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Lizentiatsprüfung der Philosophischen Fakultät Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten: Die Regimetypologie von Esping-Andersen Autor: Christoph Lutz Hauptfach: Soziologie 1. Nebenfach: Management and Economics 2. Nebenfach: Publizistikwissenschaft Matrikelnummer: 04-712-899 Adresse: Reggenschwilerstrasse 28 9402 Mörschwil E-Mail: [email protected]

Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

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Eine Zusammenfassung zur Wohlfahrtsstaatsforschung. Haut rein!

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Page 1: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Lizentiatsprüfung der Philosophischen Fakultät

Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten: DieRegimetypologie von Esping-Andersen

Autor: Christoph Lutz

Hauptfach: Soziologie

1. Nebenfach: Management and Economics

2. Nebenfach: Publizistikwissenschaft

Matrikelnummer: 04-712-899

Adresse: Reggenschwilerstrasse 28

9402 Mörschwil

E-Mail: [email protected]

Page 2: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis II

Abbildungsverzeichnis III

1 Einleitung 1

2 Einführung in die Sozialpolitik und Ananlyse von WFS 1

2.1 Kaufmann: Varianten des Wohlfahrtsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

2.2 Opielka: Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

2.2.1 Theorie der Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

2.2.2 Arbeit, Armut und Aktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.2.3 Familienpolitik und Familienproduktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.2.4 Zukunft der Alterssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.2.5 Globalisierung und Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2.2.6 Sozialpolitische Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

2.2.7 Sozialpolitische Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

2.3 Schmid: Wohlfahrtsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

3 Kritik an Esping-Andersens Regimeytpologie 17

3.1 Borchert: Historische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

3.2 Arts & Gelissen: Zusätzliche Typen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

3.3 Obinger & Wagschal: Empirische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

4 Institutionelle Analysen 25

4.1 Rentenversicherung und Altenpflege: Kern & Theobald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

4.2 Lebenslauf-Regime: Mayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

4.3 Arbeitsmarkt-Regime: Erhel & Zajdela . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

5 Soziale Sicherung in der Schweiz 31

5.1 Wicki . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

5.2 Häusermann & Walter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

6 Wohlfahrtsstaatliche Folgen und Leistungen 34

6.1 Kohl: Wohlfahrtsstaatliche Regimetypen im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

6.2 Vogel: Der europäische Welfare-Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

7 Schluss und Synthese 38

Anhang 39

.1 Alternativtypologien zu Esping-Andersens drei Welten (Arts & Gelissen 2002) . . . . . . . . . . . . . . . 39

I

Page 3: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Tabellenverzeichnis

1 Ursachen wohlfahrtsstaatlichen Wandels in verschiedenen Ansätzen . . . . . . . . . . . . . . 19

Abbildungsverzeichnis

1 Die drei Regimtypen von Esping-Andersen: Liberal, Konservativ und Soziademokratisch 1

2 Kaufmann schaut sich die wohlfahrtsstaatliche Geschichte und Ausgestaltung der USA,

von Grossbritannien, Deutschland, Schweden, Frankreich und der UDSSR bzw. Russ-

land an. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

3 Deutschland nimmt in der Sozialpolitik einen unauffälligen Platz im europäischen Mit-

telfeld ein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

4 Die Rentenversicherung ist vorwiegend nach dem Prinzip der Sozialversicherung und

bei bestimmten Gruppen nach dem Prinzip der Versorgung organisiert. . . . . . . . . . . . . 6

5 In jedem betrachteten Regime existieren andere Konfliktlinien oder Cleavages (Lipset

& Rokkan 1967), wie man auf dem Bild unschwer erkennen kann. . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

6 Das AGIL Schema von Talcott Parsons ist eine wichtige Grundlage des Buches „Sozial-

politik“ von Opielka. Viele Analysen stützen sich darauf. Nicht weiter verwunderlich:

ist es doch überaus nahrhaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

7 Sogar Beat Fux (a. k. a. beatfox) wird im Buch von Opielka erwähnt! . . . . . . . . . . . . . . . 10

8 Die Altersverteilung glich früher einer Pyramide (links), heute haben wir es dagegen

eher mit der Form eines zerzausten Tannenbaums (rechts) zu tun. . . . . . . . . . . . . . . . . 11

9 Der globale Wandel, der mit dem Schlagwort „Globalisierung“ umschrieben wird ist

vielseitig und umfasst mindestens vier Dimensionen des Wandels: ökologisch & öko-

nomisch, politisch, gemeinschaftlich-kulturell und religiös. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

10 Der Mensch: Ein Produktionsfaktor mit Würde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

11 Wilensky (links) gehört zu den Funktionalisten, Flora (rechts) dagegen zu den Makro-

soziologen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

12 Der Film groundhog day bildet die empirische Ausgangslage für Borcherts Artikel. . . . . 18

13 Borcherts Aufsatz setzt sich mit der Pfadabhängigkeit wohlfahrtsstaatlicher Regimety-

pen auseinander. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

14 Die gängigsten Alternativtypen zu Esping-Andersens drei Welten sind: mediterran oder

südeuropäisch (links) und radikal oder antipodisch (rechts). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

15 Korpi (links im Bild Kiira Korpi, bei der es sich allerdings nicht um die Autorin der be-

sagten Typologie handelt) & Palme (rechts im Bild; bei dem es sich sehr wohl um den

Autor der besagten Typologie handelt) haben eine Alternative zu Esping-Andersens Re-

gimetypologie vorgebracht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

16 Drei Kritiken an der Regimetypologie von Esping-Andersen: Gender-Blindheit, metho-

dische Vorbehalte und zu wenige Typen berücksichtigt (von links nach rechts) . . . . . . . 23

II

Page 4: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

17 Kern & Theobald schauen sich die Konvergenz der Altenbetreuung in Europa an... Da-

neben thematisieren sie auch die Renten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

18 Kern & Theobald unterscheiden ein Bismarck-System (links) von einem Beveridge-

System (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

19 Achtung Falle! Unemployment traps... sind gefährlich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

20 Silja Häusermann von der Uni Zürich (YESSSSS!) hat diesen Artikel geschrieben. . . . . . . 32

21 Wie sind die Schweizer gegenüber Umverteilung und Sozialversicherung eingestllt? Die-

ser Frage geht der Artikel von Häusermann (siehe Abbildung 20) und Walter (siehe Ab-

bildung 21, d. h. ca. 0.5 cm weiter oben) nach. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

22 Jürgen Kohls Beitrag zur Wohlfahrtsstaatsforschung ist ein bedeutender. Er zeigt, wie

die unterschiedlichen Regime unterschiedlich gut performen bezüglich sozialrelevan-

ten Themenbereichen, z. B. Frauenfrage und Wohlfahrtsstaat (siehe Bild), wirtschafts-

politischer Erfolg und sozialpolitische Gerechtigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

23 Vogels Typologie von Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

24 Laut Vogel zeichnen sich die nördlichen WFS durch eine grössere soziale Gleichheit be-

züglich Geschlecht und Klasse aus, die südlichen dagegen haben bessere Vermeidung

der Ungleichheit in der Jugend und im hohen Alter. Die Abbildung hat absolut nix mit

dem Thema zu tun, sieht aber zumindest schön aus ;-) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

25 Regimetypologien sorgen für Übersicht und Gehalt. Nicht nur Regimetypologien schaf-

fen das, sondern auch Bilder (siehe oben). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

III

Page 5: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

1 Einleitung

Esping-Andersens Regimetypologie unterscheidet drei Modelle des Wohlfahrtsstaates (WFS): ein li-

berales, ein konservatives und ein sozialdemokratisches. Die Kriterien für diese Unterscheideung

sind: Dekommodifizierung, Stratifizierung und Welfare-Mix. Zur Stratifizierung gehören Resudalis-

mus, private Kranken- und Rentenversicherung, Etatismus, Korporatismus, Universalismus und Un-

terstützungsleistungen.

Abbildung 1: Die drei Regimtypen von Esping-Andersen: Liberal, Konservativ und Soziademokratisch

Warum gibt es die Cluster? Für E-A sind Klassenkoalitionen und Parteikonstellationen der wichtigste

Faktor für deren Herausbildung. Drei Faktoren sind zu trennen:

• The nature of class-mobilization

• Class-political action strucutre

• The historical legacy of regime institutionalization

2 Einführung in die Sozialpolitik und Ananlyse von WFS

2.1 Kaufmann: Varianten des Wohlfahrtsstaates

In „Varianten des Wohlfahrtsstaats“ vergleicht Kaufmann europäische Wohlfahrtsstaatsarrangements

mit den USA und der Sowjetunion. Dem Buch ist eine historische und institutionelle Perspektive ei-

gen, die sowohl die geschichtliche Gewachsenheit der Sicherungssysteme in den untersuchten Staa-

1

Page 6: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

ten (USA, Sowjetunion, Grossbritannien, Schweden, Frankreich, Deutschland) betont als auch einen

institutionellen Rahmen wählt, d. h. die einzelnen Sicherungsbereiche getrennt betrachtet. Es über-

zeugt durch seinen grossen Detailreichtum, seine kluge und faktenreiche Argumentation und seine

stringente und gut verständliche Sprache. Damit findet es einen Mittelweg zwischen rein quantita-

tiven zahlenlastigen Studien, die historische Aspekte vernachlässigen, und geschichtlichen Betrach-

tungsweisen, die die Generalisierbarkeit dem Einzelfall opfern und kaum Zahlenmaterial beinhalten.

Das Buch ist sechs Kapitel gegliedert:

1. Methodische Vorbemerkungen

2. Theoretische Grundlagen

3. Wohlfahrtsstaatlichkeit zwischen Kapitalismus und Sozialismus (Sowjetunion und USA)

4. Varianten der Wohlfahrtsstaatlichkeit in Europa (GB, Schweden, Frankreich)

5. Und Deutschland?

6. Synoptische Schlussbemerkungen

Es lassen sich vier gängige Verfahren in der Forschung unterscheiden: quantitative Methode, histo-

risch vergleichende WFS-Forschung, institutionelle Vergleiche und die Methode der Typologie. Bei

letzterer sind Titmuss und Esping-Andersen bekannte Vertreter. Besonders problematisch ist v. a. bei

den Typologien das induktive Vorgehen. Bevor Untersuchungen stattfinden, müsse man zuerst den

Analysebereich genau festmachen, so der Autor. Deshalb verzichtet Kaufmann auf die typologische

Methode und es wird „stattdessen versucht, anhand einzelner ausgewählter Länder und mit Bezug

auf bestimmte Aspekte der Gesamtproblematik Vergleiche zu ziehen“.

Hier stellt der Autor die grundlegenden Theorien der WFS-Forschung vor, um dann seine eigene

Begrifflichkeit einzubringen. Zunächst aber sollen die Grundfragen der Studie dargelegt werden. Es

sind dies:

(a) Wie lässt sich die unterschiedliche historische Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat in verschiede-

nen Ländern beschreiben und erklären? ->Diachrone Perspektive, historisch

(b) Wie lassen sich die institutionellen Unterschiede im Rahmen der bestehenden Wohlfahrtssek-

toren und deren unterschiedliche Leistungsfähigkeit beschreiben und erklären? -> Synchrone

Perspektive, ahistorisch, Gegenwart

(c) Wie lässt sich die unterschiedliche Fähigkeit von Staaten beschreiben und erklären, den tendenzi-

ell widersprüchlichen Anforderungen von Kapital und Arbeit bzw. Wirtschafts- und Sozialpolitik

gerecht zu werden? -> Zukünftige Herausforderungen, Globalisierung, Reformen

Es fehlt momentan an einem theoretischen Referenzrahmen für die Beantwortung dieser Fragen,

denn die meisten Forschung geht empirisch-induktiv vor. Einen Wohlfahrtssektor, also einen Be-

reich der sozialen Sicherung finden wir in fast allen Staaten. Dieser sagt aber über die Involviertheit

2

Page 7: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

des Staates und die unterschiedlichen Verständnisse und Ausgestaltungen der Sicherung wenig aus.

Denn ein Programm der Wohlfahrtsstaatlichkeit ist wesentlich voraussetzungsvoller. In diesem Buch

gibt es gewichtige Unterschiede zu vielen anderen Untersuchungen: nicht institutionelle Einzelent-

wicklungen, sondern deren Zusammenspiel (Konfiguration) stehen im Zentrum des Interesses. Die

Studie ist in den Rahmen einer Theorie gesellschaftlicher Wohlfahrtsproduktion eingebettet (wobei

die Rolle des Staates zentral ist) und es soll die Eigensinnigkeit unterschiedlicher nationaler Entwick-

lungen verdeutlicht werden.

Die Entstehung des Wohlfahrtsstaates hängt wesentlich mit den Problemen zusammen, die im Zu-

ge der Industrialisierung auftraten. Konkret sind zu nennen: Industrialisierung und Verstädterung.

Mehrere theoretische Ansätze lassen sich unterscheiden:

• Funktionalistische Ansätze (Betonung Sozialausgaben, Vertreter: Wilensky)

• Konflikttheoretische Ansätze (Betonung politische Parteien und Konflikt zwischen Kapital und

Arbeit, Vertreter: Korpi, Esping-Andersen)

• Institutionalistische Ansätze (Betonung der Rolle der Institutionen bei der Ausbildung von WFS,

politische und administrativ Problemlösungsprozesse, Vertreter: Skocpol und Rueschemeyer)

„Durch die Kombination der Vorgehensweisen bzw. der Ergebnisse vorliegender Studien im Rahmen

von Metaanalysen lassen sich verlässlichere und problemgemässere Ergebnisse erzielen.“ Das Pro-

blem dieser drei Ansätze ist, dass sie normative Aspekte unterbelichtet lassen. Besonders im Bereich

der Sozialpolitik und dessen Erforschung ist es aber schwer bis unmöglich der Verzahnung von Politik

und Forschung zu entgehen. Dazu muss man die Wertungen jedoch erkennen und reflektieren, so-

bald sie auftauchen, was selten geschieht. Zudem gibt es nationale Besonderheiten in der Forschung,

die den Vergleich erschweren.

Kaufmann möchte diese Reflexion vorantreiben, was im Rest des zweiten Kapitels geschieht. „So-

zialpolitik setzt die Existenz eines politischen Gemeinwesens als Solidaritäts- und Reziprozitätshori-

zont für die Bevölkerung und für handlungsfähige politische Eliten voraus.“ Die Etablierung sozialpo-

litischer Programme erfolgte denn auch oft in Krisenphasen, wenn sich die Eliten durch die Bindung

der Bevölkerung mit diesen Massnahmen Vorteile versprachen. „In komplexen Gesellschaften entwi-

ckeln sich dabei differenzierte Gerechtigkeitsstandards...“ Wichtig ist, dass die wohlfahrtsstaatliche

Entwicklung aus der Vermittlung zwischen Wirtschaft, Politik und Kultur hervorgeht. Es lohnt sich

also zu fragen, wie die soziale Frage in einzelnen Gesellschaften gestellt wird bzw. welche Leitpro-

bleme zu Beginn der Entwicklung figurieren. „Aus den hoch kontingenten Auseinandersetzungen re-

sultiert unter nationalstaatlichen Bedingungen der idiosynkratische Charakter wohlfahrtsstaatlicher

Entwicklungen.“

Unterschiede in den historischen Grundlagen werden als höchst relevant für das Verhältnis natio-

naler Unterschiede erachtet (Pfadabhängigkeit). So ist auch der unterschiedliche begriffliche Hori-

zont der Begriffe „Sozialstaat“ (deutsche Konnotation: Staatsziel, verfassungmässig festgelegter Auf-

gabenbereich des Staates) und „Wohlfahrtsstaat“ (internationale, besonders angelsäschische Konno-

tation: Gesamtheit der Wohlfahrtseinrichtungen, soziale Sicherung) in diesem Rahmen zu sehen. Das

3

Page 8: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Problem der funktionalistischen Perspektive besteht darin, dass sie „die Bedeutung kultureller und

politischer Faktoren für die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung unterschlägt.“ Trotzdem bleiben die

von dieser Theorie thematisierten ökonomischen und soziodemographischen Variablen wichtige Er-

klärungsfaktoren. Kaufmann trennt somit den „Sozial- oder Wohlfahrtssektor“ (politics) von „sozial-

oder wohlfahrtsstaatlicher Politik“ (policy). Es lässt sich ein kapitalistischer von einem sozialistischen

Weg der Modernisierung unterscheiden.

Zwei Probleme will Kaufmann explizit umgehen: Verdinglichung des Wohlfahrtsstaates und expli-

zite Einbeziehung der kulturell-normativen Dimension. Lösung: Bezug auf das international akzep-

tierte Kriterium zunehmender Gewährleistung sozialer Rechte. „Wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen

setzen gesellschaftliche Prozesse der Problemartikulation und politische Prozesse der Problembeach-

tung voraus.“ Gemeint sind ein statistisches Grundsystem, Presse und Öffentlichkeit, internationale

Organisationen (ILO), Teilhabe an fundamentalen Rechten, besonders Menschenrechten etc.

Die Menschenrechte dienen als Grundstock für die Wohlfahrtsstaatlichkeit. Hier nimmt Kaufmann

Bezug zu T. H. Marshalls Konzept der Citizenship: „... regeln in modernen Gesellschaften die ausdif-

ferenzierten Funktionssysteme die Teilhabe“ (im Gegensatz zu früher, wo es die Haushalte waren).

Anschliessend rechtfertigt der Autor seinen - politisch neutralen - Begriff „Wohlfahrtsproduktion“.

Spannender ist dagegen schon der Aspekt des Verteilungskonflikts: Interessensgegensätze artikulie-

ren sich politisch und sorgen damit auch für entsprechende Auswirkugnen auf die Ausgestaltung der

wohlfahrtsstaatlichen Arrangements.

Abbildung 2: Kaufmann schaut sich die wohlfahrtsstaatliche Geschichte und Ausgestaltung der USA, von Gross-britannien, Deutschland, Schweden, Frankreich und der UDSSR bzw. Russland an.

Die Modernisierungstheorie eignet sich als Bezugsrahmen, denn wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen

ereigneten sich „typischerweise im Rahmen der neuzeitlichen Transformationsprozesse.“ Allerdings

plädiert der Autor dazu, schon früher anzusetzen und zwar bei der privatrechtlichen Aneignung von

Grund und Boden und der Urbanisierung, die beide zu Exklusionsprozessen und Armut führten, die

Eingriffe erforderlich machten. Schon früh lassen sich staatliche Versuche einer rudimentären Ar-

mutspolitik finden - besonders in England (poor laws). Drei grosse Komplexe, die die wohlfahrts-

staatliche Politik beinhaltet, können festgemacht werden:

(a) Sozialpolitik im Produktionsbereich -> Arbeitsverhältnisse und abhängig Beschäftigte)

(b) Sozialpolitik im Verteilungsbereich -> Gewährung sozialer Sicherheit gegen die Standardrisiken

des Einkommensverlusts: Krankheit, Unfall, Alter und Invalidität, Arbeitslosigkeit und Familien-

lasten

(c) Sozialpolitik im Reproduktionsbereich -> Bildung, medizinische Versorgung und Pflege, Woh-

nung, persönliche Notlagen

4

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Der oben eingeführte Begriff des Wohlfahrtssektors bezieht sich - dem angelsächsischen Begriff wel-

fare state folgend - auf die Bereiche 2 und 3, also auf das „Bildungs- und Sozialrecht“, nicht jedoch auf

das Arbeitsrecht (Bereich 1). Dieses zählt im deutschen Verständnis des Sozialstaats allerdings dazu.

„Bezogen auf die in Kapitel 1 unterschiedenen methodischen Zugriffe wird man das hier gewählte

Vorgehen am ehesten als Verbindung von historischem und institutionellen Vergleich charakterisie-

ren dürfen.“ Das Ziel ist es die Idiosynkrasien der einzelnen Entwicklungspfade zu verdeutlichen.

Verzichtet wird damit auf Variablensoziologie, denn der Versuch die Gestalt als Ganzes zu erfassen

und die Zusammenhänge nicht ausser Acht zu lassen widerspricht einem solchen Wissenschaftsver-

ständnis.

Im Vergleich mit den anderen Ländern zeichnet sich Deutschland durch das Fehlen extremer Aus-

prägungen aus. Es nimmt einen unauffälligen Platz im europäischen Mittelfeld ein. Der Autor streicht

heraus, dass es Deuschland offenbar besser als anderen europäischen Ländern gelungen sei, die Ab-

gaben und Sozialleistungen ans Wirtschaftswachstum zu koppeln. So wuchsen die Sozialleistungs-

quoten zwar in allen betrachteten Ländern zwischen 1960-1995 beträchtlich an, aber in Deutschland

geschah dies weniger stark als z. B. in Schweden. Momentan bewegt sich der Wert bei ca. 30% des BIP.

Bringt man die Sozialausgaben mit den Beschäftigten bei den 15-64 Jährigen zusammen, so bilden

sich 3 Cluster, die der Esping-Andersenschen Typologie gleichen - mit Holland und der Schweiz als

Aussreisser.

Abbildung 3: Deutschland nimmt in der Sozialpolitik einen unauffälligen Platz im europäischen Mittelfeld ein.

Auf der Leistungsseite fehlt es an aussagekräftigen Masszahlen. Denn es existieren vielfältige Leis-

tungen, die sich heterogen auf die Bevölkerungsteile verteilen. „Am ehesten messen lassen sich in

diesem Zusammenhang Einkommensunterschiede, denen auch das Hauptinteresse der internatio-

nal vergleichenden Wohlfahrtsforschung gilt.“ Bei der Armutsvermeidung ist Schweden am besten,

aber auch die Schweiz und GB sind nicht schlecht. Es gilt: „Je höher die Sozialleistungsquote, desto

nivellierter die Einkommensverteilung.“

5

Page 10: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Aus der europäischen Perspektive gibt es schliesslich zwei Prozesse, die besondere Beachtung ver-

dienen: Globalisierung und Supranationalisierung in Form der EU. In Deutschland hat die europäi-

sche Integration v. a. für die Frauen nachhaltige Vorteile gebracht. Die EU hält sich bis jetzt mit Mass-

nahmen zur interpersonellen Einkommensverteilung zurück, so dass eine einheitliche europäische

Sozialpolitik nicht absehbar ist. Dafür ist nicht zuletzt die Pfadabhängigkeit institutioneller Lösungen

verantwortlich.

2.2 Opielka: Sozialpolitik

2.2.1 Theorie der Sozialpolitik

Nach der Einleitung, die aufs Thema hinführt, kommt nun die Theorie der SP zur Sprache. In DE

geniesst der Sozialstaat ein relativ hohes Ansehen und schneidet bei Meinungsumfragen keineswegs

schlecht ab. „Die Bevölkerung sieht im Sozialstaat eine Vergemeinschaftung von Lebensrisiken, aber

auch den Garanten für relative Gleichheit der Lebenschancen aller Bürger.“ In der Öffentlichkeit wer-

den aber Stimmen laut, die den Abbau des WFS und Sparmassnahmen bei der sozialen Sicherung

fordern. Gemäss Kaufmann geht die deutsche Tradition der Sozialstaatlichkeit auf bedeutende Phi-

losophen und Soziologen (Hegel, Kant, Marx, Weber, Sombart, Tönnies) zurück.

Ohne Umschweife kommt Opielka auf Esping-

Abbildung 4: Die Rentenversicherung ist vorwiegend

nach dem Prinzip der Sozialversicherung und bei be-

stimmten Gruppen nach dem Prinzip der Versorgung

organisiert.

Andersen1 zu sprechen. Bevor er aber dessen Ty-

pologie ausführlicher abhandelt, taucht die bekann-

te Unterteilung der Systemprinzipien in Sozialver-

sicherung, Fürsorge / Sozialhilfe und Versorgung

auf. In den NL und in der CH kommt schliesslisch

die Bürgerversicherung hinzu. In jedem der drei

Regimetypen von E-A ist ein Typus dieser Prin-

zipien dominant: Im liberalen WF-Regime domi-

niert die Sozialhilfe, im sozialdemokratischen die

Sozialversicherung, im konservativen die Versor-

gung und im garantistischen die Bürgerversiche-

rung.

„Die Abgrenzung des sozialdemokratischen und

des konservativen WF-Regimes macht, wie wei-

ter unten gezeigt wird, auch im internationalen

Vergleich Schwierigkeiten.“ Der gewichtigste Un-

terschied zwischen den beiden Regimen liegt in

der unterschiedlichen Dekommodifizierung. Der

deutsche Sozialstaat zeichnet sich durch Lohnar-

beitszentriertheit aus. Das Spezifische am Band

von Opielka liegt darin begründet, dass er mit dem garantistischen Regime den E-A Modellen einen

1Im Verlauf der Zusammenfassung wird Esping-Andersen häufig mit E-A abgekürzt.

6

Page 11: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

vierten Typus hinzufügt. Mit dem Prinzip der Teilhabegerechtigkeit und dem Fokus auf die Bürger-

versicherung weist dieser Typus Merkmale auf, die nirgendwo in Reinform anzutreffen sind, aber an

gewissen Orten schon in Ansätzen bzw. in bestimmten Institutionen.

Anschliessend geht es um die WF-Regime. Neben den bekannten Dimensionen und Indikatoren

(Dekommodifizierung, Stratifizierung mit allen Unterformen, Welfare-Mix) und der Zuteilung der

Länder werden auch Kritikpunkte erwähnt: Geschlechtsblindheit, Konzentration und Fokus auf den

AM, Istitutionenblindheit2, fehlende Vollständigkeit3 und idealistischer Fehlschluss4.

Sodann werden ein paar Statistiken zu den sozialpolitischen Differenzen in Europa präsentiert. Da-

tenbasis ist Eurostat. Wie üblich sind die Sozialausgaben in % des BIP vermerkt. Die Zahlen werden

für verschiene Jahre angegeben (1992, 1996, 2001): Zum letzten Zeitpunkt hatte nur Schweden mit

31.3 eine Quote grösser als 30. FR (30.0), DE (29.8), DK (29.5) und AU (28.4) folgen auf dem Fuss. An

letzter Stelle liegt Irland (14.6), SP (20.1) und LU (21.2). Die CH liegt mit 28.9 auf einem guten Platz.

Die Exportquote und die Sozialausgaben hängen positiv zusammen, wie der Autor zeigen kann. In je-

dem WF-Regime existieren andere dominante Konfliktlinien und Problemlagen: in den sozialdemo-

kratischen Ländern ist es die Kluft zwischen öffentlichem und weblich-geprägtem Sektor und männ-

lichem Privatsektor, in den liberalen sind ethnische Cleavages stark ausgeprägt und in den konserva-

tiven WFS findet man die Dichotomie von Insidern/Outsidern. Opielka hält es für sinnvoll kulturell

institutionalistische Daten zur Erklärung dieser Cleavages zu berücksichtigen. Zu nennen sind hier

die Einstellungen in der Bevölkerung zu Sozialdiensten, zu Individualismus und Kollektivismus. Wie

sich zeigt, entfallen von den Sozialausgaben die grössten Anteile auf Gesundheit (30%) und Rente

(40%). Weniger zentral figurieren familienpolitische Ausgaben sowie ALV und Unfallversicherung.

Opielka bespricht auch die vier Gerechtigkeitskonzepte:

(a) Leistungsgerechtigkeit

(b) Teilhabegerechtigkeit

(c) Bedarfsgerechtigkeit

(d) Verteilungsgerechtigkeit

Jede dieser vier Formen kann einem Regimetypen zugeordnet werden. Fazit: „Insoweit beinhalten

auch alle vier Regimetypen eine Wahrheit. Jede Vereinheitlichung trägt in sich den Kern des Fun-

damentalismus.“ Der weitaus spannendere Teil des Abschnitts betrifft die Entwicklung und die Ent-

wicklungsoptionen des WFS - Konvergenz oder Pfadabhängigkeit. Hier wird der Aufsatz von Borchert

(1998) herangezogen, der sich auf die Typologie von Hicks et al. (1995) stützt. Dieser unterscheidet in

der Enstehungsphase einen Lib-Lab Pfad von einem konservativen Pfad5 In der zweiten Phase nach

dem 2. WK differenzieren sich die Typen aus und es kommt zu Pfadwechseln: Australien, NZ, NO und

2Der machtressorucen- und konflikttheoretische Ansatz berücksichtigt die Parteikonstellationen zu wenig, insbesonderedie christdemokratischen, und kann auch Föderalismus und ähnliche institutionelle Gliederungen kaum fassen.

3Latin Rim, Castles & Mitchell, Ferrera, Leibfried, Bonoli, Korpi & Palme als Ergänzungen.4Eine solche Typologie setze bereits voraus, was sie zu beweisen trachtet.5Hicks et al. spalten ihrerseits den konservativen Pfad in zwei Unterformen auf: Bismarck und paternalistisch.

7

Page 12: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

SW wechseln den Pfad (von Lib-Lab entweder zu radical bzw. labouristisch oder zu sozialdemokra-

tisch). In der 3. Phase vollziehen sehr viele Länder einen Pfadwechsel. Einzig der konservative bzw.

christdemokratische Pfad bleibt sich relativ treu.

Abbildung 5: In jedem betrachteten Regime existieren andere Konfliktlinien oder Cleavages (Lipset & Rokkan1967), wie man auf dem Bild unschwer erkennen kann.

2.2.2 Arbeit, Armut und Aktivierung

2.2.3 Familienpolitik und Familienproduktivität

Dieses Kapitel streift die Familie und die Politik, die sich mit ihr befasst. In der kurzen Einleitung wer-

den Funktionen der Familie erläutert: Humankapitalbildung, Substitenzproduktion und reprodukti-

ve Funktion (Fertilität bzw. Aufrechterhaltung der Gesellschaft). Alle diese drei Funktionen sind Pro-

duktionsfunktionen. „Die Kinderlosigkeit gebildeter Frauen ist in Westdeutschland allerdings schon

seit vielen Jahren zu beobachten, etwa 30 Prozent der Frauen mit Abitur, die in den 1950er Jahren

geboren wurden, werden dauerhaft kinderlos bleiben.“ In der Forschung wird die Frage, ob und wie

die Politik die Familiengestaltung planen und beeinflussen kann, kontrovers und heftig diskutiert.

Im ersten Abschnitt beschäftigt sich Opielka mit der „Familiensolidarität“ und was der WFS da-

zu beitragen kann und muss. Dazu rekurriert er auf das AGIL-Schema von Parsons und wendet es

auf den Bereich der Familie. Für Parsons bildet Solidarität „eine von vier Vorbedingungen für das

Funktionieren eines sozialen Systems neben ökonomischer Produktivität, politischer Effektivität und

der Integrität der institutionalisierten Wertbindungen“. Opielka folgt diesem Verständnis und formu-

liert ebenfalls vier Funktionen, die die Familie erfüllt: ökonomische Funktion (Hilfe), erzieherische

Funktion (Bildung), emotionale Unterstützung (Kommunikation) sowie überindividuelle Werte und

Aufrechterhaltung von Strukturmustern (Legitimation). Wie an anderer Stelle bemerkt wurde, ist der

moderne WFS eng an ein bestimmtes Bild und eine gewisse Entwicklung von Familie gebunden.

„Die Einbindung der Familie in das sozialstaatliche Institutionengeflecht wird international sehr

8

Page 13: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

unterschiedlich realisiert“. Mit diesem Satz sind wird mitten im Thema angelangt. Zu familieninter-

ner Solidarität und Transfers wurden bislang nur wenige Untersuchungen durchgeführt6. Während

Kinder früher die wohl wichtigste soziale Sicherung darstellten und es ein Zeichen der Deprivier-

testen war, keine Kinder zu haben bzw. haben zu können, sind Kids heute zum Kostenfaktor gewor-

den. Je nach Schätzung kommen sie den Eltern mehrere Hunderttausend Euronen zu stehen. Opielka

sieht zwei Wege, wie man die Solidarität gesellschaftlich verankern kann und damit Familienpolitik

betreibt: Ausbau familienbezogener Sozialleistungen oder Verankerung neuer Formen auf Grundlage

des Bürgerrechts (obligatorischer Sozialdienst).

Der zweite Abschnitt dreht sich um „Familienpolitik in Europa“ und wagt einen internationalen

Vergleich. Vor wenigen Jahrzehnten wäre es undenkbar gewesen, Familien für ihre Erziehungsarbeit

mit Kindergeld zu belohnen. Heute sei es v. a. aufgrund der demographischen Entwicklung normal.

Für die Abnahme der Fertilitätsquoten sieht der Autor v. a. soziokulturelle Gründe verantwortlich.

Gemäss den vier Regimetypen lassen sich vier sozialpolitische Grundlinien erkennen:

• liberal: hier sind Familienkosten Privatangelegenheit, „als öffentliches Gut gilt allein die Bil-

dung der Kinder als künftige Bürger“

• sozialistisch-etatistische: Familienarbeit soll vergesellschaftet werden

• konservativ: gemeinschfliche Orientierung und traditionelles Familienbild, Geldleistungen an

Familien durch Kindergeld

• garantistisch: Optionserweiterung aller Familienakteure

Abbildung 6: Das AGIL Schema von Talcott Parsons ist eine wichtige Grundlage des Buches „Sozialpolitik“ vonOpielka. Viele Analysen stützen sich darauf. Nicht weiter verwunderlich: ist es doch überaus nahrhaft.

6Szydlik müsste ja Bescheid wissen und auch sein Lehrmeister Kohli wir im Buch erwähnt.

9

Page 14: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Wie die statistischen Daten zeigen, sind die Fertilitätsquoten in den südeuropäischen besonders tief

(IT 2000: 1.24, SP 2000: 1.23, PO 2000: 1.52) und in den nordeuropäischen und Irland und FR be-

sonders hoch. Am meisten Geld für die Familie gibt man in Luxemburg aus, gefolgt von Österreich,

Deutschland und Frankreich, also in den konservativen Ländern, wie dies auch der Welfare-Mix erah-

nen lässt. In diesen Bereich fällt auch die Genderblindheit der E-A Regimetypologie. Es wurde vorge-

schlagen Gender-Regime zu bilden, die die familienpolitischen Aspekte besser berücksichtigen. Eine

Typologie von Leitner (2003) unterscheidet vier Formen des Familialismus: optionaler Familialisus

(viel öffentliche Kinderbetreuung und viel Kindergeld: SW, DK, FR, BE sowie als Grenzfall FI), expli-

ziter Familialisus (wenig Kinderbetreuung, aber viel Kindergeld: DE, AU, IT, LU, NL), impliziter Fa-

milialisus (wenig Kinderbetreuung und wenig Kindergeld: GR, POR, SP) und und De-Familialismus

(verbreitete öffentliche Kindererziehung, aber kein Kindergeld und wenig finanzielle Benefits: IRL,

GB). „In der familienwissenschaftlichen und demographischen Literatur besteht weitgehend Kon-

sens, wonach die Familienpolitik keinen oder allenfalls einen marginalen „pronatalistischen“, die

Geburtenraten erhöhenden Effekt habe.“ Anschliessend wird Beat Fux genannt und gewürdigt. Auch

er bildete in Anlehung an E-A familienpolitische Typen: familialistisch (konservativ), individualistisch

(liberal) und etatistisch (sd).

Im dritten Abschnitt beschäftigt sich Opiel-

Abbildung 7: Sogar Beat Fux (a. k. a. beatfox) wird im

Buch von Opielka erwähnt!

ka mit dem Sonderfall Deutschland („Familien-

laboratorium Deutschland“). Während manche

Autoren das Hochhalten des normativen Ideal-

bilds der Hausfrauenehe aus nationalsozialisti-

schen Quellen sprudeln sehen, widerspricht Pfau-

Effinger; ihr zufolge habe die HFE schon früher

- seit der zweiten Hälfte des 19. Jhd - als Ide-

al gegolten und entwickelte sich v. a. im Zuge

des Aufkommens bürgerlicher Familienmodel-

le. Nachher wird die ganze Geschichte der HFE

sowohl im Osten als auch im Westen durchge-

spielt. In der DDR lässt sich zur Vereinbarkeit

von Familie und Beruf ein „Kombinationsarran-

gement“ postulieren. In der BRD herrschte da-

gegen eher eine Versorgerehe - zumindest bis in die 1990er - und danach eine Partnerfamilie.

Im vierten und letzten Abschnitt des Kapitels geht es um „Familienpolitik und den Wert der Fa-

milienarbeit“. Zunächst werden mit den Schlagworten Sozialkapital und Humankapital zwei Begriffe

gebracht, die auch im Zusammenhang mit Familien relevant sind. Wie eine Studie ermittelt, ist der

Wert der im BIP nicht verrechneten Familien- und Haushaltsarbeit riesig. Man geht davon aus, dass er

bis zur Hälfte des BIPs beträgt. Allerdings fand in einer neueren Studie die Relatvierung statt. Stahmer

et al. setzen den Wert bei 11.5% an, was immer noch viel Geld ist. Sodann wird berechnet, ob es sich

lohnt, Kinder zu haben.

10

Page 15: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

2.2.4 Zukunft der Alterssicherung

Kapitel 4 behandelt die Rentenpolitik und die Alterssicherung. Ca. 40% der Sozialausgaben werden

in den meisten OECD-Ländern für die Rente ausgegeben. Damit stellt sie den bedeutendsten Posten

unter den grossen Sozialversicherungen. In gewissen Ländern, wie IT, beträgt der Anteil bis zu 60%.

Die Alterspyramide in DE hat sich zwischen 1910 und heute von einer klaren Pyramide zu einem

„zerzausten Tannenbaum“ gewandelt. Im Alter zwischen 25 und 55 hat der Baum einen leichten Aus-

schlag und weist einen Männerüberschüss auf, im höheren Alter sind dagegen Frauen übervertreten.

Abbildung 8: Die Altersverteilung glich früher einer Pyramide (links), heute haben wir es dagegen eher mit derForm eines zerzausten Tannenbaums (rechts) zu tun.

Nach der Einleitung kommt auch schon der internationale Vergleich. Zunächst werden die EK-Ersatzraten

dargestellt. Mitte der 1990er kriegte man in Kanada und in den USA am meisten (87 bzw. 84% des

verfügbaren Durchschnittseinkommens), in GB und FI am wenigsten. Während in JP, USA und CA ein

grosser Teil der Rente durch private Ersparnisse und Kapitaldeckungsverfahren bereitgestelllt wird,

sind in FI, DE, SW und GB Umverteilungsleistungen die wichtigste Quelle. „In praktisch allen hier

verglichenen Ländern nahm bis Mitte der 1990er Jahre der Anteil der Sozialtransfers, d. h. der Leis-

tungen öffentlicher Rentensysteme, am jeweiligen Bruttoeinkommen der Altershaushalte zu.“

Erneut geht es um den deutschen Sonderfall, aber auch um die Schweiz. In deutschend Landen

gestaltet sich die Alterssicherung zerfasert und komplex. DE nahm mit der Institutionalisierung der

Rentenversicherung im Jahre 1889 eine Pionierrolle im europäischen Raum ein. Die CH dagegen

hat ein spezielles System, wie ich ja weiss. 1999 waren in DE 91.3% der AN Mitglied der gesetzli-

chen RV (trotz des starken Korporatismus). Beamte (5.8%) haben dagegen Anspruch auf Versorgung.

Die durchschnittliche Rente beträgt ca. 1000 Euronen bei Männern und die Hälfte davon bei Frauen.

Wie bei der Familiensicherung können auch bei der RV vier Modelle unterschieden werden, die sich

an die E-A Regimetypololgie anlehnen: familien- und verwandschaftsbezogen, lohnarbeitsbezogene

Altersrente (konservativ), private Altersrente (in Reinform nur in Australien institutionalisiert, sonst

eher liberal) sowie Grundrente. In der Praxis trifft man die Modelle in Mischform an, wobei das erste

familien- und verwandschaftsbezogene Arrangement am seltensten vorkommt. Die Grundrente ist

11

Page 16: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

der Meinung von Opielka nach am zukunftsträchtigsten. Sie ist aber in DE sehr umstritten.

Der Abschnitt „Idee und Geschichte der Grundrente“ dreht sich um

die Idee und Geschichte der Grundrente. Die Schweiz wird als prototy-

pischer Fall etwas ausführlicher behandelt. Die Idee der Grundrente wird

für jeden der vier Opielka’schen Regimetypen durchdekliniert. Die Unter-

abschnitte heissen „Die Grundrente im Marktmodell“, „Die Grundren-

te im sozialdemokratischen Regime“, „Konservative Grundrentenmodel-

le“ und „Das garantistische Modell: beitragsfinanzierte Grundrente“. Ein

Beispiel für die letztgenannte Form ist die AHV in der CH und die nieder-

ländische RV.

Im vierten und letzen Abschnitt des Kapitels behandelt Opielka die

Kapitalsorten und orientiert sich dabei an Bourdieu. „Ein ganzheitlicher

Blick auf das Alter [...] wird also nicht umhinkommen, Alterssicherungs-

politik über die EK- und Vermögensdimension hinaus zu bedenken.“

2.2.5 Globalisierung und Sozialpolitik

Dieses Kapitel scheint dagegen wieder prüfungsrelevanter zu sein und wird in den nächsten Tagen

ohne Zweifel noch besprochen werden. Im Gegensatz zu einem engen Verstädnis von Sozialpolitik,

das v. a. die sozialen Sicherungssysteme untersucht, möchte Opielka in diesem Buch ein weites Ver-

ständnis anwenden. Im Sinne von Luhmann geht es um die Totalinklusion der Bürger in die Funk-

tionssysteme. Auch Globalisierung erfordert eine weite Perspektive, die über die Entgrenzung von

Kapital und Information hinausgeht. Zwei Aspekte gehören auf jeden Fall dazu:

1. vermehrte kulturelle und ökonomische Verflechtung

2. Verdichtung von Raum und Zeit

Mit dem Begriff der Netzwerkgesellschaft von Castells können diese Prozesse auf den Punkt gebracht

werden. Das Kapitel enthält drei Abschnitte: Ebenen der Globablisierung, Globablisierung als Pro-

blem für den Sozialstaat? und Aspekte der globalen sozialpolitischen Agenda. Vier Aspekte lassen

sich unterscheiden, „die für die Sozialpolitik relevant sind“: der globale ökonomische und ökolo-

gische Wandel (Durchsetzung der Marktwirtschaft), der politische Wandel der Globalisierung, der

gemeinschaftlich-kulturelle Wandel und der legitimativ-religiöse Wandel. Um weltweite Vergleiche

zu ermöglichen, bilden die wichtigsten globalen Player (UNO, IWF, Weltbank, WTO, ILO) Indices, die

den Entwicklungsstand - z. T. auch soziapolitischer Art - einfangen: HDI, WDI ... „WFS treten in einen

Wettbewerb untereinander, derzeit vor allem mit der Gefahr, sich gegenseitig zu unterbieten.“ Zudem

treten neue Akteure - IWF, ILO, UNO, WHO, attac - auf den Plan und es entsteht ein globaler Diskurs

über best practices.

Im zweiten Abschnitt geht Opielka der Frage nach, ob sich die Globalisierung zum Problem für den

Sozialstaat entwickelt. In einer Unterscheidung von Genschel lassen sich Globalisierungstheoretiker

12

Page 17: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Abbildung 9: Der globale Wandel, der mit dem Schlagwort „Globalisierung“ umschrieben wird ist vielseitigund umfasst mindestens vier Dimensionen des Wandels: ökologisch & ökonomisch, politisch, gemeinschaftlich-kulturell und religiös.

von -skeptikern und Revisionisten trennen. Erstere gehen davon aus, dass der WFS unter der G. leide,

zweite halten die G. für nicht allzu relevant bzw. überschätzt, letztere halten den WFS für (medizi-

nisch nicht normativ) krank. Eine vierte Position könnte hinzukommen, die man mit dem Schlagwort

WF-Globalisierer umschreiben kann. Völlig aus den Wolken vor Verblüffung fällt der Leser als Opielka

erwähnt, diese vier Typen liessen sich mit der Regimetypologie von E-A bzw. mit seiner (Opielkas) Er-

weiterung um den Garantismus in Einklang bringen. Die Theoretiker gehören zum liberalen Regime

(Ökonomisten), die Skeptiker halten den Staat - nicht den Markt - für tragend (Etatisten: sozialdemo-

kratischer Regimetypus), die Revisionisten können dem konservativen Modell zugeordnet werden

und setzen auf Familie statt Markt und Staat (Kommunitaristen). „Es bleibt die vierte Position. Sie

entspricht mit ihrem Blick auf Menschenrechte dem garantistischen Regimetyp. Im Folgenden wer-

den die vier Positionen etwas ausführlicher beschrieben.

Der letzte Abschnitt verweist schliesslich auf Aspekte der globalen sozialpolitischen Agenda. Hier

hat sich in den letzen Jahres einiges getan, u. a. die Gründung einer Fachzeitschrift mit dem Namen

„Global Social Policy“. Fünf Punkte oder Bereiche stehen im Brennpunkt des Interesses:

1. Armut: Millenium-Goals, Konzepte zur Reduzierung etc,

2. soziale Grundrechte und ein sozialpolitisches Grundprogramm

3. Prozesse und Probleme der global governance: Welche Institutionen sind verantwortlich

4. Migration

5. EU

13

Page 18: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

2.2.6 Sozialpolitische Reformen

Dieses Kapitel halte ich für höchst relevant und behandle es drum sehr genau. Es behandelt die Fra-

ge, wie sich die Idee der Grundsicherung, wie sie fürs garantistische Regime so zentral ist, auf die

verschiedenen Bereiche und Versicherungen der Sozialpolitik wenden lässt. Der erste Abschnitt ist

„Bürgerversicherung in DE: Allgemeine Krankenversicherung (AKV)“ betitelt. Im zweiten Abschnitt

„Die Idee einer Grundeinkommensversicherung“ behandelt Opielka das bedingungslose Grundein-

kommen und legt dar, wie es sich sozialpolitisch implementieren lässt. Wie Franz-Xaver Kaufmann

bemerkt, ist ein grosser Teil der sozialpolitikwissenschaftlichen Literatur selbst sozialpolitisch, „d.

h. sie bezieht ihre impliziten Kriterien aus normativen Vorstellungen, die im Objektbereich geläufig

oder aber dem Geläufigen gerade kritisch entgegengesetzt sind“.

Bereits verschiedene Exponenten der Sozialpolitik, darunter die Rürup Kommission und die Her-

zog Kommission, fordern eine Abkehr vom lohnarbeitszentrierten Bismark’schen Modell der Kranken-

versicherung in DE. FDP will eine private KV, die linken Parteien (inkl. SPD) dagegen eine einkom-

mensbezogene Bürgerversicherung, wie sie in Österreich weitgehend verankert ist. Die CDU plädiert

eher für das Schweizer Modell mit einer Kopfpauschale. Die Frage, ob alle Bürger gemeinsam im Sys-

tem vertreten sein sollen oder ob es Sonderregelungen für bestimme Bevölkerungsgruppen (Beam-

te, Freiberufler, Selbständige) geben soll, wird dabei kontrovers diskutiert. Im Gegensatz zum Bis-

mark’schen Regime sollen alle Bürger zu gleichen Teilen einbezogen werden. Dabei wird die Lohn-

arbeitszentriertheit gelockert. „Aus Lohnnebenkosten werden faktisch Sozialsteuern.“ Bei der ein-

kommensbezogenen Vorstellung müssen Gutverdienende mehr bezahlen, bei der Kopfpauschale alle

gleich. Sozialer Ausgleich soll bei letzterem über das Steuersystem garantiert werden, das die Kopf-

pauschalen subventioniert. Der durchschnittliche Beitragssatz betrüge 14.1%. In Österreich liegt der

Wert mit 7.4% deutlich tiefer. Opielka scheint sich eher für die einkommensabhängige österreichi-

sche Variante als für die Kopfpauschale der schweizer Variante auszusprechen. Als Mischung liesse

sich ein Modell wie die AHV in der Schweiz denken. Im Folgenden geht es um ein paar organisatori-

sche Details, die ich nicht zusammenfassen kann und will.

Im zweiten Abschnitt behandelt Opielka das bedingungslose GEK und seine Implikationen auf ver-

schiedene soziale Sicherungssystemen. Statt eines bereichsfragmentierten Systems, das Gesundheit,

AL, Rente, Unfall und die anderen Formen getrennt erhebt, soll neu ein einheitlicher Betrag für al-

le Systeme entrichtet werden. „Diese durchaus revolutionär wirkende Sozialreform soll im weiteren

Fortgang erörtert und exemplarisch reflektiert werden.“ Auch in dieser Vorstellung wird die Lohnar-

beitszentriertheit der Sozialsicherung weitgehend aufgegeben, denn finanziert werden soll das Ganze

über Steuern....

2.2.7 Sozialpolitische Kultur

Das letzte Kapitel schliesst das Buch ab. „Ob man Armut und AL als naturgegeben oder die soziale

Teilhabe aller Bürger als politisches Ziel verfolgt, hat viel mit Wertorientierungen zu tun.“ Ferner geht

es um die kulturelle oder ideologische Komponente der WFS. Dabei spielen auch religiöse Traditionen

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Page 19: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

eine Rolle, z. B. Konservatismus (christlich-katholisch) und Liberalismus (angelsächsisch protestan-

tisch). Ansonsten werden wichtige Teile des Buches repetiert und zusammengefasst, so die Untertei-

lung der WFS in vier Regimetypen und die Anlehnung an E-A. Zunächst geht es um die religiösen

Grundlagen der Sozialpolitik. Er ist so kurz gehalten, dass es praktisch keine Information gibt (die ich

nicht schon weiss). Es würde deshalb nichts bringen in der Zusammenfassung länger zu sein als im

Original.

Abbildung 10: Der Mensch: Ein Produktionsfaktor mit Würde

Der zweite und letzte Abschnitt behandelt SP als öffentliches Gut und stellt so etwas wie eine Kon-

klusion des ganzen Buches dar. Bislang liegt keine Theorie öffentlicher Güter vor, v. a. nicht im Zu-

sammenhang mit dem WFS. Die liberale Position argumentiert zurückhaltend, macht aber klar, dass

die schlechter Gestellten mehr Mühe haben sich öffentlich zu organisieren. Einig ist man sich über

ein Recht auf Würde („Der Mensch - ein Produktionsfaktor mit Würde“, Göbel 2003). Sonst existieren

aber je nach Regimetypus unterschiedliche (jeweils entweder eher optimistische oder pessimistische)

Deutungen der öff. Güter Problematik. Während im liberalen Regime der freie Marktzugang als wich-

tigstes Gut gilt, stehen im sozialdemokratischen Regime (Chancen)Gleichheit und im konservativen

Regime die Sicherung bisheriger Zustände (= Sicherheit) im Zentrum. Der Fokus des garantistischen

Regimes liegt auf der Gewährleistung von Grundrechten. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive

wird sodann beleuchtet, wieso indirekte oder repräsentative Politik (im Gegensatz zur direkten Volks-

abstimmugn in CH oder Kalifornien) Nachteile im Bezug auf öffentliche Güter aufweist. Drei Grün-

de werden genannt: Problem der organisierten Interessen (Olson), Trittbrettfahrer und schliesslich

Kultur- und Wertebasis.

15

Page 20: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

2.3 Schmid: Wohlfahrtsstaaten

Das Buch von Schmid vergleicht unterschiedliche europäische Wohlfahrtsstaaten in Hinblick auf ih-

re Sicherungssysteme. Für jedes Land werden die wichtigsten Sicherungssysteme vorgestellt und ih-

rem Aufbau und ihrer Finanzierung abgehandelt. Einleitend bringt der Autor einen Überblick über

das Forschungsfeld und die unterschiedlichen Theorien des WFS. In konzeptioneller Hinsicht deckt

sich die Darstellung der Stränge mit derjenigen von Kaufmann: Schmid unterscheidet historisch-

holistische Analysen des Wohlfahrtsstaats als Ganzes (die oft sozialphilosophisch daherkommen),

quantitative Zugangsweisen und die Fokussierung auf institutionelle Teilbereich. Hinzugefügt wer-

den kann die Typologie-Forschung, die so etwas wie eine Synthese der Ansätze darstellt. In Bezug auf

die theoretischen Herangehenswesen macht Schmid vier Richtungen fest7:

• sozalökonomische Analytiker: Funktionalisten, Modernisierungstheoretiker, z. B. Wilensky

• Neomarxisten: Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, z. B. Offe

• Makrosoziologen, z. B. Flora und Alber

• politisch-institutionalistische Schule, z. B. Schmidt und Esping-Andersen

Des Weiteren werden drei Phasen der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklungunterschieden, die sich mit

den von Borchert (1998) decken. Als Hauptkontroverse für die Frage nach der Entstehung der WFS

wird die Betonung von sozialökonomischen Prozessen (Industrialisierung, Demographie) einerseits

und Parteikonstellationen andererseits herausgehoben. Letztere These rekurriert stark auf die Neo-

marxisten.

Abbildung 11: Wilensky (links) gehört zu den Funktionalisten, Flora (rechts) dagegen zu den Makrosoziologen.

7Bei Kaufmann sind es deren 3.

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Page 21: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Bei den empirisch gehaltenen Länderprofilen beschränkt sich Schmid auf die oberflächliche Darstel-

lung von Deutschland, Dänemark, Frankreich, Grossbritannien, Niederlande, Schweden und Spani-

en. Anschliessend werden die einzelnen Sicherungsbereiche - ALV, Familie, Gesundheit, Rente, Unfall

- international verglichen, aktuelle Probleme aufgeworfen und am Schluss zusammengefasst und mit

aktuellen Herausforderungen konfrontiert, d. h. Globalisierung, Europäisierung, demographischer

Wandel, struktureller Wandel, regionale Arbeitsmärkte.

Das Buch ist in fünf Teile gegliedert: einen theoretisch und methodisch einführenden, einen ver-

gleichenden mit Länderprofilen der oben angesprochenen Länder (2), einen institutionellen (3), einen

aktuelle Probleme und ausländische Lösungen besprechenden (4) und einen schliessenden, der Er-

träge und Ausblicke beinhaltet. Aus Gründen der Zeitnot möchte ich mich auf bestimmte Kapitel

beschränken.

3 Kritik an Esping-Andersens Regimeytpologie

3.1 Borchert: Historische Kritik

In der Einleitung vergleicht der Autor das Esping-Andersen’sche Modell mit dem Film groundhog day.

Auch den politischen und gesellschaftlichen Akteuren in den westlichen WFS ist ein ewiger ground-

hog day zugedacht, denn einmal etabliert verändern sich die Typen nicht mehr: Pfadwechsel sind bei

Esping-Andersen nicht vorgesehen und seiner Ansicht nach wird die Typologie auch im postindustri-

ellen Zeitalter Bestand haben. Borchert unterstellt E-A zwei Ziele: Typologie und Merkmale von WFS

herausarbeiten. Allerdings wird fast nur der erste Faktor, also die Typologie, wahrgenommen, auf den

zweiten Faktor, also wie diese Typologie zustande kommt, geht man relativ selten ein. Während die

Dekommodifizierung (gemessen mit den Ersatzquoten) als Operationalisierung hinterfragt wurde, ist

die Stratifizierung besser akzeptiert.

In einem Artikel hat E-A die Konstruktionsmechanismen der Typen genauer erläutert, als dies im

Buch der Fall ist und dort legt er sein Bestreben offen: ihm gehe es um eine Sozialdemokratisierung

des Kapitalismus. Somit wurde das Modell nicht anhand abstrakter Kriterien deduktiv aufgebaut,

sondern induktiv -ausgehend vom „normativ überhöhten schwedischen Modell“. Der liberale Ty-

pus ist dabei als Kontrastfolie noch relativ greifbar, aber der kontinentale Typ fungiert lediglich noch

als Restkategorie, die sich sehr heterogen gestaltet. Ausserdem wirft Borchert E-A ein tautologisches

Vorgehen vor, indem er die Typen aus real existierenden Staaten ableitet und dann wieder an diesen

Staaten überprüft. Das Ergebnis muss zwangsläufig positiv sein.

Ausserdem ist die eindeutige Zuordnung nicht immer möglich und bei einzelnen Fällen sehr frag-

würdig - so auch die Einstufung von Deutschland. Wie lässt sich die Ausbildung der Typen erklären?

Und wie kommt es zur festgesetzten Entwicklung auf vorgegeben Pfaden? Hier ist wiederum das Ar-

gument der „Sozialdemokratisierung des Kapitalismus“ zu nennen. E-A macht z. B. die Parteistär-

ke und Geschlossenheit der Linken Parteien dafür verantwortlich, bei gleichzeitiger Gespaltenheit

des bürgerlichen Blocks und fehlendem politischen Katholizismus. Letztlich sind also die politischen

Machtkonstellationen erklärungsrelevant. Allerdings sagt diese Begründung nicht viel „über die po-

17

Page 22: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

litische Dynamik der Enstehung und Entwicklung von WFS“. Lustigerweise begründet E-A seine Ty-

pologie mit Daten für 1946-1980, also viel später als die Formierung. „Wohlfahrtsstaatliche Regime

wurden demnach bereits etabliert, bevor die Faktoren, die sie erklären sollen, überhaupt existent wa-

ren.“

Abbildung 12: Der Film groundhog day bildet die empirische Ausgangslage für Borcherts Artikel.

Der zentrale Kritikpunkt Borcherts umfasst das empirische Vakuum zwischen Theorie und Empirie.

Ihm fehle es am Gefühl für den historischen Prozess genauso wie am genuin komparativen Zugang.

Seine Typologie ist damit im schlechten Sinn zutiefst theoretisch. Was nun? Sollte man nach die-

sem Bashing die Untersuchung abbrechen? Im Gegenteil: Jetzt geht’s erst richtig los. Ein richtiger

Machtressourcen-Ansatz, in dessen Theorietradition E-A ja steht, würde besser ein Kontinuum von

Mach und keine qualitativen Differenzen berücksichtigen. E-As reduktionistische Sichtweise der his-

torischen Invarianz reduziert die wfs Analyse auf zwei Punkte:

• Den Moment der Herausbildung

• Die Beschreibung des unveränderlichen Regimemodells

Zunächst erläutert Borchert den Begriff der Pfadabhängikeit. Siehe dazu Kapitel 2 der Seminararbeit.

Im Zentrum steht der Gedanke, „dass eine bestimmte, einmal eingeschlagene Handlungsweise oft so

gut wie unmöglich wieder umzukehren ist.“ Dies sollte man jedoch nicht mit einem ahistorischen

Blickwinkel im Sinne von Behaviorismus und RC verwechseln. Geht man einmal von Pfadabhängig-

keit aus, so stellt sich die Frage, ob Wechsel möglich sind und wenn ja: wie. Der Theorie der Pfadb-

hängigkeit stehen mehrere theoretische Alternativen entgegen: RC und Machtressourcen, Moderni-

sierungstheorie (Funktionalismus bei Kaufmann), internationale Diffusion - kollektives Lernen. „Für

unseren Zusammenhang heisst dies, dass die Pfadabhängigkeitsthese eher auf die gewöhnliche Rou-

tine von WFS verweist, während die Diffusions-Theorie stärker die aussgewöhnliche Situation der

18

Page 23: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Neuorientierung erfasst.“ Besonders erwähnenswert sind im Zusammenhang mit der Pfadabhängig-

keit die critical junctures. An ihnen lässt sich besonders gut untersuchen, ob Pfadwechsel stattfinden

oder nicht.

Tabelle 1: Ursachen wohlfahrtsstaatlichen Wandels in verschiedenen Ansätzen

exogene Ursachen endogene Ursachen

Akteursebene entscheidend Internationale Diffusion RC, MachtressourcenStrukturebene entscheidend Modernisierung, Globalisierung Pfadabhängigkeit

Zum Schluss des Abschnitts definiert Borchert die drei Pha-

Abbildung 13: Borcherts Aufsatz setzt sich

mit der Pfadabhängigkeit wohlfahrts-

staatlicher Regimetypen auseinander.

sen, für die im folgenden die einzelnen Länder untersucht

werden: Entstehung, Rekonstitution, Restrukturierung. Die

Entstehungsphase kommt bei E-A fast nicht vor. Obwohl es

eine machtpolitische Erklärung gibt (Spaltung der Arbeiter-

schaft, Koalitionsscheitern...), bleiben zwei bedeutsame Punk-

te offen: Zeitpunkt der Entstehung und die Ursachen und

Mechanismen der Entstehung. Am Beispiel Schweden wird

E-As geschichtliche Ignoranz besonders deutlich (S. 8).

Als Kontrast wählt Borchert eine Studie von Hicks, Mis-

ra und Ng, die zwischen 1880 und 1930 die Entstehung von

WFS in verschiedenen Ländern mit der QCA vergleichen.

Ihrer Meinung nach gibt es drei Pfade: Bismarck (D, AU),

Lib-Lab (DK, GB, NZ, SW), katholisch-paternalistisch (BE,

NL). Die Differenzen zu E-A werden schnell offensichtlich.

Für die Frühphase ist diese Kategorisierung weitaus plausi-

bler als diejenige von E-A. Hinzu kommen die Nachzügler,

also Länder die verspätete Entwicklungen des WFS zeigen.

Hier lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: liberaler Weg

oder gescheitertes Lib-Lab (NO, FR), föderal-antietatistisch

(AU, CA, CH, USA).

In der Synthese lassen sich ein konservatives und ein Lib-Lab Modell generieren, das man jeweils

noch nach Vorreitern und Nachzüglern aufteilen kann. Das so erhaltene Bild unterscheidet sich stark

von dem E-As.

Bei der zweiten Phase der Rekonstitution geht es besonders um die critical juncture der Wirt-

schaftskrise und der Nachkriegsphase. Hier müsste Esping-Andersens Modell besonders stark sein.

In der Tat bewegt sich Schweden von Lib-Lab zu sozialdemokratisch in dieser Phase. Auch die kon-

servativen Staaten stimmen bei Hicks et al. und Esping-Andersen überein. Mit den USA sehen wir

jedoch eine Diskrepanz zwischen den beiden Ansätzen. GB bleibt bei Hicks dem Lib-Lab Pfad treu,

19

Page 24: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

die Esping-Andersen’sche Einordnung zum liberalen Typus ist dagegen fragwürdig (nur mittelhoch

ausgeprägte Stratifizierungswerte - gleich wie Schweden. Auch der konservative Pfad macht einen

Modernisierungsprozess durch. Sonderfälle sind Irland, Japan, Finnland und die Schweiz. Auch Dä-

nemark, Frankreich, Kanada und Holland sind keineswegs eindeutig zu verorten. „Wenn wir diese

notwendigerweise skizzenhaften Ausführungen nun bilanzieren, so ergibt sich, dass das Regimemo-

dell von G. E-A selbst in der Phase, für die es eigentlich die grösste Gültigkeit haben sollte, nur be-

grenzt tauglich ist.“

In der letzten Phase der Restrukturierung wird für gewöhnlich die Konvergenz betont. Diese Argu-

mentationen nennen v. a. die Globalisierung als begünstigendes Momentum. Andere - darunter E-A -

streichen die überlieferten nationalen wohlfahrtsstaatlichen Strukturen heraus. Divergenz überwiegt

demnach gegenüber Konvergenz. Immer noch gebe es die drei Regime. Trotzdem gibt es Verände-

rungen, die sich jedoch nach Regimetyp unterscheiden. Welche Ausnahmen sind zu beobachten?

Die Niederlande: „Sie scheinen in der Tat einen Pfadwechsel zu vollziehen.“

Die Konvergenzhypothese erscheint Borchert plausibler als die Kontinuitätshypothse, auch wenn

erstere das Ausmass der Konvergenz überbetont. Er schlussfolgert, dass die Pfadabhängigkeit zwar

keine schlechte Ausgangslage sei, da viele Länder tatsächlich auf ihren Pfaden blieben, aber manche

vollzögen eben Pfadwechsel, wie demonstriert wurde.

3.2 Arts & Gelissen: Zusätzliche Typen

Eine reife empirische Forschung sollte sich nicht auf die Formulierung von Idealtypen konzentrie-

ren, sondern auf Theorien. Allerdings befindet sich die komparative Makrosoziologie der WFS noch

in ihren Kinderschuhen. E-A: „The welfare state cannot be regarded as the sum total of social poli-

cies, it is more than a numerical cumulation of discrete programs.“ Jeder Typus weist ein spezifisches

Set an institutionellen Konfigurationen auf und zeichnet sich durch einen eigenen Entwicklungspfad

aus. Nach Weber gibt es zwei Arten von Idealtypen: individuelle und holistische. Die von E-A sind ho-

listisch. Bei ihm sind die Typen Ausdruck unterschiedlicher sozialphilosophischer Vorstellungen und

politischer Mobilisierung. Kriterien für eine gute Typologie sind laut den Autoren: Validität, Reliabilität

und Mittelhaftigkeit (nicht Zielhaftigkeit oder Zweckhaftigkeit, d. h. dass die Typologie als Mittel zur

Erklärung und nicht als Ziel selbst erstellt wird), Theoriekonstruktion befindet sich noch in der frü-

hen Phase. Laut den Autoren werden diese Kriterien einigermassen erfüllt. Die Regimetypen sollten

also eher als unabhängige als als abhängige Variablen benutzt werden.

Eine wichtige Frage, die sich stellt: Gibt es einen eigenen mediterranen Typ? Die wichtigsten Alter-

nativen sind:

• Leibfried (1992): Er propagiert Latin Rim

• Ferrera (1996): Er propagiert Southern

• Bonoli (1997): Er propagiert Mediterranean oder Southern

20

Page 25: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Die Typologie von Bonoli wird im Aufsatz ausführlich besprochen. Ihm zufolge hat das Konzept der

Dekommodifizierung bei E-A Schwächen (vgl. auch Borchert 1998), denn es erlaubt keine genügen-

de Differenzierung zwischen Bismarck und Beveridge (was ehrlich gesagt ziemlich scheisse ist). Als

Alternative schlägt er zwei Klassifizierungsdimensionen vor: how much (angelsächsische Tradition)

und how (kontinentale Dimension). Die drei Propagierer eines southern type ähneln sich untereinan-

der, was die Argumentation anbelangt und kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Abbildung 14: Die gängigsten Alternativtypen zu Esping-Andersens drei Welten sind: mediterran oder südeuro-päisch (links) und radikal oder antipodisch (rechts).

Einen weiteren Unsicherheitsfaktor stellt die Frage dar, wie die Antipoden zu behandeln seien. Sie

sind inklusiver und universalistischer als die rein liberalen Typen. Hier gibt es folgende Typologien:

• Castles & Mitchell (1993): Sie propagieren Radical

• Siaroff (1994): Er propagiert Late Female Mobilization

• Korpi & Palme (1998): Sie propagieren grad 2 Sachen, nämlich Targeted und Voluntary State

Subsidized

Castles & Mitchells (1993) Kritik an E-A Regimetypologie stützt sich auf zwei Motive. Einerseits sagen

sie die politische Linke könnte sich ja durch pre-tax pre-transfer Einkommenserhöhungen ausge-

zeichnet haben, andererseits vernachlässige E-A das Potential von einkommensverwandten Vorteilen

mit Hinblick auf die Umverteilung.

Die andere Evidenz kommt von Korpi & Palme (1998). Sie konzentrieren sich auf institutionel-

le Merkmale der WFS. Dabei nehmen sie zwei Programme in den Blick: das Rentensystem und die

Gesundheitsvorsorge bzw. Einkommensersatz bei Krankheit. Ihre Einteilungskriterien sind: die Er-

satzbasis, das Prinzip - in welchem Ausmass soll die Sozialversicherung das entgangene Einkommen

ersetzen - und die Governance (staatliche oder betriebliche Regelung). Damit stellen sie fünf Typen

her. Danach gehen die Autoren auf die Gender-Problematik ein. Ihrer Ansicht nach gibt es ganze Be-

reich, die E-A einfach aussen vor lässt. Was ganz besonders fehlt ist die Diskussion der Rolle der Fa-

milie in der Regimetypologie. Auch die Rolle der Frau im AM wird systematisch vernachlässigt. Die

21

Page 26: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

geschlechtliche Arbeitsteilung in Bezug auf bezahlte und nichtbezahle Arbeit sollte laut einigen fe-

ministischen Autorinnen unbedingt berücksichtigt werden. Ein anderes Problem betrifft social care.

Hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Ländern, die E-A nicht berücksichtigt. In D ist die

Pflege eher Angelegenheit privater Dienstleister, in Skandinavien von öffentlichen Institutionen und

in Italien von der Familie. In FR gibt es eine strikte Trennung zwischen Altenpflege und Kinderpflege.

Daly & Lewis plädieren dafür, Regime auf der Basis von Pflege zu bilden.

Abbildung 15: Korpi (links im Bild Kiira Korpi, bei der es sich allerdings nicht um die Autorin der besagten Typo-logie handelt) & Palme (rechts im Bild; bei dem es sich sehr wohl um den Autor der besagten Typologie handelt)haben eine Alternative zu Esping-Andersens Regimetypologie vorgebracht

Auch Siaroff (1994) ist der Auffassung, dass die E-Asche Typologie nicht genug auf Gender achtet. Um

eine differenziertere Typologie zu erreichen, berücksichtigt er ein Bündel von Faktoren im AM, die

Ungleichheit und Gleichheit betreffen.

In der konkreten Anwendung auf die einzelnen Länder sind Australien und NZ Mischfälle, die mal

zu den Antipoden, mal zu den Liberalen gezählt werden. Korpi & Palme z. B. machen für Australien

extra den Typus Targeted auf. Bei Siaroff und Leibfried wird Australien jedoch den Liberalen zugeord-

net. Bonoli & Ferrera berücksichtigen nur europäische Länder. Bei Siaroff kommt die Geschlechtsdi-

mension am stärksten zu Tragen von allen Typologien. Weitgehende Einigkeit herrscht dagegen für

die skandinavischen Länder und die übrigen angelsächsischen. Belgien stellt einen Mischfall dar, ge-

nauso wie die NL und die Schweiz. Allerdings tun die meisten Autoren die NL zum korporatistischen

Regime, trotz Voten für sozialdemokratisch (E-A) oder gar liberal. E-A hat die NL sogar als Dutch Enig-

ma bezeichnet. Spezielle Methoden wie BOOLEAN oder Cluster-Analyse führen zu einer zumindest

teilweisen Bestätigung von Esping-Andersen. Die Autoren, die die Regimetypologie von E-A mit spe-

ziellen Methoden untersucht haben sind:

• Obinger & Wagschal -> Cluster

• Kangas (1994) -> Cluster

• Ragin (1994) -> BOOLEAN

• Shalev (1996) -> Faktor

22

Page 27: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

• Wildeboer Schut et al. (2001) -> nichtlineare Prinzipal-Komponenten Analyse

Dabei kommen z. B. Obinger & Wagschal mit der Cluster-Analyse des Stratifizierungskonzepts zum

Schluss, dass fünf Typen besser geeignet sind als drei die Daten der Three Worlds zu modeln. Wilde-

boer Schut et al. (2001) können hingegen die Regimtypologie von E-A weitgehend bestätigen. „Sum-

ming up, E-As original three-world typology neither passes the empirical tests with flying colours, nor

dismally fails them.“

Wie hat E-A selbst auf die Modifikationen reagiert? Er ist sich selbst gar nicht sicher. So war er zu-

nächst auf Castles & Mitchells (1993) Antipoden-Ergänzung positiv gestimmt, sagte dann aber später,

dass Australien und NZ zum liberalen Modell streben. Gleiches gilt für den mediterranen Typus. Stark

gewichtet der dänische Sozialwissenschaftler analytische Sparsamkeit. Gründe, warum WFS so träge

sind, sind einerseits institutionelle Trägheit, andererseits Pfadabhängigkeit.

Das Problem mit vielen oben besprochenen Autoren ist die starke Fokussierung auf empirische

Belange. Die wichtigsten Einflüsse, die wohlfahrtstaatliche Veränderungen antreiben sind nach der

Synthese der Autoren von oben: funktionale Zwänge und Diffusion von Innovationen (Lerneffekte).

Laut den Autoren des Aufsatzes kanne es wenig Widersprüche geben, möchte man die empirischen

Ergebnisse in eine Machtressourcen-Paradigma einbinden.

3.3 Obinger & Wagschal: Empirische Kritik

Neben viel Lob an E-A gab es auch Kritik. Folgende Punkte werden im Artikel erwähnt: Geschlechter-

blindheit, weitgehende Ausklammerung der Dienstleistungen des WFS aus der Analyse (Welfare-Mix

wird kaum angeschnitten), Institutionenblindheit (Vernachlässigung genuin politologischer Varia-

blen), methodische Vorbehalte (Längsschnittdimension wird weitgehend aussen vor gelassen), ideo-

logische Ordnungsvorstellung mit Schweden als Ideal, keine Beantwortung zur Frage der Konvergenz

oder Divergenz, Anzahl der Typen und allfällige Ergänzungslösungen und Ahistorizität.

Abbildung 16: Drei Kritiken an der Regimetypologie von Esping-Andersen: Gender-Blindheit, methodische Vor-behalte und zu wenige Typen berücksichtigt (von links nach rechts)

Dieser Abschnitt macht den Hauptteil des Artikels aus. Zuerst fragen die Autoren danach, wie E-A

Stratifizierung operationalisiert. Dies geschieht anhand von sieben Indikatoren (siehe dazu Tabel-

le 1 auf Seite 117): Korporatismus, Etatismus, Residualismus (Bedarfsabhängige Sozialleistungen),

23

Page 28: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

private Renten, private Gesundheitsausgaben, Universalismus und Unterstützungsleistungen (Diffe-

rential). Die ersten beiden Indikatoren gehören dem konservativen Typus an, die mittleren drei dem

liberalen und die letzten beiden dem sozialdemokratischen. Die Daten beziehen sich auf das Jahr

1980 und umfassen 18 OECD-Staaten.

Die Einstufung zu den drei Typen geschieht nicht von den Originaldaten ausgehend, sondern über

ein Zuweisungsverfahren. Dadurch werden Teilindizes generiert. Für jede Variable bildet E-A Terzi-

le, also drei Gruppen, die wenn möglich die gleiche Anzahl an Mitgliedern aufweisen sollen (siehe

Tabelle 2 auf Seite 119). Das erste Terzil erhält 4 Punkte, das zweite 2 und das dritte 0. Die Punkte-

zuweisungen wurden sodann für die entsprechenden Typen addiert. Insgesamt sind E-A dabei viele

Fehler bei der Codierung unterlaufen: Nicht weniger als 10, was knapp einem Fünftel entspricht! Die

Fehlcodierungen führen mitunter zu gravierenden Divergenzen. Belgien wird z. B. von stark konser-

vativ zu mittel. Immerhin vier Ländern fallen durch solche Fehler in einen anderen Typus: BE, FR,

NO, GB.

Zudem ist die Einteilung der Länder zu den Typen nicht konsequent. Während E-A für den konser-

vativen und sozialdemokratischen Typus zwei Variablen verwendet (Korporatismus und Etatismus

bzw. Universalismus und Unterstützungsleistungen Differential), sind es bei der liberalen Ausprä-

gung drei Variablen (Residualismus, private Rente, private Gesundheitsversicherung). Während für

den sozialdemokratischen Typus 6 oder 8 Punkte genügen, sind beim konservativen Dingens 8 Punk-

te vonnöten. Finnland wäre bei Gleichbehandlung von konservativ und sozialdemokratisch im Bezug

auf die Punktevergabe sowohl konservativ als auch sozialdemokratisch. Nun ist es aber ein reiner so-

zialdemokratischer Fall.

Zudem verändert die Datentransformation das Ergebnis. Die Punktescores fördern andere Eintei-

lungen zutage als die Originalwerte mit Rangplätzen (siehe dazu Tabelle 3 auf Seite 122). Sie sind

weniger eindeutig als über das Punkteverfahren ausgewiesen.

Zuletzt nennen die Autoren das Problem der Terzilgrenzen: Weil die Daten (z. B. für die Korporatismus-

Variable) mitunter sehr schief sind, ergeben sich Zuordnungsprobleme. So verfügen allein sechs Län-

der über zwei Rentensysteme und drei Länder über lediglich eines. Da die optimale Aufteilung sechs

Länder pro Terzil ist, müsste die Gruppe mit zwei Rentensystemen aufgeteilt werden, was natürlich

nicht geht. E-A ordnet sie dem untersten Terzil zu. Tut man sie jedoch ins mittlere Terzil (was genauso

gut möglich ist) ergeben sich veränderte Zuordnungen.

Die Clusteranalyse versucht diesen Problemen Abhilfe zu verschaffen, indem sie alle relevanten

Merkmale zur Gruppeneinteilung berücksichtigt und nicht so stark der Willkür des Forschers aus-

gesetzt ist. Die Autoren standardisieren die Daten vor der Analyse, wie man das machen sollte. Drei

Cluster werden in keiner der optimalen Lösungen angezeigt. Wenn man von vorneherein vier Clus-

ter annimmt (wie dies z. B. Castles & Mitchell 1993 tun), dann zeigen sich oke Lösungen. „In der Tat

passen die Originaldaten von E-A wesentlich besser zu einer Vier- als zu einer Drei-Cluster-Lösung.“

Im ersten Schritt wählen die Autoren die Distanzmasse: euklidisch und complete-linkage. Wie das

Dendogramm auf Seite 125 erahnen lässt sind vier Cluster eine bessere Lösung als drei.

Wenn man die Ward-Methode nimmt, kommen sogar fünf Cluster heraus, wie das Dendogramm

24

Page 29: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

auf Seite 128 zeigt. Die Differenz zwischen der Vier- und Fünf-Cluster-Lösung liegt vor allem in der

Unterscheidung eines sozialdemokratischen Typus oder der Hinzurechnung dieser Länder zu einem

europäischen Typus. Im Vergleich 5-4 und 3-Cluster-Lösung, schneidet erstere am besten ab, gefolgt

von der zweiten und dann erst von der dritten (E-Aschen).

Die Verdienste von E-A seien ja kaum bestritten. Trotzdem können andere Methoden bessere Er-

gebnisse liefern. Ausserdem ist eine gewisse Willkürlichkeit und Fehlerhaftigkeit bei E-A Zuordnung

zu den Typen festzustellen. In dieser Hinsicht ist die Clusteranalyse dem E-A Vorgehen überlegen. Die

Originaldaten sprechen für eine Einteilung in fünf Welten und nicht etwa in drei. Die Clusteranalyse

enthüllt im Vergleich mit E-A drei Veränderungen:

• Sie unterstützt Einwände, wonach der konservative Typus als zu determenistisch betrachtet wor-

den war. Die clusteranalytische Zweiteilung in einen europäischen Typus und in einen wirkli-

chen konservativen Typus (FR, IT, AU) verschafft hier Abhilfe

• Sie liefert starke Anhaltspunkte für einen radikalen WFS, wie dies bereits Castles & Mitchell

(1993) propagiert hatten.

• Auch der sozialdemokratische Typus ist kein festgefügter Block. Während sich SW, NO und DK

diesem Typus einigermassen einwandfrei zuordnen lassen, sieht es für FI und NL kritischer aus:

Hier sind eindeutige Zuordnungen schwieriger.

4 Institutionelle Analysen

4.1 Rentenversicherung und Altenp�ege: Kern & Theobald

Die Autorinnen gehen in diesem Beitrag der Frage auf den

Abbildung 17: Kern & Theobald schauen

sich die Konvergenz der Altenbetreuung

in Europa an... Daneben thematisieren

sie auch die Renten.

Grund, ob sich die Sozialpolitik der europäischen Staaten ein-

ander angenähert hat oder ob Unterschiede fortbestehen. An-

hand der Untersuchung der Rentenversicherung und Altenbe-

treuung versuchen sie aufzuzeigen, wie sich die Europäisie-

rung - als zunehmende Wichtigkeit der EU - und Globalisie-

rung auf die Gestaltung der Wohlfahrtsstaaten auswirkt, also

ob es zur Konvergenz kommt oder Pfadabhängigkeit festzu-

stellen ist. Sie erwarten, dass die Europäisierung bei der Al-

tenbetreuung weiter fortgeschritten ist als bei der Rentenver-

sicherung, weil letztere schon länger besteht, in einem spezi-

fischen nationalen Kontext gewachsen und dementsprechend

schwer auf transnationaler Ebene zu reformieren ist.

Zunächst werden Erklärungsansätze für die Konvergenz der

Sozialpolitik präsentiert. Dabei unterscheiden die Autorinnen

ökonomische, demographische, sozialstrukturelle und politische Ursachen auf nationaler Ebene, einen

25

Page 30: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

bilateralen Politiktransfer zwischen einzelnen Ländern und internationale und supranationale Ten-

denzen im gesamteuropäischen oder zumindest im EU-Raum. Sie kommen zum Schluss, dass „die

Europäisierung in der Sozialpolitik offensichtlich nicht so weit fortgeschritten wie in anderen Politik-

feldern ist“ (293).

In einem dritten Teil wird die Frage nach der Konvergenz systematisch zu beantworten versucht.

Zuerst wird die Rentenversicherung genauer unter die Lupe genommen, wobei zwei Idealtypen un-

terschieden werden: das Bismarck-Modell und das Beveridge-Modell. Während ersteres v. a. in Zentral-

und Südeuropa beheimatet ist, lässt sich letzteres vornehmlich in den angelsächsischen und skandi-

navischen Ländern beobachten. Obwohl beide Systeme die gleiche Zielsetzung verfolgen, nämlich

die Absicherung älterer Menschen, und ungefähr zur gleichen Zeit entstanden (am Ende des 19. Jahr-

hunderts), sind die Strategien zur Erreichung der Ziele verschieden: im Beveridge-Modell werden die

Beiträge v. a. durch Steuern finanziert - d. h. die ausgezahlten Summen werden relativ egalitär verteilt,

bewegen sich aber auf tiefem Niveau -, im Bismarck-Modell durch Abgaben seitens der Arbeitneh-

mer und Arbeitgeber, was zu uneinheitlichen Beiträgen führt, denn diese hängen hauptsächlich von

der Dauer der Arbeitszeit und vom bisherigen Lohn ab. Bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

mischten sich diese Systeme kaum, aber seither haben sie sich einander angeglichen. Dies äussert

sich in der Ausbildung einer Mischfinanzierung durch Beiträge und Steuern. In der Altenbetreuung

bestehen weitergehende Ähnlichkeiten zwischen den Ländern als bei der Rentenversicherung.

Abbildung 18: Kern & Theobald unterscheiden ein Bismarck-System (links) von einem Beveridge-System (rechts)

Im vierten Teil wird auf die im zweiten Teil getroffene Unterscheidung von nationalen, bilateralen und

supranationalen Faktoren Bezug genommen. Auf nationaler Ebene verlor die Konkurrenz zwischen

den beiden Idealtypen mit der Zeit an Bedeutung, im supranationalen Kontext fallen Programme auf,

die auf eine zunehmende Koordinierung der Sozialpolitik in Europa verweisen, so dürfte die „Offene

Methode der Koordinierung“ (OMK) und die vermehrte Bezugnahme aufeinander in der Sozialpolitik

die ohnehin schon vorhandene Konvergenz noch verstärken.

Die Autorinnen kommen schliesslich zum Schluss, dass sowohl in der Rentenversicherung als auch

26

Page 31: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

in der Altenbetreuung seit der Institutionalisierung dieser Sicherungssysteme beträchtliche Konver-

genz stattgefunden hat. Als Referenzpunkt dafür wird das stark diskutierte Mehr-Säulen-Modell an-

geführt. Nichtsdestotrotz bleiben nationale Entwicklungspfade bestehen

Der Artikel bietet einen informativen Einstieg in die komplexe Thematik der sozialen Sicherung

auf verschiedenen Ebenen. Insbesondere der transnationale Bezug auf EU-Ebene zeigte Aspekte auf,

die bisher im Seminar kaum zur Sprache gekommen sind. Obwohl mit der Rentenversicherung und

der Altenbetreuung zwei wichtige Felder der Sozialpolitik abgedeckt wurden, wäre der Einbezug eines

anderen, vielleicht nicht primär auf ältere Menschen bezogenen, Sicherungssystems, wie der Arbeits-

losenversicherung oder der Krankenversicherung, meiner Ansicht nach besser geeignet gewesen Ge-

meinsamkeiten und Unterschiede bzgl. Sozialpolitik herauszuarbeiten. Zudem blieb das empirische

Material etwas dürftig. Es bleibt deshalb viel Raum für Anschlussfragen: Wie sieht die Tendenz bei

anderen Sicherungssystemen aus? Wie gestaltet sich der Politiktransfer zwischen nichteuropäischen

Ländern und Nicht-EU-Ländern? Welchen Einfluss haben globale Prozesse auf die Ausgestaltung des

Transfers von Wohlfahrtsstaatsideen?

4.2 Lebenslauf-Regime: Mayer

Mayers Entfaltung der Perspektive erfolgt in zwei Schritten: die Veränderungen sozioökonomischer

Natur, mit denen die fortgeschrittenen Gesellschaften konfrontiert sind, ähneln sich untereinander

stark und zweitens der erhöhte internationale Wettbewerb und der Verlust nationaler regulativer

Macht sind dafür verantwortlich. Nach der Aufschlüsselung der globalen Transformationen in ver-

schiedene Punkte, die die Vielschichtigkeit der Veränderungen verdeutlichen, und der Erwähnung

weiterhin bestehender nationaler Differenzen, schildert der Autor die historischen Veränderungen in

den Lebenslaufmodellen oder -regimes. Er unterscheidet folgende Regime:

• vorindustrielles Lebenslauf-Regime

• industrielles Lebenslauf-Regime

• fordistisches Lebenslauf-Regime

• post-industrielles bzw. post-fordistisches Lebenslauf-Regime.

In einer übersichtlichen Tabelle macht er Unterschiede zwischen diesen Regimen fest. Anschliessend

folgt ein Ländervergleich mit Hinblick auf die Lebenslauf-Regimes. Seine These in diesem Zusam-

menhang lautet, dass der Einfluss der Globalisierung und De-Industrialisierung auf die Lebensläufe

je nach institutioneller Ausprägung und dominanter politischer Ökonomie im jeweiligen Land un-

terschiedlich ausfallen. Die untersuchten Länder sind D, USA, GB, DK, SW, IT und FR. Aus diesen

bildet er vier Typen, die sich in Bezug auf typische Lebensläufe unterscheiden: liberaler Marktstaat,

kontinental-konservativer WFS, skandinavisch-sozialdemokratischer WFS, südeuropäischer WFS. An-

hand spezieller Ereignisse, wie Auszug von zu Hause, Eintritt ins Arbeitsleben, Pensionierung oder be-

rufliche Veränderungen macht er die Unterschiede zwischen den Typen fest. Die Lebenslauf-Regimes

27

Page 32: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

können als Idealtypen in Bezug auf vier Dimensionen interpretiert werden: zentrale Organisationsein-

heit, vorherrschende zeitliche Organisation, (Un)Einheitlichkeit der Lebensläufe zwischen verschie-

denen sozialen Gruppen (besonders Männern und Frauen und sozialen Klassen), wie entwickeln sich

Ungleichheiten in den Kohorten über die Lebensspanne hinweg.

Der Artikel zeichnet sich insgesamt dadurch aus, dass die wichtigsten Informationen und Konzepte

übersichtlich in den Tabellen ersichtlich sind. Deshalb bietet sich eine eher knappe Zusammenfas-

sung an.

4.3 Arbeitsmarkt-Regime: Erhel & Zajdela

In der Forschung herrscht Uneinigkeit, ob die bestehenden Unterschiede in der Ausgestaltung der

WFS bestehen bleiben (Pfadabhängigkeit) oder konvergieren. Letzteres geschieht am wahrschein-

lichsten hin zu einem liberalen Modell. Trotz einiger empirischer Studien ist mehr Material notwen-

dig für eine abschliessende Beurteilung. Der Vergleich von Frankreich und GB lässt ein paar span-

nende Befunde zutage treten: die Konvergenz findet sich v. a. an der Schnittstelle zwischen sozialer

Sicherung und Beschäftigungs- bzw. Arbeitsmarktpolitik. Die Entwicklung führt hin zu job supply-

oriented policies. Diese Hypothese möchte der Artikel prüfen. Zwei Punkte sollen dabei herausgestri-

chen werden:

1. Es braucht eine ganzheitliche funktionale Analyse innerhalb des institutionalistischen Paradig-

mas, insbesondere innerhalb des Konzept der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktregime

2. Pfadabhängigkeitstheorie ist hochsignifikant für die Erklärung der nationalen Dynamiken und

sollte damit berücksichtigt werden

Die Autorinnen nehmen Bezug auf den institutionalistischen Begriff des labour market regime um

die Eigenheiten nationaler Syteme in den OECD-Ländern zu charakterisieren. Dieser Framwork be-

rücksichtigt nicht nur individuelle und kollektive Akteure (z. B. Firmen, Arbeiter, Gewerkschaften),

sondern auch öffentliche und private Institutionen, z. B. Gesetze, Arbeitsmarktpolitik, Steuern, Lohn-

beiträge etc. „Employment regimes are closely related to E-As welfare state regimes.“ So lassen sich

GB und Frankreich in den 1980er klar unterscheiden, denn sie bildeten unterschiedliche Beschäfti-

gungsregime aus. Der Gegensatz lässt sich auch mit Bismarck (FR) vs. Beveridge (GB) umschreiben.

Zu Beginn der 1990er zeichnete sich GB durch die Abwesenheit von Mindestlöhnen und ein flexibles

und dereguliertes Arbeitsmarktssystem aus.

Eine wichtige Unterscheidung lässt sich zwischen demand oriented programmes und supply ori-

ented programmes ziehen. Erstere setzen beim Arbeitgeber an (Job-Subventionen, Teilanstellungen

im öffentlichen Sektor), letztere beim Arbeitnehmer (Weiterbildung, Training, Suchhilfe). Seit den

1980er Jahren setzt GB stark auf die angebotsorientierten Programme. In Frankreich sind frühzeitige

Pension und Reduktion der Arbeitskosten wichtige Massnahmen. Glaubt man der These der Pfadab-

hängigkeit müssten diese Unterschiede sich in den 1990er Jahren bis in die Gegenwart perpetuieren.

28

Page 33: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Zunächst wird das Konzept der Pfadabhängigkeit erläutert. Siehe dazu die Ausführungen von Wenzl

(2007) in unserer Seminararbeit. Danach geht’s an die empirische Untersuchung: Zu Beginn der 1990er

haben sowohl Frankreich als auch GB sehr hohe ALQ (über 10%). Nach 1993 sinkt die AL in GB, wäh-

rend sie sich in FR nicht veränderte. In GB ist die ALQ bei Frauen tiefer als bei Männern, in FR ist

es umgekehrt. Ein spezielles Merkmal von Frankreichs Beschäftigungspolitik ist die Frühpension. Sie

trägt zur schlechten Performance bei, so dass die ALQ bei den älteren Bevölkerungsschichten sehr

hoch liegt. In diesem Bereich sind klare Pfadabhängigkeiten ersichtlich. Schliesslich sind sowohl GB

als auch FR Länder mit hohen weiblichen Beschäftigungsquoten.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern hat GB keine Regulierung der Arbeitszeit. Eine ge-

setzlich vorgeschriebene maximale Arbeitszeit existiert nicht. Deshalb unterscheidet sich die Vertei-

lung der Arbeitsstunden zwischen den beiden Ländern ziemlich stark. Hier wie da sind es v. a. die

Frauen, die teilzeit arbeiten, doch die Erwerbskarrieren unterscheiden sich: In GB nehmen die Frau-

en häufiger Babypausen als in FR und kehren danach meist als teilzeit Arbeitende in den AM zu-

rück. Sowohl FR als auch GB haben relativ hohe Armutsquoten. In letzterem Land ist ein Abwärtstrend

spürfbar, während in FR die Situation stabil scheint. Die Gründe für Armut verändern sich in FR aber

über die Zeit. Mehr und mehr ist es Arbeitslosigkeit, die sich dafür verantwortlich zeigt. „France has

higher unemployment and lower activity rates, while the UK ist characterized by a larger number of

jobs with low working hours and low pay.“

Diese Fakten beeinflussten die Politik in den jeweiligen Ländern: In GB führte die Deregulierung

zu vielen working poors mit Teilzeitstellen und schlechter Bezahlung. Deshalb wurden die Einkom-

menszulagen erhöht (Income Support Beneficaries). In Frankreich wird die AL v. a. der makroökono-

mischen Politik und den hohen Arbeitskosten zugeschrieben. Ab 1992 führte man Unterstützungs-

zahlungen für Teilzeitler ein, ab 1993 für alle schlecht bezahlten Berufe. „This combination of a redu-

cion in both labour costs and working time appeared to be a major feature of the French case at the

beginning of the 2000s. It also confirmed the existence of some path dependency in French employ-

ment policy.“ Ende der 1990er Jahre blieben die Hauptunterschiede zwischen den beiden Ländern

mit Hinblick auf ihre AM-Politik bestehen: tiefe Ausgaben in GB, tiefere Ausgaben für Jugendliche und

Ausbildung in GB, keine Frühpension in GB und auch keine „recruitment subsidies“, tiefe Staatsin-

tervention in GB.

„Overall it seems that the national institutional systems in each country remained consistent with

the previous decade, and thus differed clearly from another, given their different starting points.“ Zur

Erklärung dieser Stabilität geben die Autorinnen verschiedene Mechanismen an, weisen aber auch

auf Konvergenztendenzen hin, besonders die angebotsorientierten Massnahmen (inkl. Workfare).

Die kürzlich erfolgten Reformen deuten auf teilweise Konvergenz hin: „Most of the British reforms

still aim at making work pay, and thus concentrate on working incentive problems.“ Ein wichtiges In-

strument stellt dabei Working Tax Credit (WTC) dar. Diese grosszügigere Regelung im Gegensatz zu

früher ermutigt Vollzeitarbeit und dämmt die Anreize auf Teilzeitbeschäftigung ein. Damit will man

dem working poor Phänomen Herr werden. Gleichzeitig wurde auch ein Mindestlohn eingeführt. Als

nächstes wird die Frage gestellt, ob es eine Konvergenz hin zu angebotsorientierten Beschäftigungsre-

29

Page 34: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

gimen gibt. Ja, denn die Systeme erscheinen sehr nahe. Das wird an ein paar exemplarischen Punkten

festgemacht: Minimumeinkommen und -lohn, ein Anreiz-ALV System, ein aktivierendes Steuersys-

tem, das zur Jobsuche animiert (WTFC - Working Tax Family Credit), Arbeitsvermittlungsmassnah-

men, die gut ausgebaut sind.

Im nächsten Schritt werden die Gründe und Konsequenzen dieser Ähnlichkeiten untersucht. Hier

ist das Stichwort der unemployment traps wichtig. Es wird im folgenden aufgeschlüsselt und genauer

untersucht. Aus einer allgemeinen Perspektive stellt die Falle ein disincentive, also einen Missanreiz

zu arbeiten dar, d. h. der Wohlfahrtssektor ist so ausgestaltet, dass es sich für bestimmte Personen

nicht lohnt zu arbeiten. Beide Länder sind mehr und mehr besorgt über dieses Problem. In hoch de-

regulierten AM mit grossem Anteil Teilzeitstellen und tiefen Löhnen (+ kein Mindestlohn, wie es in

GB vorher der Fall war) ist das Risiko solcher Fallen schnell ziemlich hoch. Obwohl auch FR diesem

Risiko ausgesetzt ist, unterscheiden sich die Gründe. Beide Länder ergreifen jedoch ähnliche Mass-

nahmen, um das Problem zu lösen. In GB sind das die New Labour Politiken (dritter Weg). Ganz ähn-

lich in FR: Hier wurde das RMI unter strengere Bedingungen gestellt, um die finanziellen Anreize des

Arbeitens zu erhöhen. Aus RMI wurde RMA (Revenu Minimum D’Activite). Dabei findet ein stärke-

rer Kontrollprozess auf Arbeitsfähigkeit statt und Arbeitgeber, die ehemalige RMI-Bezüger anstellen

werden subventioniert.

Abbildung 19: Achtung Falle! Unemployment traps... sind gefährlich.

Aber: „the main policy innovation in the UK was the minimum wage, while in France it was the prin-

ciple of a negative income tax.“ Die Probleme und Konsequenzen, die sich weiterhin und auch in

Zukunft ergeben: Armut trotz Mindestlohn, das welfare-to-work Modell widerspricht dem Versiche-

rungsprinzip Frankreichs, „insurance-based continental models tend to raise levels of assistance in

the second, they made assistance conditional on work or job search, as in the liberal model.“

Die politischen Massnahmen haben also zu wirklichen wohlfahrtsstaatlichen Veränderungen ge-

führt, sind also nicht bloss kurzzeitige Anpassungen. Dieser Trend (der Konvergenz) widerspricht der

Hypothese der Pfadabhängigkeit. Die Gründe für die Veränderungen und die Konvergenz sind ähn-

lich wie im Artikel von Kern und Theobald (2004) dargelegt: EU, ähnliche Zwänge, Globalisierung ,

Idee, OECD...

30

Page 35: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

5 Soziale Sicherung in der Schweiz

5.1 Wicki

Wicki beschreibt in diesem Beitrag die Entwicklung und Struktur der sozialen Sicherungssysteme in

der Schweiz. Zuerst geht er auf die spezielle Ausgestaltung ein, über die der schweizerische Sozialstaat

im internationalen Vergleich verfügt. Zu nennen sind hier insbesondere die relativ späte Entwicklung

des Sozialversicherungssystems sowie der ausgeprägte Föderalismus, der sich im fragmentierten Bei-

tragssystem äussert. Anhaltspunkte für diese Sonderstellung der Schweiz liegen in den sozialstruktu-

rellen und politischen Eigenheiten des Landes, u. a. der Referendumsdemokratie, durch die das Volk

die Sozialpolitik auf verschiedenen Ebenen in bestimmte Bahnen lenken kann, der kleinbetrieblichen

Struktur der Wirtschaft, der geringen Arbeitslosigkeit, den konfliktarmen Beziehungen zwischen Ar-

beitnehmern und Arbeitgebern, die sich in der geringen Anzahl von Arbeitskämpfen (z. B. Streiks)

zeigen, sowie der ungleichen Einkommensverteilung bei allgemein hohem Lebensstandard.

Historisch gesehen war die Sicherung der allgemeinen Wohlfahrt in der Schweiz lange Zeit Sache

der Kantone und Gemeinden. Erst ein knappes halbes Jahrhundert nach Gründung des Bundesstaats

(1848) wurden in der vom Freisinn dominierten Politik erste Grundlagen zur Einrichtung bundes-

staatlicher Sicherungssysteme geschaffen. Bis diese in Kraft traten, sollte es aber noch längere Zeit

dauern: 1901 wurde die Militärhaftpflicht eingeführt, 1912 die Krankenversicherung und 1918 die

Unfallversicherung. Erst 30 Jahre später kamen mit der AHV (1948) und - wenig später - dem Er-

werbsersatz sowie der Arbeitslosenversicherung die nächsten Absicherungen hinzu. Wicki (S. 256)

bezeichnet die Schweiz als „verspäteten Sozialstaat, der vor allem in den letzten fünfzig Jahren ent-

wickelt worden ist und dabei die vorhandenen Strukturen nach dem Prinzip der Subsidiarität in ein

nationales Sicherungssystem einbaute“. Nichtsdestotrotz weist das schweizerische System in gewis-

sen Bereichen europäischen Pioniercharakter auf und ist mit Sozialausgaben von ca. 21% des BIP im

internationalen Mittelfeld. Die auf dem Drei-Säulen-Prinzip beruhende AHV (und auch die IV) wird

oft als genuin schweizerische sozialpolitische Lösung mit Vorbildcharakter angeführt. Bei der struk-

turellen Beschreibung der sozialen Sicherung der Schweiz unterscheidet Wicki sechs Zweige und geht

näher auf sie ein: Krankheit und Unfall, Alterssicherung, Invalidität, Arbeitslosigkeit, Mutterschafts-

schutz und Familienzulagen sowie Sozialhilfe. Während die Alterssicherung, die Sozialhilfe - obwohl

kantonal oder auf Gemeindeebene geregelt - und die IV solid ausgestaltet sind, besteht beim Mutter-

schaftsschutz noch Potential zur Verbesserung, da dieser nur wenig flexible Lösungen für erwerbstä-

tige Mütter anbietet.

Wickis Darstellung des sozialen Sicherungssystems der Schweiz ist sehr informativ, aber bisweilen

etwas zu faktenzentriert. Obwohl die Beschreibung inhaltlich fundiert und sprachlich kohärent da-

herkommt, fehlt mir die vergleichende und normative Perspektive ein wenig. So wird die Sonderrolle

der Schweiz im europäischen Vergleich nur am Anfang kurz erwähnt und nicht systematisch behan-

delt. Eine Bezugnahme zu Esping-Andersens Regimetypologie hätte sich angeboten um die Eigenhei-

ten der schweizerischen Sozialpolitik besser herauszuarbeiten. Während die historische Entwicklung

und Struktur der Sicherung genau und auch in Bezug auf verschiedene Bevölkerungsgruppen aufge-

31

Page 36: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

zeigt werden, bleibt ein Defizit bei der Verknüpfung der beiden Elemente und somit bleiben ein paar

offene Fragen: Wie war die Bevölkerung den jeweiligen sozialpolitischen Massnahmen gegenüber

eingestellt und wie äusserte sich das in den Abstimmungen? Welche Rolle spielte die Ausgestaltung

der Sozialstruktur genau bei der Anpassung der Sicherungssysteme zu verschiedenen Zeitpunkten?

Hatten z. B. die Arbeiterimmigration in den Nachkriegsjahren und die Frauenbewegung - mit der

Einführung des Frauenstimmrechts 1971 - einen Einfluss auf sozialpolitische Belange und wie sa-

hen diese Interdependenzen aus? Orientierte man sich an schon bestehenden Lösungen (aus dem

Ausland) und wie gestaltete sich die Umsetzung der Massnahmen? Schliesslich hätte bei der Frage

der Finanzierung der einzelnen Zweige eine Tabelle oder schematische Darstellung den Überblick

erleichtert und den ansonsten sehr gelungenen Text abgerundet.

5.2 Häusermann & Walter

Die Entwicklung des WFS in den letzten Jahrzehnten wird von manchen als Ausdruck des Konflikts

zwischen Arbeiterschicht oder -klasse und der etablierten Klasse gesehen. Traditionellerweise sind

die Arbeiter gegenüber Umverteilung positiver eingestellt als die besser Verdienenden. Gelten diese

klaren Zuordnungen auch für den post-industriellen Arbeitsmarkt?

Durch die Fragmentierung und Flexbilisierung des AM

Abbildung 20: Silja Häusermann von der Uni

Zürich (YESSSSS!) hat diesen Artikel geschrie-

ben.

könnten sich die Berufsgruppen in ihrer Einstellung un-

terscheiden. Unter diesen Bedingungen - Postindustra-

lismus, konservativer WFS, offene Wirtschaft - erwarten

die Autorinnen eine Heterogenisierung der Einstellun-

gen und Präferenzen gegenüber Sozialversicherung und

Umverteilung („giving rise to new conflict lines“).

„The goal of this contribution is to examine a) whether

these conflict lines surface in the Swiss case, and b) to

what extent they may restructure party political conflict

patterns on welfare state issues.“

Im Gegensatz zum industriellen WFS, wie er für die

Nachkriegsjahrzehnte charakteristisch war, haben sich die

Verhältnisse in den letzten Jahren gewandelt: Übergang

von einer industriellen zu einer post-industriellen Wirt-

schaft (Tertiarisierung), untypische Arbeitsverhältnisse,

Teilzeit, Erhöhung der weiblichen Erwerbsquote, neue so-

ziale Risiken mit Aufteilung in Insider und Outsider. Im

Gegensatz zu den Tiefgebildeten haben die Hochgebil-

deten eher eine Präferenz für Sozialversicherung als für

egalitäre Umverteilung. Zwei Hypothesen lassen sich ge-

nerieren:

32

Page 37: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

H1: Insider-Outsider Konflikt in Bezug auf die Einstellungen zu Sozialversicherung und Umvertei-

lung

H2: Ausbildungskonflikt in Bezug auf die Einstellungen zu Umverteilung NICHT ABER SV. Besser

gestellte Arbeiter favorisieren SV gegenüber Umverteilung, weil sie ihre Fähigkeiten absichern und

ihre Privilegien verteidigen möchten.

H3 betrifft den Sektor der Anstellung: öffentlich vs. privat. Es wird lediglich ein Einfluss postuliert,

nicht jedoch die genaue Richtung.

„In sum, attitudes on social welfare should become increasingly structured according to skills, labor-

market status and sector of employment.“ Drei Gründe sprechen dafür, wieso diese Einflüsse speziell

in der Schweiz wichtig sind:

• post-industrialisierter Arbeitsmarkt

• konservativer WFS

• offene Wirtschaft

Die Datenbasis bildet der World Value Survey der Wellen 1996 und 2007. Die meisten Studien differen-

zieren nicht zwischen Einstellungen zu Umverteilung und SV. Oft wird bei der Frage nach Einkom-

mensungleichheit einfach gefragt, ob man mehr oder weniger Wohlfahrt bevorzuge. Häusermann

bildet je einen Index für SV und Umverteilung. Der Umverteilungsindex wird aus zwei Fragen er-

stellt: beide drehen sich um die EK-Verteilung („Einkommen sollten gleicher gemacht werden vs. wir

brauchen mehr EK-Ungleichheit als Leistungsanreiz“). Der SV-Index bildet sich aufgrund von V118,

die auf einer Zehnpunktskala fragt, ob der Staat mehr zur Absicherung tun sollte oder jeder für sich

selbst sorgen sollte. Die Operationalisierung der u. V. ist im Text dokumentiert.

Im Resultatteil stellt die Autorin zunächst fest, dass Einkommen ein wichtiger Prädiktor für Umver-

teilung ist. Wer viel hat, will tendenziell weniger Umverteilung. Hinzu kommt eine neue Konfliktlinie,

die durch den Gegensatz von Insidern und Outsidern geprägt ist. Die erste Hypothese bestätigt sich

also in Hinblick auf Umverteilung. Wichtig: über die Zeit ist sogar eine Zunahme des Effekts fest-

zustellen, so dass die neue Konfliktlinie an Relevanz gewinnt. Ausbildungsniveau zeigt in die gleiche

Richtung wie Einkommen in Hinblick auf Umverteilung. Gut Gebildete wollen weniger Umverteilung

als schlecht Gebildete. Allerdings ist der Effekt nicht signifikant. Angestellte im öffentlichen Sektor

sind Umverteilung gegenüber positiver eingestellt als solche im privaten Bereich.

Was die Einstellungen gegenüber SV anbelangt, so hat das Einkommen den gleichen Einfluss wie

zuvor. Es wirkt sich negativ aus. Der Insider-Outsider Status hat keinen Einfluss auf die Einschätzung

der Sozialpolitik. Meinungen nur zur Umverteilung sind also ungenügend um die Wirkungen von

WFS zu messen. In Bezug auf H2 (Skill-Level) widersprechen die Resultate den Erwartungen. Kei-

neswegs favorisieren Hochqualifizierte die Sozialversicherung im Gegensatz zu Tiefqualifizierten. Im

Gegenteil der Effekt fällt negativ, wenn auch nicht sehr stark aus (schwächer als in Bezug auf Umver-

teilung). Sektor spielt keine Rolle mit Hinblick auf SV.

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Page 38: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Bei der Umverteilung ist das Insider-Outsider Cleavage das wichtigste Resultat, bei SV dagegen das

komplexe Bild, bei dem nur das Einkommen einen eindeutig gerichteten Einfluss aufweist. Linke Par-

teien sind eher mit Outsider-Status verknüpft. SVP und FDP können mehr Insider mobilisieren. Gut

Ausgebildete sind speziell bei den Grünen und bei der FDP beheimatet. Insgesamt repräsentieren die

Linksparteien ein mittelmässiges bis gut gebildetes Bevölkerungsniveau. Das Einkommen zeigt kein

klares Bild. Tiefe Schichten sind eher bei der SVP und bei den linken Parteien, wobei letztere über die

Zeit hinweg in der Einkommenstärke ihrer Wähler erlebt haben. Die SVP hat sich was Umverteilung

angeht drastisch nach rechts bewegt (von viel Umverteilung zu wenig Umverteilung). Dagegen ist die

SVP klar negativ (und über die Zeit hinweg relativ konstant) gegenüber SV eingestellt.

Abbildung 21: Wie sind die Schweizer gegenüber Umverteilung und Sozialversicherung eingestllt? Dieser Fragegeht der Artikel von Häusermann (siehe Abbildung 20) und Walter (siehe Abbildung 21, d. h. ca. 0.5 cm weiteroben) nach.

6 Wohlfahrtsstaatliche Folgen und Leistungen

6.1 Kohl: Wohlfahrtsstaatliche Regimetypen im Vergleich

Für die folgende Untersuchung wird der Index der Dekommodifizierung verwendet, d. h. die Zuord-

nung aufgrund dieser Dimension. Dabei werden dei angelsächsischen Länder dem liberalen Typus

zugeordnet, die skandinavischen (inkl. DK, aber ohne FI) sowie NL, BE und AU dem sozialdemokra-

tischen und die restlichen Länder (DE, FR, SP, CH, JP, FI) dem konservativen. Die Forschungsfrage

lautet: Unterscheiden sich die Regimetypen auch hinsichtlich ihrer Leistungen, d. h. ihrer Auswirkun-

gen auf die Gesamtgesellschaft?

Die wirtschaftspolitischen Ziele werden durch das Wirtschaftswachstum (GDP pro Kopf Wachs-

tum), die Preisstabilität (Inflationsrate) und die Vollbeschäftigung (ALQ) gemessen, die sozialpoli-

tischen durch die Einkommensungleichheit (Gini) und die Armutsquoten (40%, 50% und 60% des

durchschnittlichen Einkommens). Für letzere Dimensionen siehe auch den Aufsatz von Vogel. Ansch-

liessend geht Kohl kurz auf die Diskussion in der sozialpolitischen Forschung ein. Manche behaupten

34

Page 39: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

der sozialdemokratische WFS sei der beste, andere halten liberal für überlegen, weil am kompetitivs-

ten. Wie gut ist konservativ? Diese Fragen sollen beantwortet werden - und zwar aufgrund von Daten

auf Zeitreihenbasis (1983-1994), die ihrerseits gemittelt werden.

Zuerst schaut sich Kohl an, ob sich die Regimetypen

Abbildung 22: Jürgen Kohls Beitrag zur Wohl-

fahrtsstaatsforschung ist ein bedeutender. Er

zeigt, wie die unterschiedlichen Regime unter-

schiedlich gut performen bezüglich sozialrele-

vanten Themenbereichen, z. B. Frauenfrage und

Wohlfahrtsstaat (siehe Bild), wirtschaftspoliti-

scher Erfolg und sozialpolitische Gerechtigkeit.

in den Staats- und in den Sozialausgaben widerspie-

geln. Das tun sie. Die Staatsausgaben sind in den sozi-

aldemokratischen Typen am höchsten (über 50%) und

in den liberalen Ländern am tiefsten. In den konsera-

tiven Ländern liegen sie in der Mitte, allerdings mit der

grössten Streuung (JP und CH sehr tief, FI, DE und FR

eher hoch). „Sowohl beim sozialdemokratischen als auch

beim konservativen Regimetyp entfallen die Hälfte der

Staatsausgaben auf die Sozialausgaben - beim libera-

len Modell sind es nur 40%.“ (C. H.) Was das Wirtschafts-

wachstum angeht, sind keine Typeneffekten zu verzeich-

nen. Das Wirtschaftswachstum ist in keinem der Ty-

pen besonders hoch oder tief. Eher sorgen länderspe-

zifische Bedingungen (JP, NO, IR) für Wachstum. Die

Konjunktur wirkt sich - überraschenderweise - in al-

len Typen aus. Auch bei der Preisstabilität gilt das fürs

Wirtschaftswachstum Gesagte. Somit können wir in-

nehalten und zusammenfassen: die Typen variieren we-

nig nach wirtschaftspolitischen (Erfolgs)Zahlen. „Was

die Höhe der Inflationsraten betrifft, ist also ein deut-

licher Trend zur Konvergenz auf niedrigerem Niveau

festzustellen.“ Entgegen der Erwartung weisen die so-

zialdemokratischen Länder die niedrigsten ALQ auf, die liberalen dagegen die höchsten. Aber auch

hier gilt es die grossen regimeinternen Varianzen zu beachten.

Was die sozialpolitischen Indikatoren angeht, ist das Bild eindeutiger: Der Gini-Koeffizient liegt in

den sozialdemokratischen Ländern am tiefsten, in den liberalen am höchsten und in den konser-

vativen im Mittelfeld. Tendenziell hat die EK-Ungleichheit in den meisten Ländern seit den 1980er

Jahren zugenommen. Genau das gleiche Bild erhalten wir für die Armut (siehe dazu auch die Zusam-

menfassung zu Vogel). „Es gibt kein Lande aus dem liberalen Cluster, das in der Armuts-bekämpfung

besser abschneidet als irgendein Land aus dem sozialdemokratischen Cluster. Für den konservativen

Regimetyp liegen Armutsquoten nur für wenige Länder vor; sie liegen auf einem mittleren Niveau.“

Es würde wenig brauchen die 50% Armut aufzuheben. Ein zusätzlicher Sozialaufwand von 1% würde

genügen.

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Page 40: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

6.2 Vogel: Der europäische Welfare-Mix

Die wichtigsten Herausforderungen des WFS sind: struktureller Wandel, Globalisierung und globaler

Wettbewerb, regionale AM, demographischer Wandel und europäische Integration. „Sinkende Be-

schäftigung, mehr Dienstleistungsarbeit und flexibilisierte Arbeitsverträge fordern den WFS heraus.“

Es lassen sich verschiedene Bereiche der Sozialpolitik unterscheiden (Abb. 1.3, Seite 35): die erste

wichtigste Unterscheidung ist die zwischen staatlicher und betriebliche SP. Die staatliche SP lässt sich

weiterhin aufdröseln in arbeitsweltorientierte, gruppenorientierte, sonstige und ändere sozialpoli-

tisch besonders relevante Politikbereiche (Wettbewerbspolitik, Verbraucherpolitik, Umweltschutz-

politik). Der arbeitsweltorientierte Bereich ist sicherlich der wichtigste. Darunter fallen AN-Schutz,

alle Sozialversicherungen, AM-Politik und Betriebsverfassungs- und Unternehmensverfassungspoli-

tik.

Abbildung 23: Vogels Typologie von Sozialpolitik

Zu den gruppenorientierten Bereichen gehören Jugendpolitik, Altenhilfenpolitik, Familienpolitik, Mit-

telstandspolitik und Sozialhilfepolitik, zu den sonstigen Bereichen: Wohnungs-, Bildungs- und Vermö-

genspolitik. Zu den Zielen und Daten des Papers ein paar Worte: Ziel ist es die Frage der Ungleich-

heit nach dem Welfare-Mix zu erklären, d. h. „Kann das Niveau und die Struktur der Ungleichheit in

den Mitglieds-staaten durch den welfare mix erklärt werden [...]?“ Da Schweden ein besonders inter-

essanter Fall ist, wird ihm ein eigenes Kapitel eingeräumt. Es geht also einerseits um die komparative

Perspektive (14 EU-Länder im Vergleich) und um den Längsschnitt (SW). Als Datengrundlage die-

nen Sozialberichte, einerseits ein europäischer, andererseits der schwedische. EUROSTAT liefert die

europäischen Daten.

Zunächst werden im Unterkapitel „Wohlfahrtsstaatsregime“ die Typen der E-A Anderschen Regime-

tyologie erläutert und in ihrer Operationalisierung beschrieben (Dimensionen, Zuteilungen etc.).

„Die grundlegende Idee von WFS Regimen ist als Variation in der Verteilugn materieller Lebensbe-

dingungen oder in Effekten der Dekommodifizierung zu sehen, in Form von EK-Ungleichheit, Armut

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Page 41: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

und soziale Ausgrenzung im weitesten Sinn.“ Jedes Regime hängt mit bestimmten Cleavages zusam-

men: das liberale mit Klassencleavages, das konservative mit Insidern und Outsidern (siehe Häuser-

mann) und das sozialdemokratische mit Geschlechts- und Generation-cleavages.

Dann kommt das Arena-Konzept zur Sprache. Are-

Abbildung 24: Laut Vogel zeichnen sich die nörd-

lichen WFS durch eine grössere soziale Gleichheit

bezüglich Geschlecht und Klasse aus, die südlichen

dagegen haben bessere Vermeidung der Ungleich-

heit in der Jugend und im hohen Alter. Die Abbil-

dung hat absolut nix mit dem Thema zu tun, sieht

aber zumindest schön aus ;-)

nen sind soziale und ökonomische Umwelten, in de-

nen Ressourcen investiert und produziert werden. Die

wichtigste Arena ist der AM. Auch Beschäftigungsre-

gime sind ein hilfreiches theoretisches und empiri-

sches Konzept. Unterscheiden lassen sich ein nordi-

sches, ein angelsächsisches und ein kontinentales Mo-

dell. Zudem müssen Geschlechtsregime genannt wer-

den, wie sie z. B. von Lewis (1992) untersucht wur-

den. Hier ist sicherlich die Unterscheidung von star-

ken und schwachen Geldverdienerstaaten wichtig zu

nennen. Nun zu den eher empirisch operationalen

Abschnitten. Die Arbeitsmarktmobilisierung wird mit

der Quote der Inaktiven im Verhältnis zu den Akti-

ven im Alter von 16-84 gemessen. Je tiefer die Quo-

te, desto besser. Schweden hat die tiefste Quote, IT,

SP und GB die höchsten (mit über 100, d. h. einem

Verhältnis von grösser 1:1 Inaktive zu Aktive). SW ist

auch beim Index der weiblichen Beschäftigung (mit

5 Indikatoren) der Spitzenreiter. Negative (standar-

disierte) Werte haben L, IR, IT, SP, GR und NL. Auch

bei den Arbeitslosigkeitsrisiken ist Schweden (nega-

tiv) führend. In SP und IT ist das AL Risiko am höchs-

ten (Index mit 4 Indikatoren: AL total, LZ AL, Frauen

AL und Jugend AL). Bei Schweden fand allerdings in den 1990er ein Anstieg der AL statt. „Mit ande-

ren Worten, Schweden war plötzlich einer Verschiebung des WF Mixes ausgesetzt: Die Verantwortung

verschob sich vom AM auf den WFS.“

Die Familie stellt nicht-materielle Wohlfahrtserträge zur Verfügung, teilweise aber auch materi-

elle. „Der allmähliche Niedergang der Familie geht Hand in Hand mit der Entwicklung des WFS.“

Familie und WFS sind negativ korreliert. Wo traditionelle Familienarrangements vorherrschen ist der

WFS schwach ausgeprägt. Wiederum wird ein Index mit 5 Indikatoren gebildet (HH Grösse, % allein-

stehende Erwachsene im Alter 30-64, Erwachsene in einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft, Er-

wachsene unter 30 bei den Eltern, Erwachsene in einer erweiterten 3-Generationen Familie). Erwar-

tungsgemäss ist wieder vorne und SP, IT und PO hinten. Wie die Zusammenfassung der Ergebnisse

zeigt, clustern die Länder ziemlich klar nach der E-A Regimetypologie, was den Welfare-Mix angeht.

37

Page 42: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

7 Schluss und Synthese

Man sagt ja immer, am Schluss solle man wieder an den Anfang zurück. Das geschieht hier: Darum

noch ein paar Worte zum Titelblatt. Der Typ, den man dort sieht, ist Gösta Esping-Andersen höchst-

persönlich. Er hat mit seiner Regimetypologie diese Zusammenfassung überhaupt erst möglich ge-

macht. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken und ihm diese Zeilen widmen. Ausserdem schulde

ich zigmilliarden von anonymen Reviewern meinen Dank. Ohne sie wäre diese Zusammenstellung

zweifellos genau gleich herausgekommen - und das ist doch geil.

Abbildung 25: Regimetypologien sorgen für Übersicht und Gehalt. Nicht nur Regimetypologien schaffen das, son-dern auch Bilder (siehe oben).

Vielleicht noch ein paar schöne Zitate zum Schluss:

„If I were a dog and you a man I’d throw a stick for you.“

„I’m told the eventual downfall is just a bill from a restaurant.“

„We don’t think we’re special, Sir, we know everybody is.“

„When summer gets along your hair gets too long.“

„Bis auf weiteres ist jedoch damit zu rechnen, dass die nationale Ebene auch innerhalb Europas

weiterhin die entscheidende sozialpolitische Arena bildet.“

„I have read the right books to interpret your looks / You were knocking me down with the palm of

your eye... Go Na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na.“

„Cats walks around New York with two fillings /One is in their mouth / The other is the killing.“

Aber ich sehe, ich muss aufhören, denn die Seite geht langsam zu Ende und überziehen möchte ich

nicht.

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Page 43: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

Anhang

.1 Alternativtypologien zu Esping-Andersens drei Welten (Arts & Gelissen

2002)

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Page 44: Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten

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