werde lediglich den multimodalen Bereich verantworten. Das ist die Abteilung, die neue Technologien für die Kombination mehrerer Verkehrsmittel entwickelt. Sinn und Zweck des Unternehmens ist es, sich gemeinsam gegen den US-amerikanischen und chinesischen Wettbe-werb zu positionieren. Es sei ganz klar der Anspruch, globa-ler Tech-Player zu werden, sagt die Moovel-Chefi n. „Wir wol-len uns auf gar keinen Fall von den üblichen Verdächtigen die Butter vom Brot nehmen lassen – gerade im Hinblick auf das autonome Zeitalter.“

Große Dimensionen, kleiner MaßstabTesla, Uber und das Google-Unternehmen Waymo sowie die chinesischen Tech-Riesen Baidu und Tencent haben den deutschen Markt seit Jahren im Visier und Milliar-den in die Forschung fürs autonome Fahren investiert. Restriktionen wie das Personenbeförderungsgesetz ma-chen es den ausländischen Anbietern noch immer schwer, auf dem hiesigen Markt ihre Taxi- oder Shuttle-Angebote zu platzieren, geschweige denn autonome Fahrzeuge zu testen. Dass der Bundestag das Gesetz in naher Zukunft ändern wird, wissen alle Beteiligten – und warten ab.In Stuttgart scheint es so, als ob Daimler zwar in großen Dimensionen denkt, aber noch im kleinen Maßstab testet. Mit dem Dienst Flex Pilot hat Moovel dort seine ersten zehn Shuttle-Busse auf die Straße gebracht, die per App bestellt werden können. „Von Anfang an stand fest, dass wir das Pro-jekt an die Stuttgarter Straßenbahnen AG übergeben wer-den“, sagt Gerd tom Markotten und verweist auf die mehr als 20.000 Passagiere, die den Dienst während der sechsmonati-gen Testphase in Anspruch genommen haben sollen.

Moovel bietet den Service als sogenannte White-La-bel-Lösung an, also unter dem Namen des Nahverkehrsan-bieters. Er stellt Fahrzeuge, Fahrer und legt auch die Fahr-preise fest. Moovel kümmert sich um die Technologie im Hintergrund. Ein weiteres Pilotprojekt läuft in Karlsruhe, eine neue europäische Stadt soll bald folgen, heißt es von der

Chefi n. Moovel war mit seinem Flex Pilot der erste bedarfso-rientierte Dienst mit einer Liniengenehmigung.

Mittlerweile fährt auch Ioki, ein ähnlicher Dienst der Deutschen Bahn in Hamburg, unter der Regelung. Der Wett-bewerber Moia (Volkswagen) hat sich stattdessen eine Aus-nahmeregelung von der Stadtverwaltung bescha� t, testet seinen Shuttle-Service in Hannover und will nun zum Re-gelbetrieb übergehen. Der Unterschied zu Flex Pilot ist, dass die Wolfsburger unter eigener Marke fahren und 2019 auch ein eigens dafür gebautes E-Fahrzeug auf die Straße bringen wollen.

Zugeständnisse der PlayerBei Moovel denkt man ebenfalls über die Entwicklung ei-nes solches Fahrzeugs nach. Genaueres möchte die Che-fi n dazu noch nicht verraten. Wichtiger als das Fahrzeug seien die Daten. Algorithmen trainieren, darauf komme es an, wenn ein Automobilhersteller sich zum Mobilitätskon-zern wandeln will. „Aus meiner Sicht bedeutet dies, dass es neben dem Verkauf von Autos auch darum gehen muss, wie wir Mobilität intelligent verbinden durch Flotten-Ma-nagement, Sharing von Einzelfahrzeugen und Pooling.“Bevor Gerd tom Markotten im November 2017 die Führung bei Moovel übernahm, hat sie Fleetboard, die digitale Logis-tik-Einheit bei Daimler, geleitet. Optimierungsalgorithmen, Demand-Prediction, Machine-Learning – technische Begrif-fe, die der 43-Jährigen locker über die Lippen gehen. Als Stu-dentin hat sie sich mit Programmieren Geld dazu verdient. „Der Stundenlohn ist besser, als wenn man kellnern geht.“ Was das Coden angehe, sei sie nun ein wenig aus der Übung. Aber sie könne die Abläufe im Hintergrund der App weiter-hin nachvollziehen, sagt sie. Das Kerngeschäft der 2015 ge-gründeten Daimler-Tochter Moovel besteht darin, verschie-dene Mobilitätsangebote in einer App zu bündeln. Mit der angestrebten Fusion von Car2Go und DriveNow würden Nutzer auch die Fahrzeuge von BMW gleich über die App buchen und bezahlen können – eine direkte Anbindung, die andere Apps für mehrere Verkehrsmittel nicht haben.

Die einzelnen Mobilitäts-Anbieter sträuben sich bis-her dagegen, dass ihre eigenen Apps durch eine einzige Sammel-App wie Moovel übergangen werden. Doch die Zugeständnisse der einzelnen Player werden größer. Ne-ben Carsharing sind in der Moovel-App unter anderem die Deutsche Bahn, Nahverkehrsanbieter und das Leipziger Bike-Sharing Nextbike vertreten. Als nächstes sollen Elekt-roroller hinzukommen, sagt Daniela Gerd tom Markotten. Man verhandle bereits darüber. Zudem sind E-Floater ge-plant, elektrisch betriebene Tretroller (siehe Seite 23). „Das würde gut zu uns passen – hausintern haben wir da schon viele Fans. In Deutschland warten wir darauf, dass sich bei der Gesetzeslage etwas tut.“ Übrigens: Anders als beim Mut-terkonzern Daimler hat bei Moovel kein Mitarbeiter einen Dienstwagen. Stattdessen gibt es ein Mobilitäts-Budget für die Mitarbeiter, die damit eine gewisse Anzahl an Mytaxi-, Car2Go- oder Bahn-Fahrten nutzen können. Ein weiteres Geschäftsmodell, mit dem Moovel an der Alternative zum privaten Autobesitz experimentiert. Hier zeigt sich: Die Mo-bilitätswende beginnt im Kleinen.

Daniela Gerdtom MarkottenZUR PERSON Die promovierte Wirtschafts-ingenieurin hat bei Daimler eine steile Karriere hingelegt. Bevor sie den Chefsessel bei Moovel einnahm, hat die 43-Jährige Erfahrungen im Bereich der IT-gestützten Fahrzeug-Telematik gesammelt und die Daimler Fleet-Board GmbH verantwortet. Text und Foto: Marco Weimer

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NGIN MOBILITY I 2322 I NGIN MOBILITY

GETTY IMAGES

Sie sind bunt, sie stehen in vielen Städten an jeder Straßenecke: Bikesharing ist der Trend des Jahres 2018, vor allem auch weil chinesische Anbieter auf den Markt drängen. Das sorgt für Ärger

gangenen zwölf Monaten einen Boom wie nie zuvor. Was ge-mütlich mit ein paar Zweirädern der Bahn vor knapp 15 Jah-ren startete, ist heute ein Millionengeschäft geworden. Vor allem drei Anbieter aus Asien drängten auf den deutschen Markt: Mobike, Ofo und Obike.

In den Großstädten, in denen die Startups ihre Bikes auf die Bürgersteige stellten, wunderten und ärgerten sich die Anwohner über die Masse. Sie verstopften die Bürgersteige, so der Vorwurf. Nicht selten wurden die Räder Opfer von Vandalismus. Die Verwaltungen sind gegen die Invasion

IRGENDWO MUSS EIN NEST SEIN

BIKESHARING

Deutschland zu langsam für Mikro-MobilityDER KAMPF UM DIE E-FLOATER Wer derzeit mit einem E-Floater auf dem Gehweg oder der Straße unterwegs ist, lebt gefährlich. Zu den natürli-chen Feinden zählen nicht nur unaufmerksame Autofahrer, sondern unfreiwillig auch Polizei und Ordnungsamt. Wer mit einem elektrisch motorisierten Tretroller, Skateboard, Hoverboard oder Mono-Wheel auf der Straße unterwegs ist, dem drohen im schlimmsten Fall Freiheitsstrafen von sechs Monaten oder Geldstrafen mit 180 Tagessätzen. Da die Geräte motorisiert sind und in der Regel schneller als sechs km/h fahren, müsste man wie für andere Fahrzeug-klassen auch eine entsprechende Versicherung und einen Führerschein haben. Hinzu kämen Auflagen für Rückspie-gel, Reflektoren und Lichtanlage.

Die Fahrzeugklasse E-Floater existiert bislang nicht auf dem Papier, also dürfen sie nicht gefahren werden. Will-kommen in Deutschland. In Ländern wie der Schweiz und Frankreich haben die Behörden weniger Schwierigkeiten mit dem sogenannten Micro-Mobility-Trend.

Hierzulande indes traut sich kaum ein Investor an die Branche heran. Dabei haben auch hierzulande Startups wie Mellow Boards oder Floatility schon fertige Produkte. Selbst der Mobilitätsriese Moovel (siehe Seite 20) steht schon in den Startlöchern, um ins Sharing einzusteigen. Das Potenzial liegt darin, die letzte Meile, etwa von der Straßenbahn zum Arbeitsplatz, durch einen Service abzu-decken.

Laut Bundesverkehrsministerium soll noch in diesem Jahr eine Verordnung folgen. Verkehrsrechtlich sollen die elek-trischen Fahrzeuge dann wie Fahrräder behandelt werden und auf Fahrradwegen fahren dürfen. Erwartungsgemäß werden vielerlei Einschränkungen und Auflagen folgen.

Kritiker befürchten, dass mit den E-Floatern eine weitere Schwemme von Sharing-Fahrzeugen über die Städte hereinbre-chen wird – ähnlich wie es bei Leihrädern der Fall war. Mit dem Startschuss für die neuartigen Fahrzeuge wird für deutsche Unternehmen wahr-scheinlich auch der Konkurrenzdruck drastisch zunehmen. Bislang bewegen sich die Fahrzeuge beim Anschaffungspreis im hohen dreistelligen bis mitunter vierstelligen Bereich. Chinesische Billiganbieter warten bereits mit nur halb so teuren Angeboten auf den Markteinstieg. Hier stehen auch deutsche Investoren in der Pflicht. Um zu einem günstigeren Preis bei einer gleichbleibenden Qualität produzieren zu können, braucht es mehr Risikokapital für deutsche Unternehmen, um die Produktionsabläufe zu verbessern. Marco Weimer

Vom deutschen Markt verschwunden: die Bikes von Ofo aus China

bislang wehrlos. Laut eines Urteils des Hamburger Verwaltungsgerichts aus dem Jahr 2009 benötigen die Anbieter keine Genehmigung, um ihre Räder auf den Bürgersteig zu stellen. Nur wenn man eine feste Stati-on anbieten möchte, muss man vorher mit der Stadt reden.

Derartige Lösungen bieten zum Beispiel die Deutsche Bahn und Nextbike an. 2004 gründete Ralf Kalupner seinen Fahrradverleih und expandierte schnell. Mittlerweile bietet Nextbike seine Fahrräder in mehr als 100 Städten und auf vier Kontinenten an. Die 35.000 Fahrräder, die Nextbike anbietet, sind aber nichts gegen die Millionen an Fahrräder, die asiatische Anbieter in den letzten Monaten auf den deutschen Markt geworfen haben.

Dass das Konzept der Leihräder gut für Städte ist, bestreitet niemand. Aber sowohl der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) als auch das automobi-le Pendant, der ADAC, gehen in ihren Einschätzungen davon aus, dass Leihräder mit festen Stationen besser geeignet sind, als die sogenannten Free Floating An-gebote, bei denen man die Räder einfach beliebig auf dem Bürgersteig abstellen kann. Free Floating klingt zwar auf den ersten Blick bequemer und wird von den asiatischen Anbietern bevorzugt. Doch der Boom hat schon seine ersten Opfer gefunden. Obwohl die priva-ten Startups ihre Bikes deutlich billiger als die etab-lierte Konkurrenz anbieten, haben sich einige Proble-me angehäuft. Der Anbieter Obike aus Singapur ging in die Insolvenz. Die bisherigen Nutzer warten immer noch auf die Rückzahlung ihrer Kautionen.

Ebenfalls vom Markt verschwunden ist Ofo aus China. Nachdem man innerhalb der vergangenen Monate weltweit Millionen von Fahrrädern unter die Leute brachte, hat sich die Firma entschlossen, etliche Märkte wieder zu verlassen. Darunter ist auch das An-gebot in Deutschland. Sieger im momentanen Wett-streit scheint Mobike zu sein. Der vom chinesischen Internetanbieter Meituan-Dianping für Milliarden übernommene Fahrradverleih setzt weiter auf seine aggressive Expansionspolitik. Aber auch Mobike be-kommt demnächst Konkurrenz: von Uber. Der Rides-haring-Anbieter aus den USA will ebenfalls Fahrräder auf die Straße stellen. Wann die Marktbereinigung abgeschlossen sein wird, ist nicht absehbar. Hinzu kommt, dass sich bereits der nächste Last-Mile-Trend abzeichnet: Elektrische Tretroller. Sie könnten den Bi-ke-Sharing-Markt weiter unter Druck setzen – und die Bürgersteige noch voller werden lassen.

Text: Don Dahlmann

NGIN MOBILITY I 23

eine Verordnung folgen. Verkehrsrechtlich sollen die elek-trischen Fahrzeuge dann wie Fahrräder behandelt werden und auf Fahrradwegen fahren dürfen. Erwartungsgemäß werden vielerlei Einschränkungen und Auflagen folgen.

Kritiker befürchten, dass mit den E-Floatern eine weitere Schwemme von Sharing-Fahrzeugen über die Städte hereinbre-chen wird – ähnlich wie es bei Leihrädern der Fall war. Mit dem Startschuss für die neuartigen Fahrzeuge wird für deutsche Unternehmen wahr-scheinlich auch der Konkurrenzdruck drastisch zunehmen. Bislang bewegen sich die Fahrzeuge beim Anschaffungspreis im hohen dreistelligen bis mitunter vierstelligen Bereich. Chinesische Billiganbieter warten bereits mit nur halb so teuren Angeboten auf den Markteinstieg. Hier stehen auch deutsche Investoren in der Pflicht. Um zu einem günstigeren Preis bei einer gleichbleibenden Qualität produzieren zu können, braucht es mehr Risikokapital für deutsche Unternehmen, um die Produktionsabläufe zu verbessern. Marco Weimer

Plötzlich waren sie da. Grüne, gelbe, rote, orange, blaue und silberne Fahrräder fi elen scheinbar wie ein Insektenschwarm über die Innenstädte Deutsch-lands her. Zu Tausenden stehen und liegen die Rä-

der an Straßenecken herum und warten darauf, gemietet zu werden. Dafür muss man sich nur die Applikation des jeweiligen Anbieters auf das Smartphone laden, anmelden und losradeln. Die Fahrräder sollen den Innenstadtverkehr entlasten. So zumindest die � eorie. In der Praxis sieht das etwas anders aus. Denn das Bikesharing erlebte in den ver-

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NGIN MOBILITY I 2524 I NGIN MOBILITY

U-BAHN DER ZUKUNFT

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Die Londoner U-Bahn gilt als Vorzeigeprojekt (auch wenn dieses Foto anderes

vermuten lässt). Mehr dazu auch auf Seite 44

WO FÜHRT DAS ALLES HIN?

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NGIN MOBILITY I 2726 I NGIN MOBILITY

Es rattert schon seit ein paar Sekunden aus dem dunk-len Tunnelschacht. „Komm’ weg hier“, raunzt eine Mutter ihr Kind an und zieht den Jungen am Arm von der Bahnsteigkante am U-Bahnhof Märkisches

Museum weg. Sekunden später poltert die U2 in den Bahn-hof. Im Wagon ist es heiß, der Zug – augenscheinlich ein Mo-dell aus dem vergangenen Jahrtausend – ist überfüllt. Man kann kaum den Arm heben, um auf sein Smartphone zu schauen. Aber wozu auch? Das mobile Internet funktioniert ohnehin nur lückenweise.

Es sind Szenen wie diese, die den ein oder anderen Fahrgast zur Frage verleiten dürften, ob die U-Bahn in 50 Jahren wohl immer noch so aussehen wird. Oder vielleicht bequemer? Gibt es sogar Alternativen zum Tunnelbau unter der Erde? Einer, der es wissen muss, ist Markus Hecht. Er ist Professor am Institut für Land- und Seeverkehr der TU Ber-lin und leitet dort seit über 20 Jahren das Fachgebiet Schie-nenverkehr. Für ihn gibt es drei große Herausforderungen, die eine U-Bahn in Zukunft meistern muss: Komfort, die Bewältigung immer höherer Fahrgastzahlen und Automati-sierung. „Das Reisen mit der Metro sollte und kann komfor-tabel sein“, ist er sich sicher und geht sofort ins Detail. „Dazu gehören große, weiträumige Bahnsteige mit kurzen und be-quemen Zugängen, ununterbrochener Internetzugang auf den Bahnhöfen und in den Zügen, Leistungsfähigkeit von circa 80.000 Personen pro Stunde und Richtung sowie ein angenehmes Klima.“ Entgegen der landläufi gen Meinung sei die Energieverschwendung durch das häufi ge Ö� nen der Türen in klimatisierten Wagons zu vernachlässigen. Für Hecht ist ebenfalls klar, dass nur vollautomatisierte U-Bah-nen zukunftsfähig sind. „Der Aufenthalt in den Endstatio-nen unterscheidet sich dann nicht mehr von den Stationen unterwegs“, erklärt er. „Das heißt, der Fahrtrichtungswechsel erfolgt in Sekunden. Damit werden Fahrzeuge und Anlagen und damit Kosten gespart.“ Er betont außerdem die Vorteile von Bahnsteigtüren, die den Weg zum Gleis nur freigeben, wenn dort auch ein Zug steht. „Das führt zu hoher Zuver-lässigkeit“, so der Professor. „Niemand kann mehr ins Gleis fallen und eine Betriebsstörung verursachen.“

Züge mit Wasserstoff-AntriebAuch am Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaft-lichen Wandel (InnoZ) macht man sich Gedanken um die U-Bahn der Zukunft. Ulrike Engel-Ziegler leitet dort das Pro-jekt Smart Cities Living Lab. Was ist für sie bei der Zukunft der U-Bahn entscheidend? „Ich denke da an neue Antriebs-technologien“, sagt Engel-Ziegler. „Etwa an Hydropowered Trains oder den Hyperloop.“ Hydropowered Trains stoßen nur Wasserdampf aus. Diese Antriebsart ist oberirdisch in Deutschland bereits im Einsatz; ein Regionalzug des Fab-rikanten Alstom mit dem Wassersto� -Antrieb ist seit April 2018 in Niedersachsen auf den Schienen. Beim Hyperloop (siehe Seite 58) werden Züge durch Magnetfelder angetrie-ben. „Außerdem wird die Energiee� zienz der U-Bahn-In-frastruktur sich steigern, indem man etwa die Wärme oder

den Fahrtwind nutzt“, prognostiziert Engel-Ziegler, schiebt allerdings einen Satz hinterher, der das Potenzial von U-Bah-nen im ÖPNV-Netz der Zukunft fraglich erscheinen lassen: „Bei Neubauten sollte man sich in Zukunft Alternativen überlegen. U-Bahnen sind sehr kostenintensiv im Vergleich zu Straßenbahnen.“ An diesem Punkt widerspricht Professor Hecht deutlich. „Straßenbahnen sind zwar aktuell in Mode“, so Hecht. „Sie sind aber keine echte Alternative, da sie so viel weniger Fahrgäste transportieren können.“

Hier ein neuer Antrieb, da ein bisschen mehr Komfort und am Ende statt der U-Bahn eine Straßenbahn – ist das wirklich die Zukunft? Gibt es keine Visionen, die unterirdi-schen oder schienengebundenen ÖPNV radikal neu erfi n-den wollen? Keine Utopien, so futuristisch, dass man kaum glauben mag, sie könnten tatsächlich Realität werden?

Doch, es gibt sie. Zum Beispiel in den Vereinigten Arabi-schen Emiraten. In der Hauptstadt Abu Dhabi wird seit 2008 eine futuristische Öko-Stadt aus dem Boden gestampft. Mas-dar heißt das Projekt, das ursprünglich bereits 2017 fertigge-stellt sein sollte, jedoch seit mehreren Jahren stockt. Einige Gebäude stehen allerdings bereits, und ebenso sind Teile des Personenbeförderungssystems zu besichtigen. Es ist ein unterirdisches Verkehrssystem, das auf der Internetseite des Projekts mit diesen Worten beschrieben wird: „Ein fahrerlo-ses, Peer-to-Peer-Personenbeförderungssystem.“ Dieses Ver-kehrsnetz der niederländischen Firma 2getthere besteht aus

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In der Stadt Masdar in den Vereinten Arabischen Emiraten soll ein Netz aus kleinen autonom fahrenden Kabinen betrieben werden (l.), das Projekt SkyTran will Kapseln über der Straße schweben lassen (o.). Siemens arbeitet an individualisierbaren Waggons

kleinen, elektrisch betriebenen Kabinen, deren Fahrtziel der jeweilige Fahrgast aus einem Netz von unterirdischen Bahn-höfen bei jeder Fahrt und ohne Zwischenstopp selbst wählen kann – damit ist es kein klassischer ÖPNV, sondern ein soge-nanntes Personal-Rapid-Transit-Netz (PRT) – eine Mischung aus Indiviual- und ö� entlichem Verkehr. Ähnlich funktio-niert das futuristisch anmutende Projekt SkyTran. Hier fah-ren Ei-förmige Kapseln nicht unter der Erde, sondern gleiten von Magnetkraft angetrieben einige Meter über der Straße, aufgehängt an Stahlschienen. Fahrgäste können die Kapseln per App an Bahnhöfe bestellen, von dort aus können sie das Ziel selbst bestimmen.

Durchbruch im Transportsektor Eine Teststrecke des SkyTran existiert in Tel Aviv. Das Un-ternehmen arbeitet mit der US-Raumfahrtbehörde NASA zusammen. Auf Nachfrage von NGIN Mobility teilt SkyTran mit, dass in den kommenden Jahren die ersten SkyTrans in Betrieb gehen sollen. „Das ist keine Alternative für die ferne Zukunft, sondern ein Durchbruch im Transportsektor, der höhere E� zienz und Lebensqualität in den nächsten paar Jahren ermöglichen wird“, heißt es von dem Unternehmen.

An eine Technologie, die den Schienenverkehr „revolu-tionieren“ soll, feilen auch Ingenieure bei Siemens. Gemein-sam mit der RHTW Aachen haben sie in dem Projekt Future Train ein Fahrzeug entwickelt, das den Individual- und den

„BEI DER ZUKUNFT DER U-BAHN SIND NEUE ANTRIEBSTECHNOLOGIEN ENTSCHEIDEND“

ULRIKE ENGEL-ZIEGLER, LEITERIN DES PROJEKTS SMART CITIES LIVING LAB

Schienenverkehr kombinieren soll. Dabei geht es um einen rund zwölf Meter langen Wagon, der mit 3D-Druck in Serie hergestellt werden kann. Er kann dem bestehenden Schie-nennetz fahren und sich intelligent mit anderen Fahrzeu-gen abstimmen. So soll das Netz mit maximaler E� zienz ausgenutzt werden. Das Automated Nano Transport System (ANTS) ist allerdings bisher weniger für den ÖPNV als für den Fernverkehr gedacht.

Und bis Ei-förmige Kapseln über und elektrische Kabi-nen unter den Straßen deutscher Städte fahren, ist eine au-tonome U-Bahn mit funktionierendem Internet-Empfang ja vielleicht ein guter, nächster Schritt.

Text: Thorsten Mumme

Es gibt futuristische Ansätze, den U-Bahn-Verkehr in Städten neu zu organisieren. Doch in Deutschland rechnen Experten eher mit kleinen Schritten

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28 I NGIN MOBILITY

DEUTSCHE BAHN

DIE FRAU FÜRS DIGITALESabina Jeschke ist im November vergangenen Jahres zum Digitalvorstand der Deutschen Bahn aufgestiegen. Ihre wichtigste Aufgabe? Sie soll den früheren Staatskonzern moderner machen. Denn innovativ wirkt er nicht – wie Jeschke selbst sagt

Erst Professorin, jetzt Digitalchefi n bei der Deutschen

Bahn: Sabina Jeschke

Dorothee Bär”, steht auf dem Post-it. Eines von vie-len, die in Neongelb, Pink und Grün an die Schei-ben des Büros im 24. Stock der Konzernzentrale der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz kleben.

Als Staatsministerin für Digitales zähle Doro Bär zu jenen Persönlichkeiten, mit denen sie sich an einen Tisch setzen wolle, erläutert Jeschke.

Sabina Jeschke ist im November 2017 zum Digitalvor-stand der Deutschen Bahn berufen worden. Sie soll den früheren Staatskonzern moderner und digitaler machen. Die 50-Jährige sagt: „Die Bahn sieht nach außen nicht ge-rade innovativ aus.” Das will sie ändern. Dafür ist sie von der RWTH Aachen, wo sie zuletzt mehrere Jahre lehrte und forschte, nach Berlin gewechselt.

Nun ist Jeschke also per Amt dafür zuständig, allen zu zeigen, dass sich bei der Bahn etwas tut in Sachen Digitali-sierung. Post-its in schrillen Farben sind der Anfang. Selbst

beschreibt die promovierte Informatikerin und Professorin für Maschinenbau ihre

Aufgabe so: Sie wolle „die Nerd-Commu-nity mit den Ingenieuren im Konzern

zusammenführen”, das Know-how aus 180 Jahren Eisenbahn-Erfahrung

mit den neuen Technologien ver-binden. Was treibt Sabina Jeschke an? Sie ist in einer kleinen schwe-

dischen Stadt in der Nähe von Göte-borg geboren. Noch heute ist sie dem

Land eng verbunden, hegt für

die schwedische Fußball-Nationalelf mindestens genauso viel Sympathie wie für die deutsche. Noch immer hat sie einen Wohnsitz in Schweden, verbringt so oft wie möglich ihre freie Zeit in dem Haus, das sie besitzt. Allzu oft wird sie dort in nächster Zeit wohl nicht sein können. Ihre Aufgaben-liste bei der Bahn ist lang. Sie soll smarte Ru� usse auf die Straße bringen. Lkw durch intelligentes Pooling miteinan-der vernetzen, dafür sorgen, dass das WLAN im ICE funkti-oniert. Und mittels Künstlicher Intelligenz die Bahn endlich pünktlicher werden lassen.

Für viele Bahner sind diese � emen längst überfällig. Sie nicken zustimmend, wenn die wortgewandte Professo-rin von Künstlicher Intelligenz, großen Datenmengen und Robotics spricht. Doch es gibt auch Kritiker, die das alles für modernen Quatsch halten und fi nden, dass man sich bei der Bahn stattdessen auf das Kerngeschäft konzentrieren sollte. Gegenwind ist die energische Professorin gewöhnt. In der Wissenschaft gehe es mitunter auch rau zu, aus dieser Zeit habe sie ein dickes Fell mitgenommen, sagt sie. Persönlichen Angri� en gebe sie keinen großen Raum.

Groß ist jedoch die Aufgabe, die vor ihr liegt. Aus dem Silicon Valley drängen Unternehmen auf den Markt, die der Bahn gefährlich werden könnten. Uber, Google, Waymo und andere bedrohen das Geschäftsmodell. Und in China bringt sich der chinesische Internetkonzern Alibaba in Stellung. Alle wollen künftig das Reisen von Tür zu Tür vereinfachen. Setzen sich die Wettbewerber durch, wird die Bahn ihren Zugang zum Kunden verlieren. Sie würde zwar weiterhin den Transport organisieren. Die Tickets aber würden dann andere verkaufen – und die Bahn damit zum digitalen Zulie-ferer herabsetzen. Das will Jeschke nicht zulassen und bean-

sprucht mit der Bahn „die Technologieführerschaft in der Mobilitätsbranche“.

Dafür sucht sie Verbündete. Innerhalb des Kon-zerns, in der Industrie, bei Startups – und in der Politik.

Da verwundert es wenig, dass ein Tre� en mit der von Flugtaxis träumenden Staatsministerin für Digitales,

Dorothee Bär, ganz oben auf ihrer To-do-Liste steht.

Mobilität in Deutschland:Au� ruchsstimmung oder Traditionsliebe?Durch das autoverliebte Deutschland geht ein Ruck. Selbst die größten Pkw-Liebhaber merken mittlerweile: Sich mit dem eigenen Auto tagtäglich durch die Blechlawinen auf den Straßen zu manövrieren – so funktionierenGroßstädte einfach nicht mehr. Stau, Abgase und Lärm sind ständige Beglei-ter, Stress und physische Beschwerden oft die Folgen. Aber es gibt einen Lichtblick, denn tatsächlich ist laut Umweltbundesamt die Mehrheit der Autofahrer bereit, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen. Die Frage ist: Warum machen sie es nicht?

Autofrei ist kein Umweg – braucht aber die PolitikSich intelligent vernetzt und entspannt den Weg durch den Großstadt- Dschungel zu bahnen, ist tatsächlich einfacher, als viele meinen. Zumindest in Zukunft. Das Stichwort lautet Multimodalität, die Kombination mehrerer Verkehrsmittel. Für mehr als ein Viertel der deutschen Stadtbewohner ist sie schon jetzt Realität, wie Zahlen des Verkehrsclubs Deutschland belegen. Die ersten Auswirkungen dieses Mindsets sieht man bereits in Metropolen wie Berlin, in denen Sharing-Systeme von Autos und Fahrrädern fester Bestandteil des Big City Life sind. „Nutzen statt Besitzen” lautet die Devise, die nicht nur die Umwelt entlastet, sondern auch dabei hilft, wieder Ruhe und Raum in das urbane Tohuwabohu zu bringen. Doch damit selbst die Autoverrücktesten den eigenen Pkw stehen lassen, muss die Infrastruktur stimmen. Gefordert werden neben besseren Voraussetzungen zum Fahrrad-fahren auch der Ausbau des ÖPNV-Angebots.

In der City 4.0 sind Umwelt und Mobilität VerbündeteWas ist in Sachen futuristische Metropolen-Mobilität alles denkbar? Sammeltaxis, die auf Bestellung kommen, sollen zukünftig dabei helfen, überfüllte Straßen zu einem Relikt vergangener Zeiten zu machen. Städte könnten mit unkonventionellen Transportmitteln wie Flugautos und Taxi-drohnen die Lüfte erobern. Zudem sollen die wenig genutzten Wasserwege die Großstädter durch autonome Transportkapseln vom Auto weglocken. Die Krux liegt darin, dass entsprechende Anbieter auch umweltfreundliche Antriebe nutzen und auf Elektro statt Benziner, auf Hybrid statt Diesel setzen müssen. Doch dafür braucht es nicht nur den Veränderungswillen von Branchenriesen und innovative Startup-Konzepte, sondern auch eine kluge Stadtentwicklungspolitik. Denn die multimodale City 4.0 funktioniert nur dann, wenn Mobilität und Infrastruktur Hand in Hand gehen.

Innovationen in Verkehr, Logistik und Infrastrukturen hautnah erlebenWie neue Mobilitätskonzepte Innenstädten wieder zu mehr Raum und Ruhe verhelfen, wird zum zweiten Mal auf der Hypermotion diskutiert, der Veranstaltung für intelligente Transportsysteme der Zukunft. Vom 20. bis 22. November 2018 geht es in Frankfurt darum, wie Startups die Mobility- Szene aufmischen, was der ÖPNV von morgen besser machen muss und wie die Stadtlogistik revolutioniert werden kann.

Mehr Informationen unter:www.hypermotion.com

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Platz da! Innenstädte bekommen die Schattenseiten des Verkehrs ganz besonders zu spüren. Wie können sie wieder an Rast, Raum und Ruhe gewinnen?

Text: Jana Kugoth

28 I NGIN MOBILITY

Erst Professorin, jetzt Digitalchefi n bei der Deutschen

Bahn: Sabina Jeschke

rade innovativ aus.” Das will sie ändern. Dafür ist sie von der RWTH Aachen, wo sie zuletzt mehrere Jahre lehrte und forschte, nach Berlin gewechselt.

Nun ist Jeschke also per Amt dafür zuständig, allen zu zeigen, dass sich bei der Bahn etwas tut in Sachen Digitali-sierung. Post-its in schrillen Farben sind der Anfang. Selbst

beschreibt die promovierte Informatikerin und Professorin für Maschinenbau ihre

Aufgabe so: Sie wolle „die Nerd-Commu-nity mit den Ingenieuren im Konzern

zusammenführen”, das Know-how aus 180 Jahren Eisenbahn-Erfahrung

mit den neuen Technologien ver-binden. Was treibt Sabina Jeschke an? Sie ist in einer kleinen schwe-

dischen Stadt in der Nähe von Göte-borg geboren. Noch heute ist sie dem

Land eng verbunden, hegt für

Sie nicken zustimmend, wenn die wortgewandte Professo-rin von Künstlicher Intelligenz, großen Datenmengen und Robotics spricht. Doch es gibt auch Kritiker, die das alles für modernen Quatsch halten und fi nden, dass man sich bei der Bahn stattdessen auf das Kerngeschäft konzentrieren sollte. Gegenwind ist die energische Professorin gewöhnt. In der Wissenschaft gehe es mitunter auch rau zu, aus dieser Zeit habe sie ein dickes Fell mitgenommen, sagt sie. Persönlichen Angri� en gebe sie keinen großen Raum.

Groß ist jedoch die Aufgabe, die vor ihr liegt. Aus dem Silicon Valley drängen Unternehmen auf den Markt, die der Bahn gefährlich werden könnten. Uber, Google, Waymo und andere bedrohen das Geschäftsmodell. Und in China bringt sich der chinesische Internetkonzern Alibaba in Stellung. Alle wollen künftig das Reisen von Tür zu Tür vereinfachen. Setzen sich die Wettbewerber durch, wird die Bahn ihren Zugang zum Kunden verlieren. Sie würde zwar weiterhin den Transport organisieren. Die Tickets aber würden dann andere verkaufen – und die Bahn damit zum digitalen Zulie-ferer herabsetzen. Das will Jeschke nicht zulassen und bean-

sprucht mit der Bahn „die Technologieführerschaft in der Mobilitätsbranche“.

zerns, in der Industrie, bei Startups – und in der Politik. Da verwundert es wenig, dass ein Tre� en mit der von

Flugtaxis träumenden Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär, ganz oben auf ihrer To-do-Liste steht.

Text: Jana Kugoth

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„UNSERE APRILSCHERZE SIND ALLE WAHR GEWORDEN“

APRILSCHERZE

FLIXTRAIN

Fabian, seit April fährt euer erster Zug zwischen Stuttgart und Berlin. Welche Streckenerweiterungen werden folgen?Unser Plan für 2019 ist die Strecke Köln-Berlin sowie Mün-chen-Berlin. Auf dem Weg müssen wir noch das Problem bewältigen, dass die DB Netz die Trassen fi nal bestätigt. Denn es scheint, als würde die Deutsche Bahn Flixtrain als Wettbewerber nicht willkommen heißen. Die von der DB Netz vorgeschlagenen Trassen sind für private Bahnanbieter sehr schwer wirtschaftlich zu betreiben. Wir beanstanden dies nun bei der DB Netz und gehen von einer Prüfung durch die Bundesnetzagentur aus. Eine weitere Herausforde-rung ist es, Züge zu bekommen.

Bei der Strecke Berlin-Stuttgart konntet ihr auf die Züge und das Personal von Locomore zurückgreifen. Wie wollt ihr die neuen Strecken besetzen?Ein Beispiel vorweg: Wenn ein Fußballverein Auswärtsspiele hat, dann kann man dafür gesonderte Züge mieten. Da gibt es einige wenige Anbieter, die Sonderzüge vermarkten. Mit denen sprechen wir. Außerdem reden wir mit Leuten aus dem Güterbereich. Da gibt es Leute, die wissen, wie man Züge fährt. Die transportieren aktuell noch keine Menschen. Den wollen wir aber eine Möglichkeit bieten, in diesem Markt einen Fuß in die Tür zu bekommen. Die hätten es sich nicht getraut, alleine gegen die Deutsche Bahn ein Angebot auf die Schiene zu setzen.

Woher bekommt ihr das Fahrpersonal?Wir suchen Leute, die das Ziel haben, den Kunden gut zu betreuen. Das ist nicht zwingend der DB-Mitarbeiter. Wenn wir von Service-Personal sprechen, dann gibt es in der

Hotel-Branche genügend gute Leute, die für diesen Job qua-lifi ziert sind. Aber am Ende sind es nicht wir, die die Leute anstellen, sondern unser Partner.

Mit eurem Partner Leo Express, einem tschechischen Bahnbetreiber, habt ihr Locomore übernommen.Wer kauft die neuen Züge?Wir evaluieren mit unseren Partnern verschiedene Möglich-keiten. Der Markt ist relativ klein. Und es ist ja nicht gerade so, dass die Deutsche Bahn ihre Züge im Internet verkauft – naja, zumindest vermutlich nicht an uns.

Als ich bei der Testfahrt von Berlin nach Köln dabei war, funktionierte weder das WLAN noch die Steckdosen in meinem Abteil. Welche Probleme müssen als Nächstes angegangen werden?Ich glaube, im ersten Schritt geht es darum, operativ alles auf die Beine zu stellen. Wir haben das Angebot verdoppelt und werden das gesteckte Ziel von 500.000 Passagieren für 2018 bei weitem übertre� en. Das muss man auch erstmal organisatorisch hinbekommen. Das brennt uns als Erstes unter den Nägeln. Daneben haben wir aber natürlich auch den Anspruch, das Produkt stetig weiterzuentwickeln. Aktu-ell sind wir aber auf das Material angewiesen, das wir haben. Wir schauen aber, wie wir das weiterentwickeln können. Wir investieren zurzeit viel Geld in die Pop-up-Stores, die wir nun in Stuttgart, Düsseldorf oder Berlin haben, um das Produkt noch bekannter zu machen. Es ist noch nicht bei jedem durchgedrungen, dass es Flixtrain als Konkurrenz-angebot zur Bahn gibt. An dem Bekanntheitsproblem arbeiten wir.

Ihr seid ein digitales Unternehmen. Warum baut ihr plötz-lich analoge Ticketstände in den Bahnhöfen auf ? Geht es da nur um die Bekanntheit?Wie der Name schon sagt, sind es Pop-up-Stores, die nur für eine beschränkte Zeit dort stehen. Aktuell werden wir nicht über Bahn.de vertrieben. In dem typischen Zugangsportal, wo der Kunde nach Bahnangeboten sucht, sind wir zwar ge-listet, aber man kann keine Tickets von uns kaufen. Weil wir darüber auch nicht sonderlich gut zu fi nden sind, müssen wir mit den Stores die Leute vor Ort abholen, und versuchen sie mit dem Produkt Flixtrain in Kontakt bringen.

Wie sieht es mit anderen Vermittlungsplattformen wie Trainline und GoEuro aus?Das sind Wettbewerber zu unserem Produkt. Wir sind ein Digital-Unternehmen und damit gewissermaßen auch eine Plattform. Aber wir sind auch deutlich mehr als das. Nach außen hin werden wir als Ticketplattform wahrgenommen. Aber wir sind so tief in die Branche integriert, dass wir auch das Bus- und Zugnetz aufeinander abstimmen, um dem Kunden ein konsistentes Angebot zu bieten. Wir überneh-men Netz- und Angebotsplanung, die Weiterentwicklung der Produkte, Betriebssteuerung, Kundenservice und vieles mehr. Das ist bei den Konkurrenzangeboten nicht der Fall.

Du hast eben angesprochen, dass ihr mit Leuten aus dem Güterverkehr zu tun habt. Gibt es eventuell Bemühungen, in den Logistik-Markt einzusteigen?Das ist bisher nicht unser Fokus. Wir wollen Menschen von A nach B befördern und ein tolles Erlebnis generieren. Es ist einfach etwas anderes, einen Karton als eine Person zu beför-

dern. Wir haben uns aber schon das ein oder andere dahinge-hend angeschaut. Es gab in der Vergangenheit Piloten, etwa auf der Busstrecke Hamburg-Berlin. In Zusammenarbeit mit dem Startup Sennder haben wir damals Pakete befördert.

Warum habt ihr die Zusammenarbeit nichtweiter verfolgt?In der Startup-Phase war es für sie super, um in den Markt reinzukommen. Am Ende sind sie von den Bussen aufLkw umgeschwenkt, da wir es mit unseren Bussen nicht mehr stemmen konnten. Aber es war gut, das Projekt anzu-schieben.

Wann kommt eigentlich Flixplane – war das nur ein Aprilscherz? Die Domain habt ihr euch ja schon gesichert.Wenn man uns kennt, dann weiß man, dass alle Aprilscherze bisher wahr geworden sind. Tatsächlich standen und stehen Flugzeuge aber nicht auf dem Plan. Mit Flix2fl y schauen wir aber, wie Menschen kostengünstig zum Flughafen kommen können. Wir fühlen uns auf dem Boden sehr wohl.

Kurz vor Redaktionsschluss wurde bekannt, dass Flixtrain Ende Juli gegen die Deutsche Bahn Klage eingereicht hat. Das Münchner Startup wirft dem Konzern unlauteren Wettbewerb vor. Demnach habe das Webportal Bahn.de keine Preise für Flixtrains angezeigt, fehlerhafte Fahrpläne gelistet und keine Buchungsmöglichkeit eingebunden. Das Startup ziehe zudem in Erwägung, gegen die DB Netz zu klagen, da sich das Unterneh-men bei der Trassenvergabe benachteiligt sieht.

Text: Marco Weimer, Foto: Chris Marxen

Hat den Kunden „viel stärker im Fokus als die Konkurrenz”: Flixtrain-Geschäftsführer

Fabian Stenger in grüner Flixtrain-Jacke

Fehlende Züge, ausstehende Genehmigungen für neue Strecken und auch ander Bekanntheit mangelt es noch: Von außen betrachtet wirkt der Start fürFlixtrain etwas holprig. Geschäftsführer Fabian Stenger sieht die Hindernisseals Herausforderung – und denkt schon in anderen Größenordnungen

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NGIN MOBILITY I 3332 I NGIN MOBILITY

E-BUSSE

WARTEN AUF DEN E-BUS AUS

DEUTSCHLANDUnternehmen aus dem Ausland verkaufen seit acht Jahren

batteriebetriebene Busse für den Stadtverkehr. Deutsche Autobauer hinken bei dem Thema hinterher

Elektrobusse sind keine Neuheit. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts führte Werner von Siemens seine Kut-sche an Stromleitungen entlang – der Vorreiter für den Oberleitungsbus, der noch heute den Verkehr

vieler osteuropäischer Städte prägt. Die neue Generation von E-Bussen sieht allerdings anders aus: Anstelle von Ka-beln liefern Batterien die nötige Energie.

Weltweit sind rund 385.000 solcher Fahrzeuge im Ein-satz, 99 Prozent davon in China. Dort sitzt auch einer der Pioniere und Marktführer für Batteriebusse: Build Your Dre-am (siehe Seite 62). Den ersten Wagen hat das Unternehmen 2010 auf die Straße gestellt. Mittlerweile arbeitet das Unter-nehmen an reichweitenstärkeren Modellen mit mehr Batteri-eleistung. So weit sind die deutschen Autobauer längst nicht. Der Daimler-Bus Citaro wird seit dem Frühjahr getestet und soll voraussichtlich 2019 auf den Markt kommen. MAN will erst 2020 mit der Serienproduktion seines E-Busses starten.

Noch kämpfen die Autobauer immer wieder mit den-selben Problemen. Sowohl die europäischen als auch die chinesischen Hersteller versprechen, dass ihre Fahrzeuge mindestens 150 Kilometer auf der Straße bleiben können, bis der Akku geladen werden muss. Langstrecken lassen sich so nicht realisieren. Daimlers Citaro-Bus könne nur etwa 30 Prozent aller Fahrten abdecken, die städtische Verkehrsbe-triebe üblicherweise anbieten, so der Stuttgarter Autobau-er. Das Problem: In den kalten sowie heißen Monaten steigt der Energiebedarf aufgrund der Klimaanlage. Einige Her-steller empfehlen daher eine Dieselheizung. Ist die Klimaan-lage nicht im Einsatz, können die Busse bis zu 300 Kilometer hinlegen. Die Akkuleistung hängt aber auch vom Brems- und Beschleunigungsverhalten der Fahrer ab. Tritt der Fah-

rer auf das Bremspedal, wird die dabei erzeugte Bewegungs-energie im Idealfall in elektrische Energie umgewandelt und in die Batterie eingespeist. Der Fahrer muss seine Fahrweise dementsprechend anpassen und energiesparender fahren. Durch ein hektisches Abwechseln von Vollgas und Bremse leert er den Akku beispielsweise schneller und reduziert so die Reichweite.

BYD hat obendrein noch mit weiteren Pannen zu kämpfen. Einem Medienbericht zufolge bleiben die bat-teriebetriebenen Fahrzeuge häufi g an Hügeln stehen, da die Leistung zu schwach ist. Die Reichweite lag bei vielen Testfahrten bei weniger als der Hälfte, sodass die Akkus öfter geladen werden mussten. Obendrein benötigen die Elektromodelle mehr Service als ältere BYD-Dieselbus-se, was zu höheren Reparaturkosten führt. Die ersten fünf Fahrzeuge des chinesischen Herstellers, die die Verkehrs-gesellschaft von Los Angeles eingesetzt hat, mussten da-her nach knapp fünf Monaten wieder abgesetzt werden. Die selbst auferlegten Dieselfahrverbote zwingen die deut-schen Städte jedoch dazu, mittelfristig auf E-Mobilität um-zusteigen. Hamburg will ab 2020 nur noch Batteriebusse kaufen. Die Berliner Verkehrsbetriebe wollen ihre Busfl otte bis 2030 vollständig auf Elektrobetrieb umstellen.

Innerhalb von drei bis vier Jahren sollen sich die Kos-ten für einen Elektrobus amortisieren. Rund 380.000 bis 700.000 Euro kostet ein Bus je nach Anbieter und Modell, doppelt so viel wie ein Dieselbus. Immerhin: Das Umwelt-ministerium bezuschusst die Anscha� ung von mehr als fünf Bussen mit bis zu 80 Prozent des Kaufpreises.

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VOLVOSitz: Göteborg, SchwedenKilometer: 150 bis 200 Markteintritt: 2017Maximale Passagierzahl: 85 bis 135Batteriekapazität: 150 bis 250 kWh

MANSitz: München, DeutschlandKilometer: 200Markteintritt: geplant 2020Maximale Passagierzahl: 29 bis 125Batteriekapazität: 480 bis 640 kWh

YUTONGSitz: Zhengzhou, ChinaKilometer: 100 bis 300Markteintritt: 2015Maximale Passagierzahl: 59 bis 92Batteriekapazität: 60 bis 295 kWh

LINKKERSitz: Espoo, FinnlandKilometer: 50 bis 300Markteintritt: 2016Maximale Passagierzahl: 80Batteriekapazität: 55kWh

SOLARISSitz: Owińska, PolenKilometer: 150 bis 200 Markteintritt: 2011Maximale Passagierzahl: 24 bis 76Batteriekapazität: 58 bis 240 kWh

DAIMLERSitz: Stuttgart, DeutschlandKilometer: 150 bis 250Markteintritt: geplant 2019Maximale Passagierzahl: 88Batteriekapazität: 43 kWh

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Text: Lisa Ksienrzyk

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NGIN MOBILITY I 3534 I NGIN MOBILITY

SOFTBANK

MIT 100 MILLIARDENDOLLAR ÜBERALL DABEISoftbank ist innerhalb von kurzer Zeit zum globalen Player der Mobilitätsbranche aufgestiegen.Wohin steuert der Konzern mit Uber, Didi und Co.?

Softbank ist in Startups auf der ganzen Welt investiert

Jeder Gründer muss ihm einmal in die Augen schau-en. Erst dann entscheidet Masayoshi Son, ob er in ein Startup investiert. Während bei anderen großen Fonds oft ein Investmentkomitee die Entscheidung

im Hintergrund tri� t, hat bei Softbank der Chef selbst das letzte Wort. Nach dem Tre� en mit Son sei so mancher milli-onenschwere Deal noch geplatzt, erzählte David � evenon, Partner bei Softbank, kürzlich auf einer Bühne.

Auch sonst ist der Unternehmer Son alles andere als ge-wöhnlich: Bei Pizza und Cola machte er einen der wichtigs-ten Deals seiner Karriere. Er investierte in einer frühen Pha-

se 30 Millionen Dollar in ein junges Unternehmen namens Yahoo. Damals hielten ihn die Gründer noch für verrückt. Bei einem Imbiss redet Masayoshi Son gerne über wichtige Geschäfte, so wird es sich erzählt.

Etikette? Regeln? Für den Softbank-Chef gelten sie nicht. Sein Vision Fund – gefüllt mit 100 Milliarden Dollar – ordnet gerade die Digitalszene neu, in dem er sich bei fast allen aussichtsreichen Startups der Welt einkauft. 100 Milli-onen pro Investment, mindestens. Gerade in der Mobilitäts-branche hat Son sich ausgetobt: In mehreren wichtigen Ri-dehailing-Startups steckt sein Geld, der prominenteste Fang

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36 I NGIN MOBILITY36 I NGIN MOBILITY

Softbanks Vision FundVOLLER EINSATZMit seinem Vision Fund will Softbank zwischen 80 und 100 Unternehmen fi nanzieren, dabei fließen pro Startup mindestens 100 Millionen Dollar. Insgesamt 80 Investoren beschäftigt der Fonds, der mit 100 Milliarden Dollar gefüllt ist. Softbank-Chef Masayoshi Son bringt derweil bereits einen zweiten Geldtopf in ähnlicher Größe ins Gespräch. Softbank hat es vor allem auf Tech-Unternehmen mit großem Potenzial abge-sehen: „Ich habe nicht die Absicht, kleine Wetten abzuschließen”, sagte Son einmal vor Investoren.

men. Es sei nicht das Geld gewesen, das sie überzeugt habe, sagt Misra. Sondern das Portfolio. „Uns gehört jedes andere Ridesharing-Unternehmen in der Welt.“ So könnten sich Sy-nergien ergeben. Im Frühjahr hat Uber dann sein Südostasi-en-Geschäft an Grab verkauft. Weitere Aktionen des Peace-makers könnten folgen.

Synergien ist das Wort, das auch Masayoshi Son immer wieder zur Sprache bringt. Demnach wird Softbank als Mo-bilitätsakteur seine Kraft erst in den kommenden Jahrzehn-ten entfalten. Das Kalkül: Mit der Technologie wächst die Macht. Das Unternehmen ist nämlich an mehreren Startups beteiligt, die an der Technik für autonomes Fahren arbeiten. Beispielsweise Mapbox, das mit seinen Karten einen wichti-gen Bestandteil für die selbstfahrenden Autos liefern könnte. Oder Nauto, das an Kameras für Autos arbeitet.

Leicht lässt sich diese Komponente in die Welt des Ri-desharings einfügen: Lenken erst die Autos von Uber und Ola ohne einen Fahrer durch die Stadt, entwickelt das Ge-schäftsmodell seine volle Kraft. An diesen Tag denken die Investoren bereits heute.

Die Vision ist es, noch weitere Angebote an das Rides-haring anzudocken. Etwa Essensauslieferungen. Uber ist bereits in diesem Bereich aktiv und lässt mit Uber Eats von seinen Fahrern Pizza und Sushi ausfahren. Softbank hat be-reits ebenfalls mehrere Beteiligungen, die dazu passen. Etwa Doordash aus den USA.

Wirklich klar lässt sich dieses Bild von einem neuen Mo-bilitätsunternehmen noch nicht fassen. Schließlich ist noch ungewiss, welches Geschäftsmodell sich durchsetzt. Klar ist, Softbank wird bei der Mobilität der Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Es gibt für die Konstruktion auch ein Wort: Keiretsu. So heißen die traditionellen japanischen Konglo-merate wie Mitsubishi und Kawasaki. Mischkonzerne mit enormer Power, weltweit bekannt für ihre Fahrzeuge. Soft-bank wird der erste Keiretsu der neuen Mobilität sein, der keine Autos mehr produziert, sondern an den wichtigsten globalen Playern beteiligt ist.

„ICH HABE NICHT DIE ABSICHT,

KLEINE WETTEN ABZUSCHLIESSEN“

MASAYOSHI SON, SOFTBANK-GRÜNDER

Text: Caspar Tobias SchlenkGrafi k: Jana Hormann

ist Uber. Andere Unternehmen aus dem Portfolio tüfteln un-terdessen an der Technik für selbstfahrende Autos. Was hat Softbank als neuer Mobilitätsriese vor?

Nach außen ist die Strategie noch weitgehend eine Black-box. Die Partner des Fonds treten selten auf. Mobility-Exper-ten und Wagniskapitalgeber reden viel über die Strategie des neuen Players, bislang aber eher hinter vorgehaltener Hand.

In das komplizierte Bild lässt sich auch nur schwer Ord-nung bringen. Denn: Softbank hat im Ridehailing-Markt auf konkurrierende Anbieter gesetzt. Es ist gleich parallel bei den Platzhirschen Uber, dem chinesischen Anbieter Didi, bei Grab in Südostasien, 99 in Brasilien und Ola in Indien investiert. Statt Taxis bieten die Unternehmen ein Netz an Fahrern an, die sich einfach per App rufen lassen. Millionen von Menschen nutzen den Service jeden Tag.

In ihren Heimatmärkten sind die Softbank-Beteiligun-gen führend. Doch in anderen Regionen der Welt bekämpfen sie sich erbittert. Beispielsweise in einem Zukunftsmarkt wie Indien konkurrieren Ola und Uber um die Vorherrschaft. In Kenia ist es Taxify gegen Uber. Großer Investor bei Taxify ist wiederum das chinesische Unternehmen Didi. In dem wichtigen Markt China haben sich Uber und Didi geeinigt, allerdings schon vor dem Softbank-Investment in Uber. Das US-Startup verkaufte seine Sparte an Didi.

Bei einem der seltenen Auftritte sagte die Softbank-In-vestorin Lydia Jett auf einem Panel: „Wir werden mehr Wettbewerb im Portfolio sehen.“ Softbank wolle die Unter-nehmen aber nicht zwingen zusammenzuarbeiten. Trotz dieser Aussage heißt es unter Investoren, Softbank trete als Peacemaker in diesen komplizierten Markt ein – und werde versuchen, Deals zwischen den Konkurrenten auf den Weg zu bringen. Kein Investor mag es, wenn ein Wettbewerb auf beiden Seiten mit dem eigenen Geld befeuert wird.

Lange sah es so aus, als würde Softbank vor allem auf die Uber-Konkurrenz setzen. Erst als Letztes stieg das Unter-nehmen bei Uber ein. Mehrere Monate musste Rajeev Misra, der Chef des Vision Fund, den Uber-Beirat und das Startup überreden, dass sie die acht Milliarden Dollar von ihm neh-

City reloadedStaus auf den Straßen, Abgase in der Luft, kaum freie Parkplätze und jede Menge Lärm: Die großen Städte dieser Welt zeigen sich nicht unbedingt von ihrer schönsten Seite. Was nun? Klar ist jedenfalls: In urbanen Ballungsräu-men müssen wir die Notbremse ziehen und innovative Konzepte au� ahren, damit wir uns wieder sicher und sauber von A nach B bewegen können. Eine gute Lösung zur Vermeidung des sich anbahnenden Verkehrskollapses ist die Vernetzung des ÖPNV mit zusätzlichen Angeboten wie beispielsweise Carpooling-, Shuttle- und Sharing-Diensten. Diese multimodale Mobilität trägt dazu bei, dass der Bedarf an privaten Pkw sinkt, diese peu à peu aus dem Stadtbild verschwinden – und es so mehr Platz gibt für Grünflachen und Radwege. Für die Mobilitäts- und Energiewende müssen außerdem mehr Elektroautos auf die Straßen. Sie entlasten nicht nur die Umwelt, sondern sorgen auch für Ruhe. Noch sind E-Autos aber eher Hingucker als Tempomacher, was die Mobilität aus der Steckdose betri� t. Carsharing könnte das ändern.

Carsharing: Impulsgeber für den Durchbruch der Elektromobilität?Vollelektrische Carsharing-Flotten spielen beim Plan E eine ganz besondere Rolle. Denn der parallele Aufbau von Ladeinfrastruktur und steigender Nachfrage nach urbaner Elektromobilität durch E-Carsharing löst das Henne-Ei-Problem des Pkw-Stadtverkehrs der Zukunft. Je öfter wir elektrisch fahren, desto mehr Ladepunkte werden benötigt – Elektroflotten stellen hier eine sinnvolle Auslastung der Ladesäulen sicher.

E-Carsharing baut zudem Berührungsängste mit Elektroautos ab. Einfach mal ausprobieren, batteriebetrieben zu fahren und so die Alltagstauglich-keit erfahren: Im urbanen Raum bestehen die Fahrzeuge den Praxistest allemal. Im Idealfall überzeugt uns das so sehr, dass wir komplett beim elektrischen Carsharing bleiben – oder zumindest nur noch E-Autos kaufen.Darüber hinaus ist E-Carsharing der ultimative Leitungstest für eine zukunftsfähige Elektromobilität, da die Batterien und Antriebstechnologien durch den täglichen Gebrauch ziemlich beansprucht werden. Die Fahrzeuge liefern wichtige Daten zur Weiterentwicklung der Technik. Neu gewonnene Erkenntnisse helfen Netzbetreibern oder Hardware-Herstellern bei der Verbesserung ihrer Produkte. Und nicht zuletzt bietet E-Carsharing das optimale Testumfeld für die Weiterentwicklung von angedockten Elektro- konzepten – man denke nur an die smarte Kommunikation zwischen Autos und Ladesäulen.

Mit den Elektroautos von car2go Fahrt aufnehmencar2go will als weltweit größter Anbieter rein elektri� zierter Carsharing- Flotten die Verkehrswende durch ein „Gesamtsystem Elektromobilität“ beschleunigen. Das System begreift vollelektrisches Fahren als ein Zusammenspiel vieler Komponenten – darunter Batterien, Stromnetze, Ladesäulen und das Kundenerlebnis. car2go steht dazu im regen Austausch mit zahlreichen Akteuren. CEO Oliver Reppert ist überzeugt: „Die Zukunft des Carsharings ist elektrisch.“

Elektromobilität to go Hat Carsharing das Potenzial, der elektri� zierten Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen?

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NGIN MOBILITY I 3938 I NGIN MOBILITY

SEABUBBLES Noch nicht in Italien, dafür auf dem Genfer See unterwegs:

ein Prototyp des Elektro-Boots Seabubbles

VENEDIG, NIMM DAS!Was kommt heraus, wenn zwei Extremsportler aus Frankreich und Schweden an der Mobilität der Zukunft basteln? Scheinbar schwebende Wassertaxis mit Elektro-Antrieb

SEABUBBLES

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NGIN MOBILITY I 4140 I NGIN MOBILITY

Für Venedig-Reisende beginnt der Urlaub am Flugha-fen: Sie müssen sich nicht in stickige Busse und über-füllte U-Bahnen quetschen, um zu ihrem Hotel zu gelangen. Das Zentrum der italienischen Stadt kann

man per Boot erreichen – Meeresbrise um die Nase inklusive. Wenn das doch auch bei uns so luftig wäre: einfach am Flug-hafen Tegel ein Boot rufen und sich bis zum Hauptbahnhof übers Wasser schippern lassen.

Bisher gibt es solche Wassertaxis aber nur an wenigen Orten, neben Venedig etwa in Amsterdam oder Bangkok. In einigen deutschen Städten, auch in Berlin, fahren zumindest Fähren – allerdings so selten, dass spontane Fahrten unmög-lich sind. Es hat auch Nachteile, wenn Flüsse zu ö� entlichen Verkehrswegen werden: Motorboote sind laut und schaden der Umwelt. Doch was wäre, wenn sie leiser würden – und obendrein elektrisch?

Emissionsfreie Wassertaxis auf den Flüssen der Groß-städte: Das ist die Vision des französischen Startups Sea-bubbles. Dazu baut das junge Unternehmen Elektro-Boote, wie es sie vorher noch nicht gab. Sie gleiten auf zwei Finnen übers Wasser – und sehen dabei aus, als würden sie schwe-ben. Die Idee stammt von Zweien, die das Extreme lieben: dem Franzosen Alain � ébault, zweifacher Weltrekordhal-ter im Speed-Segeln, und dem Schweden Anders Bringdal, vierfacher Weltmeister im Windsurfen und schnellster Sur-fer 2012. Die beiden lernten sich 2008 in Frankreich als

Sportkameraden kennen – und fragten sich irgendwann: Wieso sind wir eigentlich nur beim Sport im Wasser und nicht auch im Alltag? „Mobilität der Zukunft“, sind die bei-den überzeugt, „funktioniert nur, wenn alle Verkehrswege einbezogen werden. Auch Wasserwege“.

Seekrank wird niemandDie Boote, die sie mit ihrem Startup bauen, beruhen auf der Hydrofoil-Technik. Für die ist � ébault Experte: 2015 stat-tete er sein selbstgebautes Segelboot „Hydroptère“ damit aus, mit dem er von Los Angeles nach Honolulu segelte. Das Schi� hob sich ab einer bestimmten Geschwindigkeit aus dem Wasser und glitt dann auf drei langen, schmalen Trag-fl ügeln über das Wasser. Genauso funktionieren nun auch die Seabubbles-Boote. Statt Wind treiben die Bubbles, wie die Gründer ihre Boote nennen, allerdings Elektromotoren der bayrischen Firma Torqueedo an. Und während „Hy-droptère“ mit 100 Stundenkilometern übers Meer glitt, sind es bei den zwei mal vier Meter großen Bubbles nur 25.

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Prominenz bei der Test-fahrt in Monaco (l.): Fürst Albert II. (o., am Steuer) ließ es sich nicht nehmen, das Boot gleich selbst zu fahren. In Paris begleitete Bürgermeis-terin Anne Hidalgo das Team. Auch auf dem Genfer See fuhren Seabubbles schon

Vier Fahrgäste fi nden in den E-Fahrzeugen Platz. See-krank wird laut den Erfi ndern niemand: Sie haben die Gleit-technik so optimiert, dass die Boote nicht schaukeln. Das hat auch den Vorteil, dass sie kaum Wellen produzieren. In Venedig ist der Wellengang, den die Motorboote erzeugen, zum echten Problem geworden: Die Wellen schlagen schon so lange gegen die Grundmauern der Stadt, dass sie bereits bröckelig werden. Auf Spree, Rhein und Seine sieht man die E-Boote aus Frankreich trotz all der Vorteile noch nicht. „Wir sind die Bauer der Boote, nicht die Betreiber“, sagen die Gründer. Derzeit suchen sie nach Käufern für ihre Bubbles. Könnte eine deutsche Stadt den Anfang machen? Schließ-lich fl ießen durch zahlreiche Metropolen der Bundesrepub-lik Flüsse. Das Bundesministerium für Verkehr und digita-le Infrastruktur zeigt sich zumindest nicht abgeneigt. „Wir stehen einer Nutzung der Bundeswasserstraßen mit neuen Modellen der Personenbeförderung grundsätzlich o� en ge-genüber“, teilt das Ministerium auf Nachfrage mit. Es müsse lediglich gewährleistet sein, dass diese neuen Modelle den

„WIR SIND ÜBERZEUGT, DASS DIE ZUKUNFT DER MOBILITÄT AUF WASSERWEGEN STATTFINDEN MUSS“

ALAIN THÉBAULT UND ANDERS BRINGDAL, SEABUBBLES-GRÜNDER

ZUR PERSONIhre Begeisterung für die (motorisierte) Bewegung auf dem Wasser kommt nicht von ungefähr: Der Franzose Alain Thébault (r.), 1962 geboren, ist zweifacher Weltrekordhalter im Speed-Segeln. Sein Gründerkollege Anders Bringdal, 1967 in Schweden geboren, ist vierfacher Weltmeister im Windsurfen und schnellster Surfer im Jahr 2012.

Text: Pauline Schnor

„verkehrsrechtlichen Anforderungen“ genügen. Das heißt, die Seabubbles würden den gleichen Anforderungen unter-liegen wie alle anderen Fahrgastschi� e. So dürften sie etwa nur an genehmigten Stellen anlegen und müssten sich an Geschwindigkeitsvorgaben halten: Auf den Wasserstraßen der Spree dürfen Boote nicht schneller als zwölf Kilometer pro Stunde fahren. Das könnte zum Problem werden. Die Technik, dank der die Bubbles über das Wasser gleiten, funk-tioniert erst ab einer Geschwindigkeit von 13 Stundenkilo-metern. Und das ist schon ein großer Fortschritt: Vor einem Jahr noch benötigte sie 17 Stundenkilometer. So schnell hät-ten die Boote aber auch in Frankreich nicht fahren dürfen.

In seinem Heimatland hat Seabubbles einen prominen-ten Fan. Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, un-terstützt das Mobilitäts-Startup mit Geld und ö� entlichem Lob. Auf Twitter publiziert sie alle Neuigkeiten rund um das Startup, und im Mai saß sie bei einer Testfahrt auf der Seine mit im Boot. Prominenz kam auch andernorts vorbei: Fürst Albert II. begleitete die Probefahrt in Monaco. Finanzielle Unterstützung bekommt das Jungunternehmen zudem von der französischen Versicherung Maif und Business Angels. Wie viel Kapital sie bisher eingesammelt haben, verraten die Gründer nicht.

Auch zum Verkaufspreis der Bubbles sowie den Produk-tionskosten äußern sie sich nicht – ebensowenig zu bisheri-gen Interessenten. Man sei „mit vielen Städten in verschie-denen Ländern im Gespräch“, heißt es lediglich. Ihre Vision äußern Bringdal und � ébault dafür deutlich: In fünf Jahren wollen sie ihre Bubbles über den Gewässern von 50 Städten weltweit schweben sehen.

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NGIN MOBILITY I 4342 I NGIN MOBILITY

UNGEWÖHNLICHE VERKEHRSMITTEL

SO GEHT’S AUCH Ideen für die Mobilität der Zukunft klingen teils absurd: per Flugtaxi zum nächsten Termin? Dabei bewegen sich Städter auch heute schon unkonventionell fort. Ein Überblick

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KATAMARAN AUF DEM BODENSEE Constanze, Fridolin und Ferdinand bringen Pend-ler über den Bodensee. Stündlich verbinden die Katamarane Friedrichshafen und Konstanz, bis zu 182 Fahrgäste fi nden in jedem der drei Wasser-fahrzeuge Platz. Der reguläre Busfahrschein gilt in den Katamaranen, betrieben von einer Tochterge-sellschaft der Technischen Werke Friedrichshafen und den Stadtwerken Konstanz, nicht: Für Hin- und Rückfahrt werden zusammen 21,50 Euro fällig. Eine vergleichbare Katamaran-Verbindung gibt es etwa von und nach Helgoland.

NEROBERGBAHN IN WIESBADEN Am Wiesbadener Neroberg kostet das One-Way-Ticket in die Vergangenheit vier Euro. Nicht gerade günstig, denn das Spektakel ist nach weniger als fünf Minuten schon wieder vorbei. Das Besondere: Die Nerobergbahn ist die letzte Wasserlast-Stand-seilbahn Deutschlands. Mit bis zu 7.500 Litern Wasser im Tank fährt ein Wagen talwärts. Und zieht dabei den zweiten Wagen, der über ein Drahtseil mit dem ersten verbunden ist, nach oben. Betrieben wird die 130 Jahre alte Bahn von derörtlichen Verkehrsgesellschaft ESWE Verkehr.

RUDERFÄHRE IN BERLIN Während anderswo über Hightech-Wassertaxis nachgedacht wird, schippert in Berlin eine Ruder-fähre über die Müggelspree. Das ist zwar nicht gerade modern – aber funktioniert, und das schon seit 1911. Wer mitfahren möchte, braucht einen gültigen Fahrschein der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Mit zwölf kräftigen Ruderschlägen befördert der Fährmann bis zu acht Personen von Ufer zu Ufer, es ist die offi ziell kürzeste Strecke im Liniennetz der BVG. Allerdings nur von Mai bis Oktober: Im Winter liegt die Ruderfähre still.

SEILBAHN IN KOBLENZ Seilbahnen bewegen nicht nur Skifahrer: In

Portland im US-Bundesstaat Oregon oder dem bolivianischen La Paz transportieren sie auch

Städter. Ein besonders leistungsfähiges Modell gibt es in Koblenz. 2010 zur Bundesgartenschau

in Betrieb genommen, schweben daran heute 16 Kabinen mit bis zu 16,5 Stundenkilometern

über den Rhein. Eigentlich sollte die Bahn nach drei Jahren wieder abgebaut werden, Bürger-

initiativen setzten sich aber für ihren Erhalt ein. Nun soll sie bis 2026 weiterfahren.

SCHWEBEBAHN IN WUPPERTAL Ein Meilenstein in der Geschichte der Mobilität

war erreicht, als Kaiser Wilhelm II. am 24. Oktober 1900 mit der nagelneu gebauten Hängebahn über Wuppertal schwebte. Inzwischen nutzen die Bahn täglich mehr als 65.000 Fahrgäste. Sie können auf einer Strecke von 13,3 Kilometern an 20 Stationen

ein- oder aussteigen. Unvergessen ist übrigens nicht nur die Fahrt des Kaisers, sondern auch der Tag im Jahr 1950, als Zirkus-Elefant Tuffi mit der Schwebebahn kutschiert wurde – und während

der Fahrt in die Wupper sprang.

FLUGTAXIS AN DER NORDSEE Wer Urlaub auf Wangerooge oder Juist macht, kann mit der Fähre übersetzen. Schneller und deutlich spektakulärer geht es aber mit einem der „Inselflieger“. Im Stundentakt transportieren die Flugzeuge Insulaner und Urlauber vom Festland auf die Inseln. Platz bieten sie für bis zu neun Passagiere. Der Flug dauert nur wenige Minuten, ist aber wohl einer der Verkehrswege mit den bes-ten Panoramen Deutschlands. Nach der Landung werden die Passagiere von Pferdekutschen (Juist) oder Elektrotaxis (Wangerooge) abgeholt.

Text: Pauline Schnor und Elisabeth Neuhaus

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NGIN MOBILITY I 4544 I NGIN MOBILITY

Flughäfen, Umgehungsstraßen und U-Bahntunnel werden in Deutschland fast immer vom Staat fi nanziert. Sie kosten Milliarden. Dank der neuen Finanzierungsform ICO könnten auch Kleinanleger solche Projekte stemmen

Eine „Beleidigung des gesunden Menschenverstands“, ärgerte sich die Londoner „Times“ über diese „Ab-wasserkanäle“, die Bürger künftig zum Reisen nut-zen sollten. Wer würde schon durch die spürbare

Dunkelheit und den fauligen Untergrund fahren wollen, so die bissige Kritik. Das Projekt habe keine Zukunft. Die ver-rückte Idee eines Unternehmers, mehr nicht. Bekanntlich kam es anders: 155 Jahre später ist London ohne U-Bahn nicht mehr vorstellbar. Drei Millionen Menschen pendeln je-den Tag durch die „Abwasserkanäle“. Doch 1863 handelten sich die Investoren noch jede Menge Spott ein.

Erstmals in der Menschheitsgeschichte gruben sich In-genieure unter eine Millionenstadt. Denn über der Erde war kein Platz mehr, und die reichen Grundstücksbesitzer im Norden Londons hatten im britischen Parlament 1846

BLOCKCHAIN

durchgesetzt, dass keine oberirdischen Schienen in die Innenstadt führen dürften. Und tatsächlich kämpfte das Mobilitätsexperiment von Anfang an mit Schwierigkeiten: Häuserfundamente sackten zusammen, Lok-Kessel explo-dierten, Arbeiter starben, der dreckige Kohlerauch zerfraß die Lungen der Passagiere. Trotzdem war das Projekt letzt-lich ein Erfolg – auch für die Investoren.

Was folgte, war ein regelrechter Bauboom. Rund ein halbes Dutzend private Bahngesellschaften wühlten sich in Londons Untergrund. Jede, wie sie wollte und wo sie durf-te. Weil die Strecken nicht koordiniert und aneinander an-gebunden waren, mussten anfänglich noch Kutschen Fahr-gäste zwischen den Bahnhöfen hin und her transportieren. Doch nach und nach entstand ein Netz aus Tunneln, das Londons Personenströme abbildete.

„SMARTCONTRACTS“

gelten als die zweite Evolutionsstufe der Block-

chain. Anders als bei der ersten Bitcoin-Blockchain können Smart Contracts

nicht nur Zahlenwerte (wie Geldüberweisungen) abwickeln, sondern auch semantische Änderun-gen vornehmen. Anders gesagt: Via Blockchain

können beispielsweise juristische Verträge unter-zeichnet und kontrolliert werden. Künftig dürften folglich Autos selbstständig via Smart Contracts tanken, Fabriken ohne menschliche Hilfe Ersatz-

teile einkaufen oder künstliche Intelligenzen sogar eigene Unternehmen gründen.ICH KAUFE

MIR EINE U-BAHN

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NGIN MOBILITY I 4746 I NGIN MOBILITY

So chaotisch die Anfänge der U-Bahn auch waren: Durch die Risikobereitschaft privater Investoren entstand innerhalb kurzer Zeit ein Transportnetz, das mit Ticketprei-sen von zwei Penny auch für die Arbeiterklasse erschwing-lich war. Erst ab 1933 übernahm mit dem London Passenger Transport Board erstmals eine ö� entlich-rechtliche Ver-kehrsbehörde die Koordination und Bauleitung des Londo-ner U-Bahnnetzes.

Der Staat plant, baut, zahltSeither tritt der Staat in Westeuropa fast immer als

Bauleiter großer Infrastrukturprojekte auf. Seien es Bahn-höfe, Flughäfen, Autobahnen oder Straßentunnel. Der Staat plant, der Staat baut, der Staat zahlt. Nur in Ausnahmefällen bringen private Investoren das Kapital und die Geduld auf, langfristig aufgelegte Infrastrukturen selbst zu errichten. Da-bei ist der Staat in den Wirtschaftswissenschaften als ine� zi-enter Bauherr verschrien: bürokratisch und unfl exibel. Man denke nur an die Elbphilharmonie, den Flughafen BER und den Bahnhof Stuttgart 21. Gründe für privatwirtschaftlich geführte, ö� entliche Infrastrukturen gibt es also reichlich.

Mit der neuen Finanzierungsform des Initial Coin Of-fering, kurz ICO, hat sich nun auch ein probates Finanzie-rungsmodell entwickelt, das es ermöglichen könnte, Bürger zu Herrn von Straßen, Bahntrassen und Flughäfen zu ma-chen. Bei ICOs werden digitale Währungen wie Bitcoin oder Ether erscha� en, deren Münzen für Euros oder Dollar an Kleininvestoren verkauft werden. Allein im ersten Halbjahr 2018 kamen rund zehn Milliarden Euro zusammen, drei Mal so viel wie im ganzen Jahr 2017. Startups wie der Nach-richtendienst Telegram und die Blockchain-Firma Block.one sammelten via ICO mehrere Milliarden Euro ein, um ihr Ge-schäft weiterzuentwickeln. Kapital ist also vorhanden – und da digitale Coins sogenannte „Smart Contracts“ erlauben, sind damit auch einige interessante Finanzierungskonzepte möglich. Gesetzt den Fall, Berlin würde eine neue S-Bahnli-nie – wie derzeit mit der S21 im Bezirk Wedding – benötigen. Statt wie bisher Steuergelder zu investieren, könnte der Staat oder auch ein privates Bauunternehmen einen ICO durch-führen und Anteile an der Bahntrasse verkaufen – ganz so wie es mit den Aktiengesellschaften der frühen Londoner U-Bahn-Unternehmen üblich war. Bei Kosten von geplanten 900 Millionen Euro würde ein Bürger also beispielsweise für 1.000 Euro rund 0,000001 Prozent der Anteile erhalten. Ausgezahlt wird dabei in Kryptotoken – in diesem Fall zum Beispiel dem BerlinBahnCoin, kurz BBCoin.

Interessant ist dies nicht nur, weil es sich hierbei quasi um eine freiwillige Steuer handelt. Denn bisher müssen sich Bürger über ihre Steuerabgaben zwingend an Investitionen des Staates beteiligen. Nun jedoch kann jeder Bürger ent-scheiden, ob er sein Geld bereitstellen und an künftigen Ge-winnen und Verlusten beteiligt werden will oder nicht. Span-

nend wird dies, weil sich über „Smart Contracts“ besondere Rechte an die Token binden lassen. So könnten S-Bahn-In-vestoren beispielsweise vergünstigte Tickets bekommen oder in BBCoin gezahlte Fahrkarten günstiger sein. Die Ver-rechnung könnte dank „Smart Contracts“ automatisch über eine Blockchain erfolgen. Technisch möglich ist das schon heute.

Ein echtes Gesellschaftsexperiment wird es jedoch, wenn Kleininvestoren nicht nur an Gewinnen beteiligt wer-den oder fi nanzielle Sonderprivilegien erhalten, sondern selbst mitbestimmen können. So könnten die Kleinanleger via Blockchain entscheiden, wie viel sie und andere Bahn-kunden künftig zahlen sollten. Sie müssen also abwägen zwi-schen dem Wunsch nach Unternehmensgewinn und nach ei-nem – auch für sie – bezahlbaren Nahverkehr. Rendite gegen sozialverträgliches Preismodell. Verstärken ließe sich dieser E� ekt noch dadurch, dass zwar Kleinanleger von überall in das Projekt investieren dürften, aber nur ortsansässige – in diesem Fall Berliner – Bürger Stimmrechte erhielten. Dieses Prinzip wird derzeit schon bei diversen Krypto-Projekten erprobt. Dezentrale Entscheidungsfi ndung kommt beispiels-weise bei der bekannten Digitalwährung Dash zum Einsatz. Auch hier bestimmen Tausende Anteilseigner entsprechend ihrer Anteile an der Währung über die Blockchain regelmä-ßig, welche Jobs das Unternehmen dahinter vergibt und wo-ran als Nächstes gearbeitet werden soll. Eine zentrale Füh-rung hat das Projekt nicht.

Der erste „Dorf-ICO“ Tatsächlich ist die Idee, Bauprojekte via ICO zu fi nan-

zieren, nicht ganz neu. Bereits vor vier Jahren verkaufte der russische Landwirt und Unternehmer Mikhail Shlyapnikov eine Kryptowährung, weil ihm Banken in der russischen Wirtschaftskrise keine Kredite mehr geben wollten. Behör-den verboten die Währung jedoch wenig später, worauf-hin Shlyapnikov im Frühjahr 2017 den ersten „Dorf-ICO“ durchführte, 750.000 Dollar einnahm und in die landwirt-schaftliche Infrastruktur seines Heimatortes Kolionovo, drei Autostunden südöstlich von Moskau, investierte. Heute erproben weltweit auch andere Orte die Infrastruktur-För-derung durch ö� entliche ICOs. So plant beispielsweise das Dorf Nishiawakura im Süden von Japans größter Insel Hons-hu, eine digitale Währung zu verkaufen, um die Erneuerung von Straßen und ö� entlichen Einrichtungen zu fi nanzieren. Bis in Deutschland Ähnliches möglich ist, dürfte jedoch noch etwas Zeit vergehen.

Wie auch im viktorianischen London sind heute in Deutschland die Gesetzesvorschriften streng. Während ab 1845 Grundbesitzer gegen die U-Bahn im Parlament lobbyierten, sind es heute in Deutschland strikte Börsen-vorschriften, die ICOs für Bauprojekte teuer und langwie-rig machen. Anfang des 19. Jahrhunderts hieß die Lösung

Charles Pearson – ein Londoner Politiker, Abgeordneter und U-Bahn-Freund. Er setzte sich unermüdlich für den Bau der Untergrundbahn ein, umgarnte Investoren, schlichtete zwi-schen Unternehmern und versuchte, das Parlament von ei-ner fortschrittsfreundlichen Politik zu überzeugen. Im heuti-gen Deutschland fehlt ein enthusiastischer Krypto-Politiker bisher.

IN DEUTSCHLAND MACHEN STRIKTE BÖRSENVORSCHRIFTEN DIE ICOS FÜRBAUPROJEKTE TEUER UND LANGWIERIG

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1863 noch als Abwasserkanäle geschmäht, nennen die Londoner ihre U-Bahn heute liebevoll„Tube“, englisch für Röhre

Text: Michel Penke

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NGIN MOBILITY I 4948 I NGIN MOBILITY

DIGITALSTADT DARMSTADT

DIE ZUKUNFT BEGINNT IN DARMSTADT

Vor über einem Jahr wurde die hessische Stadt zur „Digitalstadt“.Viele Bereiche des Alltags sollten digitalen Vorzeigestatus bekommen, auch der Verkehr. Aber noch lassen große Ergebnisse auf sich warten.Ein Besuch bei Menschen, die vor einem Mammutprojekt stehen

Wenn Ralf Tank von der Zukunft des Straßenverkehrs in Darmstadt spricht, gerät er ins Schwärmen. „Um-weltfreundlicher und gleichmäßiger, das wäre mein Wunsch“, sagt er. Autonome Fahrzeuge, bessere Luft

und mitdenkende Ampeln sind nur drei von vielen Dingen, die in seiner Vision vorkommen. Ob sie wahr wird, hat Tank auch selbst in der Hand. Der Diplom-Ingenieur („mit Leib und Seele“) sitzt in einem Büro im Dachgeschoss des städtischen Straßenverkehrs- und Tief-bauamtes in der Bessunger Straße. Nichts deutet darauf hin, dass von hier sämtliche Lichtsignalanlagen der viertgrößten Stadt Hessens pro-grammiert und gesteuert werden können: Es gibt nicht sonderlich viele Bildschirme, keine überdimensionalen Rechner, keine penetrant blin-kenden Knöpfe. Nur viele Landkarten, ein in die Jahre gekommenes Programmier-Testgerät – ansonsten konventionelle Büroausstattung. Die Server-Landschaft ist in zwei unscheinbare Betonkästen im Stadt-gebiet ausgelagert. Ein wichtiger Schauplatz für die Digitalisierung Darmstadts ist das Zimmer trotzdem. Denn Tank ist nicht nur lang-jähriger Mitarbeiter der Verkehrsbehörde. Seit Anfang 2018 ist er auch ein Projektleiter für Mobilität der „Digitalstadt Darmstadt“. Den Titel holte sich die Stadt 2017, als sie einen vom Digitalverband Bitkom und dem Deutschen Städte und Gemeindebund ausgelobten Wettbewerb gewann. Um die 20 Sponsoren, darunter die Deutsche Telekom, SAP und Hewlett-Packard versprachen Sachmittel und Dienstleistungen im Wert von bis zu 20 Millionen Euro. Das Land Hessen kündigte an, fünf Millionen Euro zuzuschießen. EU-Fördergelder sollen folgen. Das Ziel: Darmstadt zu einer „digitalen Modellstadt“ machen.

32 Projekte in 13 BereichenDazu ist ein Rundumschlag vorgesehen, digitalisiert werden sollen etwa Energie, Gesundheit, Bildung – und Verkehr. O� ziell startete der Projektzeitraum Anfang 2018. Seitdem bastelt die Stadt an ihrer Zu-kunft. Regie führt die eigens gegründete Digitalstadt Darmstadt GmbH. Sie sitzt im Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie an der Rheinstraße. Die Wahl des Standorts versinnbildlicht gleich doppelt, worum es geht: Draußen donnert der Verkehr auf mehreren Spuren vorbei, im Gebäude senden die Büronachbarn das aus Sicht der Digitalstadt passende Signal: „Datensicherheit ist uns wichtig.“ Simone Schlosser leitet die GmbH als eine von insgesamt drei Geschäftsfüh-rern. Fachliche Ansprechpartner sitzen in der städtischen Verwaltung oder Unternehmen der Stadtwirtschaft, etwa bei der Darmstädter Ver-kehrstochter HEAG Mobilo oder dem Klinikum Darmstadt. Bei Schlos-ser laufen diese Fäden zusammen. Gemeinsam mit ihrem kleinen Team hat die kaufmännische Geschäftsführerin viel vor: 32 Projekte in 13 � emenbereichen will die Gruppe in den kommenden eineinhalb Jah-ren noch „mindestens“ umsetzen oder anstoßen. Schlosser ist optimistisch, dass die Digitalstadt auch in der Mobilität in dieser Zeit viel bewegen kann: „Wir können den Verkehr logischerweise nicht weg digitalisieren, aber einen Beitrag zu einem modernen Mobi-litätskonzept leisten.“ Rund 160.000 Menschen leben in Darmstadt, das sind circa 20.000 mehr als noch vor zehn Jahren. Außerhalb der Ferien-zeiten fahren täglich 95.000 Pendler in die Stadt, zusätzlich gibt es bis zu 30.000 Durchpendler. „Die Verkehrsdichte ist sehr hoch“, sagt Tank. Jetzt will er zusammen mit der Digitalstadt den großen Infarkt verhin-dern, mithilfe von Daten. Um sie zu managen, verfügt Darmstadt über ein eigenes Lichtwellen-netz. Daran hängen alle 165 Ampeln der Stadt, rund 350 Kameras sind hier installiert. Sie erfassen die Verkehrsbelastung kontinuierlich. Je nach Bedarf werden Schaltungen ausgelöst, die beispielsweise grünes Licht für eine Fahrtrichtung geben. „Eine verkehrsabhängige Steue-rung“, fasst Tank zusammen. Optimiert wird der Verkehrsfl uss in Echt-zeit, als gemeinsame Basis dient die Braunschweiger Atomuhr. Tank be-kommt die Kameraaufnahmen auf seinem iPad in der Bessunger Straße

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nur knapp eine Sekunde später als Livestream ausgespielt. Die Daten sollen auch Bürgern einen Mehrwert bieten: Das Straßenverkehrs- und Tie� auamt hat in Zusammen-arbeit mit dem privatwirtschaftlichen Urban Institute eine Open-Data-Plattform auf den Weg gebracht, die heute alle im Stadtgebiet erfassten Verkehrsinformationen bündelt. Jeder kann darüber online sehen, an welchen Stellen es sich im Stadtgebiet gerade staut. Bundesweit sei diese Plattform einzigartig, sagt Tank stolz. Über die Pläne der Digitalisierer freuen sich nicht alle so uneingeschränkt. In der Vergangenheit monierte etwa der örtliche Chaos Computer Club, dass bei der Vernetzung von Infrastruktur, Haushalten und Verwaltung „massenhaft personenbezogene Daten produziert“ würden. Der Verein fürchtet eine Überwachung durch Behörden und Konzerne. „Personenbezogene Daten erfassen wir nicht. Uns ist voll-kommen egal, wie alt ein Fußgänger ist. Interessant ist für uns nur der Zählwert“, erklärt Tank. Künftig will der Ingeni-eur den Straßenverkehr sogar noch genauer erfassen, etwa an wichtigen Ein- und Ausfahrtstraßen, und so insbesondere Ampeln intelligenter machen. Getestet wird die App Ecomat, eine Grünwellen-Vorhersage. Sie zeigt rund 150 Meter via GPS vor einer Ampel an, ob die Anlage auf Rot oder Grün schalten wird. Die App funktioniert bisher nur auf einer Test-strecke. Bis Ende 2018 soll sie stadtweit ausgerollt werden.

Dreck-Ecken identifi zieren Auch Emissionen will man so reduzieren. Geplant ist, in Darmstadt ein großes Netz an Umweltsensoren einzu-richten, die Parameter wie Kohlensto� dioxid, Ozon und Feinstaub messen. Eingespeist in eine Datenbank könnten diese Informationen dabei helfen, besonders dreckige Ecken zu identifi zieren, an denen bei zu dicker Luft temporäre Fahrverbote in Kraft treten würden. Eine App würde Pend-lern dann alternative Optionen vorschlagen, zum Beispiel

Digitalstadt-Chefi n Simone Schlosser (links) und Diplom-Ingenieur Ralf Tank (ganz oben) wollen den Verkehr auf den Darmstädter Straßen digitalisieren. Immerhin: Das Carsharing (oben) funktioniert hier schon ganz gut

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eine Kombination aus Leihrädern, Bus und Bahn. So stellen es sich die Macher der Digitalstadt vor. Die GmbH will au-ßerdem Sensoren in Parkplätzen installieren, die erkennen, wo noch freie Stellfl ächen sind. Der Entsorgungsbetrieb EAD testet derzeit Messsysteme in Mülltonnen, die kommu-nizieren, ob eine Tonne gerade überquillt oder gar nicht erst angefahren werden muss. Viel „soll“, wenig „ist“: Der Name „Digitalstadt“ verschweigt zunächst, dass es nicht darum geht, wie viel Fortschritt es in Darmstadt schon heute gibt, sondern um gute Voraus-setzungen, es soweit zu bringen. Und die sind durchaus vorhanden: Es gibt eine TU und zwei weitere Hochschulen, drei Fraunhofer Institute, die Weltraumorganisation ESA ist vertreten. Darmstadt nennt sich auch „Wissenschaftsstadt“. Vielleicht ist auch das der Grund, warum es manchem Be-obachter bisher nicht schnell genug ging. Auf Nachfrage sagt etwa die ehemalige Bundeswirtschaftsministerin und Darmstädter SPD-Vorsitzende Brigitte Zypries: „Angedachte „WIR KÖNNEN DEN

VERKEHR NICHT WEG DIGITALISIEREN“SIMONE SCHLOSSER,DIGITALSTADT-GESCHÄFTSFÜHRERIN

Ein weiterer lokaler Mobilitätsgründer ist Benjamin Kirsch-ner. Seine Mitfahrplattform Flinc verkaufte der 33-Jährige im Herbst 2017 an Daimler. Zur Kritik an der Digitalstadt sagt der Darmstädter: „Ich kenne das aus der Gründerbrille, dass viele Sachen von Anfang an kritisch beurteilt werden. Das hat ja auch viel mit deutscher Mentalität zu tun. Deshalb freue ich mich erstmal, dass neue Sachen ausprobiert wer-den.“ Von Darmstadt aus arbeitet Flinc seit der Übernahme mit Daimlers Mobilitätsservice Moovel (siehe S. 20) zusam-men, erstellt etwa Simulationen, die dabei helfen sollen, die Wirtschaftlichkeit von On-Demand-Shuttle-Diensten zu skizzieren. Berührungspunkte mit dem Darmstädter Ver-kehrsunternehmen HEAG Mobilo habe es in der Vergangen-heit gegeben; ob nun unter Daimler weitere Projekte geplant seien, sagt Kirschner nicht. Fest steht: In Darmstadt ist der Wille da, in Sachen Mobilität viel zu bewegen. Im verbleibenden Förderzeitraum müssen den Visionen jetzt noch Taten folgen. Dann wird man den Verantwortlichen auch verzeihen, wenn sie nicht alle 32 Pro-jekte an den Start gebracht oder verbessert haben. Der Ar-beitsvertrag von Schlosser und ihren GmbH-Kollegen läuft zum 31. Dezember 2019 aus. Wie es danach weitergeht, ist o� en. Sie werden sich daran messen lassen müssen, wie viele Vorhaben sie bis dahin zum Erfolg gebracht haben. Und ob Menschen wie Ralf Tank das Digitalisierungszepter in ihren Ämtern weitertragen. So wie Tank haben indes auch andere Darmstädter eine genaue Vorstellung davon, wie es in ihrer Stadt eines Tages aussehen soll. Flinc-Gründer Kirschner träumt von mehr elektrischen Fahrzeugen – und weniger Lärm: „Ich wohne hier in der Innenstadt, an einer vierspu-rigen Straße. Die ist gerade gesperrt. Auf der Dachterrasse herrscht nun eine Ruhe, die man sich kaum vorstellen kann. So fühlt sie sich glaube ich an, die Zukunft der Straße.“

Vorhaben nach über einem Jahr noch immer als Erfolg zu verkaufen, so wie es die Digitalstadt tut, ist in meinen Augen defi nitiv zu wenig.“ Auch die Auswahl der Projekte kritisiert Zypries, insbesondere die Digitalisierung des Parkleitsys-tems hält sie für unnötig: „Eine Not an Parkplätzen gibt es in Darmstadt nicht. Für die Digitalstadt Deutschlands hät-te ich mir ambitioniertere Projekte gewünscht und nicht solche, die man erstens nicht braucht und die es zweitens vergleichbar in anderen Städten schon erfolgreich gibt.“ Di-gitalstadt-Geschäftsführerin Schlosser verteidigt: „Wir ha-ben bisher umfangreiche Basistechnologien gescha� en und Infrastruktur aufgebaut, Darmstadt ist zum Beispiel als eine der ersten Städte Deutschlands mit einem fl ächendeckenden Lorawan-Netz ausgestattet.” Damit gemeint ist ein Netzwerk, über das sich auch Sensordaten unter geringem Energieauf-wand senden lassen. Eine Innovationsbremse stellen Schlossers Aussagen zufol-ge bürokratische Anforderungen dar. Mit vielen Projekten muss das Team in Vergabeverfahren gehen, Magistrat, Stadt-verordnete und Bürger haben Mitspracherecht. „Bis etwas sichtbar umgesetzt werden kann, dauert es einfach“, sagt die Geschäftsführerin. Dieses Argument will Zypries nicht gel-ten lassen: „Wenn Projekte erst nach einem Jahr in die Ver-gabeverfahren gegeben werden, fragt man sich, wie sie nach einem weiteren Jahr fi nal umgesetzt sein sollen.“ Von den 32 Vorhaben des Digitalplans befänden sich aktuell zwei in Ausschreibungen, drei weitere würden für Ausschreibungen vorbereitet, erklärt Schlosser. Den Vorwurf, mit über 30 Pro-jekten werde außerdem an zu vielen Baustellen gleichzeitig gearbeitet, kann sie nicht nachvollziehen: „Die Projektstruk-tur bringt eine Ordnung in die Sache. Wir sind gut aufge-stellt.“

Darmstadt als Gründerstadt In der Stadt gibt es einige junge Mobilitätsmacher, die Schlos-ser und ihren Kollegen dabei helfen könnten, die moderne Stadt zu verwirklichen. Einer davon ist Ansgar Kadura. Zu-sammen mit Tom Plümmer, Jonathan Hesselbarth und dem Unternehmensberater Dr. Klaus Dibbern leitet Kadura ein Drohnen-Startup. Der autonome sowie senkrecht startende und landende „Wingcopter“ des Teams bringt es auf Spitz-engeschwindigkeiten von bis zu 240 Stundenkilometern, Lasten von bis zu sechs Kilogramm kann er transportieren. Kadura sagt: „Ich denke, Darmstadt würde sich gerne als Gründerstadt positionieren, ist aber noch ganz am Anfang. Wenn von den geplanten Projekten der Digitalstadt nur die Hälfte umgesetzt wird, wäre das ein erster Schritt.“ Der Phar-makonzern Merck nahm die Wingcopter-Gründer im Früh-jahr 2018 in seinen Accelerator auf. Im sogenannten Maker-space im obersten Stockwerk von Mercks Innovation Center schraubt das Gründerteam nun an seinem Fluggerät herum. Auf den Tischen liegen viele Werkzeuge, 3D-Drucker surren vor sich hin. Der Wingcopter wird etwa für Vermessungen sowie Inspektionen von Agrarfl ächen und Infrastrukturen eingesetzt. Spätestens ab Ende 2018, so stellen es sich die jungen Drohnenbauer vor, könnte ihr Fluggerät außerdem lebenswichtige Medikamente in die entlegensten Gegenden der Welt ausliefern. Ein Krankenhaus in Frankfurt testete den Wingcopter zuletzt, um Blutkonserven schneller in der Stadt zu befördern. Ein Vorhaben der Digitalstadt Darmstadt im Bereich Sicherheit ist die „Lagedarstellung über Drohnen“. Hier könnten Startups wie Wingcopter Impulse geben. Text: Elisabeth Neuhaus

Die Gründer Tom Plümmer (links) und Jonathan Hesselbarth fertigen in Darmstadt Drohnen

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NGIN MOBILITY I 5352 I NGIN MOBILITY

PHILOSOPHISCHE PERSPEKTIVEN

ERSTMAL WIRD’SNICHT BESSERE-Autos und Sharing sollen unsere Mobilitätsprobleme lösen. Doch sie könnten die Probleme erst verschärfen. Wir brauchen mehr Visionen, fordert der Philosoph Christian Uhle

ALEXANDER HOFFMANN

Christian Uhle hat an der Schnittstelle von

Technikphilosophie und Klimaethik geforscht

Es ist Sommer. Zahlreiche Außentische laden dazu ein, den Tag mit einem Glas Wein ausklingen zu las-sen. Bei aller Vielfalt haben die Bars eines gemein-sam: Im Kerzenschein blicken wir von dort auf Au-

tos, parkende und fahrende. In solchen Momenten entsteht der Eindruck, Autos seien allgegenwärtig. Und tatsächlich lässt sich das durch Zahlen belegen: Im Jahr 2016 wurden 3,4 Millionen Neuzulassungen von Pkw verzeichnet, der Gesamtbestand erhöhte sich auf 45,8 Millionen. Bei aller herau� eschworener Disruption: Dem Auto ging es nie bes-ser. Das hat seinen Preis. Gegenüber ö� entlichem Verkehr oder dem Fahrrad sind Platzbedarf und ökologischer Fußab-druck immens. Hinzu kommen Tausende Verkehrstote jähr-lich. Diese Zusammenhänge sind bekannt, die aktuell disku-tierten Lösungsansätze jedoch zumeist unzureichend. Ein Blick auf Zukunftsvisionen zeigt, wie wenig Wille herrscht, Verkehr grundlegend neu zu denken. Weiterhin steht das Automobil im Mittelpunkt – nur eben in selbstfahrender und elektrischer Version. In aufwändig produzierten Werbe-fi lmen lassen sich entspannte Menschen von Roboter-Taxis abholen und durch von Pfl anzen gesäumte Straßen kut-schieren.

Eine Neuaufl age des Automobils soll so die Probleme lösen, die es selbst erst gescha� en hat. Der Glaube an einen solchen „Technofi x“, bei dem Probleme einer Technologie durch eine Weiterentwicklung derselben gelöst werden sol-len, erweist sich jedoch als fragwürdig: Es ist keineswegs ausgemacht, dass die neuen Mobilitätsdienstleistungen zu weniger Pkw auf der Straße führen. Denn wenn der moto-risierte Individualverkehr durch Carsharing, autonome Autos oder durch günstige Fahrdienste wie Uber immer attraktiver gemacht wird, könnten Menschen nicht nur auf die Anscha� ung privater Autos verzichten – wie deren Befürworter argumentieren –, sondern unterm Strich dazu führen, dass Pkw häufi -ger als zuvor genutzt werden. Den-ken wir die Entwicklung mal nach vorne: In vielen Bereichen digitaler Dienstleistungen haben sich irgend-wann Flatrate-Tarife durchgesetzt. Und mit Monatskarten und Co. sind Abos im Verkehr ohnehin etabliert. Wenn nun irgendwann eine dichte Flotte selbstfahrender Taxis durch die Stadt rollt und die Nutzung per Flatrate erfolgt, wer wird dann noch Fahrrad, Busse oder U-Bahnen benutzen?

Doch selbst ohne Flatrates besteht die deutliche Gefahr, dass Bündelungsgrade in Städten weiter sinken und stattdes-sen die Menge fahrender Vehikel zu Lasten des ö� entlichen Nahverkehrs weiter steigt. Dann würden die neuen Services unsere Situation also verschlimmbessern: Es würden zwar weniger Autos am Straßenrand herumstehen, aber viel mehr Fahrzeuge als heute über den Asphalt rollen. Und wir hätten unsere Gesellschaft wieder ein Stückchen atomisiert, wenn wir anderen Menschen weniger über den Weg laufen und uns stattdessen in smarten Kapseln voneinander abschir-men. Erst eine Reduzierung auch der fahrenden Autos wird es erlauben, ehemalige Parkstreifen nicht für neue Fahrspu-

ren zu nutzen, sondern für grüne, lebendige Straßen, in de-nen Kinder weniger Gefahren ausgesetzt sind, in denen Lärm minimiert wird, Arbeitnehmer sich auf ausgebauten Fahr-radwegen gesund halten und die Nachfrage nach Kleinbus-sen so groß ist, dass ein engmaschiges Netz profi tabel wird. Der Schlüssel zu einer echten Verkehrswende wird daher kein technisch hochgerüstetes Automobil sein, sondern die Stärkung von Fußverkehr, Fahrrad und klassischem ÖPNV. Das klingt langweiliger als futuristische Visionen rund um Roboter-Taxis, ist aber der einzige Weg, um Städte tatsäch-lich lebenswerter zu machen. Digitale Technologien können dabei einen Beitrag leisten, zum Beispiel durch dynamische Busrouten. Dafür müssen die technischen Innovationen und neuen Geschäftsmodelle aber konsequent an der Ziel-vorstellung einer Verkehrswende ausgerichtet werden. Hier werden soziale, strukturelle und regulatorische Innovatio-nen entscheidend sein.

Ein solcher Umbau des Verkehrssystems würde wesent-lich mehr Mut für Veränderung erfordern als das blinde Ver-trauen auf neue Technologien. Denn wir müssten den kon-servativen Wunsch aufgeben, alles beim Alten zu belassen und uns auch in 20 Jahren noch allein in Metallkisten durch die Stadt zu bewegen. Warum wagen wir einen solchen Wan-del nicht? Die aktuell kursierenden Zukunftsvisionen sind bei näherem Hinsehen deshalb reichlich unvisionär, weil lediglich Technologien ins Zentrum gestellt werden. Neue Entwürfe für die Gesellschaft werden kaum diskutiert. Statt-dessen blockieren festgefahrene Vorstellungen in unseren Köpfen den Wandel stärker als es äußere Hürden je könnten.

Emotional besetzte Leitbilder hem-men echte Disruption, sie bilden eine Folie der Kontinuität, vor wel-cher sich Wandel nur oberfl ächlich vollzieht und neue Ansätze in alte Ideen übersetzt werden.

Im Kontext Mobilität blockiert uns vor allem das Leitbild des be-schleunigungsstarken, privaten Au-tomobils als Vehikel des modernen Leistungssubjekts. Auch vermeint-lich innovative Pkw wie die von Tesla folgen dieser alten Idee und

versprechen als Verlängerung des eigenen Körpers Erfah-rungen unau� altsamer Weltaneignung. Gleichzeitig wird das überforderte, fragile und vereinzelte moderne Subjekt im Inneren des Autos von der Außenwelt abgeschirmt und geschützt.

Weil Kritik am Auto in all seiner Symbolkraft auch Angri� auf bisher stabile Identitäten bedeutet, wäre eine Verkehrswende weg vom Automobil ein zutiefst visionärer und politischer Akt. Um für einen solchen Wandel zu über-zeugen, braucht es mehr als rationale Überlegungen. Wir müssen auch emotionale und bildliche Zukunftsvisionen entwerfen. Sie müssen alternative Leitbilder des sich bewe-genden Menschen attraktiv machen: Eines Menschen, der die Welt spüren möchte, anstatt durch sie hindurchzurasen, eines Menschen, der sich nicht durch die Kraft eines Motors oder Medienberieselung im selbstfahrenden Auto lebendig fühlen möchte, sondern durch den Wind beim Radfahren.

„WIR BRAUCHEN MEHR ALS DIE BLOSSE REPRODUKTION ALTER DENKMUSTER DURCH NEUE TECHNOLOGIEN“CHRISTIAN UHLE

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NGIN MOBILITY I 5554 I NGIN MOBILITY

Alle auf ein Rad? Keine gute Idee. Aber schon entdecken die Redakteure in der Ferne Alternativen

VON A NACH B IN BERLIN

AUF DIE PLÄTZE, FERTIG, LOS!Der moderne Großstädter steht oft vor schwierigen Entscheidungen: Nehme ich Coup oder DriveNow – oder doch die Öffentlichen? Dank der Shared Economy gibt es in vielen Städten diverse Optionen, um von A nach B zu gelangen. Welche ist die beste? Sieben NGIN-Mobility-Redakteure haben verschiedene Verkehrsmittel benutzt, um den rund 1,2 Kilometer langen Weg vom Berliner Dom zur Redaktion zurückzulegen

CH

RIS

MA

RX

EN

Lidl-Bike Marie Gracher radeltEs ist 15:18 Uhr, als ich die Lidl-Bike-App öffne. Direkt vor dem Berliner Dom wird mir ein freies Fahrrad angezeigt. Im Nu habe ich das Bike entriegelt und den Sattel richtig eingestellt. Ich weiß: Diesen Wettbewerb gewinne ich nur mit einem völlig halsbrecherischen Fahrstil. Ich düse über die Liebknechtbrücke, gleich dahinter soll ich laut Google Maps in einen Park abbiegen. Gerade noch sehe ich, wie Lisa auf einem Roller an mir vorbeizieht. Ich strample noch eifriger, umkurve diverse Parkgänger und klingle ein entspannt vor sich hin radelndes Pärchen aus dem Weg. Dann biege ich in die Rathausstraße ab. Für Autos ist die aktuell gesperrt, das kommt mir und meinem Fahrstil entgegen. Einen drahtigen Fahrradfahrer, gegen den ich unter Normalbedingungen (sprich: bei durchschnittlicher Motivation) keine Schnitte hätte, überhole ich und bete, dass sich jetzt bloß keine Autotür rechts von mir öffnen möge. Aber das Risiko lohnt sich. Die Redaktion erreiche ich als Erste!

6 MINUTEN12 SEKUNDEN 1,50 €

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NGIN MOBILITY I 5756 I NGIN MOBILITY

CarsharingThorsten Mumme im Drive NowMein erster Blick auf die DriveNow-App ist vielver-sprechend: Nur 100 Meter vom Dom entfernt steht ein BMW-Cabrio. Mit einem Wisch will ich das Auto per App öffnen. Doch so leicht macht es mir die Technik nicht – die App ist eingefroren. Ich schließe und öffne sie erneut. Schlechte Idee, jetzt wird mir plötzlich gar kein verfügbares Auto mehr angezeigt. Ich möchte den Kundenservice anrufen. Doch sobald ich auf den entsprechenden Button klicke, erscheint eine Fehler-meldung. 20 Minuten und unzählige Versuche später entscheidet sich die App dann doch, mir Zugang zu dem Auto zu gewähren. Sofort öffne ich das Verdeck. Es dauert eine halbe Minute, bis das Dach eingefah-ren ist. Den ersten Platz kann ich mir wohl endgültig abschminken. Aber auf eine wundersame Weise ist mir das plötzlich ganz egal. Sobald ich losfahre und der Fahrtwind durch das offene Auto streift, zählt nur noch der Moment, der Fahrtwind und das Gaspedal. Der BMW zieht kräftig an, auf einmal ist die heiße Som-merluft das einzig passende Ambiente für ein Auto wie dieses. Hätte ich gerade abbiegen müssen? Der Fahr-

spaß ist mir jeden Umweg wert. Ein Urlaubsgefühl steigt in mir auf. Als ich über die Ziellinie rolle, begrüßen mich meine Mitstreiter mit den Worten: „Letzter, aber mit Stil.” Mehr kann ein BMW-Fahrer doch nicht wollen!

Taxi Pauline Schnor probiert’s klassischEs gibt verschiedene Methoden, ein Taxi zu bestellen: Man ruft ein Taxi-unternehmen an. Oder man ordert und zahlt digital per App. Oder man winkt ein Taxi am Straßenrand heran. Dafür entscheide ich mich. Bei mehr als 8.000 Taxen, die durch Berlin fahren, sollte das doch wohl funktionieren. Doch auch nach drei Minuten hat immer noch niemand für mich angehalten. Dann erspähe ich ein Taxi in 30 Metern Entfernung, in einer Querstraße. Genug der Winkerei: Ich renne. Und schwitze. Aber es klappt: Nach drei Minuten und 45 Sekunden sitze ich in einem Taxi. Ich lehne mich auf dem kalten Ledersitz zurück, die Klimaanlage pustet mir kühlen Wind ins Gesicht. Herrlich! Es dauert keine 30 Sekunden, da bin ich in ein Gespräch mit dem Taxifahrer verwickelt. Er hat gerade seinen Job als Koch in einem indischen Restaurant verloren, weil er eine Allergie gegen die landestypischen Gewürze entwickelt hat. Taxifahrer ist er erst seit zwei Wochen. Heute will er eine Zwölf-Stunden-Schicht schieben. Von mir bekommt er nach der kurzen Fahrt sieben Euro. Ganz schön happig – aber immerhin hatte ich sechs Minuten Hitzefrei.

Bus & BahnGeorg Räth fährt öffentlichBerliner Busse kommen eigentlich immer zu spät oder zu früh oder gar nicht. Für ein Wettrennen sind das schlechte Voraussetzungen. Es ist 15:18 Uhr, mein Handy schlägt mir einen Bus der Linie 100 vor, der in einer Minute kommen soll. Ich habe Glück, die nächste Haltestelle ist nur wenige Meter entfernt. Ich hechte hin! Der Bus fährt eine Sekunde später ein, ich springe rein, krame mein Monatsticket hervor, während der Busfahrer bereits 50 Meter weiter gefahren ist. Ich sinke auf den erstbesten Platz nieder. Draußen sind es 33 Grad, doch der Bus ist klimatisiert. Wetter 0, BVG 1. Während ich in der Kühle der Klimaanlage schwelge, merke ich, dass ich nicht in der Linie 100 sitze, sondern 200. Ups! Doch ich habe Glück, auch diese Linie fährt innerhalb von zwei Minuten zum Alexanderplatz. Dort steige ich aus und suche nach einem Wegweiser, der mich zur U-Bahn bringt, mit der ich weiterfahren muss. „Nächste Bahn in zwei Minuten”, heißt es, als ich endlich dort ankomme. Beim Einfahren bringt die U-Bahn einen kalten Luft-strom mit sich, der im Abteil jedoch binnen Sekunden wieder verflogen ist. Stattdessen: Schweißgeruch, Enge, Hitze. Als nach zwei Minuten die Durchsage „Märkisches Museum” ertönt, jubiliere ich innerlich. Ich steige die Treppenstufen empor und sehe das Licht, das Büro ist nur Meter vom U-Bahn-Ausgang entfernt.

Zu FußElisabeth Neuhaus läuftVorweg möchte ich sagen: Ich starte unter erschwer-ten Bedingungen. Ich trage Sandalen und einen Monsterrucksack. Trotzdem spurte ich los, bis eine rote Ampel mich und meinen Ehrgeiz ausbremst. Als ich knapp drei Minuten später den Spreekanal überquere, stelle ich fest: Mein ärgster Gegenspieler werden an diesem Nachmittag nicht etwa tückische Lichtsignalanlagen, sondern Touristen und Radfahrer sein. Die einen knipsen mitten auf dem Weg Selfi es, die anderen klingeln mich arglos aus dem Weg. Nach etwa sieben Minuten schminke ich mir den Sieg ab. Aber wenn ich die anderen schon nicht schlagen kann, dann wenigstens Google Maps. Der Karten-dienst behauptet, dass ich 16 Minuten brauchen würde. Das sollte ja wohl locker zu unterbieten sein! Bei Minute zehn habe ich die zweite (und letzte!) Am-pel hinter mir gelassen, jetzt ist die Redaktion fast in Sichtweite. Ich lege nochmal einen Zahn zu. Kurz vor dem Ziel beginne ich, halb zu joggen. Endlich stehe

ich schweißgebadet vorm Büro. Vom ersten Platz bin ich weit

entfernt. Aber dich habe ich be-siegt, Google. Ha!

Roller Lisa Ksienrzyk fährt Coup Als ich die Coup-App öffne, schreie ich vor Glück kurz auf: Der nächste Roller steht nur 23 Meter von mir entfernt. Der Akku reicht noch aus. Sofort reserviere ich mein Gefährt. Ich fahre auf die Hauptstraße und sehe, wie Pauline noch nach einem Taxi Ausschau hält. Abgehängt! Kurz vor der nächsten Kreuzung über-hole ich hupend Marie auf ihrem Lidl-Bike, die jedoch prompt in den Park davor abbiegt. Wenige Sekunden später zwingt mich die nächste Kreuzung zum Stopp. Kurz darauf ist die Fahrbahn wegen einer Baustelle schmaler. Zwei Radfahrer zwingen mich, das Tempo zu drosseln. Ich fluche innerlich. Auf den letzten 100 Metern ist die Straße wieder breiter. Ich beschleunige, sehe Marie an der nächsten Ampel auf ihrem Lidl-Bike. Ich würde mich gerne an den drei Autos vor mir vorbeischlängeln, doch die Radfahrer neben mir lassen mich nicht durch. Und jetzt entscheidet sich auch noch ein Bus vor mir zu halten – ich werde Marie wohl nicht mehr einholen. Doch am Ende sind es nur Sekun-den, die ich nach ihr eintreffe!

Velotaxi Anja Richter muss improvisierenEin Fehlstart vom Allerfeinsten! Eigentlich wollte ich mit dem Fahrdienst Clever Shuttle zur Redaktion fahren. Doch – wie mir deren App nun mitteilt – erweist sich die 1,2 Kilo-meter lange Strecke als zu kurz. Eine Alternative muss her. Vielleicht per Schiff? Schließ-lich liegen sowohl der Berliner Dom als auch die Redaktion unweit der Spree. „Wir halten

zwischendurch nicht“, nimmt mir ein Mitarbeiter der Reederei Hadynski auch diese Hoffnung. Egal, wer einen Wettbewerb gewinnen will, darf jetzt nicht zögerlich werden, also eile ich zurück zum Gotteshaus. Und da sitzt er schon, mein Retter: Rachid, 35 Jahre alt, Fahrer eines Velotaxis. Meist kutschiert er Touristen, manchmal „sogar bis nach Potsdam“. Der Student, der in diesem Jahrhundertsommer seine erste Saison auf dem elektrisch angetriebenen Rad fährt, düst los, noch bevor ich mein Ziel auszusprechen imstande bin. Mit gefühlt 30 Sachen macht er einen U-Turn auf der vierspurigen Fahrbahn, brettert Bürgersteige hoch und runter und jagt durch einen Park, als handele es sich um den Nürburgring. Beinahe streifen wir einen Bagger an der Baustel-le fürs neue Berliner Schloss! Keine vier Minuten und acht Euro weniger halten wir in der Wallstraße 27, als Vorletzte. Wäre ich von vornherein mit Rachid und seinem Velotaxi gefahren – der Sieg wäre uns sicher gewesen!

30 MINUTEN

4 SEKUNDEN

11,54 €

9 MINUTEN

45 SEKUNDEN

7,00 €

15 MINUTEN

38 SEKUNDEN

2,80 €

14 MINUTEN23 SEKUNDEN 0,00 €

6 MINUTEN

13 SEKUNDEN

2,80 €

22 MINUTEN23 SEKUNDEN 8,00 €

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NGIN MOBILITY I 5958 I NGIN MOBILITY

AIRBUS & HYPERLOOP

Flugtaxis und der Hyperloop sollen die Verkehrsmittel der Zukunft sein. Doch wie weit ist die Arbeit an Passagierdrohnen und dem Superzug wirklich – geht es voran oder war alles nur ein Hype?

Sollten wir nicht eigentlich schon alle durch die Luft zur Arbeit schweben? Oder im luftleeren Tunnel mit aberwitzigen Geschwindigkeiten von Berlin nach Frankfurt sausen? Flugtaxis und der Hyper-

loop wurden in den vergangenen Jahren als Lösung für die Verkehrsprobleme der Menschheit gefeiert; erste Anbieter präsentierten ihre technischen Konzepte. Doch was ist seit-dem passiert? Geht die Entwicklung voran oder war alles nur ein Hype?

Schaut man auf die Ankündigungen der vergangenen Wochen und Monate, wird schnell klar: Modelle für fl iegen-de Taxis gibt es viele. Der Triebwerks- und Autohersteller Rolls-Royce arbeitet an einem, ebenso das von Daimler fi -nanzierte Unternehmen Volocopter. In Bayern ist das Star-tup Lilium dabei, in das TV-Gründer Frank � elen investiert hat, und Audi kooperiert mit dem Flugzeugbauer Airbus. An der RWTH Aachen wird derweil das Silent Air Taxi entwi-ckelt. Sogar der britische Luxussportwagenbauer Aston Mar-tin hat eine Studie mit dem wohlklingenden Namen Volante Vision Concept vorgestellt. Das Volante Vision Concept soll eine „Vision für die nähere Zukunft“ für ein Flugtaxi dar-stellen, „das drei Personen mit hybrid-elektrischem Antrieb innerorts oder auch von Stadt zu Stadt befördern“ können soll, wie der Hersteller erklärt. Wann diese nähere Zukunft da sein wird, verrät aber auch der britische Autobauer nicht. Es bleibt bei vollmundigen Versprechungen. Jungfernfl üge elektrischer Flugtaxis außerhalb von Computeranimatio-

nen sollen schon in wenigen Monaten stattfi nden – sagen die Hersteller. Intel-Chef Brian Krzanich hob schon im ver-gangenen Dezember in einer Lagerhalle nahe München in einem Volocopter ab. Die Lilium-Gründer haben sich das nach eigener Aussage bislang nicht getraut – der fehlenden Zulassung wegen. Zwar hat auch das Münchener Startup längst mit einem Prototypen den ersten Testfl ug hinter sich gebracht, allerdings mit einer kleineren Variante des Flug-geräts mit Minimalausstattung und ohne Personen an Bord. Will heißen: Technologisch sind Flugtaxis keine Zukunfts-musik, auch wenn die Hersteller mit Einschränkungen wie hohem Energieverbrauch und dementsprechend geringen Reichweiten zu kämpfen haben.

Anders sieht es mit den Geschäftsmodellen aus, denn hier gibt es keinerlei Erfahrungswerte. Lilium hat seines so-gar schon geändert: War ursprünglich ein Zweisitzer für den geneigten Privatier geplant, soll es nun ein fünfsitziges Taxi werden – was für den Anbieter mehr Einnahmen pro Flug

TIEF IM

bedeutet. Beim VC-fi nanzierten bayerischen Startup will man dringend auf Wirtschaftlichkeit testen. „In den frühen 2020er Jahren“ sei der kommerzielle Start geplant, sagen die Gründer. Das Unternehmen ist gerade auf den Sonderfl ug-hafen Oberpfa� enhofen/Weßling umgezogen und beschäf-tigt derzeit 170 Mitarbeiter – Tendenz schnell steigend.

Dass es innerhalb der kommenden zwei bis fünf Jah-re schon erste Flugtaxi-Angebote geben wird, glaubt auch � omas Jarzombek. Er ist Luft- und Raumfahrtkoordinator der Bundesregierung und hält etwa einen Pendeldienst zwi-schen Flughafen und Hauptbahnhof in größeren Städten für möglich. Jarzombek zweifelt aber an der Wirtschaftlichkeit kleinerer Flugtaxis mit nur einem Piloten und einem Fahr-gast: „Ich sehe da vorerst keinen Business Case“, sagt er im Gespräch mit NGIN Mobility. Auch aus regulatorischer Sicht spreche erst einmal nichts gegen fl iegende Taxis: „Der Luftraum ist grundsätzlich frei für alle. Und so lange die An-bieter die Genehmigung von der Bahn und dem Flughafen für Start und Landung bekommen, steht einem Flugshuttle-dienst nichts im Weg.“ Auch in Berlin könne sich Jarzombek einen solchen Service vorstellen, wenn der Flughafen BER einmal in Betrieb sei. Eine Regulierung müsse aber spätes-tens dann gefunden werden, so der CDU-Politiker, wenn

mehrere Anbieter sich den Luftraum teilen oder es Beschwer-den aus der Bevölkerung gibt. „Das Ganze muss handhabbar bleiben“, sagt Jarzombek. „Aber auch heute gibt es ja bereits Hubschrauber, die Personen transportieren.“ Etwa könnten bestimmte Flugschneisen festgelegt werden, ein Vorschlag, für den sich Anbieter wie Lilium stark machen. „Gut geregelt ist aber die Zulassung der Fluggeräte selbst, aber bei der Er-teilung von Aufstiegsgenehmigungen gibt es noch Probleme. Die Vorgaben der EASA machen weiteren Druck“, sagt Jar-zombek. Die Akzeptanz für Flugtaxis schätzt er hierzulande eher verhalten ein – anders als in Ländern wie Dubai, die sich bereits o� en für solche Angebote gezeigt haben und deswegen von den Herstellern gern als frühe Zielmärkte ge-nannt werden.

Um herauszufi nden, wie die Bevölkerung wirklich zu den neuartigen Fluggeräten steht, wurden zwei Demonst-rationsregionen in Deutschland eingerichtet: Während in Ingolstadt Personenfl üge getestet werden sollen, geht es in Hamburg um ferngesteuerte oder autonome Service-Droh-nen, mit denen etwa Windräder auf dem Meer gewartet wer-den können. Auch den Anbietern ist bewusst, wie wichtig die Akzeptanz in der Bevölkerung, also unter den potenziellen Kunden ist. Um Lärmbelastungen zu vermeiden, sollen etwa die Flugtaxis von Volocopter auf Hochhäusern starten und landen. Dafür hat das Startup eine eigene Landevorrichtung entwickelt, über die nicht nur Passagiere ein- und aussteigen, sondern auch die Akkus ausgetauscht werden können. Das soll der eher bescheidenen Reichweite entgegenwirken: Mit einer Ladung scha� t der Volocopter lediglich 30 Kilometer.

Sicher auch, um besser bei der Bevölkerung anzu-kommen, wirbt Lilium gerne mit einem niedrigen Preis-niveau des angedachten Shuttledienstes. Nicht viel mehr als eine Taxifahrt soll dieser Kosten, dafür aber um einiges schneller sein. Aus den bislang demonstrierten Konzep-ten wird eins klar: Flugtaxis können zunächst nur für feste Punkt-zu-Punkt-Verbindungen eingesetzt werden. Eine Ent-

TUNNEL

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THE BORING COMPANYGegründet: 2016Gesicht: Elon MuskGesammelt: 113 Millionen DollarGeschafft: Tunnelbohrmaschine „Godot“ vorgestellt, Erlaubnis für Bohrungen unter Washington – und ein Flammenwerfer mit Firmenlogo

VIRGIN HYPERLOOP ONEGegründet: 2014Gesicht: Richard BransonGesammelt: 276 Millionen DollarGeschafft: Geschwindigkeitsrekord 387 km/h auf 500-Meter-Teststrecke in Nevada, Testkapsel in Original-größe vorgestellt, Vereinbarung über Streckenbau in Indien

HYPERLOOP TRANSPORTA-TION TECHNOLOGIES (HTT)Gegründet: 2013Gesicht: Dirk AhlbornGesammelt: 31 Millionen DollarGeschafft: Vereinbarungen über Strecken-bau in China, Ukraine und Verei-nigten Arabischen Emirate, erste Passagierkapsel wird in Spanien gebaut

Drei exemplarische Hyperloop-Produzenten

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Flugtaxis und der Hyperloop sollen

Superzug wirklich – geht es voran

SUPER

LUFT

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60 I NGIN MOBILITY

lastung des innerstädtischen Verkehrs ist damit nicht zu er-warten. „Die großen Massen wird das nicht bewegen“, sagt � omas Jarzombek.

Das zweite Transportmittel der Zukunft, von dem zwar viel zu lesen, aber wenig zu sehen war, ist der Hyperloop: Magnetschwebe-Kapseln rasen mit Beinahe-Schallgeschwin-digkeit durch luftleere Röhren, Strecken zwischen hunderte Kilometer voneinander entfern-ten Metropolen schrumpfen auf Pendlerdistanz. Von Berlin nach Frankfurt am Main soll man so in einer halben Stunde fahren kön-nen statt in vier.

Tesla-Chef Elon Musk mach-te die Idee 2013 mit einem White Paper populär. Mehrere Firmen arbeiten an der Umsetzung, auch Musk selbst mit seinem Unter-nehmen � e Boring Company. In Hochschulwettbewerben werden alljährlich die besten Kap-selkonzepte ausgezeichnet, auch deutsche Studierende aus München und Oldenburg machen mit. Doch bis zum ersten voll funktionsfähigen Hyperloop wird noch einige Zeit ver-gehen. „Drei bis fünf Jahre Bauzeit sind realistisch für eine Teststrecke von zehn Kilometern“, schätzt Gabriele Semino. Der Physiker managt das Team WARR von der Technischen Universität München, das schon zweimal Elon Musks Hy-perloop-Wettstreit in Kalifornien gewonnen hat. „Bis 100 Kilometer Streckenlänge halte ich sieben bis zehn Jahre für machbar“, sagt er.

Das ist etwas weniger optimistisch als die Prognose von Virgin Hyperloop One. Das vom Milliardär Richard Bran-son unterstützte Startup aus Los Angeles ist auf dem Weg zum Hyperloop bislang am weitesten gekommen. Es hält mit 387 km/h den Geschwindigkeitsrekord, hat bereits eine Kap-sel im Originalmaßstab getestet und will in fünf bis sieben Jahren in Indien die erste kommerzielle Strecke erö� nen, und zwar zwischen den Städten Mumbai und Pune, so die Vereinbarung mit der Regierung – Luftlinie 119 Kilometer.

Vereinbarungen mit Regierungen vermelden Hyperlo-op-Startups gern. Das vermittelt Aktionismus mit o� ziellem Anstrich. Allein drei Streckenprojekte kündigte zum Beispiel Hyperloop Transportation Technologies (HTT) bisher an, das vom deutschen Manager Dirk Ahlborn geführt wird: in der Ukraine, China und den Vereinigten Arabischen Emira-ten. Machbarkeitsstudien entwickelt das Unternehmen in den USA, Indien, Südkorea, Indonesien und Tschechien. Zu Gesicht bekommen hat man noch nichts von der Technolo-gie. „Wir sehen keinen Vorteil darin, den anderen zu zeigen,

was wir machen und wie wir es machen“, sagte Ahlborn im vergangenen Jahr gegenüber NGIN Mobility. Teststrecken und die erste Passagierkapsel von HTT sollen sich mittler-weile immerhin im Bau befi nden.

Wenn die Hyperloop-Startups so wenig Konkretes vor-zuweisen haben, warum geben sie sich dann so zuversicht-lich, dass ihre Ideen schon bald Realität werden? Semino sieht

in dieser Haltung nicht unbedingt et-was Schlechtes: „Die Firmen tendieren dazu, optimistisch zu sein. Einerseits, um das Interesse hoch zu halten, und andererseits, um sich selbst zu motivie-ren, es möglichst schnell auf die Reihe zu kriegen.“ Der Erfolg hänge am Ende aber nicht von der reinen Technik ab, glaubt der Physiker, sondern vor allem von der Wirtschaftlichkeit. „Technisch ist vieles machbar, aber ob es sich am Ende lohnt und im großen Maßstab ge-

baut werden kann, das ist eine andere Frage.“ Wo Flugtaxis nur Start- und Landeplätze brauchen, erfordert der Hyper-loop eine komplett neue Infrastruktur: Bahnhöfe, Trassen, Tunnel, Brücken.

Das größte Problem: Es gibt keine „One size fi ts all“-Lö-sung. Wie eine Strecke verlaufen kann, hängt von den Gege-benheiten vor Ort ab. „Zwischen Los Angeles und San Fran-cisco hat man eine bestehende Autobahn, die relativ gerade und auf fl achem Land verläuft“, erklärt Semino. Ein ober-irdisches System neben der Fahrbahn wäre hier denkbar. „Wenn man aber von Deutschland nach Italien bauen wol-len würde, müsste man quer durch die Alpen. Dann müsste man sich viel mehr Gedanken um Tunnel machen.“

Denn Hyperloop-Strecken sollten möglichst gerade sein. Kurven sind bei Fast-Schallgeschwindigkeit wegen der Fliehkräfte unangenehm für Passagiere und schlecht für die Energiebilanz. Jedes Abbiegen bedeutet Geschwindigkeits-verluste, die durch erneutes Beschleunigen ausgeglichen werden müssen. Die sparsamsten Hyperloop-Konzept sehen vor, die Kapsel nur am Beginn der Reise anzuschieben und dann ohne weiteren Antrieb gleiten zu lassen, bevor sie am Ziel wieder abgebremst wird. Da sollte es am besten nur ge-radeaus gehen. Egal ob hoch in der Luft oder tief in der Va-kuumröhre: Der Hype um die futuristischen Fortbewegungs-mittel ist abgefl aut und tri� t auf die wirtschaftliche Realität. Technologisch scheinen Flugtaxi- und Hyperloop-Unterneh-men durchaus zu vielem in der Lage zu sein. Nun müssen sie beweisen, dass sich damit auch Geld verdienen lässt.

„DIE GROSSEN MASSEN WERDEN FLUGTAXIS NICHT BEWEGEN“THOMAS JARZOMBEK, LUFT- UND RAUMFAHRTKOORDINATOR DER BUNDESREGIERUNG

Text: Timo Brücken und Alex Hofmann

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Die Teststrecke des Virgin Hyper-loop Onein Nevada

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NGIN MOBILITY I 6362 I NGIN MOBILITY

BUILD YOUR DREAM

SELBST WARREN BUFFETT IST EIN FAN VON DIESEN BUSSEN Das chinesische Unternehmen Build Your Dream baut Fahrzeuge, nach denen sich die halbe Technikwelt umschaut

Die Build-Your-Dream-Fabrik in

der chinesischen Stadt Xi’an

Die Liste der Autohersteller in China ist lang und voller Namen, von denen in Europa allerhöchs-tens Experten gehört haben. BAIC, Changan, Dongfeng, Trumpchi oder auch Lifan. Zu diesen

Herstellern gehört auch der Konzern Build Your Dream (BYD). Dessen Geschichte ist nicht nur ein Lehrstück des chinesischen Staatskapitalismus der vergangenen 20 Jahre, sondern auch die eines Mannes, der mit einer einzigen Idee gestartet ist: Chuangfu Wang.

Mit gerade mal 29 Jahren gründete der Chinese 1995 eine kleine Firma, die sich mit der Herstellung von wieder-aufl adbaren Batterien beschäftigte. Wang erkannte, dass sich der Markt für Mobiltelefone in den 90er Jahren explo-sionsartig entwickeln würde. Innerhalb weniger Jahre stieg er zum wichtigsten Batterielieferanten für Unternehmen wie Nokia oder Sony auf. Schon Anfang der 2000er Jahre hätte er sich eigentlich zur Ruhe setzen können. Stattdessen kauf-te er 2002 den in Schwierigkeiten geratenen Autohersteller Tsinchuan Automobile Company für relativ wenig Geld auf.

BYD startete mit nur einem Auto, dem Flyer. Der winzi-ge Kleinwagen war ausgestattet mit einem Motor von Suzu-ki und verkaufte sich mäßig gut. Die mageren Einnahmen durch den Flyer steckte Wang sofort wieder in das Unterneh-men. Sein Ziel: das riesige Know-How aus seiner Batterieher-stellung in die Autoproduktion zu stecken. Er ließ sich Zeit für die Entwicklung, denn er wusste, dass er auf dem Markt nur dann eine Chance haben würde, wenn ihm eine kleine Revolution gelingen würde.

Diese Revolution erfolgte 2008 in Form eines neuen Autos. Die unter dem Namen BYD F3DM präsentierte Mit-telklasse-Limousine verfügte über einen Plugin-Hybrid-An-trieb, dessen 16 kWh Batterie eine reine elektrische Reich-weite von 60 Kilometern hatte. Damit stellte BYD als erstes Unternehmen weltweit einen Plugin-Hybriden in Großserie her. Während in Deutschland bei VW und Audi verzweifelte Ingenieure eine nicht ganz legale Software entwickelten, um den Dieselmotoren zu besseren Emissionswerten zu verhel-fen, startete das chinesische Unternehmen eine neue Ära im Motor- und Autobau.

Hilfreich dabei war der chinesische Staat. Dort hatte man früh erkannt, dass der wachsende Individualverkehr im Land für Probleme sorgen würde. Die Entwicklung von E-Autos stand früh im Fokus der Staatsregierung. Die Ver-kaufszahlen des ersten Hybrids blieben mit knapp 3.300 Stück im überschaubaren Bereich. Aber BYD ging es zu-nächst auch nicht um den reinen Absatz, sondern um den Au� au von Know-how. Zum einen in der komplexen Fer-tigung eines Autos, zum anderen in der Verbesserung des Antriebs.

Nur zwei Jahre später, 2010, folgte mit dem BYD e6 das erste rein elektrische Auto. Der Mittelklasse-Van verfügte über eine Reichweite von 300 Kilometern und war bis 2016 das meistverkaufte E-Auto in China und damit auch in der Welt. Insgesamt setzte das Unternehmen bis 2016 über 40.000 Einheiten von dem Fahrzeug ab. Es war also nicht Tesla, die mit dem ersten Serienfahrzeug mit Elektroantrieb in einer Massenproduktion auf den Markt kamen, sondern BYD. Die Aggressivität, die BYD in Sachen Elektromobilität an den Tag legt, ist erstaunlich und fi el schon früh Investo-ren auf. Starinvestor Warren Bu� ett erkannte die Strategie des Konzerns und investierte schon 2008 mit 280 Millionen Dollar in rund zehn Prozent des Konzerns. Die erhaltenen

Millionen steckte der Konzern wieder in die Elektromobili-tät – und hier vor allem in den Bereich Trucks und Busse.

Elektrische Busse spielen in der Strategie der chinesi-schen Regierung eine große Rolle. Da die Motorisierung des Mittelstands noch am Anfang steht und der ö� entliche Nahverkehr in der Verkehrspolitik priorisiert wird, hat sich in China schnell ein großer Markt für E-Busse entwickelt. Schon 2010 stellte BYD daher den ersten E-Bus vor, der bis heute gebaut wird. Die Menge an E-Bussen, die auf Chinas Straßen verkehren, ist im internationalen Vergleich atembe-raubend. Von den weltweit 300.000 verfügbaren E-Bussen bewegen sich über 98 Prozent in China.

Das Wachstum im E-Bus-Segment ist deutlich größer als jenes von E-Autos. Die chinesische Industrie hat das sehr früh erkannt und auf die Massenproduktion elektrischer Busse gesetzt. Während europäische Hersteller erst 2019 die ersten Fahrzeuge auf die Straße schicken, wird in China schon die zweite und dritte Generation produziert. BYD sah schon früh, dass E-Busse der Türö� ner für den europäischen und US-Markt sind. Denn mit einem eigenen Pkw hat man auf dem verwöhnten europäischen und sehr speziellen US-Markt wenig Chancen. Die Kunden kennen die Marken nicht und kaufen lieber bei einheimischen Herstellern. Busse bie-ten zwei Vorteile. Erstens lassen sie sich in Flotten verkaufen, es muss dafür kein großer Vertrieb oder Werkstattkapazitä-ten aufgebaut werden. Zweitens dienen sie auch als Marke-ting-Vehikel für einen späteren Eintritt auf den Pkw-Markt. Der Angri� von Unternehmen wie BYD erfolgt also über den Markt der schweren Nutzfahrzeuge.

Allerdings hat das Unternehmen auch Schwachstellen. So weit der E-Autohersteller im Rennen um den elektrischen Antrieb vorne liegt, so sehr hinkt er im Bereich des autono-men Fahrens und der Software für moderne vernetzte Enter-tainmentsysteme hinterher. Um beim autonomen Fahren dranzubleiben, hat man sich mit dem ebenfalls aus China stammenden Softwaregiganten Baidu zusammengetan. Der hat in den vergangenen Jahren das autonome Fahren in Chi-na massiv vorangetrieben und gilt weltweit als ernstzuneh-mender Wettbewerber.

Trotz der Mängel in der Digitalisierung ist davon aus-zugehen, dass BYD als erster unabhängiger chinesischer Hersteller auf den Weltmärkten für Aufmerksamkeit sorgen wird. Das Unternehmen hat das Know-how, eine eigene, un-abhängige Akku-Herstellung und das Geld für eine aggres-sive Expansionspolitik. Für all das hat Chuangfu Wang, der das Unternehmen immer noch alleine führt, nur zwanzig Jahre benötigt. Die nächsten zwanzig Jahre könnten den endgültigen Aufstieg in die Weltspitze bedeuten.

Build Your DreamIN ZAHLENSitz: Shenzhen, ChinaKilometer: 170 bis 300Markteintritt: 2010Maximale Passagierzahl: 49 bis 150Batteriekapazität: 160 bis 380 kWh

Text: Don Dahlmann

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NGIN MOBILITY I 6564 I NGIN MOBILITY

MOTIV

„WIR SIND IN EINER VIEL BESSEREN POSITION ALS TESLA“ Jim Castelaz’ Firma Motiv entwickelt Technologien, mit der Akkus, Motoren und andere Elektronik in so vielen Fahrzeugarten wie möglich eingesetzt werden können

Gestartet hat Jim Castelaz seine Firma Motiv 2009 mit einer einfachen Idee: Die Benzinmotoren von vielen Lieferfahrzeugen und Minibussen, die tagtäglich durch die Städte fahren, durch

elektrische Antriebe zu ersetzen. Vor allem in den USA ist das ein vielversprechendes Konzept, weil dort viel auf stan-dardisierten Chassis basiert. Die Grundlage für das Fahr-zeug ist dann gleich, und je nach Bedarf kann per Aufsatz ein Paketbotenfahrzeug, ein Wäscherei-Lieferwagen oder ein Schulbus entstehen. Während sich die großen Anbieter aufgrund höherer Margen derzeit eher auf das nur langsam anlaufende Geschäft mit elektrischen Personenfahrzeugen fokussieren, sind die Anwendungsfälle für mittelschwere Nutzfahrzeuge aus seiner Sicht ideal, um zukünftig elekt-risch betrieben zu werden: Sie sind umweltfreundlicher und belasten die Städte mit weniger Lärm.

Sehr früh ist Castelaz deshalb eine Kooperation mit dem Autobauer Ford eingegangen, einem der größten Anbieter benzinbetriebener Nutzfahrzeugkarosserien. Seitdem baut seine Firma kompatible Elektrochassis, die von Ford aktiv vertrieben und in Ford-Filialen gewartet werden können. Im Mittelpunkt der Arbeit von Motiv: Technologien zu entwi-ckeln, mit der handelsübliche Akkus, Motoren und weitere Elektronik an so vielen unterschiedlichen Fahrzeugarten wie möglich eingesetzt werden können. Das bringe Motiv in eine bessere Position als Tesla, sagt Castelaz. Auch, weil sich Motiv nicht um das Interieur kümmern muss, was für Tesla in der Vergangenheit immer wieder eine Herausforderung war. Selbst wenn das Prinzip „unvollständiger Fahrzeuge“, wie sie im Fachjargon genannt werden, in Europa nicht so

sehr verbreitet ist, interessiert sich Castelaz für den hiesigen Markt. „Wir sehen uns den Markt dahingehend an, wie wir etwa mit der Lieferung von Komponenten aktiv werden können.“ Die Strategie dabei soll die gleiche sein wie im Hei-matmarkt: eine Zusammenarbeit mit einem traditionellen Autobauer oder einem der größeren Zulieferer. Auf der New Mobility World im Rahmen der IAA in Hannover will sich Castelaz informieren, wo das größte Potenzial für sein Ange-bot besteht. Erste Gespräche mit hiesigen Anbietern seien be-

MOTIV

Motiv kooperiert mit dem Autobauer Ford, einem der größten Anbieter benzin-betriebener Nutzfahrzeugkarosserien

reits im Gange, sagt Castelaz. Derzeit gebe es aber noch keine konkreten Pläne. Ob Motiv irgendwann auch Technologien für autonomes Fahren entwickeln wird?

Castelaz will das nicht ausschließen, am Ende gehe es darum, dass die Fahrzeuge ihren Dienst erfüllen. Wenn

das automatisiert möglich sei und eine Nachfrage dafür bestehe, müsse das natürlich auch zum Angebot gehören. Motiv versuche, die Karosserien stetig weiterzuentwickeln, das führe dann wahrscheinlich irgendwann auch zu autono-mem Fahren.

Stolz ist der Motiv-Gründer sichtlich auf die Upgrades, die sein Unternehmen kabellos an die Fahrzeuge verteilen kann. Etwa das automatische Stehenbleiben am Berg, kon-trolliert durch den Elektromotor, nicht durch die Bremsen. „Motiv wird zum Betriebssystem für die Fahrzeuge“, wirbt Castelaz. In der Vergangenheit hatten sich bereits Vorstände deutscher Autobauer gegenüber Tesla neidisch gezeigt, was diese Fähigkeit angeht. Währenddessen hat Motiv in den USA bereits einige Erfahrungen gesammelt. Die ersten Fahr-zeuge sind seit 2014 im Einsatz: Zusammen mit Google be-treibt Castelaz‘ Unternehmen einen Shuttleservice in Moun-

Motiv Power SystemsAUFGELADEN

In den USA ist das System weit verbreitet: Auf ein Standard-Chassis

wird ein angepasster Aufsatz gepackt. Jim Castelaz’ Idee: Tauscht man das „unvollständige Fahrzeug”, wie es im

Jargon genannt wird, aus gegen einen elektrischen Unterbau, kann man

einen großen Markt bedienen. Derzeit überlegt Castelaz, wie seine Firma in

Europa Fuß fassen kann.

tain View. „Die Fahrzeuge haben heute 60.000 Meilen hinter sich, und wir haben viel über die Laufl eistung der Akkus und über Wartungszyklen gelernt.“ Wie groß auch das ö� entli-che Interesse an schadsto� armen und leisen Fahrzeugen ist, lässt sich daran ablesen, wie viel fi nanzielle Unterstützung Castelaz vom Land Kalifornien einwerben konnte: „Von insgesamt 60 Millionen Dollar an Investment-Kapital sind rund die Hälfte Forschungsgelder, die wir von ö� entlichen Institutionen bekommen haben“, sagt der Motiv-Gründer. 60 Mitarbeiter beschäftige das Unternehmen mit Hauptsitz im Silicon Valley derzeit. Ob er auch ganz groß denke – will hei-ßen: den Einstieg ins Lkw-Geschäft? Castelaz wiegelt ab. Das habe aber nichts damit zu tun, dass E-Mobility-Platzhirsch Tesla bereits seinen eigenen Truck vorgestellt hat. Sondern weil Motiv im jetzigen Markt noch genug Potenzial sehe. „Außerdem gibt es einfach noch zu viele o� ene Fragen bei Langstreckenfahrzeugen, zum Beispiel zur Ladeinfrastruk-tur an den Straßen“, sagt Castelaz. Und sich damit auseinan-derzusetzen, gehöre nicht zum Geschäft seines Startups.

Text: Alex Hofmann

„MOTIV WIRD ZUM BETRIEBSSYSTEM FÜR DIE FAHRZEUGE“JIM CASTELAZ

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NGIN MOBILITY I 6766 I NGIN MOBILITY

400

Die neue Seidenstraße besteht aus Schienenpaaren. Fast die Hälfte der 3673 Güterzüge, die 2017 zwi-schen China und Europa fuhren, hatten Deutsch-land als Ziel. 14 Tage brauchen sie für die 10.000

bis 12.000 Kilometer lange Strecke. Die Fracht muss zwei-mal umgeladen werden, denn zwischen China und Europa liegt Russland. Und dort fahren Züge auf breiteren Schie-nen. Das kostet viel Zeit. Joachim Winter will die Strecke mit seinen Ultrahochgeschwindigkeitszügen in drei Tagen scha� en. So würden Güterzüge zu Konkurrenten von Cont-ainerschi� en werden.

Winter ist Projektleiter für den Next Generation Train (NGT) beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dessen Forscher kümmern sich neben Flügen zur Internationalen Raumstation ISS seit 2007 auch um so ir-dische Dinge wie Eisenbahnen. Sie verfolgen ein hohes Ziel: Winters Next Generation Train scha� t 400 Stundenkilo-meter. „Das ist die oberste sinnvolle Geschwindigkeit der Rad-Schiene-Technik“, sagt er. Seine neuen Züge verbrau-chen halb so viel Energie wie heutige und die Schallemis-sion sinkt.

Der NGT Cargo ist ein modularer Güterzug, der auto-matisiert, also ohne Lokführer, fährt. Er besteht aus einzel-nen Wagen, die Batterien und einen eigenen Elektroantrieb besitzen. „Der Zug wird am Stadtrand vollautomatisch zer-legt, die Wagen fahren autonom zu Anschlussstellen wie Speditionsladepunkten oder Verteilzentren. Dort wird die Fracht vollautomatisch umgeladen – auf andere Verkehrs-mittel wie Fahrräder, Lkw, Seilbahnen oder Quadrokopter“, sagt Winter. „Die Einzelwagen können aufgrund der eige-nen Energieversorgung 20 Kilometer weit und 20 km/h schnell autonom fahren.“

Die neue Technologie soll den Güterverkehr auf der Schiene wirtschaftlich machen. „Ein Güterzug von Shang-hai nach London braucht 18 Tage“, sagt Winter. Er will diese Strecke in drei Tagen scha� en und die Durchschnittsge-schwindigkeit von 20 auf 150 Stundenkilometer (km/h) er-höhen. Der Bahnexperte hält das für realistisch. Denn das zeitaufwändige Rangieren entfällt. Das machen die Wag-gons autonom. Auch die Spitzengeschwindigkeit des aero-dynamisch optimierten Zuges liegt bei 400 km/h.

Lokführer sind in diesem System nicht mehr vorgese-hen. Die Züge fahren auf den digitalisierten Strecken, auf denen es nicht einmal mehr Signale gibt, vollautomatisch. „Die Position des Fahrzeuges ist vollständig bekannt und die Vorgaben für den Triebfahrzeugführer sind so, dass er ihnen folgen muss“, sagt Winter. Daher stellt sich die Frage, wozu man einen Menschen auf einem solchen Hochrisi-ko-Arbeitsplatz überhaupt noch braucht. Er könnte in einer kritischen Situation eh nichts machen. Bestenfalls sieht er einen Kilometer weit. Doch der 400 km/h schnelle Ul-trahochgeschwindigkeitszug käme bei einer Notbremsung erst nach acht Kilometern zum Stehen.

Mit solchen Zügen könnte die Schiene zu einer Kon-kurrenz für Lkw und umweltschädliche Containerschi� e werden. Erst recht, wenn man über neue Strecken nach-denkt. Eine geplante Bahnstrecke von Dschibuti nach Dakar durchquert Afrika an der breitesten Stelle. „Die wäre ideal für unseren Zug.“ Ferner gibt es kühne Pläne, die 85 Kilome-ter breite Behringstraße von Russland nach Kanada oder in die USA mit einer Bahnlinie zu untertunneln. „Dann könn-te man von Südamerika bis nach Europa fahren.“

Die EU verfolgt das Ziel, bis zum Jahr 2050 die Hälf-te des europäischen Personen- und Güterfernverkehrs auf

ZÜGE DER ZUKUNFT

MIT TEMPO

Züge und Schi� e zu verlagern. Das geht nur mit einem neuen Bahnkonzept: einem paneuropäischen Ultrahoch-geschwindigkeitsnetz mit Tempo 400 und relativ wenigen Haltepunkten, von denen Hochgeschwindigkeitszüge stern-förmig mit Tempo 230 in kleinere Zentren fahren. Mit die-sem System verkürzen sich die Reisezeiten deutlich.

Winter plant auch ultraschnelle Personenzüge (NGT). Sie sind nicht nur schneller und energiesparender als heuti-ge ICE. Sie sind auch anders strukturiert. „Viele Ideen kennt man aus der Luftfahrt – insbesondere das Boarding“, sagt der Zukunftsforscher. „Bahnreisende der Zukunft geben ihr Gepäck auf und erhalten es am Zielbahnhof zurück.“ Es wird automatisch in ein Gepäckabteil im Zug befördert. Das verscha� t den Menschen Beweglichkeit auf dem Bahnsteig und beschleunigt den Einstieg.

Das zukünftige Netz braucht neue Fernbahnhöfe. „Denn mit heutigen Hauptbahnhöfen sind die EU-Ziele nicht zu scha� en“, sagt Winter. Dort muss es schnell gehen. Winter und seine Verkehrsplaner haben errechnet, dass Fernzüge im Fünf-Minuten-Takt abfahren.

Dort geht es auch strukturierter zu als an Bahnhöfen der heutigen Zeit. Denn der 200 Meter lange NGT fasst 800 Passagiere in Doppelstockwagen – also doppelt so viele wie ein heutiger ICE. Gekoppelte Züge könnten 1600 Menschen transportieren. Herkömmliche Bahnsteige können solche Menschenmassen nicht fassen. Anders als in heutigen Regi-onalzügen hat der NGT Ausstiege auf beiden Etagen. Das er-fordert doppelstöckige Bahnsteige. Oben ist die First Class, unten Economy. Grund dafür ist die Form der Wagen: „We-gen des Lichtraumprofi ls mit abgerundeten Kanten passen oben nur drei Sitze nebeneinander“, sagt der Planer. Rechts und links des Zuges wird es je einen Bahnsteig geben, einer

zum Einsteigen, einer zum Ausstieg – die sogenannte Spa-nische Methode. „Erst werden die Türen auf der einen Seite geö� net, damit die Leute aussteigen. Zeitverzögert ö� nen sich die Einstiegstüren auf der gegenüberliegenden Seite am anderen Wagenende. Dieser Fahrgastwechsel könnte in 90 Sekunden erfolgen.“

Auch in der Technik unterscheiden sich die Züge von der heutigen Bahn. Die Oberleitung ist ein Auslaufmodell. Sie hat Riesennachteile – ist wartungsintensiv, störungsan-fällig und für einen Großteil des Bahnlärms verantwortlich. Die Bahn der Zukunft wird induktiv geladen: Elektromag-nete am Gleis übertragen die Energie in die Lok – eine mehr als 100 Jahre alte Technologie, die man von Handys oder elektrischen Zahnbürsten kennt. „Diese Technologie ist aber wirtschaftlich zur Zeit noch nicht umsetzbar.“

Angetrieben wird der Zug von dezentralen Elektro-motoren, die direkt auf den Radnaben der Einzelräder sitzen. Das scha� t mehr Platz im Endwagen (fürs Gepäck) und spart Energie: Denn die Radmotoren dienen zugleich als Bremsen. Die Bremsenergie wird in Batterien gespei-chert und später wieder für den Antrieb genutzt. Und ganz nebenbei können solche Züge die Spurbreite automatisch wechseln – ein Vorgang, der den Verkehr nach Russland und Spanien beschleunigen wird.

Die EU will verkehrsbedingte Emissionen bis zum Jahr 2050 um 60 Prozent senken. Der Schienenverkehr kann hier einen Beitrag leisten. „Das Blatt wendet sich, weil man erkennt, dass man die Klimaprobleme mit der Elektromobi-lität des Individualverkehrs nicht lösen kann“, sagt Winter.

DL

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Text: Jürgen Stüber

400ter breite Behringstraße von Russland nach Kanada oder in ter breite Behringstraße von Russland nach Kanada oder in die USA mit einer Bahnlinie zu untertunneln. „Dann könn-die USA mit einer Bahnlinie zu untertunneln. „Dann könn-te man von Südamerika bis nach Europa fahren.“

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fordert doppelstöckige Bahnsteige. Oben ist die First Class, unten Economy. Grund dafür ist die Form der Wagen: „We-

erkennt, dass man die Klimaprobleme mit der Elektromobi-lität des Individualverkehrs nicht lösen kann“, sagt Winter.

NGIN MOBILITY I 67

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unten Economy. Grund dafür ist die Form der Wagen: „We-gen des Lichtraumprofi ls mit abgerundeten Kanten passen oben nur drei Sitze nebeneinander“, sagt der Planer. Rechts und links des Zuges wird es je einen Bahnsteig geben, einer

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Text: Jürgen Stüber

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Güterzüge der nächsten Generation: Sie sind ultraschnell, energiesparend und intelligent

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NGIN MOBILITY I 6968 I NGIN MOBILITY

DROHNEN IN LAGERHALLEN

Sie sind so groß wie ein Balkontisch, wiegen we-niger als eine Katze, summen leise und arbeiten vollautomatisch. Drohnen sollen die menschliche Arbeit erleichtern, doch derzeit gibt es noch einige

Stolpersteine. Die kleinen Fluggeräte werden elektrisch an-getrieben, speisen ihre Energie während des Einsatzes aus Batterien. Dadurch ist ihre Flugzeit begrenzt. Länger als 45 Minuten kann eine Drohne derzeit nicht in der Luft bleiben.

Dazu kommt, dass die unbemannten Fluggeräte keine schweren Gewichte tragen können. Denn dadurch verringert sich ihre Batterieleistung zusätzlich. Fliegen die Luftfahrzeu-ge im Außenbereich, sind sie kennzeichnungspfl ichtig und benötigen eine Genehmigung. Innerhalb von Gebäuden fal-len die komplizierten Regularien weg, da sich diese Bereiche in Privatbesitz befi nden und keinen ö� entlichen Luftraum darstellen. Hier müssen die Drohnen weder Plaketten mit Namen und Anschrift des Besitzers vorweisen, noch bedarf es einer Zustimmung der Luftfahrtbehörde. Ideale Voraus-

setzungen also für den Einsatz in Lagerhallen. Bei einer Inventur sind mindestens zwei Personen damit beschäftigt, den Warenbestand in den Regalen zu überprüfen. Während ein Mitarbeiter den Gabelstapler bedient, scannt der andere die Barcodes an den Paletten ein. Zwei Angestellte benötigen dafür mehr als zwei Stunden, eine Inventurdrohne scha� t das in 15 Minuten.

Das Kasseler Startup Doks Innovation baut seit Januar 2017 Inventurdrohnen für Unternehmen. 27 Minuten kann das 90 mal 90 Zentimeter große und 2,8 Kilogramm schwe-re Gerät in der Luft bleiben. Die Drohne besitzt eine Stereo-kamera, um Bilder aufzunehmen und tastet ihr Umfeld mit Sensoren und Ultraschall ab. Im Flug fotografi ert sie Bar-codes und Label, erkennt Schäden an der Verpackung und die Temperatur.

Weil GPS in Lagerhallen oftmals nicht vorhanden ist, orientiert sich das Fluggerät anhand von Regalpositionen. Die Standorte werden auf dem Gerät gespeichert und kön-

Schneller, effi zienter: Eine Lager-halle wie diese ist ein ideales Ein-satzgebiet für Drohnen. Zum Beispiel bei einer Inventur

Was vor etwa zehn Jahren noch Science-Fiction war, ist heute ein modernes Gadget: Drohnen. Allerdings beschränken technische sowie rechtliche Schwierigkeiten die Anwendung der praktischen Luftfahrzeuge

GETTY IMAGES; DOKS.INNOVATION

nen mittels einer USB-Schnittstelle auf den Computer über-tragen werden. Doks Innovation versendet die Daten eben-falls in Echtzeit über WLAN oder Bluetooth.

Der Logistikkonzern Linde arbeitet seit 2017 ebenfalls an einer Inventurdrohne, die jedoch nicht drahtfrei durch die Lagerhalle fl iegt. Flybox ist über ein Stromkabel mit ei-nem autonomen Hochhubwagen gekoppelt, der die Drohne mit Energie versorgt und sie führt. Der Wagen befördert die Drohne dabei auf die erforderliche Regalebene, das Flugge-rät hebt einige Zentimeter ab, um den Barcode einzulesen und setzt sich danach wieder auf den Wagen, um zur nächs-ten Etage angehoben zu werden.

Nach einem Testlauf im Frühjahr 2017 sollte das Lin-de-Modell eigentlich noch im Jahr 2018 in Produktion gehen. Der Markteintritt verschiebt sich jedoch auf unbestimmte Zeit, so das Unternehmen. Auch wenn Inventurdrohnen kei-ne behördliche Zulassung benötigen, rechtliche Probleme treten dennoch auf. Viele Unternehmen entscheiden sich ge-

gen den Einsatz von Drohnen, weil die Fluggeräte gegen den Datenschutz verstoßen und das Persönlichkeitsrecht verlet-zen. Beispielsweise kann der Gerätehersteller auf die Daten der abfotografi erten Paletten zugreifen. Außerdem könnten Mitarbeiter auf den Fotos zu sehen sein und so überwacht werden. Während Unternehmen und Behörden solche Ange-legenheiten klären, arbeiten Forschungsinstitute an zukünf-tigen Inventurdrohnen. Das Fraunhofer Institut entwickelt seit März 2016 beispielsweise die Balldrohne Bin:Go, die so-wohl rollen als auch fl iegen kann. Ein weiteres Zukunftssze-nario sind Transportdrohnen für den Innenbereich. Da sich in Lagerstätten aber zahlreiche Schilder, Montageleitungen und Drahtseile befi nden, deren schmale Struktur die klei-nen Luftfahrzeuge nur schwer erkennen können, dauert die Forschung weiter an. Bislang ist es noch zu gefährlich, diese fl iegenden Boten in Anwesenheit von Personen einzusetzen.

DROHNE IM ANFLUG

Text: Lisa Ksienrzyk

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NGIN MOBILITY I 7170 I NGIN MOBILITY

Ein Lastenrad,das an ein Motorrad erinnert: Ono

ONO

„ICH SUCHE NACH FEMININEN

FORMEN“Murat Günak war Chefdesigner bei Volkswagen und

Mercedes. Jetzt gestaltet er mit Ono ein E-Cargobike, das Kunden und Passanten emotional berühren soll –

mit Magie, Romantik und femininen Formen

Murat, du hast ein Fahrzeug designt, das auf einer Seite o� en ist. Warum diese Asymmetrie?Die rechte Seite ist o� en, weil der Fahrer bis zu 100 Mal am Tag aussteigt. Da ist eine Tür nicht hilfreich. Wegen der Sicherheit und als Spritzschutz ist die der Straße zugewand-te Seite halb geschlossen. Auf dieser Seite befi ndet sich auch die Grundsignatur des Fahrzeugs, weil sie vom Bürgersteig und der Straße aus gesehen wird.

Was ist die Grundsignatur?Das ist das Element, das das Fahrzeug charakterisiert. Das ist bei Ono die Spange.

Und was sagt sie aus?Sie sagt aus, dass dieses Fahrzeug eine schöne Form hat. (lacht) Sie ist ein Wiedererkennungswert für unsere Marke.

Du hast einmal gesagt, dass Designer keine Künstler sind. Ono empfi ndest du als ein schönes Objekt. Ist das also doch Kunst?Ein Künstler malt ein Bild, und es ist dem Betrachter über-lassen, ob es ihm gefällt. Aber ein Fahrzeug ist ein Massen-produkt. Der Besitzer kann sich damit nicht verstecken, es ist für jeden sichtbar, er wird immer damit in Verbindung gebracht. Fahrzeuge müssen so viele Menschen wie möglich berühren.

Das heißt, Fahrzeuge müssen immer möglichst durchschnittlich aussehen?Ich ho� e nicht, auch wenn man diese Schlussfolgerung ziehen könnte. Ich glaube, dass eine Form immer eine bestimmte emotionale Magie hat.

Das klingt nach einem Künstler.Vielleicht ist es romantisch.

Gibt es in deinen bisherigen Design-Werken ein wiederkehrendes Merkmal? Eine Signatur?Das gibt es. Und das ist auch sehr romantisch: Ich versuche immer, sehr weiche, feminine Formen zu fi nden.

Warum?Weil sie länger Bestand haben. Ich bin geprägt von den De-signs von Sergio Pininfarina, er hat die Ur-Ferraris gestaltet. Die sind alle extrem weich, fast niedlich. Sie haben freundli-che Gesichter mit runden Augen. Es gibt keine Aggressivität. Die Autos von Lamborghini aus derselben Epoche waren alle sehr kantig und hart. Aber das Freundliche hat viel mehr Bestand und erreicht die Menschen. Der Porsche 911 ist übrigens das einzige Auto auf der Welt, das keine aggres-sive Linienführung und kein aggressives Gesicht hat. Aber niemand zweifelt daran, dass es ein Sportwagen ist.

Ihr wollt Ono als Marke etablieren, vermietet die Fahr-zeuge aber an Firmen, die ebenfalls ihre Marke nach außen tragen wollen. Wie passt das zusammen?Das ist der Spagat, den wir erreichen wollen. Die Kunden werden ihr Firmenlogo anbringen oder das Fahrzeug in ihrer Farbe lackieren. Wir wollen uns trotzdem positionie-ren und sichtbar sein. Das Fahrzeug soll ja unsere Qualität ausdrücken. Das machen wir durch unsere Signatur.

Für wen soll sie sichtbar sein? Für Firmenkunden? Oder für Passanten?Für beide! Normalerweise fühlen sich Fahrer von Pa-ket-Transportern nicht wohl, da die Fahrzeuge in einem schlechten Zustand sind, sie den Verkehr behindern, die Autos stinken – die Fahrzeuge sind eigentlich eine Last. Wir

wollen ein Produkt gestalten, das dem Fahrer eine Wert-schätzung gibt. Passanten sollen ihn auf unser Fahrzeug ansprechen und darüber nachdenken, ob das nicht auch was für sie selbst wäre. Das Produkt soll eine Lebensau� as-sung verkörpern. Heute bekommt der Fahrer als Reaktion höchstens einen Stinkefi nger.

Eine Lebensau� assung – verkörpert durch eine Spange?Durch das ganze Fahrzeug, aber die Spange ist ganz entscheidend, ja. Sie erinnert an ein Motorrad. Das weckt Assoziationen, wissentlich oder unwissentlich. Alles andere haben wir diesem Element untergeordnet.

Und das Motorrad steht wahrscheinlich für Freiheit?Ja, genau. Freiheit, Leidenschaft, Abenteuer, Flexibilität, Hobby.

Stand diese Produktwirkung von Anfang an so fest?Wir hatten zuerst ein Fahrzeug mit einer fl achen Sitzpo-sition, das sah glatter aus. Durch Kundengespräche erfuh-ren wir, dass die Sitzhöhe für Fahrer relevant ist. Deshalb verwenden wir eine normale Sitzposition wie bei einem Fahrrad. Durch die enorme benötigte Höhe der Fahrerkabi-ne von 2,10 Metern und der Schmale des Fahrzeugs von 80 Zentimetern vorne beziehungsweise 110 Zentimetern hin-ten hat uns das vor Herausforderungen gestellt, die wir zuvor nicht kannten.

Wir habt ihr die Probleme gelöst?Bevor wir in die Details gegangen sind, haben wir das Fahr-zeug in seinen Proportionen getestet, um zu schauen, wie es in der Realität wirkt. Dafür nutzten wir Tape-Zeichnungen, eine Technik aus der Automobilindustrie.

Ihr habt euch viel Zeit für das Grundgerüst gelassen. Wie viel Zeit nehmen jetzt Details wie etwa Scheinwerfer in Anspruch?Die Details nehmen normalerweise 50 Prozent der Zeit in Anspruch, das ist viel Fleißarbeit und Liebe zum Detail. Allerdings vertrete ich die Au� assung, dass die Details unwichtig sind, wenn nicht das große Ganze stimmt. Das zu fi nden, ist also das Allerwichtigste.

Zu welchem Zeitpunkt kommen die technischen Elemente zum Design hinzu?Wir entwickeln das parallel, wir sind ja ein kleines Team. So sind Erscheinungsmerkmale entstanden, die es bei einer sequentiellen Arbeitsweise nicht gegeben hätte. Dann hätten wir beispielsweise versucht, den Rahmen zu verkleiden.

Es ist also mehr Kompromiss, als du es bisher gewohnt warst?Vielleicht, aber auch weniger Kompromiss, weil wir uns schneller absprechen konnten.

Wie sehr unterscheidet sich deine erste Skizzevon dem jetzigen Stand?Wir haben im vergangenen Jahr in einem Fachmagazin das erste Mal ein Bild von Ono verö� entlicht. Es ist heute im

Prinzip das gleiche Fahrzeug. Aber für mich ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Das Produkt entwickelt sich, es wird immer reifer.

Gibt es in einem jungen Unternehmen mehr oderweniger Zeit für den Designprozess?Wir sind schnell voran gekommen, weil wir schnell entscheiden.

Schneller als in einem Konzern wie etwa Volkswagen meinst du?Wenn dort ein wichtiges Projekt anfängt, wie der Golf-Nach-folger, dann arbeiten allein in Wolfsburg von Anfang an 100 Designer daran. Das ist ein riesiger Apparat. Wir sind ein ganz kleines Team. Und dann muss sich jeder auf die Erfahrung der anderen verlassen können. Bei dem Alter-sunterschied hier könnten das alles meine Kinder sein. Ich bringe meine Erfahrung ein und die anderen ihre frische Sichtweise – die ich vielleicht nicht mehr habe, weil ich nicht mehr in Clubs rumhänge.

Wie viel Club steckt in Ono?Die Jungs stecken hinten auf das Fahrzeug immer so eine Discosounddingmaschine, und dann geht die Post ab. (lacht)

Wie viele Freiheiten hast du also beim Design von Ono?Ich habe immer versucht, mir die Freiheiten zu nehmen. Ein Design zu machen ist so schwer. Es gibt keinen faktischen Grund, warum etwas so aussieht, wie es aussieht. Man muss es reifen lassen. Und wenn man für etwas gerade stehen soll, dann geht das nur, wie man es für richtig hält. Im Team arbeiten und als Diktator entscheiden – das ist die einzige Möglichkeit.

Ono kommt demnächst auf den Markt. Arbeitet ihr danach direkt an der nächsten Generation?Zuerst arbeiten wir an weiteren Varianten für den schon entwickelten Container, etwa für Stückgut oder die Aufga-ben der Stadtreinigung. Und dann wird es weitere Produkte geben, für weitere Zwecke. Wenn wir Rückmeldung vom Markt haben, wird es Facelifts geben.

Inwieweit geht dieses Feedback von Firmenkunden schon jetzt in das Produkt ein?Wir entwickeln das Produkt zusammen mit den Fahrern und Flottenmanagern der Kunden. Wir sehen uns also nicht als Entwickler des ultimativen Fahrzeugs, vor denen alle niederknien müssen.

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„ICH SUCHE NACH

Murat Günak war Chefdesigner bei Volkswagen und Mercedes. Jetzt gestaltet er mit Ono ein E-Cargobike, das Kunden und Passanten emotional berühren soll –

Text: Georg Räth

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LKWDie selbstfahrende Zugmaschine fährt einen Sattelauflieger zur Laderampe

KEINER DATechnologieunternehmen arbeiten am autonomen Betriebshof: Ihr Ziel ist eine effi ziente und unfallfreie Logistik mit selbstfahrenden Lkw und einem cloudbasierten Flotten-und Lademanagement

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NGIN MOBILITY I 7574 I NGIN MOBILITY

ZF

Auf dem Betriebshof einer Spedition, in einem Ha-fen oder einem Güterbahnhof kommt es auf zwei Dinge an: E� zienz und Präzision. Die Margen in der Branche sind eng, die Zeitkorridore knapp.

Und das Unfallrisiko ist hoch. Die Logistik zählt zu den un-fallträchtigen Branchen. Schiefgehen darf nichts, insbeson-dere wenn komplizierte Arbeiten wie das Rangieren von Wechselbrücken anstehen. So werden die wechselbaren kas-tenförmigen Ladungsträger für Lastwagen genannt, die auf vier seitlich angeordneten Stützbeinen abgestellt werden.

Eine Wechselbrücke exakt vor einer Rampe abzusetzen und aufzuladen ist Millimeterarbeit, die die volle Konzentra-tion eines Fahrers fordert. Bis ein Lkw-Lenker diese Aufgabe bewältigen kann, vergehen einige Trainingstage. Ein zu gro-ßer Einschlag des Lenkrads beim Satteln – und schon ver-kantet sich die Wechselbrücke in ihren Führungsschienen. Schlimmstenfalls kippt die 18 Tonnen schwere Brücke um, die Verletzungsgefahr für Arbeiter ist groß, der Sachschaden immens.

Technologieunternehmen arbeiten deshalb daran, die Abläufe zu automatisieren. Vieles wird noch auf der Stufe von Prototypen erprobt, könnte aber schon in wenigen Jah-ren seinen Weg auf den Markt fi nden. Denn Fahrer fehlen. Speditionen haben es schwer, qualifi ziertes Personal zu fi nden. Die Lage wird sich angesichts des wachsenden On-linehandels kaum bessern. Zeitaufwändige Arbeiten auf Be-triebshöfen binden in besonderem Maße Fahrer-Ressourcen. Die Automatisierung der Logistik ermöglicht dagegen eine

e� zientere Auslastung der Fahrzeuge. Sie können Tag und Nacht agieren, machen weniger Fehler, die Unfallzahlen sin-ken ebenso wie die Kosten.

Ein Testgelände im Werk des Automobilzulieferers ZF in Friedrichshafen: Der Fahrer des schweren Lkw klettert an der Einfahrt des Geländes aus seinem Führerhaus. Er drückt den Knopf eines Steuergeräts und schließt die Fahrertür. Damit aktiviert er vor der Schranke den automatisierten Fahrmodus seines Lkw und geht in die Pause. In diesem Moment haben winzige Bluetooth-Sender, die an seiner La-dung befestigt sind, die Ankunft der neuen Fracht gemeldet. Cloud-Technologie steuert und kontrolliert den gesamten Material- und Warenfl uss auf dem Werks- und Betriebshof. Disponenten erhalten einen Überblick über Transporte, Fahrzeuge, Ladeeinheiten sowie Be- und Entladevorgänge in Echtzeit.

Es sieht schon gespenstisch aus, wenn sich das schwere Fahrzeug in langsamer Fahrt zu bewegen beginnt. Der Fah-rersitz ist leer. Wie von Geisterhand dreht sich das Lenkrad. Der Blick des Betrachters wandert immer wieder ungläubig in das Führerhaus. Nein, es sitzt wirklich niemand darin.Kommt ein Mensch dem Fahrzeug in die Quere, bremst es automatisch ab und fährt erst weiter, wenn die Gefahr vorü-ber ist. Der Diesel-Hybrid fi ndet eigenständig und elektrisch fahrend sein Ziel an einer bestimmten Laderampe. Dort setzt er seine Wechselbrücke ab. Ebenfalls von alleine lädt der innovative Truck später wieder einen neuen Container auf.

TRENDS DER BRANCHEDer Anblick erschreckt im ersten Moment. Mehrere schwe-re Lkw fahren auf der Autobahn A9 in Bayern in einem ge-ringen Abstand von nur 15 Metern hintereinander her. Der Konvoi rast mit der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h die dreispurige Straße entlang. Wer genau hinschaut, erkennt obendrein: Die Lkw-Fahrer haben das Lenkrad nicht in der Hand. Was gefährlich aussieht, ist Teil eines Experiments des Logistik-Unternehmens Schenker und nennt sich Platooning. Die Lkw fahren autonom und sind untereinander vernetzt. Sobald ein Fahrzeug bremsen muss, wird diese Information an die anderen Fahrzeuge wei-tergegeben. Da die Technik schneller reagiert als ein Mensch, sollen Unfälle so reduziert werden.

Martin Daun, im Vorstand der Daimler AG verantwort-lich für Lkw und Busse, zeigt sich von der Technik und de-ren Zukunftsfähigkeit überzeugt: „Wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen gescha� en sind, werden Lkw im Pla-tooning-Modus fahren können.“ Neben einer erhöhten Si-cherheit können autonome Lkw rund um die Uhr fahren. Auch bei großen Nutzfahrzeugen wird die Zukunft von der Elektromobilität bestimmt. Das kalifornische Unternehmen Tesla arbeitet an einem Truck, der eine Reichweite von rund 800 Kilometern erreichen soll. Allerdings gibt es vom Her-steller keine Angaben bezüglich der maximalen Zuladung. Der US-Hersteller Cummins plant, 2019 einen Lkw auf den

Markt zu bringen, der immerhin 20 Tonnen transportieren kann – und zwar über eine Strecke von bis zu 450 Kilome-tern. Auch VW und Daimler arbeiten an E-Lkw.

Für schwere Lkw mit bis zu 44 Tonnen Gesamtgewicht sieht die Zukunft noch ungewiss aus. Diese Masse lässt sich mit einem Elektroantrieb, der auf einen Akku setzt, nicht be-wältigen. Schon bei mittelschweren Fahrzeugen dieser Art, beispielsweise dem Tesla Truck, beträgt das Gewicht der Bat-terie mehr als zehn Tonnen. Eine Lösung für dieses Problem könnten Brennsto� zellen sein. Der Wassersto� antrieb ist aber technisch noch nicht so weit, dass er für einen Einsatz in schweren Lkw in Frage kommt. Der Diesel-Antrieb wird also noch lange eine Rolle im Fernverkehr spielen. Und damit zu einem Kostentreiber werden.

Denn 45 Prozent der Gesamtkosten in einer komplet-ten Lieferkette werden durch den Transport verursacht. Neben den Personal-, Treibsto� - und Instandhaltungskos-ten sind es dabei vor allem Leerfahrten, die der Branche Kopfzerbrechen bereiten. Denn ist die Ladung am Ziel, geht es darum, den Lkw so schnell wie möglich neu zu bela-den. Laut dem Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) beträgt die Quote der Leerfahrten im Fernverkehr rund zehn Prozent; im Nahverkehr ist es sogar das Doppelte. Rechnet man den gesamten Verkehr zusammen, kommen laut dem Statistischen Bundesamt

Der Lkw steht per Mobilfunk- oder dem betriebshofei-genen WLAN mit dem Routing-System des Betriebshofes in Verbindung. Diese Software kennt die aktuellen Positio-nen und Wege aller Fahrzeuge und passt die ursprünglich geplante Streckenführung bei Bedarf sofort an. Das System weiß auch, welche Wechselbrücke wann an welche Laderam-pe gefahren werden muss. Wo sich die einzelnen Fahrzeuge befi nden, melden in den Asphalt rasterförmig eingelassene Sensoren dem Routing-System.

Ein digitaler Fahrassistent im Lkw übernimmt das milli-metergenaue rückwärts Einfädeln unter die Wechselbrücke. Dabei vermessen mehrere Kameras und Laser die Position von Lkw und Brücke und liefern Positionsdaten an den Zen-tralcomputer ZF ProAI im Fahrzeug. Dieser gibt entspre-chende Befehle an Elektroantrieb, Bremsen und Lenkung. Der vom US-Grafi kspezialisten Nvidia entwickelte Super-computer ist kaum größer als ein Laptop. Er leistet mit sei-nen sieben Milliarden Transistoren 30 Billionen Rechenope-rationen pro Sekunde bei einem Stromverbrauch von nur 30 Watt. Er verarbeitet die Daten der Sensoren im Fahrzeug und an seiner Peripherie (Kameras, Lidar, Radar).

Ein ähnliches Verfahren hat ZF für Sattelzüge entwi-ckelt. Die Zugmaschine koppelt ihren Aufl ieger an der Ein-fahrt ab. Ein autonom fahrender Traktor sattelt ihn auf und fährt ihn zu dem Ort, den das Routing-System vorgesehen hat. Später bringt er den beladenen Aufl ieger wieder an ei-nen Übergabepunkt zurück. Dort wird er von einem Trucker übernommen, der sich in der Zeit ausruhen konnte und nun

fi t für die nächste Tour ist. Auch andere Unternehmen ent-wickeln Mobilitätslösungen für den Betriebshof. So stellte die Spedition DB Schenker unlängst in Nürnberg das Fahr-zeug „Wiesel“ der Marke Kamag vor, einen automatisiert fah-renden Lkw, der ähnlich wie das Innovationsfahrzeug von ZF Wechselbrücken identifi zieren, auf- und absetzen kann. Schenker will mit diesem Prototypen automatisierte Prozes-se auf Betriebshöfen erproben und evaluieren. Erik Wirsing, Innovationschef der Schenker AG, sieht E� zienz- und Zeit-vorteile durch die neue Technologie. Die Firma nutzt be-reits heute fahrerlose Transportsysteme und will dies weiter ausbauen. Auch das Fraunhofer Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme und die Spedition Emons testen in Lo-gistikzentren automatisierte elektrisch angetriebene Lkw. Ein Szenario sieht vor, dass der Fahrer mit seinem Lkw am Betriebsgelände einer Firma ankommt und die Arbeit dann an einen Operator übergibt, der von einem Online-Leitstand aus den Lkw fahrerlos zur gewünschten Laderampe schickt. Laut Fraunhofer ist es möglich, dass ein Operator bis zu 50 Fahrzeuge steuert. Die erste eigenständige Fahrt des Lkw ist für den Sommer 2019 geplant. Räumlich abgegrenzte Gebiete wie Betriebsgelände sind ideale Testfelder für das autonome Fahren. Denn die Fahrzeuge benötigen keine Straßenzulassung, der Verkehr ist überschaubar, die Ver-kehrsteilnehmer sind informiert und Unbefugte haben kei-nen Zutritt.

so 5,9 Milliarden Kilometer Leerfahrten zusammen. Da ein moderner Lkw auf 100 Kilometer rund 30 Liter Diesel verbraucht, ergeben sich für die Branche Kosten in Höhe von mehr 180 Millionen Euro – nur für die Leerfahrten. Bisher basierte die Auftragsvergabe auf dem Wissen von Disponenten, die wiederum Frachtbörsen in Anspruch neh-men. Davon existieren in Europa mehr als 200. Es gestal-tet sich also schwierig, die Angebote aller Anbieter im Überblick zu behalten. Der Dienstleister Cargonexx aus Hamburg, eine Art Airbnb der Logistik, bietet eine neuartige Vermittlungsbörse an: Anbieter und Anfra-gen werden auf einer Plattform zusammengeführt. Ein Spediteur, der eine Leerfahrt befürchten muss, kann seine freien Kapazitäten Unternehmen anbie-ten. Die Software soll ebenso vorhersagen können, wo und an welcher Stelle Bedarf entstehen kann. So lassen sich Überkapazitäten vermeiden.

Zwei Kriterien werden die Zukunft des Lkw also bestimmen: Erstens die intelligente Verteilung von Gütern, sodass sich Leerfahrten vermeiden lassen. Die Technologie gibt es bereits, allerdings fehlt Spediteuren oft der Wille, die neuen Plattformen einzusetzen. Zwei-tens rückt das autonome Fahren und damit das Platoo-ning in den Fokus. Den Lkw-Fahrer ersetzt die Technik so schnell nicht: Die gesetzlichen Vorgaben schreiben eine Überwachung der Software vor. Dazu kommt, dass das autonome Fahren in absehbarer Zukunft nur auf der Autobahn erlaubt sein wird.

Text: Jürgen Stüber

Text: Don Dahlmann

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NGIN MOBILITY I 7776 I NGIN MOBILITY

HAMBURGER HAFEN

AM HAMBURGER HAFEN TUT SICH WAS

Die Hansestadt hat den drittgrößten Hafen Europas und damit jede Menge Logistik vor Ort. Auch viele Startups sind in diesem Bereich aktiv.Ein Besuch an der Elbe

„Wir wollen das Logbuch aufs Smartphone bringen“, sagt Moritz Klemke, der jahrelang als Schiffsgutach-

ter gearbeitet hat. Gemeinsam mit seinem Vater Ingo, seinem Bruder Otto und Sven Hamer (Foto

rechts) hat er NautilusLog gegründet. „Die Logbü-cher beinhalten die wesentlichen Daten über den

Betrieb eines Schiffes", erklärt Klemke. „Sie werden von der Besatzung per Hand geführt.“ Dabei könnten

sich Fehler einschleichen. Häufi g würden gleiche Daten in verschiedene Logbücher eingetragen. „Un-sere App vermeidet das.“ Zusätzlich könnten Daten mehrfach genutzt und mit anderen geteilt werden.

Moritz Klemkeund Sven Hamer

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NGIN MOBILITY I 7978 I NGIN MOBILITY

Er ist ein Nachbar von Harald Neidhardt: Oliver Risse hat einen der alten Schiffscontainer auf dem MLove-Campus bezogen. Am Hafen tüftelt der Floatility-Gründer an seinen elektrischen Tretrollern,

die in Deutschland noch immer im öffentlichen Straßenverkehr verboten sind. Risse ist zuversichtlich, dass sich die Rechtslage hierzulande bald ändert (siehe Seite 23). Bis es so weit ist, setzt er

auf andere Märkte. In Singapur hat Floatility im vergangenen Jahr einen Tretroller-Sharing-Dienstauf einem Firmengelände gestartet.

Oliver RisseEr hat wohl eines der schönsten Büros in Hamburg – zumindest im Sommer: Harald Neidhardts Schreibtisch steht in einem ausrangierten Schiffscontainer, direkt am Wasser gegenüber der Hafen-city. Auf dem 3000 Quadratmeter großen Gelände hat Neidhardt mit Zustimmung der Wirtschafts-behörde 2015 den Future City Campus gegründet. Container sind für ihn ein Zeichen der Mobilität – auch im Kopf: „Wir laden Startups, Macher und Corporates zu uns ein“, sagt er. „Sie können die Büros und Flächen tageweise oder länger anmieten, sich untereinander vernetzen und austauschen.“

Harald Neidhardt

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NGIN MOBILITY I 8180 I NGIN MOBILITY

Er zog nach Hamburg, um an der Kühne Logistics University seinen Masterabschluss zu machen. Nach dem Studium gründete Ivan Flores Hurtado gemeinsam mit seiner Partnerin Amanda Del Valle das Startup Clinch, eine digitale Spedition für kleine und mittelständische Unternehmen aus Mexiko, Mittel- und Südamerika. „Amanda und ich sind in Mexiko geboren, wir kennen das Land, die Kultur und die Sprache”, sagt der 30-Jährige. Weil eine Finanzierungsrunde kurzfristig platzte, arbeitet Hurtado zusätzlich für ein anderes Logistik-Startup. Doch die Suche nach Investoren gehe weiter, sagt er.

Ivan Flores Hurtado

Text: Jana Kugoth Foto: Chris Marxen (4); Frischepost

In der Hafencity haben die Frischepost-Gründerinnen ihr Büro. Mit ihrem 2015 gegründeten Startup verschicken die beiden WHU-Absolventinnen Obst, Gemüse, Brot und Milch aus der Region. Aus-

geliefert wird die Ware per E-Auto. Das Ziel: kleine Produzenten unterstützen und ihre Lebensmittel so frisch und umweltschonend wie möglich zu den Kunden in der Stadt bringen. Über Umsatz und Gewinn sprechen beide nicht gerne. Nur so viel: Profi tabel sei man noch nicht, „aber auf dem Weg

dorthin”. Im nächsten Jahr soll ihr Dienst auch in anderen Städten starten.

Juliane Willing und Eva Neugebauer

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82 I NGIN MOBILITY

ROHRPOST

ZURÜCK INDIE RÖHRELieferwagen und Autos verstopfen die Straßen in den Städten. Projekte in der Schweiz und Bergisch Gladbach wollen deshalb die Rohrpost wiederbeleben

Wenn es um den Verkehr der Zukunft geht, haben viele Visionäre einen Tunnelblick. Etwa Tech-Entrepreneur Elon Musk, der mit seiner Boring Company eine unterirdische

Hochgeschwindigkeits-U-Bahn plant (siehe Seite 58). In Chi-cago soll ein solches System Fußgänger und Radfahrer von A nach B bringen.

Elon Musk ist längst nicht der Einzige, der unter die Erde gehen will. Auch in Europa sind Projekte geplant, mit denen der Verkehr von der Straße geholt werden soll. Das größte Vorhaben wird derzeit in der Schweiz diskutiert. „Car-go-Sous-Terrain“ ist als eine Art unterirdische Bahn für Güter geplant – über eine Strecke von 450 Kilometern. Die Vision: In einem dreispurigen, sechs Meter breiten Tunnel fahren Transportcontainer mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h rund um die Uhr hin und her. Angetrieben werden die elek-trischen Fahrzeuge durch eine Induktionsschiene. An Zu-gangspunkten, sogenannten Hubs, werden die Güter und Pa-letten automatisch über einen Aufzug entnommen und neue aufgeladen. Von den Hubs aus werden sie mit E-Fahrzeugen

in die Stadt gefahren. Die Macher haben eine ganze Reihe prominenter Investoren um sich scharen können, darunter die Schweizer Lebensmittelketten Migros und Coop und das US-Unternehmen Hyperloop One, das an der Entwicklung einer Hochgeschwindigkeitskapsel arbeitet (siehe ebenfalls Seite 58). Auf ö� entliches Geld will das Konsortium verzich-ten. Da es sich jedoch um ein völlig neues Konzept handelt, muss die Regierung zunächst einen gesetzlichen Rahmen scha� en. Das Verfahren soll im Oktober beginnen, die dafür nötigen 88,5 Millionen Euro sind beisammen.

In Bergisch Gladbach spielt Bürgermeister Lutz Urbach ebenfalls mit dem Gedanken, den Frachtverkehr in die Röhre zu verlegen. Das Modell dafür steht seit 2005 in einer Fabrik-halle in Bochum. Professor Dietrich Stein von der dortigen Uni hat „Cargo Cap“ entworfen. Es besteht aus computerge-steuerten Transportkapseln, die Paletten transportieren. Die Strecke von der Autobahn A4 bis in Zentrum von Bergisch Gladbach soll den Anfang machen. „Ziel ist es, ein unterirdi-sches Verteilsystem für Ballungsräume zu entwickeln“, sagt Stein im Gespräch mit NGIN Mobility. Lkw könnten auf die-se Art und Weise ganz aus der Stadt rausgehalten werden. Eine Zeit lang lag das Projekt auf Eis, das nötige Geld fehl-te. Nun ho� t Stein, der als Geschäftsführer der Firma fun-giert, auf eine Wiederbelebung des Vorhabens. Zumindest die Gelder für eine erforderliche Machbarkeitsstudie hat der Professor nun zusammen, sagt er. Im September soll die Untersuchung starten. Stein kennt auch das Schweizer Pro-jekt. Beide Vorhaben würden einander gut ergänzen, glaubt er. „Cargo-Sous-Terrain“ könne die regionale Verteilung der Waren übernehmen, „Cargo Cap“ die lokale.

So visionär, wie sie daherkommen, sind die Projekte nicht. In Berlin gab es schon von 1865 bis 1976 ein zeitweise fast 300 Kilometer langes Rohrpostsystem, über das Briefe, Karten, Telegramme, kleinere Pakete und Frachtgut mittels Luftdruck von einer Sende- zu einer Empfangsstation ver-schickt wurden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs nahm die Bedeutung rapide ab. Nicht zuletzt, weil neue Technolo-gien wie das Telefon und das Automobil die Röhren ersetz-ten. Das unterirdische System geriet in Vergessenheit – und könnte nun vielleicht vor einem Comeback stehen.

Text: Jana Kugoth

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INNOVATIONEN UND TRENDS ENTDECKEN

DIGITALISIERUNGSPROZESSE ANSTOSSEN

DIGITALE NEUERFINDUNGEN AUF DER BÜHNE

NETWORKING

8. Nov. 2018 & 7. Nov. 2019, Berlin conference.ngin-mobility.com

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Neue Impulse –intelligent vernetzt 20. – 22. 11. 2018, Frankfurt am Main20. – 22. 11. 2018, Frankfurt am Main

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