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MATERIALIEN ZU Aus die Maus Von Georg Piller, Nadja Sieger und Ensemble Für Menschen ab 8 Jahren

ZU Aus die Maus - GRIPS Theater · Das Stück »AUS DIE MAUS« wird sich aus Fundstücken aus der Wirklichkeit, die das Team bei den mehrmonati-gen Recherchen quer durch Berlin kennengelernt

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MATERIALIEN ZU

Aus die MausVon Georg Piller, Nadja Sieger und EnsembleFür Menschen ab 8 Jahren

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»Aus die Maus«

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InhaltSVERZEIChnIS

Vorwort 3

KapItEl 1: ZuM StÜCK 5

Besetzung 6

Das Stück 7

In jedem steckt eine Stärke, die Respekt verdient 9

Von der Idee zum Text 10

Lachend Frieden schließen mit unseren Fehlern 12

KapItEl 2: WOhnunGSlOSIGKEIt/OBDaChlOSIGKEIt 13

Szenenauszug 1 14

Wohnungslosigkeit in Deutschland 15

KapItEl 3: DaS thEMa MIt KInDERn anGEhEn 19

Szenenauszug 2 20

Kindern Antwort stehen 1 22

Kindern Antwort stehen 2

Ein Gespräch zwischen Schüler*innen und Obdachlosen Gästen des Café Bankrott 24

Mama, kann uns das auch passieren? 28

KapItEl 4: untERRIChtSanREGunGEn 29

Fragen zum Stück 30

Anregungen zur thematischen Nachbereitung 31

Wimmelbild »Orte für Wohnungslose« 36

Legende zu »Orte für Wohnungslose« 38

Literaturhinweise, Links und Tipps 40

Dank und Impressum 42

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Bildunterschrift

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»Aus die Maus«

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lIEBE lESERIn, lIEBER lESER,

In Berlin sind Obdachlose im Stadtbild allgegenwärtig. Kinder sehen sie auf der Straße sitzen, in der U-Bahn Zeitungen verkaufen oder beim Flaschensammeln. Auch wenn es keine offizielle Statistik für Berlin gibt, können wir von ca. 6.000 Obdachlosen in der Stadt ausgehen, an denen wir zwar täglich vorbeikommen, mit denen es aber in der Regel kaum Berührungspunkte gibt. Ob-dachlose bilden eine »Parallelwelt«, die Kinder teilweise ängstigt, andererseits aber auch fasziniert. In unseren Recherchen haben wir erlebt, wie viele Fragen Kinder zum Thema Obdachlosigkeit haben. Unser Stück gibt ei-nen Anlass, sich mit diesen Fragen zu befassen und den Blick für das Thema zu schärfen.

»Aus die Maus« ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Begegnung, die uns Zuschauer dazu bringt, einen res-pektvollen zweiten Blick zu wagen, auf Menschen, die auch obdachlos sind, aber eben vor allem Menschen – mit ganz unterschiedlichen Geschichten.

Das Produktionsteam hinterfragt die gängigen Vorurtei-le über Obdachlosigkeit, ohne zu verharmlosen, weckt Verständnis für die Ursachen und Folgen von Obdach-losigkeit und entwickelt mit viel kindlichem Mut eine humorvolle Perspektive auf ein ernstes Thema.

Wir haben in diesem Materialheft weiterführende Texte und Auszüge unserer Recherche zum Thema Obdachlosig-keit zusammengestellt. Zur Vertiefung mit Schulklassen und Gruppen finden Sie Gesprächs- und Spielanregun-gen. Weitere Texte und Interviews finden Sie in unserer Spezialausgabe der Straßenzeitung »Strassenfeger«, die bei uns im Theater erhältlich ist. Der Erlös der Zeitung kommt natürlich dem »Strassenfeger« zugute.

Viel Vergnügen beim Lesen und Ausprobieren!

Nora Hoch (Dramaturgie), Susanne Rieber und Anna-Sophia Fritsche (Theaterpädagogik)

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»Aus die Maus«

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KAPITEL 1

Zum Stück

In Wahrheit haben die Humoristen immer nur ein einziges Thema: die wunderliche Traurigkeit und Beschissenheit des Menschenlebens und das Staunen darüber, dass dieses jämmerliche Leben trotzdem sehr schön

und köstlich sein kann.Hermann Hesse, Autor

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»Aus die Maus«

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BESEtZunG

Aus die MausVon Georg Piller, Nadja Sieger und Ensemble

Es spielen:

Herr Maus: Frederic Phung

Kippe: Regine Seidler

Regie/Autorin: Nadja Sieger

Autor: Georg Piller

Dramaturgie: Nora Hoch

Theaterpädagogik: Susanne Rieber und Anna-Sophia Fritsche

Kostüm: Gabriele Kortmann

Musikalische Betreuung: Bettina Koch

Regieassistenz: Anna-Elena Machmer

Regiehospitanz: Mareike Froitzheim

Requisite: Tobias Schmidt, Mani Thomasson und Oliver Rose

Bühnenbau: Mark Eichelbaum

Maske: Sedija Hussark

Schneiderei: Anne Rennekamp und Sabine Winge

Technik: Patrizio Borrgi und Jerry Geiger

Uraufführung am 22. September 2016 im GRIPS Podewil

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»Aus die Maus«

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DaS StÜCK

1. Szene: »Zaubershow«Herr Maus begrüßt die Kinder und beginnt mit seiner Zaubershow. Lässig schüttelt er seine Tricks aus dem Är-mel.

2. Szene: »Störung«Herr Maus erklärt das Geheimnis der Glücksschwei-ne und wie man alles schaffen kann, wenn man einen Traum hat und hart dafür arbeitet.

Kippe, die Obdachlose, stört mehrfach hinter dem Vor-hang und taucht auf der Bühne auf. Sie will gar nicht stören. Es passiert einfach, weil sie da ist, wo sie nichts zu suchen hat: mitten im Rampenlicht. Eigentlich will sie nur raus. Aber dabei bringt sie alles durcheinander.

3. Szene: »Neustart«Hier improvisiert Herr Maus und erklärt direkt und ehr-lich, wie absurd diese Situation jetzt ist, aber dass es zu schaffen ist – wir müssen es nur wollen. Herr Maus

probiert einen Schnelldurchlauf der Zaubershow! Kippe stört und Herr Maus ignoriert das komplett. Bis es zu laut wird und Herr Maus die Zaubershow abbricht. Herr Maus verlässt den Saal auf der Suche nach jemandem, der »zuständig« ist, und ihm helfen kann, sein Problem zu lösen.

4. Szene: »Waschtaschen-Maus«Kippe ist allein auf der Bühne und spielt ihre eigene Show. Als Herr Maus zurückkommt, wird er wütend über ihre Parodie, will sie loswerden und beginnt, sie zu be-schimpfen.

Maus geht, um seine Maske zu desinfizieren.

5. Szene: »Schmutz & Schuld«Kippe umkreist das Thema »Desinfizieren«. Sie schämt sich, dass sich Leute vor ihr ekeln und Angst haben, man könnte sich bei ihr anstecken oder Ähnliches.

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»Aus die Maus«

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Sie setzt sich ans Piano und spielt ein paar einfache Töne.

6. Szene: »Pianoblues« Herr Maus, der schon länger vom Zuschauerraum aus zugeschaut hat, kommt dazu. Er setzt sich stumm neben Kippe und spielt mit.

Er nimmt sie musikalisch an die Hand und versucht, sich langsam zu entschuldigen. Kippe ist zuerst sehr abwei-send. Aber nach und nach beginnen die beiden ein Ge-spräch. Sie erzählen sich von ihrem Lebensweg.

7. Szene: »Demoknopf« Kippe erwischt den DEMO-Knopf am Piano.

Sie will tanzen. Herr Maus ist irritiert und weiß einen Moment lang gar nicht mehr in welchem Film er hier gerade ist. Irgendwann macht Herr Maus eine magische Tanz-Bewegung: Kippe wird an den Rand gezaubert. Sie tanzen auf Abstand zusammen. Herr Maus schaut sein Publikum magisch an, dreht sich um, setzt seine Maske wieder richtig auf, startet seine Pyramidenperformance und setzt damit seine Show fort.

8. Szene: »Pyramide« Anhand der Bedürfnispyramide zeigen die Beiden was für ein Chaos entsteht wenn man keine Wohnung hat.

9. Szene: »Warum man keine Woh-nung hat« Herr Maus will wissen warum Kippe keine Wohnung hat und sie gibt Einblicke in verschiedene Geschichten, aber ohne sich festlegen zu lassen. Als ihr die Fragen zu viel werden, macht sie das Licht aus.

10. Szene: »Spielwiese der Nacht«Im Dunkeln berichtet Kippe davon, wie es ist, nachts auf der Straße zu sein. Und Herr Maus bringt etwas Magie in die Szene. Für einen Moment ist es schön, bis Kippe vor Schmerzen aufschreit.

11. Szene: »Helfen«Kippe ist an ihre Wunde gestoßen und weil die Wunde aussieht, als müsste sie sofort versorgt werden, will Herr Maus einen Arzt rufen. Aber das will Kippe auf keinen Fall.

Maus bietet Kippe an, mit zu ihm nachhause zu kom-men, die Show abzubrechen, um ihr zu helfen. Er merkt erst nach und nach wie hilflos er selbst mit diesem Ver-such ist, während Kippe immer mehr Kram hinter dem Vorhang hervorholt, mit dem sie bei ihm einziehen will.

12. Szene: »Aus die Maus«Der Vorhang fällt krachend um.

Die Maus rettet sich und ihre Sachen auf die Seite. Kippe steht erstaunt im gefallenen Vorhang und weiß kaum, welche Emotion zuerst kommt. Dann beginnt sie zu la-chen. Kippe redet lustig auf Herrn Maus ein. Er reagiert erst mal nicht, denn er weiß nicht wie. Ihm wird klar, dass er sich übernommen hat und nicht so helfen kann, wie er gerne würde. Herr Maus tröstet sich mit Musik und Kippe singt mit. Langsam räumt er seine Sachen zum Ausgang.

13. Szene: »Schneesturm« Bei seinem letzten Gang zur Tür sieht Herr Maus das ka-putte Radio von Kippe, nimmt es hoch und schaut es an. Er verspricht ihr das Radio zu reparieren und es ihr am nächsten Tag wieder mitzubringen. Und am Ende zeigt er Kippe wie seine Show eigentlich geendet hätte –nämlich mit einem Schneesturm. Und den zaubert er dann: Für Kippe und für das Publikum.

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»Aus die Maus«

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Eigentlich erwartet man von einem neuen künstleri-schen Leiter eines Theaters, dass er seine erste Spielzeit mit einer großen, Aufsehen erregenden Theaterproduk-tion auf der Hauptbühne seines Hauses beginnt. Doch wer Philipp Harpain, den langen 49-jährigen Schlacks in Arbeiterklamotten und mit spitzbübischem Grinsen un-ter der Käppi, kennt, weiß, das passt irgendwie nicht zu ihm. Die große Geste mit allzu viel Tamtam ist nicht sein Ding. Stattdessen setzt er zum Auftakt im September mit »Aus die Maus« ein kleines Zwei-Personenstück für Kin-der zum Thema Obdachlosigkeit an. Die Premiere wird in der zweiten, kleinen GRIPS-Spielstätte im Podewil ge-genüber vom Alexanderplatz sein.

Er erfüllt sich damit einen langgehegten Herzenswunsch, verrät Philipp Harpain. Das ist die einzige Eitelkeit, die er sich leistet. Dazu muss man seinen beruflichen Weg kennen, der nicht augenfällig zum Ziel hatte, eines Ta-ges das wohl berühmteste Kinder- und Jugendtheater zu leiten. Denn Philipp Harpain kommt ursprünglich vom Straßentheater. Schon mit 14 Jahren hat er sich als Mu-siker auf der Straße ausprobiert, später kamen da noch das Theater und die Kunst dazu. Diesem Genre ist er über die Jahre, trotz oder sogar wegen seiner Ausbildung zum Schauspieler und Theaterpädagogen, treu geblie-ben. Auch, als er von der Straße in feste Engagements wechselte, und auch, als er vor 15 Jahren ans GRIPS kam und hier die theaterpädagogische Abteilung aufbaute.

Von der Straße hat er nicht nur die direkte Art des The-aterspielens mitgenommen, sondern v.a. seine Neugier für Menschen und ihre Geschichten. Er liebt es, Men-schen zuzuhören. Als Theaterpädagoge, Regisseur und Projektentwickler hat er es gelernt, Menschen einen ver-trauensvollen Rahmen zu geben, um sich öffnen zu kön-nen. »Und dann,« sagt er, »merkt man, dass in jedem eine Stärke steckt, die Respekt verdient.«

Mit Kindern hat er immer wieder zum Thema »Armut« gearbeitet. Hier hat er das Potential entdeckt, das es hat, wenn man Kinder an den Lebenswelten teilhaben lässt, die hinter dem Schimpfwort »Penner« stecken. »Es ist so wertvoll, wenn Kinder erfahren, was es heißt, kein Geld und keine Wohnung zu haben, wieso Obdachlose manchmal so erschreckend aussehen, wieso sie stinken, wieso sie auch mal klauen müssen«, so Philipp Harpain.

»Das Theater hat die großartige Möglichkeit, dass man spielerisch die Perspektive wechseln kann. Hier kann ich Brücken von der einen in die andere Lebenswelt bauen.« Er möchte die Wirklichkeit zeigen, ohne jede Sozialro-mantik. Aber mit dem nötigen Humor, »das brauche ich, das braucht jeder, der so dicht an der Realität arbeitet«.

Das Stück »AUS DIE MAUS« wird sich aus Fundstücken aus der Wirklichkeit, die das Team bei den mehrmonati-gen Recherchen quer durch Berlin kennengelernt hat, zu-sammensetzen. Dazu gehört auch die wahre Geschichte der obdachlosen Frau, die es geschafft hat, über Monate unentdeckt im großen, verwinkelten Podewilgebäude zu leben. Ihr ist es gelungen, äußerlich unauffällig zu blei-ben, und täglich mit den über 100 Angestellten ein- und auszugehen. Und genau das ist so eine Geschichte, die Philipp Harpain begeistert, eine Begeisterung, die an-steckt. »Das ist doch der Hammer, das macht man sich doch gar nicht klar, was es heißt, jeden Tag als Obdach-loser sich zu organisieren!«, so Philipp Harpain. »Weißt du, das möchte ich erzählen. Und das macht für mich das GRIPS Theater aus: Sich gemeinsam bewusst zu ma-chen, was den Menschen zum Menschen macht, es ist das Miteinander, das Fühlen, der Respekt. Aber auch, für die Menschlichkeit einzutreten, Haltung zu zeigen, un-bequem zu sein. Sich trösten und ermutigen zu lassen. Und zu fühlen: Man ist nicht allein. Sich selbst wieder zu ermächtigen, indem man an die Veränderbarkeit der Welt glaubt. Und wir hier im GRIPS haben doch dafür die schönsten Mittel: Mit Kreativität, Kunst und Humor die soziale Fantasie anregen und die Verhältnisse zum Tanzen bringen!«.

»In jEDEM StECKt EInE StäRKE, DIE RESpEKt VERDIEnt«Der neue künstlerische Leiter des GRIPS Theaters, Philipp Harpain, erfüllt sich mit einem Kinderstück zum Thema Obdachlosigkeit einen langgehegten Wunsch

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VOn DER IDEE ZuM tExtDer Autor und Kinderpsychologe Georg Piller erzählt, wie das Stück entstanden ist

GRIPS: »Aus die Maus« ist eine Stückentwicklung. Wie habt ihr gearbeitet?

Gp: Die allererste Idee zu dem Stück stammt von Philipp Harpain, dem Leiter des GRIPS Theaters. Der wollte gerne etwas über obdachlose Menschen machen – ich glaube, zum einen, weil sich in der direkten Umgebung des GRIPS Theaters so viele Obdachlose aufhalten; zum anderen, weil er in seiner Zeit als Straßentheaterkünstler häufig mit Obdachlosen zu tun hatte.

Wir haben dann gemeinsam die Idee entwickelt, dass in unserem Stück eine obdachlose Frau im GRIPS Theater wohnen soll und dort eine Vorstellung stört. Es stellte sich heraus, dass im Podewil vor einiger Zeit tatsächlich eine obdachlose Frau gelebt hatte, die sich dort mehrere Monate lang verstecken konnte. Insofern ist die Grund-idee gar nicht so unrealistisch.

Als nächstes stieß dann die Regisseurin Nadja Sieger zu uns, die durch ihre künstlerische Herkunft als Clownin noch einmal eine ganz andere Sicht auf die Dramaturgie und die Figuren mitbrachte. Gemeinsam haben wir dann beschlossen, dass wir das Stück nicht am Schreibtisch entwerfen, sondern gemeinsam mit den Schauspielern entwickeln wollen.

Vor den Proben haben wir uns natürlich erst einmal kun-dig gemacht, wie denn obdachlose Menschen in Berlin tatsächlich leben: ob es typische Probleme oder Eigen-heiten gibt, was wichtig wäre zu erzählen. Nora Hoch, die Dramaturgin vom GRIPS Theater, hat für uns etliche Kontakte hergestellt: wir konnten z.B. die Bahnhofsmis-sion besuchen und mit den Mitarbeitern vor Ort spre-chen; wir sind eine Nacht mit dem Kältebus durch Berlin mitgefahren und haben in der Notübernachtung Lehrter Straße mit den Gästen gesprochen, die dort übernachten; zusammen mit einer Schulklasse haben wir Mob e.V. – einen Verein, der unter anderem den »Straßenfeger« he-rausgibt – besucht und beobachtet, wie Schulkinder drei obdachlose Menschen interviewt haben.

Diese teilweise sehr eindrucksvollen Erfahrungen ha-ben die Stückentwicklung natürlich erheblich geprägt. Wir hatten zu Beginn der Proben einen ganz groben Ab-lauf im Kopf, was ungefähr passieren sollte. Den beiden Schauspielern haben wir dann kurze Anweisungen für konkrete Situationen gegeben, z.B. »Du willst einen Vor-trag halten und hörst plötzlich Geräusche hinter der Büh-

ne.« Die Spieler haben dann improvisiert und gespielt, was ihnen dazu einfällt. Je mehr die beiden sich mit ih-ren Figuren identifizieren konnte, umso konkreter und überraschender wurden die Ideen. Diese Improvisatio-nen wurden auf Video aufgenommen und zum größten Teil wörtlich abgeschrieben.

Das haben wir etwa zwei Wochen lang gemacht. Am Ende hatten wir viele Stunden Video und einen dicken Stapel mit Texten, den wir dann sortiert, gekürzt und an-gepasst haben.

Der große Vorteil des Improvisierens liegt darin, dass Schauspieler, wenn sie erst einmal »im Schwung« sind, viel phantasievollere und ungewöhnlichere Einfälle haben als man sie alleine am Schreibtisch entwickeln würde. Außerdem bringen sie durch ihre Persönlichkeit sofort eine eigene Sprache mit – d.h. sie reden nicht wie gedruckt, sondern lebendig und in ihrem eigenen Stil. Wir haben beim Redigieren versucht, möglichst viel die-ser spontanen Lebendigkeit beizubehalten.

Nach etwa drei Wochen hatten wir dann einen ferti-gen Text, mit dem die Regisseurin und die Schauspieler weiterproben konnten. Das Stück hat also nicht einen einzelnen Autor, sondern ist ein Gemeinschaftswerk von mehreren Menschen.

GRIPS: Was hat dich daran gereizt, das Thema Ob-dachlosigkeit zu bearbeiten?

Gp: Ich muss gestehen, dass ich mich am Anfang etwas schwer getan habe, mich für das Thema zu begeistern. Das hat sich aber schlagartig geändert, nachdem ich bei der Recherche die ersten obdachlosen Menschen ken-nengelernt habe.

Ich hatte das Gefühl, eine Parallelwelt entdecken zu dürfen, an der ich bislang immer vorbeigelaufen war, obwohl sie ja in Berlin eigentlich an jeder Ecke zu se-hen ist. Besonders die Fahrt mit dem Kältebus hat mich nachhaltig beeindruckt und ich bin im Nachhinein sehr froh, dass ich dort mitfahren durfte. Ich habe während der Recherche ganz verschiedene Menschen getroffen: diese Begegnungen waren teilweise berührend, teilweise überraschend lustig und skurril, teilweise natürlich auch bedrückend.

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»Aus die Maus«

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Ich fand es besonders beeindruckend, dass sich die ob-dachlosen Menschen bei allem Elend noch ihren eigenen Stil und einen individuellem Umgang mit ihrer Situation bewahrt haben. Ich war sehr überrascht, wie freundlich und offen wir überall empfangen wurden und wie nett und kontaktfreudig die meisten unserer Gesprächspart-ner waren. Nicht mit allen war es immer möglich, auf »normale« Weise zu kommunizieren – manche sprachen kein Deutsch, andere waren einfach zu krank, um ein

längeres Gespräch zu führen – aber auch dann gab es Wege, um miteinander in Kontakt zu kommen.

Bei mir persönlich haben im Laufe des Stückentwick-lung meine anfänglichen Berührungsängste abgenom-men. Wenn ich heute obdachlose Menschen sehe, dann schaue ich differenzierter als früher, sehe mehr die Per-son und ihre Individualität. Wenn unser Stück bei den Zuschauern einen ähnlichen Prozess anstoßen könnte, dann würde ich mich sehr freuen.

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laChEnD FRIEDEn SChlIESSEn MIt unSEREn FEhlERnRegisseurin, Autorin und Komikerin Nadja Sieger im Gespräch über die Bedeu-tung von Komik

GRIPS: Warum darf und warum muss es komisch sein, wenn wir uns auf der Bühne einem schweren Thema widmen?

nS: Wir können sagen: Das Wasser ist warm. Aber wenn dieses Wasser langsam wärmer und wärmer wird, sind wir als Gradmesser nicht zu gebrauchen. Das Gegenteil hilft. Warm empfindet man vor allem dann als warm, wenn’s vorher kalt ist. Genauso verhält es sich in der Verbindung von Tragik und Komik. Wenn wir eine Situa-tion im Theater immer nur schlimm und schlimmer wer-den lassen, laufen wir Gefahr, dass uns die Zuschauer emotional abspringen. Zu viel ist dann einfach zu viel.

Wenn sich aber eine Obdachlose, die wirklich in der Scheisse sitzt, mit einem Lied über das schöne Leben tröstet, sich damit an wunderbare Momente im Leben erinnert, die auch sie mal hatte, und dadurch echte Hoffnung schöpft, dann wird uns die wirkliche Tragweite ihres Elends bildstark bewusst. Wir fühlen mit unserer Protagonistin, die mit einem Lachen untergeht mit, ohne dabei mit ihr unterzugehen. Zurück bleibt das Gegenteil von emotionaler Distanz: Verständnis und der Wunsch, einfach nur helfen zu können.

GRIPS: Welche Bedeutung, bzw. welche Funktion hat Komik für Dich in Deiner Arbeit?

nS: Lachen entspannt. Das klingt simpel, und ist es auch. Wenn wir etwas nicht verstehen, verspannen wir uns. Uns stockt der Atem, wir sind am Denken und bleiben so lange verspannt, bis uns die Lösung erlöst. Diese lässt uns aufatmen, und was passiert? Wir lachen. Lachend können wir wieder Frieden schließen mit uns, unseren Fehlern und unserer Engstirnigkeit.

Komik ist ein wunderbares Spielmittel für die Bühne. Mehr noch: Komik ist Rhythmus: Ein Hin und Her zwi-schen Anspannung und entspanntem Lachen kann, wie ein Wellengang zwischen Bühne und Zuschauerraum hin und her gehen. Das Theater wird lebendig und plötzlich atmet das Publikum im Saal denselben Puls, wie die Schauspieler auf der Bühne. Lachen verbindet.

GRIPS: In einem unserer ersten Gespräche sagtest Du uns, wenn es in unsere Geschichte einen Moderator und eine obdachlose Frau gibt, wäre für Dich ganz klar,

dass der Moderator der Straightman/ der Regelmacher ist und die Obdachlose der dumme August. Bitte erklär uns, was Du damit meinst.

nS: Ich gebe ein einfaches Beispiel: Dem Regelmacher, dem sogenannten Weißclown gehört ein Stuhl. Der an-dere Clown, der »dumme August« ist müde, darf sich aber nicht auf dem Stuhl setzen. Was passiert? Der »dumme August« versucht die Regel einzuhalten, steht brav und müde neben dem Stuhl, bis er sich im Halb-schlaf hinsetzt. Wenn ihm nun der Weißclown den Stuhl unterm Hintern wegzieht, landet der »dumme August« am Boden, ohne zu wissen, warum. Aus seiner Sicht hat er nichts falsch gemacht.

Mindestens so unwissend wird unsere Obdachlose den laufenden Vortrag des Moderators stören. Nicht weil sie das will, sondern weil es ihr passiert. Sie will sich natür-lich augenblicklich davon stehlen, hat aber viel zu viele Sachen dabei. Ein leiser Rückzug aus dieser verfahrenen Situation ist unmöglich. Sie stört, allein schon darum, weil sie da ist, wo sie nie hätte auftauchen dürfen: Auf der Bühne. Sie ist falsch, ohne es zu wollen und das ist sehr tragisch, gleichzeitig lustig, weil menschlich, und allein schon darum wunderbar clownesk.

Nadja Sieger über Zauberer und ClownsnS: Wer ein guter Clown sein will, ist transparent und nicht gut im Verstecken. Es gibt zwar Techniken, um sich im echten Leben emotional zu schützen, aber wer auf der Bühne als Clown berühren will, darf sich im Ram-penlicht emotional nicht verschließen. Im Gegensatz dazu lebt ein Zauberer davon, dass er den Fokus verne-belt. Er muss einen Teil der Wahrheit verbergen, damit der Trick gelingt. Sein Lohn ist nicht das Lachen, sondern das Staunen der Zuschauer, die nicht wissen, wie er’s gemacht hat und ihn darum bewundern.

Bei den Clowns passiert das Gegenteil. Ein Clown will zwar genauso raffiniert sein, wie der Zauberer, wird aber daran scheitern. Und das Publikum? Lacht, entspannt sich, freut sich, und beginnt diesen Clown, der da vorn auf der Bühne mutig Mist baut, genau darum zu mö-gen. Ich bin - glaube ich - ein guter Clown. Ich liebe die Fehler, die wir Menschen machen, denn hierin finde ich unendlich viel Poesie.

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KAPITEL 2

Wohnungslosigkeit / Obdachlosigkeit

Gemeinsam ist vielen obdachlosen Menschen: „Ich kann nicht mehr: Die Spiel-regel einhalten, den Normen entsprechen. Den Platz in eurer Mitte halten.“

Und so katapultiert Obdachlosigkeit Menschen an den Rand und trotzdem, das ist paradox, bleiben sie mitten unter uns, mehr als wir es oft sind.

Dieter Phul, Leiter der Bahnhofsmission am Zoo

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SZEnEnauSZuG 1 Maus: Ja. Nun lassen Sie mich bitte in Ruhe! Sie sind jetzt nicht Thema!

Kippe: Ich bin kein Thema!?

Maus: Doch, natürlich sind Sie ein Thema, aber nicht jetzt!

Kippe: Wann bin ich denn ein Thema? Hallo? Ich stehe hier mitten auf der Bühne und da soll ich kein Thema sein? (aufgeregt) Jemand hat meine Zahnbürste geklaut, (hält die leere Waschtasche hoch) und dann soll ich kein Thema sein? Kann mal einer zu mir sagen, dass ich ein Thema bin? Sie setzt sich die Waschtasche auf den Kopf. Wenn ich kein Thema bin, dann bin ich eine Waschtasche.

Maus: ... Entschuldigung, kennt sich hier jemand aus? Nein?

Kippe albert weiter.

Maus: Das reicht, ich hol jemand. Kann doch nicht sein, dass hier im Theater niemand zuständig ist für ... sowas ... Macht euch keine Sorgen Kinder, ich bin gleich wieder da.

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Wohnungslosigkeit gehört zu den Phänomenen in Deutschland, über die in der Öffentlichkeit – und leider auch in der Politik – nur wenig bekannt ist. Mit woh-nungslosen Menschen werden meist ältere, ungepflegt wirkende Männer mit Schnapsflasche auf einer Park-bank assoziiert, dabei machen auf der Straße lebende Wohnungslose nur einen kleinen Teil der Zielgruppe aus. Wohnungslose Menschen werden von der Gesell-schaft ausgegrenzt und versuchen daher oft, unsichtbar zu bleiben. Nur »alte Hasen« der Wohnungslosenhilfe erkennen in dem Anzug tragenden Mann mit Aktenta-sche, der stundenlang in der S-Bahn umherfährt, den wohnungslosen Menschen, der so seine Zeit totschlägt. Dieses Unsichtbarmachen trifft im Besonderen auf woh-nungslose Frauen zu, die häufig verdeckt wohnungslos leben und angebotene professionelle Hilfen aus Scham nicht annehmen.

Die Unkenntnis auch vieler politisch Verantwortlicher ist umso erstaunlicher, als Ursachen, Folgen und Rahmen-bedingungen von Wohnungslosigkeit relativ gut erforscht sind. Forderungen nach einer Wohnungsnotfallstatistik und einer darauf aufbauenden nationalen Strategie zur Überwindung von Wohnungslosigkeit und der Entwick-lung gezielter Präventionsmaßnahmen werden weitge-hend ignoriert. So laufen unter anderem die entspre-chenden Forderungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. (BAG W) seit Jahrzehnten ins Leere, oder Anträge der jeweiligen Oppositionsparteien werden, wie 2013 im Bundestag und im Land Berlin ge-schehen, abgelehnt. Auf der anderen Seite existiert in Deutschland, vor allem in den größeren Städten mit ihrer starken Anziehungskraft auf wohnungslose Men-schen, ein vielfältiges Hilfesystem, das auf europaweit fast einzigartigen einklagbaren rechtlichen Ansprüchen basiert. (...)

Definition und AusmaßIn Deutschland existiert keine legale, das heißt offizielle und gesetzlich verankerte Definition von Wohnungslosig-keit. Die bekannteste und auch von vielen Kommunen und Landkreisen genutzte Definition ist Teil einer Be-griffsbestimmung von Wohnungsnotfällen durch die BAG W, die im Wesentlichen drei Teilgruppen unterscheidet. Wohnungsnotfälle sind demnach

• akut von Wohnungslosigkeit betroffene Menschen ohne eigene mietvertraglich abgesicherte Wohnung (oder Wohneigentum),

• unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedrohte Men-schen, denen der Verlust ihrer Wohnung unmittelbar bevorsteht sowie

• in unzumutbaren Wohnverhältnissen lebende Men-schen.

Aus der Formulierung »ohne eigene mietvertraglich ab-gesicherte Wohnung« geht bereits hervor, dass nicht nur auf der Straße lebende Menschen als wohnungslos gel-ten. Vielmehr umfasst diese Definition sowohl Menschen ohne jegliche Unterkunft als auch solche, die vorüber-gehend bei Freunden und Verwandten unterkommen oder in Behelfs- und Notunterkünften beziehungsweise in Unterkünften für Wohnungslose leben – institutionell untergebracht oder selbst zahlend. Wie viele Menschen dies jeweils betrifft, wird in Deutschland im Gegensatz zu einer ganzen Reihe von anderen europäischen Ländern nicht offiziell erfasst. So müssen wir auch bei der Frage nach dem Umfang der Wohnungslosigkeit in Deutsch-land mit den Daten der BAG W vorlieb nehmen. Anhand eines komplexen Schätzmodells wurde durch die BAG W für 2012 eine Anzahl von insgesamt 284 000 woh-nungslosen Menschen ermittelt, davon 35 000 in Ost-deutschland und 249 000 in Westdeutschland. Etwa 24 000 davon, das heißt 8,4 Prozent aller wohnungslosen Menschen, leben nach diesen Schätzungen auf der Stra-ße. Etwa elf Prozent sind minderjährig, der Frauenanteil unter den Erwachsenen beträgt ungefähr 25 Prozent. Während sich die Verteilung auf Minderjährige, Männer und Frauen über die Jahre kaum verändert, steigt die Anzahl wohnungsloser Menschen insgesamt seit 2008 kontinuierlich an.

Individuelle ProblemlagenWohnungslose sind keine homogene Gruppe. So finden sich darunter Menschen aus seit Generationen margina-lisierten und benachteiligten Familien genauso wie ehe-malige Professoren, Ärztinnen, Facharbeiter oder Künstle-rinnen. Entsprechend unterschiedlich sind die Ursachen und Auslöser für ihre Wohnungslosigkeit sowie die Folgen aufgrund einer längeren Periode von Wohnungslosigkeit.

WOhnunGSlOSIGKEIt In DEutSChlanDVon Susanne Gerull Dipl.-Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin, Professorin für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, Alice Salomon Hochschule Berlin

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Manchmal kann die Frage nach Henne und Ei auch nicht geklärt werden: Wurde jemand aus seiner Wohnung wegen Mietschulden geräumt, weil nach der Trennung von Frau oder Freundin der Schmerz im Alkohol ertränkt wurde und dadurch auch die Arbeit irgendwann verloren ging? Oder ist ein riskanter Alkohol- beziehungsweise Drogenkonsum die Folge von Arbeitslosigkeit und län-geren Zeiten auf der Straße? Wurde keine Miete mehr gezahlt, weil sie durch Mietsteigerungen oder Sanktio-nen des Jobcenters objektiv nicht mehr bezahlbar war oder weil aufgrund einer Suchtmittelabhängigkeit oder Überschuldung falsche Verwendungsentscheidungen ge-troffen wurden? Unterschieden werden muss in diesem Kontext zwischen Ursachen und Auslösern. So sind vor Eintritt in die Wohnungslosigkeit häufig schon massive Probleme vorhanden, die bei einem kritischen Lebens-ereignis wie Trennung, Arbeitsplatzverlust oder Diagno-se einer lebensbedrohlichen Erkrankung dann am Ende eines langen Wegs zu einem Verlust der Wohnung oder Wohnmöglichkeit führen.

In fast allen Fällen ist die Einkommenssituation woh-nungsloser Menschen prekär. Die meisten von ihnen haben Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialhil-fe und können diese Sozialleistungen auch ohne Lan-deseinwohneramtliche Meldung beziehen, wenn ihre Erreichbarkeit durch eine Postadresse, beispielsweise bei einer Beratungsstelle, gesichert werden kann. Einige, vor allem psychisch kranke Wohnungslose sind dagegen nicht in der Lage, die Ansprüche der Ämter und Behör-den für eine Antragstellung zu erfüllen. Aufgrund ihrer Erkrankung und den daraus resultierenden Einschrän-kungen sowie eventuell zusätzlich vorhandener sozialer Schwierigkeiten gelingt es ihnen oft nicht, professionelle Unterstützung zu nutzen. In einer qualitativ und quanti-tativ angelegten Studie zu wohnungslosen Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten wurden neben Ar-beitslosigkeit, Suchtmittelmissbrauch und psychischen Erkrankungen auch überproportional niedrige Bildungs-abschlüsse, Straffälligkeit, Gewalterfahrung sowie ein fehlendes soziales Netz als Problemlagen erfasst.

Geschlechtsspezifischer Blick auf WohnungslosigkeitSeit Beginn der 1990er Jahre liegt ein besonderer Fokus der Forschung auf der Wohnungslosigkeit von Frauen, was in einer ganzen Reihe von qualitativ angelegten Studien mündete. Eine der wesentlichsten Erkenntnis-se – neben der hohen Gewaltbetroffenheit von woh-nungslosen Frauen – ist die Tatsache, dass sie oft ver-deckt wohnungslos leben. Häufig gehen sie sogenannte

Zwangspartnerschaften ein, in denen sie, auch sexuell, ausgebeutet werden.

Der oben angegebene Anteil von nur 25 Prozent an den erwachsenen Wohnungslosen ist überall dort höher, wo spezifische Einrichtungen für wohnungslose Frauen an-geboten werden. Es kann also vermutet werden, dass die besonders stark ausgeprägte Scham von Frauen, sich wohnungslos zu melden, aber auch fehlende adäquate Hilfeangebote Gründe für den geringen Anteil von Frauen an der geschätzten Zahl von Wohnungslosen sind.(...)

Hilfesystem für wohnungslose MenschenDas Hilfesystem für wohnungslose Menschen in Deutsch-land basiert auf gesetzlichen Grundlagen, die in Europa fast einzigartig sind. Auf der einen Seite garantieren die Polizei- beziehungsweise Ordnungsgesetze der 16 Bun-desländer einen Unterbringungsanspruch für jeden Men-schen, der unfreiwillig wohnungslos ist. Dies bedeutet in der Theorie, dass die Sozialämter (die in der Regel die entsprechenden ordnungsbehördlichen Aufgaben übernehmen) niemanden mit Verweis auf fehlende Un-terkünfte abweisen dürfen. Im Zweifelsfall muss bei-spielsweise ein Hotelzimmer finanziert, ein freies Bett in einem Seniorenheim angeboten oder in Katastrophen-fällen eine Turnhalle mit Feldbetten zur Verfügung ge-stellt werden –und zwar noch am Tag der Vorsprache. Ein aktuelles Urteil bekräftigt, dass dies unabhängig von einem Anspruch auf Sozialleistungen oder auch gefes-tigten Aufenthaltsstatus erfolgen muss, und auch die Anforderungen an eine menschenwürdige Unterkunft sind durch einschlägige Urteile geregelt. Auf der anderen Seite kann niemand gezwungen werden, in eine Unter-kunft für wohnungslose Menschen zu ziehen. Ein woh-nungsloser Mensch kann somit entscheiden, die Straße (oder eine »Platte«, wie es im Jargon der Betroffenen heißt) einer Unterkunft vorzuziehen. In der Praxis sieht es manchmal anders aus. So werden immer noch – nicht nur aus rechtlicher Unkenntnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sozialämtern – wohnungslose Men-schen ohne Vermittlung einer Unterkunft weggeschickt oder Wohnungslose durch die Polizei aus dem öffentli-chen Straßenland vertrieben. Grundsätzlich ergibt sich aber aus den genannten rechtlichen Regelungen die Verpflichtung der Sozialbehörden, geeignete Unterkünfte in ausreichender Zahl für wohnungslose Menschen vor-zuhalten. Vor allem in den deutschen Großstädten hat sich ein differenziertes Hilfesystem entwickelt, das im niedrigschwelligen Bereich von Notunterkünften und Be-ratungsstellen bis hin zu Streetwork, Bahnhofsdiensten

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und Wohnungslosentagesstätten (»Wärmestuben«) reicht. Für mittel- und längerfristige Unterbringungen werden kommunale Unterkünfte wie auch Wohnheime von freigemeinnützigen und zum Teil gewerblichen Trägern durch die Sozialämter vermittelt. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter unterstützen in den meisten dieser Hilfeangebote die wohnungslosen Menschen bei der Überwindung ihrer Notlagen und, wenn gewünscht, bei der Suche nach angemessenem eigenen Wohnraum. Aufgrund einer fehlenden nationalen Strategie zur Über-windung von Wohnungslosigkeit sind die regionalen Un-terschiede allerdings groß, und zwar nicht nur zwischen Stadt und Land. (...) Oftmals werden auch aus finanziel-len Erwägungen psychisch kranke oder heranwachsende Wohnungslose in die preiswertere Wohnungslosenhilfe »abgeschoben«.

Kooperation und Vernetzung finden nicht immer aus-reichend statt. Ein psychisch kranker wohnungsloser Mensch mit besonderen sozialen Schwierigkeiten bei-spielsweise muss sich oft entscheiden, welches Problem für ihn vorrangig ist – wenn dies nicht die Akteurinnen und Akteure der jeweiligen Hilfesysteme für ihn ent-scheiden. Die in der Sozialarbeit notwendige ganzheit-liche Sicht auf die Hilfesuchenden bleibt dabei oft auf der Strecke.

Fazit und HandlungsbedarfWohnungslose Menschen weisen multiple und oft exis-tenzielle Problemlagen auf. Die Zielgruppe ist heterogen zusammengesetzt und bedarf individuell ausgerichteter Hilfeangebote, um ihre Notlagen überwinden zu kön-nen. Das Hilfesystem in Deutschland ist ausdifferenziert und basiert auf starken gesetzlichen Grundlagen. In der Praxis kommt es jedoch zu den geschilderten vielfältigen Problemen. Eingangs wurde bereits darauf hingewiesen, dass es in Deutschland keine geregelte Erfassung von wohnungslosen Menschen gibt. Wir wissen schlichtweg nicht, wie viele Menschen in Deutschland wohnungslos sind. Die Ablehnung einer Wohnungslosenstatistik wird wahlweise mit der Zuständigkeit auf kommunaler Ebe-ne, bereits ausreichend vorliegenden Daten oder feh-lender Machbarkeit begründet. Da andere europäische Länder wie Finnland, Schweden und Dänemark uns vor-machen, dass eine solche Statistik nicht an technischen Problemen scheitert, ist anzunehmen, dass die politisch Verantwortlichen die Einführung einer bundesdeutschen Wohnungsnotfallstatistik entweder aus Unkenntnis oder aber bewusst ablehnen. Einer der Gründe könnte sein, dass wohnungslose Menschen in der Regel kein Wähler-potenzial darstellen. Aufgrund ihrer häufig vorhandenen Scham, basierend auf Diskriminierungs- und Ausgren-

zungserfahrungen, sind sie zudem meist darauf bedacht, sich unsichtbar zu machen. Im Gegensatz zu anderen be-nachteiligten Gruppen wie beispielsweise Menschen mit Behinderung gibt es kaum Selbsthilfe- beziehungsweise Betroffenengruppen.

Eine Ausnahme ist der Armutsnetzwerk e. V., der bestrebt ist, »in Kooperation mit anderen regional, bundesweit und international aktiven Initiativen und Organisationen von Menschen mit Armutserfahrungen, Obdach- und Wohnungslosen sowie sogenannten Randgruppen den Kampf gegen Armut und Ausgrenzung zu verstärken« und dies mittlerweile sogar auf internationalem Par-kett erfolgreich leistet. Noch reicht jedoch die Lobby für wohnungslose Menschen, zu denen auch die öffentlich finanzierte BAG W und regional aktive Arbeitskreise im Kontext der Wohnungsnotfallhilfe gehören, nicht aus, um Strategien zur Überwindung von Wohnungslosigkeit bei den politisch Verantwortlichen erfolgreich einzufordern.

Eine fach- und ressortübergreifende Maßnahmenplanung mit überprüfbaren Handlungszielen setzt neben Daten zu Ausmaß und Ausprägung von Wohnungslosigkeit und sonstigen Wohnungsnotfällen auch den politischen Wil-len voraus. Die BAG W macht in ihrem aktuellen »Auf-ruf zu einer Nationalen Strategie zur Überwindung von Wohnungsnot und Armut in Deutschland« deutlich, dass Wohnungsnotfall-Rahmenpläne auf allen Ebenen – bun-desweit, auf Länderebene und lokal – erforderlich sind. Eine nationale Strategie müsse Teil einer – bisher vergeb-lich von der EU geforderten – Nationalen Strategie zur Armutsbekämpfung werden. Der Weg dorthin erscheint jedoch noch weit, und bis dahin werden die Sozialbe-hörden und freigemeinnützigen Träger immer nur auf eine steigende (oder sinkende) Anzahl von Hilfesuchen-den oder veränderte Zielgruppen wie migrantische Woh-nungslose mit ihren spezifischen Bedürfnissen verspätet reagieren statt vorausschauend agieren können.

Aus: Gerull, Susanne. In: Politik und Zeitgeschichte (APuZ

20–21/2014) Wohnen, Hg.: Bundeszentrale für politische Bildung

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KAPITEL 3

Das thema mit Kindern angehen

Armut betrifft alle Ebenen des Menschseins – auch das Wohnen.Marc Mühlhaupt

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SZEnEnauSZuG 2 Maus: Du kennst bestimmt so Tage, da würdest du am liebsten im Bett bleiben.

Kippe: Ich hab aber kein Bett.

Maus: Genau.... Du hast keinen Bock auf nichts; die ganze Welt ist nur anstrengend, nervig und doof. Und es gibt andere Tage, da springst du morgens auf und freust dich, weil alles einfach großartig ist.

Kippe: Ich hab kein Bett.

Maus: Darum geht’s hier nicht, wir wollen was für die Kinder machen. Was ist für die Kinder wichtig ist, zum glücklich sein. (zu den Kindern:) Kennt ihr das: es gibt Tage, da springst du morgens aus dem Bett.

Kippe: Ich hab aber kein Bett.

Maus: Das ist doch blöd jetzt, vor den Kindern. Alle hier haben ein Bett. Oder gibt´s irgendjemanden, der kein Bett hat?

Kippe: Ich.

Maus: Darum geht es nicht. Es geht um die Kinder.

Kippe: Aber wenn jetzt, zum Beispiel, sie hier, später mal obdachlos ist und kein Bett hat, und Sie jetzt sagen, darum geht’s nicht...

Maus: Die werden doch nicht später mal obdachlos! Was soll denn das?

Kippe: Wieso denn nicht?

Maus: Ja, aber hallo? Die gehen alle zur Schule.

Kippe: Da draußen gibt es Tausende, die obdachlos sind. Die sind alle zur Schule gegangen, also fast ...

Maus: Ja, aber wir werden nicht obdachlos!

Kippe: Wir? Wer bin denn ich? Und wer sind Sie denn?

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Wenn Erwachsene mit Kindern das Thema Obdachlosig-keit aussparen, dann oft deshalb, weil sie nicht wissen, was sie dazu sagen sollen. prof. Dr. Susanne Gerull gibt hier fachlichen Rückhalt zu folgenden Kinderfragen:

Frage: Wie wird ein Mensch eigentlich obdachlos?

SG: Das ist ganz unterschiedlich. Manche Menschen flie-gen zu Hause raus, weil sie sich nicht mehr mit ihren Eltern verstehen. Andere bekommen eine Kündigung für ihre Wohnung und müssen ausziehen oder werden so-gar vom Gerichtsvollzieher aus ihrer Wohnung geräumt. Manchmal trennen sich auch Paare oder Familien, und einer der Erwachsenen steht dann plötzlich auf der Stra-ße. Meistens läuft aber auch schon vorher etwas schief in ihrem Leben. Die Kündigung der Wohnung kommt dann in einer Situation, wo es dem Menschen sowieso schon nicht gut geht.

Frage: Wie findet ein Mensch aus der Obdachlosigkeit zurück?/ Welche Hilfen gibt es?

SG: Wenn jemand nicht auf der Straße leben will, muss der Staat ihm oder ihr eine Unterkunft vermitteln. Das ist sogar gesetzlich geregelt. Neben Notübernachtungen gibt es Wohnheime, in denen man längere Zeit leben kann, und sogar Wohngemeinschaften oder Wohnungen, in denen man eine Zeitlang unterkommen kann. In vielen Unterkünften gibt es auch Sozialarbeiter*innen, die den

Betroffenen Unterstützung bei all ihren Problemen an-bieten. Wohnungslose Menschen können, wie jede_*r andere auch, Sozialleistungen beantragen. Außerdem gibt es, gerade in großen Städten wie Berlin, viele unbü-rokratische Hilfeangebote für wohnungslose Menschen. Sie können sich in Beratungsstellen Hilfe beim Umgang mit Behörden und bei der Wohnungssuche holen, sich in Tagestreffs aufhalten und auch medizinisch in extra für sie eingerichteten Arztpraxen behandeln lassen. Es gibt auch Sozialarbeiter*innen, die wohnungslose Menschen auf der Straße ansprechen und ihnen Hilfe anbieten.

Frage: Wie und wo können auch schon Kinder Ob-dachlosen helfen?

SG: In Berlin gibt es einige Wohnheime, die zu Kitas und Schulen gute Kontakte aufgebaut haben. Da wird zusammen gebastelt, es werden Fahrräder repariert oder gemeinsame Feste gefeiert. Kinder können auch in ihren Kitas und Schulen für wohnungslose Kinder Spielsachen sammeln. Vor allem aber können Kinder helfen, indem sie nicht weggucken, wenn sie einem wohnungslosen Menschen begegnen. Wenn Kinder einen wohnungslo-sen Menschen wie jeden anderen Menschen auch, also ohne Vorurteile behandeln, hilft das schon sehr.

KInDERn antWORt StEhEn 1

Claudia haubrich, Einzelfallhelferin der Bahnhofsmissi-on am Zoologischen Garten in Berlin, antwortet Kindern bei Führungen auf solche Fragen:

Frage: Wieviel Gepäck haben Obdachlose im Durch-schnitt bei sich?

Ch: Einige von ihnen haben nur das bei sich, was sie gerade am Leib tragen. Andere tragen Rucksäcke auf ih-ren Schultern mit einem angehängten Schlafsack und einer Isomatte. In ihren Rucksäcken finden wir wichtige Papiere, Kleidungsstücke, Hygieneartikel, vielleicht per-sönliche Gegenstände. Einige wenige sammeln aufgrund von psychischen Erkrankungen alles, was sie in die Hand bekommen. Wir sehen dann manchmal Menschen mit sehr vielen Tüten. Für uns haben die Inhalte keinen

KInDERn antWORt StEhEn 2

Wert. Wir empfinden sie als Müll. Es handelt sich um alte Zeitungen, Essensreste, Kleidungsstücke oder wert-lose Gegenstände.

Frage: Was machen wohnungslose Menschen den ganzen Tag/Nacht?

Ch: Das ist sehr unterschiedlich und immer abhängig vom gesundheitlichen Zustand des obdachlosen Men-schen. Die körperlich und geistig fitten Menschen ken-nen sich meistens gut mit dem bestehenden Versor-gungssystem aus. Sie wissen, wo sie zu welchen Zeiten Lebensmittel oder Kleidung erhalten bzw. Wäsche wa-schen oder Hygiene betreiben können. Sie sind in die-sen Einrichtungen oftmals Stammgäste und gut bekannt.

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Andere sind körperlich so schwer erkrankt, dass sie sich von ihrem aktuellen Aufenthaltsort nur wenig entfernen können. Sie sind »gefangen« in einem kleinen Radius. Dort wird der eine mehr, der andere weniger von an-wohnenden Bürger*innen versorgt. Es gibt aber auch ob-dachlose Menschen, die völlig zurückgezogen leben und keinerlei Hilfe annehmen wollen, können oder erhalten. Sie leben von dem, was sie beispielsweise in Mülleimern oder in ihrer Umgebung finden. Meistens sind sie sehr schwer an Körper, Geist und Seele erkrankt und drohen zu sterben. Gerade sie bräuchten dringend psychiatri-sche und medizinische Versorgung. In der Nacht besteht im Sommer kaum eine Möglichkeit, eine Übernachtung innerhalb einer Notunterkunft zu finden. Für ca. 6000 obdachlose Menschen in Berlin gibt es ca. 150 Schlafplät-ze, im Winter ungefähr 850 Schlafplätze.

Frage: Darf ich Obdachlosen Geld geben, oder »ver-saufen« sie es eh nur?

Ch: Eine hohe Anzahl an Menschen auf der Straße (ca. 74%) leiden an Abhängigkeitserkrankungen. Sie be-nötigen regelmäßig zum Beispiel Alkohol. Bekommen sie diesen nicht, besteht die Gefahr, dass sie an einem Herzstillstand oder an Organversagen sterben. Wenn ich einem obdachlosen Menschen also einen Euro gebe

und dieser sich etwas Alkoholisches davon kauft, tut er dies in der Regel, weil er krankt ist und nicht anders kann. Sinnvoll wäre es, dem Menschen 50 Cent oder ei-nen Euro zu spenden und weitere 50 Cent oder einen Euro einer Einrichtung, die dafür sorgt, dass eben dieser Mensch eine Therapie oder andere Hilfen erhält, die ihn vom Alkohol wegholt.

Besuch im Café Bankrott (mob e.V.), Foto: Eva Gjaltema

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Frage: Haben Sie manchmal draußen Angst? Zum Bei-spiel nachts oder so?

Christian: Es gibt immer Gefahren. Ich bin schon häufi-ger ausgeraubt worden. Eigentlich muss man immer mit einem Auge offen schlafen.

Claudia: Ich habe eher weniger Angst davor ausgeraubt zu werden. Dinge sind alle ersetzbar. Aber Angst vor Ge-walt, das habe ich schon. Ich versuche dann nachts gar nicht zu schlafen, nur spazieren zu gehen. Aber das ist anstrengend, die ganze Nacht spazieren zu gehen.

Frage: Wie Sind sie obdachlos geworden?

Christian: Ich hatte ein Unternehmen. Bin insolvent ge-gangen und weil ich privat gehaftet habe, habe ich al-les auf einmal verloren. Und dazu kam die Sturheit. Ich wollte mir nicht helfen lassen. Ich wollte wieder arbei-ten, aber ich bin schon 61 Jahre alt. Immer heißt es ich wäre überqualifiziert oder zu alt.

Fünf Jahre war ich auf der Straße. In zwei Wochen habe ich endlich wieder eine Wohnung, hoffe ich.

Gabriela: Ich versuche immer zu arbeiten. Auch ohne Wohnung. Ich habe den »Strassenfeger« verkauft. Und oft stauen die Leute, die sagen ich sehe nicht so aus, als ob ich obdachlos wäre. Aber das liegt nur an der Hygie-ne. Waschen kann man sich überall und man bekommt auch saubere Kleidung wenn man sie braucht.

Claudia: Aber am Anfang ist man nicht vorbereitet. Ich habe die ersten zwei Wochen auf der Straße nicht ge-wusst wo man sich waschen kann, wo es Kleidung oder etwas zu essen gibt. Ich bin herum geirrt und meine Haa-re waren ganz verfilzt, weil ich nicht mal einen Kamm hatte. Nach zwei Wochen hat mich eine Frau mitgenom-men zu einer Tagesstätte, zum Essen, da habe ich dann langsam kennengelernt was es wo gibt.

Frage: Haben Sie Kinder?

Claudia und Christian schütteln die Köpfe.

Gabriela: Ich habe Kinder. In Rumänien. Ich will sie zu mir holen, aber erst wenn ich alles geregelt habe. Kinder brauchen ein geregeltes Leben. Es muss alles vorbereitet sein, Schule, Wohnung ...

Frage: Was machen Sie den ganzen Tag?

Christian: Zur Not Flaschen sammeln. Ich bettele nicht. Ich arbeite wenn ich kann, z.B. als Elektriker bei einer kleinen Firma.

Gabriela: Ich habe einen starken Willen. Ich arbeite im-mer. Ich verkaufe Zeitungen, ich koche, ich putze. Ich will nur, dass man mich arbeiten lässt. Ich kämpfe mich durch.

Claudia: Ich bilde mich. Ich lese viel. Es gibt ja öffent-liche Büchereien. Da gibt es so viele Bücher und auch Internet.

EIn GESpRäCh ZWISChEn SChÜlER*InnEn unD OBDaChlOSEn GäStEn DES CaFé BanKROtt(Fotos von Eva Gjaltema)

Am 28. Juni hat eine 3. Klasse von der Paula Fürst Gemeinschaftsschule zusammen mit dem GRIPS-Produktionsteam von »Aus die Maus« an einer Führung durch die Notübernachtung des mob e.V. in der Storkower Straße teilgenom-men.

Der gemeinnützige Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. setzt sich vor allem für Menschen ein, die auf fremde Hilfe angewiesen sind, die entweder keine oder keine eigene Wohnung haben, die arm und alleine sind. In der Not-übernachtung können an 365 Tage im Jahr – bis zu 30 Personen – pro Nacht, ein »Dach über dem Kopf« haben. Ziel ist es, betroffene in den Wintermonaten nicht nur vor dem Erfrierungstod zu bewahren, sondern ganzjährig mittel- bis langfristige Hilfe bei der Rückkehr in Regelversorgungssysteme zu ermöglichen.

Christian und Claudia sind Rentner, die beide durch schlimme Schicksalsschläge obdachlos wurden. Gabriela wurde von ihren Eltern mit dreizehn Jahren verlassen, sie kommt aus Rumänien und ist seitdem auf sich alleine gestellt. Alle Interviewpartner kamen hilfesuchend in die Notübernachtung von mob e.V.. Gemeinsam konnten Wege aus der Obdachlosigkeit gefunden werden. Christian hat nun eine eigene Wohnung, Claudia ist in einem Obdachlosenwohn-heim untergebracht und Gabriela hat eine Festanstellung bei einer Bäckerei gefunden und kann nun finanziell selbst für sich sorgen.

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Frage: Wie war Ihr Leben als Kind?

Christian: Ich bin ja in Bayern aufgewachsen. Im Grü-nen. Ich hatte eine sehr behütete Kindheit.

Claudia: Meine Kindheit war auch behütet. Aber es war nicht so ordentlich geputzt wie heute alles ist. Ich bin in Spandau aufgewachsen. Wir haben in der Nachbar-schaft gespielt. Draußen, in Ruinen und im Wald, nicht auf diesen sauberen Spielplätzen.

Gabriela: Ich bin in Rumänien bei meinen Großeltern aufgewachsen. Ohne Eltern. Mit 13 Jahren hatte ich auch die Großeltern nicht mehr. Seitdem habe ich mich allein durchgeschlagen, allein Abitur gemacht, mich allein um mein Leben gekümmert.

Frage: Was sind die Schwierigkeiten auf der Straße?

Claudia: Das Schwierige ist immer aufs Neue dafür zu sorgen das man die Nacht übersteht.

Christian: Man muss sich um alles allein kümmern, muss einen Schlafplatz suchen, einen der sicher ist und nicht so einsichtig, man muss etwas zu Essen besorgen und wenn man zu den Ämtern muss ist der Tag damit direkt um.

Gabriela: Das Problem ist doch: Ohne Wohnung keine Arbeit.

Christian: Auch Arbeitslosengeld wurde mir verweigert, weil ich keinen festen Wohnsitz hatte, obwohl ich doch immer gearbeitet hatte.

Frage: Habt Ihr auf der Straße Freunde?

Christian: Bekannte. Freunde sind das nicht. Man ist in der gleichen Situation, und wenn die sich ändert, ändern sich auch die Bekanntschaften.

Die anderen nicken.

Frage: Was ist mit Freunden von früher?

Claudia: Wenn man alles verliert, verliert man auch sei-ne Freunde.

Frage: Fühlen Sie sich mit mehreren sicherer?

Christian: Mehr Leute machen auch mehr Dreck. Überall leere Flaschen und so kann es dann sein, dass man weg muss, wegen den anderen und dem Dreck, und dann gibt es mit mehreren eben auch mehr Ärger. Also ich bin lieber allein.

Gesprächsrunde im Café Bankrott mit Schüler*innen und Betroffenen

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Claudia: Ich habe mal mit anderen Frauen im Vorraum einer Sparkasse übernachtet. Eine ganz Weile. Da wäre ich alleine nie rein. Aber als wir da rausgeflogen sind hat sich die Gruppe aufgelöst.

Frage: Was macht Ihr an Eurem Geburtstag?

Christian: Man versucht zu feiern. Man versucht es. Mit Kollegen, mit Bekannten. Auf ein Bier in eine Gaststätte, oder so. Aber es gab auch Geburtstage, da war ich allein. Das war nicht so schön. War keine gute Zeit.

Gabriela: Wenn man zu viele Probleme hat denkt man nicht an den Geburtstag. Man vergisst ihn einfach.

Claudia: Am Geburtstag trinke ich einen Kaffee mit Freundinnen. Geschenke gibt es natürlich nicht.

Frage: Wann fühlt man sich glücklich?

Claudia: Ich denke das ist Veranlagungssache. Es ist eine Frage welche Möglichkeiten ein Mensch hat glücklich zu sein. Man kann sich auch über kleine Sachen freuen, wenn man friert und dann scheint die Sonne und schon ist man glücklich. Solche Sachen. Man muss die Punkte schon suchen, aber es gibt sie.

Gabriela: Ich habe lange keine Arbeit gefunden. Durfte nicht. Als ich dann eine Arbeit hatte, das war für mich, also das war dann wirklich Glück.

GRIPS: Und habt Ihr noch Fragen oder Anmerkungen, die ihr den Kindern mitgeben wollt?

Christian: Ja. Das es jedem passieren kann. Vor Obdach-losigkeit ist heutzutage keiner mehr gewappnet. Wenn’ s passiert, muss man einen kühlen Kopf bewahren.

Claudia: Ja, man darf sich den widrigen Umständen nicht hingeben. Darf sich nicht umwerfen lassen. Man muss die Zügel in der Hand behalten.

Christian: Ich habe mir immer Ziele gesetzt. Heute sammle ich zwanzig Flaschen, irgendwas, Hauptsache man hat Ziele.

Claudia: Sich selbst einen Tagesablauf zu organisieren, das ist wichtig.

Mara Fischer, Vorstand mob e.V. zeigt Schüler*innen die Notübernachtungsstelle

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Wenn Sie gerne mit ihrer Klasse eine Einrichtung für Wohnungslose kennenlernen möchten, dann können Sie sich unter anderen an folgende Personen wen-den:

Martina Rogasch Berliner Stadtmission Zentrum am Hauptbahnhof Abt. Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit Tel.: (030) 69033-416 (Mo-Fr 12-17 Uhr) E-Mail: [email protected] www.berliner-stadtmission.de/fuehrungen

Mara Fischer Leiterin der Notübernachtungsstelle des mob e. V. Storkower Str. 139d 10407 Berlin Tel: (030) 41 93 45 92 E-Mail: [email protected] www.strassenfeger.org

Claudia Haubrich Mobile Einzelfallhelferin bei der Bahnhofsmissi-on Berlin Zoo. Jebensstraße 10623 Berlin Tel: (030) 313 80-88 E-Mail: [email protected]

Schüler*innen in der Notübernachtungsstelle

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Als Achtjährige wurde meine Tochter Laura das erste Mal hautnah mit dem Thema Obdachlosigkeit konfrontiert. Ihre Freundin A. hatte gemeinsam mit ihrer Mutter die Wohnung verloren. Dieser Fakt ist fast ein halbes Jahr lang täglich Teil ihrer kindlichen Lebenswelt gewesen. Sie stellte mir unaufhörlich Fragen, die ich versuchte, so gut es ging, zu beantworten. Trotzdem sah ich in ihren Augen, dass sich in ihrer Welt etwas verändert hatte - und das gehörte definitiv aufgearbeitet.

Als mich meine Tochter eines Tages fragte, ob auch WIR obdachlos werden könnten, stockte mir zugegebener-maßen der Atem. »Was, wenn Du nicht mehr arbeiten kannst und wir unsere Wohnung verlieren?«, fragte sie. Natürlich wusste ich, in welchem Zusammenhang ich diese Frage beantworten musste. Dennoch fiel mir die Antwort schwer. Es war schließlich nicht so, dass sie mich fragte, wieso denn da jemand vor dem Supermarkt sitzt und Zeitungen verkauft oder bettelt. Denn diese Situati-on wäre eine andere gewesen. Doch dieses Mal ist sie unmittelbar betroffen; Ihre Freundin A. war gemeinsam mit ihrer Mama von heute auf morgen verschwunden. Die Wohnung, in der sie lebten, wurde zwangsgeräumt und stand plötzlich leer, als meine Tochter sie besuchen wollte.

Die Wohnungslosigkeit von A. wurde auch schnell zum Thema in der Schule. Doch niemand, weder die Lehre-rinnen und Lehrer noch die Erzieherinnen, wussten, was den beiden geschah und wohin sie gegangen sind. Man munkelte, sie seien in einer Mutter-Kind-Einrichtung un-tergebracht. Gefährliche Halbwahrheiten, die schließlich auch dazu führten, dass mich mein zutiefst verunsicher-tes Kind mehr als sechs Monate lang fragte: »Mama, kann uns das auch passieren?«

Ich konnte als alleinerziehende Mutter nicht beschwö-ren, dass wir niemals wohnungslos sein würden. Was, wenn mein Leben ungewollt aus den Fugen gerät? Also versuchte ich es so: »Schatz, wir leben in einem Sozial-staat und das bringt uns viel Sicherheit, auch in einer sehr schwierigen Lage. So schnell können wir nicht woh-nungslos werden.« Aber stimmte das auch? In meinem Kopf rauschte es: Allein mit Kind macht arm, das weiß jeder klar denkende Erwachsene. Schließlich leben rund

vierzig Prozent der alleinerziehenden Mütter von Hartz IV und die Mieten steigen in deutschen Städten weiter an. Was, wenn - meine Gedanken pausierten, weil mei-ne Tochter mich fragte, warum denn der Sozialstaat der Mama von A. nicht geholfen hätte? Ich kannte die Ant-wort nicht.

Etwas später: »Mama, kann uns das auch passieren?« »Nein«, antwortete ich. »Die Mama von A. war leider etwas krank im Kopf. Sie konnte sich weder um sich, noch um A. immer richtig kümmern«, hörte ich mich sagen und es stimmte. Viele Menschen, die obdachlos werden, leiden an psychischen Erkrankungen, darunter Angststörungen, Depressionen und Süchte. Meine Toch-ter sah mich abwartend an. Stille. Ich schöpfte Hoffnung. Und dann: »Aber Mama, Du bist doch auch oft krank im Bauch.«

Wie konnte ich meiner achtjährigen Tochter als verant-wortungsbewusste Mama erklären, dass uns das nicht passieren wird? Ich versuchte es noch mal so: »Ich kann es nicht beschwören, dass wir nie in die Situation kom-men werden, in der es schwierig wird, unsere Wohnung zu behalten. Aber ich verspreche Dir, dass ich uns immer Hilfe holen werde.« Ich zählte meiner Tochter konkret unsere Verwandten, Freunde und Bekannte auf, und ging jeden einzelnen durch, wie er oder sie uns helfen würde. Das war der Schlüssel: Meiner Tochter sehr bildlich zu vermitteln, dass wir umgeben sind von einem dichten Netz von Menschen, die uns helfen würden.«

Es dauerte noch eine Weile, bis meine Tochter ihren Frie-den fand. Auch, weil ihre Freundin nie wieder zurückge-kommen war.

»MaMa, Kann unS DaS auCh paSSIEREn?«Die achtjährige Laura wird das erste Mal hautnah mit dem Thema Obdachlosig-keit konfrontiertVon Nadin Schley

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KAPITEL 4

unterrichtsanregungen

»Räume« kann »Wohnräume« meinen, aber auch »Sozialräume«, »Schutzräume« oder »Spielräume«. All diesen Begriffen ist gemein, dass sie wohnungslosen Frauen nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehen.

Prof. Dr. Susanne Gerull (Dozentin an der Alice Salomon Hochschule)

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FRaGEn ZuM StÜCK

• Was fällt euch als erstes ein, wenn ihr an die Auffüh rung denkt? Nennet ein Objekt/eine Farbe/ein Adjek- tiv / ein Gefühl / eine Situation ...

• Was hat euch besonders überrascht/ Was hat euch gefallen?/ Was hat euch geärgert?

• Wie würdet ihr die beiden Figuren auf der Bühne beschreiben?

• Fandet ihr die Personen sympathisch?

• Was war Herr Maus für ein Typ? Warum macht er die Zaubershow? Was ist ihm daran so wichtig?

• Um was geht es in seiner Zaubershow?

• Was ist »Kippe« für ein Mensch? Was wisst ihr alles über sie? Wie sieht ihre Vergangenheit aus?

• Wie verstehen sich die beiden Figuren? Warum verste-hen sie sich manchmal nicht/miss?

• Hat euch Kippe im Zuschauerraum direkt ange-sprochen? Wie hat sich das angefühlt? Wie habt ihr reagiert?

• Warum entschließt sich Herr Maus Kippe zu helfen?

• Warum nimmt er sie dann doch nicht mit zu sich nachhause?

• Welche Ideen habt ihr, wie ihr obdachlosen Men-schen helfen könntet?

• Könnt ihr die Lebensgeschichte der Obdachlosen nacherzählen? Können wir herausfinden, wieso sie obdachlos geworden ist?

• Was passiert nach dem Theaterstück mit den beiden?

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Einsam oder gemeinsam

Spielanregung: Bitte! – Komm! (Helfen und um Hilfe bitten)Ihr stellt euch in einen großen Kreis. Person A beginnt, indem er /sie den Blickkontakt zu jemandem im Kreis sucht und gemeinsam mit einer Geste »Bitte!« sagt. Die angesprochene Person (B) antwortet wiederum mit einer Geste »Komm!«. Daraufhin geht A auf B zu und möchte B´s Platz einnehmen. Noch bevor A bei B angekommen ist, sucht B Blickkontakt mit Person C und spricht sie mit »Bitte« an. C lädt nun B ein, zu sich zu kommen.

anmerkungen: Mit den Worten »Bitte« und »Komm« dürfen gerne unterschiedliche Sprachhaltungen auspro-biert werden. Welche Betonungen fühlen sich wie an?

Bei diesem Spiel ist es möglich zu spüren, wie es ist, auf die Gunst des Anderen angewiesen zu sein und perma-nent von der Rolle des Bittstellers zu der des Gönners zu wechseln.

Spielanregung: Den Blick für den An-deren schulen (Gegenseitige Wahrnehmung)Geht paarweise zusammen und stellt euch gegenüber. Ihr bekommt nun die Aufgabe, euer Gegenüber genau wahrzunehmen (von Kopf bis Fuß). Danach schließt A die Augen und B verändert drei kleine Details an sich. (z.B: Einen Schnürsenkel leicht öffnen, eine Haarspan-ge auf die andere Seite versetzen, T-Shirt etwas in Hose stecken...) Danach versucht A die Details zu finden, die verändert wurden. Dann wird gewechselt.

Evtl. könnt ihr neue Partner suchen und das Spiel von vorn beginnen.

anschließende Reflektion: Wie fühlt es sich an, den an-deren von Kopf bis Fuß genau anzuschauen? Wie oft/sel-ten kommt es vor, dass ihr Menschen genau anschaut? Wie verhaltet ihr euch, wenn ihr an Obdachlosen Men-schen vorbei geht? Schaut ihr hin? Oder guckt ihr weg?

Was meint ihr, wie fühlt sich »Hinschauen« und »Weg-schauen« für den obdachlosen Menschen an?

Spielanregung: Gleichzeitiges Abklat-schen – blindes Abklatschen (Aufeinander achten, vertrauen, Team-arbeit)Stellt euch in einem großen Kreis zusammen, so dass jeder gut Platz hat.

Variante 1: Ein Kind geht auf ein anderes zu und bleibt vor ihm stehen. Beide springt ihr möglichst gleichzeitig hoch und klatscht euch mit beiden Händen ab. Dann geht der, auf den zugegangen wurde auf jemanden Neu-es zu.

Variante 2: Das Kind, welches auf den anderen zugeht hat seine Augen beim Gehen, Springen und Abklatschen geschlossenen.

Spielanregung: An der Nase herum-führen (Führen und sich führen lassen, Ver-trauen)Ihr geht paarweise zusammen und vereinbart wer A und wer B ist. A führt B langsam, indem er die Hand ca. 20cm

anREGunGEn ZuR thEMatISChEn naChBEREItunG

ErwärmungLachtraining – Gesichtsgymnastik: Stellt Euch in einen Kreis. Lockert euer Gesicht, um wie die Maus das Lachen zu üben. Mundwinkel (hochziehen und fallen lassen), Lippen dehnen (Lippen spitzen und weiten), dann die Wangen (mit den Händen massieren nach oben und un-ten ziehen) Augen (zusammenkneifen und aufreißen).

So gelockert seid ihr bereit für einen Lachkreis: Eine/r gibt eine Lachart an seinen Nachbarn weiter, dieser imi-tiert dieses Lachen und gibt es an seinen Nachbarn wei-ter usw. Ist das Lachen einmal durch den Kreis gegangen, darf der/die nächste ein Lachen herumgeben.

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»Aus die Maus«

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Spielanregung: Der zerbrechliche Kreis (Vertrauen)Vorübung: Stellt euch immer zu zweit Schulter an Schul-ter nebeneinander und haltet euch an der Hand. Lehnt euch dann mit geradem, durchgestreckten Körper ganz langsam zur Seite (von einander weg), so dass die bei-den Körper gemeinsam ein V bilden. Haltet gegenseitig euer Gewicht und bewegt euch dann langsam zurück.

Der zerbrechliche Kreis: Alle Kinder stehen im Kreis und halten sich an den Händen. Es muss eine gerade Zahl sein. Im Wechsel bekommen die Kinder die Buch-staben A und B zugeordnet. Alle As lehnen sich gleich-zeitig mit geradem Körper (als hätten sie »einen Stock verschluckt«) nach außen, alle Bs gleichzeitig nach innen (ähnlich wie die Übung »Das V«, nur nach vorne und hinten, statt zur Seite). Wenn die extreme Position er-reicht ist, wird auf Ansage gewechselt: die Bs bewegen sich zurück und dann gleich weiter nach außen, die As ebenfalls zurück und weiter nach innen.

vor das Gesicht des Anderen hält. Der/die Partner/in muss nun versuchen den Abstand zur Hand beizube-halten und wird so durch den Raum manövriert. Nach ein paar Minuten wird gewechselt, B darf dann führen. Wichtig:

• Bei der Übung darf nicht gesprochen werden.

• Auf den Wechsel hinweisen: Was Du nicht willst, was man dir tut, das füg auch keinem anderen zu!

• Bei langsamen Bewegungen fällt das Folgen leich-ter, aber trotzdem darf der/die Führende, den/die Geführte/n auch einmal fordern.

• Nachdem beide Partner geführt haben, dürfen sie sich paarweise einen kurzen Moment lang über das Erleb-te austauschen. Was hat gut geklappt? Was nicht? Wie war für mich das Führen? Wie das Geführt-Werden?

anschließende Reflektion in der Gruppe: Welche As-soziationen sind entstanden? Kennt ihr ähnliche Situa-tionen, in denen ihr », in denen ihr machen müsst, was jemand anderes will? In welchen Situationen könnt ihr vorgeben, was gemacht werden soll? Welcher Macht muss sich Herr Maus fügen, welcher Macht »Kippe«?

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Obdachlosigkeit und ich

Gesprächsanregung: Was bedeutet zu Hause? Wie geht Zuhause-Sein, ohne ein Haus zu haben? Was macht für Euch ein Zuhause aus? Wo fühlt ihr Euch hei-misch? Ist Zuhause immer ein Ort?

Beobachtungsauftrag: Die Straße als Zuhause Geht aufmerksam durch die Stadt. Welche Orte eigen sich am ehesten als ein Zuhause, wenn man keine Woh-nung hat? Was soll in der Nähe sein? Welchen Ort wür-det ihr Euch aussuchen?

Gesprächsanregung: Die Obdachlose auf dem Weg zur Schule ...Welche obdachlosen Menschen habt ihr schon gesehen, bzw. kennt ihr, weil ihr sie häufiger seht? Beschreibt sie euch gegenseitig? Was haben sie bei sich? Was tragen sie für Kleidung? Und wie verhalten sie sich? Was machen sie? Findet Vergleiche und Unterschiede.

Mögliche Ergänzung: Malt diese Person in einem Bild, das ihr beschriftet.

Gesprächsanregung + Improvisation: Im Vorbeigehen ... wie reagieren?Wie geht ihr damit um, wenn ihr Obdachlosen auf der Straße begegnet? Wie geht es Euch damit? Wie würdet ihr gerne reagieren?

Probiert es aus: Macht das Klassenzimmer zur Straße und ein/e Freiwillige/r setzt sich in die Mitte auf den Boden und alle anderen werden zu Passanten. Probiert mög-lichst viele unterschiedliche Reaktionen von Menschen, die an einem Obdachlosen vorbeigehen, aus.

anschließende Reflektion: Wie haben sich die verschie-denen Reaktionen für die freiwillige Person am Boden angefühlt? Wie für die Passanten?

Gesprächsanregung: Früher – Heute – Morgen

Wie kann es passieren, dass ein Mensch obdachlos wird? Was meint ihr, könnten Auslöser für Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit sein?

In der Gesprächsanregung »Die Obdachlose auf dem Weg zur Schule ...« habt ihr euch verschiedene Obdachlose vorgestellt. Sucht euch in Kleingruppen eine obdachlose Person aus und überlegt:

1. Wie sah die Vergangenheit, z.B. die Kindheit und Jugend, aus? Was hat diese Person früher gerne gemacht? Von was hat sie geträumt?

2. Wie hat sich jetzt, wo sie auf der Straße lebt, das Leben verändert und was hat diese Veränderung alles mit sich gebracht?

3. Wie könnte ihre Zukunft aussehen?

4. Stellt eure Person der Gruppe vor. Findet eine geeig-nete Präsentationsform.

Spielanregung: Durch die Stadt – ein Tag eines/einer ObdachlosenJedes Kind sucht sich einen Platz im Raum. Alle sind gleichmäßig verteilt. Die/der Spielleiter/in erzählt den fiktiven Tagesablauf eines/einer Obdachlosen. Die Kin-der hören zu und reagieren mit ihrem Körper und ihren Gesten auf die Geschichte. Spielen Sie nonverbal mit.

Möglicher Text der Spielleitung:

»Ihr wacht auf. Guckt euch um. Wo seit ihr eigentlich? Langsam kommt die Erinnerung zurück. Ihr habt heute Nacht Glück gehabt und einen Schlafplatz in einer der wenigen Notunterkünfte von Berlin gefunden. Hier dürft ihr für eine Nacht übernachten. Neben euch schnarcht noch einer der 5 anderen, die mit in eurem Zimmer über-nachtet haben. Es ist halb acht. Gerade noch Zeit für einen winziges Frühstück in der Gemeinschaftsküche*, denn um 8 Uhr müsst ihr die Unterkunft wieder verlas-sen haben. Auch da habt ihr wieder Glück. Die Tafel hat Bananen gespendet und es sind sogar noch welche üb-rig. Jetzt holt ihr eure Sachen, die ihr im Gepäckraum gelassen habt. Es ist all euer Hab und Gut. Es war euch nicht so recht, es in dem Raum weit weg von euch lagern zu müssen. Aber jetzt habt ihr eure Sachen ja wieder und passt von nun an die ganze Zeit sehr gut darauf auf! Ihr geht hinaus auf die Straße. Es ist kalt. Der ganze Tag liegt vor euch. Was fangt ihr damit an? Heute wohl wieder etwas Geld verdienen. Ihr versucht es mit Fla-schensammeln. Gestern habt ihr damit 5 Euro gemacht. Heute wollt ihr 10 Euro Schaffen. Ihr sucht überall nach Flaschen. In jedem Mülleimer. Ihr sprecht sogar Leute

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an, ob ihr das Pfand der leer getrunkenen Flaschen ha-ben dürft... Ihr werdet müde vom herumlaufen uns setzt euch ein wenig. Jetzt wollt ihr versuchen ein wenig zu schlafen. Denn es kann sein, dass ihr heute Nacht nicht wieder in der Unterkunft schlafen könnt und die ganze Nacht draußen sein müsst. Da ist es besser, am Tag zu Schlafen. Ihr sucht nach einem Platz, an dem ihr von möglichst wenigen Leuten gesehen werdet. Ihr wollt jetzt nicht angeguckt werden. Ihr findet ihn und versucht, es euch so gemütlich wie möglich zu machen, gruppiert all eure Sachen gut und sicher um euch herum und schlaft ein bisschen. Ihr träumt. Von was träumt ihr? ... Ihr wacht wieder auf. Ihr seid ganz steif geworden. Erst mal wieder in Bewegung kommen. Es ist Nachmittag. Ihr macht euch auf ins Café Bankrott. Das ist ein Café, in dem es warm ist, es Essen gibt und auch andere Ob-dachlose hinkommen. Dort esst ihr etwas und wärmt euch auf. Unterhaltet euch ein bisschen. Jemand erzählt euch, dass es hier Hilfe und Beratung gibt. Morgen wollt ihr wiederkommen und ein Beratungsgespräch in An-spruch nehmen. Vielleicht ist es ja möglich, wieder eine Wohnung zu bekommen. Apropos Wohnung. Ihr müsst schnell los. Es ist schon Zeit, um sich wieder vor der Not-unterkunft anzustellen, um wieder einen überdachten Schlafplatz für die Nacht zu ergattern. Ihr nehmt schnell all eure Sachen und rennt los. Ihr könnt aber nicht so schnell! Das blöde Bein tut immer noch weh! Trotzdem beeilt ihr euch. Angekommen. Oh nein. Die Schlange ist ewig. Das müsst ihr gar nicht erst versuchen. Et-was enttäuscht macht ihr euch auf den Weg zu eurem Lieblings-Draußen-Schlafplatz. Hoffentlich sitzt da noch keiner. Auf dem Weg kommt ihr an einem Supermarkt vorbei. Ihr gebt die Pfandflaschen von heute morgen ab und könnt euch so ein kleines Abendessen gönnen. Mit diesem in der Tasche kommt ihr an. Euer Platz ist noch frei. Ihr setzt euch hin und esst etwas. Ihr stellt einen Becher vor euch. Vielleicht gibt euch ja jemand etwas im Vorbeigehen usw.«

Spielanregung: Kauft und helft! Aufgabe an alle: Sucht Euch einen Gegenstand aus dem Raum aus und überlegt wie ihr ihn anpreisen würdet, wenn ihr ihn verkaufen wolltet.

Nun setzen sich alle Kinder (z.B. wie in der Ubahn) im Raum verteilt hin. Immer ein Kind geht nun durch die Reihen und versucht alle anderen für seinen/ ihren Ge-genstand zu interessieren.

Die anderen haben den Auftrag, das Kind zu ignorieren, bis sie Lust haben, den Verkäufer zu erlösen oder das Anpreisen so überzeugend fanden, dass sie ihm/ ihr den Gegenstand abnehmen wollen. Dann steht ein Kind auf und sagt: Ok. Ich nehms! . Dann ist der/diejenige an der Reihe ihren/seinen Gegenstand anzupreisen.

anschließende Reflexion: Wie hat es sich angefühlt ig-noriert zu werden? Wie habt ihr darauf reagiert? Viel es euch leicht, die Person zu ignorieren? Welche Methoden habt ihr angewandt, um die anderen zu überzeugen, den Gegenstand zu kaufen oder euch abzulösen? Habt ihr oder eure Eltern schon einmal eine Obdachlosenzeitung gekauft? Was hat euch dazu bewogen?

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träume und Bedürfnisse

Spielanregung: Ich packe meinen »Le-benskoffer« ...Überlegt euch, was ihr in euren »Lebenskoffer« einpacken würdet: Was sind die wichtigsten Dinge die jede/r Einzel-ne von euch für euer Leben – so wie es ist – braucht?

Ihr sitzt im Kreis und eine/r beginnt und sagt: »Ich packe meinen Lebenskoffer, und darin ist das Wichtigste ...« Der /die nächste wiederholt das Vorherige und nennt ei-nen neuen Begriff ... usw.

anschließende Reflektion: Was habt ihr in den Lebens-koffer gepackt. Warum sind euch die Dinge, die ihr ein-gepackt habt so wichtig?

Gesprächs- + Gestaltungsanregung: Bedürfnispyramide – Wie sähe eure Pyramide der Träume aus?Frage: Sind manche Bedürfnisse grundlegender als ande-re? Welche sind das?

1. Malt, bastelt oder baut eure eigene Bedürfnispyramide. (allein oder in Gruppen). Welches sind die Bedürfnisse, die euch so wichtig sind, dass ohne sie gar nichts mehr geht? Welche eurer Wünsche bauen sich darauf auf?

Findet dann eine Form euer Kunstwerk zu präsentieren.

ODER:

2. Überlegt in Kleingruppen, woraus eure Pyramide be-steht und baut selbst eine Pyramide aus euren Körpern (und Gegenständen im Raum). Können die Zuschauen-den die Inhalte eurer Pyramide erkennen?

anschließende Reflektion: Wie ähnlich oder unter-schiedlich sind eure Bedürfnisse? Was kann Träume einstürzen lassen? Wie könnt ihr euch Stützen bauen, damit auch bei Abweichungen die Träume wahr werden können?

Von Clowns und der auf-merksamkeit

Gesprächsanregung: Wann ist ein Clown ein Clown? Die Regisseurin Nadja Sieger kommt aus der Clownerie und vergleicht die Obdachlose »Kippe« mit einem Clown. Finden die Kinder auch, dass Kippe ein Clown ist?

Besprecht in Kleingruppen: Welche Clowns kennt ihr? Was machen sie? Und worüber lacht ihr?

Zeigt euch gegenseitig: Was sind typische Clownsbewe-gungen? An was scheitern Clowns?

Überlegt gemeinsam, ob es ähnliche Verhaltensweisen zwischen Clowns und Kindern (verschiedenen Alters) gibt? Finden sich auch Parallelen zwischen der Obdach-losen »Kippe« und Kindern?

Spielanregung Wir unterhalten Euch! (Aufmerksamkeit und Fokus)Es braucht drei Freiwillige, die jeweils einen der drei unten anstehenden Aufträge bekommen: Die restlichen Kinder sind Zuschauer, die sich entscheiden, wo sie zu-hören/schauen wollen.

1. Gehe gemeinsam mit den anderen beiden auf die Büh-ne und versuche die meiste Aufmerksamkeit der Klasse zu ergattern: Du darfst alles, außer dich von der Stelle zu bewegen.

2. Gehe gemeinsam mit den anderen beiden auf die Bühne und versuche die meiste Aufmerksamkeit der Klasse zu ergattern: Du darfst alles, außer deine Stimme zu benutzen.

3. Gehe gemeinsam mit den anderen beiden auf die Büh-ne und versuche die meiste Aufmerksamkeit der Klasse zu ergattern: Tu nichts. Setz dich einfach auf die Bühne und gucke ins Publikum.

anschließende Reflexion: Wer hatte, wann die meiste Aufmerksamkeit der Zuschauer und warum? Musstet ihr lachen? Warum? Wie hat es sich angefühlt, etwas vormachen zu müssen. Haben die anderen dich beim Vormachen abgelenkt? Habt ihr gemerkt, ob die Auf-merksamkeit des Publikums bei euch lag? Hat euch das angespornt oder gehemmt? Wie wichtig ist es im Leben Aufmerksamkeit zu bekommen?

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Orte für Wohnungslose, Illustration: tillmacher.de

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Illustration: tillmacher.de

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Wir haben hier nur eine Auswahl an Einrichtungen ge-nannt.

Weitere Adressen und genauere Informationen wie An-sprechpartner und Telefonnummern können sie unter www.kaeltehilfe-berlin.de Wegweiser 2015-16 finden. Online kann man auch genau sehen wo man wie ehren-amtlich helfen kann.

1. Wärme Cafe St. Paulus Kirchengemeinde Oldenburger Str. 45, 10551 Berlin

2. Spätcafe Kirchengemeinde Moabit West Thusneldaallee 1, 10551 Berlin

3. Spätcafe der Erlösergemeinde Wikingerufer 9a, 10555 Berlin

4. Zentrale Beratungsstelle für Menschen in Wohnungs-not Berlin Levetzowstr. 12a, 10555 Berlin

5. GRIPS Theater Altonaer Str. 22, 10557 Berlin (Keine klassische Hilfseinrichtung)

6. Wärmestube St. Laurentius Klopstockstr. 31, 10557 Berlin

7. Krisenwohnung/ Notübernachtung des Notdienstes Berlin e. V. Fasanenstr. 91, 10623 Berlin

8. Bahnhofsmission Berlin Zoo Jebenstr. 5, 10623 Berlin

9. Familien Notunterkunft Marburger Straße 4, 10789 Berlin

10. Malteser Migranten Medizin Aachenerstr. 12, 10713 Berlin

11. Caritas Wärmestube Tübinger Str. 5, 10715 Berlin

12. Nachtcafe zum guten Hirten Goßlerstr. 30, 122161 Berlin

13. Suppenküche St. Marien Bergheimer Str. 1, 14197 Berlin

14. Notübernachtung: Neue Chance gGmbH Seestr. 49, 13347 Berlin

15. Notübernachtung Lehrter Str. der Berliner Stadtmis-sion Lehrter Str. 68, 10557 Berlin

16. Bahnhofsmission Berlin Hauptbahnhof Europaplatz 1, 10557 Berlin

17. Suppenküche Apostelstuben An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin

18. Wohnungslosentagesstätte Schöneberg Gustav- Freytag-Str. 1, 10827 Berlin

19. Notübernachtung Caritas Kältehilfe Resi Residenzstr. 90, 13409 Berlin

20. Unter Druck Kultur von der Straße e. V. Soziokultureller Wohnungslosentreffpunkt Oudenarder Str. 26, 13347 Berlin

22. Jenny de la Torre- Stiftung – Gesundheitszentrum für Obdachlose Pflugstr. 12, 10115 Berlin

23. Gangway e. V. Streetwork an Brennpunkten Schumannstr. 5, 10117 Berlin

24. Motz – der Laden Friedrichstrase 226, 10963 Berlin

25. Notübernachtung Motz & Co. Weserstr. 36, 10247 Berlin

26. GEBEWO PRO GmbH, Beratungsstelle für Woh-nungsnotfälle Gneisenaustr. 2, 10961 Berlin

27. Kälteschutz Mehringhof Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin

28. Notübernachtung für Frauen der GEBEWO PRO GmbH Tiekstr. 17, 10115 Berlin

29. Suppenküche Kath. Pfarramt St. Adalbert Torstr. 168, 10115 Berlin

30. Heilig Kreuz Kirche Zossener Str. 65, 10961 Berlin

31. Notübernachtung Kopenhagener Str. der Berliner Stadtmision Kopenhagener Str. 29, 13407 Berlin

lEGEnDE Zu »ORtE FÜR WOhnunGSlOSE«

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32. Obdachlosenhilfe »Die Brücke« e.V. Elisabethkirchstraße 17, 10115 Berlin

33. Zentrum Gitschiner 15 Gitschiner Str. 15, 10969

34. Frauennotübernachtung »Wassertor« Segitzdamm 46, 10969 Berlin

35. Tagesstätte »Am Wassertorplatz«, Diakonisches Werk Berlin Stadtmitte e. V. Segitzdamm 46, 10969 Berlin

36. Café Treffpunkt Kuglerstr. 11, 10439 Berlin

37. Tagesstätte Sozialprojekt Prenzlauerberg – Beratung und Leben Dunckerstr. 32, 10439 Berlin

38. Nachtcafé Kath. Gemeinde Herz Jesu Fehrbelliner Str. 88, 10119 Berlin

39. GRIPS Podewil Spielort für »Aus die Maus« Klosterstr. 68, 10179 Berlin (Keine klassische Hilfseinrichtung)

40. Gute-Nacht-Café Jahnstr. Jahnstr. 10, 13467 Berlin

41. Stiftung SPI, Kontakt – und Begegnungsstätte »Enter-prise« Eitelstr. 86, 10317 Berlin

42. Notübernachtung St. Pius- Kirche Palisadenstr. 72/ Hildegard-Jadamowitz-Str 25, 10243 Berlin

43. Bahnhofsmission Berlin Ostbahnhof Erich- Steinfurth- Str., S-Bahnbogen 8, 10243 Berlin

44. Praxis am Stralauer Platz Stralauer Platz 32, 10243 Berlin

45. Cafe Krause St. Thomas-Kirche am Mariannenplatz, 10997Berlin Geöffnet: Nov. – März | Di – Fr 7- 9:30 Uhr & 17 – 21Uhr

46. Frühstücksstube der Emmaus- Ölberg-Kirche KG Lausitzer Platz 8a, 10997 Berlin

47. Stadtsichten e.V. | querstadtein- Stadtführungen von Wohnungslosen und Geflüchteten Lenaustraße 4, 12047 Berlin

48. Tee- und Wärmestube Neukölln Diakonie – Eingliederungshilfe Simeon gGmbH Weisestr. 34, 12049 Berlin

49. Trödelpoint – das Sozialwarenkaufhaus- Mob e.V. / Strassen|feger Storkower Str. 139 c, 10407 Berlin

50. Notübernachtung Mob e.V. / Strassen|feger Storkower Str. 139 c, 10407 Berlin

51. Kaffee Bankrott Storkower Str. 139 c, 10407 Berlin

52. Filmrisz Rigaerstr. 103, 10247 Berlin

53. Ev. Galiläa Samariter- Kirchengemeinde Samariterstr. 27, 10247 Berlin

54. Nachtcafe obDACH E.V. Samariterstr.27 (Hinterhof), 10247 Berlin

55/56 Notübernachtung AWO Kiez-Café Petersburger Str. 92, 12047 Berlin

57»Mut zur Nachbarschaft« – Tagestreff mit medizini-scher Betreuung Weitlingstr. 11, 10317 Berlin

58. Theater RATTEN 07 - Theatergruppe mit Wohnungslosen Revaler Str. 99, 10245 Berlin

59. Werkstatt- Czentrifuga: Unter Druck e.V. Markgrafendamm 24c, 10245 Berlin

60. Notübernachtung St. Marien Wrangelstr. 50, 10997 Berlin

61. Mittwochscafé Wrangelstr. 51, 10997 Berlin

62. Wohnungslosentagesstätte Bürgerhilfe e. V. Cuvrystr. 11 – 12, 10997 Berlin

63. Nachtcafé Arche Plesser Str. 3, 12435 Berlin

64. Frauencafé im Frauenladen Wildwasser Mareschstr. 14, 12055 Berlin

65. Nordneuköllner Nachtcafé in St. Richard Braunschweiger Str. 18, 12055 Berlin

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lItERatuRhInWEISE

• Gerull, Susanne. Aus: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 20–21/2014) Wohnen, Hg.: Bundeszentrale für politische Bildung

• Und weitere Infos auf ihrer Homepage: http://www.susannegerull.de

WEItERFÜhREnDE lInKS unD tIppS

• Kirsten Boie hat ein wunderschönes Kinderbuch über Obdachlosigkeit geschrieben: Ein mittelschönes Leben. Infos dazu unter: http://www.einmittelschoenesleben.de/

• Verlässliche Zahlen sind die Grundlage jeder sinnvollen Planung. Der Berliner Senat operiert seit über zehn Jahren mit einer Zahl von 2000 bis 4000 Obdachlosen in Berlin – ohne sagen zu können, wie er auf diese Zahl kommt. Einige Hilfsverbände, die tagtäglich mit der Problematik konfrontiert sind, gehen von rund 8000 Obdachlosen aus. http://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0613/061312a.htm

• Obdachlose werden nicht gezählt. Einen guten Artikel dazu findet ihr auf Zeit online: http://www.zeit.de/gesellschaft/2015-07/obdachlose-keine-statistik

• Und auch Betroffene selbst äußern sich dazu: http://querstadtein.org/de/2013/09/23/neue-zahlen-zu-wohnungs-und-obdachlosigkeit/

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DanK

Unser herzlicher Dank geht an: die Kinder der 4. Klasse der Judith-Kerr-Grundschule und ihre Lehrerin Frau Heycke-Lautissier, die 3. Klasse der Paula Fürst Schule und ihre Lehrerin Frau Neumann für die gemeinsame Zeit zur Recher-che, für die Probenbegleitung und die Gespräche.

Für den fachlichen Input und den lebhaften Austausch danken wir besonders: Frau Prof. Dr. Susanne Gerull und der Alice Salomon Hochschule, der Lehrerin Angela Garling, Mara Fischer und Nadin Schley vom Strassenfeger.org und mob e.V., Ortrud Wohlwend von der Berliner Stadtmission sowie Dieter Puhl und Claudia Haubrich von der Bahn-hofsmission am Zoo.

Außerdem danken wir dem Illustrator Till Machmer, der Fotografin Eva Gjaltema und dem Fotografen David Baltzer, die ihre Arbeit für unsere »Strassenfeger«-Sonderausgabe und für dieses Heft kostenlos zur Verfügung gestellt und uns damit sehr unterstützt haben.

Und ein besonderer Dank geht an all die Menschen, die in Berlin auf der Straße leben und die uns von diesem Leben berichtet haben. Ohne ihre Geschichten hätten wir unser Theaterstück niemals so entwickeln können.

Mit freundlicher Unterstützung von: Medienpartner:

ÜBRIGEnS

Das Begleitmaterial ist auch als kostenloser DOWNLOAD erhältlich unter:

http://www.grips-theater.de/programm/spielplan/produktion/139

Weiter Informationen und Texte zum Stück finden sie auch im Programm-Flyer und in der Sonderausgabe des »Strassenfeger« (Nr. 16, Sept. 2016)

IMpRESSuM

GRIPS Theater gGmbH Altonaer Str. 22 10557 Berlin www.grips-theater.de

Spielzeit: 2016/2017 Künstlerischer Leiter: Philipp Harpain Geschäftsführer: Volker Ludwig Redaktion: Nora Hoch, Susanne Rieber, Anna-Sophia Fritsche Szenen-Fotos: David Baltzer / bildbühne Fotos Café Bankrott: Eva Gjaltema Illustrationen: Till Machmer Satz: Kristin Rieber – die kunstbuchproduzentin Art Direktion: Sehstern.de Titelbild: Rainer Hachfeld

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Medienpartnermit freundlicher Unterstützung von Medienpartnermit freundlicher Unterstützung von