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D. Ohnesorge, Zur Prognose des tiefen Bisses 42T Aus der Abteihmg f6r Orthop/idis,.:he Stomatologie der Klinik und Poliklinik f6r Stomato- logie (Direktor: Prof. Dr. G. St.aegemann) der Medizinisehen Akademie ,,Carl Gustav Carus" Dresden Zur Prognose des tiefen Bisses Von D. Ohnesorge, Dresden .Mit 4 Abbildungen In der Kieferorthop~die richtet, man sich mehr oder weniger nach gel/tufigen Indizes und Normvorst.ellungen, um mi~ dem Behandlungsziel sogenannte eu- gnathe Gcbifisit,uationen zu erreiehen. Diese Sollvorstellungen bringen es mit sieh, dab das dreidimensionale Gebil3waehstum schema~iseh mit Hilfe yon Durehsehnitts- regeln beurteilt wird. Fiir den Behandler bedarf es dabei einer langjghrigert Erfahrung, mn zu wissen, in welehem AusmaB er sieh dieser Normwerte beim individuellen Fall bedienen kaml. Das Auf~ret.en und der Umfang eines Rezidivs naeh abgesehlossener kieferortho- pfidiseher Behandlung k6nnen u. a. als MaBstab dafiir angesehen werden, imvie- weit es gelang, die Therapie auf das individuelle Wachstumsmusger abzust, immen. Die Praxis zeig~ vielfaeh, dab die gebrguehliehen Normvorstellungert unzureiehende Hilfsmittel zur Erfassung der endogen veraalkerten und uns unbekannten ~Vaehs- tumspotenzen sind. So k6nnen sieh aus weitgehend identisehen GebiBanomalien ,nit einander entsprechenden Abweiehungen yon den sogenannten Sollwerten bei vergleiehbarer Mitarbeitsbereitsehaf~ des Patient~en und ad~tquatem therapeuti- sehem Aufwand untersehiedliehe Behandlungsresultate ergeben. Das individuelle Waehstumsmuster spielt ebenfalls eine Rolle bei der retro- spektiven Beurteilung des Behandtungserfolgs. Naeh Abschlug der Therapie mug sieh der Kieferort, hop/tde stets die Frage vorlegen, in welchem AusmaB tier er- reichte Gebil3zustand das Ergebnis seiner/irztlichen Bem/ihungen war oder dem natiirlichen Wa.ehstum zuzusehreiben ist. Diese Beurt, eitung ist fiul3erg proble- mat4sch und aueh naeh neuest.en wissensehM'i:liehe~l Erkenntnissen wohI kaum exakt, durchffihrbar. Genaueren Aufschlul3 dar6ber kann man dutch Untersu- ehungen an eineiigen Zwillingen gewinnen. ~Venn beide Gesehwister mit der gleiehen Anomalie behaftet sind und nut ein Kind einer kieferorthop/idisehen Behandlung unterzogen wird, k6nnte der diff'erente Befund beim Unbehandelten den Effekt der Therapie wiedergeben, bzw. Hinweise auf den zugrunde liegenden Waehstums- vertauf erteilen, hn Sehrit~tum liegen derartige Beriehte nut sporadiseh vor, die noch keine allgemeinen SehluBfolgerungen zulassen. Versehiedene Autoren (Neu- mann, Moorrees, Jantzen, Baume, Bourquin und 5fay) versuehten dureh

Zur Prognose des tiefen Bisses

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D. Ohnesorge, Zur Prognose des tiefen Bisses 42T

Aus der Abteihmg f6r Orthop/idis,.:he Stomatologie der Klinik und Poliklinik f6r Stomato- logie (Direktor: Prof. Dr. G. St.aegemann) der Medizinisehen Akademie ,,Carl Gustav Carus"

Dresden

Zur Prognose des t iefen Bisses

Von D. Ohnesorge, Dresden

.Mit 4 Abbildungen

In der Kieferorthop~die richtet, man sich mehr oder weniger nach gel/tufigen Indizes und Normvorst.ellungen, um mi~ dem Behandlungsziel sogenannte eu- gnathe Gcbifisit, uationen zu erreiehen. Diese Sollvorstellungen bringen es mit sieh, dab das dreidimensionale Gebil3waehstum schema~iseh mit Hilfe yon Durehsehnitts- regeln beurteilt wird.

Fiir den Behandler bedarf es dabei einer langjghrigert Erfahrung, mn zu wissen, in welehem AusmaB er sieh dieser Normwerte beim individuellen Fall bedienen kaml. Das Auf~ret.en und der Umfang eines Rezidivs naeh abgesehlossener kieferortho- pfidiseher Behandlung k6nnen u. a. als MaBstab dafiir angesehen werden, imvie- weit es gelang, die Therapie auf das individuelle Wachstumsmusger abzust, immen. Die Praxis zeig~ vielfaeh, dab die gebrguehliehen Normvorstellungert unzureiehende Hilfsmittel zur Erfassung der endogen veraalkerten und uns unbekannten ~Vaehs- tumspotenzen sind. So k6nnen sieh aus weitgehend identisehen GebiBanomalien ,nit einander entsprechenden Abweiehungen yon den sogenannten Sollwerten bei vergleiehbarer Mitarbeitsbereitsehaf~ des Patient~en und ad~tquatem therapeuti- sehem Aufwand untersehiedliehe Behandlungsresultate ergeben.

Das individuelle Waehstumsmuster spielt ebenfalls eine Rolle bei der retro- spektiven Beurteilung des Behandtungserfolgs. Naeh Abschlug der Therapie mug sieh der Kieferort, hop/tde stets die Frage vorlegen, in welchem AusmaB tier er- reichte Gebil3zustand das Ergebnis seiner/irztlichen Bem/ihungen war oder dem natiirlichen Wa.ehstum zuzusehreiben ist. Diese Beurt, eitung ist fiul3erg proble- mat4sch und aueh naeh neuest.en wissensehM'i:liehe~l Erkenntnissen wohI kaum exakt, durchffihrbar. Genaueren Aufschlul3 dar6ber kann man dutch Untersu- ehungen an eineiigen Zwillingen gewinnen. ~Venn beide Gesehwister mit der gleiehen Anomalie behaftet sind und nut ein Kind einer kieferorthop/idisehen Behandlung unterzogen wird, k6nnte der diff'erente Befund beim Unbehandelten den Effekt der Therapie wiedergeben, bzw. Hinweise auf den zugrunde liegenden Waehstums- vertauf erteilen, h n Sehrit~tum liegen derartige Beriehte nut sporadiseh vor, die noch keine allgemeinen SehluBfolgerungen zulassen. Versehiedene Autoren (Neu- m a n n , M o o r r e e s , J a n t z e n , B a u m e , B o u r q u i n und 5fay) versuehten dureh

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L~ngssehnittuntersuehungen, das individuelle Gebigwaehstum zu bestimmen. Die methodisehe Sehwierigkeit Iiegt hierbei in der Erfassung der Probanden- gruppe fiber einen 1/ingeren Zeitraum. Daher ist die Zahl der bisher im Sehrifttum ver6ffentliehten Longitudinaluntersuehungen ffir allgemeine Aussagen ebenfalls noeh ziemlieh gering,

Der Autor m6ehte mit eigenen Lfingssehnitterhebungen zur Beurteilung des tief(,n Bisses einen Beitrag leisten. Es wird versueht, Antwort auf tolgende Fragen zu erteilen.

1. ()bertr/tgt sieh der tiefe BiB des Milehgebisses auf das bleibende Gebil3? 2. In welehem Ausmag ist eine therapeutisehe Beeinflussung des t.ieten Bisses

m6gtieh .~ B a u m e kommt auf Grund seiner Untersuehungen an 60 Kindergebissen, die

fit einem Zeitraum yon 8 Jahren jfihrlieh untersueht wurden, zu der Feststethmg, dab sieh die Gr6ge des 1Jberbisses in der fiberwiegenden Mehrzahl der F/tlle veto Milehgebig auf das bleibende GebiB fibertrfigt. Naehuntersuehungen yon B o u r - q u i n bestiitigen diese Aussage, Beide Autoren maehen dafiir ein gleiehm/tgiges Waehstum des oberen und unteren fi~ontalen Kieferbereiehs verantwortlieh.

An Hand yon L/tngssehnittuntersuehungzen an 135 Probanden stellte 5:Ioor- rees lest, dab sieh der durehsehnittliehe Uberbi[3 im Alter yon 5 bis 6 Jahren bis zum 18. Lebensjahr insgesamt nieht wesentlieh iindert. Verfolgt man abet einzelne Probanden w'~hrend dieser Zeitspanne, so treten vielfaeh ~'~nderungen auf. Diese Untersuehungsergebnisse stammen yon kiefer()rthop/idiseh unbehandel- ten Kindern, bei denert auBerdem weder Milehzithne noeh Z'~hne des bleibenden Gebisses entfernt wurden.

Im Rahmen einer Kindergartenuntersuehung stellte der Autor bei 26 Pro- banden, die aueh zu sp/~teren Kontrollen erfagbar waren, im Alter von 3'bis 5 Jah- ten einen tiefen BiB im Milehgebil3 lest. Diese Gruppe wurde an Ham] yon vier 5Iodellserien, welehe im durehsehnittliehen Zahnungsalter yon 4/6 J./M., 5/9 J./M., 12,/7 J./M. und 14/10 J./M. gewonnen wurden (Tab. I), his naeh Dureh- brueh der 12-Jahrmolaren verfolgt. Die Bestimmung des Zahnungsalters erfolgte naeh den Tabellen fiir die kieferorthop~tdisehe Behandlung yon S i e b e r t h .

Tabelle I. Der durehsehnittliche ~berbiB in Prozent- ~md Millimeterangabe in Abhgngigkeit vom Alter bei 26 kieferorthopgdiseh unbehandelten Probanden. Zwisehen dem durehsehnitt. lichen i~;berbigwert der 5[odetlserie Iund IV besteht eine statistisehe Signifikanz yon 97,5%

Dureh- sehnitttieher Streuung ~berbiB

l?berbiB s in mm

Dureh- sehnittliehes Stremmg

Alter s

~Iodellserie I 61,3% 8,7% 2,9 4. J 6 M. 9 ~[. Modellserie II 63,5% 10,2°o 3 0 5 J. 9 M. 9)i, Modellserie I II 57,4% 6,7% 4,5 12 J. 7 M. 1 J. 2 5[. Modellserie IV 53,4% 9,7% 4,2 14 J. 10 M. 11 M.

Der ()berbil3 wurde stet.s am linken unteren Sehneidezahn mit dem Met3sehieber auf 0,1 mm Skalengenauigkeit bestimmt, und das AusmaB der frontalen Bedek- kung wegen der untersehiedliehen GrSBe der Milehz/ihne und permanenten Zfihne prozentual ausgedrfiekt. Bei der ersten Modellserie (Tab. I), das durehsehnittliehe Alter bei der Abdrueknahme betrug 4/6 J./M. ( -~ 9 hi.), lag ein mittterer l~TberbiB

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yon 2,9 mm vor. Bezogmt auf die Gr6Be der klinisehen Krone - - I entsprichl, dieser Weft einer l~Tberdeekung yon 61,3~o. Etwa 1 Jahr spgter, das durehsehnitfliehe Alter betrug 579 J./M. ~.: 9 M., konnfe eine geringfiigige Vertiefung des I~:ber- bisses (3,0 mm bzw. 63,5%) festgestellt werden. Weitere Messungen wurden erst.

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Abb. 1. Hiiufigkeitsverteihmg des prozentualen ['berbisses der Modeltserien I b i s IV mils Einzeichnung des durehsehnittliehen iS'berbisses (~) und seiner Standardabweiehung

im sp/iten Wechselgebil3 (12/7 J./M.) durehgefiihrt, da wghrend der Durchbruchs- zeit der Frontz/~hne unkorrekte Werte aut)etre ten w/~ren. In diesem Alter ver- ringerte s:ieh der mittlere UberbiB (Modellserie I I I ) auf 4:,5 mm (57,4%). Obwohl der gemessene Wert in ~Iillimeter (4,5 ram) gr613er Ms der entspreehende Betrag der Modellserie I I (3,0 ram) ist, besteht t rotzdem eine Verringerung des durch- schIfittliehen Y~'berbisses, wie es der Wer~ in Prozent angib~, da jetzt Messungen an den Frontzghnen des permanenten Gebisses vorgenommen wurden. Zum Ver- gleieh der BiBtiefe zwisehen MilehgebiB und bleibendem Gebil3 ist wegen der

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untersehiedliehen Zahngr6Be der Wert in Prozent heranzuziehen. Aus den Resul- taten geht hervor, dal3 ohne kieferorthop/tdisehe Behandhmg eine Bil3hebung ein- tritt. Aueh im sp/iteren Alter, 14/10 J./M. ( -"- 11 M.), konnte bei derselben Pro- bandengruppe die gleiehe Tendenz zur Verringerung der Bil3tiefe festgestellt werden. Bei der letzten Vermessung betrug der {~berbiB 4,2 mm (53,4%). Wahr- seheinlieh auf Grund der geringen Probandenzahl lieB sieh eine statistisehe

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Abb. :2. Darstelhmg bei 12 5[iidchen

Abb. 2 und 3. Diese Graphik zeigt die GrSl3e des individuellen ()berbisses in Abh/ingigkeit yore Zahmmgsalter bei 26 Probanden mit tiefem BiB, die kieferorthop~idisch nieht behandelt wurden. Die Verbindungslinien der einzelnen Mel3punkte innerhalb der Zeitspanne zwischen dem 4. und 16. &~hr (Zahnungsalter) geben die Schwankungen in der GrSBe des i]'berbisses

an. Xaeh Durehbrueh des 12-Jahrmolaren fiberwiegt eine geringe Bil3hebung

Sieherheit von nur 97,5% erreehnen. Diese geringe Signifikanz ver'deutlieht aueh die graphisehe Darstellung der Hgufigkeitsverteilung (Abb. 1), die eine geringe Linksversehiebung als Ausdruek ffir die Abnahme der Bil3tiefe erkennen l/il3t.

Die relativ grol3e Streuung tier l~rberbiBwerte in den vier Modeltserien (Tab. I und Abb. 1) 1/iBt gr6Bere individuelle Untersehiede vermuten, die in den Mittel- werten nieht zum Ausdruek kommem Aus diesem Grurtd wurden in Abb. 2 und 3 die individuellen MeBwerte als Punkte in einem Diagramm dargestellt, die ffir jeden Probanden dureh Zugeh6rigkeitslinien verbunden wurden. Einige Fglle lassen deutliehe Sehwankungen im Verlauf dieser Linie erkennen. Daraus Iolgt,

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dal3 der l~berbi[3 in dem erfagten Kont.rollzeitraum ffir dml Individualfall keine gleiehbleibende Gr6t3e darstellt. Bei der Mehrzahl der Fglle ist jedoeh insgesamt eine Verringerung des l~Tberbisses zu verzeiehnen. Aus diesem, ffir eine gesieherte Aussage allerdings zu geringem Untersuehungsgul, seheint hervorzugehen, dab im Rahmen der erfagten GebiBentwieklung dert iefe Bif3 durehsehnittlieh zu einer o'eringen Bighebung tendiert. Es k6nnen jedoeh individuell Unterschicde auftreten,

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Abb. 3. Darstetlung bei 14 Jlmgen

so dab man nicht in jedem Fall vom Milehgebig ausgehend den l~'berbil3 der bleibenden Frontz/thne vorhersagen kann. F/ir prognostisehe Einschfitzungen der individuellen Gebil3entwieklung zeigt die Graphik (Abb. 2 und 3) deutlieh, dab voriibergehende Bil3hebungen oder -senkungen im Itinblick auf die endgtiltige Bigtiefe keine bindenden Schlul~folgerungen erlauben. Damit stehen diese Unt.er- suchungen im Einklang mit den. Ergebnissen yon M o o r r e e s .

Von der Fests~ellung ausgehend, dab es unt~ersehiedliehe Waehstumsmust.er bis zur Einstellung des Uberbisses am AbsehluB der GebiBentwieklung gibt., (lr/ingt sieh die bereits angesehnittene zweite Frage auf, inwieweit es m6glich ist, in dieses Waehstumsgeschehen dutch therapeutisehe Magnahmen steuernd ein- zugreifen. Zu dieser Fragestellung liegen Untersuchungert yon L u d w i g vor, der das Behandlungsresultat. voll 114 Kindern mit tiefem BiB analysierte. Von diesen Probanden hatCen 94 Patienten, die konservativ behandelt, wurden, vor der ortho- p/idisehen Behandlung einml durchsehni~tliehen {TberbiB yon 6,3 mm, der auf

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1,8 m m reduziert wurde, jedoeh auf 3,3 m m rezidivierte. Bei den iibrigen 20 Pa- t ienten, es wurden Ext rak t ionen durehgefiihrt, betrug der iYberbil3 zu Beginn der Behandlung 4,9 mm, am Behandlungsabsehlul3 2,3 mm und naeh einer Kon- trollzeit 3,6 mm.

F/Jr eigene Untersuehungen s tanden das Anfangs-, AbsehlulL und Kontroll- modell yon 97 Pat ienten der Abteilung zur Verfiigung. Als Behandlungsmit tel wurden aktive Plat ten, funktionskieferorthop/tdisehe Oer~tte und Extrakt ionen angewandt . Die Megmethode ist die gleiehe wie bei der un behandelten Probanden- gruppe. Die Behandlungsdauer betrug durehsehnitt l ieh 4/3 J./M. Da der tiefe BiB nur selten isoliert auftr i t t , sondern /iberwiegend ein S y m p t o m einer iibero-eord- neten Klassifikation ist, ist in die Behandlungsdauer die Behebung aller Symptome eingesehlossen. Naeh BehandlungsabsehluB wurde in einem durehsehnitt l iehen Interval l yon 3/4 J./M. das Kontrol lmodell gewonnen. In Tabelle I I sind die mittle- rert (Sberbil3werte vor der kieferorthopadisehen Behandlung, naeh Absehlul3 dersel- ben und zmn Zei tpunkt der Nachkontrol le in einer Tabelle zusammengefal3t. Aus-

• 9 7 ° gehend yon einem Anfangswert yon durehsehnitt l ieh 4.7 mm (65,5% ÷ , ,o {?berdeekung, Alter 10/10 J./M.) reduzierte sieh der l~Tberbit3 bis zum Absehlu[3

Tabelle II. Durehsehnittlieher {]berbig in Prozent- und 3Iillimeterangabe in Abhfingigkeit yore Alter am Anfangs-, AbsehluB- und Kontrollmodell yon 97 1)atienten, Die prozentualen

Differenzen zwisehen den drei Modellen sind statistiseh zu 99,9(!i) signifikant

Dureh- Dureh- sehnittlieher St.reuung l~berbiI3 sehnittliehes Streuung

i£~berbilt s in mm Alter s

Anfangsmodell 65,5% 9,7% 4,7 10 J. l0 5[. 2 J. 3 M. Absehlugmodell 46,0% i 8,4% 3,3 15 J. '2 5I. 2 J. 5 M. Kontrollmodell 48,7% 8,5?0 3,5 18 J. (i M. 3 J. 7 51.

der Behandlung, Alter 15/2 J./M., auf 3,3 mm (46,00./o 5 8,4%), um his zum Kon- trol lbefund (Alter: 18/6 J. M.) minimal auf 3,5 mm (48,7 ~ 8,5%) anzusteigen. Diese Ergebnisse wurden in Abb. 4 graphiseh dagestellt. Die deutliehe Links- versehiebung als Ausdruek der Bil3hebung ist naeh dem t-Test mit 99,9 prozen- tiger Sieherheit signifikant.

Wie aus den eigenen U~tersuehungen an der unbehandel ten Probandengruppe hervorgeht , stellt sieh der f,~berbil] im Alter yon 14 bis 15 Jahren auf 4,2 mm ein. Die Differenz zum Kontrol lmodell der behandelten Pat ientengruppe (Tab. I I) be- trfigt demnaeh nur 0,7 ram. Es mutt jedoeh ber~ieksiehtigt werden, dab (lie naeh- kontroll ierten Pat ienten im Durehsehni t t 18,5 Jahre alt waren, mithin eine Altersdifferenz zu den Unbehandel ten yon 3,5 Jahren best, eht. Zum weiteren Ver- gleieh k6nnen mit gewissen Einsehr'ankung'en die Untersuehungsergebnisse yon M o o r r e e s herangezogen werden, wenn aueh in diesem Material keine Selektion yon Tiefbil3f/illen vorliegt. M o o r r e e s stellte bei 135 kieferorthop/idiseh unbe- handel ten Probanden im Alter yon 16 bis 18 Jahren einen mittleren f]'berbiB yon 3,2 m m ( -:- 1,5 ram) fest, der im Vergleiehsalter zu dem eigenen Untersuehungs- ergebnis am Kontrol lmodell der behandelte~t Gruppe (3,5 mm) nur eine minimale Abweiehung zeigt. Unter diesem Aspekt betraehtet , bei Beriieksiehtigung' der oben angeftihrten Einsehr/inkung, ist das Ergebnis der durehgeffihrtenBighebungs- therapie gering.

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Aufschlugreich ist. es, w e r m man nieht die Durchschnittswert, e sondern den individuellen Fall analysiert. So konnten wit bei 43% der behandelt, en Gruppe naeh Absetzen des Ger/if~s eine Bighebung, maximal bis 1,5 mm, fests~ellen. Da- gegen wiesen 6?0 im Kontrollmodell keine Ver/tnderungen auf, wghrend bei 51°/o ein Rezidiv, maximal bis 3,9 ram, auftmat~. Die naeh Behandtungsabschlul3 be-

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Abb. 4. tt~iufigkeitsverteilung des i2Tberbisses in Prozentangabe am Anfangs-, AbschluB- und Kontrollmode]l; Darstellung des durehschnittliehen I)berbisses (x) und seiner Standard-

abweiehung

obachtete Bil~hebung, sowie die ~ezidivbereitschafL lassen vermuten, dat3 das Verhalten des ffontalen !~Tberbisses wei~gehend yon endogenen, uns unbekamlten Faktoren, bestimmt wird.

Naeh den vorliegenden Untersuchungsergebnissen kana man unter Vorbe- halg zusammerffassend folgende Schlugfolgerung zur aufgeworfenen Problematik treffen :

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A u s g e h e n d y o n Tiefbil~f~llen fin Milchgebif3 t r i t t im Lau fe der we i t e ren Gebil3- e n t w i c k l u n g bis z u m B e g i n n der Ado leszenz eine ger inge d u r c h s e h n i t t l i e h e Bil3- h e b u n g ein, die j e d o e h a m E i n z e l i n d i v i d u u m aus e iner u n t e r s e h i e d l i e h e n E n t - w i e k l u n g result.iert.. Aus d i e sem G r u n d k a n n i m Einze l fa l l v o m Mi lehgeb ig aus- gehend , n i e h t de r {~berbiB des k i i n f t i gen b l e ibenden Gebisses v o r h e r g e s a g t werden . Der ~,iefe Bil~ {ibertr / igt sieh, irn Durehsehn i t~ gesehen, n ieh t v o m Mi tehgeb ig auf das b l e ibende (;lebil3. Es k 6 n n e n Ve r t i e fungen , in de r Mehrzah l j edoeh B i g h e b u n g e n e i n t r e t e m D u r e h B e h a n d l u n g s m a l 3 n a h m e n 1/iBt s ieh z w a r eine s t a t i s t i s eh signi- f ikan te Bi l3hebung erzie len, (lie j e d o e h im Verg le ieh zu e iner u n b e h a n d e l t e n G r u p p e n u t e inen ge r ingen E f f e k t zeigt . Es l iegt die Vermut , ung nahe , (tab die endg/ i l t ige BiBt ie fe w e i t g e h e n d yon e n d o g e n e n W a e h s t u m s f a k t o r e n abh i ing ig ist , die sieh du reh t .herapeut i sehe M a B n a h m e n n u t u n w e s e n t l i e h beeinf lussen lassen.

Zli sanllllen]~a sSllllg In einer L~ingsschnittuntersuchung wurde bei kieferorthopiidiseh unbehandelten Pro-

banden, die mit 4,5 Jahren einen tiefen BiB aufwiesen, eine geringe durchsehnittliehe Bil~- hcbung bis zum Zeitpunkt der Einstellung der 12-Jahrmolaren festgestellt. Das Ergebnis der BiShebungstherapie behandelter Patienten zeigt zwar einen statistiseh signifikanten Er- folg, im Vergleich zur unbehandelten Gruppe jedoeh nur einen geringen Effekt. Es liegt die Vernmtung nahe, dab das AusmaB des frontalen L'bcrbisses weitestgehend yon endogenen ~'aktoren bestimmt ~ird.

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Anschrit~ d. Verf. : Dr. D. O h ne s or g e, 214 Anklam, Breite Strage 20, J ugendzahnklinlk