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This article was downloaded by: [The University of Manchester Library] On: 15 October 2014, At: 07:43 Publisher: Routledge Informa Ltd Registered in England and Wales Registered Number: 1072954 Registered office: Mortimer House, 37-41 Mortimer Street, London W1T 3JH, UK Studia Theologica - Nordic Journal of Theology Publication details, including instructions for authors and subscription information: http://www.tandfonline.com/loi/sthe20 Weg, Wanderungund verwandte Begriffe Gustaf Wingren a a University of Lund , Published online: 22 Aug 2008. To cite this article: Gustaf Wingren (1949) Weg, Wanderungund verwandte Begriffe, Studia Theologica - Nordic Journal of Theology, 3:2, 111-123, DOI: 10.1080/00393384908599685 To link to this article: http://dx.doi.org/10.1080/00393384908599685 PLEASE SCROLL DOWN FOR ARTICLE Taylor & Francis makes every effort to ensure the accuracy of all the information (the “Content”) contained in the publications on our platform. However, Taylor & Francis, our agents, and our licensors make no representations or warranties whatsoever as to the accuracy, completeness, or suitability for any purpose of the Content. Any opinions and views expressed in this publication are the opinions and views of the authors, and are not the views of or endorsed by Taylor & Francis. The accuracy of the Content should not be relied upon and should be independently verified with primary sources of information. Taylor and Francis shall not be liable for any losses, actions, claims, proceedings, demands, costs, expenses, damages, and other liabilities whatsoever or howsoever caused arising directly or indirectly in connection with, in relation to or arising out of the use of the Content. This article may be used for research, teaching, and private study purposes. Any substantial or systematic reproduction, redistribution, reselling, loan, sub-licensing, systematic supply, or distribution in any form to anyone is expressly forbidden. Terms & Conditions of access and use can be found at http:// www.tandfonline.com/page/terms-and-conditions

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This article was downloaded by: [The University of Manchester Library]On: 15 October 2014, At: 07:43Publisher: RoutledgeInforma Ltd Registered in England and Wales Registered Number: 1072954 Registered office: Mortimer House,37-41 Mortimer Street, London W1T 3JH, UK

Studia Theologica - Nordic Journal of TheologyPublication details, including instructions for authors and subscription information:http://www.tandfonline.com/loi/sthe20

≫Weg≪, ≫Wanderung≪ und verwandte BegriffeGustaf Wingren aa University of Lund ,Published online: 22 Aug 2008.

To cite this article: Gustaf Wingren (1949) ≫Weg≪, ≫Wanderung≪ und verwandte Begriffe, Studia Theologica - Nordic Journalof Theology, 3:2, 111-123, DOI: 10.1080/00393384908599685

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»Weg«, »Wanderung« und verwandteBegriffe.

Von

GUSTAF WINGREN.

Es ist interessant festzustellen, welcher Terminologie sich die Bibelam häufigsten bedient, wenn von der Lebensführung oder vom Han-deln die Rede ist. Die Grosse, die wir als Ethik bezeichnen, Ethikals theologische Wissenschaft z. B., verwendet heutzutage eine Füllevon Termini, die in der Bibel gänzlich fehlen. Und umgekehrt: dieBibel ist voll von Termini, die in unseren theologischen Darstellungendes christlichen Lebens vielfach gänzlich fehlen. Die zentralste ethischeBegriffssphäre, die uns in der Bibel begegnet, ist durch Termini wie :Weg, Pfad, gehen, wandern u. s. w. gekennzeichnet. Diese Begriffs-sphäre reicht nicht nur am tiefsten, sie ist auch vermutlich rein quanti-tativ dominierend, also was die Häufigkeit ihres Vorkommens betrifft.

Die Anzahl von Stellen, an denen im Alten Testament »Weg« inübertragener Bedeutung gebraucht wird, ist überwältigend. AlleMenschen »wandern«, einfach indem sie leben. Die den Geboten desHerrn gehorchen, wandern auf seinen Wegen. Das Gesetz Gottesleitet den Menschen auf seiner Wanderung. Es ist nicht zufällig, dassdie Vokabel halaka im Judentum ihre bekannte Bedeutung bekommt :das Gesetz und das Gehen sind, worauf RIESENFELD in La voie decharité hinweist, zusammengehörige Begriffe1).

Kein ethischer Terminus ist bei Paulus häufiger als »wandern« und»Wanderung«. In der Regel greift er zu dem Verb TTEpmccTEüv, aberauch âvaoTpEÇEaSm (àvoccrrpcxpT]) und OTOIXEÏV kommen vor. VonTTEpiTTotreTv kann nur die übertragene, niemals die eigentliche Bedeu-tung belegt werden. Es handelt sich also um einen im stringentenSinne ethischen Begriff. In keinem der paulinischen Briefe (ausser

1) S. HARALD RIESENFELD, La voie de charité, in Studia Theologica I (1947) 1948,S. 147-149.

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Philemon und den Pastoralbriefen) fehlt das Wort; EIDEM notiertsein Vorkommen an 32 Stellen1). Hierzu kommen Aussagen über denLauf und das Laufen, über das Suchen und Jagen nach dem Ziel;auch der Terminus »Weg« findet sich bei Paulus: das Hohelied derAgape von 1. Kor. 13 wird in 12,31 mit den Worten eingeleitet:»Ich will euch einen Weg zeigen.« Das Leben in der Liebe ist eineWanderung in Agape (Rom 14,15; Eph. 5,2), bei Paulus wie auchim 1. Johannesbrief : »Und das ist die Liebe, dass wir nach seinenGeboten wandern; das ist sein Gebot . . ., dass ihr in derselben wan-dern sollt« (2. Joh. 6).

Besonders signifikativ ist das Totalbild des christlichen Lebens, dasim Hebräerbrief aufgerollt wird. KÄSEMANN hat eine Monographieüber den Hebräerbrief mit dem Titel »Das wandernde Gottesvolk«geschrieben, in der er zwar als echter Bultmannschüler seinen neu-testamentlichen Gegenstand eifrig • »gnostifiziert«, in der er aber dochzweifellos einen grundlegenden Zug dieser neutestamentlichen Schriftgetroffen hat. Evangelium ist Verheissung, die Existenzform desGlaubenden ist das Wandern. Der Glaube streckt sich vorwärts, erist »Zuversicht auf das, was man hofft, Überzeugtsein von Dingen,die man nicht sieht« (Hebr. 11,1). Unter Leiden, Versuchungen undKämpfen geht das Volk Gottes der »Sabbatruhe« entgegen. Der Briefwimmelt von Verben der Bewegung; das gilt besonders von Kapitel11, dem Glaubenskapitel, in dem Willigkeit und Bereitschaft zuAufbruch und mutiger Fahrt ein Hauptanliegen sind2). Ein Vorbilddes Glaubens ist Abraham, der »auszog«, obwohl er das Land nichtkannte, in das er ziehen sollte (11,8). Durch den Glauben zog Mosesaus Ägypten (11,27), und von ebendiesem Auszug hatte Joseph beiseinem Tode geredet (11,22). Durch den Glauben zog das Volk durchdas Rote Meer (11,29). Alle waren sie Gäste und Fremdlinge, dienach »einer Stadt« suchten (11,10; 11,16).

In der Apostelgeschichte wird wieder und wieder in hervorragendwichtigen Zusammenhängen vom »Weg« gesprochen. Die Christenwerden als solche bezeichnet, die »dieses Weges« sind (Apg. 9,2).MICHAELIS, der diese Stellen im Artikel 686s im Theologischen Wörter-buch zum Neuen Testament behandelt, erklärt, der Ursprung einer

1) ERLING EIDEM, Det kristna livet enligt Paulus I 1927, S. 49 (Das christlicheLeben nach Paulus).

2) Vgl. ERNST KÄSEMANN, Das wandernde Gottesvolk (Forschungen zur Religionund Literatur des Alten und Neuen Testaments N. F. 37) 1939, S. 9.

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solchen Terminologie liege im Dunkel1). So viel ist jedoch deutlich,dass die Christen selbst programmatisch den Ausdruck »Weg« brauchenund gleichzeitig den Ausdruck »Partei« oder »Sekte«, cûpscns, ver-werfen. »Der Weg« ist der christliche Name für eine Grosse, die diejüdischen Gegner eine cnpsaiç, eine Parteimeinung (nach der Über-setzung der schwedischen Kirchenbibel) nennen (Apg. 24,14).

Was die Evangelien betrifft, so mag es hier genügen, wenn wir aufJoh. 14,6 hinweisen, wonach Jesus »der Weg, die Wahrheit und dasLeben« ist, sowie auf Mt. 7,13 f, wo von dem breiten Wege gesprochenwird, auf dem viele wandern, und von dem schmalen Wege, der vonwenigen entdeckt wird. In der jungen Urkirche haben diese »zweiWege« offensichtlich ihren Platz im Zentrum des regelmässigenKatechumenenunterrichtes. Wie weit ALFRED SEEBERGS ZU Anfangdieses .Jahrhunderts unternommener Versuch, den »Katechismus derUrchristenheit« zu rekonstruieren, gelungen ist, soll dahingestellt blei-ben. Sicher ist aber, dass die sog. Tugend- und Lasterkataloge mit zudem Vorstellungskonnex gehören, der an »die beiden Wege« anknüpft.

Zu den Beispielen aus dem überreichen Material, die bisher genanntworden sind, sei nur ein oft zitiertes Lutherwort über das christlicheLeben gefügt: »Das alszo ditz leben nit ist ein frumkeit, szondernein frumb werden, nit ein gesuntheit, szondernn eyn gesunt werden,nit eyn weszen, sunderen ein werden, nit ein rüge, szondernn eynubunge, wyr seyns noch nit, wyr Werdens aber. Es ist noch nit gethanunnd geschehenn, es ist aber ym gang unnd schwanck. Es ist nitdas end, es ist aber der weg, es gluwet und glintzt noch nit alles, esfegt sich aber allesz« (Grund und Ursach, 1521)2). (»Also ist diesLeben nicht eine Frommheit, sondern ein Frommwerden, nicht eineGesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Sein, sondern einWerden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind's noch nicht,wir werdens aber; es ist noch nicht getan und geschehen, es ist aberim Gang und Schwang. Es ist nicht das End, es ist aber der Weg;es glühet und glimmt noch nicht alles, es reinigt sich aber alles.«Münchener Lutherausgabe, herausgegeben von H. H. Borcherdt undGeorg Merz, 2. veränderte Auflage 1938 Bd. 3. S. 50.)

Wir sind nicht gewöhnt, in prinzipiellen ethischen Erörterungeneiner solchen Gedankenwelt zu begegnen. Die Erwägungen, die derMensch der Jetztzeit über Pflichten und Grundsätze oder vielleichtüber Charakterbildung anstellt, sind schwer mit diesen Vorstellungen

1) Theol. Wörterbuch z. N. T. V, 2, 1948, S. 95.2) W. A. 7 , 337, 30-35.

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von »Weg« und »Wanderung« zu vereinigen. Wenn man es kultur-historisch und oberflächlich verstehen wollte, könnte man sagen,dass wir dem Wanderungsvokabular fremd gegenüberstehen, weilwir nicht Nomaden sind. Es ist deutlich: wenn die Metaphern fürdas Verhalten und die Lebensführung in dieser Weise auf eine be-stimmte Lebenssphäre, das Gehen, das Wandern, konzentriert werden,so hat dies seine Wurzel in einem Abschnitt des Lebens Israels, als dieentscheidenden Ereignisse des Daseins im Wandern, im Aufbrechenvon einem Wohnplatz zum nächsten bestanden. Besonders ein solcherOrtswechsel hat sich mit unerhörter Kraft in das biblische Denkeneingegraben und auf Jahrtausende die Gottesgemeinschaft geprägt:der Auszug aus Ägypten, dem Knechtshause, durch das Rote Meerund die Wüste hinein in das Gelobte Land. Auch das urchristlicheReden von der Wanderung steht ganz im Zeichen des Exodus. Daswandernde Gottesvolk des Hebräerbriefes strebt seiner »Sabbatruhe«auf die gleiche Weise entgegen wie das alte Israel sich nach Kanaandurchkämpfte, und immer wieder wird der Auszug aus Ägypten denLesern des Briefes als eine Stütze und Grundlage für das Ausharrendargestellt. Ebenso ist es in 1. Kor. 10: die Taufe lieght hinter uns,und nun sind wir von Versuchungen umgeben, aber das Verheissene,die Erlösung, liegt vor uns; die Situation des Wanderers ist dieSituation zwischen dem Roten Meer und dem Land der Verheissung.Dem einstigen Wüstenzuge ging Moses als Hirte voran, und nunist Christus der Hirte. Ein Hauptzug der Hirtenparabel ist die Nach-folge; das Verbum ÔKOÀOUSEÏV kommt in Joh. 10 dreimal vor (Vers4,5 und 27), und in dieser Christus-»Nachfolge« haben wir eine neueVariante des Wanderungsgedankens, und zwar eine in systematischerHinsicht bedeutungsvolle Variante. Denn nun wird die ganze Todes- undAuferstehungsgemeinschaft mit Christus in den Zusammenhang hinein-gezogen1). Wie die Nachfolge des Jüngers in Bezug auf den Meister, vonder die Synoptiker reden, historisch in die grosse neutestamentlicheGewissheit von einem Teilhaben an Christi Tod und Auferstehungübergegangen ist, das wird wohl immer ein ungelöstes Problembleiben2). Es ist jedenfalls Tatsache, dass der Übergang stattgefundenhat und dass deutliche Fäden das Alte mit dem Neuen verknüpfen3).

1) Vgl. N I L S JOHANSSON, Parakletoi 1940, S. 193 und 210.

2) Vgl. THOMAS ARVEDSON, »Jesu efterföljd« i Nya testamentet («Nachfolge Jesu«im Neuen Testament) , in Svensk teol. kvartalskr. 1931, S. 158 ff.

3) Vgl. GUSTAF W I N G R E N , Was bedeutet die Forderung der Nachfolge Christi inevangelischer E th ik? , in Theol. Literaturzeitung 1950, Sp. 3 8 5 - 3 9 2 .

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Das Wort Mk. 8,34 vom Aufsichnehmen des Kreuzes und derNachfolge Jesu (und ähnliche Stellen) findet in den paulinischen undin den übrigen urchristlichen Aussagen über ein Sterben mit Christusund ein darauffolgendes Leben mit ihm seine Fortsetzung. Die ge-samte urchristliche Ethik ist, wie PEEISKEE und STAUFFER betonthaben, von einer eigentümlichen Vorwärtsrichtung bestimmt, ihrWesen ist »Telos-Ethos« : etwas ist angebrochen, aber noch nichtin seiner ganzen Kraft hervorgetreten, die Gemeinde besitzt einUnterpfand, einen Vorgeschmack, eine Erstlingsfrucht dessen, das dakommen soll, und die Geschehnisse und Handlungen jedes einzelnenTages gehören hinein in die Wanderung in Richtung auf das Neue undVerheissene — ein Glied am Leibe Christi sein, heisst »auf dem Wege«sein1). Obwohl auf diesem Wege Leiden und Tod begegnen, ist er einWeg zum Leben. Der Herr hat diesen Weg gebahnt, eben diesen,durch Kreuz zur Auferstehung. Ja, das Leben ist nicht da trotzdes Todes, es ist eher umgekehrt. Irenäus — um ein etwas späteresBeispiel zu wählen — schleudert den Gnostikern mit einem gewissenTriumph im Ton das Argument entgegen, dass sie keine Märtyrerhaben, also nicht der Leib Christi sind2). Es liegt keine Spur vonSelbstbemitleidung darin, auch nichts von dem egozentrischen Stolz,in den Selbstbemitleidung gern umschlägt. Das Wesentliche in dieserArgumentation des Irenäus ist, möchte man sagen, eine Gewissheitüber den Weg: auf seinem Wege begegnen ihm Dinge, welche zeigen,er gehört zu einer Schar, die auf das rechte Ziel zu wandert, währenddie Gegner, die Gnostiker, die Menschen in die Irre führen. Auf Grundder Tatsache, dass der Weg durch die Wüste mit allen ihren Gefahrengeht, kommt man dorthin, wohin man kommen soll, ins Leben, insLand des Erbteils; sonst käme man nicht dorthin, sonst wäre mannoch im Knechtshause3).

Unsere Fremdheit gegenüber der Wanderungsterminologie gründetviel tiefer als in unserer blossen Sesshaftigkeit, unserem Abstandvom Nomadenleben. Oder besser gesagt: wir sind in unserer euro-päischen Kultursituation sesshaft in zweierlei Bedeutung. Wir woh-nen immer an ein und derselben Stelle, standesamtlich erfasst, aneinem bestimmten Punkte haftend, wir existieren nicht in der Bewe-gung von Ort zu Ort. Und wir sind gleichennassen sesshaft in einem

1) S. besonders HERBERT PREISKER, Das Ethos des Urchristentums 1949, S. 42 f.2) Adv. haer. HARVEY IV, 54 (Stieren IV: 33,9).3) Vgl. GUSTAF WINGREN, Människan och inkarnationen enligt Irenaeus (Mensch

und Inkarnation nach Irenäus) 1947, S. 211.

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einzigen Äon, Eschatologie ist ein wissenschaftliches Hobby undnicht eine Macht, die von innen heraus die Ansichten der Menschenüber die Geschehnisse des Alltags und über die Entscheidungen imnormalen irdischen Zusammenleben gestaltet.

Ein Beispiel, ein naheliegendes theologisches Beispiel: ein Begriffs-apparat wie der in ANDERS NYGRENS Buch »Philosophische undchristliche Ethik« (Filosofisk och kristen etik) gebrauchte — Gesin-nungsethik, legalistische Ethik, Zweckethik — lässt keine Tür offen,durch die die echte biblische Sicht hereingelangen und die Ethikprägen könnte. »Das voll ausgebildete menschliche Verhalten, dasGegenstand ethischer Beurteilung wird,« schreibt Nygren, »weist dreiverschiedene Momente auf. 1. Der Ausgangspunkt ist eine Beschaf-fenheit beim Subjekt, welche Gesinnung genannt wird. 2. DieseGesinnung findet ihren Ausdruck in einer bestimmten Verhaltens-weise, in einem gewissen Benehmen oder Handeln. 3. Wie alles Han-deln richtet sich auch das ethische auf die Verwirklichung einesZweckes, und damit ist der Schlusspunkt des ethischen Verhaltenserreicht. Je nachdem der Schwerpunkt bei der ethischen Beurteilungauf das erste, zweite oder dritte Moment gelegt wird, entstehen dreiverschiedene Arten von Ethik: Gesinnungsethik, legalistische Ethikund Zweckethik.«1) In der weiteren Untersuchung wird bekanntlichfestgestellt, dass die christliche Ethik Gesinnungsethik ist, dass diespontane Liebesgesinnung das für das Christentum spezifische ethischeIdeal ist, sowie endlich, dass die christliche Gottesgemeinschaft eo ipsodiese ideale ethische Gesinnung einschliesst. Auf der gleichen syste-matischen Grundlage baut dann die Darstellung in »Eros und Agape«(Den kristna kärlekstanken) auf.

Die Agapeethik ist sozusagen die Ethik des neuen Menschen.Häufig ist in der Diskussion um die Nygrensche Theologie das Problemerörtert worden, wie man in diesem »indikativischen« Schema demGesetz oder dem Imperativ einen Platz soll einräumen können. Esstellt sich da leicht die Versuchung ein, die Ethik des alten Menschenmit der spontanen Liebesethik parallelzuordnen, und dieser Versuchungsind wir vielleicht alle miteinander ein wenig erlegen. Man bekommtdann zwei Auflagen christlicher Ethik, eine in Dur und eine in Moll,eine Zwangsethik und eine Freiheitsethik, aber das zusammenhaltendeBand, der übergeordnete Begriff über beiden, fehlt. Hier stösst manauf das, was augenblicklich in der schwedischen systematischen

1) ANDERS NYGREN, Filosofisk och kristen etik, 1932 2, S. 162.

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Theologie vielleicht das Hauptproblem darstellt, wenigstens soweites die Ethik betrifft. Von wo aus soll man dieses Problem anpacken ?Als eine These muss da folgender Satz aufgestellt werden: es istfruchtlos, darüber zu diskutieren, wenn man nicht von Grund aufin dem Begriffsapparat aufräumen will, der die philosophische Grund-legung sowohl der Dogmatik als auch der Ethik in Nygrens Arbeitenaus den zwanziger Jahren: »Religiöses Apriori« (Religiöst apriori),»Die wissenschaftliche Grundlegung der Dogmatik« (Dogmatikensvetenskapliga grundläggning) und »Philosophische und christlicheEthik« (Filosofisk och kristen etik) kennzeichnet. Die Kernfrage mussüberall die gleiche sein: ist dieser Begriffsapparat rein »formal«, also,ist er verwendbar, um jedes beliebige Ethos damit auszudrücken,z. B. das urchristliche Ethos mit seiner eigentümlichen eschatologischbestimmten Vorwärtsrichtung, seinem Kampf und seiner Wanderung ?Deutlich und klar kehrt bei Luther an zentralen Punkten der gleicheethische Grundtyp wieder, z. B. im Conformitas-Gedanken, in derVorstellung vom Tode des alten und der Auferstehung des neuenMenschen, in der Lehre von der Taufe und von der Busse, die damitzusammengehört. Nach der Neuorientierung, die sowohl in derexegetischen Theologie als auch in der Lutherforschung stattgefundenhat, muss notwendig eine Konfrontation des theologischen Gehaltesmit dem angeblich formalen transzendentalphilosophischen Schemastattfinden.

Wenn es uns so schwer wird, von reformatorischer Theologie,und zwar insbesondere von der Theologie Martin Luthers aus, aneine Aufräumungsarbeit der angedeuteten Art heranzugehen, sokann dies teilweise damit zusammenhängen, dass Luther durchseine polemische Situation gezwungen war, gewisse lirchristlicheGedanken beinahe fallenzulassen und andere überstark zu betonen.Ein Beispiel dafür ist das Schicksal, das den Gedanken der Nach-folge Christi in der Theologie der Reformation getroffen hat. DieNachfolge liegt eigentlich in Luthers »conformitas« und »conformatio«eingebettet, darin also, dass man in Tod und Auferstehung mitChristo gleichgestaltet wird. Denn darauf wurde im Neuen Testamentder Nachdruck gelegt, wenn es sich um die Nachfolge handelte.1)Der Hauptinhalt dieses Begriffes ist ja in urchristlicher Zeit nichtder, dass man zunächst gewisse Züge und Eigenschaften des Vorbildesbeobachtet und diese sodann nachzuahmen sucht. Sondern der

1) Vgl. NILS JOHANSSON, Bibelns värld och vår (Die Welt der Bibel und unsereWeit) 1949, S. 159 f.

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Hauptinhalt ist einfach der, dass das Vorbild voraus- und der Nach-folgende hinterhergeht, »folgt«, das Gleiche durchschreitet, das derdurchschritten hat, der den Weg zuerst gewandert ist — und so wirdder Nachfolgende Christo »gleich«, indem er in das Leiden, in denTod, in die Taufe, und dadurch in das Leben, in die Herrlichkeit,in die Auferstehung eingeht. Die Gnade und die Gabe sind durchdie Nachfolge nicht weniger Gnade und Gabe, denn vorangehen,sozusagen den Weg bahnen kann nur der, der als »der Erstgeborenevon den Toten« auferstanden ist (Kol. 1,18). Die Anderen, die nach-kommen, hat Gott dazu »vorausbestimmt, dem Bilde seines Sohnesgleichgestaltet zu werden, auf dass er der Erstgeborene unter vielenBrüdern sei« (Rom. 8,29). Taufe und Nachfolge rücken auf dieseWeise sehr eng zusammen, und zweifellos findet sich die Realitätder Nachfolge in Luthers Tauftheologie, im Berufsgedanken. Aberder Terminus und das Wort, das Schema, sind anderen Richtungen,die den ganzen Gedanken auf ein fremdes Gleis überleiten, zu freiemGebrauch überlassen. Dadurch lässt sich das Luthertum ein wichti-ges urchristliches Element aus den Händen winden und setzt sichselbst der Gefahr dogmatischer Verdrängung aus, während gleich-zeitig das ausgesonderte Element der Nachfolge seinerseits droht,in reinen Moralismus auszuarten. Eine solche imitatio schliesst nichtdie Wanderung des ganzen Menschen ein, man steht stattdessenstill und arbeitet an sich selber.

Die Möglichkeiten, die einem innerhalb lutherischer Theologieübrigbleiben, wenn es eine grundsätzliche ethische Betrachtung gilt,sind wesentlich zwei: entweder man geht vom Glauben aus undstellt das Problem des Glaubens und der Werke, der aus dem Glaubenfliessenden Werke. An eine solche Erwägung kann die Agapeethikanknüpfen. Dann wird »die Ethik des neuen Menschen« das Gesamt-bild beherrschen. Oder aber man geht von dem Begriffspaar »Gesetzund Evangelium« aus. An einen solchen Gedankengang kann dieKritik der Agapeethik anknüpfen. Dann kommt man bei dem Be-griff »Gesinnungsethik« sogleich in Schwierigkeiten. Wenn dabei derGegensatz von Gesinnungsethik und legalistischer Ethik ungeprüftund unkritisiert im Hintergrund bestehen bleiben und die Denk-möglichkeiten binden und einschränken darf, so folgt daraus eineeinigermassen mechanische Parallelordnung von einer Gesetzesethikfür den alten Menschen und einer Agapeethik für den neuen Menschen.Ein solches Schema ist grundsätzlich zeitlos, es ist aus dem Zusammen-hang der Heilsgeschichte gerissen und lässt trotz seines lutherischen

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Aussehens keinen Raum für das Wesentliche in Luthers Sicht deschristlichen Lebens, ebensowenig wie es der neutestamentlichenParänese Raum geben kann. Darum dürfte in der gegenwärtigenLage eine Prüfung des von der Philosophie überkommenen Begriffs-apparates der theologischen Ethik unumgänglich notwendig sein.Im Augenblick ist es am dringendsten, diesen Begriffsapparat einerPrüfung von theologischem Gesichtspunkt aus zu unterziehen, alsozu zeigen, dass er nicht lediglich formal ist, sondern einen Welt-anschauungsinhalt einbegreift, der dem Inhalt des »Wortes« Wider-stand entgegensetzt. Wieweit das transzendentalphilosophische Ge-dankengebäude einer philosophischen Prüfung standhält, ist inunserem Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung.

Wenn man in dem erwähnten lutherischen Dilemma auf dem Gebietder Ethik — der Spannung zwischen Gesetz und Spontaneität —den Gedanken an »Weg«, »Wanderung« und verwandte Begriffeheranzieht, kommt man recht weit in der Auflösung schiefer Gegen-sätze und in der Fixierung dessen, was man einen übergeordneten,

• sammelnden Gesichtspunkt nennen könnte, unter welchem sichZwang und Freiheit, Indikativ und Imperativ bis zum gewissen Gradevereinigen lassen. Aber statt den uns zur Verfügung stehenden Raumfür den Versuch zu verwenden, eine solche Analyse in einigen Punktendurchzuführen, wollen wir uns mit zwei denkbaren kritischen Ein-würfen gegen unsere bisher gegebene Darstellung von Wanderungund Weg als ethischen Zentralbegrifferi beschäftigen. Der nächst-liegende Einwand wäre etwa folgendermassen zu formulieren: Aufdie genannte Weise begibt man sich keineswegs aus dem Rahmender- drei aufgestellten Alternativen (Gesinnungsethik, legalistischeEthik, Zweckethik) heraus, sondern man endet auf seiner Fluchtvor den beiden ersten Typen nur um so sicherer in der dritten Alter-native : der Zweckethik. Ein Weg und eine Wanderung müssen vomZiel her verstanden werden, d. h. von einem einfachen Zielgedanken,einem Finis-Begriff, der den Gedankengang beherrscht.

Spricht man hierbei von »Zweckethik«, so sind zwei verschiedeneBedeutungen auseinanderzuhalten, die ein solcher Terminus habenkann. Entweder kann man sich eine Resultatethik vorstellen. Indiesem Falle wird das Handeln darauf eingestellt, ein Ergebnis zuerzielen, einen bestimmten Zustand herbeizuführen, z .B. den Welt-frieden, allgemeinen Wohlstand, möglichst grosses Glück für einemöglichst grosse Zahl von Menschen. Während des 19. Jahrhundertswar das »Reich Gottes« oft ein ethischer Zweck in diesem Sinne. Oder

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man kann sich eine egozentrische, eudämonistische Gesamtauffassungvorstellen, in der die Erlösung des eigenen Ich das gestaltende Prinzipist. Da bezweckt das Handeln nicht die Herbeiführung eines bestimm-ten Zustandes, sondern der Zustand ist bei Gott bereitet und fertig,die Frage ist nur, wer dorthin gelangen wird, die Frage ist vor allem,ob ich das Ziel erreichen werde. Die Teleologie der Reichsgottesarbeithat ein soziales Gepräge, der Erlösungsfinalismus hingegen ist indivi-dualistisch gekennzeichnet. Dass der Begriff der Wanderung keineAffinität zum Zweckgedanken in »resultatethischem« Sinne hat, istoffensichtlich. Schwieriger ist die Abgrenzung gegenüber der individua-listischen Konzentration auf die Erlösung des Ich.

Die Himmelsreise der Seele, dieses weit verbreitete gnostischeMotiv, ist der Ausdruck eines klaren und einfachen Finalismus indem hier angedeuteten Sinne. Die gefallene Seele kehrt aus dem bin-denden irdischen Gefängnis in die Heimat zurück. Die Vorwärtsbewe-gung auf dem Wege rührt daher, dass das Ziel anziehende Kraft ausübt.Es ist eigentümlich, wenn man beobachtet, wie gänzlich fern derGedanke an ein ziehendes, lockendes Ziel der alttestamentlichenVorstellung vom Leben als einem Weg oder einer Wanderung liegt.Die Beschreibung der Wege des Herrn ist nicht am Ende des Wegesorientiert, sondern am Anfang des Weges steht ein Befehl vom Herrn,in der und der Richtung zu gehen1). Das Gebot und der Weg, dasGesetz und der Weg gehören zusammen. Dann allerdings ist es auchwahr, dass der, der richtig wandert, Leben und Segen empfängt, abervon daher ist das Reden von Weg und Wanderung nicht bestimmt;das Zentrum ist der Gedanke an den Herrn und die Befehle desHerrn. Typisch ist die Stelle Jes. 30,21: ». . . und deine Ohren werdenhinter dir das Wort hören: Dies ist der Weg! Gehet auf ihm! wennihr nach rechts oder nach links abbiegt.«2) Auch im Neuen Testamentkann die Wanderung nicht vom Herrn und- seiner Herrschaft gelöstwerden. Dort beginnt der Weg damit, dass der Herr selbst geht —und Nachfolge fordert. Hier müssen wir uns wiederum den Gehaltder Nachfolge vergegenwärtigen : in den Mittelpunkt rückt der Herr,dem man folgt3). Das Wesentliche im Gehalt der Wanderung gehtverloren, wenn man hier sogleich den Gedanken an das Ziel einfügt;hier wie auch sonst ist es die Überzeugung vom Reich, die die Grund-konzeption beherrscht.

1) Vgl. MICHAELIS im Theol. Wörterbuch z. N. T. V, 1, 1944, S. 47 und 56 f.2) Vgl. BERNHARD DUHM, Das Buch Jesaia, 1914 3, S. 198.3) Vgl. R. N. FLEW, Jesus and his church, repr. 1949, S. 817.

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Und das Reich ist errichtet und dennoch Gegenstand des Harrensund Hoffens. Es ist präsentisch und futurisch zugleich. Der Wechselzwischen Indikativ und Imperativ ist eine Projektion der zwei Seitenim Begriff des Reiches1). Die Wanderung, ebenso wie das paulinische»Wachsen«, dürfte nur auf der Grundlage der Doppelheit in derHerrschaft Christi klar zu machen sein, also der Verknüpfung vongewonnenem Sieg und erhoffter Herrlichkeit2). Aber ebendamit kommtChristus und sein im Vollzug befindliches Werk in den Mittelpunkt,und eine Revision der auf das einzelne Ich und seine Heilsgewissheitkonzentrierten Fragestellung wird notwendig. Hier hat die Ethikwahrscheinlich noch sehr viel von der exegetischen Theologie zulernen, besonders von der Erforschung des Kirchenbegriffes und desBegriffes der beiden Weltalter. Anderseits ist es nicht nur so, dassder Gedanke an die Kirche oder die Herrschaft Christi den indi-vidualistischen Erlösungsfinalismus zerstört, in dem alles um daseigene Ich kreist. Sonst wäre die Kirche bloss ein Kollektiv, in demdie Einzelnen ausgelöscht sind. Dann aber geht eine Seite des Zusam-menhanges verloren, nämlich -die Tatsache, dass die Kirche eineZeit in der Heilsgeschichte Gottes ist, dass in der Kirche etwas jetztim Begriff ist, zu geschehen, damit in der nächsten Phase, in derVollendung, etwas Anderes geschehe. Die Frage der einzelnen Menschennach dem Heil und ihr Suchen nach einem Weg wird durch denKirchengedanken nicht abgeschnitten, sondern fügt sich in diesengrösseren Zusammenhang ein, der von der Herrschaft Christi bestimmtist. Gerade die Wanderungsterminologie ist hier eine Hilfe, um dierechte neutestamentliche Sicht der Gemeinde klar zu erhalten: daswandernde Volk zwischen Ostern und Parusie, zwischen der Siegertatvom Roten Meer, die geschehen ist, und dem Einzug in das Land derVerheissung, der noch nicht geschehen ist. »Daher, wer meint zustehen, der sehe zu, dass er nicht falle« (1. Kor. 10,12). Dies ist eineberechtigte Besorgnis. »Nur dass wir auf demselben Wege, auf demwir hergelangt sind, weiterwandern wollen!« (Phil. 3,16)3). Egozen-trisch wird die Frage nach dem Heil erst dann, wenn sie von einererstarrten Kirchenidee ausgestossen und dadurch gezwungen wird,auf eigene Faust zu arbeiten — wie auch die Nachfolge entgleist,wenn sie vom Gedanken der Gnade, von Christus als Geschenk undGabe, getrennt und ausgeschlossen wird.

1) S. PREISKER a. a. O., S. 65.

2) Vgl. E R N S T PERCY, Die Probleme der Kolosser- und Epheserbriefe (Skrifter utg.av Kgl. hum. vet.-samf. i Lund 39) 1946, S. 116 ff.

3) Vgl. den Kontext in 1. Kor. 10, 1 - 1 3 resp. Phil. 3, 8 - 2 1 .

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Überhaupt kann gesagt werden, dass man in diesen Fragen aufder rechten Spur ist, wenn es sich zeigt, dass alle Gedankengänge zurChristologie hinführen, zu dem Kerygma von Christi Tod und Aufer-stehung, und dass man in die Irre geht, sobald alles auf eine allgemei-nere, nicht-christozentrische Teleologie hin tendiert.

Wenn man aber auf diese Weise versucht, die Vorherrschaft desZweckgedankens und damit einen groben Finalismus abzuwehren,so begegnet einem stattdessen ein Einwand aus einer ganz anderenRichtung. Die Aussage des Johannesevangeliums, dass Jesus der»Weg« ist (14,6), wird von BULTMANN unter der Überschrift »DieEinheit von Weg und Ziel« behandelt. Es ist ein Hauptanliegen Bult-manns, »dass Weg und Ziel nicht im Sinn des mythologischen Denkensgetrennt werden dürfen«; ». . . vielmehr im Gehen des Weges ist dasZiel erreicht.«1) Wenn Bultmann in dieser Weise die Vorstellung einesZieles am Ende des Weges ablehnt, so gründet seine Haltung nichtin einer Aversion gegen das Teleologische an und für sich. Das Zielam Ende des Weges fällt vielmehr dem Schnitt des entmythologisieren-den Messers zum Opfer. Wenn Thomas Joh. 14,5 die unverständigeJüngerfrage stellt: »Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst; wiekönnen wir denn den Weg wissen?«, so ist dadurch nach Bultmannder mythologische Standpunkt charakterisiert, der Standpunkt desMythus, der erstens einen Weg und zweitens ein Ziel kennt. Aber dieAntwort Jesu zerbricht die Mythologie, er sagt nicht ein Wort voneinem fernen Ziel, nur dies : »Ich bin der Weg, die Wahrheit und dasLeben.« Man kann niemandem sagen, was Christentum ist, man kannden Fragenden nur auf »seine geschichtliche Existenz« zurückverwei-sen, die vom Wort bestimmt ist, kann den Frager nur veranlassen,dass er zu gehen anfängt; nur im Gehen öffnet sich die Wahrheit.Alles Reden vom »Ziel« ausserhalb »der geschichtlichen Existenz«muss fallen, dergleichen ist nur Mythus, dergleichen hilft uns nurdazu, dass wir uns der Existenz als Gehende entziehen, es reisst unsaus dem Hingewiesensein auf Jesu konkretes historisches Wort. Nurwenn das Ziel mit dem Weg identifiziert wird, wird unser Leben einWandern, sonst tritt an dessen Stelle ein mythologisches Fürwahrhal-ten.

Diesem Versuch in Bultmanns Johanneskommentar, das Ziel imWeg aufgehen zu lassen, entspricht genauestens seine Behandlungdes Christuskerygmas in »Offenbarung und Heilsgeschehen« 1941.

1) RUDOLF BULTMANN, Das Evangelium des Johannes 1941, S. 466 ff.

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Dort verschwindet in ganz der gleichen Weise die Auferstehung ChristiinTChristi Tod. Alles Reden von der Auferstehung Christi hat nurSinn »als der Ausdruck der Bedeutsamkeit des Kreuzes«1). »Ja, derAuferstehungsglaube ist nichts anderes als der Glaube an das Kreuzals Heilsereignis.« Wie kommt man denn dazu, an das Kreuz als»Heilsereignis« zu glauben? »Hier scheint es nur eine Antwort zugeben: weil es als solches verkündigt wird.« ». . . Eben der Glaube andieses Wort ist in Wahrheit der Osterglaube.«2) »Das Wort« ist dieForm, in der die Auferstehung auftritt. Man soll niemals nach einerAuferstehung suchen, die ein besonderes Ereignis nach dem Todewäre. Das Leben ist hier, denn das Wort ist hier. Man soll auch nie-mals nach einem Ziel am Ende des Weges suchen. Das Ziel ist jetzt,denn das Wort ist jetzt. Der, der »geht« und Jesu historisches Worthört, ist am Ziel. »Das Wort«, dieses gegenwärtige, ist sozusagendie einzige Form, in der das Ziel auftritt.

An dieser Front der Debatte, also gegenüber dem Entmythologi-sierungsprogramm, muss man daran festhalten, dass der »Weg« aufetwas hinführt, das noch nicht hier ist. Der Glaube hört auf, Glaubezu sein,, sobald er sich nicht vom Schauen geschieden weiss, zeitlichgeschieden vom Ziel. Die Reformationszeit konnte alle irdischenVerhältnisse in die Wanderung des Christenmenschen einbeziehen,die Gemeinschaft mit Christus hatte ihr Leben und Wesen draussenin allen Bezirken des öffentlichen Geschehens, eben darum weil dasZiel jenseits »des irdischen Reiches« lag; man konnte überall glauben,glauben gegen den Augenschein, ja, bisweilen sah man das Lebenin der Welt ungefähr so an, wie Irenäus das Martyrium ansah: mansah das Leben im Tode. Nichts Irdisches brauchte ausgeschlossen zuwerden, es bedurfte keiner Parenthesen in der Wanderung, keinerUnterbrechungen. Der Spiritualismus in aller modernen Ethik, derMangel an Schöpfungsglauben, kommt in erster Linie aus dem Mangelan Auferstehungsglauben. Identifiziert man Weg und Ziel, zieht mandas Ziel in das Gehen hinein wie Bultmann, so verwandelt man denchristlichen Glauben in etwas Anderes, als er ursprünglich gewesen ist.

Bultmann meint zwar tatsächlich, dass der christliche Glaube inder Jetztzeit in gewissem Sinne verändert werden sollte. Diese TheseBultmanns und ihre Begründung ist jedoch ein Problem für sich,das hier nicht erörtert werden kann.

1) RUDOLF BULTMANN, Offenbarung und Heilsgeschehen (Beiträge zur evangelischenTheologie 7) 1941, S. 63.

2) Ibidem, S. 66. (Die Sperrung von mir.)

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