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�1
Wolfgang Hagen
Trancemedien und Medientrancen. Zur Epistemologie eines zentralen
Konzept der Medienforschung (‚Para-Sozialität‘)“ 1
Meine Damen und Herren!
Trancemedien und Medientrancen. Ich überlasse es Ihnen zu
entscheiden, an welchem Ende des Thema wir einsteigen, wenn ich
Ihnen vorab einen kleinen Einblick gebe in einer der aktuellsten
Medienstudien der USA. Es handelt sich um die so genannte „Video
Consumer Mapping Study“, die im März 2009 von dem
Medienforschungsunternehmen Nielsen und der Forschungsgruppe der
Ball State University vorgelegt wurde. Sie ist die erste umfassende
Multimediastudie der USA und behandelt vor allem die Frage der
Nutzung der neuen Bildschirmwelten. Wir leben in einer Viele-
Bildschirm-Welt, wie Sie gleich sehen werden.
a)Der klassische TVBildschirm,
der aber auch nicht mehr
klassisch ist. Sondern zum Live-
Erlebnis Fernsehen, das auch in
den USA noch nicht
ausgestorben ist, hinzugetreten
sind die DVD und der
Festplattenrecorder sowie die Möglichkeit, den TV-Schirm als
Spielconsole zu verwenden.
b) Eine weitere wichtige Bildschirmoberfläche des Medienkonsums
ist der Laptop oder PC-Bildschirm. Surfen im WEB, Email,
Softwarekonsum, und das Fernsehen über das WEB haben hier
ihren Ort.
Vortrag Studium Generale Lübeck, 21.01.20101
�2
c) Dritten und immer wichtiger werdender Bildschirm – der „Mobile
Screen“ in Gestalt der neuen Smartphones, mit Telefongespräch,
SMS und WEB-Anschluss sowie eigener Kamera und wiederum:
Mobiles Fernsehen, das hier auch vor allem als Podcast-
Fernsehen „im Kommen“ ist.
d) Und viertens die anwachsende Bildschirmwelt, die es sonst noch
so gibt, vor allem hier der Navigator, der immer intelligenter wird.
Aber auch, nicht zu vergessen, die öffentlichen „Sehen“ auf
großen Bildschirmwänden und die Zunahme der Beamer im
häuslichen Wohnzimmer, über dann Fernsehen und DVD auf
großer Leinwand laufen.
Das ist die neue „Vier Bildschirm“ – Welt, von Alaska bis Neuseeland im
Boom überall anwachsend und sich ausbreitend. Die Frage der Video
Mapping Studie in den USA war: Wer nutzt wie lange welchen dieser
Bildschirme?
Der Mensch hat auch in den
USA nur einen 24
Stundentag und wie
hierzulande schläft er 7
davon und arbeitet etwa 9,
so dass noch acht Stunden
für alles Sonstige übrig
bleiben. In diesen 9 Stunden
konsumiert er insgesamt 12
Stunden und 2 Minuten Medien – Wie geht das? Nun, das geht so,
dass er mindestens vier Stunden davon zwei oder mehr Medien
gleichzeitig konsumiert. Zumindest in der USA. Denn neben den vier
Bildschirmmedien gibt es ja noch Radio und die Musik aus allen
möglichen Playern, Medien ohne Bild also. Hier schon die erste
Vermutung: So ganz ohne Trance oder zumindest gewisse Absencen
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kann dieser Doppel- und Dreifachkonsum auf eine so lange Zeitstrecke
wohl nicht abgehen.
Wenn wir uns nun anschauen, wie es in unserer Vier-Bildschirm-Welt
aussieht, dann ergibt sich folgendes Bild:
Alle Bevölkerungsgruppen in den USA verbringen über acht Stunden
vor den vier Bildschirmen und einige, nämlich gerade die aktivsten 45
bis 54 jährigen noch eine Stunde mehr. Was ja gar nicht geht, weil nur
acht Stunden zur Verfügung stehen, und also auch hier Doppelkonsum
von Bildschirm-Medien. In einzelnen sieht das dann so aus:
- Durchschnittlicher Medienkonsum vor dem klassischen TV-Gerät 353
min = 5 Stunden und 48 min
- Durchschnittlicher Medienkonsum vor dem PC-Bildschirm oder Laptop
143 min = 2 Stunden und 23 min
- Durchschnittlicher Medienkonsum vor dem Mobilen Bildschirm 20
Minuten
- Durchschnittlicher
Medienkonsum vor den
übrigen
Umgebungsbildschirmen
weitere 8 Minuten.
>> 9
So sieht dann das
Ergebnis unserer Vier-
Bildschrim-Welt aus:
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Durchschnittlich 8 Stunden und 43 Minuten täglicher Bildschirmkonsum
auf vier verschiedenen Ebenen.
Das sind die quantitativen Daten. In der Bildschirmnutzung handelt sich
nach wie vor ganz überwiegend um Fernsehkonsum, wenn auch
zunehmend nicht mehr in Fernsehen in Echtzeit und nicht mehr nur auf
dem klassischen Gerät. Die Zahlen mögen in Deutschland und Europa
etwas geringer sein, hier hat man sie so noch nicht erhoben. Bei so
vielen Bildschirm-Medien ist das auch methodisch kein einfaches
Unterfangen.
Warum dieser massive Bildschirmkonsum? Was sind die Gründe? Über
die Mechanismen, wie er zustande kommt, gibt es keine Angaben und
auch keine Erhebungen. Also wird extrapoliert, und es werden
Hypothesen und Vermutungen angestellt. Genau darüber will ich mit
Ihnen heute sprechen.
Es geht mir dabei um eine der wichtigsten Rezeptionsvermutungen, die
mit dem Fernsehen verbunden ist. Es handelt sich um die Hypothese,
dass zwischen dem Akteur auf der Mattscheibe einerseits und dem
Zuschauer vor der Mattscheibe eine extraordinäre Beziehung besteht.
Ich beziehe mich hier auf die anerkannten Grundsätze der empirischen
Medienforschung. Einer ihrer Grundthesen lautet: Die Beziehung
zwischen einem TV-Akteur und seinen Zuschauern ist para-sozial.
Schematisch ist der Mechanismus der Folgende. Günther Jauch sei der
Akteur auf der Mattscheibe, der den Zuschauern Aktionen anbietet. Die
reagieren mit der Einschaltquote, mit Anrufen, Emails, Fax und Briefen
darauf. Möglicherweise korrigiert Jauch dann seine Aktionen es entsteht
eine Feedback-Beziehung. Wie genau sie aussieht wissen wir nicht und
�5
als Feedback-Beziehung
stellt auch keine soziale
Beziehung dar. Die
Medienforschung nennt
deshalb eine solche
Beziehung „para-sozial“.
Für die Empiriker erklärt
diese Symptomatik der
Parasozialität völlig
zufriedenstellend, warum
so überwältigend große Teile der Bevölkerung täglich so überwältigend
lange Stunden oft äußerlich so gelähmt aussehend vor TV-Geräten,
Internet-Computern oder Smartphones ihre Zeit verbringen.
Ich erlaube mir aber weiter
zu fragen und möchte mit
Ihnen einen kurzen Blick
auf das
Gründungsdokument der
These von der
Parasozialität des
Medienkonsums werfen.
Der Text stammt aus der
1950ern, aber hat an
Bedeutung nicht verloren. Ich werde ihnen zeigen, dass das Konzept
Parasozialität des Medienkonsums im Kern auf C.G. Jungs Begriff der
Persona zurückgeht, wobei Jung selbst diesen Begriff aus seiner
Seancenforschung und seinen parapsychologischen Studien gezogen
hat. Was also hat die Parapsychologie einer mediumistischen Seance-
Sitzung mit der Parasozialität unseres heutigen Medienkonsums zu
tun? Auf diese Frage soll Ihnen mein Vortrag am Ende den Versuch
einer Antwort liefern.
�6
Vor dreiundfünfzig Jahren, 1956, drei Jahre nach dem Durchbruch des
neuen Medium Fernsehens in den Ballungsgebieten der USA,
schreiben die beiden Mitglieder des interdisziplinären Komitees für die
menschliche Entwicklung an der University of Chicago, der Anthopologe
Donald Horton und der Soziologe Richard Wohl:
a) “One if the striking characteristics of the new mass media - radio,
television, and the movies - is that they give the illusion of face-to-face
relationship with the performer. … The most remote and illustrious men
are met as if they were in the circle of one's peers; … . We propose to
call this seeming face-to-face relationship between spectator and
performer a para-social relationship.” 2
Wie Sie wissen: Die Erforschung der Massenmedien ist keine
europäische Disziplin, sondern ein Kind der amerikanischen Soziologie.
In den Anfängen
herrschte die Vorstellung
von einem schlichten
Stimulus-Response-
Modell. Der Sender
sendet und die
Zuschauer reagieren auf
das Gesendete wie im
Reflex. Das war die
Vorstellung der ersten
Phase der Medienforschung, die in den 1930ern bis zu Beginn der
1950er Jahre vorherrschte.
Schon in den 1950er Jahren kamen an diesem Modell vor allem in den
Sendern selbst Zweifel auf, so eben auch bei Donald Horton, dem
Medienforscher der Fernsehgesellschaft CBS.
Horton, Donald / R. R. Wohl: Mass Communication and Para-Social Interaction, In: 2
Psychiatry, 1956, Vol. 19, Nr. 3, S. 215–229, 215,
�7
Horton hatte schon in den 1940er Jahren herausbekommen, dass die
Zuschauer in den Anfangsjahren des US-Fernsehens das entsetzliche
Sammelsurium abgründig schlecht fanden, aber trotzdem begeistert vor
dem Bildschirm blieben.
„They like video but look to
the future“ war seine 3
These, auf deutsch: Die
Menschen lieben die
Glotze und warten auf die
Zukunft. Also eben nicht:
Stimulus – Response.
Sondern auf der Seite der
Zuschauer: Aktivität,
Erwartung, Mitdenken und
Geduld. Horton war einer der ersten, der aus der empirischen
Programmbeobachtung der frühen Fernsehjahre den Schluss zog, dass
der Fernsehzuschauer ein aktiver und kein passiver Konsument ist.
In dieser Übersicht verorten
wir das „Stimulus
Response Modell“ noch
einmal im historischen
Kontext, wobei die Frage
ob das NS-Radio oder
auch die Rooseveltschen
Radiotalks so wirkungsvoll
waren, wie die damalige
Forschung meinte,
Donald Horton, “They Like Video But Look to the Future,” Broadcasting, 7 October 3
1946, 16.
�8
dahingestellt bleiben mag.
Die nachfolgenden 3
Jahrzehnte ab 1950 nahm
man ohnehin an, das die
Medien eher eine schwache
Direkt-Wirkung hätten,
während dann ab 1980 bis
heute ganz unterschiedliche
Medienwirkungstheorien in
die Diskussion gekommen
sind. In der mittleren
Periode sehen wir einige
wichtige Theoriekonzepte,
u.a. die
Kultivierungshypothese von
George Gerbner und Elisabeth Noelle Neumanns Schweigespirale.
Noelle Neumann vermutete ja, dass die Medienrezpienten eine völlig
andere und abweichende Meinung herausbilden als es ihnen ihre
Medien vermitteln, aber solange darüber schweigen, bis sich diese
Stimmung plötzlich und lawinenartig Bahn bricht. Dieses wie alle
anderen Konzepte der neueren Medienforschung gehen von dem Bild
eines aktiven Zuschauers aus, das Hohl schon so früh postuliert hat.
Zwei Modellen der Medienwirkung stehen heute im Mittelpunkt. Das
eine ist das „Uses And Gratification“ Modell, dessen Schema ich Ihnen
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hier am Beispiel von Big Brother
zeige. Der Zuschauer konsumiert
hier im Wesentlichen nach seinen
gegebenen Bedürfnissen. Bitte
beachten Sie auch hier die
Bedeutung der para-sozialen Aktion,
die auch die Grundlage für die
Identifikation des Zuschauers ist.
Ein weiteres Fundamentalmodell
der Medienwirkungsforschung ist
der „dynamisch transaktionale“
Ansatz. Er geht davon aus, dass
quasi-parallele Prozesse
zwischen Bildschirmakteur und
Zuschauer stattfinden und dass
der Zuschauer eine Art Vertrag
aushandelt, den der Akteur
gleichsam imaginär unterschreibt. Zuschauer von Ratgeber-Sendungen
oder WiSo im ZDF fallen unter diesen transaktionalen Ansatz. Die
Moderation ist so ausgerichtet, dass sie sich an die Zuschauer wendet
wie an die Vertragspartner eines Abonnements. Auch hier spielt die
parasoziale Bindung in Gestalt des „Para-Feedbacks“ eine große Rolle.
Die Grundlage aller dieser modernen Medienwirkungstheorien ist
Horton und Wohls Begriff der Parasozialität der Mediennutzung. Je
mehr er verwendet wird, umso weniger fragt man sich, wo er herkommt.
Also lassen Sie uns klären, was Horton meinte und wie er diesen
Begriff geprägt hat.
„In television … the 'actor … often … faces the spectator, uses the
mode of direct address, talks as if he were conversing personally and
�10
privately. The audience, for its part, responds with something more than
mere running observation; it is, as it were, subtly insinuated into the
program's action and internal social relationships … . The more the
performer seems to adjust his performance to the supposed response
of the audience, the more the audience tends to make the response
anticipated. This simulacrum of give and take may be called para-social
interaction.” 4
Was Horton und Wohl hier beschreiben, ist die Intimität eines
Simulacrums. Simulacrum, das ist das Scheinbild, das Trugbild, das
Phantom, der Schatten und der Schein, aber eben auch das Götter-
oder Götzenbild. Ich denke an Günther Jauch oder meinen gehassten
Johannes Kerner und mit fällt Jean Baudrillard ein. Der hätte an dieser
Begrifflichkeit seine Freude gehabt. Aber wir lesen nicht Baudrillard
1980, sondern einen der Gründungstexte der modernen
Medienforschung aus der Mitte der 1950er Jahre.
Vor einer fiktiven Kulisse fremder
Menschen auf dem Fernsehschirm,
so Horten und Wolf, reagiert der
Rezipient nicht „orthosozial“ wie in
der U-Bahn z.B. Dort ist es
bekanntlich verpönt, Mitreisende
anzuglotzen oder eine gegenüber
sitzende Person auszulachen.
Solche sozialen Akte sind vor dem Fernsehschirm völlig o.k, so die
These. Das sind nämlich aktiv fiktionale, „fantasy“ gesteuerte
Handlungen in einer Art „Para“ -Zustand.
Parallelzustände parasozialer Art lassen sich durch Fragebögen gut
indizieren und deshalb auch empirisch messen; Beispiel: „My favoured
Horton / Wohl, 215.4
�11
actor in the show
reminds me of myself“
oder „I enjoyed trying to
predict what he would
do“ oder „Ich würde den
gern mal kennenlernen,
ich mag seine Stimme“. 5
Fünfzehn solcher
Fragen sind seit
Jahrzehnten patentiert
und gelten als der Standardnachweis einer PSI-Kommunikation, wobei
PSI hier für nichts Außerirdisches, sondern für Para Soziale Interaktion
steht. Die Antworten erweisen sich als statistisch konsistent. Das reicht
den empirischen Medienforschern, die an der Erörterung
epistemologischer Tiefenstrukturen in der Regel kein Interesse haben.
Umso mehr lohnt ein Blick auf die
ursprüngliche Definition der „para-
social relationship“. Horton und Wohl
machen sich nämlich sehr eingehende
Gedanken, wie es dazu kommen kann,
dass in der kalten technologischen
Distanz des Fernsehens eine para-
soziale Bindung entsteht. Das einzige, was Sie nicht aufklären, ist ihre
Wortwahl – die Kombination von Para und Sozial. Para ist eine
griechische Präposition, bedeutet so viel wie: bei, neben her, darüber
hinaus, aber auch entgegen.
a- Wortfügungen mit Para gab es im 19ten Jahrhundert kaum, das
Grimmsche Wörterbuch von 1860 kennt gerade mal das Paradox, die
Vgl. Auter, Philip J. / Palmgreen, Philip: Development and Validation of a Parasocial 5
Interaction Measure: The Audience-Persona Interaction Scale, Communication
Research Reports/Winter 2000 Volume 17, Number 1, pages 79-89.
�12
Parallele und den Paragraph. Die Paranoia, die Paraphanie, oder
Parästhesie, alle diesen schweren Gefühlsstörungen, oder die
Paralyse, also der Begriff für Lähmung blieben sehr lange rein
medizinische Begriffe, von denen erst im letzten Jahrhundert der eine
oder andere in den allgemeinen Sprachschatz gewandert ist. Alles
Begriffe mit negativem Beigeschmack, die irgendetwas Missliches oder
zumindest Dubioses bezeichnen. Eine Paranomie ist zum Beispiel eine
Gesetzeswidrigkeit und eine Paraphasie beschreibt eine
Sprachstörung. So verhält es sich eigentlich auch mit dem Begriff Para-
psychologie, mit dem man ein dubioses Grenzgebiet bezeichnet,
„okkulte Phänomene“, „mediumistische“ durch in Trance fallende
Medien paragnostisch artikulierte Wahrnehmungen, parakinetische
Effekte, Tischerücken, Ektoplasmen und Materialisationen aller Art.
1889 hat Max Dessoir, ein Zeit- und Weggenosse Rudolf Steiners,
vorgeschlagen, alle diese okkultistischen Dinge unter dem Namen
„Parapsychologie“ zu versammeln, ein Wort, das es vorher gar nicht
gab.
Horton und Wohl bilden auch ein Wort, das es zuvor nicht gab, den
Neologismus des Para-Sozialen. Vielleicht wollten sie damit sogar
explizit an die Tradition des Para-Psychologischen anschließen. In
einem Abschnitt „The Role of the Persona“ überschrieben, heißt es
gleich zu Beginn:
„The persona is the typical and indigenous figure of the social scene
presented by radio and television. … The spectacular fact about such
personae is that they can … achieve an intimacy with what are literally
crowds of strangers, and this intimacy, even if it is an imitation and a
shadow of what is ordinarily meant by that word, is extremely influential
with, and satisfying for, the great numbers who willingly receive it and
share in it.” 6
Horton/Wohl, 216.6
�13
Persona ist ein Begriff aus der Psychologie (oder sollte ich sagen:
Parapsychologie?) von C.G. Jung. In seinen 1923 erstmals auf Englisch
erschienen „Psychological Types“ schreibt Jung:
“The persona expresses the personality as it appears to oneself and
one's world; but not what one is.” “Thus, the persona is a function-7
complex which has come into existence for reasons of adaptation or
necessary convenience, but by no means is it identical with the
individuality. The function-complex of the persona is exclusively
concerned with the relation to the object.” 8
Genauso verhält es sich bei der persona in der Parasozialität der
Fernsehrezeption. Sie ist ebenfalls ein Funktionskomplex und vor der
Kamera ausschließlich auf das Objekt, nämlich den Zuschauer
ausgerichtet. Die persona ist gestaltbar, sie ist, wie Jung sagt, die
intellektuelle Seite des Ego, ganz im Unterschied zur Anima-Seite des
Ego oder zu seinem Schatten. Mit unserer persona können wir spielen,
agieren, ein Format-Konzept realisieren, wie Horton sagt. Ganz anders
der Zuschauer:
„The spectator must be able to play the part demanded of him; and this
raises the question of the compatibility between his normal self—as a
system of role-patterns and self-conceptions with their implicated norms
and values—and the kind of self postulated by the program schema and
the actions of the persona.“
Auf der einen Seite Jauch, die persona. Auf der anderen Seite ich, mit
meinem Selbst. Alles kommt hier auf meine Anpassungen an, auf
Anpassungen des Selbst gemäß den Vorgaben des persona-Akteurs.
Jung, C. G.: Psychological Types, Hopetoon: Constable Ltd 1953, 268.7
5918
�14
Das Selbst – ebenfalls ein zentraler Begriff der C.G. Jungschen
Psychologie.
“Hence I discriminate between the ego and the Self, since the ego is
only the subject of my consciousness, while the Self is the subject of my
totality: hence it also includes the unconscious psyche. In this sense the
Self would be an (ideal) factor which embraces and includes the ego.” 9
Das Selbst ist Alles: es umschließt
mein Ego, seinen Schatten, die
persona und das Unbewußte, das
ja nach C.G.Jung immer einer
Kollektives, ein gemeinsames
Unbewusstes ist. The Self is an
ideal factor und in diesem Sinne
funktioniert es in der parasozialen
Aktion. Das Selbst kann in der Bildschirm-Persona sein eigenes
Selbstideal erblicken.
Bei dieser Bedeutung von C. J.
Jung für einen der wichtigsten
Gründungstexte der us-
amerikanischen
Medienforschung wird man
sich fragen, wie Jung, dieser
eingesessene Züricher, nach
Amerika kam. Sehr früh schon.
Seinen ersten Trip nach New
York machte er sogar mit Freud zusammen im Jahre 1907, er hielt
Vorträge in Boston und New York, wo in der zweiten Jahrhunderthälfte
ziemlich ausgeprägte spiritistische Gewohnheiten Gang und Gäbe und
5409
�15
deshalb Psychologen aus Europa, wie Kraepelin oder Pierre Janet,
heiß begehrt waren. Es warteten zahllose ebenso hysterisierte wie gut
zahlende Patientinnen auf Behandlung. Da wollten Freud und Jung
nicht zurückstehen. Alle Bücher C.G.Jungs erschienen ab 1911 in steter
Reihenfolge auch in den USA, weshalb ich hier stets die englischen
Fassung zitiert habe.
In Europa geriet Jung nach dem zweiten Weltkrieg wegen seines
deutlichen Antisemitismus, vor allem aber wegen seiner unklaren Rolle
als Mitläufer in Miskredit. Nicht so in England und den USA. Hier war,
ist Jungs Archetypenlehre seit den 1930er Jahren ein anerkanntes
Theorem.
Als zum Beispiel in den 1970er Jahren die europäische Filmtheorie auf
die junge amerikanische Filmschool-Generation um Georg Lucas,
Stephen Spielberg und Francis Coppola herüberschwappte, und dort
auf unbändige Experimentierlust traf, entdeckten die jungen
bilderhungrigen Fernseh- und Filmregisseure unter anderem auch
Joseph Campbell, Mythenforscher und wichtigster Propagandist der
Jungschen Lehre im angelsächsischen Raum. Joseph Campbells Buch
„A Hero with a tousand Faces“ ist ein durch und durch jungeanisches
Buch. Es dekliniert die Kulturgeschichte aller Heldenepen von
Odysseus bis zu der Gefiederten Schlange der Atzteken nach dem
Muster der Archetypen durch. Aufbruch, Initiation, Emanation,
Verwandlung und Auflösung, diese archetypischen Phasen C.G.Jungs
findet Joseph Campbell in diesen Heldensagen wieder und wieder
bestätigt.
Georg Lucas hat immerhin zugegeben, dass er erst nach der Lektüre
von Campbell und C.G. Jung seine Weltraumsaga-Drehbücher habe
schreiben können. Wie tief archetypisierend die Star Wars Filme des
Georg Lucas dann geworden sind, kann man erstens dann ja selber
�16
sehen und zweitens bei James
Jaccino nachlesen: „Jungian
reflections within the cinema”,
Westport 1998. 10
Ich komme zum Schluss: Dass die
moderne Medienforschung an
Psychologische Theorie C.G. Jung
anschließt, in der wir uns gespalten
finden in Ego, persona, anima und
zumal unserem Schatten, dem tiefen
Abgrund, kaum gehalten vom
archetypischen Unbewussten und
dem Selbst, habe ich ihnen zu skizzieren versucht. Die Frage, die sich
allerdings nun stellt ist: Wo hat C.G. Jung selbst seine Konzepte und
sein Wissen her?
Antwort: Er hat sie seinerseits den Medien entnommen.
C. G. Jung begann um die
Jahrhundertwende 1900 zu schreiben.
Bei seinen Medien geht es also nicht
um technische Medien, sondern die
mediumistische Medien. Diese Medien
waren im 19ten Jahrhundert äußerst
Iaccino, James F.: Jungian reflections within the cinema : a psychological analysis 10
of sci-fi and fantasy archetypes, Westport, Conn. (u.a.) : Praeger, 1998/Iaccino
1998/4143IaccinoJungianCinema
�17
zahlreich und behaupteten, in Trancezuständen Kontakt mit
Verstorbenen aufnehmen zu können, Tische tanzen zu lassen und in
fremden außerirdischen Sprachen zu sprechen.
Heute wissen wir: In diesen Tausenden und Aberzehntausenden von
mediumistischen Medienseancen, wie sie in den USA und Europa
zwischen 1850 und 1914 stattfanden, wurden ganz überwiegend die
Ängste und Ungewissheiten ihrer Teilnehmer ausgebeutet. Erklärliche
Ungewißheitsängste waren das. Für einen, der 1875 geboren war, hieß
das: In kaum zwei Generationen waren grundstürzende
Weltveränderungen geschehen. Um 1840 die Telegrafie, die in einer
Generation informationell alle Kontinente verband. Ab 1860 konnte die
Fotografie, kaum zwanzig Jahre alt, Bilder zeigen, die nie ein Mensch
zuvor sah, mit Auslösezeiten von weniger als einer Zehntelsekunde.
Das ermöglichte künbstliche Bewegtbildprojektion, also den Film, ab
1890 folgt das Kino. 1875 das Telefon, 1877 das Grammophon. Ferne
Stimmen, fremde Stimmen, die eigene Stimme fremd wieder gehört.
Die Radiowellen von 1888 nicht zu vergessen und die Entdeckung des
Röntgenlichts ab 1895. Kurzum: die zweite Jahrhunderthälfte des 19ten
Jahrhunderts wird erschüttert von Revolutionen der Wahrnehmung und
Kommunikation.
C.G.Jung, Jahrgang 1875, beschäftigt sich in jungen Jahren
ausschließlich nur mit diesen Entwicklungen.
Ab den 1850er Jahren entsteht –
ganz eindeutig als Reaktion auf die
neuen Techniken der Nachrichten
gebenden Elektrizität – der so
genannte moderne Spiritismus der
mediumistischen Medien.
Zum großen Teil sind es Frauen,
nur einige wenige Männer darunter.
�18
Sie verfallen, wie gesagt, vorgeblich oder tatsächlich in eine Art
autosuggestiven Trancezustand. In dieser Entrückung vermitteln sie
Botschaften von Geistern oder anderen Planeten. Da erscheinen auch
schon mal schemenhafte Gestalten oder seltsame Hände aus den
Faltungen eines Vorhangs. Nüchterne Beobachter erkennen den einen
oder anderen Gauklertrick sofort. Medien, die über Klopf-Codes sich mit
Geistern verständigen können, sind besonders berühmt und begehrt,
wie Madame Blavatsky, die Begründerin der Theosophischen
Gesellschaft und zugleich mehrfach überführte Betrügerin in ihren
Seancen. Betrug und Suggestion, unglaubliche Leistungen der in
Trance Verfallenen und eindeutige dumm-dreiste Betrüger und
Betrügerinnen – das ist die Mischung, die hunderte von
mediumistischen Medien der zweiten Jahrhunderthälfte bieten.
Diese Trancemedien und die zahllosen Versuche ihrer möglichst
wissenschaftlichen Beschreibung – das sind die Themen von C.G. Jung
in seinen jungen Jahren. Wie bei Pierre Janet und William James: Die
psychologische Theorie folgt aus den intensiven Beobachtungen und
Beschreibungen der mediumistischen Medien seiner Zeit.
C.G. Jungs medizinische
Dissertation aus dem Jahre
1903 trägt den Titel: „Zur
Psychologie und Pathologie
sogenannter okkulter
Phänomene“. Sie erschien
im Mutze Verlag in Leipzig,
ein Verlag, der auf die
Publikation spiritistischer
Texte spezialisiert war.
In dieser Arbeit berichtet Jung von den mediumistischen Sitzungen mit
seiner damals noch blutjungen Cousine Helly. Seit ihrem 14ten
�19
Lebensjahr konnte dieses junge Mädchen eindrucksvoll in Trance
verfallen und verblüffte ihre Umgebung mit allen Merkmalen eines
klassischen und ausgereiften mediumistischen Mediums. Jung
verschweigt, dass es sich um seine Cousine handelte und beschreibt
umso empathischer, wie das angeblich unbedarfte Mädchen in Ekstase
geriet, ihre Stimme einen anderen Tonfall bekam, ihre Diktion gelehrt
und elaboriert wurde, und sie „dann irgend eine andere Person
dar[stellte], entweder bekannte Verstorbene oder frei erfundene
Personen, deren Rolle sie nach den Charakteristika, die sie selber gab,
in konsequenter Weise durchführte.“ Jung schreibt von der 11
„ungeteilten Verehrung und Bewunderung seitens ihrer näheren
Verwandten und Bekannten“, die Helly oder eben das „Fräulein S.W.“
bekam. „Sie sieht und hört ihre Geister, sie sieht, wie dieselben im
Zimmer unter den Zirkelteilnehmern herumgehen, wie sie bald bei
diesem, bald bei jenem stehen. (…) Sie empfindet schmerzhaft den
großen Unterschied zwischen ihrer nächtlichen idealen Welt und der
rauhen Alltäglichkeit. Dieser Zustand steht in schroffem Gegensatz zu
ihrem wachen Dasein: Es findet sich darin keine Spur von jenem
unsicheren und unharmonischen Wesen, von jenem sprunghaften,
nervösen Temperament, das für ihr sonstiges Verhalten so
charakteristisch ist.“ (27).
1846 hatte es in den USA die ersten Trance-Veranstaltungen der
beschriebenen Art gegeben. Ein von Edgar Allan Poe tief gehasstes
Medium namens Andrew Jackson Davis hielt tagelang Vorlesungen in
Trance und entwarf in diesem betrügerischen Rausch ein spekulatives
und spirituell überladenes Weltsystem. Jung berichtet in seiner
Dissertation, dass „nach Schluß der Sitzungen“ mit Fräulein S.W.
allgemein „über zahlreiche und verschiedenartige Gegenstände
naturwissenschaftlicher und spiritistischer Art gesprochen und
debattiert“ (43) worden sei. In einer der nächsten Trance-Sitzungen
erweist Helly auch hier den mediumistischen Trance-Traditionen des
Jung, C. G.. ZUR PSYCHOLOGIE SOGENANNTER OKKULTER PHÄNOMENE, 2211
�20
19ten Jahrhunderts die Ehre. Das inzwischen gerade mal 16 jährige
Mädchen diktiert dem staunenden C.G. Jung ihr Weltsystem, das der
junge Mediziner in seiner Doktorarbeit ganzseitig wiedergibt.
Die Frage ist für C.G.
Jung ist: Woher hat ein
fünfzehn,
sechzehnjähriges
Mädchen dieses
Wissen, diese
Kenntnisse? Einfachster
Verhältnisse, ein wenig
Bürohilfe gelernt. Jungs
Antwort: Das kollektive
Unbewusste. Sie weiß es schon bevor sie es weiß. Es ist in ihr es ist
ein archetypisches Wissen. Jung gibt das Beispiel der Helene Smith,
untersucht von seinem großen Vorbild in Genf, Professor Theodore
Flournoy. Helene Smith Ebenfalls eine einfache Frau – aber in Trance
schreibt Sie arabisch.
Aber wieso kann Sie arabisch? Es gibt, sagt Jung in seiner Dissertation,
es gibt „Fälle von somnambuler Mehrleistung, welche (…) die Annahme
einer hoch entwickelten intellektuellen Tätigkeit des Unbewußten
�21
voraussetzen.“ (97).
12
Letzte Bemerkung:
Die Suggestivkraft
von mediumistischen
Medien war es, die
C.G. Jung zu der
Annahme verführt
hat, es gebe
kollektive Archetypen,
die uns allen stecken, und von diesen mediumistischen Medien
hervorgebracht würden. Es ist erstaunlich, was C.G: Jung dabei alles
übersieht.
Zum Beispiel: Alle weiblichen Medien des 19ten Jahrhunderts sind
irgendwann des Betruges überführt worden. Übrigens auch Helly, das
Wenige Jahre später trifft er auf den Patienten Emil Schwyzer, den 12
Sonnenphallus-Mann. In seinem wahnhaften Trancezuständen
behauptet dieser Mann zu wissen, wenn die Sonne mit Ihrem großen
Phallus wackle, nehme der Wind zu. Jung findet heraus, dass diese
Wahnfigur auf einen tatsächlichen Sonnenmythos aus der Liturgie des
Mithras Kultes zurückgeht. Da aber Schwyzer die entsprechende
Veröffentlichung dazu nicht kennen könne, müsse es also ein
kollektives Unbewußtes geben, durchsetzt mit kollektiven Archetypen,
aus denen die Menschengeschichte sich immer wieder neu nähre. Die
C. G. Jungsche Theorie der Archetypen und des kollektiven
Unbewussten basiert wissenschaftshistorisch demnach auf nichts
anderem als einem Mind-Screening besonderer Art, nämlich auf der
Beschreibung von okkulten Clairvoyancen und mediumistischen
Trance-Zuständen.
�22
Medium C.G. Jungs. Sie hat
vermutlich ihr Wissen bei Jung
selbst angeschöpft, ohne dass er
es merkte. Das aber schmälert
nicht im Geringsten Ihre schier
unglaublichen Leistungen. In
einem Zustand solch extremer
autosuggestiver Ekstasen, in den
sich diese Frauen versetzen
konnten, dennoch klug und kaltblütig zu betrügen, das bleibt eine
Leistung von Helene Smith, von Eusapia Paladino genauso wie von
dem Nietzsche-Medium Madame Esperance wie von Jungs Medium
Helly, genannt Fräulein S.W. - Jung verkennt ihren Betrug und verfehlt
damit ihre wahre Stärke.
Aber das hat ja seinen Grund.
Jungs Theorie des Kollektiven
Unbewussten basiert auf
diesem Betrug, oder besser:
auf dem Betrug, den Betrug
nicht aufzudecken. Jung muss
uns im Glauben halten, dass
Frau S.W. alias Helly nicht
betrügt. Denn sonst wäre die
Annahme hinfällig, dass Sie in Trance etwas weiß, was Sie sonst nicht
wüsste. Würde Sie betrügen, bräuchte es keine Annahme, dass es ein
Kollektives Unbewusstes gäbe, aus dem Sie in der Trance schöpft. Da
betrügt uns C.G.Jung dann schon lieber selbst und verschweigt nicht
nur, dass es sich um seine Cousine, sondern auch, dass sie überführt
wurde.
Mit dem Konzept der Parasozialität führen Horton und Wohl die C.G.
Jungschen Konzepte dahin zurück, wo sie herkommen: Aus den
mediumistischen Medien in die technischen Medien. Dass die persona
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auf dem Bildschirm versucht, bei den Selbst-Instanzen der
ZuschauerInnen Bindung zu finden und dass diese ihrerseits in der
persona die Idealisierung ihres eigenen Selbst ausmachen können, -
das alles basiert, wie wir gesehen haben, auf Jungschen
Strukturkategorien.
Und damit, nebenbei bemerkt, auch auf der Annahme eines Kollektiven
Unbewussten. Ohne diesen Bindungsrahmen ist das Ego, die Persona,
die Anima und das Selbst bei C.G. Jung nicht zu haben.
Wenn ich also gelähmt von der Glotze sitze und meinen Jauch
anhimmele, bin ich in parasozialen Selbst an ein kollektives
Unbewusstes angekabelt. Und wo ist hier der Betrug?
Die Antwort wäre: In den Massenmedien gibt es keinen Betrug. In
gewisser Weise ist ja dort alles, was geschieht, Betrug und zugleich
auch keiner, denn nichts von dem, was Betrug wäre, ließe sich nach der
Seite der Wahrheit hin auflösen. Strukturell bieten nämlich
Massenmedien weder Betrug noch Wahrheit. Was wir an analytischen
Werkzeugen haben, um diese Szene überhaupt zu verstehen, beruht
auf Mutmaßungen. So gesehen ist die Projektion einer Psychoanalyse,
die aus den Medien kommt für das Verständnis der Medien noch die
beste Wahl; und zwar vielleicht gerade deshalb, weil es sich, wie ich
zeigen konnte, um ein Nullsummenspiel der Begriffe handelt.