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ZUR WIRKUNGSGESCHICHTE DES CHUANG-TZU ** KUO HSIANG UND SEINE ZEIT (AM BEISPIEL DES KAP. 22) Diese Arbeit wurde Herrn Prof. R.P. Kramers vom Ostasiatischen Seminar der Universität Zürich im Juli 1978 als Lizenziatsarbeit eingereicht. Werner Niffeler

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ZUR WIRKUNGSGESCHICHTE DES CHUANG-TZU

**

KUO HSIANG UND SEINE ZEIT

(AM BEISPIEL DES KAP. 22)

Diese Arbeit wurde Herrn Prof. R.P. Kramers vom Ostasiatischen Seminar der Universität Zürich im Juli 1978 als Lizenziatsarbeit eingereicht.

Werner Niffeler

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Der Philosph Chuang-tzu, aus Tseng Kuo Fan: "Bildnisse grosser Männer"

Als Chun-mang ostwärts zum Ozean reiste, begegnete er Ylian- feng am östlichen Meer.

"Wohin des Wegs?" rief der ihm zu.

"Ich gehe zum Ozean", antwortete Chun-mang.

"Was wollt Ihr da tun?" fragte Yüan-feng.

"Tun?" sagte Chun-mang. "Der Ozean ist kein Ding, das man durch Eingiessen füllen oder durch Ausschöpfen leeren könnte. Ich gehe zu ihm, um mich an ihm zu erfreuen".

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-I-

Nähert man sich der "chinesischen Philosophie" unvoreingenommen, wird

einem bald klar, dass zwischen ihr und der westlichen Philosophie ein

grundlegender Unterschied besteht. Setzt man sich intensiver mit ihr

auseinander, verstärkt sich dieser Eindruck - bis man schliesslich

zur Einsicht gelangt, dass der Ausdruck Philosophie hier nicht an­

wendbar ist.

Philosophie ist Wissenschaft und damit Begriffsarbeit, Umsetzung des

anschaulich Gegebenen in Begriffe. Und was den Philosophen anlangt,

so geht es ihm vornehmlich um die Vermehrung positiver Kenntnisse und

um deren Wertung. Anders der chinesische Denker. Indem er die Viel­

falt der Objekte und Wissensgebiete beiseiteschiebt und deü Begriff

als Träger des philosophischen Denkens bis an die Grenze des Mög­

lichen ignoriert, versucht er, den unmittelbaren Kontakt mit dem Wirk­

lichen herzustellen.

Aus den unterschiedlichen Intentionen der beiden Denker ergeben sich

zwangsläufig divergierende Methoden. Während der Philosoph als Ver­

treter der höchsten Wissenschaft eine diskursive Methode zu be­

folgen hat, und Klarheit des Ausdrucks sowie einwandfreie Explikation

seiner Gedankengänge für die Beurteilung seines Schaffens von grösster

Wichtigkeit sind, verfolgt der chinesische Denker einen anderen Weg.

Seine Mittel sind Parabel, Aphorismen und Allusion.

Auf den ersten Blick mag diese Tatsache verwundern, und darin liegt

wohl auch ein Grund dafür, dass selbst Gelehrte wie Max Weber zu

irrigen Aussagen über die "Chinesische Philosophie" gelangten. So

schreibt er: "Die Philosophie selbst hatte weder spekulativ-syste­

matischen Charakter, ...noch rational-formalistischen, ... noch

empirisch-kasuistischen. Sie gebar keine Scholastik, da sie nicht ...

eine fachmännische Logik betrieb." "Wortspiele, Euphemismen, An-

1 zitiert aus Max Weber; Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie Bd. I, S. 415

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II-

spielungen auf klassische Zitate und eine feine, rein literarische

Geistigkeit galt als Ideal der Konversation vornehmer Männer^

Es ist ausgerechnet die Bedeutung der Konversation, die von den Be­

trachtern der chinesischen Geisteswelt weitgehend ignoriert wurde

und leider noch immer wird. Ist nach westlicher Vorstellung philo­

sophische Weisheit für jeden klaren und danach verlangenden Geist

erreichbar, so glaubt man im Osten an eine ontologische Beziehung

zwischen der Erkenntnis, deren ein Mensch fähig ist, und seinem all­

gemeinen Zustand.

Diese östliche Erkenntnis hat einen doppelten Aspekt.

Auf der einen Seite ist sie ein Zustand des Bewusstseins, der von

der Kondition des ganzen Subjekts abhängt und mit ihm in Beziehung

steht. Andererseits folgt aus ihr - ist sie einmal erworben - eine

Veränderung in der ganzen Verfassung des Subjekts. Tatsächlich be­

steht diese Art der Erkenntnis nur insoweit, als sie diese Veränderung

bewirkt.

Wir sehen also, dass im Gegensatz zur begrifflichen Erkenntnis des

Westens, die östliche - und damit speziell die chinesische Erkenntnis -

nicht nur das Denkvermögen und die Gedanken des Menschen einbezieht,

sondern sein ganzes Sein. Verallgemeinernd lässt sich dies auf die

Formel bringen, dass "chinesische Erkenntnis" weit mehr am Bewusst­

sein selbst interessiert ist, während die philosophische Erkenntnis

des Abendlandes sich den Objekten des Bewusstseins zuwendet.

Dass Erkenntnis, die unmittelbar bewusstsei ns verändernd wirkt, sich

nicht wie andere Kenntnisse in Worte fassen lässt, "ein Wissender2

redet nicht, ein Redender weiss nicht" ist auch der westlichen Phi­

losophie bekannt, wird aber meist übersehen. So sagt bereits Platon:

1 zitiert aus Max Weber; Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. I, S. 415

2 vergl. Lao-tzu Kap. 56

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-III-

"von mir selbst gibt es keine Schrift über diese Gegenstände

(sc. Mittelbarkeit der wahren Erkenntnis) noch dürfte eine er­

scheinen; lässt es sich doch in keiner Weise wie andere Kenntnisse

in Worte fassen, sondern indem es, vermöge der langen Beschäftigung

mit dem Gegenstände und dem Sichhineinleben, wie ein durch einen ab­

springenden Feuerfunken plötzlich entzündetes Licht in der Seele

erzeugt und dann durch sich selbst Nahrung erhält."'

Es ist das zentrale Anliegen der chinesischen Meister, eine Spannung

aufzubauen, bei der der "Feuerfunken abspringt". Diese Tatsache

verdeutlicht, weshalb das treffende Wort nicht ein Terminus mit scharf

umrissener Bedeutung ist, sondern ein Ausdruck, in dem sich eine auf­

fordernde, ja zwingende Macht bekundet. Wirksamkeit des Ausdrucks ist

das anvisierte Ziel. Ein Gedanke pflanzt sich vom Meister zum Schüler

oder vom Autor zum Leser fort, ohne dass letzterem die kleinste An­

strengung erspart bliebe, und auch ohne dass man ihm die geringste

Gelegenheit bietet, sich der Beeinflussung zu entziehen. Der Schüler

wird durch eine globale Andeutung hypnotisiert und mit einem ganzen

System von Vorstellungen in Bann geschlagen. Wenn sich daher die

Autoren bemühen, in sprichwörtlichen Wendungen zu sprechen, so nicht

deshalb, weil sie alle in gleicher Weise denken, sondern vielmehr,

weil es gute Sitte und zugleich eine viel raffiniertere Methode ist,

ihren Vorstellungen dadurch Geltung zu verschaffen, dass sie sie einer

alterprobten Formulierung unterschieben, an deren Geltung sie dann 2teilhaben. So kommt es denn, dass in China viele bedeutende Denker

keine Werke unter ihrem eigenen Namen veröffentlichten , sondern ihre

Gedanken in Form von Kommentaren zu anerkannten Klassikern nieder­

legten.

Fung Yu-lan, einer der bedeutendsten Denker der Neuzeit, meinte,

eine alte Philosophie mit einem neuen Namen zu versehen, sei das,

was die Philosophen des Westens praktizieren, während die Philosophen

1 zitiert aus dem 7. Brief Platons; Platon: Sämtliche Werke Bd. 1; Rohwolts Klassiker Ausgabe S. 317

2 vergl. M. Granet; Das chinesische Denken, S. 4-3 ff

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*

-IV-

des Ostens eine neue Philosophie, wenn sie eine solche hätten, ge­

wöhnlich mit einem alten Namen versähen] Dieser Umstand und die

Tatsache, dass die Kommentare zu wenig als eigenständige Gedanken­

gebäude betrachtet wurden, hat zu vielen Fehlbeurteilungen des

chinesischen Geisteslebens geführt.

So wird zum Beispiel in fast allen Darstellungen der chinesischen

Philosophie die Han-Zeit (ca. 200 vor - 200 nach Chr.) noch gerade

als Epoche der Systematisierung der originalen Leistungen der Chan -

kuo-Zeit (475 - 221 v. Chr.) gewertet. Dann kommt eine Lücke, die

fast ein Jahrtausend umfasst - bis zur Sung-Zeit (950 - 1279). Mit

anderen Worten,man bekommt den Eindruck, als habe es jahrhunderte­

lang an bedeutenden Denkern in China gefehlt. Eine derart lange Unter­

brechung der grossen denkerischen Leistungen ist jedoch sehr unwahr­

scheinlich. Zu diesem Problem hat Tjan Tjoe Som bemerkenswerte Ge­

danken geäussert. Gegen Karlgren hält er daran fest, dass die Kommen­

tarliteratur des ersten Jahrtausends n. Chr. (San-kuo bis Sung) nicht

als philologisch unergiebige Phantasterei abzutun ist, sondern dass

vielmehr ihr Wert gerade auf geistesgeschichtlichem Gebiet liegt.

Wer damals einige Gedanken vorzutragen hatte, wählte wie gesagt die

Form des Kommentars. So erklärt sich erstens die Vielzahl der einander

widersprechenden Interpretationen ursprünglicher Texte aber auch das

scheinbare Aussetzen "eigenen" Denkens. Um freilich "Philosophie"

in Kommentarform geben zu können, bedarf es einer klassischen, oder

sagen wir besser einer kanonischen Literatur. Solche libri canonici

hat es nicht nur bei den Konfuzianern gegeben; auch die Taoisten

hatten sie. Hier nahmen Lao-tzu und, in geringerem Masse, auch Chuang-2

tzu und einige andere Autoren klassischen Rang ein.

Dies sind Ueberlegungen, die zur vorliegenden Arbeit geführt haben.

Sie möchte als bescheidener Versuch verstanden werden, den Kommentar

Kuo Hsiangs nicht, wie so oft üblich, bloss als Uebersetzungshi1fe

1 vergl. Fung Yu-lan; Chuang Tzu, p. 145

2 zitiert aus H. Franke; Sinologie, S. 65 f

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-V-

des Originals zu betrachten, sondern ihn als eigenständiges Gedanken­

gebäude herauszuarbeiten. Dass dies mit der Uebersetzung eines ein­

zigen Kapitels nicht möglich ist, war mir im voraus bewusst, doch kam

diesem Unterfangen zugute, dass Fung Yu-lan in seiner Chuang-tzu

Uebersetzung der ersten sieben Kapitel (Nei-p'ien) den Kuo Hsiang-

Kommentar partiell mitübersetzt hat.

Noch blieb die Frage, welches der Kapitel wohl zu den ergiebigsten

gehöre. Gestützt auf die Aussage von Mitsuji Fukunaga - dem wohl

bedeutendsten Chuang-tzu-Forscher unserer Zeit - der das Chih-pei

yu p'ien (i.e. das 22. Kapitel) für eines der wichtigsten Kapitel

zur Erklärung der Gedanken Chuang-tzus hält"! entschloss ich mich

zur Uebersetzung eben dieses Kapitels, in der Hoffnung, dass der

dazugehörende Kommentar Kuo Hsiangs für die Darstellung seiner Ge­

danken ebenfalls recht ergiebig sein werde - was sich durchaus be­

wahrheitet hat.

1 vergl. Hajime Kojima; der Text Chuang-Tzu in der Deutung des Philosophen Mitsuji Fukunaga, S. 10.

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E I N L E I T U N G

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I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

Seiten

Vorwort I

Einleitung

- Zur Person Chuang-tzu 1

- Einige Bemerkungen zum Denken Chuang-tzus 2

- C h u a n g - t z u s Z e i t 5

- Die Zeit der Wei- und der WestlichenChin-Dynastie 7

- Kuo Hsiang 12

- Das Werk Kuo Hsiang 16

Kapi tel 22 1 7

Anhang

- Das Denken Kuo Hsiangs 57

Anmerkungen zur Uebersetzung 72

Literaturverzeichnis 109

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V O R W O R T

*

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Zur Person Chuang-tzu (ca. 369 - ca. 286 v.Chr.)

Alles, was wir Liber Chuang-tzu wissen, sind einige wenige Daten,

die uns vom Historiker Ssu-ma Ch'ien (145 ? - 89? v. Chr.)

im Shih-chi oder in den Aufzeichnungen der Historiker (Kap. 63)

überliefert wurden.

"Chuang-tzu stammte aus Meng (im heutigen Honan). Sein persön­

licher Name war Chou. Er hatte einmal einen kleinen Posten inne

in Ch'i-yüan, bei Meng. Er war ein Zeitgenosse des Königs Hui

von Liang (370 - 319 v. Chr.) und von König Hsüan von Ch'i (319 -

301 v. Chr.). Seine Kenntnisse waren sehr umfassend, doch seine

Hauptlehre basierte auf den Worten von Lao-tzu. Seine Schriften,

die über hunderttausend Worte enthalten, sind zum grossen Teil

allegorisch. Er schrieb die Geschichten vom "Alten Fischer", vom

"Räuber Chih" und vom "Kistenaufbrechen", um die Schüler von

Konfuzius zu verhöhnen und um die Lehren des Lao-tzu zu erklären.

Seine literarischen und dialektischen Fähigkeiten waren so gross,

dass selbst die besten Scholaren seiner Zeit unfähig waren,

seine beissende Kritik an der konfuzianischen und der mohistischen

Schule zurückzuweisen. Seine Lehren waren gleich einer überwäl­

tigenden Flut, die sich willkürlich, ungehindert ausbreitet, so

dass von den Herrschern und Ministern abwärts sie niemand zu

praktischem Nutzen anwenden konnte.

König Wei von Ch'u (339 - 329 v. Chr.) hatte von Chuang-tzus

Weisheit gehört und schickte einen Gesandten ab, welcher ihm

mit reichen Geschenken entgegentreten und einen Ministerposten ver­

sprechen sollte. Chuang-tzu sprach lächelnd zum Gesandten von

Ch'u: "Tausend Goldstücke sind ein grosser Reichtum und ein Mi­

nisterposten eine grosse Ehre, aber haben Sie niemals einen für

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-2-

das Himmelsopfer bestimmten gemästeten Stier gesehen? Man füttert

ihn mehrere Jahre und schmückt ihn mit Seidenstickereien. So

schleppt man ihn in den Ahnentempel. Zu der Zeit würde er wohl

gerne ein verlassenes Ferkel sein, aber ist es dann noch möglich?

Beschmutzen Sie mich nicht! Ich ziehe es vor, mich nach Her­

zenslust in den Fluten zu tummeln und mir nicht von einem Herr­

scher Fesseln anlegen zu lassen. Mein ganzes Leben möchte ich

nicht Beamter werden, um mich ganz meinen Neigungen hingeben zu

können." 1

Aus diesen wenigen Angaben und einigen bruchstückhaften Anek­

doten, enthalten in den Wai- (Kap. 8 - 22) und Tsa-p'ien (Kap. 23 -

33), könnte man Chuang-tzus Lebensumrisse einigermassen nach­

zeichnen. Da aber die Authentizität der Shih-chi Angaben ebenso

unsicher ist wie diejenige der überlieferten Anekdoten, wird

uns sein Leben wohl für immer verborgen bleiben.

Einige Bemerkungen zum Denken Chuang-tzus

Es ist hier weder der Raum noch ist es das Ziel dieser Arbeit,

die Gedanken Chuang-tzus in grösserem Umfang darzustellen.

Dennoch erscheint es mir wichtig, in einigen Sätzen ein paar

wesentliche Punkte seines Denkens herauszustreichen, und sei

es bloss, um die zum Teil doch recht verschieden gelagerten Ideen

Kuo Hsiangs besser zu kontrastieren.

Eine gemeinsame Eigenschaft der frühen Taoisten scheint darin

zu wurzeln, dass sie eine zartfühlende Empfindlichkeit gegenüber

der Unbill der Zeit besassen. Diese Empfindlichkeit rührte aus

dem Bewusstsein der So 1idaritäts1osigkeit und der Vereinzelung

des Individuums. Sie hatte ihren Ursprung beim Einzelmenschen

und war keineswegs ein bewusster Bestandteil einer formierten

1 zitiert aus A. Forke; Geschichte der alten chinesischen Philosophie, S. 305

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-3-

Interessengruppe. Ein Beweis dafür sind meines Erachtens die

sehr stark auf die Individualität des Menschen bezogenen Ge­

danken Chuang-tzus. Das extrovertierte politische Interesse

im Text Lao-tzu, das sich, gestützt auf die Funde von Ma-wang-

dui und die daraus resu1tierende Kapitel-Umstel1ung zu er­

härten scheint, wird zu einer Introvertierten Weisheits­

lehre für das Individuum bei Chuang-tzu. Chuang-tzu ist der

erste chinesische Denker, der den Weg nach "Innen" konsequent

eröffnet. Sein Werk hat - dies zeigt eine aufmerksame Beschäf­

tigung mit seinen Anekdoten - im Grunde genommen mit politischen

Dingen nichts zu tun. Er befasst sich nur mit individuellen psy­

chischen Problemen.So erstaunt es denn nicht, dass Tod und Leben,

Du und Ich vorrangige Themen des Werkes sind. Chuang-tzu denkt,

dass der Mensch aus einem transzendenten Etwas hervorgeht, lehnt

es aber ab, dieses Etwas "Gott" zu nennen, weil dasjenige, aus dem der Mensch hervorgegangen ist, gleichzeitig im Menschen

selbst andauert] Das Bewusstsein von der ständigen Unterscheidung,

die der Mensch hinsichtlich der Dinge trifft: die Gegensätze der

"Zehntausend Dinge" die Diskontinuität im Leben und der Kon­

flikt zwischen Leben und Tod, bekümmerten ihn. Er versuchte das

Trennende zu überbrücken - erreichte dies durch die totale Rela­

tivierung - und fand so die absolute Freiheit des Menschen.

Somit kann man sagen, dass der Angelpunkt von Chuang-tzus Welt­

anschauung darin liegt, dass er nicht Unterschiede sondern

Einheit, nicht Gegensatz sondern Harmonie, nicht zersplitterte

Vielfalt sondern Einheit, nicht Segmente sondern immer das Ganze

vor Augen hat. Indem er die Natürlichkeit aller Dinge bejaht,

gelingt es ihm selbst schwerste Situationen unter einem posi­

tiven Vorzeichen zu sehen.

"Als Chuang-tzus Frau starb, begab sich Hui-tzu in sein Haus,

um an den Trauerzeremonien teilzunehmen. Zu seiner Ueberraschung

fand er Chuang-tzu mit einem Tontopf auf den Knien sitzen, den 1

1 vergl. dazu Chuang-tzus Unterhaltung mit Hui-tzu über die Gefühle im 5. Kapitel.

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-4-

Takt darauf schlagen und ein Lied dazu singen.

Da sprach Hui-tzu: „Immerhin lebte deine Frau mit dir zusammen,

zog deine Kinder auf und wurde mit dir alt. Dass du nicht um

sie trauerst ist schlimm genug; dass aber deine Freunde dich

beim Trommeln und Singen antreffen - das geht zu weit!„

„Du verkennst mich" erwiderte Chuang-tzu.„Als sie starb, war

ich verzweifelt wie jeder andere Mann. Aber nachdem ich über

das Geschehene nachgedacht hatte, sagte ich mir, dass uns mit

dem Tode kein schreckliches neues Schicksal trifft. Im Anfang

haben wir weder Leben noch Gestalt; weder Gestalt noch Geist.

Wir sind der einen, grossen, gestaltlosen, ununterscheidbaren

Materie eingeschlossen. Dann kam eine Zeit, in der sich aus der

Materie ein Geist entwickelte, aus dem Geist eine Gestalt, aus

der Gestalt Leben. Und nun hat das Leben den Tod aus sich ent­

faltet. Denn nicht die Natur allein, auch des Menschen Dasein

hat seine Jahreszeiten, die Abfolge von Frühling und Herbst,

Sommer und Winter. Wenn jemand müde ist und sich hingelegt hat,

verfolgen wir ihn nicht mit Anruf und Rede. Die ich verloren

habe hat sich für eine Weile niedergelegt, um in dem Grossen

Inneren Raum zu schlafen. Ihre Ruhe dort zu stören mit dem

Lärm von Klagen würde nur beweisen, dass ich nichts von dem

Obersten Gesetz der Natur verstehe. Darum hörte ich auf zu

klagen1.1

Wenn nun Tod und Leben als gegebene Natürlichkeit verstanden

werden, so ist der, der die Natur und alles Unumgängliche als

gut anerkannt hat und ihm bejahend gegenübersteht, keiner ein­

fachen Notwendigkeit mehr unterworfen. Er verhält sich seinem

Schicksal gegenüber nicht mehr passiv, sondern er beherrscht

es, weil er es akzeptiert. Da er immer bereit ist, alles anzu­

nehmen und amor fati zu seiner innersten Natur geworden ist,

ist er von allem frei, von allem unabhängig. Und "Absolute

Freiheit" wäre wohl der kürzeste Nenner, auf den man Chuang-tzus

Gedankenkomplex bringen könnte. 1

1 zitiert aus A. Waley; Lebensweisheit im Alten China, S . 19 f

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Chuang-tzus Zeit

Es ist m.E. nicht zulässig, Gedanken losgelöst von der historischen

Umwelt ihrer Entstehungszeit zu beurteilen, sind sie doch letzten

Endes Resultanten ihrer Umwelt. Umso wichtiger erscheint mit ein

kurzer historischer Exkurs, nachdem oben bereits von der "Un­

bill der Zeit" und von einer "introvertierten Weisheitslehre"

die Rede war.

In den ersten Jahrhunderten der Chou-Herrschaft zeigte es sich,

dass das Herrscherhaus ständig an Macht verlor. Die Periode der

kraftvollen Chou-Könige, die in der Lage waren, die existentielle

und spirituelle Repräsentation der Gesellschaft auszuüben und

ihre Ordnung zu erhalten, währte nur kurz. Der Zerfall wurde durch

mehrere schwache Herrscher beschleunigt, sodass bereits im frühen

7. Jhr. v. Chr. die reale Macht an die aus den Lehen hervor­

gegangenen "Teilstaaten" übergegangen war. Der Expansionsdrang

der einzelnen "Staaten" führte schnell zu Konflikten innerhalb

der formal noch immer als Lehen betrachteten Staatsgebilde.

Längst waren ursprüngliche Verwandtschaften und gemeinsam ge­

führte Kämpfe vergessen. Im Verlaufe der von den chinesischen

Historiographen als "Frühlings- und Herbst-Periode" (721-479 v.Chr.)

bezeichneten Zeit wurden viele der kleinen Lehensgebiete ver­

nichtet oder annektiert. Im Buch Huai-nan-tzu lesen wir:

"während der Frühlings- und Herbst-Periode sind 52 Länder ver­

nichtet worden und 36 Herrscher wurden ermordet."

Die Folgezeit, in die Geschichte als die Zeit der "Kämpfenden

Reiche" (478-221 v.Chr.) eingegangen, war nicht nur eine der

grausamsten Perioden, die China je sah, sondern gleichzeitig

das Zeitalter, in dem die "hundert Schulen" blühten. Es war

die klassische Zeit der "chinesischen Philosophie", lebhafteste

Diskussion und Schulenbildung, nie wieder erreicht in ihrer

Fülle und Grundsätzlichkeit des Fragens.

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-6-

Es ist gerade diese Diskrepanz von tiefstem menschlichem Leiden

und "geistiger Blüte", deren man sich bewusst sein muss, will

man Chuang-tzus Weg nach Innen und seine Verurteilung von Wissen

und Lernen adäquat verstehen. So sagt er:

"Wenn sich heute die Leichname jener, die durch des Henkers Beil

fielen, zu Bergen türmen, wenn die Gefangenen, gebeugt unter

dem Halsblock, in solchen Scharen vorangetrieben werden, dass

sie kaum Platz zum Treten haben, wenn die Verstümmelten und Ver­

letzten sich in der Menge stossen, so finden die Confucianer

und die Anhänger des Mo Tzu inmitten der Geknebelten und Ge­

fesselten doch nichts Besseres zu tun, als die Beine zu spreizen,

die Arme zu entblössen und aufeinander loszugehen, so sehr sie

nur können. Man kann kaum glauben, dass so viel Tollheit und

Schamlosigkeit existieren. Fast könnte man meinen, Heiligkeit

und Weisheit seien die Haken und Schliessen, mit denen man den

Halsblock der Gefangenen befestigt, und Tugend und Pflichtge­

fühl die Bolzen und Ringe, mit denen man ihre Fesseln schliesst'.'^

Mit den vorstehenden Ausführungen über den historischen Hinter­

grund ist - dies versteht sich von selbst - nur eine dürftige

Skizze gegeben, die aber wenigstens in etwa eine umrisshafte

Vorstellung über die damaligen Zeitverhältnisse, wie Chuang-tzu

sie vorfand, vermitteln soll. 1

1 zitiert aus A. Waley; Lebensweisheiten im Alten China, S. 85

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-7-

Die Zeit der Wei- und der Westlichen Chin-Dynastie (221 - 316)

Bereits unter den letzten Herrschern der späteren Han-Dynastie

(25 - 220) wurde eine zunehmende Refeudalisierung mit verstäkter

Bildung von Grossgrundbesitz sichtbar, der von kaiserlicher Seite

- aus Gründen der Schwäche - kaum Einhalt geboten werden konnte.

Als Ts'ao Ts'ao, der als "Totengräber"^ des Han-Kaisertums gilt,

die unumschränkte flacht in Händen hielt, versuchte er, mit Hilfe

legalistischer Prinzipien, den zentralistisch-bürokratischen Staat -

das Ideal der Ch'in und Han-Zeit - wieder herzustellen. Sein Sohn

und Nachfolger, Ts'ao P'ei (187 - 226), der 220 den Kaisertitel

annahm und seine Dynastie Wei nannte, verfolgte mittels zweier neuer?

Systeme, dem T ' un-t1ien-System, das auf Mi 1itärkolonien beruhte,3

und dem "Beamtenauswahl System" nach "neun Graden", das unter dem4

Leitspruch "Nur der Begabte wird befördert" stand, ebenfalls

1 egalistisehe Ideale. Mit diesen Systemen sollte eine bürokratische

Gentryschicht als machtpo1itisch benützbares Gegengewicht zur

aristokratisehen Gentry geschaffen werden. Doch die von Ts'ao

Ts'ao und seinem Sohne intendierte Politik erwies sich als ein

Anachronismus. Einige grosse Familien hatten die jahrzehnte­

langen Bürgerkriege, die das Land verwüstet und die Bevölkerung

dezimiert hatten, dank ihren befestigten Besitzungen und ihren

privaten Armeen überlebt und stellten, wie es sich bald zeigen

sollte, einen nicht zu unterschätzenden Machtfaktor dar. Der

Stern über dem Hause Ts'ao verblasste zusehends, als eben diese

Familien in der Person des mächtigen Generals Ssu-ma I (179 - 251

n. Chr. ) , der bereits unter Ts'ao Ts'ao gedient hatte, einen Partei­

gänger fanden. In das sich abzeichnende Spannungsfeld: pro Zen­

tralismus - pro Refeudalisierung, sind auch die divergierenden

Gedankenrichtungen miteinzubeziehen, die die unterschiedlichen

politischen Tendenzen begleiteten und deren Entwicklung wir im

Zusammenhang mit der aktuellen Tagespolitik nicht aus den Augen 1

1 vergl. Franke/Trauzettel; Das chinesische Kaiserreich, S. 119

2 vergl. A. Fang; The Cronicle of the three Kingdoms; Vol. I p. 165

3 /'v |=i A. chiu-p' in-kuan-jen; vergl. ebd. p. 25

4 &ft 4 ßk. Wei-t' sai-shih-chü

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verlieren wollen. Mit seinem auf der Familie als Eckpfeiler des

Staates aufbauenden Lehrgebäude entsprach der Konfuzianismus eher

den noblen Familien und deren Bestrebungen einer Refeudalisierung

des Staates, während die pro zentrische Ts'ao Strömung, wie oben

bereits erwähnt, zum Legalismus tendierte - der "Philosophie par

excellence" einer zentralen Macht - und zu taoistischem Gedanken­

gut. Dieser ideologische Kontrast innerhalb der um die politische

Macht ringenden Gruppierungen versteckt sich hinter der gesamten

Geschichte dieser Periode und belebt sie.

Das Schicksal wollte es, dass Ts'ao P'ei kurz vor seinem Tode

Ssu-ma I nebst einigen anderen Persönlichkeiten testamentarisch

als Regierungsstützen seines Nachfolgers - Kaiser Ming (227 - 239) -. 2 "

berief, womit der neue Herrscher weitgehend machtlos blieb. Als

Kaiser Ming starb und ein achtjähriger Knabe inthronisiert wurde,

ging die direkte Regierungsführung paritätisch an Ts'ao Shuang,. 3

einen Verwandten des Kaisers» und an Ssu-ma I. Die Machtverhält­

nisse während der Dekade, die dem Tode Kaiser Mings folgt und die

durch einen coup d'etat von Ssu-ma I beendet wird, unterliegen

verschiedenen Beurteilungen^ Mir scheint, dass sich durch die un­

mittelbare Gegenüberstellung der beiden Machtrivalen ein Vakuum

ergab, das die geistige Blütezeit der Cheng-shih-Aera (240-249)

verunmöglichte. Es handelte sich um eine Zeit, die durch ein tiefes

Interesse an ontologischen Problemen gekennzeichnet war, und als

"Goldenes Zeitalter" der "Reinen Gespräche"^ beschrieben wurde? 1

1 vergl. D. Holzmann; Les sept sages de la forêt de bambous et la société de leur temps, T'oung Pao, XLIV, 1956, p. 326

2 vergl. A.Fang op. cit p. 201

3 ebd. p . 617

4 vergl. Otto Franke; Geschichte des Chinesischen Reiches Bd. II S. 12; auchE. Balàzs; Entre révolte nihiliste et évasion mystique, in Asiatische Studien 1/2 . 1948, p. 36

5 vergl. D. Holzmann; La vie et la pensée de Hi K'ang, p. 6<£ ==

6 ir\ 'ô‘A ch'ing t'an oder //cj ^ ch'ing yen; Konversationsart, die aus der Beamtenrekrutierung hervorging und ursprünglich zur kurzen Charakterisierung der "beurteilten Männer" diente und später als Modeerscheinung von der Ober­schicht auf theoretische Probleme aller Art ausgeweitet wurde.

7 vergl. R.B. Mather; A New Account of Tales of the World (Shih-shuo Hsin-yü), p. XXIII

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-9-

1 2Lieber die führenden Denker dieser Zeit - Wang Pi und Ho Yen -

die als Anhänger Ts'ao Shuangs beim Staatsstreich der Ssu-ma ihr

Leben verlieren, wird später aus gegnerischem Lager folgendes Urteil

abgegeben:

"Wang und Ho liessen Sittenregeln und Kultur beiseite und folgten

nicht den Massstäben der Rite. Mit schweifenden Phrasen und phan­

tastischen Reden überschwemmten sie die Jugend, mit schönen blumigen

Worten überdeckten sie die Wirklichkeit ... Mysteriöse Leerheit

und schrankenlose Freiheit hielten sie für ruhiges Durchdringen

(zum Wahren), konfuzianische Staatskunst und saubere Genügsamkeit. 3hielten sie für ordinär ...."

Wir ersehen daraus deutlich, dass sich mit der Beendigung der Cheng-

shih-Aera auch auf ideologischem Gebiet ein Wandel vollzog. Obwohl

die Ssu-ma nach dem coup d'état im Besitze der tatsächlichen Ge­

walt waren, die sie nie mehr aus den Händen gaben, setzten sie in

der Folgezeit noch zweimal Kinder auf den Thron, bevor Ssu-ma Yen

im Jahre 265 den Akt des feierlichen Thronverzichts der Wei-Dy­

nastie inszenierte und sich selbst zum Herrscher einer neuen - der4

Chin-Dynastie - ernannte.

Die' fünfzehn Jahre des Uebergangs von der faktischen zur formalen5

Machtübernahme der Ssu-ma wurden auch als "silbernes Zeitalter"

der "reinen Gespräche" bezeichnet. Der Ideologienstreit, der bis

anhin nur latent vorhanden war, wurde offensichtlich. Die Grenzen

zwischen den Anhängern des reaktionären Ssu-ma Clans und den loyalen

Anhängern der Wei-Dynastie, deren grösster Teil bereits aus den

Aemtern entfernt worden war, wurden immer deutlicher gezogen. 1

1 Wang Pi (226 - 249), kommentierte Lao-tzu und das I-ching

2 Ho Yen (? 190 - 24-9), Sohn einer Konkubine Ts'ao Ts'aos und Protektor Wang Pis

3 zitiert nach: W. Eichhorn; Kulturgeschichte Chinas, S. 135

4 vergl. A. Fang, o p . cit. Vol. II p. 504 ff

5 vergl. R.B. Mather, op. cit. p. XXIII

Page 20: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-10-

Geistesgeschichtlich und auch für unsere weiteren Betrachtungen von

Bedeutung ist in dieser kurzen Periode eine kleine Gruppe von In­

tellektuellen, die später unter dem Namen "Die sieben Weisen vom

Bambushain" berühmt wurde. Juan Chi und Hsi K'ang^ waren die

führenden Köpfe dieser Bewegung, und die beiden waren es auch, die

die zunehmende Ritua1isierung des öffentlichen Lebens aufs äusserste

bekämpften. Sie forderten Emanzipation und Freiheit und beschul­

digten die "übereifrigen" Konfuzianer, diese mittels Ritual und

Heiligenverehrung zu hintertreiben.

Als Hsi K'ang für ein Amt vorgeschlagen wurde, das er früher ein­

mal innehatte, lehnte er ab und gab sieben Gründe an, die ihm eine

Annahme verunmöglichten: er liebe es, am Morgen lange im Bett zu

bleiben; er liebe es, zu jagen, zu fischen und die Zither zu

spielen; er sei sehr schmuddelig von Natur aus, und er befürchte,

dass er es nicht verhindern könnte, sich vor seinen Vorgesetzten

zu kratzen; er sei nicht gewandt im Briefeschreiben, und er liebe

diese Beschäftigung auch nicht; er liebe es nicht, an Trauerze­

remonien teilzunehmen; er verabscheue vulgäre Leute und er ver-2

abscheue altes Papier.

In den Augen seiner Zeitgenossen war es für einen Mann seines Standes

und seiner Bildung ein Verbrechen, nicht Beamter zu sein; ein

Verbrechen nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen die

Tradition und die Werte der Gesellschaft und Zivilisation. Auf

Betreiben von Chung Hui, einem mächtigen Aristokraten und "Chef-3

ideologen" der Ssu-ma, wurde er im Jahre 262 zum Tode verur­

teilt. Dass nach Hsi K'angs Exekution wegen Verderben der öffent­

lichen Sitte subtilere Wege gesucht werden mussten, um nicht

konforme Gedanken auszudrücken, versteht sich von selbst. 1

1 Hsi K'ang war durch seine Heirat mit dem Wei-Herrscherhaus verwandt, er hatte die Enkelin Ts'ao Ts'aos geheiratet.

2 zitiert nach D. Holzmann; La vie et la pensee de Hi K'ang, p. 44

3 vergl. R. B. Mather op. cit. p. 516

Page 21: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-11

Ssu-ma Yen, der später Kaiser Wu genannt wurde (265 - 290), war

durch die Hilfe seiner Clique und seiner ausserordentlich grossen und

weitverzweigten Familie an die Herrschaft gekommen. Daher musste er

ihnen Aemter und Stellungen als Belohnung geben} Wieder begann am

Hof dasselbe Schauspiel wie früher, nur spielten jetzt die Prinzen

der neuen Kaiserfami1ie eine grössere Rolle als unter der Wei-Dy-

nastie, deren Herrscherhaus aus einer kleineren Familie bestanden

hatte. In den letzten Jahren der Regierungszeit von Kaiser Wu hatten

mehrere Mitglieder des Yang-Clans - wie üblich nähere Verwandte der

Kaiserin - dominierende Positionen am Hofe erlangt. 291 kam es zum

Zusammenstoss zwischen dem Yang-Clan und den vereinten Kräften des

Ssu-ma und des Chia-Clans, denen die Kaiserin Chia, die als Re­

gentin den jungen Kaiser vertrat, Vorstand. Die Ausrottung des

Yang-Clans markierte den Beginn der Chia-Macht, doch nach einer er­

folgreichen Revolte verfuhren die Ueberlebenden Ssu-ma mit der

Kaiserin Chia und deren Sippe auf gleiche Weise.

Interessant ist die Tatsache, dass sich mit zunehmender Unsicher­

heit der effektiven Machtlage, also bereits in den letzten Regierungs­

jahren des Kaisers Wu, eine neue Belebung der geistigen Szene be­

merkbar machte, die zwar nicht mehr das Ausmass früherer Zeiten e r -. 2

reichte, aber dennoch nicht übersehen werden konnte.

Die Verbannung des Kaisers und die Usurpation des Thrones durch

einen Ssu-ma-Prinzen waren der Anlass, der zu einem mörderischen Krieg zwischen den kaiserlichen Prinzen führte.Der Bruderkrieg

(301 - 307) zerstörte das Land und dezimierte sowohl die Bevöl­

kerung als auch die Mitglieder der kaiserlichen Familien. Es er­

schienen die üblichen Anzeichen der Auflösung: Zusammenbruch der

Zentralregierung und der zentralisierten militärischen Kontrolle der

Provinzen, Hungersnöte, Banditentum und revolutionäre Bauernbe-.

wegungen. Gestärkt durch diese innerchinesische Zerstörung gelang

1 vergl. A. Fangop. cit. Vol. II p. 506

2 Es sei hier an Persönlichkeiten wie P'ei Wei und Wang Yen erinnert. Zu P'ei Wei vergl. E. Baläzs, op. cit., p. 51 ff. Zu Wang Yen vergl. die ver­schiedenen Anekdoten im Shih-shuo Hsin-yu, übersetzt von R.B. Mather, op. cit.; hauptsächlich die Seiten 97 f ., lOlf. und 596 f.

Page 22: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-12-

es den im Norden ansässigen, zum Teil "sinisierten" Hunnen in ver­

schiedenen Anstürmen die beiden Hauptstädte Lo-yang (311) und

Ch'ang-an (316) einzunehmen. Damit hatte die sogenannte "westliche

Chin-Dynastie" ihr Ende gefunden.

Kuo Hsiang

Seiner im Chin Shu, Kap. 50, erhaltenen Biographie entnehmen wir

folgendes: "Kuo Hsiang ff fc , auch Tzu-hsüan genannt ?

zeigte schon als Junge ein hervorragendes Talent. Er liebte Lao-tzu

und Chuang-tzu und war ein Anhänger der "Reinen Gespräche" ...

Er starb am Ende der Yung-chia-Periode (312) ... Vor dieser Zeit

hatte es schon unzählige Gelehrte gegeben, die Kommentare zum

Chuang-tzu verfasst hatten, doch keinem gelang es, seinen Sinn voll­

ständig zu erfassen. Getrennt von diesen frühen Kommentaren hatte

Hsiang Hsiu eine Interpretation vorbereitet, die diese wunderbar

erweiterte und den Geist des Taoismus stark ausweitete. Er starb

jedoch vor der Beendigung der beiden Kapitel "Herbstfluten" und

"Vollendete Glückseligkeit" (Kap. 17 und 18). Der Sohn Hsius liess

es in seiner Jugend zu, dass seines/Vaters/ Abhandlung zerstreut

wurde. Sie wurde jedoch in einer Zahl Kopien erhalten. Nun war

/Kuo/ Hsiang selbst ein Mann kleinlichen Charakters und als er sah,

dass /Hsiang/ Hsius Abhandlung in der Welt nicht verbreitet wurde,

schrieb er sie ab und gab sie als seinen eigenen Kommentar aus. Er

schrieb einen eigenen Kommentar zu "Herbstfluten" und "Vollendete

Glückseligkeit" und veränderte das Kapitel "Pferdehufe" (Kap. 9).

Was die anderen Kapitel anbelangt, so beschränkte er sich schick­

licherweise darauf, die Korrektheit ihrer Texte festzusetzen. Später

erschienen jedoch die anderen Kopien von Hsiang Hsius Abhandlung,

so dass es heute zwei Versionen von Chuang-tzu gibt, diejenige von

Hsiang Hsiu und die von Kuo Hsiang. Im Grunde sind sie aber gleich." 1

1 zitiert nach Fung Yu-lan; A History of Chinese Philosophy Vol. II p. 206

Page 23: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-13

Betrachtet man diese Biographie unvoreingenommen, muss auffallen,

dass nach einer anfänglichen Preisung Kuo Hsiangs, der "schon

als Junge ein hervorragendes Ta 1ent"gewesen sein soll, eine Wende

eintritt, wobei er plötzlich als ein "Mann kleinlichen Cha­

rakters" dargestellt wird und man ihn gar des Plagiats bezichtigt.

Zieht man zur Klärung Hsiang Hsius Biographie zu Hilfe, so wird

deutlich, wie zweifelhaft die Bemerkungen in Kuo Hsiangs Bio­

graphie sind. In Hsiang Hsius Biographie (Chin Shu Kap. 49)

heisst es: "Er hatte eine ausserordentliche Vorliebe für Lao-tzu

und Chuang-tzu. Unter den Verehrern des Taoismus der nachfolg-

genden Generationen fehlten nicht jene, die die "mehreren zehn"

"äusseren" Kapitel sorgsam prüften; doch keiner von ihnen hat

ihre allgemeine Bedeutung angemessen behandelt. Deshalb be­

reitete /Hsiang/ Hsiu eine Interpretation vor, die ihre Ge­

heimnisse enthüllte; er erklärte sie mit unübertrefflicher Klar­

heit und beschwörte den wahren Geist des Taoismus herauf. Als

Folge davon fühlten sich die Leser ausserordentlich geläutert

und es gab niemanden, der die aufgewendete Zeit nicht genossen

hätte. Während der Zeit von Kaiser Hui (290 - 306) setzte Kuo

Hsiang die Arbeit fort und erweiterte sie, mit dem Ergebnis,

dass die verschiedenen Spuren von Konfuzianismus und Mohismus

verblassten und die taoistisehen Doktrinen aufblühten."

Auch hier springen einige Punkte sofort ins Auge. Erstens ist

von "mehreren zehn" Kapiteln die Rede, im weiteren wird ersicht­

lich, dass Kuo Hsiang, der hier keineswegs so geringschätzig be­

handelt wird wie in seiner eigenen Biographie, die Spuren von

Konfuzianismus und Mohismus zum Verblassen brachte. Woher kommen

diese Unstimmigkeiten und welcher Wert ist den Biographien

im Chin-shu beizumessen? 1

shuh-shih) von Chuang Chou verfassten "inneren" und

1 zitiert nach Fung Yu-lan, op. cit. Vol. II p. 205

Page 24: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-14-

Ich bin mir bewusst, dass hier nicht der Raum gegeben ist, um

die ganze Problematik Kuo Hsiang - Hsiang Hsiu erschöpfend zu

behandeln; dennoch soll versucht werden, einige Schlaglichter

aufzusetzen, ist es doch die Absicht dieser Arbeit, Kuo Hsiang

als eigenständigen Denker hervorzuheben.

Hsiang Hsiu war einer der "Sieben Weisen vom Bambushain" und

Hsi K'ang freundschaftlich verbunden, doch ihre Interessen waren

sehr verschieden ( j&i ^ "V fe] chü-she pu-t'ung)] Er war,

wie Wolfgang treffend bemerkt, "ein Konfuzianer und Beamter, der

dem Taoismus durchaus nicht feindlich gegenüberstand, sondern

ihn eher dem Konfuzianismus irgendwie einzuverleiben suchte (wie

es umgekehrt auch viele Taoisten taten) und daher gerade für2

seine künstlerischen Aspekte durchaus Verständnis aufbrachte."

Obwohl es möglich ist, dass taktische Lieberlegungen mit im

Spiele waren, muss erwähnt werden, dass, als Hsi K'ang sein be­

rühmtes Essay "Pflege des Lebens" ( ^ £. yang-shen lun)

veröffentlichte, er von Hsiang Hsiu mit einer Gegenschrift heftig4

angegriffen wurde. Für uns ist diese Schrift von Bedeutung,

weil Hsiang Hsiu dort die Ansicht vertritt, dass der Mensch seine

Form von einem Schöpfer erhalte ( ^ ^

eine Anschauung, die mit der von Kuo Hsiang geradezu vehement

vertretenen These, dass alles von selbst entstehe, nicht zu ver­

einbaren ist.

Nach diesen Beispielen, die durch andere erweitert werden könnten^

bleibt noch immer die Frage offen, wieso sich die Behauptung,

Kuo Hsiangs Werk sei ein Plagiat, hartnäckig bis in unsere Tage

gehalten hat. Der Grund dafür ist meines Erachtens im Chin Shu 1

1 vergl. D. Holzmann; La vie et la pensee de Hi K'ang, p. 27

2 zitiert aus Wolfgang Bauer; China und die Hoffnung auf Glück, S. 208

3 vergl. D. Holzmann; La vie et la pensee de Hi K'ang, p. 83 ff

4 ebd. p. 92 ff

5 ebd. p. 162

6 vergl. Hsiang Hsius Verhalten nach Hsi K'angs Hinrichtung; in Mather; 0p_ cit. p. 40. vergl. Hsi K'angs Raktion, als Hsiang Hsiu ihm mitteilte, er wolle Chuang-tzu kommentieren; in D. Holzmann: Hi K'ang p. 27

Page 25: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-15-

(i.e. die Chin-Geschichte) zu suchen, das auf Anordnung des

Kaisers T'ai-tsung im Jahre 644 neu geschrieben werden musste.

Es stützt sich auf achtzehn Geschichtsdarstellungen, die im

wesentlichen von Privatpersonen aus eigenem Antrieb und mit

starker Betonung subjektiver Ansichten und Deutungen verfasst

wurden. Innert kürzester Zeit - in weniger als drei Jahren -

wurden so die politischen Ereignisse und die Biographien be­

deutender Persönlichkeiten aus zwei der wechselvollsten Jahr­

hunderten der chinesischen Geschichte niedergeschrieben, wobei

die Literaten "mehr der Schönheit und Originalität des Stils

als der historischen Wahrheit den Vorzug g a b e n D i e im Chin-shu

enthaltene Biographie Kuo Hsiangs entstammt dem Shi-shuo 2

hsin-yü, einer Sammlung von berühmten Aussprüchen, Urteilen,

Anekdoten, Chrakteristika usw. , die - zeitlich im wesentlichen

auf das 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. beschränkt - eine Menge

Streiflichter auf die damalige chinesische Gesellschaft werfen.

Doch der Wert dieses Werkes für die historische Forschung ist

selbstverständlich beschränkt. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts

aufgezeichnete Gerüchte, Redereien und Anekdoten des 3. und 4.

Jahrhunderts können natürlich nicht als einwandfreie, historische

Quelle gewertet werden, mögen sie auch den Ereignissen zeitlich

näher liegen als die Redaktionen der entsprechenden Dynastien­

werke:

Die Vermutung liegt nun nahe, dass durch die Aufnahme einer zwei­

felhaften Anekdote aus unsicherer Quelle in ein offizielles

Standardwerk der Geschichte aus einem Gerücht eine Tatsache

wurde. Ich schliesse mich der Ansicht Fukunagas , der nach

einer Untersuchung der Hsiang Hsiu - Kuo Hsiang Problematik

zum Schluss gelangt, dass es unglaubhaft sei, dass Kuo Hsiang -

wie das Shih-shuo hsin-yü berichtet - die Kommentare Hsiang 1

1 zitiert aus H. Meyer; Wang Tao - Gründungsminister der Ost“Chin, S. 9

2 vergl. Mather op. cit. p. 100

3 zitiert aus W. Eichhorn; Zur chinesischen Kulturgeschichte des 3. und 4. Jahrhunderts in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesell­schaft 91 (1937) S. 452 f.

Page 26: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-16-

Hsius einfach abgeschrieben habe! Daher wird im Verlaufe unserer

weiteren Betrachtungen nur noch von Kuo Hsiang und dessen Ge­

danken die Rede sein.

Das Werk Kuo Hsiangs

Das eigentliche Werk Kuo Hsiangs ist der Kommentar zum Chuang-

tzu, auf den im Anhang ausführlich eingegangen wird. Doch wenn

vom Werk Kuo Hsiangs die Rede ist, muss auch erwähnt werden,

dass die uns heute vorliegende Fassung des Chuang-tzu von Kuo

Hsiang kompiliert und ediert wurde.

Im Ch'ien Han-shu I-wen-chih, dem Literaturkatalog der frühen

Han-Dynastie (1. Jh. v. Chr.) wird das Werk Chuang-tzu mit

52 Kapiteln erwähnt. Als Kuo Hsiang seine Ausgabe rund vierhundert

Jahre später zusammenstellte, schloss er eine Anzahl Kapitel aus,

die er möglicherweise für unecht hielt und stellte den uns heute

zugänglichen Text aus 33 Kapiteln zusammen; es ist die älteste

vorhandene Ausgabe. Diese gliederte er in drei Gruppen: sieben

Nei-p'ien oder "innere Kapitel", fünfzehn Wai-p'ien oder "äussere"

und elf Tsa-p'ien oder "vermischte Kapitel". Die Titelüber­

schriften der beiden letztgenannten Gruppen sind den jeweiligen

Eröffnungsanekdoten entnommen, ohne weiteren direkten Bezug zum

übrigen Kapitelinhalt. Die Tatsache, dass in den Nei-p'ien die

Ueberschriften weitgehend den Inhalt des ganzen Kapitels vor­

wegnehmen, hat zur Annahme geführt, dass diese Kapitel von Chuang-

tzu selbst stammen könnten, während die Wai- und Tsa-p'ien meis­

tens als Erläuterungen von Schülern zu den Nei-p'ien betrachtet

werden. 1

1 vergl. M. Fukunaga, "Soshi',' Ed. Asahishimbun, Nei-p'ien, S. 16

Page 27: Zhuangzi Guoxiang.pdf

K A P I T E L 2 2

Page 28: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-17-

Der Intellekt^ reist nach Morden

Der Intellekt reiste nach Norden bis zum Dunklen Wasser, be­?

stieg den Berg der Undeutlichkeit und traf dabei zufällig die3

Aussage des Nichthandelns.

Der Intellekt sagte zur Aussage des Nichthandelns:

Ich wünsche Euch Fragen zu stellen. Was muss man denken, und

was muss man im Sinne haben, damit man Tao erkennt? Welche

Massnahmen muss man treffen, und in was muss man sich fügen,

damit man im Tao ruht? Was muss man befolgen, und welchen Weg

muss man einschlagen, damit man Tao erlangt?

Auf diese drei Fragen aber antwortete die Aussage des Nicht­

handelns nicht. Nicht, dass sie nicht antworten wollte, sie4

wusste nicht, was sie antworten sollte.

Da der Intellekt keine Antwort bekam, kehrte er um und begab

sich nach Süden zum Weissen Wasser, bestieg den Gipfel der5 6Leere des Zweifels und sah den gebeugten Narren: Der Intellekt

stellte dem gebeugten Narren die gleichen Fragen. "Ah" sagte

der gebeugte Narr "Ich weiss es und werde es Euch sagen."

Während er im Begriff war zu sprechen aber, vergass er das,

was er sagen wollte.

Da der Intellekt die Antworten nicht bekam, kehrte er zum

Palast des Gelben Fürsten zurück. Anlässlich einer Audienz beim

Gelben Fürsten stelle er diesem die Fragen.

Der Gelbe Fürst sagte: "Ohne zu denken und ohne etwas im

Sinn zu haben beginnt man, Tao zu erkennen. Ohne Massnahmen zu

treffen und ohne sich in etwas zu fügen, beginnt man, im Tao

zu ruhen. Ohne etwas zu befolgen und ohne einen Weg einzu-O

schlagen, beginnt man, Tao zu erlangen."0

Page 29: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-18-

Der Intellekt fragte den Gelben Fürsten: "Ich und du, wir

wissen es, jene (sc. die Aussage des Nichthandelns) und der

andere (sc. der gebeugte Narr) wissen es nicht; wer in aller

Welt hat nun recht?

Der Gelbe Fürst sagte: Jene; die Aussage des Nichthandelns

hat wirklich recht, und der gebeugte Narr hat es scheinbar.

Ich und du werden dem nie nahe kommen. Denn: der Wissende. g

redet nicht, und der Redende weisst nicht. Deshalb lebt der

Weise die Lehre des Nicht-Redens]^

Er v e r t r a u t s e i n e m s p o n t a n e n Handeln;

so ist die Lehre des N i c h t - R e d e n s .

Tao kann nicht erlangt werden,

Tao liegt in der S p o n t a n e i t ä t und ist

u n m ö g l i c h , mit W o r t e n zu e r re ic he n.

und die Tugend^ kann nicht erreicht werden.

Man v e r l i e r t die T u g e n d nicht, d e s h a l b

rü hm t man sie, und indem man sie rühmt,

e r r e i c h t man sie nicht. Das ist nicht. .. 12die h ö c h s t e /Tugend/.

Wohlwollen kann man üben; Rechtschaffenheit kann feh 1sch1agen,

und mit den Riten täuscht man sich gegenseitig. Deshalb heisst

es: Nach dem Verlust von Tao folgt die Tugend; nach dem Ver­

lust der Tugend kommt das Wohlwollen; nach dem Verlust des

Wohlwollens kommt die Rechtschaffenheit, nach dem Verlust der

Rechtschaffenheit kommt der Ritus. Der Ritus ist Tand des Tao

Page 30: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-19-

und der Anfang von Unordnung.

Die Ri te n h a b e n f e s t s t e h e n d e Regeln,

d e s h a l b e n t s t e h t da r a u s t r ü g e r i s c h e

N a c h a h m u n g .

Deshalb heisst es: wer Tao übt, vermindert täglich,

Er v e r m i n d e r t das V e r z i e r t e und U n ­

echte .

er vermindert es und vermindert es nochmals, bis er schliess­

lich ankommt beim Nichthandeln. Beim Nichthandeln bleibt nichts

ungemacht]3

Das V e r z i e r t e w i rd v e r l a s s e n , w ä h r e n d

das W e s e n t l i c h e b e w a h r t wird; alsdann,

selbst w e nn g e h a n d e l t wird, ist es g l e i c h ­

wohl ni ch t ein Hand el n.

Heute sind die Dinge gemacht

Die Dinge v e r l o r e n ihren Platz, d e s h al b

gibt es /jetz/ g e m a c h t e Dinge.

und wenn wir wünschen, wieder zum Ursprung zurückzukehren,

ist das nicht auch sehr schwer? Dies ist nur für den grossen

Menschen leicht!

D e r j e n i g e , für den die R ü c k k e h r zur

W u r z e l le i c h t ist, das kann nur ein

g r o s s e r M e n s c h sein.

Page 31: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-20

Das W e s e n des g r o s s e n M e n s c h e n ist in

U e b e r e i n s t i m m u n g mit der W a n d l u n g , d e s ­

halb fällt ihm das V e r ä n d e r n der Dinge

ni ch t s c h w e r .

Das Leben ist der Gefährte des Todes,

D e r j e n i g e , der das Tao des W a n d e i n s

kennt, der b e t r a c h t e t Tod und Leben

n i c h t als etwas V e r s c h i e d e n e s .

und der Tod ist der Anfang des Lebens, wer kennt ihre Gesetze?

A b w e c h s l u n g s w e i s e sind sie der An-14 . .

fang. Somit kann man nicht wissen,

w e l c h e s / e i g e n t l i c h / der Tod und w e l ­

ches das L e b e n ist.

Das Leben des Menschen /entsteht/ aus einer Ansammlung des

Atems. Die Ansammlung /des Atems/ bewirkt das Leben, die

Zerstreuung /des Atems/ bewirkt den Tod.

Be id e (sc. Leben und Tod) sind der A n ­

s a m m l u n g / u n t e r w o r f e n / , und be id e sind

der Z e r s t r e u u n g / u n t e r w o r f e n / .

Wenn nun Tod und Leben Gefährten sind, welches Unglück gibt

es denn für uns?

U n g l ü c k w i r d vom U n t e r s c h e i d e n e r ­

zeugt .

Page 32: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-21 -

1 5Deshalb sind die zehntausend Dinge eine Einheit. Das, was

man schön findet, wird als göttlich und wunderbar^ und das,

was man hässlich findet, als stinkend und verfault^ erachtet.

Das Stinkende und Verfaulte wandelt sich wieder und wird zu

Göttlichem und Wunderbarem, und Göttliches und Wunderbares

wandeln sich wieder und werden zu Stinkendem und Verfaultem.

Deshalb heisst es: 'Die Welt wird nur vom einen Atem durch­

drungen 1

J e d e r e i n z e l n e hält das Sc h ö n e für

g ö t t l i c h und w u n d e r b a r , das H ä s s l i c h e

für s t i n k e n d und ve rf au lt . Nun aber,

das, was für an de re schön ist, ist das,

was für mich h ä s s l i c h ist. Das, was

für m i c h sc hö n ist, fi nd en an d e r e wohl 1 8

hä ss l i c h . D e s h a l b h a b e n alle G ö t t l i c h e s

und W u n d e r b a r e s , und alle h a b e n S t i n k e n ­

des und V e r f a u l t e s . W a h r l i c h , sind Tod

und Leben, der A n d e r e und ich etwa v e r ­

s c h i e d e n ?

1 9deshalb legt der Weise Wert auf die Einheit. "

Der Intellekt sagte dem Gelben Fürsten: "Ich befragte die

Aussage des Nichthandelns, die Aussage des Nichthandelns ant­

wortete mir nicht; nicht, dass sie mir nicht antworten wollte,

sie wusste nicht, was sie mir antworten sollte. Ich befragte

den gebeugten Narren,der gebeugte Narr wollte es mir mit­

te i 1 e n , aber teilte es mir schliesslich nicht mit, weil er es -

während er es mir mitteilen wollte - vergass. Jetzt habe ich

Euch befragt,und Ihr wusstet es. Warum denn seid Ihr /dem Tao/

nicht nahe?"

Page 33: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-22-

Der Gelbe Fürst sagte: "Jene (sc. die Aussage des Nichthandelns)

hat wirklich recht, weil sie es nicht wusste. Dieser (sc. der

gebeugte Narr) hat es scheinbar, weil er es vergass. Ich und20du werden dem nie nahe kommen, weil wir es wissen'.'

Der gebeugte Narr hörte diese Erklärung und glaubte, der Gelbe21Fürst wisse, was Worte sind.

Das V e r s t e h e n der S p o n t a n e i t ä t kann

ni ch t e r r e i c h t w e r d en , indem man über 22

W e i s h e i t redet. D e s h a l b m u ss es du nk el

bl e i b e n ; im L a nd der Wort l o s i g k e i t .

D e s h a l b wä hl t er (sc. C h u a n g tzu) zuerst

B e i s p i e l e der W o r t l o s i g k e i t .

A l s d a n n w i r d K l a r h e i t g e g e b e n du rc h den

G e l b e n Fürs te n, so da ss die g e h e i m n i s ­

v o l l e n Dinge der N a t u r g e s a m t h a f t e r la ng t

und g e s e h e n w e r d e n können.

Himmel und Erde sind von grosser Schönheit, aber sie sprechen

nicht davon; die vier Jahreszeiten befolgen klare Gesetze, aber

sie diskutieren nicht darüber; die zehntausend Dinge sind einer

vollkommenen Ordnung unterworfen, aber sie erläutern diese nicht

Dies ist der Grund, w a r u m auch K o n ­

fuzius sagt: "Ich m ö c h t e l i e b e r. 24

n i c h t s reden'.'

23

Der Weise ergründet die Schönheit von Himmel und Erde und erreicht

in der Folge die Prinzipien der zehntausen Dinge. Aus diesem Grunde

handelt der vollkommene Mensch nicht

Page 34: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-23-

Er v e r t r a u t ihrem n a t ü r l i c h e n H a n d e l n

und das ist alles.

und der grosse Weise tritt nicht in Erscheinung.

Er folgt nur ih re r Neigung.

Dies ist gemeint mit: sie überschauen Himmel und Erde.

In ih r e r B e o b a c h t u n g der Fo rm en

und E r s c h e i n u n g e n und in der A b ­. 25

b i l d u n g der Dinge und E r s c h e i n u n g e n

sind sie von H i m m e l und Erde nicht

vers c h i e d e n .

Immer besassen jene (sc. die vollkommenen Menschen und die

grossen Weisen) geistähnliche Erkenntnis und vollkommene2 g

Essenz und nahmen teil an den hundert Veränderungen der

Dinge.

In de m sich die h u n d e r t V e r ä n d e r u n g e n

von se lb st v e r ä n d e r n , tut ihnen die

g e is t ä h n l i c h e E r k e n n t n i s ke in e Gewalt

an .

Die Dinge sind bereits /von selbst/ tot oder lebendig, viereckig 2 7oder rund und niemand kennt den Grund /dafür/.

Nun, die, die ster be n, s t e r b e n von

se lb st und die, die leben, le b e n von

selbst. Das, was r u nd ist, ist von

se l b s t rund, und das, was v i e r e c k i g

ist, ist von se lb st v i e r e c k i g . Sie

ha b e n keine W u r z e l , d e s h a l b kennt sie

n i e m a n d .

Page 35: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-24-

So ist die Art und Weise des Lebens, überall haben die zehn­

tausend Dinge seit alters her bereits bestanden.

Wie ist es mö g l i c h , dass sie d a r a u f

wart en , bis sie g e m a c h t w e r d e n und

dann erst e x i s t i e r e n .

2 8/Obwohl der Raum, den/ die sechs Richtungen aufspannen, un­

ermesslich gross ist, hat sich dieser nicht aus seinem (sc. des

Tao) Inneren entfernt.

Pl an t man die sechs R i c h t u n g e n ins

G r e n z e n l o s e (sc. ins Tao), dann sind

sie winzig.

Der Herbstflaum ist zwar klein, doch empfängt er seine voll­

endete Form von ihm (sc. dem Tao).

Ob w o h l der H e r b s t f l a u m kl e i n ist;

/doch we n n / ni c h t das G r e n z e n l o s e

a n w e s e n d wäre, a l s d a n n wäre n i c h t s29

v o r h a n d e n , um d e s s e n S u b s t a n z zu um fa ss en .

Auf der Welt gibt es nichts, das nicht flüchtig erscheint und. 30wieder untergeht, alles erneuert sich ständig.

31T ä g l i c h ist alles neu!

, 32Die Finsternis, das Licht und die vier Jahreszeiten bewe­

gen sich auf ihrer Bahn; jedes besitzt seine feste Anordnung.

Es b e d a r f ni ch t erst /eines A n s t o s s e s / ,

sie tun e s .

Page 36: Zhuangzi Guoxiang.pdf

Dunkel, als ob es (sc. Tao) abwesend wäre, ist es (sc. Tao)

indessen das /eigentlich/ Vorhandene.

Ist es hell, als ob es v o r h a n d e n wäre,

so ist es / b e r e i t s w i e d e r / fort.

Unbekümmert ist es, geistgleich und ohne Form,

Wäre es w o h l u m r i s s e n und h ä t t e es

Form, so wäre es ni ch t g e i s t g l e i c h .

und die zehntausend Dinge werden von ihm ernärt, aber sie

wissen es nicht. Dies ist es, was man Quelle und Wurzel nennt,

Es e r n ä h r t sie, a b e r sie e r l a n g e n nicht

die W u r z e l se in es u r s p r ü n g l i c h e n Wesens.

D e s h a l b w i s s e n sie nicht, w o d u r c h sie

e r n ä h r t werden.

33und von dieser aus kann man in den Himmel sehen.

Und /man ka nn / mit dem H i m m e l g e m e i n ­

sam b e t r a c h t e n .

Page 37: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-26-

Nieh-ch'üeh erkundigte sich bei P'i-i nach dem Tao. P'i-i

antwortete ihm: "Mache deinen Körper recht und deinen Blick

eins, so wird dich die himmlische Harmonie erreichen. Bändige35deinen Intellekt und verbessere deine Haltung, so wird der

Geist kommen und bei dir wohnen. Die Tugend wird deine Schön­

heit und Tao deine Wohnung sein. Schau in die Welt wie ein

neugeborenes Kalb und suche nicht nach deren Grund"

Diese Worte waren noch nicht ausgeklungen, als Nieh-ch'üeh tief

einschlief. P'i-i freute sich sehr, verliess ihn und sang während

des Fortgehens:

"Sein Körper ist wie ein dürres Knochengerüst,

sein H e r z ^ ist wie tote Asche.

Wahrhaftig ist seine volle Erkenntnis,

er hält sich nicht an seinen Meinungen fest.

Er ist eins mit der V e r ä n d e r u n g .

Geheimnisvoll und dunkel,37er hat kein Herz mehr und man

kann mit ihm keine Ränke mehr schmieden.

Wahrlich, welch ein Mann!"

34

Das ist eine S e l b s t . v e r w a n d l u n g .38

Shun fragte Ch ' eng 40besi tzt?"

39. "Kann man soweit gelangen, dass man Tao

Er antwortete: "Wenn du deinen Körper nicht besitzest, wie

willst du /erst/ in den Besitz des Tao gelangen?"

Page 38: Zhuangzi Guoxiang.pdf

Nun, der K ö r p e r ist ni ch t etwas, das

du b e s i t z e n kannst; ganz von a l l e i n e

b e s i t z t er sich selbst. Wenn a b er der

K ö r p e r etwas ist, das du ni ch t b e s i t z e n

kannst, umso w e n i g e r / k a n ns t du/ f o l g l i c h

Tao /bes i t z e n / !

Shun erwiderte: "Wenn mein Körper nicht mein Besitz ist, wer

besitzt ihn denn?"

Ch'eng sprach: "Er ist die /dir/ anvertraute Form von Himmel

und Erde. Das Leben ist nicht dein Besitz, es ist die /dir/

anvertraute Harmonie von Himmel und Erde. Dein Wesen und dein 41Schicksal sind nicht dein Besitz, es ist der /dir/ anver­

traute Lauf von Himmel und Erde.

Wenn der K ö r p e r dein Be s i t z wäre, so

m ü s s t e n S c h ö nh ei t, H ä s s l i c h k e i t , Tod

und L e b e n von dir a u s g e h e n d g e r e g e l t. 42

werd en . Nun, w e nn sich der A t em v e r ­

einigt, so / e n t s t e h t / Leben, und du

k a n n s t es ni ch t v e r h i n d e r n , wenn der

A t e m sich z e r s t r e u t , so /tritt der/

Tod /ein/, und du k a n n s t ihn nicht

au f h a l t e n . Das zeigt d e u t l i c h , dass

er (sc. dein Körp er ) l e d i g l i c h von

selbst v o l l e n d e t ist, indem er in A n ­

l e h n u n g /an den At em / z u s a m m e n g e k i t t e t

ist. Er ist (sc. der Körp er ) ni ch t dein

Besitz!

Deine Kinder und Grosskinder sind nicht dein Besitz, es ist di43/dir/ anvertraute Häutung von Himmel und Erde.

Page 39: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-28-

Der A t e m zieht sich von se lb st zu s a m m e n

und v e r e i n i g t sich, um sich dann wie eine44

Zi k a d e zu häuten.

Aus diesen Gründen gehst du und weisst nicht wohin, bleibst

stehen und weisst nicht, wo dich festhalten, isst und kennst

nicht den Grund des Geschmacks.

Al le s ko mm t aus der n a t ü r l i c h e n O r d n u n g

auf dich zu, d e s h a l b we is s man es nicht.

45All dies geschieht durch den starken Yang-Atem von Himmel

und Erde.

S t ar ke s Yang ist g l e i c h wie: Bewegung.

Wenn man di es es Tao v e r s t e h t , so ist es

mö g l i c h , den K ö r p e r zu v e r n a c h l ä s s i g e n46

und das Le be n g e r i n g zu schätzen.

Wie kann man da noch verlangen, /seine eigene Person/ zu be­

sitzen?"

Konfuzius wandte sich fragend an Lao Tan und sagte: "Heute, da

Ihr ruhig seid und Müsse habt, wage ich es, Euch nach dem voll­kommenen Tao zu fragen."

Lao Tan erwiderte: "Du musst fasten und Enthaltsamkeit üben,47reinige und wasche dein Herz, reinige deinen Geist und zer­

schlage und vertreibe dein Wissen. Wahrlich, das Tao ist tief,

und es ist schwierig, davon zu reden! Ich will dir einen all­

gemeinen Ueberblick davon geben.

Page 40: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-29-

Die Helligkeit wird aus der Finsternis geboren, das Geordnete49geht aus dem Formlosen hervor, und der reine Geist geht aus

dem Tao hervor.

48

/Dies/ alles, um damit k l a r z u m a c h e n ,

dass sie (sc. die e r w ä h n t e n Sachen)

von a l l e i n e e n t s t e h e n , ohne U n t e r ­.. 50

S t ü t z u n g o d e r A n l e hn un g.

Die Wurzel des Gestalteten 51 entspringt der Essenz,52

Al le s g e l a n g t vom F e i n s t e n (sc. von

der E s s e n z ) zum Groben.

und die zehntausend Dinge werden von den Formen wechselweise

erzeugt. Deshalb werden die /Lebewesen/ mit neun Körperöffnungen

lebend geboren, die mit acht Körperöffnungen werden aus dem Ei

geboren33

Das be de u t e t : Die z e h n t a u s e n d Dinge,

o b g l e i c h sie von den Fo r m e n w e c h s e l ­

se i t i g e r z e u g t werden, / e n t s t e h e n /

t r o t z d e m jedes e i n z e l n e von selbst;

denn M u t t e r l e i b und Ei k ö n n e n die Art

ni ch t v e r w a n d e l n und sie dann gebären.

Somit ist es klar, dass es nicht eine54H a n d l u n g des r e i n e n G e i s t e s sein kann.

Sein (sc. des Tao) Kommen hinterlässt keine Spuren, und es geht- 5 5nicht hinter der letzten Klippe fort, es hat weder Türen noch

Zimmer33 und ist so gross wie die Unendlichkeit des Alls3^

Indem es (sc. Tao) dem W e s e n seines

S o - s e i n s folgt und auf s p u r e n l o s e n

We g e n u m h e r s c h w e i f t , ist sein K ö r p e r

Page 41: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-30-

v o l l k o m m e n frei z w i s c h e n H i m m e l und

Erde. Es lässt se in en r e i n e n Geist

/auch/ a u s s e r h a l b der acht H i m m e l s ­. 58

r i c h t u n g e n weilen. D e s h a l b hat es

w e d e r T ü r e n noch Zimmer. Es d u r c h ­

dr i n g t die vier H i m m e l s r i c h t u n g e n in

m ä c h t i g e r Grösse; u n e i n g e s c h r ä n k t

s c h w e i f t es i n n e r h a l b der sechs Rich-59t u n g e n u m h e r und b e g l e i t e t den Gang

der W a n d l u n g e n .

Wer immer diesem (sc. dem Tao) begegnet, dessen vier Glied­

massen werden stark; seine Gedanken werden allgegenwärtig und

durchdringend; sein Gehör fein, sein Sehen klar; er gebraucht

seinen Geist ohne Mühe; er beantwortet /alle/ Dinge ohne Vor­. .,61 urteil.

Wenn ein M e n s c h im Le be n d i e s e m Tao b e ­

gegnet, so w i r d / s ei ne / n a t ü r l i c h e Ve r a n -62 63

l a g u n g v o l l e n d e t , und sein Geist wird

g e f e s t i g t .

Der Himmel kann nicht anders als hoch sein, die Erde kann nicht anders als weit sein, Sonne und Mond können nicht anders als wan­

dern, die zehntausend Dinge können nicht anders als sich ent-64wickeln, das ist wohl ihr Tao!

Dies heisst: alle diese / e r w ä h n t e n

K a t e g o r i e n / sind e i n f a c h von selbst

so, in de m sie ni ch t an de rs als so sein

können. Es ist ni ch t Tao, das dies ver-n , ■■ 65a n l a s s e n konnte.

Gelehrsamkeit überdies erlaubt nicht unbedingt, dass man es er­

kennt; Analysen führen nicht notwendig zur Einsicht, deshalb

hat sich der Weise von diesen beiden Methoden getrennt.

Page 42: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-31

Er hat sich g e t r e n n t von W i s s e n und E r ­

k e n n t n i s und b e i d e v e r w o r f e n und sich66

der N a t u r a n v e r t r a u t .

Es (sc. Tao) ist etwas, das - wird es vergrössert - keine Zu­

nahme zeigt - wird es vermindert - keinen Verlust erleidet. Das6 7ist das, woran der Weise festhält.

Er (sc. der Weise) v e r a n l a s s t , dass ein. . . 63jedes Ding seine wa hr e B e s t i m m u n g b e w a h r t

Das ist alles! D e s h a l b h a n d e l t er, ohne69W i s s e n und E r k e n n t n i s zu ge br a u c h e n .

Abgründig und tief ist es, wie das Meer.

A u s s e h e n und B e t r a g e n sind ni c h t zu e r ­

m e s s e n .

Wie hoch und erhaben^ ist es, dass es dort, wo es endet, wieder

zum Anfang zurückkehrt!

Weil /das Tao/ mit den W a n d l u n g e n eins

ist, hä uf t es u n e n d l i c h e Z e i t a b s c h n i t t e

an; d e s h a l b kann man es hoch und e r h a b e n

n e n n e n .

Es ermöglicht allen Wesen, sich nach /ihrem/ eigenen Mass zu ent­

wickeln, ohne dass es sich erschöpft.

Im B e m ü h e n um die Dinge müht es sich

se lb st ni ch t ab; d e s h a l b e r s c h ö p f t es

sich n i c h t !

71 7 2Doch das 'Tao' des Edlen ist bloss dessen Aeusseresl

Page 43: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-32-

Es genügt, dass ein je de r /die E n e r g i e

zum Leben und H a n d e l n / s e i n e r / e i g e n e n /

P e r s o n entnimmt.

Alle zehntausend Dinge gehen hin und empfangen ihren Besitz von

ihm, und es erschöpft sich nicht. Ist nicht dieses das /wahre/ Tao?

Wenn die a u s g e g e b e n e n Dinge z u r ü c k ­

k e hr en , dann habe ich an n i c h t s Mangel.

Dies e r k l ä r t das D i n g e - B e s c h e n k e n des. . 73Tao; es b e s t e h t im N i c h t - B e s c h e n k e n .

W e nn ni ch t g e g e b e n wird, so e r h a l t e n

sich die Dinge selbst. D e s h a l b he is st

es: 'Dieses ist das / w ah re / Tao!'

S p ri ch t man vom N i c h t -L e i s t e n des

h ö c h s t e n Tao, so ist / d i e s e s / N i c h t ­

L e i s t e n /an sich sc ho n/ genug, um als74

Tao b e n a n n t zu werden.

Nehmen wir an, es gibt in den mittleren Staaten einen Menschen,• 7 5er ist nicht yin und er ist nicht yang.

Es gibt k e i n e n A n h a l t s p u n k t , ihn e i n ­

d e u t i g zu be ne n n e n .

Er wohnt /irgendwo/ zwischen Himmel und Erde und ist lediglich

Mensch.

Stolz und frei kann er sich n i e d e r ­

lassen, wo im m e r er h i n g e l a n g t , er

hat ke in e V e r d i e n s t e ? ^

Page 44: Zhuangzi Guoxiang.pdf

Dann wird er zurückkehren zu seinem Ursprung.

Er jagt nicht dem U n w i c h t i g e n nach.

Vom Ursprung aus gesehen, ist das Leben etwas, das eine Ver­

dichtung des Atems darstellt.

Bloss v e r d i c h t e t e r Atem.

Ob er nun ein langes Leben oder einen frühen Tod hat: wie klein

ist doch der Unterschied: Als einen Augenblick könnte man es

erklären. Wie könnte dies genügen, um zu unterscheiden zwischen

dem Guten, das Yao bewirkte, und dem Bösen, das Chieh bewirkte?

Tod und Leben, wie w e n i g sie sich doch

u n t e r s c h e i d e n ; w i e v i e l w e n i g e r erst der

U n t e r s c h i e d z w i s c h e n ei ne m l a n g e n Leben

und e i n e m fr ü h e n Tod!

7 8Die Früchte der Bäume und die Früchte der Erde haben ihrn ■ • 7 9Prinzip.

Es gibt kein Ding ohne P r i n z i p ( i i li)?°

es muss es nur be fo l g e n .

Die menschlichen Beziehungen, obieich schwieriger, sind von81gleicher Geltung.

I n n e r h a l b der m e n s c h l i c h e n B e z i e h u n g e n

gibt es / z u s ä t z l i c h / V e r ä n d e r u n g e n des

W i s s e n s und der E r k e n n t n i s ; d e sh al b

sind sie s c h w i e r i g e r . Nun aber ist dieses

W i s s e n und d i e s e r E r k e n n t n i s von selbst

g e g e n s e i t i g ge or d n e t . Man m ü s s t e ihnen

(sc. den B e z i e h u n g e n ) nur fo lg en und sie

Page 45: Zhuangzi Guoxiang.pdf

s i c h s e l b s t ü b e r l a s s e n .

Wenn der Weise mit ihnen (sc. den Prinzipien) in Berührung

kommt, so widersetzt er sich ihnen nicht.

Er ist im E i n k l a n g mit dem, was ihm

b e g e g n e t .

Er geht an ihnen vorüber, ohne sie festzuhalten.

W e nn es sich gezi em t, an ihnen v o r ü b e r ­

zugehen, so geht er an ihnen vorü be r.

Er bringt sie miteinander in Einklang und passt sich ihnen an

das ist Tugend. Er paart sich mit ihnen und entspricht ihnen -

das ist Tao.

'Im E i n k l a n g sein' und 'sich p a a r e n mit'

besagt, dass man sich /mit den E r e i g ­

n i s s e n / in H a r m o n i e be fi nd et .

Das ist das, was das Erheben der Herrscher und das Aufsteigen

der Könige ermöglicht.

Es ist so und w e i t e r nichts.

Page 46: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-35-

Das Leben des Menschen zwischen Himmel und Erde ist wie ein8 2weisses Fohlen, das eine Kluft überspringt - ein Augenblick,

und es ist vorbei.

Es ist ni ch t wert, sich d a r u m zu kümmern.

Ueberströmend und wild tritt alles hervor, sachte und glatt

kehrt alles zurück.

' H e r v o rt re te n' und ' z u r ü c kk eh re n' b e z i e h t

sich auf die Wandlung., Das will sagen,

dass es un t e r dem Hi m m e l n o ch ni c h t s

g e g e b e n hat, das sich nicht v e r ä n d e r t e .

Eine Wandlung, und es entsteht Leben, abermals eine Wandlung,

und der Tod ist da.

Al l e s ist d i e s e r W a n d l u n g / u n t e r w o r f e n / .

Die Lebenden trauern deswegen,

L e b l o s e We se n t r a u e r n nicht.83

und das Menschengeschlecht ist betrübt darüber.

Die To t e n sind n i c h t b e t r ü b t darüber.

Doch es ist gleich einer Entledigung der vom Himmel geliehenen

Hülle, ein Fallenlassen der vom Himmel geliehenen Umhüllung.

Es ist nur ein A u s z i e h e n .

Page 47: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-36-

Bald verwi rrt, bald • u .85sich fugend.

Die sich v e r m i s c h e n d e n S c h w a d e n der W a n d l u n g

8 7Sind Hauchseele und Körperseele im Begriff zu entschwinden, dann88folgt ihnen der Körper : so ist die grosse Rückkehr!

Die G e d a n k e n des N i c h t - H a n d e l n s sind

, • 89dar i n .

Das Formlose bewegt sich zur Form, dann bewegt sich die Form

zum Formlosen.

Formt man nicht, so kommt die Form

zu st an de ; formt man aber, so v e r d i r b t

, • ^ 90man die Form.

Dies ist etwas, was jeder Mensch weiss.

O b g l e i c h man es weiss, ist man nicht

im st an de , /den D i n g e n / ihre ei g e n e

F o r m g e b u n g zu ü b e r l a s s e n . Im Ge g e n t e i l ,

man w i ll sie fo r m e n und d e s h a l b v e r d i r b t

man sie m e is te ns !

Es (sc. das Formlose, Tao) ist nicht etwas, das durch Anstrengung91erreicht werden kann.

Be mü ht man sich darum, so e r r e i c h t man

es n i c h t .

Diese /Gedanken/ werden von allen Menschen erörtert.

Page 48: Zhuangzi Guoxiang.pdf

Ob w o h l sie es e r ö r t e r n , so ist es so, dass

sie - w e i l sie sich d a r u m b e m ü h e n m ü s s e n -Q Q

es ni ch t erreichen.-''

/Doch/ jene, die es (sc. Tao) erreichten, erörtern es alsdann. 94nicht.

/All es /

wu ss t zu

v e r g e s s e n d und ohne

sein, so e r r e i c h t e n

sich d e s s e n be-

sie es (sc. T a o ).95

/Und jene/, die es (sc. Tao) erörtern, erreichten es folglich

nicht?®Mit klarem Sehen /kann man Tao/ nicht begegnen,

S c h l i e s s t man die Augen, um es zu e r r e i c h e n ,

dann b e g e g n e t man ihm.

und hin und her reden ist nicht/so gut/ wie schweigen. Tao

kann man nicht hören; es ist besser, die Ohren zu verstopfen,9 8als es hören zu wollen! Das nennt man das grosse Erlangen.

S c h w e i g t man und v e r s t o p f t man /die Sinne/,

so gibt es n i c h t s mehr, dem man na ch j a g t . Das

sind die U r s a c h e n des g r o s s e n E r l a n g e n s .

99Tung-kuo Tzu befragte Chuang-tzu und sprach:

"Das, was Ihr Tao nennt, wo ist es zu finden?"

"Es gibt keinen Ort, wo es nicht ist", sagte Chuang-tzu.

Tung-kuo Tzu erwiderte:

"Ihr müsst es näher bestimmen".

Er m ö c h t e C h u a n g - t z u d a zu v e r a n l a s s e n ,

ei ne n Ort zu nennen.

Page 49: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-33-

"Es ist in dieser Ameise", sagte Chuang-tzu

"Warum ist es unten?" fragte Tung-kuo Tzu

"Es ist in diesem Unkraut", sagte Chuang-tzu

"Warum ist es noch weiter unten?" fragte Tung-kuo Tzu

"Es ist in dieser tönernen Scherbe", sagte Chuang-tzu

"Ja, warum denn noch tiefer?" fragte Tung-kuo Tzu

"Es ist im Kot und im Urin", sagte Chuang-tzu.

Tung-kuo Tzu erwiderte nichts. Chuang-tzu sagte zu ihm:

"Eure Fragen erreichen wirklich das Wesentliche nicht.

Alle seine H i n w e i s e auf das We se n b e d e u t e n ,

dass es k e i n e n Ort gibt, wo es ni c h t ist.

A b e r T u n g - k u o Tzu w u n d e r t sich a l s d a n n w i e d e r

d a r ü b e r ; so e r r e i c h t er des W e s e n nicht.

Als Inspektor Huo den Marktaufseher über die Fettprobe1°°bei

Schweinen befragte, war die Antwort: "je tiefer/das Fett/ desto wertvoller /das Schwein/"101

* hsi heisst: g r o s s e s Schwein.

Nun, die F e t t p r o b e bei S c h w e i n e n e r l a u b t es

dem M a r k t a u f s e h e r , d e r e n fette und m a g e r e

S t e l l e n zu er ke n n e n . Je m e h r man die S t e l l e n

sucht, die n i c h t so le i c h t fett sind, umso m e hr

k e n n t man die W i c h t i g k e i t des Fe t t e s b e im Schwein.

D o ch jetzt zurück zur Frage n a ch dem Ort, wo

Tao sich b e f i n d e t : an jedem Ort w ä c h s t es,

im V e r h ä l t n i s zu d e s s e n N i e d r i g e r w e r d e n , um zu

zeig en , dass es s i c h e r so ist, dass sich Tao

ni c h t aus den D i n g e n en tz ie ht .

Page 50: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-39-

1 02Ihr dürft nur nicht voreingenommen sein, es (sc. Tao) ent-1 03fernt sich nicht aus den Dingen.

Wenn man u n b e d i n g t d a r a u f b e h a r r e n.. 104

würde, dass das Ni c h t s sich den

D i n g e n e n t z i e h e , so wäre Tao nicht

um f a s s e n d . Wäre es aber ni ch t u m ­

fassend, so wäre es ni ch t wert, Tao105

g e n a n n t zu werden.

So ist das erhabene Tao; darum auch die grossen Worte

Dies zeigt d e u t l i c h , dass sich Tao nicht

aus den Di n g e n en tf ernt.

Vollständigkeit, Universalität und Ganzheit. Diese drei /Aus­

drücke/ sind verschiedene Bezeichnungen der gleichen Wahrheit -

sie /alle/ weisen auf das Eine hin.

Versuche mit mir zum Palast des Nicht-Seins'“” zu wandern; von

der Vereinigung ausgehend hat er weder Ende noch Grenze]^

Wenn man im Sein wa n d e l t , so ist man

un f ä h i g , v o l l s t ä n d i g , u n i v e r s a l und ganz

zu sein. Wenn man a b e r von der V e r e i n i g u n g

mit dem Einen au s g e h t , dann erst we is s man,1 08

dass es k e i n e n Ort gibt, wo Tao nicht ist.

E r k e n n t man die Im m a n e n z des Tao, erst dann

ist man fähig, l e er und ohne R e g u n g des109 . 110

H e r z e n s zu sein und dort zu w a n d e l n , wo

es keine G r e n z e n gibt.

Page 51: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-40-

Versuche mit mir das Nicht-Handeln! Wie still man ist aus der

Seelenruhe heraus! Wie rein man ist aus dem Gefühl der unend­

lichen Stille heraus! Wie mü'ssig man ist aus dem Erlebnis der

Harmoni e heraus ! ^

Die U r s a c h e all de s s e n ist das N i c h t -H a n d e l n

Unermesslich - nämlich leer - wird unser Wille sein.11 2

Leer seiend, im / Z u s t a n d / der Leere.11 3

1 1 4Weil unser Wille kein /zielgerichtetes/ Gehen mehr hat, weiss

man nicht, wohin man gelangt.

Falls u n s e r Wi l l e leer ist, so hat er

k e in / z i e l g e r i c h t e t e s / Ge he n mehr; weil

er kein / z i e l g e r i c h t e t e s / Ge he n /mehr/

hat, weiss er b e i m H i n g e h e n nicht, wo er

anla ng t. Wenn er aber ein / z i e l g e r i c h t e t e s /

Ge he n hat, so sind /zwar/ die P r i n z i p i e n 3 115(2;S- li) n o ch ni ch t in B e w e g u n g , aber

116der Wille hat /das Ziel/ schon er re ic ht .

/Der Wille/ geht und kommtl"*^ ohne zu wissen, wo er anhält.

Also fügt er sich'.

Wir sind bereits im Gehen und Kommen, ohne zu wissen, wo /der

Weg/ endet.

Es ist bl o s s ein Ge he n und Kommen, das nicht

aus der E r k e n n t n i s (dem B e w u s s t s e i n ) folgt,

aber es ist ni ch t so, dass es kein Ge he n und

K o m m e n wäre. Di e s e s Ge he n und K o m m e n ist das

ew ig e P r i n z i p der Natur. Hat es e t wa ein Ende?

Page 52: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-41

■ 1 1 9Wir schweifen in der grossen Leere umher, und das grosse

Wissen tritt ein, ohne dass es weiss, wo es ein Ende nimmt.

Der A u s d r u c k p ' i n g h u n g b e s a g t s o ­

viel wie: die Gr o s s e Leere. Das Gr os se

W i s s e n w a n d e r t im G r e n z e n l o s e n , jede

E i n s c h r ä n k u n g a b w e r f e n d , folgt es der

W a nd lu ng . D e s h a l b w e i s s es nicht.

Das, was bewirkt, dass Dinge Dinge sind, ist nicht von den Dingen. . 1 2 0 abgegrenzt.

Das zeigt, dass das, was b e w i r k t , dass

Dinge Dinge sind, die Dinge von selbst

zu Di ng en w e r d e n lässt, ohne dass es selbst

ein Ding wäre. Weil die Dinge von selbst. . . . . 121Dinge sind, da h e r ist es g e h e i m n i s v o l l .

/Der Umstand/, dass die Dinge ihre /eigenen/ Grenzen haben, wird

Begrenzung der Dinge genannt.

Da die Dinge ihre G r e n z e n haben, kann kein

/Ding/ mit ei n e m a n d e r e n /Ding/ u n k l a r e

G r e n z e n haben. Sie k ö n n e n w i r k l i c h " b e ­

g r e n z t " g e n a n n t werd en .

Das Unbegrenzte bewegt sich zum Begrenzten und das Begrenzte. 122 bewegt sich zum Grenzenlosen.

Das G r e n z e n l o s e - o b w o h l es als das b e z e i c h ­

net wird, das be w i r k t , dass Dinge Dinge sind -

zeigt ge r a d e d e u t l i c h , dass die Dinge von

se lb st sind, ohne dass es (sc. das G r e n z e n ­

lose) selbst Ding ist. Das, was be w i r k t , dass

Dinge Dinge sind, ist in W i r k l i c h k e i t kein

Page 53: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-42-

kein Ding. Wo so l l e n sich de ss en

G r e n z e n b e f i n d e n ?

Wir sprechen von Fülle und Leere, von Vergehen und vom Verfall.

Jenes (sc. Tao) bewirkt Fülle und Leere, aber es ist selbst

weder Fülle noch Leere; jenes (sc. Tao) bewirkt das Vergehen und

den Verfall, aber es ist selbst weder Vergehen noch Verfall;

jenes (sc. Tao) bewirkt Anfang und Ende, aber es hat selbst weder

Anfang noch Ende; jenes (sc. Tao) bewirkt die Ansammlung und die

Zerstreuung, aber es ist selbst weder Ansammlung noch Zerstreuung

N a c h d e m v e r d e u t l i c h t wurde, dass das, was

be w i r k t , dass Dinge Dinge sind, selbst

kein Ding ist, w i r d nun ü b e r d i e s e r kl är t,

dass Dinge ni ch t von se lb st zu D i n g e n w e r d e n

können. Wenn dem so ist, wer soll es denn

e i g e n t l i c h sein, der dies b e w i r k t ? Alles1 24

/ e n t s t e h t / p l ö t z l i c h und von selbst.

Ah Ho-kan und Shen Nung studierten gemeinsam unter dem 1 2 7alten Lung Chi. /Eines Tages/, Shen Nung hatte die Türe

geschlossen, sich auf ein Tischchen gestützt und schlief bei

hellichtem Tag, öffnete Ah Ho-kan gegen Mittag die Türe und

sagte noch während des Eintretens: "Der alte Lung ist tot!"

Shen Nung, /noch immer/ auf das Tischchen gestützt, umfasste

seinen Stock und stand auf. Dann liess er den Stock polternd

fallen und begann zu lachen.

W ä h r e n d er a u f s t a n d , w u r d e er sich der

u n n ö t i g e n Fu rc ht vor dem Tode bewu ss t.

D e s h a l b li es s er den Stock w i e d e r fallen

und b e g a n n zu lachen.

123

Page 54: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-43-

Er sagte: "0 Himmel! - er hatte erkannt, wie ungebildet, gemein,

nachlässig und eingebildet ich bin, deshalb hat er mich ver­

lassen und ist gestorben. Nun ist es vorbei! Der Meister ist,

ohne mich Uber seine unsinnigen Worte aufgeklärt zu haben, ge­

storben’.'

12 8Von C h ' i e n Wu an hat es im me r Leute

g e ge be n, die die p r o f u n d e n Wo rt e /i hr er

M e i s t e r / als U n s i n n b e t r a c h t e t e n un d ihnen

ni c h t v e r t r a u t e n . D e s h a l b sind a u s s e r Le u t e n

in der Art von Lao Lung und Lien Shu keine

es Wert, dass man mit ihnen redet.129

Yen Kang, /der gekommen war/, um sein Beileid auszusprechen,

hörte dies und sagte: "Mit demjenigen, der Tao verkörpert hat,

sind die Edlen der Welt verbunden.

Das b e d e u t e t , dass d e r j e n i g e , der das Tao

v e r k ö r p e r t , zum H e r r s c h e r über die m e n s c h ­

liche Art w i r d .

Bis jetzt hatte er (sc. der alte Lung) von Tao noch nicht die

Spitze eines Herbsthaares, /ja/ noch nicht /einmal/ einen zehn­

tausendsten Teil davon erlangt.

Das S p i t z c h e n eines H e r b s t h a a r e s ist schon

sehr fein, aber er hatte noch n i c h t ei ne n z e h n ­

t a u s e n d s t e n Teil d e s s e n erlangt.

Und doch verstand er es, /uns/ seine 'unsinnigen Worte1 zu ver­

bergen und starb. Und um wieviel besser /versteht es/ wohl der­

jenige, der Tao verkörpert hat!

Page 55: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-44-

Er (sc. Yen Kang) e r k l ä r t also, dass

das e r h a b e n e Tao etwas ist, das nicht

m i t t e l s W o r t e n e r l a n g t w e r d e n kann. /Das

E r l a n g e n von Tao/ liegt ge r a d e darin,

dass man es von se l b s t erlangt.

/Man kann danach/ sehen, aber es ist ohne Form; /man kann

darauf/ hören, aber es ist ohne Ton. Diejenigen, die darüber

mit /anderen/ Menschen diskutieren, nennen es dunkel und ge­

heimnisvoll. Das Tao, über das diskutiert wird, ist aber nicht

das wahre Tao!

/Sie n e n n e n / es du n k e l un d g e h e i m ­

n i s v o l l , doch ist es w i e d e r u m nicht

Tao. Das m a c h t d e u t l i c h , dass Tao

ohne B e n e n n u n g ist.

132 133Die Grosse Reinheit befragte die Unendlichkeit und sagte:

11 Kennst du Tao?"

Die Unendlichkeit antwortete : "Ich kenne es nicht".1 34Dann befragte /die Grosse Reinheit/ auch das Nicht-Handeln.

"Ich kenne Tao" sagte das Nicht-Handeln.

"Nach deiner Kenntnis von Tao - hat es auch eine Bestimmung?"

fragte /die Grosse Reinheit/.

"Es hat eine',' sagte /Nicht-Handeln/.

"Wie verhält es sich mit seiner Bestimmung?" fragte /die Grosse

Rei nhei t/wei ter.

Nicht-Hände 1n sagte: "Soviel ich weiss, kann Tao vornehm sein,

es kann gering sein, es kann gebunden und es kann aufgelöst sein;1 35solcherart sind die Bestimmungen, durch die ich Tao kenne'.'

Grosse Reinheit vernahm diese Worte und ging damit zu Ohne-Anfang 1 36

Page 56: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-45-

und fragte: "Wenn dem so ist, dass Unendlichkeit es nicht kennt

und Nicht-Handeln es kennt, wer hat nun recht und wer hat un­

recht?"

Ohne-Anfang sagte: "/Derjenige, der/ es nicht kennt, ist tief;1 37/derjenige, der/ es kennt, ist oberflächlich. /Derjenige, der/

es nicht kennt, ist innen; /derjenige, der/ es kennt, /berührt

nur/ die A u s s e n s e i t e"

Dem stimmte die Grosse Reinheit zu und sagte seufzend: "Nicht-

kennen ist also Kennen! Und Kennen ist also Nichtkennen! Wer

kennt die Kenntnis, /die darin besteht/ nicht zu kennen?"

In al le n Fällen, in denen man es

ni ch t auf dem Weg des W i s s e n s erlangt,

h a n d e l t es sich um das U n e r g r ü n d l i c h e .

Ohne-Anfang sagte: "Tao kann nicht gehört werden; was man hört,

ist es nicht. Tao kann nicht gesehen werden; was man sieht, ist

es nicht. Tao kann nicht beschrieben werden; was man beschreibt,

ist es nicht.

D e s h a l b muss man im Ge b i e t des N i c h t ­

Hö re ns und des N i c h t - S e h e n s zur Ruhe

kommen, a l s d a n n e r r e i c h t man e s ! ^

Kennt man das Formlose, das die Formen formt?

Die Fo r m e n fo r m e n sich /ganz/ von selbst.

Das, was die Fo rm en formt, ist s c h l i e s s ­

lich k e in Ding.

1 39Für Tao ist /jede/ Benennung ungeeignet. ' 11

Es gibt /zwar/ die B e n e n n u n g des Tao, a b er

l e t z t e n En de s ist es k e in Ding. D e sh al b

kann ihm eine B e n e n n u n g ni ch t e n t s p r e c h e n .

Page 57: Zhuangzi Guoxiang.pdf

Ohne-Anfang sagte: "Derjenige, der - hat man ihn Liber Tao

befragt - darauf antwortet, kennt Tao nicht; und was den

betrifft, der nach Tao fragt, der hat auch noch nicht einmal

von Tao gehört!

Er we i s s nicht, d e s h a l b fragt er;

w e r d e n ihm a b er die Fr a g e n b e a n t ­

w o rt et , so kann es ni ch t Tao sein.

W i rd ni ch t g e a n t w o r t e t , so w i r d /das

Zi el / des F r a g e n d e n ni ch t er re icht.

D e sh al b, o b g l e i c h er es er fr ag te ,

hat er doch auch am Ende ni c h t s

da vo n g e h ö r t .

Tao ist unerfragbar; gibt es dennoch Fragen, so sind sie un­

beantwortbar.

Das h e is st , man muss also das L e r n e n

a u f g e b e n , die L e h r e n v e r l a s s e n und

z u r ü c k k e h r e n zur Natur.

Das, was es nicht zu befragen gibt, zu befragen, das heisst,

das Aeusserste befragen.

Das ne n n t man das Leere be fr a g e n .

Das, was es nicht zu beantworten gibt, zu beantworten, das

ist inhaltslos.

D i e j e n i g e n , die in W i r k l i c h k e i t nicht

haben, aber so tun, als ob sie hä t t e n

und d a r a u f h i n a n t w o r t e n , /die s t eh en /

a u s s e r h a l b .

Page 58: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-47-

Wenn diejenigen, die /vorgeben/, das Inhaltslose /zu beant­

worten/, denen zu Worte stehen, die nach dem Aeussersten fragen,

/so zeigen sie damit, dass sie/ im Aeusseren Raum und Zeit nicht

beobachten und dass sie im Inneren nichts wissen vom Grossen1 40Anfang. Deshalb können sie den K'un-lun nicht überschreiten

1 41und auch nicht in der Grossen Leere umherschweifen"

Was nun d i e j e n i g e n b e t r i f f t , die

b e g i e r i g d a n a c h sind, ihre E x i s t e n z

/ z w i s c h e n / H i m m e l und Erde a u f z u g e b e n ,

um in der Leere u m h e r z u s c h w e i f e n und

weit zu wa n d e r n , um so ins Du nk le und142 .

G e h e i m n i s v o l l e e i n z u t r e t e n , /die se /1 43

b e a n t w o r t e n n i ch ts , das ist alles.

144 145Glänzendes Sonnenlicht befragte Nicht-Sein und sagte:

"Seid Ihr oder sei Ihr nicht?"

Glänzendes Sonnenlicht konnte keine Antwort erlangen und so

betrachtete es genau die Erscheinung vom /Nicht-Sein/ - alles

dunkel und leer. Bis zum Tagesende beobachtete es, konnte aber

nichts sehen; es horchte, aber konnte nichts hören; es ver­

suchte /Nicht-Sein/ zu ergreifen, aber es erfasste nichts. "Voll­

kommen!" rief Glänzendes Sonnenlicht. "Wer kann das erreichen?

Ich vermag mit Nicht-Sein zu sein, aber ich vermag nicht ohne

Nicht-Sein zu sein. Das /Nicht-Sein/ ist zum 'Sein des Nicht-146Seins' geworden. Wie konnte es dies erreichen?"

Das b e d e u t e t alles das A u f g e b e n des

Lern en s. F o l g l i c h ist das L e r n e n die

e i g e n t l i c h e U r s a c h e , aus der die T r e n n u n g

von Tao kommt. D e s h a l b b l e i b t d e m j e n i g e n ,

der den Wert des L e r n e n s / k e n nt / w o hl nur

das N i c h t - L e r n e n .

Page 59: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-48-

Der Gürtelschnal1enmacher des Gross-Marschal1s war achtzig Jahre

alt, aber /sein Schlag/ verfehlte /das Ziel/ nicht um Haares­

breite.

In der " D o s i e r u n g " se i n e s Sc h l a g e s

we i c h t er ni ch t um H a a r e s b r e i t e ab.

Der Gross-Marschal1 sagte zu ihm:

"Bist du /einfach/ geschickt, /oder/ hast du eine /bestimmte/

Methode?"

"Ja, ich habe eine Methode"^^ sagte der Schnallenmacher.

"Als ich zwanzig war, packte mich die Freude am Schnallen-1 48schmieden. Von /anderen/ Dingen nahm ich keine Notiz; war

etwas keine Schnalle, so prüfte ich es nicht."

Dies bedeutet, dass wer /seine Fähigkeit/ auf etwas verwendet,

dies nur erfolgreich tun kann, wenn er /seine Fähigkeit/ auf

nichts anderes verwendet. Tao aber wendet /seine Fähigkeit/1 49auf alle Dinge an!

Man soll /die Di n g e / auf k e i n e n Fall

" umhegen',' dann e n t s p r i c h t man ihnen

je n a c h d e m wie sie kommen.

Jan C h ' i u ^ 1 befragte Chung N i ^ ^ und sagte: "Kann man wissen,

was vor Himmel und Erde war?"

"Man kann" sagte Chung Ni, "damals war es wie jetzt."

Das h e i s st , H i m m e l und Erde wa re n

im me r v o r h a n d e n , so gibt es keine

Zeit, b e v o r es Et wa s gibt.

Page 60: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-49-

Jan Ch'iu stellte keine weiteren Fragen mehr und zog sich zurück.

Als er am nächsten Tag /Chung Ni/ wieder sah, sagte er zu ihm:

"Gestern fragte ich Euch ob man wissen könne, was vor Himmel

und Erde war. Und Ihr, Meister, habt geantwortet: 'Man kann;

damals war es wie jetzt.1 Gestern schien mir das ganz klar, heute

/aber völlig/ dunkel. Ich wage Euch zu fragen, was das bedeutet."

Chung Ni antwortete: "Gestern war es Dir klar, weil Dein Geist

/meine Antwort/ im voraus empfing.

Ist man le e r e n He r z e n s , /bereit/,. . 152 153

um s e i n e m S c h i c k s a l n a c h z u k o m m e n ,

das ist das E m p f a n g e n des Geistes.

Heute ist es Dir/Völlig/ dunkel, weil Du wohl mit etwas anderem

als dem Geist danach suchst?

W e nn das D e n k e n n a ch etwas strebt ,

kann man es umso w e n i g e r er r e i c h e n .

Es gibt keine Vergangenheit und keine Gegenwart; es gibt keinen

Anfang und kein Ende.

. . 154Es ist ni ch t nur, dass N i c h t s nicht

1 55in Et wa s v e r w a n d e l t w e r d e n kann; Etwas

kann auch nicht in Ni c h t s v e r w a n d e l t

werden. D e s h a l b ist Et wa s so b e s c h a f f e n , dass

es - ob w o h l es sich t a u s e n d m a l verändert;

und u n z ä h l i g e Male v e r w a n d e l t - da be i ni ch t

ei n m a l Ni c h t s w e r d e n kann. Weil es nie

Ni ch ts w e r d e n kann, d e s h a l b gab es von j e ­

her nie eine Zeit, b e v o r der es Et wa s gab,. 1 56

und es w i r d im m e r so w e i t e r g e h e n .

Ist es denn möglich, dass es Söhne und Enkel gab, bevor es

Söhne und Enkel gab?"

Page 61: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-50-

Das b e d e u t e t , G e n e r a t i o n e n und

G e n e r a t i o n e n ohne Ende.

Noch bevor Jan Ch'iu antwortete, sagte Chung Ni: "Halt! - Ant­

worte noch nicht! Nicht vom Leben wird der Tod erzeugt;

Die, die ster be n, m a c h e n eine Selb st -1 57

V e r w a n d l u n g und sind tot. Es ist

ni ch t das Leben, das d i e s e n Tod e r ­

zeugt .

nicht vom Tode wird das Leben getötet.

Die, die leben, h a b e n e b e n f a l l s eine

S e l b s t v e r w a n d l u n g d u r c h g e m a c h t und

le be n n u n .

Sind Tod und Leben /von etwas anderem/ abhängig?

/Nur/ eine S e l b s t v e r w a n d l u n g und damit genug.

Beide gehören in einer einzigen Gestalt zusammen.

Tod und Leben, sie b e i d e v o l l e n d e n

se lb st ihre Gestalt.

Dasjenige, das vor Himmel und Erde erzeugt wurde, ist das ein

Ding? Das, was bewirkt, dass Dinge Dinge sind, ist nicht ein Ding.

Da Dinge hervortreten, können sie nicht den Dingen vorangehen;

/also/gibt es noch /vor/ ihnen Dinge. Gibt es /aber/ noch /vor/

ihnen Dinge, /so ist diese Kette/ ohne Endel

Wer k ö n n t e den D i n g e n v o r a u s g e g a n g e n

sein? Ich k ö n n t e an ne h m e n , dass Yin und

Yang den Di n g e n v o r a u s g i n g e n , a b er Yin

und Y a ng sind ge ra de das, was man Ding nennt.

Page 62: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-51

Wer kö n n t e also noch vor Yin und

Y a ng g e w e s e n sein? Ich k ö n n t e a n ­

nehmen, dass die N a t u r ( (g?

tz u - j a n ) ihnen v o r a n g i n g ; doch die

N a t u r ist e i n f a c h die N a t ü r l i c h k e i t

der Dinge. Ich kö n n t e a n n e h m e n , dass

das e r h a b e n e Tao ihnen v o r a n g i n g ; aber

das e r h a b e n e Tao ist das a b s o l u t e

Nichts. Da es ni ch t e x i s t i e r t , wie

w i e d e r u m kann man a n n e h m e n , dass es

v o r a u s g e h t ? F o l g l i c h we r kö n n t e denn

d e r j e n i g e sein, der den Di n g e n v o r a u s ­

geht? Doch die Dinge e x i s t i e r e n immer

noch, ohne an ein Ende zu kommen. Das

zeigt, dass Dinge von sich se lb st aus

so sind; es gibt ni c h t s / a n d er es /, das

dies b e w i r k t .

Die Liebe, die der Weise den Menschen /entgegenbringt/ und die

nie enden wird, empfängt er überdies auch aus dieser /Quelle/."

Er ni mm t sie aus dem V o n - s e l b s t - s o - s e i n

/der Dinge/. D e s h a l b f l i e s s t seine Güte

ü b e r h u n d e r t (d.h. alle) G e n e r a t i o n e n ,

ohne zu ve r s i e g e n . 1

1 59Yen Yüan befragte Chung Ni und sagte:

"Meister, ich hörte Euch einst sagen, dass es nichts gebe, dem

man nachgehen sollte, und dass es nichts gebe, dem man entgegen­

gehen sollte.0 ' Ich wage es, nach dem Grund /dieser Aussage/ zu

fragen."

Page 63: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-52-

Chung Ni antwortete: "Die Menschen des Altertums veränderten sich

im Aeusseren, aber im Inneren veränderten sie sich nicht.

Indem sie mit dem H e r z e n der Form

folg te n, v e r ä n d e r t e sich die Form von selbst.

Heutzutage verändern sich die Menschen im Innern, aber im Aeussern

verändern sie sich nicht.

Mit dem H e r z e n b e f e h l e n sie der Form.

Derjenige, der sich mit den Dingen verändert, ist eins mit

demjenigen, das sich nicht verändert.

161Er ist immer ohne Herz; d e s h a l b ist

er eins /mit d e m j e n i g e n , das sich/ nicht

v e r ä n d e r t . Ist er /aber/ eins /mit d e m ­

jenigen, das sich/ ni ch t v e r ä n d e r t , dann

kann er sich mit den Di n g e n v e r ä n d e r n .

Verändert er sich etwa? Bleibt er etwa unverändert? u“

Ob V e r ä n d e r u n g o d e r nicht, das ü b e r l ä s s t

er ganz jenem (sc. der Natur). So ist es,

w e nn man ohne Herz ist.

IgoIst er etwa mit den Dingen im Einklang?

G e r a d e z u ohne Herz ü b e r l ä s s t er sie ihrer

S e l b s t v e r ä n d e r u n g . Er b e g l e i t e t sie nicht

und geht ihnen n i c h t e n t g e g e n ; er ist im

E i n k l a n g mit ihnen.

Page 64: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-53-

/Aber/ gewiss wird er mit ihnen (sc. den Dingen) nicht mitge-. 164rissen.

Wenn man w e d e r etwas na c h - noch e n t g e g e n ­

geht, so b l e i b t man bei dem, was genügt.

Hsi We i hatte seinen Park, der Gelbe Fürst*^ hatte seinen

Garten, der Herrscher S h u n ^ ^ hatte seinen Palast und die Herr­

scher T'ang und W u ^ hatten ihre Häuser]

Die T a t s a c h e , dass sie sich 'ohne Herz' den

V e r ä n d e r u n g e n a n v e r t r a u t e n , ist der g e m e i n ­

same Ort, wo alle diese W e i s e n w a n d e l t e n, .1+ 171und v e r w e i l t e n .

Unter den Edlen gab es Leute wie die Lehrer der Konfuzianer und

der Mohisten. In der Folge nahm man ihre Bejahungen und Ver-1 72neinungen und bekämpftesich gegenseitig. Um wieviel mehr gilt

dies für die Menschen von heute.

chi i s t ^ Ü ho, in E i n k l a n g brin ge n.

Die L e h r e r der K o n f u z i a n e r und der M o h i s t e n

g e h ö r e n zu den L e u t e n in der Welt, die

s c h w i e r i g in E i n k l a n g zu b r i n g e n sind. Aber

d e r j e n i g e , der ohne Herz ist, b r i n g t sie

doch in Ei nk l a n g . Um w i e v i e l m e h r tut er

dies mit den g e w ö h n l i c h e n Leuten.

Der Weise lebt inmitten von Dingen, ohne nur eines von ihnen

zu verletzen]^

Das ist die h ö c h s t e F o l g s a m k e i t .

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-54-

Derjenige, der kein Ding verletzt, wird auch von keinem Ding

verletzt.

Es hä ng t von mi r ab, /ob ich v e r ­

letzt w e r d e o d e r n i c h t/ , w e i t e r ist

es nichts.

Nur derjenige, der nichts verletzt, ist fähig, den Menschen nach-

und entgegenzugehen.

Die Berge

Er ist ohne Herz und d e s h a l b v o l l k o m m e n

fügsam. Weil er v o l l k o m m e n f ü g s a m ist,

z e i c h n e t er sich da ri n aus, dass er -

ohne etwas zu haben, dem er na ch - oder

e n t g e g e n g e h t - im Nach- o d e r E n t g e g e n -176

ge he n /die a n d e r e n / ü b e r t r i f f t ,

und Wälder! Die heiligen Haine und die geweihten Ge-

filde! Sie bewirken, dass wir von Entzücken erfüllt und freudig

sind.

B e v o r die Berge und Wälder, die h e i l i g e n

Ha in e und die g e w e i h t e n G e f i l d e w o h l ­

t u e n d auf uns wirk en , e r f r e u e n sie uns

doch schon. Dies ist eine g r u n d l o s er , 1 77F r e u d e .

Doch noch ehe die Freude beendet ist, folgt ihr wiederum die Trauer

Nun /gibt es/ je do ch g r u n d l o s Fr eu de und

g r u n d l o s /gibt es/ a u ch Trauer. So genügt

g e w ö h n l i c h das, was freut ni ch t, um sich

zu freuen, und das, was t r a u r i g stimmt, ge- •• • u 178nugt nicht, um zu trauern.

Page 66: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-55-

Wenn Trauer und Freude kommen, können wir ihnen nicht wider­

stehen; wenn sie uns verlassen, können wir sie nicht aufhalten.

Ach! wie traurig, dass Menschen in der Welt bloss eine Herberge

f Li r die Dinge sind.

. . . . . 179Wir sind u n fä hi g, alles zu v e r g e s s e n

und es (sc. Tao) von se lb st zu er la n g e n ,

und so sind T r a u e r und Fr eu de das, was

/bei uns/ ein- und ausgeht.1 80

Nun /die Menschen/ kennen das, was ihnen begegnet und sie kennen

nicht, was ihnen nicht begegnet.

Was der V e r n u n f t b e g e g n e t , ist Wissen,

was der V e r n u n f t nicht b e g e g n e t , ist

N i c h t - W i s s e n .

Sie können was sie können, aber sie können nicht, was sie

nicht können.

Es ist u n m ö g l i c h , /wenn man e t w a s / nicht

kann, /sich/ g e w a l t s a m /d az u zu/ b e f ä h i g e n .

Von d i e s e m S t a n d p u n k t aus b e t r a c h t e t , sind

die N o r m e n von W i s s e n und Ig no ranz, F ä h i g k e i t

und U n f ä h i g k e i t ni ch t von m i r ab hä ng ig ;181/ s om it / muss ich sie der N a t u r ü b e r l a s s e n .

Ignoranz und Unfähigkeit ist das, wovon sich die Menschen be­

stimmt nicht befreien können.

/Wenn man das/ L e b e n erhält,m . , 1 8 2 Teil.

hat jeder se i n e n

Page 67: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-56-

Und doch gibt es solche» die sich damit beschäftigen, sich da­

von zu befreien, wovon die Menschen nicht befreit werden können -

was kann man da anders, als traurig sein? Die vollkommene Rede

hat die Worte verlassen, das vollkommene Tun hat das Handeln ver­

lassen.

Alles w i rd von se lb st er re ic ht .

Sich das bekannte Wissen aneignen - das ist wahrlich eine seichte

Angelegenheit!

Wer /das Tao/ durch die V e r n u n f t e r ­

l a n g e n will, ist einer, der auf fa ls ch e

Weise lernt, d e s h a l b ist es eine seic ht e

A n g e l e g e n h e i t .

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A N H A N G

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-57-

Das Denken Kuo Hsiangs

Als wir uns kurz mit dem Leben und der Zeit Chuang-tzus be­

schäftigten, haben wir festgestellt, dass sein "Weg nach Innen"

den andere den quietistisehen Weg nennen, nicht losgelöst von

den Wirren der Zeit betrachtet werden sollte.

In der Wei-Chin-Zeit haben wir es wiederum mit politischen und

gesellschaftlichen Ereignissen zu tun, die denen der Chan-kuo-

Zeit in vielen Fällen durchaus ähnlich sind. Diese Parallelen, die

nicht von der Hand zu weisen sind, lassen nun den Schluss zu, dass

sich der Mensch in Zeiten sozialer Unsicherheit meistens auf

sich selbst besinnt. Auf diesem Schluss aufbauend könnten wir das

Denken der Wei-Chin-Zeit unter diesem Aspekt weiter verfolgen.

Würden wir unsere Untersuchung auf diesen Schluss basierend unre­

flektiert aufnehmen, würde ein zentrales Element vernachlässigt,

nämlich die Frage: Wer sind die Denker, deren Denken es zu be­

denken gilt? Damit aber wäre die Brauchbarkeit der Analyse

bereits stark relativiert.

Wir haben es hier nicht mit Gedanken eines Eremiten zu tun,

sondern mit Gedanken von Politikern und Beamten, die ausnahms­

los in direktem Kontakt mit den rivalisierenden Machtzentren

stehen und zum Teil als deren Sprachrohr betrachtet werden

müssen. In der groben Situationsskizze, die in der Einleitung

vorgelegt wurde, ist bereits - allerdings stark simplifizierend -

auf die die verschiedenen Machtrivalen begleitenden Ideologien

hingewiesen worden. Um Kuo Hsiangs Werk adäquat zu beurteilen,

müssen wir einige Ergänzungen anbringen.

Die Ideologie der Traditionalisten, deren Repräsentanten die

Ssu-ma waren und die an einer Refeudalisierung des Staates i n -

"Lehre von den Namen", das heisst, jedem Namen ist die ihm ent­

sprechende Realität (shih ) zuzuordnen.

teressiert waren, hiess Ming-chiao ( ). Es war dies die

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-58-

Praktisch bedeutet dies soviel wie: Entsprechung gegenüber den

tradierten Moralbegriffen der konfuzianischen Klassiker. Wir

sehen in dieser Ideologie eine konservative realistische Ten­

denz mit starker Betonung auf sozialen Pflichten, Riten, Loya­

lität und kindlicher Pietät.

Die neuen Machthaber, die Ts'ao, treten für das Prinzip der

Natürlichkeit ( Igj fvfl tzu-jan) ein und plädieren für die Er­

füllung der eigenen Natur, verwerfen also jeden künstlichen Mass­

stab.

Nun, es wäre voreilig, wollte man auf Grund dieser Aussage die

Ssu-ma Tradition als "antifreiheitlich", die der Ts'ao aber als

liberale Bewegung herausstreichen. Im Grunde geht es weniger

um "Freiheit" als um Legitimierung der verschiedenen Machtan­

sprüche, und dazu schöpfen beide Gruppen aus verschiedenen geistes­

geschichtlichen Quellen.

Männer wie Ts'ao Ts'ao^ verdankten die Macht ihren persönlichen

Fähigkeiten und "der Gunst der Stunde" und verwarfen - dies ver­

steht sich von selbst - Losungsworte wie "Sittlichkeit und Pflicht­

gefühl" ( 4- jen-i) oder "Loyalität und kindliche Pietät"

jr chung-hsiao), hätten sie doch höchstens gegen ihr

eigenes Verhalten gesprochen und ihren Machtanspruch relativiert.

Anders dagegen stand es bei den grossen Familien. Für sie stellten

gerade solche Parolen und die damit verbundene Ideologie den

Rückhalt ihres Machtanspruches.

Es ist leicht einzusehen, dass das legi stisehe Gedankengut dem

ikonoklastisehen und pragmatischen Programm der T s 'ao-Fraktion

äusserst dienlich war; schwieriger erscheint es allerdings, die 1

1 Ts'ao Ts'ao, dessen Vater vom Chef-Eunuchen des Kaisers Ling Ti (156 - 189) adoptiert worden sein soll (vergl. Giles; Biogr. Diet. No. 2013), hatte also alles andere als "hohe Abstammung'.'

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Hsüan Hsüeh ( ) oder "Lehre vom Geheimnisvollen"^ mit

den Zielen der Wei-Dynastie in Einklang zu bringen. Analysiert

man die Fragmente von Ho Yen und die "Kommentare", die Wang Pi

zu Lao-tzu und dem I-ching schrieb, etwas näher, so tritt die2

Verbindung mit der Wei-Dynastie deutlich hervor.

So bringt Ho Yen in seinem Gedicht Ching-fu tien ( fr I S I S . )3die neue Dynastie mit der Natur und den menschlichen Gefühlen in

Verbindung und in sei nen "Gesprächen über Tao" ( Iffn tao-lun)

heisst es: "um produziert zu werden, hängt das Wirkliche in

seinem Werdegang vom Nicht-Wirklichen ab.Um vervollständigt zu

werden, müssen die Ereignisse aus dem Nicht-Aktuellen hervor- 4

gehen." Und Wang Pi wird in seinem Lao-tzu-"Kommentar"

(Kap. 1) noch deutlieher:"Al 1 es Wirkliche nimmt seinen Anfang

im Nicht-Wirklichen.Bevor etwas Form annimmt - während es immer

noch namenlos ist -ist es (das Tao) der Anfang der Zehntausend

Dinge ..."^

Oberflächlich betrachtet, scheint dies eine Art "Nihilismus"

oder quietistische Weltflucht zu sein - Elemente, die diesem

Denken nicht abzusprechen sind - doch in der Cheng-shih-Aera

(240-249) hatten diese Aussagen politische Brisanz, weil Pa­

rolen wie:"alles Wirkliche nimmt seinen Anfang im Nicht-Wirklichen

und "bevor etwas Form annimmt - während es noch namenlos ist"

nur andere Ausdrücke für "ohne Vorgabe anfangen" waren*?

Ts'ao Ts'ao und seine Nachfolger waren geradezu genötigt, mit

der Tradition zu brechen, weil sie selbst keine Tradition vor- 1

1 Der von Fung Yu-lan eingeführte Begriff "Neotaoismus" (Fung Yu-lan; Historyof Chinese Philosophy, Vol. II p. 168) ist m.E. zu verwerfen. Ebensogut könnte man von einer "Metaphysik des Neolegalismus" sprechen. Der Begriff Hsüan Hsüeh umschreibt eine Denkart einer bestimmten Epoche und es ist nicht einzusehen, warum man nicht bei diesem Begriff bleiben sollte.

2 vergl. R.B. Mather; The Controversy over Conformity and Naturalness during the six Dynasties; in: History of Religions Vol. 9 Nr. 283, p. 163

3 ebd. p. 163

4 ebd. p. 164

5 ebd. p. 164

6 ebd. p. 164

Page 72: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-60-

weisen konnten. Und es war primär die Aufgabe der Hslian Hsüeh,

die Grundlagen einer neuen Moral zu legen, die auffallende Aehn-

lichkeit mit der aus dem Existentialismus hervorgetretenen

"Situationsethik" hat! Alle Initiative des Menschen ist situa­

tionsbedingt, zugleich aber auch situationsgestaltend. In der

Situation muss der Mensch handeln; wie er aber zu handeln hat,

schreibt sie ihm nicht vor. Darin hat er seine Freiheit.

Diese Freiheit und Spontaneität ist grundsätzlich das, was Ho

Yen und Wang Pi unter "Natürlichkeit" verstehen. Man tut das,

was jeder Situation entspricht und nicht das, was in den "Ana-9

lekten" und im "Buch der Riten" stehtt

Mit dem coup d'etat der Ssu-ma-Fraktion (249) verstummte der

polemische Ideologienstreit weitgehend, und ein allmähliches

Vermischen der beiden Gedankenschulen wurde absehbar. In

mehreren Fällen scheint man sehr früh schon beiden Richtungen

gleichzeitig angehört zu habend Bald galt die Devise: "Natür­

lichkeit nach Innen - Konformität nach aussen." Eine Devise,

auf der aufbauend Kuo Hsiang, wie wir im weiteren sehen werden,

sein Werk, den Chuang-tzu-"Kommentar" schuf; sagt er doch :

"Weder gab es jemanden, der ein universelles Durchstreifen des

Ausserweltlichen vollendet hätte, ohne gleichzeitig mit dem Inner­

weltlichen verbunden gewesen zu sein; noch gab es einen, der mit 1

1 vergl. R.B. Mather; The Controversy over Conformity and Naturalness during the six Dynasties; in: History of Religions Vol. 9 Nr. 283, p. 165

2 ebd. p. 165

3 Aus einem Streit innerhalb des Konfuzianismus zwischen der "religiös aus­gerichteten Neutextschule" und der "diesseitig-historisch ausgerichteten Alttextschule" war letztere als Siegerin hervorgegangen. Somit war die Ming-chiao eigentlich weitgehend mit der Alttextschule identisch - ohne Metaphysik. Der von Wang Pi geschaffene Lao-tzu"Kommentar" enthielt aber eine solche, deren Aufnahme in die Ming-chiao wenig im Wege stehen sollte, war sie doch von einem Literatus geschaffen worden, vergl. dazu E. Zürcher; The Buddhist conquest of China, p. 45 f.

4 vergl. Mather op. cit. p. 168 f

5 ebd. p. 169, vergl. das Gespräch zwischen Juan Hsiu (dem Sohn Hsiang Hsius) und dem Grossmarschall Wang Yen.

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-61 -

dem Innerweltlichen mystisch verbunden gewesen wäre, ohne das

Ausserweltliche zu durchstreifen. Aus diesem Grunde durchstreift

der Weise ständig das Ausserweltliche, um das Innerweltliche aus- zuwe i ten ."

Das Tao Lao-tzus ist eine unfassbare Realität, der Ursprung aller

Dinge, der seinerseits ursprungslos ist und ewig in sich selbst

ruht. Obwohl Tao nicht in einer Kategorie mit irgendeinem Ding

gesehen werden kann, entspringen alle Dinge dem Tao, existieren

in ihm und können nicht von ihm getrennt werden. Folglich ist

Tao, egal von welchem Standpunkt aus auch immer betrachtet,

kein Sein, doch der Ursprung allen Seins. Dies führt dazu, dass

Tao oft "Wu" ( Nicht-Sein) genannt wird, in dem Sinn, dass

es selbst kein Ding ist. Doch mit diesem "Wu" ist nicht das

"Nichtsein" - der komplementäre Gegenbegriff des Seins - gemeint.

"Wu", Nicht-Sein, transzendiert das koordinierte Begriffs­

paar Sein und Nichtsein und bedeutet soviel wie absolute Reali­.. 2

tat. Die Handlungsweise von Tao ist das "Nicht-Handeln", und

ohne diese wäre keinem Wesen eine Handlung möglich. Die Hand­

lungsweise von Tao ist gleichsam die fundamentale Handlungs­

weise, die die verschiedenen Handlungsweisen aller Dinge her­

vorruft und ermöglicht. Diese Handlungsweise von Tao wird auch

die "Natürliche" ( g] tzu-jan) genannt.

Tao ist räumlich, zeitlich und in seiner Wirkung grenzenlos,

konstant und ewig. In diesem Sinne wird Tao auch "das Grosse"3 .

oder das "Ewige" genannt. Bei Chuang-tzu wird Tao mehr oder weniger 1

1 vergl. Mather, op. cit. 169

2 Das stimmt weitgehend mit der Interpretation von Duyvendak überein, wenn er sagt: "L'alternance entre le Non-être et l'Etre est la nature même de la Voie" vergl. Duyvendak; Le livre de la voie et de la vertu, p. 5

3 zitiert aus: Kimura Eiichi; A new Study on Lao-tzu, in: Philosophical Studies of Japan, Vol. I, 1959

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-62-

in der gleichen Bedeutung verwendet. Es umfasst das ganze ver­

änderliche, sich stets in Wandlung befindende Universum und auch

das schöpferische Prinzip der Aenderungen. Das Tao ist zugleich

das Sein und das Nichtsein, das Nichts, aber auch die Negation

des Nichts.

Bei Wang Pi wird der Ausdruck Tao weitgehend durch den Terminus

"Wu", Nichtsein - nun im Sinne des Gegenbegriffs von Sein - ersetzt! Tao verliert somit die ihm von Lao-tzu und Chuang-

tzu zugedachte - Sein und Nichtsein transzendierende - absolute

Position. Kuo Hsiang geht einen Schritt weiter als Wang Pi und

sagt:

Wer könnte den Dingen vorausgegangen sein?

Ich könnte annehmen, dass Yin und Yang den

Dingen vorausgingen, aber Yin und Yang sind

gerade das, was man Ding nennt. Wer könnte

also noch vor Yin und Yang gewesen sein?

Ich könnte annehmen, dass die Natur ( g ....

tzu-jan) ihnen vorausging; doch die Natur ist

einfach die Natürlichkeit der Dinge. Ich

könnte annehmen, dass das erhabene Tao

ihnen voranging; aber das erhabene Tao ist

das absolute Nichts, Da es nicht existiert,

wie wiederum kann man annehmen, dass es

vorausgeht? Folglich, wer könnte denn der­

jenige sein, der den Dingen vorausgeht?

Doch die Dinge existieren immer noch, ohne

an ein Ende zu kommen. Das zeigt, dass

Dinge von sich selbst aus so sind; es gibt2

nichts anderes, das dies bewirkt. 1

1 vergl. Ch'ien Mu, Chung-kuo ssu-hsiang shih, S. 131

2 vergl. oben S. 50 f

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Kuo Hsiang eröffnet uns mit dieser Aussage den weiteren Zu­

gang zu seinem Denken, indem er feststellt, dass Tao das

absolute Nichts sei. Der bei Lao-tzu und Chuang-tzu mit Tao

verbundene Begriff "Wu" (Nicht-Sein) - im Sinne des Unbenenn-

baren - aus dem nach taoistischen Vorstellungen alles hervor­

tritt, erfährt durch Kuo eine radikale Uminterpretation. "Wu"

wird zu "Nicht-Vorhandensein", zu Nichts.

Auch das komplementäre Gegensatzpaar von Sein und Nichtsein,

das bei Wang Pi eine zentrale Stelle einnimmt, wird durch­

schnitten. Kuo Hsiang sagt:

Es ist nicht nur, dass Nichts nicht in

Etwas verwandelt werden kann; Etwas kann

auch nicht in Nichts verwandelt werden.

Deshalb ist etwas so beschaffen, dass es -

obwohl es sich tausendmal verändert und

unzählige Male verwandelt - dabei nicht

einmal Nichts werden kann. Weil es nie

Nichts werden kann, deshalb gab es von

jeher nie eine Zeit, bevor der es Etwas

gab, und es wird immer so weitergehen!

Die Dinge sind, wie wir bereits gesehen haben, von sich aus so

wie sie sind, sich selbst überlassen in ihrem Dingsein. Er

unterstreicht diese Tatsache, wenn er sagt, dass

sie von allein entstehen, ohne Unter­

stützung oder Anlehnungsmöglichkeit?

Nicht nur, dass alles von selbst entsteht, die Dinge verändern

und wandeln sich ebenso von selbst - spontan; das ist das, was

Kuo Hsiang unter "Selbstverwandlung" tu hua) versteht? 1

1 vergl. oben S. 4-9

2 vergl. oben S. 29

3 Tod und Leben sind Aspekte der Selbstverwandlung, vergl. oben S. 35 f

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Nachdem wir gesehen haben, dass die Dinge sich selbst überlassen

sind, dass sie von selbst entstehen, sich von selbst wandeln und

verändern, ohne dass je eine andere, höhere Realität eingreift,

drängt sich die Frage nach der universalen Ordnung und damit

verbunden nach den Beziehungen der Dinge untereinander auf.

Zwei Termini, nämlich $ fen und s f li nehmen im Denken Kuo

Hsiangs hervorragende Bedeutung ein. Da es mir unmöglich scheint,

diese beiden Ausdrücke durch einen adäquaten westlichen Begriff

zu ersetzen, sie aber andererseits die beiden tragenden Pfeiler

in Kuos Denkgebäude darstellen, können wir nicht umhin, sie

näher zu betrachten, um ihre Bedeutung einigermassen einzukreisen.

fen hat die Bedeutung Teil, Anteil - aber auch das Zugeteilte

und, daraus abgeleitet, im übertragenen Sinn, das zugeteilte Los

oder die vorgegebene Bestimmung. Der Ausdruck "fen" hat ursprüng­

lich primär soziale Bedeutung: es ist die den Individuen beziehungs­

weise den verschiedenen Individuenklassen zugeteilte Rolle - sei

es im kosmischen All, sozial oder politisch - die das einzelne

Individuum strikte beachten muss, um seine eigenen Funktionen

und spezifischen Aufgaben erfüllen zu können, die ihm in der

Gemeinschaft obliegen. Somit hat jeder nach seinem Rang und seiner

Natur zur Erhaltung der organisierten Ordnung beizutragen] Es

sind dies Ueberlegungen, die in der Wei-Chin-Zeit, sei es in

Verbindung mit dem Beamtenauswahl System als auch im Zusammen­

hang mit den Ideen der Ming-chiao> äusserst relevant waren.

Kuo Hsiang transponiert nun dieses gesellschaftspolitische2

Konzept auf eine metaphysische Ebene. Jedes Ding hat seine

genau bestimmten Fähigkeiten und Eigenschaften, die ihm als 1

1 P. Demiéville; Langue et literature chinoise in: Demiéville: Choix d'Etudes Sinologiques (1921 - 1970), p. 89 ff, Leiden 1973

2 Demiéville, op. cit. p. 91; bemerkt dazu: "La conciliation de ce système (sc. "fen") avec le taoïsme de Tchouang-tseu est un véritable tourde force."

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Grundkonstanten inhärieren. Kuo Hsiang sagt:

Jeder einzelne hat seine Grundzuteilung

< * 9 pen-fen), die er als seine ange­

borene Natur erhalten hat, niemand kann

ihr entfliehen und niemand kann etwas

hi nzufligenl

Doch wenden wir uns nun vorerst dem Begriff " 1i" i E zu, der

mit dem Begriff "fen" in Verbindung gebracht wird.

"li" bedeutet in seinem Ursprung!ichen Sinne die Musterung

von Jade oder Muskelfasern; als Verb bezeichnet es das Zer­

teilen von Dingen gemäss ihrer natürlichen Maserung oder Unter­

teilung. Von dort bezog es die gewöhnliche Wörterbuchübersetzung

"Prinzip", li ist aber nicht als formuliertes Gesetz, son­

dern eher als die Ordnung und die Muster der Natur zu verstehen.

Doch kein Muster, das - gleich einem Mosaik - als etwas Totes

betrachtet wird; es ist ein dynamisches Muster, das sich in

allem Lebendigen verkörpert, in sozialen Beziehungen genauso wie2

in den höchsten menschlichen Werten.

Kuo Hsiang verwendet den Ausdruck "li" als Natur oder Prinzip

der Wesen oder Dinge (#g tf. wu-li) oder als natürliche Ord­

nung ( ^ tf t'ien-li). Jedes Ding hat sein eigenes " 1i".3

Das sich selbst genügende "li" des begrenzten Einzelwesens

repräsentiert und manifestiert das universale "li", gleichsam

als mikrokosmischer Organismus im Makrokosmos. Die Verschieden­

heit aller, den Dingen inhärenter "li" resultiert aus ihren unter­

schiedlichen Bestimmungen (fen /? ). Proportional zur Erfüllung 1

1 zitiert nach E. Zürcher; The Buddhist Conquest of China, p. 92

2 vergl. J. Needham; Wissenschaftlicher Universalismus, S. 283

3 vergl. Chan Wing-Tsit; Neo-Confucianism etc., p. 414

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von "fen" nähert sich "li" seiner Vollendung.

Kuo Hsiang sagt:

Wenn das "li" zu seinem höchsten Punkt

gebracht wird, werden Innen und Aussen

wechselseitig miteinander verschmolzen!

Mit dem "li" in höchster Potenz öffnet Kuo Hsiang den Weg zum

Unendlichen; die Antithesen des Endlichen wie Leben und Tod,

Gut und Böse, Ich und Andere, Subjekt und Objekt werden gelöst.

Zurück zu den Fragen nach der universalen Ordnung und den Be­

ziehungen der Dinge untereinander.

Wir haben gesehen: jedes Ding ist ein Selbst und für jedes

Selbst ist alles übrige das Andere. Kuo Hsiang orientiert sich

bei seinen Ueberlegungen weitgehend am menschlichen Körper.

Zwar "funktioniert" jeder Körperteil auf den ersten Blick un­

abhängig vom anderen - auch ist die linke Hand für die rechte

die Andere - doch nur vereint bilden die Körperteile die na­

türliche Einheit. Und das Ganze ist mehr als die Summe seiner

Teilel In Uebereinstimmung mit seinen Betrachtungen am menschlichen

Körper gelangt er zur Einsicht, dass jeder Körper das ganze Uni­

versum benötigt, um das sein zu können, was er ist.

Kuo Hsiang sagt:

Wenn ein Mensch geboren wird, so unbe­

deutend er auch sein mag, hat er die

Eigenschaften, die er notwendigerweise

hat. So trivial sein Leben auch sein

mag, benötigt er das ganze Universum als

Voraussetzung für seine Existenz. Alle Dinge, 1

1 zitiert nach Fung Yu-lan, A History of Chinese Philosophy, Vol. II, p. 236

2 vergl. dazu P. Demieville, op. cit. p. 52

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-67-

die im Universum existieren, können

nicht aufhören zu existieren, ohne eine

gewisse Wirkung auf ihn auszuliben!

Wir können also sagen, dass Kuo Hsiangs Ordnungs- und Beziehungs­

konzeption weitgehend organisch bestimmt ist.

Kuo Hsiang betrachtet das Universum als einen immensen, sich in

ständigem Wandel befindlichen Organismus. Er sagt dazu:

Wandlung ist eine Kraft, nicht wahrnehm­

bar doch äusserst stark. Sie bewegt Himmel

und Erde dem Neuen entgegen, und führt

Berge und Hügel weg vom Alten. Das Alte

hält keinen Augenblick inne, sondern wird

sofort zum Neuen. Alle Dinge wandeln sich

unaufhörlich ... Alles was uns begegnet

vergeht auf geheimnisvolle Weise. Wir selbst

in der Vergangenheit waren nicht wir selbst

in der Gegenwart. Wir müssen noch immer mit

der Gegenwart fortschreiten; wir können nicht2

bewegungslos bleiben.

Der unaufhörliche, ständige Wandel der Natur hat notwendiger­

weise auch seine Auswirkungen im sozialen Leben. Moral und

Institutionen sind ebenso den Veränderungen der Zeit unter­

worfen wie der Mensch. 1

1 zitiert nach Fung Yu-lan; Chuang Tzu, p. 149

2 zitiert nach Fung Yu-lan; A short History of Chinese Philosophy, p. 223

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Kuo Hsiang sagt:

Die Moral gehört zur menschlichen Natur,

doch diese Natur wandelt sich entsprechend

den Unterschieden zwischen Vergangenheit und

Gegenwart. Wenn man daher in ihnen (den Moral­

begriffen der Vergangenheit) verweilt und dann

weitergeht, hält man an seiner Unauffälligkeit

fest. Doch wenn man es zulässt, dass man da­

durch gehemmt und an einen Ort gebunden wird,

so wird man auffällig. Indem man auffällig

wird, entwickelt man Künstlichkeit und mit

dieser Künstlichkeit lädt man viel Tadel auf

sich.

und weiter sagt er:

Die Verordnungen der früheren Könige ent­

sprachen den Bedürfnissen der Zeit. Exis­

tieren sie weiter wenn sich die Zeiten än­

dern, so werden sie zum Schreckgespenst

für die Menschen und beginnen künstlich zu

werden.

Wir sehen in diesen Aeusserungen Kuo Hsiangs seine Bereitschaft,

das von ihm entworfene organische Weltbild mit allen Konse­

quenzen durchzudenken. Dieser meines Erachtens äusserst ehrliche

Ausgleischversuch zwischen Konformität und Natürlichkeit stellte

in der chinesischen Geistesgeschichte zweifellos ein Novum dar.

Er scheint sich indessen bewusst gewesen zu sein, dass seine Ge­

danken nur wenige erreichen. So sagt er an einer anderen Stelle:

In der Gesellschaft kann sich der Mensch nicht

von seinen Mitmenschen trennen. Die Veränderungen 1

1 zitiert nach Fung Yu-lan, A History of Chinese Philosophy, Vol. II, p. 214

2 zitiert nach Fung Yu-lan, Chuang Tzu, p. 151

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in der Gesellschaft wandeln sich von Ge­

neration zu Generation entsprechend ver­

schiedenen Massstäben. Doch nur dieje­

nigen, die keine zielgerichteten Gedanken

haben und ihre eigene Urteilskraft nicht

gebrauchen» können sich den Veränderungen

anpassen und werden von ihnen nicht be­

lastet!

Wer ist nun derjenige, der seine eigene Urteilskraft nicht ge­

braucht, das heisst der, der nicht mehr urteilt, nicht mehr

abwägt? Es ist derjenige, der sich von Wissen und Erkenntnis2

getrennt hat, beide verwarf und sich nur der Natur anvertraut.

Kuo Hsiang sagt von ihm:

Er veranlasst, dass ein jedes Ding seine wahre

Bestimmung bewahrt. Das ist alles! Deshalb handelt3

er, ohne Wissen und Erkenntnis zu gebrauchen.

Der Weise oder der ideale Mensch ist derjenige,der seiner Be­

stimmung optimal nachkommt und "nicht-handelt" ( 3 ® wu-wei).

"Nicht-Handeln" heisst aber keineswegs, dass man überhaupt nichts

tun soll, sondern vielmehr, dass man die Absichten des Herzens

beseitigt, etwas tun zu wollen, und der Natürlichkeit der Dinge

absichtslos folgt. Kuo Hsiang bemerkt dazu:

Einige Leute, die von der Theorie des Nicht­

Handelns hörten, glauben, es sei besser, sich

niederzulegen als zu gehen. Diese Leute sind

allerdings weit davon entfernt, die Gedanken4

Chuang-tzus zu verstehen. 1

1 zitiert nach Chan Wing-Tsit; a source book of Chinese philosophy

2 vergl. S . 31 dieser Arbeit

3 vergl. S. 31 dieser Arbeit

4 zitiert nach Fung Yu-lan; A short History of Chinese Philosophy, p. 225

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Kuo Hsiangs Vorwurf an solche Leute^ hat sicher seine Berechtigung,

doch muss erwähnt werden, dass Kuos Interpretation ebenfalls stark

von Chuang-tzus "wu-wei"-Verständnis abweicht. Während Chuang-tzu,

wie wir gesehen haben, bereits die gesellschaftliche Ordnung als

künstliches Gebilde ablehnte, ist diese ein integraler Bestand­

teil in Kuos System. So schreibt er:

"Nicht-Handeln" ist in seiner Wesenheit gross,

denn wo gibt es auf der Welt einen Ort, wo es

nicht praktiziert wird? Wenn daher der oberste

Herrscher nicht in die Aufgaben des Premier­

ministers eingreift, kann der Premierminister

seine Verwaltung in Ruhe führen. Wenn der Pre­

mierminister nicht in die Aufgaben seiner ver­

schiedenen untergebenen Beamten eingreift,

können diese Beamten ihre Aufgaben in Ruhe

erfüllen. Wenn die Beamten nicht ins Handeln

der Menschen als Ganzes eingreifen, können die

Menschen ihren Beschäftigungen in Ruhe nach­

gehen. Wenn die Menschen die Fähigkeiten, die

entweder ihnen selbst oder den anderen gehören,

nicht verwechseln, dann ist überall auf der

Welt das, was einem selbst oder den anderen ge­

hört, friedlich und automatisch festgelegt. Wer

kann daher vom Himmelssohn (i.e. der Kaiser)

bis hinunter zum gewöhnlichen Volk, die In­

sektenwelt, die noch tiefer liegt, eingeschlossen,

darauf hoffen, durch Eingreifen Erfolg zu haben?

Deshalb, je mehr man "Nicht-Handeln" prakti-. 2

ziert, umso eher wird man geehrt. 1

1 der Vorwurf dürfte an Leute wie die "Acht freien Geister" (pa-ta /K '\W_ )gerichtet sein, eine "recht freie Gesellschaft" Ende des 3. Jh. n. Chr. vergl. dazu die Anekdoten im Shih-shuo Hsin-yü

2 zitiert nach Fung Yu-lan; History of Chinese Philosophy, Vol. II, p. 216 f

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Nachdem wir gesehen haben, wie engmaschig Kuo Hsiang sein

streng deterministisches System strukturiert, bleibt abschliessend

noch die Frage nach der Freiheit des einzelnen Individuums.

Sie ist bei Chuang-tzu das zentrale Thema.

Nach Kuo Hsiangs Ansicht besteht sie darin, dass, wenn das In­

dividuum in vollkommener Uebereinstimmung mit seinem. Schicksal

und seinen Fähigkeiten lebt, sich sein "li" der Vollendung

nähert. Dort lösen sich, wie bereits gesehen, die Antithesen

des Endlichen auf, und der Weg zum Unendlichen öffnet sich.

Nur derjenige, der die Unterscheidung

zwischen den Dingen nicht kennt und der

grossen Evolution folgt, kann wirklich

unabhängig und immer frei sein! 1

1 zitiert nach Fung Yu-lan, Chuang Tzu, p. 34

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ANMERKUNGEN ZUR UEBERSETZUNG

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1 ffo ch i h = chih Kraft, die Sachen und Dinge unter­

scheiden kann, vergl. Couvreur Dict.Cl. de la langue Chinoise

p. 247: Celui qui sait apprécier les choses à leur juste valeur.

Der Ausdruck Intel 1ekt als Inbegriff derjenigen geistigen

Funktionen (Vergleich, Abstraktion, Begriffsbildung, Urteil,

Schluss usw.), die aus Wahrnehmungen Erkenntnisse machen,

bzw. schon vorhandene Erkenntnisse kritisch sichten und zer­

gliedern, scheint mir hier angebracht und treffender als

das "Wissen", die "Erkenntnis" u.a.

2 Das Schriftzeichen yin bedeutet: geheimnisvoll , verborgen,

verschleiern, also etwas, das schwer wahrnehmbar ist; fen

bezeichnet nach dem CWTTT 9816, die Art und Weise, wie man einen

Hügel hochsteigt. Der Ausdruck "Undeutlichkeit" wurde hier ge­

wählt, weil er im Symbolgehalt ohne weiteres mit demjenigen des

dunklen Wassers überein stimmt. Das Bild kann auch die Weltabge­schlossenheit des Einsiedlers suggerieren.

3 Uebersetzt man Wort für Wort, so ergibt sich: "nicht handeln

aussagen". Diese drei Schriftzeichen rufen einleuchtend einen

psychischen Zustand hervor, in dem jede menschliche Anstrengung

gebannt ist. Im Grund genommen ist wu-wei eine Art intendierte

Absichtlosigkeit, die, jedes willentliche Streben übersteigend,

die reinste Form einer schöpferischen Spontaneität darstellt.

4 Die von der Aussage des Nichthandelns gegebene, bzw. nicht ge­

gebene Antwort, ist charakteristisch für den im wu-wei erreichten

ontologischen Zustand.

5 Uebersetzt man den doppelten Ausdruck Wort für Wort, so er­

gibt sich: Fuchs Leere. Der Fuchs, Sinnbild der List und des

Argwohns, wird in der chinesischen Tradition als lebendes Sym­

bol des Zweifels betrachtet. Die Leere des Fuchses kann somit

als Entleerung des Zweifels verstanden werden. Dieser Aus­

druck kann für einen psychischen Zustand stehen, in dem

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-73-

jeglicher Zweifel fehlt.

6 Uebersetzen wir die beiden Schriftzeichen Wort für Wort, so

ergibt sich: der tollwütige Hund sich beugen.

Abgeleitet von der ursprüng1ichen Bedeutung "der tollwütige

Hund" hat das Schriftzeichen den Sinn erhalten: "Aspirer à faire

de grandes choses et n'en être pas capable, avoir de grandes

maximes sur les lèvres et ne pouvoir les mettre en pratique,

former des projets qui sont au-dessus de nos forces"(Couvreur ,

p. 572), was sicher mit dem Ausdruck "Narr" wiedergegeben

werden kann. Das Bild des gebeugten Narren kann meines Erachtens

durchaus symbolisch für einen zur Einsicht Gelangenden stehen.

7 Das Verhalten des gebeugten Narren bestätigt den in Anmerkung

5 angenommenen Symbolgehalt.

8 Die Antwort des Gelben Fürsten enthält eine ganze Anzahl Nega­

tionen auf die vom Intellekt gestellten Fragen, der die

konkrete und ungeteilte Ganzheit gerne in partielle, und somit

abstrakte Dualität aufteilt. Es gilt hier zu bedenken, dass

die Negation ganz allgemein eine gebräuchliche Form der re­

ligiösen Aussage vom Numen ist, die den Charakter des Ausser-

rationalen betonen soll, vor allem in der Mystik. Das "Nicht"

wird als die explizite Beziehung der Verschiedenheit betrachtet,

ohne Rücksicht auf die positive Bestimmtheit, die dem als ver­

schieden Konstatierten zukommt.

9 vergl. Lao tzu Kap. 56: "Ein Wissender redet nicht; ein Re­

dender weiss nicht." (Debon, Reclam S. 87).

10 vergl. Lao tzu Kap. 2: "Deshalb der Heilige Mensch: Er ver­

weilt beim Geschäft des Ohne-Tun, er lebt die Lehre des Nicht­

Redens." (Debon s Reclam S. 28).

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11 Wie das Wort Tao in vielen Uebersetzungen sehr verschieden

wiedergegeben wird, so geschieht das auch mit "Te". Te wird

am häufigsten mit Tugend wiedergegeben. Doch hat das Wort

Tugend im christlich-abendländischen Raum einen stark reli­

giösen, ja einen frommen Beiklang. Der Begriff Tugend, der

für das theologische und ethische Denken im abendländischen

Bereich sehr wichtig war, darf nicht mit dem Ausdruck "Tugend",

mit dem das chinesische "Te" wiedergegeben wird, vermengt werden.

Richtig beschreibt Duyvendak das "Te" als: "les qualités qui

sont propres à chaque chose ... c'est ce qu'on apelle T Ö ,

la vertu, la Force spirituelle". (Duyvendak; Tao Tö King, p. X)

Der berühmte japanische Chuang-tzu-Forscher, Mitsuji Fukunaga,

erörtert den Begriff "Te" wie folgt: "Im Kapitel T'ien-ti

gibt es folgende Sätze : „Erl angt man das Wesen der Dinge (Tao)

und lebt damit weiter, so nennt man das Te "S* n- In diesem

Sinne heisst ein Leben Te , wenn der Mensch das Tao (das

Wesen der Dinge) erreicht und sein Leben dadurch zur VollendungJ&.

bringt. Im Kapitel Chiai-lao^rf ^ des Han Fei Tzu heisst es:

„Die Vollendung des Lebens heisst Te % . Was Te anlangt,

1 osigkeit) . „ Der Begriff Te > wird auch im Konfuzianismus

verwendet und bezeichnet dort die Wahrung der (konfuzianischen)

Moral. Darum kann es für den Konfuzianismus mit „Tugend,, über­

setzt werden. Bei Chuang-tzu aber bedeutet es etwas völlig

anderes. Bei ihm ist die Vollendung des Lebens nichts anderes

als ein Leben, welches nur der Natürlichkeit der Dinge folgt

und sich ihr nicht widersetzt." (S-A-W, Seite 5 - 7).

12 Dies besagt also, nach den Ueberlegungen in Anmerkung 11» dass

man das eigene Wesen nicht verlieren kann, ihm folglich ent­

spricht. Erreichbar ist "Te" aber insofern nicht, als das

Erreichen-Wol1en bereits wieder im Widerspruch zu wu-wei

(Nichthandeln) und wu-yü (Wunschlosigkeit) stünde.

so ist es etwas, das verkörpert werden sollte. Te ._»• besteht aus wu-wei “35 jjkj und vollendet sich im wu-yü ^ (Wunsch-aus wu-wei

Page 88: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-75-

13 vergl. Lao-tzu Kap. 48; Wilhelm übersetzt: "Beim Nichtsmachen

bleibt nichts ungemacht."

14 Das Leben ist die Pforte zum Tode hin, und der Tod die Pforte,

die ihrerseits zum Leben führt.

15 Da Leben und Tod als untrennbare Gefährten - gleichsam als

Polaritäten - verstanden werden, impliziert diese Betrachtung,

dass alle Wesen notwendig einer gemeinsamen Wurzel entspringen

und mit dieser eine Einheit bilden.

16 Dieser Satz beschreibt das Phänomen des Lebens, dem jedes

Lebewesen als etwas Göttlichem und Wunderbarem besonders zu­

getan scheint.

17 Dieser Satz beschreibt das Phänomen des Todes, vor dem jedes

Lebewesen mit Entsetzen flieht.

18 Alle Erkenntnis ist nur relativ richtig, weil sie durch den

Standpunkt, den der Erkennende jeweils einnimmt, besondes

aufgrund seines jeweiligen individuellen leib-seelischen

Zustandes bedingt ist.

19 Die Weltschau Chuang-tzus ist strikte und ausschliesslich

monistisch. Somit schliesst sie jede dualistische Weltan­

schauung aus. Es gibt nirgends einen radikalen Schnitt zwischen

dem Tao und seinen unaufhörlichen Formen.Vergl. auch Lao-tzu Kap. 22

20 Die Aussage des Nichthandelns hat recht, weil bei ihr Existenz,

verstanden als das Dasein in seiner einfachen Tatsächlichkeit,

mit dem Tao verschmolzen ist, das seinerseits .ei ne souveräne,

doch absolut unbewusste Gegenwart ist.

Der gebeugte Narr scheint es zu wissen, weil er es vergass;

das heisst, er wird vom Fluss der Zeit bereits dermassen mit­

gerissen, dass er sich schon nicht mehr an das zu erinnern

vermag, was er zuvor - also in der Vergangenheit - noch sagen

wollte. Dass der gebeugte Narr noch nicht mit dem Tao ver­

schmolzen ist, geht auch aus der Tatsache hervor, dass er

eine Aussage machen wollte. Der Zustand des wu-yü , der Wunsch-

Page 89: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-76-

losigkeit, ist also noch nicht erfüllt.

Der Gelbe Herrscher aber ist dem Tao fern, weil er als Be­

trachter weiss. Und der Weg vom Betrachter zum integrierten

Akteur ist lang. Der Betrachter besteht aus Erinnerungen, Er­

fahrungen, Einflüssen, Traditionen und einer unendlichen Viel­

falt von Kümmernissen. Das alles aber gehört der Vergangenheit

an. So ist der Beobachter beides, Vergangenheit und Gegenwart;

und der morgige Tag wartet und ist auch bereits ein Teil von

ihm. Er ist von der Unmittelbarkeit tatsächlich weit entfernt.

21 Im Kapitel wai-wu n n , sagt Chuang-tzu: "Fischreusen sind

da um der Fische willen; hat man die Fische, so vergisst man die

Reusen. Hasennetze sind da um der Hasen willen; hat man die

Hasen, so vergisst man die Netze. Worte sind da um der Ge­

danken willen; hat man den Gedanken, so vergisst man die Worte.

Wo finde ich einen Menschen, der die Worte vergisst, auf dass

ich mit ihm reden kann?" (Uebersetzung Wilhelm, S. 205).

Wenn das "Tao an sich" in den Bereich der Worte - der Er­

kenntnis also - eintritt, dann ist es nicht mehr absolut. Das

"Tao an sich" geht über die Namen, über die Worte hinaus und

ist deshalb der Erkenntnis nicht zugänglich. Der gebeugte Narr

nahm wohl an, dass der Gelbe Herrscher wisse, dass man, um

irgend etwas zu erklären, Worte benötigt. Der Gelbe Herrscher

wusste, dass er etwas zum Ausdruck bringen musste, was eigent­

lich nicht ausgedrückt werden kann; er war sich der Begrenzt­

heit der Sprache wohl bewusst.

22 "Tzu-jan", das "Selbst-so-Sein", die Natürlichkeit und Spon­

taneität der Dinge ist dem Denken nicht zugänglich. Zum

Begriff "Tzu-jan" und seiner Bedeutung bei Kuo Hsiang siehe

Anhang.

23 vergl. dazu J? fE I-ching '/f heng (die Dauer), in dem ein ähnliches Bild entworfen wird.

Page 90: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-77-

24 Kuo Hsiang spielt hier auf die Lun Yli-Stelle (XVII, 19) an.

Sie lautet vollständig: "Der Meister sprach: „Ich möchte lieber

nichts reden. „ Dsi Gung sprach: „Wenn der Meister nicht redet,

was haben dann die Schüler aufzuzeichnen? „ Der Meister sprach:

„Wahrlich, redet etwa der Himmel? Die vier Jahreszeiten gehen

/ihren Gang/, alle Dinge werden erzeugt. Wahrlich, redet

etwa der Himmel?,," (Uebers. Wilhelm, 1923, S. 197).

25 Diese Kommentarstelle stammt wörtlich aus dem I-ching,

vergl . -f“ & ig tt Bd. 1 $ J f p. 150. Wilhelm

übersetzt: "Die heiligen Weisen vermochten alle die wirren

Mannigfaltigkeiten unter dem Himmel zu übersehen. Sie beob­

achteten die Formen und Erscheinungen und bildeten die Dinge

und ihre Eigenschaften ab." (Wilhelm, I Ging; S. 299)

26 Chuang-tzu schreibt über die Menschen, die Tao in sich tragen

im Kapitel X T folgendes: "Derjenige, der sich von Tsung

/T\ - dem Kern des Tao - nicht trennt, heisst T'ien-jen 7 ^ A .

Derjenige, der sich vom Chingijt - der Reinheit des Tao -

nicht trennt, heisst Shen-jen Derjenige, der sich von

Chen - der Wahrhaftigkeit des Tao - nicht trennt, heisst

Chi h-jen l A - Derjenige, der den Himmel als seinen Kern,

die Tugend als seine Wurzel und Tao als das Tor /betrachtet/

und die Wandlung der Dinge einsieht, heisst Sheng-jen-S^A* ."

Auf diese vier "Heiligen" folgt der Begriff des Chün-tzu ,der eigentlich zum Konfuzianismus gehört.

27 Die Erde gilt in der alten chinesischen Kosmologie als vier­

eckig, der Himmel als rund. Das Viereckige entspricht aber

auch dem Weiblichen und das Runde dem Männlichen.

28 Die sechs Richtungen sind: Norden, Osten,Süden , Westen,

Zenit und Nadir.

29 Der ganze Satz lautet: tiK '$L Ab 4t fr 35 ^ ^Es scheint, dass mit dem Schriftzeichen 'SB. w u , das un­

mittelbar auf fei folgt, der Begriff iäL tUL wu chi

aus dem vorangehenden Satz aufgenommen wurde.

Page 91: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-78-

30 Uebersetzt man das chinesische Original Wort für Wort, so

heisst es: "Ende Körper nicht alt'.1 Das bedeutet, dass bis

am Ende des Lebens (Körpers) kein Lebewesen (Körper) im

gleichen Zustand verharrt; dass es (er) sich ständig erneuert.

31 Diese Bemerkung Kuo Hsiangs könnte durchaus als ein Hinweis

auf das7 ^ ’ Kap. 2, verstanden werden. Es heisst dort: "If

you can one day renovate yourself, so do it from day to day".

(zitiert aus James Legge: The Great Learning; in The Chinese

CIassi c s , Vol. I , p. 361 ) .

32 Eigentlich heisst es yin und yang, doch scheint mir die Ueber-

setzung mit Finsternis und Licht angebrachter, weil in der

Folge von den vier Jahreszeiten die Rede ist. Trotzdem muss

natürlich auch der Aspekt der beiden Polaritäten im Auge be­

halten werden.

33 Nach chinesischer Tradition bezeichnet der Himmel die ur­

sprüngliche Natur und alles, was natürlich ist. Denn die

Chinesen verachteten die Künstlichkeit des Menschen und be­

trachteten den Himmel als Symbol für das, was durch den Men­

schen auf keine Art verändert werden kann.

34 Im Kapitel 7c t'ien ti heisst es: "Yao's Lehrer war Hsü Yu,

Hsü Yu's Lehrer war Nieh-Chüeh, Nieh Chüeh's Lehrer war Wang

Ni und Wang Ni's Lehrer war P'i-i".

Wilhelm übersetzt diese Aufzählung nicht, schreibt aber in

einer Anmerkung: "In einer offenbar späteren einleitenden

Bemerkung ist der Versuch gemacht, die häufig vorkommenden

allegorischen Figuren aus der Zeit des mythologischen Herr­

schers Yau untereinander in Beziehung zu setzen: Yau's

Lehrer ...." (vergl. Wilhelm S. 86 und S. 231). Leider gibt

Wilhelm nicht an, woher er diesen Hinweis erhalten hat.

35 Uebersetzt man Wort für Wort, so heisst es: "ein deine

Haltung". Ich folge hier dem Kommentar von f i M Y ü Y ü e h ,

der sagt, dass "ein deine Haltung" als "deine Haltung ver­bessern" zu verstehen sei, da diese Interpretation meines

Erachtens durchaus dem Textzusammenhang entspricht.

Page 92: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-79-

36 Ich folge hier nicht der "üblichen" Liebersetzungsart, die

den Terminus hsin (Herz) je nach Text mit Verstand, Denken

u.a. Ausdrücken wiedergibt. Das Herz ist im chinesischen

Denken nicht bloss der "Fürst des Leibes", sondern auch der

"Beherrscher des Geistes". Da uns diese Vorstellung eigentlich

nicht sehr fremd ist - denn Gefühlsregungen sind auch im

abendländischen Bereich Angelegenheiten des Herzens - bin

ich der Ansicht, dass der Terminus 'il"* hsin vorteilhaft mit

"Herz" wiedergegeben wird.

37 Chuang-tzu lehnt die menschliche Erkenntnis und die daraus

resultierende Kausalität ab. Chuang-tzu ist der Ansicht, dass

Erkenntnis oder Wissen im menschlichen "Herzen" entstehen

und verneint somit die im "Herzen" entstehenden Absichten.

wu hsin bedeutet unterbinden der Wirkung des "Herzens".

Wer die Wirkung des "Herzens" völlig verloren hat, hat sich

seiner Erkenntniskraft entledigt "und man kann mit ihm keine

Ränke mehr schmieden".

38 tu hua = Selbstverwandlung; besser - das Prinzip der

Seibstverwandlung - resultiert aus Kuo Hsiangs Behauptung, dass

das Erschaffen der Dinge ohne einen Schöpfer vor sich gehe, sich

jedes Ding selbst erschaffe und somit notwendigerweise auch

selbst verwandle. Vergl. auch Einleitung

39 Nach Ch'eng Hsüan-yings Kommentar war Ch'eng ein Weiser, der

das Tao erlangt hatte. Nach anderen Erklärungen ist Ch'eng

ein Beamtentitel. So gehen denn auch die Meinungen der Ueber-

setzer an dieser Stelle auseinander.

40 Dieses Gespräch zwischen Shun und Ch'eng erscheint auch bei

Li eh-tzu . Vergl . ? . * Lieh-tzu, t'ien-shui.

41 Den Begriff ming, Schicksal, finden wir im Kapitel

t'ien ti von Chuang-tzu selbst erklärt: "In the Great Be­

ginning, there was nonbeing; there was no being, no name. Out

of it arose One; there was One, but it had no form. Things

got hold of it and came to life, and it was called Virtue.

Before things had forms, they had their allotments (fen );

Page 93: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-80-

these were of many kinds, but not cut off from one another,

and they were called fates ( "tip ming) (zitiert nach Watson,

p. 131)

42 ch'i, Atem. Es fällt schwer, für ch'i einen geeigneten

Ausdruck zu finden. Chan übersetzt diesen Terminus mit

"material force" aber auch mit "vital force". Er meint, es

könnte sowohl Energie als auch Materie bedeuten. Da im chi­

nesischen Denken zwischen Energie und Materie nicht unter­

schieden wird, ist dies wohl möglich, birgt jedoch bei Ueber-

setzungen m.E. Gefahren in sich, weil im westlichen Denken

sehr wohl zwischen Energie und Materie unterschieden wird,

(vergl. Chan, Source Book, p. 784).

Der Versuch, den M. Porkert unternimmt, indem er ch'i als

"konstel1ierte Energie" oder "energetische Konstellation"

erklärt, scheint mir fragwürdig.

43 Das Schriftzeichen shui bedeutet nach Couvreur,

Diet. Classique de la langue Chinoise, S. 810, die Häutung

von Schlangen und Zikaden. Die Häutung als Symbol des perio­

dischen Abstossens und Erneuerns weist hier auf den ständigen

Wandel der Dinge hin.

44 Die Chinesen sehen in der Zikade ein Symbol der Unsterblichkeit,

der Freude und der ewigen Jugend.

45 Wieso hier nur der Yang-Atem erscheint, ist unklar; und aus

der Kommentarliteratur, die ihn durchwegs als Bewegung er­

klärt, ist nicht viel mehr herzuleiten. Finazzo (p. 90)

meint: "Ch'i ( ) ist the quintessence of tao's actual

presence in the universe and, consequently, the power by

which all things manifest themselves in their appointed

characteristics and ways ( 9 yang-spirit of heaven and earth)."

the strong

Page 94: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-81 -

46 Determinismus und Fatalismus Kuo Hsiangs kommen hier deut­

lich zum Ausdruck. In einem Kommentar zum 5. Kapitel

( 41% iL te ch'ung fu) sagt er: "The principles of

things are from the very start correct. None can escape from

them. Therefore a person is never born by mistake, and

what he ist born with is never an error. Although heaven

and earth are vast and the myriad of things are many, the

fact that I happen to be here is not something that spiritual

beings of heaven and earth, sages and worthies of the land,

and people of supreme strength or perfect knowledge can

violate ... Therefore if we realize that our nature and destiny are what they should be, we will haVe no anxiety

and will be at ease with ourselves in the face of life or

death, prominence or obscurity, or an infinite amount of

changes and variations, and will be in accord with principle",

(nach Chan p. 332)

47 Der doppelte chinesische Ausdruck shu yüe bedeutet

nach Ch'eng Hsüan-ying "reinigen und waschen".

48 Das Schrift Z e i c h e n ^ lun wird hier, ebenso wie im 2. Kapitel

ß f ö ) von Ch'eng Hsüan-ying mit ft 1 i erklärt

(vergl. Chuang-tzu chi shih S. 84), deshalb meine Wiedergabe

mit "das Geordnete". Im Shu ching, S 0 Lü hsing, über­

setzt Legge den Ausdruck mit "relations" (Legge: Shu Part. V.

Bk. XXVII. P. 19). Karlgren gibt ihn an derselben Stelle (The

Book of Documents, p. 77) mit "reason" wieder und erklärt

ihn in den "Glosses on the Book of Documents" (2044, p.

182 - 183) mit "norms". In der Bedeutung "relationship"

erscheint das Schriftzeichen lun bei Mencius (Book II,

Part. B.2), in der Uebersetzung von D.C. Lau.

Page 95: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-82-

49 Das Schriftzeichen ching bedeutet ursprünglich "feiner

und reiner Reis, der zwischen den normalen Reiskörnern aus­

gelesen wurde." In dieser Bedeutung erscheit er z.B. im

Lun yLi Bk. X, Chap. VII, 1. Daneben erscheint der Ausdruck

'tff ching im I-ching als Essenz oder als Sperma. Aus

diesen Bemerkungen kann leicht ersehen werden, dass das Tao

etwas sehr Feines und Subtiles hervorbringt, aus dem dann

alle anderen Wesen entstehen.

Der Terminus %0) 'T' ching shen wird von Need harn (p. 38) mit

"vital energy" und von Lin Yutang (p. 65) mit "life energy"

wiedergegeben. Ich übersetze den Terminus mit "reiner Geist",

um möglichst keine subjektive Interpretation in das Original

hineinzutragen.

50 Kuo Hsiang will hier wohl sagen, dass aus diesen Ueberle-

gungen einleuchtend hervorgeht, dass es keinen Schöpfer gibt.

51 Wörtlich übersetzt heisst es: "die Form Wurzel entsteht aus

dem Samen" Die "Wurzel der Form" oder der "Ursprung der Form"

ist gleichbedeutend mit materiellem Ursprung.

52 Das W o r t ^ ching wird in dieser Passage, wie des öftern

bei Chuang-tzu (z.B. Kap. 1 5 ) 9sehr verschieden angewendet.

Eine Tatsache, die sich innerhalb der Uebersetzung oft un­

befriedigend auswirkt. Hier, im Zusammenhang mit Entstehung

und Erzeugung, kann "ching" auch als "Samen" betrachtet

werden.

53 Die neun Körperöffnungen sind: die beiden Augen, die Nasen­

löcher, die Ohren, der Mund, die Blasenöffnung und der After.

Die acht Körperöffnungen beziehen sich auf Lebewesen, bei

denen Blasenöffnung und After zusammenfallen.

Page 96: Zhuangzi Guoxiang.pdf

33

54 Der Ausdruck fCv shen ch'i ist hier als Hl chi ng

shen, als "reiner Geist" zu verstehen. Im CWTTT 25211.228

heisst es: # E $ ^ ^ &

Kuo Hsiang scheint geradezu ängstlich besorgt zu sein, jeden

Anflug eines "Schöpfers" frühzeitig abzuwehren.

j f -i

55 Der Aus d r uc kyfgr yai (Klippe, Felsengestade) ist hier wohl

so zu verstehen, dass es am ganzen Horizont keinen wahr­

nehmbaren Punkt gibt, an dem man Tao verschwinden sieht.

56 Hier soll wohl gesagt werden, dass Tao weder Gestalt an­

nimmt, noch irgendwie unterteilbar ist.

57 Wörtlich übersetzt heisst es: "die vier hindurchgehen es

mächtig, mächtig." Ich verstehe diese Passage so, dass das

Tao, obwohl es keine Spuren hinterlässt, keine markanten

Punkte setzt und weder Türen noch Zimmer besitzt, von unvor­

stellbarer Grösse ist. Durch diese Aussage wird die An­

nahme, Tao könnte also etwas sehr sehr Kleines sein, zunichte

gemacht. Li Mi en (S. 452) meint, Tao durchdringe die vier

Himmelsrichtungen und sei trotzdem noch nicht zu Ende.

53 Ausserhalb der acht Himmelsrichtungen (eigentlich:!^, NO, 0,

SO, S, SW, W und NW) besagt hier: hinter den Grenzen der

wahrnehmbaren Welt.

59 Die sechs Richtungen sind, wie bereits in Anm. 29 erwähnt:

Norden, Osten, Süden, Westen, Zenit und Nadir. Bliebe man

weniger eng am chinesischen Original, könnte man diese

Passage vielleicht besser mit: "uneingeschränkt schweift es

überall umher" wiedergeben.

60 Das Schriftzeichen \WK yao (einladen, empfangen) wird so­

wohl von Kuo Hsiang als auch von Ch'eng Hsüan-ying als

\Mj yü (begegnen) aufgefasst.

Page 97: Zhuangzi Guoxiang.pdf

84

61 Eigentlich heisst^" fang Plan, Rezept usw., doch besagt

dies m.E. dasselbe wie Vorurteil; man tritt ohne einen be­

stimmten Plan, ohne ein Rezept, an etwas heran.

62 Im Kapitel 5 $ ma-t'i liest man Liber den Terminus 'hjt hsing

folgendes: "Die Hufe eines Pferdes sind dazu da, auf Reif und

Schnee zu treten; seine Haare sind dazu da, es vor Wind und

Kälte zu bewahren. Pferde kauen Gräser, trinken Wasser, springen

hoch und bäumen sich auf. Das ist das wahre hsing eines Pferdes"

Daraus geht klar hervor, dass das (hsing) die Natürlichkeit

eines Wesens, in unserem Beispiel eben die Natürlichkeit des

Pferdes ausmacht. Fukunaga schreibt dazu, dass das Leben durch

hsing und shen geleitet werde, und 5® hsing und 1$shen nenne man tL hsing. Das Lebendige und typische der

"Zehntausen Dinge unter dem Himmel" sei eben ihr'bi- hsing.

Das hsing'hi. sei a-priorisch, angeboren, anfänglich und von

Natur zugeteilt. In diesem Sinne werde es auch 7^. 'Hii. tien

hsing genannt, (vergl. S-A-W S. 4 ff). Bei den Konfuzianern

stellt sich die Frage nach dem Begriff'^, hsing zuerst bei

Menzius und Hsün-tzu und gewinnt dann in der Sung- und Ming-Zeit in der fi hsing-li Philosophie zentrale Bedeutung.

63 Der Ausdruck ching shen wird meines Erachtens vor­

teilhaft mit "Geist" wiedergegeben.

64 An dieser Passage scheiden sich die Ansichten der Uebersetzer

und somit die Uebersetzungen; zurückzuführen ist dies ver­

mutlich auf die unterschiedlichen Kommentare.

Während Giles (p. 283) und Watson (p. 239) übersetzen:

"Heaven cannot but be high. Earth cannot but be broad. The

sun and moon cannot but revolve. All creation cannot but

flourish. To do so is their-TAO" (Giles p. 283), übersetzen

Legge (p. 503 f), Liou Kia-hway (p. 178), Ware (p. 147) und

Wilhelm, mehr oder weniger übereinstimmend: "Ohne diesen SINN

(=Tao) wäre der Himmel nicht hoch; ohne ihn wäre die Erde nicht

weit; ohne ihn könnten Sonne und Mond nicht ihre Bahn ziehen;

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-85-

ohne ihn könnten alle Dinge nicht gedeihen. All das sind

Wirkungen des SINNS" (= Tao). (Wilhelm S. 163).

Die Streitfrage, die hier zu beantworten wäre, wäre die, ob

Chuang-tzu Tao als etwas Immanentes oder etwas Transzendentes

betrachtet. Ich schliesse mich der Ansicht Li ou Kia-hways an,

der sagt: "Le Tao selon Tchouang-tseu embrasse confusément

l'univers changeant et le principe générateur de l'univers

changeant; il est à la fois l'être et le non-être et le

néant absolu, le néant absolu et la négation du néant absolu."

(L'esprit synthétique de la Chine, p. 86). Im übrigen halte

ich mich an die von Gabelentz gegebene Uebersetzung. (vergl.

Erkes S. 53).

65 Kuo Hsiang interpretiert Chuang-tzu ausgehend von einer rein

immanenten Weltanschauung und negiert den transzendenten

Aspekt.

66 vergl. Lao-tzu Kap. 81

67 Ich folge hier der Interpretation von Li mien (S. 452), der

^ pao (bewahren) a 1 s <|f chi (festhalten) erklärt.

68 fen 5? ist die Bestimmung; es ist die den Individuen bzw. den

verschiedenen Individuenklassen zugeteilte Rolle -sei es im

kosmischen All, sozial oder politisch -die das einzelne Indi­

viduum strikte beachten muss, um seine eigenen Funktionen und

spezifischen Aufgaben erfüllen zu können, die ihm in der Ge­

meinschaft obliegen. Somit hat jeder nach seinem Rang und

seiner Natur zur Erhaltung der organisierten Ordnung beizu­

tragen. Vergl. auch den Anhang.

69 Dieser Kommentar Kuo Hsiangs zeigt deutlich seine Vertrautheit

mit dem konfuzianischen Gedankengut. Vergl. dazu: Menzius

Bk. VII. PT. I, CH. XXI, 3 (Legge p. 460).

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Während Watson (p. 239) hier die Vermutung äussert, die Aus­

sage "Hoch und erhaben ist es, wie die Berge" würde den

Parai 1elismus ergänzen, fasst Liou Kia-hway (p. 178) die

ganze Passage als Parallelismus auf und übersetzt: "In­

sondable comme la mer, majestueux comme la montagne".

Ich bin der Ansicht, dass der Parallelismus hier nicht not­

wendigerweise erfüllt sein muss, gestützt durch die Tatsache,

dass ^ auch an anderen Stellen der klassischen Li­

teratur als feststehender Ausdruck erscheint. Vergl. dazu:

Lun y ü , 8.18 und 8.19.1,2.

Der Begriff chün-tzu ist hier eindeutig dem Konfuzianismus

zuzurechnen, was auch deutlich daraus hervorgeht, dass der

Ausdruck in einer Unterhaltung - besser, in einer Belehrung -

des Konfuzius durch Lao-tzu fällt. Chuang-tzu hat für den

chün-tzu allgemein nicht viel übrig. Im 9. Kapitel

ma-t'i) wird der Begriff chün-tzu gar mit dem

Ausdruck/Jv hsiao ren in Verbindung gebracht.

Ich verstehe die Passage so, dass hier deutlich auf das unter­

schiedliche Tao-Verständnis von Konfuzius und Lao-tzu bzw. der

konfuzianischen Schule und Chuang-tzu hingewiesen wird. So

betrachtet impliziert die Aussage: "Doch das „Tao,, des Edlen

ist bloss dessen Aeusseres", dass das Tao des Edlen (eines

guten Konfuzianers also) bloss etwas Banales sei, etwas dem

Tao-Verständnis Chuang-tzus nicht Zugehöriges. Vergl. auch

Li mien (S. 453), der darauf hinweist, dass Chuang-tzu die

Begriffe S A sheng ren und chün-tzu auseinanderhält.

Er verweist auf das Kapitel 7^ lv und erklärt, Chuang-tzu mach

sich hier über Konfuzius lustig.

Auch hier wieder die einseitige Interpretation Kuo Hsiangs, der

den schöpferischen, d.h. den transzendenten Aspekt, den Chuang-

tzu dem Tao zweifellos bei misst, bei jeder Gelegenheit negiert.

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-37-

74 Der Ausdruck ?E wu-kung, eigentlich "ohne Leistung",

ohne Verdienst, oder leistungslos, verdienstlos etc. mag auf

den ersten Blick verwirren, betrachtet man ihn losgelöst vom

gedanklichen Hintergrund, in den er fest integriert ist. Die

Ausdrücke "Leistung" und "Verdienst" sind nur sinnvoll, wenn

an ihnen der Massstab eines beliebigen Wertsystems angelegt

werden kann. Jedes Wertsystem hat seine eigenen Kriterien

der Nützlichkeit und der Nutzlosigkeit. Mit diesen system­

immanenten Kriterien sind Relativitätsbezüge geschaffen, die

eine subjektive Ordnung der Dinge festsetzt und es dem Menschen

erlaubt, das Resultat des Tuns, der Leistung, als Verdienst

oder Unverdienst von einem festen Standpunkt aus zu erkennen

und zu bewerten. Solange man aber noch fragt, ob etwas nütz­

lich oder nutzlos sei, bedeutet das, dass man über die Haltung

des Unterscheidenwol1ens noch nicht hinausgekommen ist. Ueber-

windet man diesen Standpunkt einmal durch Tao, gibt es keine

Nützlichkeit und keine Nutzlosigkeit, keine Leistung und keinen

Verdienst mehr.

75 Chuang-tzu will hier m.E. ausdrücken, er stelle sich ein

menschliches Wesen vor, das sich jeder Klassifizierung ent­

ziehe, und das noch keinen Verstrickungen erlegen sei.

75 siehe Anmerkung 74.

77 Im A f ta hsüeh IX heisst es: "(Sage-emperors) Yao and

Shun led the world with humanity and the people followed them.

(Wicked kings) Chieh and Chou led the world with violence...."

Chieh und Chou verursachten angeblich den Untergang der Hsia

bzw. der Shang-Dynastie. Yao und Chie erscheinen auch im

6. Kapitel ( ta tsung shih),und zwar heisst es

dort: "Instead of praising Yao and condemning Chieh, it would

be better to forget both and transform yourself with the Way".

(Watson p . 80)

78 Gemeint sind hier nebst den Früchten, die an den Bäumen

wachsen, jene der kleinen Pflanzen und Gräser.

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88

79 Chuang-tzu meint damit m.E., dass jedes Wesen als solches

seinen eigenen Existenzgrund hat.

80 Der Terminus il. li ist im Denken Kuo Hsiangs von zentraler

Bedeutung, vergl. dazu Anhang.

81 Chuang-tzu meint hier m.E., dass auch innerhalb der mensch­

lichen Beziehungen, innerhalb der Gesellschaft ganz allgemein,

homologe Prozesse der Entwicklung und des Verfalls zu beob­

achten seien. Dieser Gedankengang ist seinem Zeitgenossen

Menzius keineswegs fremd (vergl. Menzius BK IV Pt. I CH. III),

doch versuchen die Konfuzianer, durch statische Eingriffe einen

dynamischen Prozess zu stabilisieren.

82 Ch'eng Hsüan-ying schreibt in seinem Kommentar, dass ein

weisses Fohlen auf ein schnelles Streitross anspiele. Ausser­

dem symbolisiere es auch die Sonne, deren Lauf die Schnellig­

keit der vergehenden Zeit andeute, (vergl. Chuang-tzu chi-shih

S. 747). Diese Aussagen von Ch'eng Hsüan-ying werden etwas

verständlicher und aussagekräftiger, wenn man berücksichtigt,

dass das Pferd in China als Symbol der Schnelligkeit und der

Ausdauer gilt; die weisse Farbe, die dem Westen und dem Herbst

zugeordnet ist, ist aber auch mit den Gedanken der Kriegs­

führung und der Strafexpeditionen verbunden. Mit dem Westen

und gleichzeitig also mit weiss sind aber auch Sonnenunter­

gang und Trauer verbunden. Die ganze Kraft, die das Symbol

des "weissen Fohlens" weckt, wird durch die Tatsache verstärkt,

dass der Westen der Bereich der Gebirge und Schluchten ist,

durch welche der Wind heult und aus welchen der Regen hervor­

bricht. Nur wenn man diese Bilder mit dem Leben in Beziehung

bringt, erfasst man m.E. die volle Spannung, die dem Symbol

des "weissen Fohlens" innewohnt. Im Shih ching finden wir eine

Ode, die mit 6 9Q pai chü "weisses Fohlen" betitelt ist,

und die darauf hinweist, dass es sich um ein sehr altes Symbol

handelt, (vergl. Granet; "Chin. Denken", S. 64 und S. 290

sowie Karlgren; "The Book of Ödes" p. 128).

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-89-

83 Diese Aussage kann m.E. verschieden interpretiert werden:

1. die Wesen, die aufgrund des ewigen Wandels nun im Bereich

des Todes weilen, bedauern diese Tatsache nicht

aber auch

2. die Emotionen sind nur ein Ausdruck des Lebens.

84 vergl . Anmerkung 83

85 Ich übersetze f Tb f fen hu wan hu mit: "Bald verwirrt,

bald sich fügend" um den antithetischen Charakter der

Aussage klar zum Ausdruck zu brirfgen. Ueberdies scheint

mir diese Annahme insofern haltbar, als sie die Situation der

menschlichen Kreatur treffend umschreibt: verwirrt in der Welt

der Dinge; sich fügend im Einen nach seiner Rückkehr zum Ur­sprung.

86 Der Ausdruck '/0 & yen yün ist mit dem Ausdruck $ 3 -&nn.

yin yün identisch und erscheint in der zweiten Schreibweise

i m t "F I ching, hsi t'zu hsia (vergl. Ausgabe

-f ^ 4 g 0u Bd. 1, S. 171). Wilhelm übersetzt den

Ausdruck ziemlich frei - wie häufig bei schwierigen Passagen -

mit "in Berührung kommen" (Wilhelm, I ching, S. 316 § 13).

Legge übersetzt den Ausdruck mit: "there is an interming1ing

of the genial influences" (Legge; The Texts of Confucianism,

Part II, p. 393). yen heisst eigentlich Rauch, Dunst tXüZlyün, vermischen, durcheinander. Es handelt sich also offen-

>s==sichtlich um eine Bewegung von ItV ch'i, verursacht durch die

beiden Kräfte yin und yang. Aus diesen Ueberlegungen erscheint

mir die Uebersetzung "sich vermischenden Atem-Schwaden" zu­lässig.

87 Meine Uebersetzung "Hauchseele" für hun und "Körper­

seele" für ^ p'o folgt derjenigen von A. Conrady und E. Erkes,

die ihrerseits die Termini von Wilhelm Wundt ("Elemente der

Völkerpsychologie") übernahmen. Im Tso Chuen erscheint folgende

Stelle, die uns zeigt, dass der hun und p'o Konzepti on

Page 103: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-90-

zweifellos sehr alte Anschauungen zugrunde liegen: "When a man

is born, (we see) in his first movements what is called the

animal soul (p'o).After this has been produced, it is developed

into what is called the spirit (hun). By the use of things

the subtile elements are multiplied, and the soul and spirit

become strong. They go on in this way, growing in ethereal­

ness and brightness, till they become (thoroughly) spiritual

and intelligent. When an ordinary man or woman dies a violent

death, the soul and spirit are still able to keep hanging

about men in the shape of an evil apparition..." (Legge; p. 618),

Erkes schreibt in seinem Aufsatz "Antithetische Komposition

und Dekomposition im Chinesischen": ■■FL szu ist der lebende

Leichnam, aus dem die Hauchseele ( zfy, hun) entflohen ist,

der aber noch von der Köperseele ( p'o) belebt und zusammen-I_ * C

gehalten wird. TU wang dagegen ist der bereits aufgelöste

Leichnam, der auch von der Körperseele ( p'o) verlassen

und damit wirklich vergangen ist." Die p'o-Seele, die yin

oder yin-haltig ist, kehrt zur Erde zurück, während die

hun-Seele, die yang oder yang-haltig ist, zum Himmel zurück­

kehrt.

88 Ich folge hier dem Uebersetzungsvorschlag von E. Erkes;

Chinesische Grammatik § 652, S. 33.

89 Der Bestimmung des Himmels ohne die Absichten des menschlichen

Herzens zu folgen, bedeutet Nicht-Handeln (wu-wei). Die "grosse

Rückkehr", bei der sich die beiden Seelen vom Körper trennen,

repräsentiert eine Wu-wei-Verhaltensweise, weil die Dinge, so

wie sie von sich aus sind, akzeptiert werden.

90 vergl. dazu Lao-tzu Kap. 37: "The way never acts yet nothing

ist left undone'.' (D.C. Lau; Tao Te Ching, p. 96)

91 Während Legge (p. 505), Giles (p. 285), Ware (p. 149) und

Wilhelm (S. 164) den Satz so verstehen, dass dies alles den­

jenigen Menschen, die im Begriffe seien, Tao zu erlangen, keine

Sorgen bereite, übersetzen Watson (p. 240) und Liu (p. 179)

Page 104: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-91

den Satz so, dass Tao nicht etwas sei, das durch Anstrengung

zu erreichen ist. Ich schliesse mich - gestützt auf Kuo

Hsiangs Kommentar - dieser Auffassung an.

92 Diese Aussage Kuo Hsiangs stimmt mit seiner im Vorwort ge­

machten Aeusserung überein, in der er behauptet, Konfuzius

sei "ein grösserer Mensch" als Lao-tzu und Chuang-tzu ge­

wesen, weil er sich nicht mit Tao beschäftigt habe.

can be spoken of is not the Tao itself." (Chang Chung-yuan p. 3)

94 vergl . Lao-tzu Kap. 56

95 Dieser Kommentar Kuo Hsiangs kann durchaus als Anspielung

auf das Verhalten von Konfuzius verstanden werden, der sich

wenig um solche Gedanken kümmerte. Vergl. dazu Lun yü Bk. XI, Ch. XI, Legge p. 240.

96 vergl. Lao-tzu Kap. 56

97 /|ff an heisst eigentlich "eine Türe schliessen". Ich verwende

den Ausdruck in dieser Grundbedeutung, weil die Augen von

den Chinesen als Oeffnungen verstanden werden, die das Herz

'O hsin in Bewegung setzen. Ausserdem scheint mir diese

Grundbedeutung durchaus mit der folgenden Passage, dem "Ver­

stopfen der Ohren" in Uebereinstimmung zu sein. Vergl. dazu

auch Lao-tzu Kap. 56 in der Uebersetzung von D.C. Lau, p. 117

"One who knows does not speak; one who speaks does not know.

Block the openings; shut the doors ...."

93 vergl. Lao-tzu, Kap. 1 The Tao that

Page 105: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-92-

98 Vergl . Lao-tzu, Kap. 35, "....Look at it, nothing can be

seen. Listen to it > nothing can be heard ..." (Chang

Chung-yuan p . 100).

99 Ch'eng Hsüan-ying sagt in seinem Kommentar, dass Tung-kuo

Tzu mit vollem Namen Tung-kuo Shun-tzu geheissen habe. Er

soll in der östlichen Vorstadt, oder östlich des Walles, ge­

wohnt haben und deshalb den Uebernamen "Meister von der öst­

lichen Vorstadt" erhalten haben. Der Name Tung-kuo Shun-tzu

erscheint auch im Kapitel 21. Wilhelm (S. 240) behauptet,

Tung-kuo Tzu habe mit dem im 21. Kapitel erscheindenen

Tung-kuo Shun-tzu nichts zu tun, erwähnt aber nicht, wieso

er diese Behauptung aufstellt.

100 Ohne Berücksichtigung der Kommentare ist das Original an

dieser Stelle unverständlich. Wörtlich heisst es: "den Fuss

setzen auf Schwein". Zum Ausdruck 1i , nach Couvreur p. 248

"poser le pied sur ...", sagt Li Kuei, dass, um zu wissen, ob

ein Schwein dick oder mager sei, der Marktaufseher mit seinem

Fuss die Waden und Füsse der Schweine befühle; denn Waden und

Füsse seien schwer zu mästende Stellen. Da sämtliche Ueber-

setzungen an dieser Stelle den Kommentar ins Original ein­

flechten - was m.E. einer Entstellung des Textes gleich­

kommt - habe ich mich bei einem Schweinehändler erkundigt.

Meine Nachforschungen haben ergeben, dass es sich bei diesem

"Schweine betreten" um eine sog. "Fettprobe" handeln muss.

Da bei einem gut gemästeten Schwein die Körperoberf1äche

dermassen prall ist, dass sie von Hand kaum mehr gepres,st

werden kann, und das chinesische Schwein stark behaart ist,

ist es einleuchtend, dass die "Fettprobe" mit dem Fuss ge­

macht wurde. Die Forderungen des Marktes mögen früher zur

Zucht fettreicher, späterhin fleischreicher Schweine ge­

führt haben. Der Grund hierfür wird leicht verständlich, wenn

wir beachten, dass das Fett selbst für die Beleuchtung be­

nötigt wurde; Termini wie z.B. Hb @ chih chu, Fettlicht,

Page 106: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-93-

zeugen davon. Aufgrund dieser Ueberlegungen scheint es mir

angebracht, den Ausdruck li direkt mit "Fettprobe" zu

übersetzen.

101 Uebersetzt man wörtlich, so heisst es: "je unten mehr umso

mehr." Da offensichtlich die Zucht fettreicher Schweine an­

gestrebt wurde, versteht es sich von selbst, dass der Schlacht­

körperwert des Tieres stieg, wenn selbst schwer zu mästende

Stellen gute Speckdicken aufwiesen. Meine Lieber Setzung: "je

tiefer /das Fett/ desto wertvol1 er/das Schwein, war die

Antwort/” scheint mir - gestützt auf obige und die in An­

merkung 100 angestellten Ueberlegungen - dem Text adäquat zu

entsprechen. Vor allem bleiben dadurch m.E. das Frage- und

Antwort-Spiel und der Stil Chuang-tzus gewährleistet.

102 Das Schriftzeichen yj pi wird hier im Sinne von "voreinge­

nommen sein" benützt. Vergl . dazu Lun y ü , Bk IX, Ch. IV,

Legge p. 217: "There were four things from which the Master

was entirely free. He had no foregone conclusions (

wu i),no arbitrary predeterminations (^£Z‘wu pi), no obsti­

nacy wu ku), and no egoism ( it & w u wo)."

103 Hier gibt es zwei verschiedene Lesearten. Während Liu (p. 180)

und Wilhelm (S. 165) "kein Ding wird sich Euch entziehen"

lesen, übersetzen Watson (p. 241) und Legge (p. 506) im

Sinne von: "There is not a single thing without (the Tao)."

Ich schliesse mich den beiden Letztgenannten an, denn m.E.

ist es ja gerade der Zweck dieser Geschichte, die Immanenz

des transzendenten Tao zu erläutern.

104 ® wu Nichtsein, von Kuo Hsiang im Sinne von Nichts verstanden,

ist mit Tao identisch. Er schreibt im 6. Kapitel (Chuang-tzu

chi-shi h S. 248):" j # i. ® T ft t£L ...

Tao is everywhere ....

It is everywhere, but everywhere it is nothing". (Fung,

Chuang-tzu , p . 118).

Page 107: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-94-

105 Kuo Hsiangs Kommentar stützt hier m.E. die in Anmerkung

103 versuchte Rechtfertigung der Uebersetzung.

106 Der Ausdruck TL # 1 2 t wu ho yu chih kung erscheint

nur in diesem Kapitel. Im 1. und im 32. Kapitel erscheinen aber

die ähnlichen Ausdrücke 7L % z 0 wu ho yu chih

hsiang. Kuo Hsiang geht an keiner der erwähnten Stellen näher

auf die Termini ein, so dass ich mich gezwungen sehe, mich

an Ch'eng Hsüan-yings Erklärungen zu halten. Ch'eng erklärt

im 1. Kapitel, 3SE 'föj wu ho yu heisse Ä % wu -yu

(vergl. Chuang-tzu chi-shih S. 41). Hier im 22. Kapitel

schreibt er , 7 & # l 2 f wu ho yu chih kung sei "ein

geheimnisvoller Ort des Tao". Und im 32. Kapitel betrachtet

er T L W $ Z wu ho yu chih hsiang als "im Gebiet

des Tao" lt? tao ching ye (vergl. Chuang-tzu chi-shih

S. 1048). Die Uebersetzungen des Terminus 'N wu ho yu

gehen verständlicherweise auseinander.

107 Von einem höheren Standpunkt aus, oder, wie Chuang-tzu im

6. Kapitel sagt, "in the light of Heaven". Das besagt aber

letztlich nichts anderes als, man müsse aus einer Warte be­

obachten, die alles Endliche transzendiere,

108 wörtlich übersetzt: "erst

dann erkennt man es gibt nicht das nicht anwesend sein des

Tao1.1 Dies ist ein deutlicher Hinweis auf die Immanenz von Tao.

109 'jÿL huai, hier in der Bedeutung Herz (vergl. Lao-tzu Kap. 70

%. -§L X ï "Le sage porte sur son corpsun vêtement grossier; en son coeur il a des pierres pré­

cieuses." nach Couvreur Dict. Classique de la langue Chinoise,

p. 335)

Page 108: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-95-

110 Chuang-tzu gebraucht für "wandern" in der vorangehenden Pas­

sage den Ausdruck yu , während die $±. ^ Chuang-tzu

chi-shih-Ausgabe und die #f m tt f â ä H s i n- pi en

chu-tzu chi-ch'eng-Ausgabe im darauf folgenden Kuo-Kommentar

zweimal das Schriftzeichen y u lesen. Die 0 »

Szu-pu pei-yao-Ausgabe liest - m.E. richtig - auch im Kuo

Hsiang-Kommentar zweimal das Sehriftzeichen yu "umher­

schweifen". Der Ausdruck yu hatte, wie Waley (Three Ways

of Thought, p. 60) bemerkt, in konfuzianischen Kreisen die

"technische"Bedeutung von "to go from Court to Court as a

péripatetic counsellor" (vergl. dazu Menzius Bk. VII Pf. I

Ch. IX, 1., Legge p. 452). Für die Taoisten hat der Ausdruck

einen völlig anderen Sinn. Wang Tch'ang-Tche schreibt:

"Le terme yeouj_^£_ „se promener,, , terme tou-à-fait propre

à Tchouang-tse, nous semble constituer le pivot de son voca­

bulaire mystique et exprimer très bien le trait caractéristique

de la vie mystique, telle qu'il essaie de nous la faire com­

prendre", (Bulletin de l'Université l'Aurore N°3, Tome 2,

1941, p. 388 ff). Demiéville (Enigmes Taoïstes, p. 58) sieht

im Terminus yu einen spielerischen Aspekt, der - wie er

meint - "joue dans le Tchouang-tseu un rôle essentiel." Ich

bezweifle, dass sich Kuo Hsiang dieser Bedeutung nicht be­

wusst war und folge daher der Leseart in der &Szu-pu pei-yao-Ausgabe. 111

111 Wir sehen hier deutlich, dass Nicht-Handeln ( 3H? wu-wei )

Prinzip und Haltung zugleich ist. Es ist die Norm dieser

Haltung und gleichzeitig ihr Ziel. Grundsätzlich muss es als.

eine Art intendierte Absichtslosigkeit verstanden werden, die

jede voluntaristische Intention transzendiert, also die reinste

Form schöpferischer Spontaneität darstellt. Auf keinen Fall

aber darf wu-wei als blosse Negation des Handelns oder als

Gleichgültigkeit dem Leben und der Welt gegenüber betrachtet

werden. Kuo Hsiang selbst bemerkt dazu: "Hearing the theory

of non-action, some people think that lying down is better

than walking. These people are far wrong in understanding the

ideas of Chuang Tzu" (vergl. Fung, Short History, p. 225).

Page 109: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-96-

112 Wang Fu-chih ( 3E 7^ ^ ) liest 3^. 1 i a o als >|p" k'uo, wobei

mir allerdings unklar bleibt, ob er k'uo als terminus

technicus versteht, oder ob er jff k'uo bloss als Synonym

versteht, (vergl. Wang Fu-chih, Chuang Tzu chiai, S. 190)

113 Der Terminus •£)g- k'ung hsü - die Leere - erscheint bei

Chuang-tzu in den Kapiteln 14, 26 und 33 und Charakterisiert

offenbar den Zustand der unio mystica.

114 wang hat bereits seit frühester Zeit die Bedeutung:

gehen nach— (vergl. Shih ching, Mao N° 91, bei Waley p. 49).

Jedes Gehen nach — impliziert aber ein Ziel; deshalb meine

Uebersetzung mit "zielgerichtetem Gehen."

115 Zur Bedeutung des Terminus li bei Kuo Hsiang vergl.

Anhang.

116 Die Uebereinstimmung mit den ft 1 i bedeutet * m wu wei ,

Nicht-Handeln und die Bewahrung der Natürlichkeit der Dinge.

Eilt aber der Wille voraus, so ist die Natürlichkeit der Dinge

gestört.

117 Im CWTTT 3126.35 wird darauf hingewiesen, dass der Ausdruck

ch'ü erh lai meist nur als ch'ü lai

erscheint; so z.B. im 1 3 $ ; 'jq' Shang chün shu,

k'en ling (vergl. rfil Ä Bd. 5, S. 4).

Duyvendak übersetzt den Ausdruck mit "backwards and forwards"

(üuyvendak; The Book of Lord Shang, p. 183). Ich übersetze

diesen Ausdruck mit "gehen" und "kommen", da er meines Erach­

tens dem Kontext besser entspricht als "vorwärts" und "rück­

wärts " .

Page 110: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-97-

118 Zur Bedeutung des "ewigen Prinzips der Natur" im Denken

Kuo Hsiangs siehe Anhang.

119 Ich folge hier dem Kommentar von Kuo Hsiang, der den Ausdruck

/5 p'ing hung als JjO- hsü k'uo erklärt.

120 Chuang-tzus Schöpfungsverständnis involviert keineswegs, dass

aus nichts etwas hervorgehe, gleichzeitig aber auch nicht,

dass nichts von selbst in etwas übergehe. Trotzdem postuliert

er m.E. etwas, wodurch alles andere erst gesetzt wird.

121 Kuo Hsiang zeigt hier ganz deutlich, dass er sich ein Werden

vorstellt, das ohne transzendenten Urheber, aus immanenten

Kräften, als Entfaltung einer Potenz sozusagen, automatisch

verläuft.

122 Es handelt sich hier um eine Parallelstelle zu: ^fl 1 T I ; "Das Formlose bewegt sich zur Form, dann be­

wegt sich die Form zum Formlosen"(vergl. S. 21).

123 Chuang-tzu expliziert in dieser kurzen Passage die schöpfer­

ische Effizienz Taos und subsumiert dessen immanenten dem

transzendenten Aspekt. Eine ähnliche Stelle findet sich auch

bei Huai Nan Tzu im 1. Kapitel (vergl. E. Kraft; "Zum Huai-Nan-

Tzu, Monumenta Serica, Vol. XVI, 1957, S. 211)

124 Die Divergenz in der Tao-Interpretation Chuang-tzus und

Kuo Hsiangs kommt hier mit seltener Deutlichkeit zum

Vors chei n (s . Anhang ) .

Page 111: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-98-

125 Der Name A Ho-kan

Mehr kann über diese Person

erscheint nur in diesem

nicht ausgemacht werden.

Kapitel .

126 Ob es sich bei M- Shen Nung um eine Anspielung

legendären "Erfinder des Ackerbaues" handelt, scheint

zweifelhaft.

auf den

mi r

127 ÜE. C lao lung chi, wörtlich: "altes Drachen Heil"

Es ist möglich, dass Chuang-tzu diesen Namen allegorisch

verwendet, da der östliche Drache keineswegs dem furchterre­

genden Ungeheuer der westlichen mittelalterlichen Vorstellung

gleichkommt, sondern ein Sagewesen der Kraft und Güte ist. Ausserdem betrachtet man ihn als Geist des Wandels und somit

als den Geist des Lebens schlechthin.

128 Tr? Chien Wu wird von Chuang-tzu verschiedentlich er­

wähnt (vergl. Kap. 1, 6, 7 und 21). Einer Aussage im 21.

Kapitel zufolge war er ein Zeitgenosse von & M % %Sun-shu Ao (vergl. dazu Giles Biogr. Dict. No 1818 und Menzius

Bk. VI, Pt. II, Ch. 15, Legge p. 446) und hat,schenkt man

dieser Aussage Glauben, im 6. Jh. v. Chr. gelebt.

129 Im 1. Kapitel wird von Chien Wu folgende Geschichte erzählt:

"Chien Wu said to Lien Shu:,, I heard from Chieh Yü some

utterances that were great but could not be justified. Once

stated, there is no end of his tale. I was greatly startled

at what he said. It seemed to be as boundless as the Milky

Way. It was very improbable and far removed from human

experience. „

"What did he say?" asked Lien Shu.

"He said" replied Chien Wu , "Far away on the mountain of

Ku I, there lived a spiritual man. His flesh and skin were like

ice and snow. His manner was elegant and graceful as that of

a maiden. He did not eat any of the five grains, but inhaled

Page 112: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-99-

the wind and drank the dew. He rode on clouds, drove along

the flying dragons, and thus rambled beyond the four seas.

His spirit is compact. Yet he could save things from

corruption and secure every year a plentiful harvest. I

thought all these sayings were nonsense and refused to

believe them."

"Yes," said Lien Shu, "the blind have nothing to do with

beauty, nor the deaf with music. There are not only physical

blindness and deafness, there are also the intellectual. Of

the latter you yourself supply an illustration" ... (vergl.

Fung p . 36 f )

1 30 Yen Kang ist nach dem Kommentar von Ch'eng Hsüan-ying

ein Eremit gewesen. Sein Name war Yen, sein Vorname Kanj

(Chuang-tzu chi-shih S. 756). Li Kuei sagt, dass Yen Kangein

Taoist gewesen sei; 7 tiao sei sein Name (Chuang-tzu

chi-shih S. 755). Das scheint sehr unwahrscheinlich, denn

tiao heisst seit alter Zeit auch "sein Beileid aussprechen"

(vergl. Tso Chuan; Duke Hsiang, year XIV; Legge p. 461

bzw. 466), was hier sicher passender ist.

131 vergl. Lao-tzu Kap. 14

132 Der Ausdruck t'ai ch'ing, grosse oder erhabene Rein­

heit, symbolisiert den Himmel und somit die ununterbrochene

kosmische Schöpfung.

133 7C wu ch'iung, könnte auch als "das Unerschöpfbare"

verstanden werden. Symbolisiert die räumliche Unfassbarkeit

des Tao.

1 34 vergl. Anmerkung 111

Page 113: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-100-

135 Ch'eng Hslian-ying kommentiert hier: "vornehm ist es bei

Kaiser und König; gering ist es bei Knechten und Verbrechern;

gebunden und verdichtet ist es das Leben; getrennt und auf­

gelöst ist es der Tod . "

(Chuang-tzu chi-shih S. 756).

1 36 wu shih, ohne Anfang. Symbolisiert hier m.E. pa--T-ral1el zum Ausdruck wu ch'iung die zeitliche Unfass­

barkeit des Tao.

137 vergl. Lao-tzu Kap. 71: "Not knowing that one knows is best;

Thinking that one knows when one does not know is sickness..."

(Uebers. Ch'u Ta-kao p. 86).

138 Nach Wang Shu-min müssten die beiden Schriftzeichen X I pu yen in Kuo Hsiangs Kommentar ergänzt werden. Offenbar

nimmt er an, Kuos Kommentar müsse parallel zum Text Chuang-

tzus verlaufen. (Chuang-tzu chi-shih S. 758).

139 Diese ganze Geschichte erscheint leicht modifiziert auch im

12. Kapitel des Huai Nan Tzu. (vergl. Hsin pien chu tzu chu

ch'eng Bd. 7, S. 189; übersetzt bei E. Morgan "Tao The Great

Luminant" p. 102.).

© A140 K'un lun lüffl sagenhafter Berg im fernen Westen, auf dem

der Gelbe Fürst eine Dunkle Perle ( = Tao nach Ssu-ma P'iao,

Chuang-tzu chi shih S. 414) verlor, (vergl. dazu Chuang-tzu Kap. 12).

141 T'ang Chün-I schreibt: "Chuang Tzu has three ideas about the

mind which are closely related to the experience of forgetting

the world and the self as an individual. The first idea concerns

the nature of mind as hsü. "Hsü" means to be vacuous and

receptive ... When the mind is vacuous and receptive, all things

of the world can be received by it, and then pass through it

whithout any barrier. (T'ang Chün-I; "The Individual and the

World in Chinese Methodology" Philosophy East and West, Vol .

XIV, Nr. 3, 1964, p. 300)

Page 114: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-101-

142 ming; dunkel, geheimnisvoll. Ich übersetze hier wörtlich,

obwohl ich mit R. Mather übereinstimme, der den Ausdruck

ming - sicher berechtigt - mit "mystical union" wiedergibt,

(vergl. Mather; " The Controversy over Conformity and Natural­

ness" in: History of Religions, Vol. 9, Nr. 2 & 3, p. 169)

14 3 vergl. Lao-tzu Kap. 56

144 Nach Ch'eng Hsüan-ying Symbol i s i ert T C Bll. kuang yao, hier als

"Glänzendes Sonnenlicht" übersetzt, die Intelligenz, (vergl.

Chuang-tzu chi-shih, S. 759).

145 Der Ausdruck 7Cj 'rl wu yu, hier als "Nicht-Sein" übersetzt,

wird von Chuang-tzu im Kapitel 23 wie folgt erklärt:

"There is life, there is death, there is a coming out,

there is a going back in - yet in the coming out and going

back its form is never seen. This is called the Heavenly Gate.

The Heavenly Gate is nonbeing. ( 7^ n t & % H L )The ten thousand things come forth from nonbeing. Being cannot

create being out of being; inevitably it must come forth from

nonbeing. Nonbeing is absolute nonbeing ( M — 9 L %and it is here that the sage hides himself". (Zit. nach: Watson,

p. 257). Somit dürfen wir wu yu als ein Symbol be­

trachten, das sich Tao sehr nähert, und das als Geheimnis der

Schöpfung angesehen werden kann.

14 5 Diese Anekdote erscheint auch im 12. Kapitel des Huai Nan Tzu.

Vergl. H k » Bd. 7, S. 206; übersetzt

bei E. Morgan: Tao The Great Luminant; p. 133 f.

147 Ich folge hier Wang Nien-sun und lese Ji. tao anstelle vonr* rrTj* shou (vergl. Chuang-tzu chi-shi, S. 761). Diese Leseart

scheint mir insofern gerechtfertigt, als in einer ähnlichen

Anekdote im 19. Kapitel ebenfalls der Ausdruck \ tao steht,

(vergl. Chuang-tzu chi-shih, S. 640).

Page 115: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-102-

148 m & wörtlich übersetzt: "für Dinge kein sehen".

Meine Liebersetzung mit: "Von /anderen/ Dingen nahm ich keine

Notiz" scheint mir angebracht zu sein, weil dadurch m.E. der

Charakter des Gesprächs gewahrt bleibt.

149 Diese Anekdote erscheint auch im 12. Kapitel des Huai Nan Tzu.

vergl. Hsin-pien chu-tzu chi-ch'eng Bd. 7, S. 201

150 Jan Ch'iu - sein 1iterarischer Name war Tzu Yu - gewöhnlich

auch Jan Yu genannt, war einer der begabtesten und berühmtesten

Schüler des Konfuzius, namentlich auf praktischem Gebiet. Hat

durch seine konnivente Moral doch häufig das Missfallen des

Meisters erregt; er war einer jener Realpolitiker, die im

Ernstmachen mit praktischen moralischen Forderungen nur Uto­

pismus erblickten, (nach Wilhelm; Kungfutse Gespräche (Lun Yü)

S. 53). Wie Konfuzius seinen Schüler beurteilt, siehe z.B.

Lun YÜ V. 7; XI . 21,23

151 Chung Ni ist der "Erwachsenenname" von Konfuzius. Chuang-tzu lässt Konfuzius oft in seinen Geschichten auftreten, um mit

dem Schulgründer gegen die Schule zu polemisieren. Seine Lanzen

sind weniger gegen Konfuzius selbst gerichtet, dem er m.E,

vorurteilsfrei gegenübersteht, sondern hauptsächlich gegen Aus­

wüchse seiner Nachfolger.

152 Vergl. Kuo Hsiangs Gedanken im Anhang.

Page 116: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-103-

153 cp tai ming heisst nach CWTTT 10318.21^^* ting

ming, dem Befehl gehorchen, seinem Schicksal nachkommen.

154 ijft w u , nicht haben, nicht sein; wird von Kuo Hsiang im

Sinne von "absolut Nichts" verstanden. Vergl. Anmerkung

104 und Anhang.

1 55 £ y u , haben, sein; muss hier m.E. als Gegensatz zu "Nichts"

verstanden werden, deshalb die Liebersetzung von yu als

"Etwas"

156 Wenn das Sein - wie Kuo Hsiang hier implizit aussagt -

ewig ist, ist es unmöglich, von einer Zeit zu sprechen, die

dem Sein vorausgegangen wäre. Eine zeitliche Aussage über

das Sein als Summe aller darin erscheinenden und vergehenden

Wesen zu machen, ist sinnlos. Zeit ist nur relevant be­

züglich im Sein auftretender Wesen und deren Dauer.

157 vergl. Anmerkung 38 und Anhang.

158 Das, was bewirkt, dass Dinge Dinge sind, kann kein Ding sein.

Denn gehörte es zur Welt der Dinge, so müsste man sich weiter

fragen, woher es denn seine Dinglichkeit erhalten habe.

Gäbe es darunter noch einmal ein verursachendes Ding, könnte

man die Kausalkette ad infinitum weiterverfolgen. Dem

beugt Chuang-tze vor, indem er Chung Ni sagen lässt: "es

gibt keine Vergangenheit und keine Gegenwart" vergl. S.49

Damit fällt die Kausalität in sich zusammen, denn sie hat

nur im zeitlichen Bereich ihre Berechtigung, da sie nur

spätere Vorgänge durch frühere erklären kann.

Page 117: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-104

159 Yen Yuan, literarischer Name Tzu Yüan, wirklicher Name

Yen Hui, war der Li ebl i ngsschli 1 er des Konfuzius. Konfuzius

selbst gesteht seinem Schüler Fürstentugend zu (Lun Yü VI. 1)

und sagt im weiteren: "Hui war doch wirklich ein guter

Mensch! Eine Holzschüssel voll Reis, eine Kürbisschale voll

Wasser, in einer elenden Gasse. Andere Menschen hätten es

in einer so trostlosen Lage gar nicht ausgehalten. Aber

Hui liess sich seine Fröhlichkeit nicht rauben "(nach Wilhelm,

Lun Yü VI, 9). Als Yen Hui mit 32 starb, war Konfuzius zu­

tiefst bestürzt, (vergl. Lun Yü XI. 8).

160 Diese Aussage wird verständlicher, wenn man eine Aussage

aus dem 7. Kapitel zu Hilfe nimmt. Es heisst dort: "The

Perfect Man uses his mind (eigentlich steht Cj hsin, Herz!)

like a mirror - going after nothing, welcoming nothing,

responding but not storing. Therefore he can win out over

things and not hurt himself." (nach Watson, p. 97).

161 110 wu hsin. Der Mensch ist von verschiedenen Neigungen

abhängig, die sich - wie wir bereits gesehen haben (vergl.

Anm. 36) - im menschlichen Herzen befinden. Diese Neigungen

stören die menschliche Natürlichkeit und sind verantwort­

lich für die menschliche Unruhe. Um in einen absoluten Ruhe­

stand zu kommen, muss man solche Neigungen des Herzens be­

seitigen. Ein Herz, in dem keine Neigungen mehr vorhanden

sind, nennt man ein "leeres Herz" (/§_ LZ-J hsü-hsi

Diesen Zustand nennt man auch "ohne Herz" ( 5 L '(_y Durch seine Leere kann sich das Herz, gleich einem

allen möglichen Umständen auf die bestmögliche Art

n).

w u - h s i n ) Spi egel ,

anpassen.

162 Ich folge hier der Ansicht von Li Mien (S. 460), d e r a n

in der Bedeutung von ho liest, was m.E. durchaus dem

Gesprächsverlauf angepasst ist.

Page 118: Zhuangzi Guoxiang.pdf

-10 5-

163 Ich folge hier der Interpretation von Ch'eng Hsüan-ying,

der den Ausdruck mi als s h u n , im Einklang sein, liest,

(vergl. Chuang-tzu chi-shih S. 766).

164 Hsi T'ung meint, ^ to werde hier als . i ge­

braucht. (vergl. Ch'ien M u , Chuang-tzu tsuan-chien S. 181).

i ä i ist mit i identisch und wird von Couvreur (Dic­

tionnaire Classique de la langue Chinoise p. 919) als

"passer ou faire passer d'un lieu ou d'un état à un autre"

erklärt. Diese Bedeutung trifft hier m.E. genau das Richtige.

Derjenige, der "ohne Herz" ist, wird von den Dingen nicht

bewegt, und gleichzeitig bewegt er die Dinge nicht. Beide,

derjenige, der "ohne Herz" ist und das Ding, das ihm begegnet,

folgen unbehindert ihren Bestimmungen.

165 Wörtlich übersetzt heisst: JÎL JÎZ ".also genügend seiend

hält er an" Ich verstehe den Satz so, dass er den Dingen Genüge tut, das heisst hier m.E., den Verlauf ihrer Bestimmung nicht

behindert und gleichzeitig seiner eigenen Bestimmung nach­

kommt, sich also selbst treu bleibt.

166 Hsi-Wei , "blitzkei1treibender und schweinsfel1trommelnder

protochin. Donnergott" (Münke; Chinesische Mythologie, S. 258).

Nach Granet sind Hsi-Wei und Fu Hsi "rêgu1ateurs des astres"

(Granet; Danses et Légendes de la Chine ancienne, Tome Second,

p. 517).

167 Der Gelbe Fürst, Huang-ti , ist ein mythischer Gott-Kaiser,

der den Taoisten als Leitfigur galt (vergl. Franke/Trau-

zettel; Das Chinesische Kaiserreich, S. 22).

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-106-

168 Shun, ebenfalls ein Idealherrscher mythischer Vorzeit, der

den Konfuzianern als Leitfigur galt (vergl. Franke/Trau-

zettel; Das Chinesische Kaiserreich, S. 22).

16 9 T 1ang , auch Ch'eng T'ang,"Vollender T'ang" gilt als Gründer

der Shang-Dynastie, die nach den sog. " Bambusannalen" von

1523 - 1028 v. Chr. dauerte (vergl. Franke/Trauzettel;

Das Chinesische Kaiserreich, S. 27 und S. 32).

Hu gilt als Gründer der Chou-Dynastie (11. Jh. v. Chr. -

221 v. Chr. ) .

170 Betrachtet man die Reihenfolge dieser Orte: Park, Garten,

Palast, Häuser, so liegt die Vermutung nahe, dass es sich

dabei um eine zunehmende Entfernung von der Natürlichkeit

und eine Bewegung zum Künstlichen hin handle. Liou Kia-hway

sieht darin eine wachsende Einengung der sozialen Beziehungen,idie über die Streitereien zwischen Konfuzianern und Mohisten

zu den Bürgerkriegen der Chan-Kuo-Zeit führt, (vergl. Liou

Kia-hway; L'oeuvre complete de Tchouang-tseu, p. 347).

171 Es ist interessant festzustellen, wie elegant Kuo Hsiang

die zunehmende Einengung bzw. die Entfernung vom Natürlichen

"übersieht" und nur auf das gemeinsame hinweist.

« . fei?172 Das Schriftzeichen ee chi erscheint im 6. Kapitel in der

Bedeutung: "in Stücke schlagen; z e r b r e c h e n E s heisst dort:

S£ Wi ^ 0 7 7 T & (vergl. Chuang-tzu chi-shih,S. 281), was von Fung Yu-lan mit: "He tears all things into

Pieces, yet he is not just'i übersetzt wird, (vergl. Tung; Chuang Tzu, p . 127)

Auch Ch'eng Hsüan-ying liest an dieser Stelle das Schrift­

zeichen chi als % t" sui, zerstückeln, (vergl. Chuang-tzu

chi-shih, S. 282). Von Kuo Hsiang wird das Schriftzeichen

sjg_ chi an dieser Stelle leider nicht erklärt.

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-107-

173 Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Kuo Hsiang das

Schriftzeichen ^ chi hier als^D ho, in Einklang bringen,

liest. Das CWTTT 44212 gibt hier auch die B e d e u t u n g h o

an und zitiert als einzige Belegstelle die hier erscheinende

unter Berufung auf Kuo Hsiangs Kommentar. Ebenso interessant

ist der Umstand, dass auch Ch'eng Hsüan-ying das Schrift­

zeichen f§_ chi hier plötzlich ebenfalls als ho liest,

während er es im 6. Kapitel (vergl. Anm. 179) als ä P s u i

verstand, (vergl. Chuang-tzu chi-shih, S. 766).

174 Hier drängt sich eine Parallele zum 2. Kapitel auf. Dort

heisst es:

(vergl. Chuang-tzu chi-shih, S. 63). Fung Yu-lan übersetzt:

"Therefore, there are the contentions between the Confu-

cianists and the Mohists. Each one of these two schools

affirms what the other denies, and denies what the other

affirms." Und Kuo Hsiang bemerkt dazu: "That there is a

distinction of right and wrong i s what the Confucianists

and the Mohists affirm. That there is no such distinction

is what they deny."(verg1. Fung Yu-lan; Chuang-tzu p. 49).

In beiden Fällen übergeht Kuo Hsiang den Konflikt zwischen den beiden Schulen.

175 Uebersetzt man Wort für Wort, so heisst es: "Der Weise wohnt

Ding nicht verletzen Ding." Die Uebersetzung: "Der Weise

lebt inmitten von Dingen, ohne nur eines von ihnen zu ver­

letzen" gibt m.E. den Sinn der Aussage adäquat wieder.

176 Wer "ohne Herz" ist, ist fern von allen Wünschen und

Neigungen, er befindet sich im Zustand der Spontaneität,

ohne sich dessen bewusst zu sein. Und in diesem höchsten

Zustand menschlicher Erfahrung hat er jegliches "Nachgehen"

und "Entgegengehen" transzendiert.

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-1 OS-

177 Kuo Hsiang analysiert hier m.E. äusserst scharf, dass

bereits mit den Gedanken an die Berge und Wälder, die

heiligen Haine und die geweihten Gefilde ein erregen­

des Gefühl und ein Spannungsempfinden aufgebaut werden,

die fälschlicherweise als Freude verstanden werden.

178 Viel Freude und Trauer sind grundlos und selbstver­

schuldet, weil gedanklich ein Zustand hervorgerufen

wird, der nicht wirklich einzutreten braucht, oder

aber dass das Erwartungsgefühl stärker war, als das

wirkliche, dann meist nur noch kurz dauernde Gefühl

der Erfüllung.

179 Der Terminus tso wang wird uns im 6. Kapitel von

Yen Hui erklärt: "I forget everything ( 4JL )", replied

Yen Hui. Confucius changed his countenance and said: "What

do you mean by forgetting everything ( )?" "I gave

up my body," said Yen Hui, "and discarded my knowledge.

By thus getting rid of body and mind, I became one with the

infinite. This is what I mean by forgetting everything".

(Fung; Chuang Tzu, p. 128)

130 chi hat nach Couvreur (Dictionnaire Classique de la

langue Chinoise, p. 229) die Bedeutung: "demeurer tempo-

rainement dans un endroit, recevoir ou donner le logement

pour un temps." Gestützt auf diese Bedeutung erscheint mir

die Wiedergabe mit "ein- und ausgehen" angebracht.

131 Zur Bedeutung des Determinismus im Denken Kuo Hsiangs siehe

Anhang .

182 vergl. dazu im Anhang die Bedeutung von "fen".

* ★ *

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LITERATURVERZEICHNIS

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