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Q ue sera, sera«, sang 1956 Doris Day und beruhigte mit diesem millionenfach verkauften Hit auch die Zukunftsangst ihrer Zeitgenos- sen, die nach zwei Weltkriegen und den Atombomben-Abwürfen auf Hiroshima und Nagasaki nicht mehr so recht an eine »Schöne neue Welt« durch die Fortschritte von Wissenschaft und Technik glauben mochten. Schon 1932 hat- te Aldous Huxley in seinem gleich- namigen Roman nicht eben hoff- nungsvoll in die Zu- kunft geblickt, als er das erschre- ckende Szena- rio einer Gesell- schaft entwarf, in der alle Men- schen durch Manipulationen des Fötus und anschließende Kon- ditionierung auf ihre Rolle in der Gesellschaft festgelegt waren. Durch Sex, permanente Sinnesreize und die legale Droge Soma betäubt, hatten sie die Fähigkeit zum kriti- schen Denken und Hinterfragen der Weltordnung verloren. Ob wir der Zukunft vertrauensvoll oder angst- voll entgegensehen: Mit einer Zukunftsforschung ohne Orakel Zur langfristigen Szenarienbildung und der Initiative »Zukunft 25« 80 Schicksalsergebenheit à la Doris Day verspielen wir wertvolle Gele- genheiten, die Zukunft mitzugestal- ten. Auch wenn sich die Zukunft nicht vorhersagen lässt, wir haben immer die Option, potenzielle künf- tige Entwicklungen durch kritisches Nachdenken zu antizipieren. An- ders als die an Trends orientierte Zukunftsforschung, die statistische Daten extrapoliert und daraus Vor- hersagen ableitet, beschäftigt sich die im Juni gegründete Vereinigung »Zukunft 25« mit langfristigen Ent- wicklungen. Im Sinne einer »Zu- kunftsforschung ohne Orakel« ha- ben sich die derzeit ein Dutzend Mitglieder der Vereinigung zum Ziel gesetzt, Szenarien für zukünftige Entwicklungen zu entwerfen und eine Plattform anzubie- ten, auf der Interessierte ge- meinsam darüber nachden- ken können, wohin die Reise gehen soll. Zu den Gründungs- mitgliedern aus ganz Deutschland gehören un- ter ande- ren zwei Physiker, zwei Philoso- phen, ein Informatiker und ein Ma- thematiker, aber auch ein Science- Fiction-Autor, eine Managerin, ein Künstler und ein pensionierter Pro- fessor für Zukunftsforschung. Auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind, so gibt es den- noch eine ausgeprägte Asymmetrie zwischen unserer Wahrnehmung der Vergangenheit und des Zukünf- tigen; im täglichen Leben wie auch Forschung Frankfurt 3/2007

Zukunftsforschung ohne Orakel - uni-frankfurt.de

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Que sera, sera«, sang 1956 DorisDay und beruhigte mit diesem

millionenfach verkauften Hit auchdie Zukunftsangst ihrer Zeitgenos-sen, die nach zwei Weltkriegen undden Atombomben-Abwürfen aufHiroshima und Nagasaki nichtmehr so recht an eine »Schöneneue Welt« durch die Fortschrittevon Wissenschaft und Technikglauben mochten. Schon 1932 hat-te Aldous Huxley in seinem gleich-

namigen Roman nicht eben hoff-nungsvoll in die Zu-

kunft geblickt, alser das erschre-ckende Szena-rio einer Gesell-schaft entwarf,

in der alle Men-schen durch Manipulationen

des Fötus und anschließende Kon-ditionierung auf ihre Rolle in derGesellschaft festgelegt waren.Durch Sex, permanente Sinnesreizeund die legale Droge Soma betäubt,hatten sie die Fähigkeit zum kriti-schen Denken und Hinterfragen derWeltordnung verloren. Ob wir derZukunft vertrauensvoll oder angst-voll entgegensehen: Mit einer

Zukunftsforschung ohne OrakelZur langfristigen Szenarienbildung und der Initiative »Zukunft 25«

Konrad Schily, Gründer der Univer-sität Witten/Herdecke, hat einmalin einem FAZ-Interview mit Blickauf die Universitäten gesagt: »Derstaatlich bewirtschaftete Geist waram Ende eingewickelt in ein Ge-spinst aus unendlich vielen feinenFäden, an denen Beamte der Minis-terialverwaltungen in den Landes-hauptstädten nur zu ziehen brauch-ten, um eine gewisse Wirkung zuerreichen. Es bleibt die Frage, wa-rum dieser drastische Widerspruchzwischen verbrieftem Freiheitsan-spruch der Universitäten und ihrerfaktischen Unfreiheit den kritischenGeistern in den Universitäten nichtschon viel früher aufgefallen ist.«Internationale Vergleiche zeigen:Autonomie ist der wesentlicheNährboden für die Steigerung vonQualität in Forschung und Lehre.Die meisten wirklich guten Univer-sitäten dieser Welt waren von vorn-herein frei oder haben vom Staat

weitgehende Freiheitsrechte einge-räumt bekommen. Wenn der Staat– wie jetzt in unserem Fall – Uni-versitäten die Freiheit gewährt, ihreinneren Potenziale besser zu entfal-ten, dann kann daraus eine enormeDynamik entstehen.

? Stichwort Exzellenz: Die Univer-sität Frankfurt hat in den beidenRunden des Exzellenzwettbe-werbs sehr achtbar abgeschnit-ten. Wir haben einmal ausge-rechnet, dass mehr als fünf Pro-zent der Gesamtfördersummevon 1,9 Milliarden Euro nachFrankfurt fließen. Hatten Sie da-mit gerechnet?

Steinberg: Insgeheim schon. Wasaber viel wichtiger ist: Es ist inner-halb der Universität gelungen, eineBalance der Exzellenz zwischen Na-turwissenschaften und Medizin aufder einen und den Geisteswissen-

schaften auf der anderen Seite her-zustellen. Damit knüpfen wir an diegroße wissenschaftliche Traditionunserer Universität an. Darüber binich sehr glücklich und möchte allenbeteiligten Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftlern für ihrenenormen Einsatz danken. Denn dasist vor allem in die Universität hi-nein ein ganz wichtiges Zeichen inZeiten des Wandels. Jetzt ist es qua-si amtlich: Die Frankfurter Geistes-wissenschaften haben nicht den ge-ringsten Grund, sich hinter den Na-turwissenschaften zu verstecken.Sie können jetzt mit 33 zusätzlichenMillionen Euro im Rücken Großar-tiges leisten. Und ich denke, daswerden sie auch tun. Mit diesemPotenzial ergeben sich auch hervor-ragende Synergien mit dem For-schungskolleg Humanwissenschaf-ten, das in der zweiten Jahreshälfte2008 seine neuen Räumlichkeitenin Bad Homburg beziehen wird. ◆

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Schicksalsergebenheit à la DorisDay verspielen wir wertvolle Gele-genheiten, die Zukunft mitzugestal-ten. Auch wenn sich die Zukunftnicht vorhersagen lässt, wir habenimmer die Option, potenzielle künf-tige Entwicklungen durch kritischesNachdenken zu antizipieren. An-ders als die an Trends orientierteZukunftsforschung, die statistischeDaten extrapoliert und daraus Vor-hersagen ableitet, beschäftigt sichdie im Juni gegründete Vereinigung»Zukunft 25« mit langfristigen Ent-wicklungen. Im Sinne einer »Zu-kunftsforschung ohne Orakel« ha-ben sich die derzeit ein DutzendMitglieder der Vereinigung zum Zielgesetzt, Szenarien für zukünftigeEntwicklungen zu entwerfenund eine Plattform anzubie-ten, auf der Interessierte ge-meinsam darüber nachden-ken können, wohin dieReise gehen soll. Zu denGründungs-mitgliedernaus ganzDeutschlandgehören un-ter ande-

ren zwei Physiker, zwei Philoso-phen, ein Informatiker und ein Ma-thematiker, aber auch ein Science-Fiction-Autor, eine Managerin, einKünstler und ein pensionierter Pro-fessor für Zukunftsforschung.

Auch wenn wir uns dessen nichtimmer bewusst sind, so gibt es den-noch eine ausgeprägte Asymmetriezwischen unserer Wahrnehmungder Vergangenheit und des Zukünf-tigen; im täglichen Leben wie auch

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in der Forschung. Institute für Ge-schichte finden sich an vielen Uni-versitäten, die Gegenwart sowie dievergangenen Jahrhunderte undJahrtausende werden wissenschaft-lich intensiv untersucht und aufge-arbeitet. Doch gibt es überhaupt ei-nen Lehrstuhl an einer deutschenUniversität, wenn wir mal von derTrendforschung absehen, an wel-chem zukünftige Epochen erforschtwerden? Mit der Zukunft setzt sichdie Wissenschaft nur spärlich ausei-nander. Ein Grund hierfür liegt da-rin, dass unsere Methoden auf die-sem Gebiet noch vergleichsweiseunterentwickelt sind. So behandeltdie Trendforschung in der RegelZeiträume von höchstens einer Ge-neration unter Verwendung einfa-cher statistischer Hilfsmittel. Alleineim Bereich der Naturwissenschaf-ten, wie zum Beispiel in der Klima-folgeforschung, kommen hoch ent-wickelte physikalische Modelle zurBerechnung längerfristiger Ent-wicklungen zum Einsatz.

Visionäre sind die besseren Realisten

Der Mensch hat einen freien Wil-len, und so mag man einwenden,soziologische Entwicklungen seienprinzipiell nicht vorhersagbar, dadiese von nicht-determinierten in-dividuellen Entscheidungen geprägtsind. Damit läge das weitgehendeFehlen hoch entwickelter Metho-den auf dem Gebiet der Zukunfts-forschung in der Natur der Sacheund wäre unvermeidbar in allenFragestellungen, welche die Zu-kunft der Gesellschaft berühren.Welche Möglichkeiten stehen dannder Menschheit auf ihren Wande-rungen durch die Zeiten zur Verfü-gung? Kann sie dann gar nicht an-ders, als dem Beispiel eines unbe-kümmerten Wanderers zu folgen,der sich von momentanen Launenleiten und in seine Entscheidungennur das einfließen lässt, was er hierund jetzt beurteilen kann? In derMathematik und Robotik sind effi-ziente Strategien zur Lösung gege-bener Problemstellungen ein akti-ves Forschungsgebiet. Die Strategiedes unbekümmerten Wanderers be-zeichnet man in diesem Zusam-menhang als lokale Optimierung.Und auf diese Weise wandert dieMenschheit seit Urgedenken durchdie Geschichte. Stets auf der Suchenach dem nächsten Platz an derSonne, den aktuellen Gefahren

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Jedes Jahrhundert bringt eigene Visionen der Zukunft hervor, wobei vor allem dieje-nigen Entwicklungen extrapoliert werden, die in der aktuellen Forschung besonderspräsent sind. Im 19. Jahrhundert waren dies, wie die gezeigten Sammelbilder bele-gen, vor allem Verkehr und Mobilität. In seinem Roman »In 80 Tagen um die Erde«drückt Jules Verne die Faszination darüber aus, dass Orte und Menschen zusammen-rücken, weil die Entfernungen sich dank moderner Verkehrsmittel wie Auto, Eisen-bahn und Flugzeug schneller überbrücken lassen. Die überwiegend optimistischenZukunftserwartungen des 19. Jahrhunderts sind inzwischen kritischeren, wenn nichtpessimistischen Visionen gewichen. Betrachtet man Filme wie »Blade Runner« oder»Matrix«, so beschäftigen uns heute Themen wie der künstliche oder manipulierteMensch. Auch der Zukunftsforscher Claudius Gros denkt über die Folgen einerkünstlichen Gebärmutter nach. Aber er sieht optimistisch in die Zukunft.

ausweichend, wie der Wandererdem heraufziehenden Gewitter.

Auf der anderen Seite sind Visio-näre, um es mit den Worten desverstorbenen BundespräsidentenJohannes Rau auszudrücken, lang-fristig die besseren Realisten. Dennsie sind besser vorbereitet, weil siees gewohnt sind, verschiedenemögliche Zukunftsvisionen gegen-einander abzuwägen. Visionen kön-nen aber nur dann entwickelt wer-den, wenn man die gegenwärtigenTrends überschreitet und langfristi-ge Entwicklungsszenarien konse-quent zu Ende denkt.

Szenarienbildung als Mittelder Zukunftsforschung

Nehmen wir das Bild eines Spazier-gängers, der, auf einem sonnigenHügel stehend, aus dem blauenDunst in der Ferne ein steil aufra-gendes Gebirge herausragen sieht.Dieser Wanderer würde zum Visio-när, wenn er aus seiner Beobach-tung den Schluss zieht, dass zumin-dest noch eine andere Landschafts-form existiert als die ihm vertrautesanfte Hügellandschaft um ihn he-rum. Dann wäre logischerweiseauch die Möglichkeit von weiteren,

vielleicht sogar von vielen anderenLandschaftstypen gegeben, die au-ßerhalb seines gegenwärtigen Be-obachtungshorizonts gelegen seinkönnten. Aus lokalen Beobachtun-gen, wie dem Wechsel der Vegetati-on zwischen Sommer und Winter,könnte er dann kühne Szenarienentwickeln, beispielsweise die Exis-tenz wüstenähnlicher Gebiete inder fernen Region – auch wenn erselbst noch nie eine Wüste betretenoder gesehen haben sollte. Anfangswürden seine Gefährten wohl nurdie Köpfe schütteln, wenn er ihnenvon der glühenden Sonne der Wüs-te erzählte, langfristig würde er je-doch durch die Szenarienbildungauf seinen Wanderungen zum bes-seren Realisten werden.

Szenarienbildung ist ein Mittelder Zukunftsforschung, die traditio-nell ihren Ausdruck in Science-Fiction-Romanen und verwandtenliterarischen Gattungen findet. Wieleben Menschen, wenn sie mittechnischen Eingriffen zu »mensch-lichen Schafen« gemacht werden,indem man ihnen gleich nach derGeburt fiktive Aggressionszentrenmedizinisch entfernt, wie in »Rück-kehr von den Sternen« von Stanis-

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law Lem? Oder wie sähe das Lebenmenschlicher Klone aus, die einzigund allein zu dem Zweck da wären,ihre Organe zu spenden wie in demRoman »Alles was wir geben muss-ten« von Kazuo Ishiguro? Dieseund unzählige weitere Szenariensind fiktiv, und doch können sie po-tenziell enorme Auswirkungen aufunsere heutigen Handlungen ha-ben. Die eindrückliche Schilderungeines totalen Überwachungsstaatesin »1984« von George Orwell hattiefe Spuren hinterlassen und mahntzur Vorsicht beim Einsatz modernerÜberwachungstechnologien.

Diese Beispiele der Szenarienbil-dung aus der Literatur greifen teil-weise tief in mögliche Zukunftsvi-sionen hinein. Zum eigentlichen In-strument der Zukunftsforschungwerden sie, wenn sie als Ausgangs-punkt gegenwärtige technischeoder gesellschaftliche Entwicklun-gen haben, auch wenn diese Ent-wicklungslinien noch ganz in ihrenAnfängen stehen sollten. Dieses istdenn auch eines der zentralen The-men der Plattform »Zukunft 25«:das langfristige Denken in unsererheutigen Gesellschaft zu fördern,Stichpunkte für die visionäre Sze-narienbildung zu geben. Wichtig istdabei der interdisziplinäre Ansatz,welcher sich aus den fachlichenund beruflichen Hintergründen derMitglieder von »Zukunft 25« speist.Die Bedeutung der Langfristigkeitim Leben eines Jugendlichen, wel-cher mit seiner Berufswahl mögli-cherweise die nächsten 50 Jahreseines Lebens prägend beeinflusst,ist dabei ebenso von Bedeutung wie,

auf der anderen Seite des Spek-trums, die Frage nach der Zukunftdes Menschen und des irdischenLebens im Kosmos – Fragestellun-gen, welche von der Lebensspanneeines einzelnen Menschen zu derunserer gesamten Gattung reichen.

Dabei geht es bei »Zukunft 25«stets um Zukunftsforschung ohneOrakel. Nicht um die Vorhersagekonkreter Ereignisse in den nächs-ten Jahren und Jahrzehnten oder,wie in der Trendforschung, vonEntwicklungen, sondern darum, dieKultur gut durchdachter und visio-närer Szenarien zu fördern. Geradein unserer modernen Welt habenviele unserer Handlungen undtechnischen Entwicklungslinien po-tenziell gravierende Konsequenzen.»Zukunft 25« geht davon aus, dasslangfristiges und utopisches Denkenheute wichtiger ist denn je. Auchwenn, oder gerade weil, allen Be-obachtungen nach der Zeitgeistheute eher in Richtung kurzfristigerModeströmungen tendiert. Ansatz-punkte für Entwicklungsszenarienvon, im wahrsten Sinne des Wor-tes, existenzieller Bedeutung für dieMenschheit sind überreichlich inder heutigen Welt vorhanden. EinBeispiel soll hier stichpunktartigdiskutiert werden, der Themen-komplex »natürliche versus künst-liche Geburt«. Es zeigt deutlich, wiewichtig es ist, über mögliche lang-fristige Entwicklungsszenarien auchheute schon nachzudenken und dieFrage zu stellen, wohin uns unsereReise schlussendlich führen soll.

Diskussionen um die künstliche Gebärmutter

Wenn auch derzeit noch mitsehr bescheidenen Resultaten, so

wird schon heute an der Entwick-lung einer künstlichen Gebärmuttergearbeitet. Einmal entwickelt, wür-de sie die Rolle der Frau neu defi-nieren, denn man brauchte dannnur noch Eizelle und Sperma derEltern, um ein Baby zu erzeugen.Auch wenn wir noch nichts überdas Wann sagen können, steht esaußer Frage, dass uns eines Tageseine voll funktionstüchtige künstli-che Gebärmutter zur Verfügung stehen wird. Denn es sind keine Ar-gumente bekannt, welche die Ent-wicklung einer solchen aus wissen-schaftlichen oder technischenGründen verbieten würden. Zudemsteht auch jetzt schon fest, dass die-se künstliche Gebärmutter zur ge-gebenen Zeit auch eingesetzt wer-den wird. Die Befürworter werdennicht müde, zu unterstreichen, dasseine voll entwickelte künstliche Ge-bärmutter aus medizinischer Sichtviel sicherer wäre als ihr biologi-sches Pendant, denn man könntesie unter anderem problemlos vonSchadstoffen wie Nikotin oder Al-kohol freihalten.

Die derzeitigen Diskussionenrund um dieses Thema sind haupt-sächlich ethischer und juristischerNatur. Wer hätte bei einer reinkünstlichen Embryogenese dasRecht, über eine eventuelle Abtrei-bung zu bestimmen, nur die Mutter– wie es heute in westlichen Län-dern üblich ist –, oder dann auchder Vater? Fragen wie diese müssenselbstredend ernsthaft behandeltwerden, im Kontext der Analyselangfristiger Entwicklungslinien istjedoch ein anderer Punkt von ent-scheidender Bedeutung. Denn wirwerden mit Sicherheit eines Tagesan einen Punkt in der Geschichte

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der Menschheit gelangen, an demdie natürliche Geburt einen Risiko-faktor darstellen und auch als sol-cher wahrgenommen werden wird.Dieser Zeitpunkt könnte schon ineinigen Jahrzehnten erreicht wer-den oder erst in einigen Generatio-nen, für den Fall, dass sich die tech-nisch-wissenschaftlichen Herausfor-derungen als größer herausstellenals derzeit gemeinhin erwartet. Eswird also einmal der Zeitpunktkommen, wo eine Frau sich durcheine zusätzliche Versicherung gegendas erhöhte Risiko einer natürli-chen Schwangerschaft absichernmuss.

Dies ist möglicherweise eine Zä-sur in der Geschichte der Mensch-heit und daher zentraler Ausgangs-punkt für systemtheoretische Sze-narienbildungen. Würde sichlangfristig ein Gleichgewicht zwi-schen der maschinellen und derbiologischen Embryogenese einstel-len, etwa so, wie es heute zwischenin vitro und natürlicher Befruch-tung besteht? Oder würde diekünstliche Geburt auf lange Sichtgesehen, zum Beispiel über Jahr-tausende hinweg, die natürlicheganz verdrängen, wie etwa in einer»schönen neuen Welt«?

Mehr Interesse an lang-fristigen Entwicklungen

Es gibt also gewichtige Gründe, unddas obige Beispiel ist dabei nur ei-nes von vielen in diesem Kontext,sich intensiv mit unserer gemeinsa-men Zukunft auseinanderzusetzen.Kommen wir daher auf die ein-gangs gestellte Frage zurück, wa-rum vergleichsweise wenige Men-schen darüber nachdenken, was inder fernen Zukunft geschehenkönnte. Die Antwort hierauf istwohl ebenso banal wie ernüch-ternd. Wir werden diese Zeitenselbst nicht mehr erleben, und wa-rum sollten wir dann, so werdenviele sagen, uns groß darum küm-mern: »Nach mir die Sintflut«, solautet ein geflügeltes Wort; »Wassein wird, wird sein«, in den Wor-ten von Doris Day. Und doch, waswird aus uns Menschen und unse-rem großartigen Planeten? Solltediese Frage uns nicht allen wichtigsein? Die Antwort auf diese Fragen,etwa wie diejenigen der künstli-chen Gebärmutter, wird durchlangfristige Entwicklungslinien ge-geben. Auch wenn der Ausgangderzeit noch im Dunst der fernen

Zukunft verborgen bleibt, erschienees zeitgemäß, wenn sich an unsererungleichen Wahrnehmung von Ge-schichte und Zukunft etwas änder-te. Die im Juni dieses Jahres ins Le-ben gerufene Initiative »Zukunft25« ist daher als offene Plattformkonzipiert. Neben internen Diskus-sionen wird es verschiedene Projek-te geben, die in die Gesellschaft hi-

nein reichen sollen. Geplant ist bei-spielsweise ein Schülerwettbewerbzum Thema »langfristiges Denken«.»Zukunft 25« hat keine program-matische Zielsetzung, sondern för-dert die Umsetzung seriöser Projek-te mit langfristigen Zielen. Schließ-lich versteht sich die Vereinigungselbst als ein zukunftsgerichtetesExperiment. ◆

Ulrike Jaspers imGespräch mit den BildungsexpertenProf. Dr. AndreasGold und Prof. Dr.Udo Rauin (links).

Der Autor

Prof. Dr. Claudius Gros, 46, ist seit 2005 Professor für Theoretische Physik an derUniversität Frankfurt. Seine Forschungsgebiete liegen im Bereich der Theorie biolo-gisch-inspirierter kognitiver Systeme und der Hoch-Temperatur-Supraleiter. Im Som-mer 2007 gründete er die Plattform »Zukunft 25«, die allen an mittelfristigen zu-künftigen Entwicklungen Interessierten offen steht: http://verein.zukunft25.deE-Mail: [email protected] Internet: http://itp.uni-frankfurt.de/~gros

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Lehrerberuf: Warum Studierendeoft die falsche Wahl treffenLehrerbildung – ein »Gesamtkunstwerk« mit zu vielen Akteuren?

? Ungefähr 670 000 Lehrerinnenund Lehrer unterrichteten anallgemeinbildenden Schulen inDeutschland, davon etwa 46 000in Hessen. Nach Ihrer Studie, inder Sie, Herr Professor Rauin,zukünftige und junge Lehrernach ihrer Selbsteinschätzungbefragt haben, halten sich mehrals die Hälfte für diesen Berufungeeignet. Unglaublich, aberwahr?

Rauin: Möglicherweise halten siesich für ungeeignet, weil sie in denersten Berufsjahren mit dem, wassie bisher gelernt haben, noch nichttatsächlich für diesen Beruf präpa-riert sind; das bedeutet aber nochnicht, dass sie nun alle wirklich un-geeignet sind. Man muss differen-zieren: Eine relativ große Gruppevon etwa 30 Prozent ist sowohl auf-grund ihrer persönlichen als auchfachlichen Voraussetzungen als kri-tisch zu beurteilen. In einem Per-sönlichkeitstest, den wir in unsererStudie verwendet haben, geben sichdie Befragten selbst schlechte No-ten, wenn es beispielsweise umAufgeschlossenheit gegenüber an-deren Menschen oder um Zuverläs-sigkeit geht.

? Ein Lehramtsstudium nehmennur in seltenen Fällen die Besteneines Abiturjahrgangs auf. Wo-

ran liegt es, dass bei etwa 60 Pro-zent der Abiturschnitt im unte-ren Drittel liegt?

Rauin: Unsere Zahlen stammenaus dem Bereich Haupt- und Real-schule, das gilt nicht für alle Lehr-ämter in gleicher Weise. Dieser Be-reich wird häufig als ein Verlegen-heitsstudium gewählt, weil manbestimmte andere Studiengängenicht wählen konnte. Das heißt,viele von denen, die zum BeispielRomanistik studieren wollten,kommen zum Lehramtsstudium,können dort aber nicht beliebigeFächer wählen, weichen dann viel-leicht auf Mathematik aus, auchwenn ihnen das nicht besondersliegt. Da aber in den letzten Jahrendie Zugangsvoraussetzungen deut-lich verschärft wurden, kann sich

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