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ZWISCHENTÖNE Das Generationen-Magazin
Nummer 33Februar 2015
FAUSThochschule Für Alte Und STudierende
GasthörerprogrammSommersemester 2015
Anmeldung: 02.03. bis 20.03.2015
Nehmen Sie am regulären Studienbetrieb der Hoch-schule Niederrhein teil! Studieren Sie zusammen mit den „normalen“ Studenten! Wählen Sie aus einer Vielzahl von Lehrveranstaltungen in zehn Fach-bereichen in Krefeld und Mönchengladbach!Fordern Sie kostenlos unser aktuelles Programmheft für das Sommersemester 2015 an!www.hs-niederrhein.de/fb06/faust
Mönchengladbach: mo, di, mi, 09.00 - 12.00 UhrFachbereich SozialwesenRichard-Wagner-Str. 101, Raum R 109
Krefeld: do, fr, 09.00 - 12.00 UhrHochschule NiederrheinReinarzstraße 49, Raum B 220Telefon: 02161 / 1865661 u. 1865637
2 Editorial
3 inGEdEnkEnanProf.dr.karl-auGustadams
WissEnschaft&forschunG 4 20JahreFAUST-Programm.LebenslangesLernen füreinselbstbestimmtesLeben 8 DasGedächtnis
dEnkanstössE16 VorsichtNebel
GEdichtE12 „FabulierenmitFAUST“–GedichteausderSchreibwerksatt
13 Kathrinmeditiert27 Abgelegt28 GedichtevonUdoHouben38 LICHT(gedichte)
kultur:BildunG:lEBEn14 SozialeKompetenzstattPoffertjes18 DasMagischeAuge22 Diesang-undklangloseVertonungeinesLebens
ZEit20 DasMagischeAuge//No224 CustosVeritatis36 DerLichthofinMönchengladbach
raum36 Myanmar–EinLandgeprägtvomBuddhismus
mundart40 DatschwatteKöfferke41 InmemoriamRudiSchreur41 EnneMannbruckeHobby42 EklejParadiis42 WäesBaas?43 Jadefääß
44 imPrEssum
1Inhalt
ZwischentönedasGenerationen-magazinFachbereichSozialwesen,Kompetenzzentrum„RessourcenorientierteAlter(n)sforschung(REAL)“HochschuleNiederrhein
Liebe Leserin, Lieber Leser!
Zu Neujahrvon Wilhelm Busch
Will das Glück nach seinem SinnDir was Gutes schenken,sage Dank und nimm es hinohne viel Bedenken.
Jede Gabe sei begrüßt,doch vor allen Dingen:Das, worum du dich bemühst,möge dir gelingen.
IndiesemSinnewünschenwirIhnen,IhrerFamilieundIhrenFreundeneinglückliches,gesundesunderfolgrei-chesJahr2015.
Wieimmer,wennmanaufdasvergangeneJahrzu-rückblickt,solassensichfroheundtraurigeEreignisseausmachen,dieunserLebenbegleitethaben.ImJahr2014feiertenwirdas20-jährigeJubiläumdesFAUST-Gasthörerprogramms.Mehrals100GästesindunsererEinladunggefolgtundhabensicheinenTaglangzumThema„BildungundlebenslangesLernen“anderHoch-schuleNiederrheineingefunden.MitallenSinnenhabenwirunsdiesemThemagewidmet.
NachinteressantenwissenschaftlichenBeiträgengabesdieMöglichkeitauseinergroßenVielfaltvonKreativan-gebotenauszuwählen,umdannamAbendbeimfeierli-chenAusklangdenJubiläumstaggeselligabzuschließen.WirerinnernunsandieAusstellung„Momentaufnahme–FAUSTimBild“vonMadlenBöhmoderauchandenFilmderStudierendenAlexanderBeckmann,MatthiasHegger,UrsulaHoevelerundAchaimaaKhouldimitdemTitel„Mitgeschnitten–derFilmzumFAUST-Programm“.
WirdankenIhnenandieserStellefürdieWertschätzung,dieunsdurchIhrepositivenRückmeldungenzuteilge-wordenist.
Alle,diedenFilmzumFAUST-Programmnichtgesehenhaben,erhaltenimWintersemester2015/2016zurSe-mestereröffnungnochmaldieGelegenheitdazu.AuchdieAusstellungvonMadlenBöhmistnochanzusehen.SiefindendenOrtshinweisinunseremZwischentöne-Magazin.
Siesindwiedersehrinteressiertundengagiertdenviel-fachenAufrufenderStudierendengefolgtundhabensichfürunterschiedlicheMitmachprojektebegeisternlassen,wiez.B.fürdaskulturpädagogischeProjekt„LebendigeBibliothek“,welchesimJanuar2015inderStadtbibliothekinRheydtpräsentiertwurde.AuchdafürherzlichenDank.
InsgesamtkönnenwirzufriedenaufdasvergangeneJahr2014zurückblicken.
AbschiednehmenmusstenwirvonProf.Dr.Adams,dersichsovieleJahreimFAUST-Programmengagierthat.Erverstarbam22.9.2014nachlängererKrankheit.UnerwartetundplötzlichverstarbunserlangjährigesRedaktionsmitgliedfürdenBereichMundartRudiSchreur.WirwerdenbeideinehrenvollerErinnerungbehalten.
WirwünschenIhnenKraftundZuversichtfürdasNeueJahrundfreuenunsaufeinWiedersehen.
GernemöchtenwirSiedazuermuntern,aucheinmaleinenBeitragfürZwischentönezuschreiben.VielleichthabenSiejaschoneineIdee.WirwürdenunsaufjedenFallsehrfreuen.
InderHoffnungaufvielfältigeBegegnungenimNeuenJahr2015,verbleibenwir
herzlichstSigrid Verleysdonk-Simonsund Ihr Redaktionsteam ZwischenTöne
2 EdItorIal
ProfessorAdams,deram7.4.1936inBaselgeborenwurde,warseit1971ProfessoranderHochschuleNiederrheinamFachbereichSozialwesen.Bis zuseinem65.LebensjahrhatteerdenLehrstuhl fürPhilosophieundSozialethik inne. ImRahmendesStudiumszurSozialenArbeitsetzteersichinsbeson-deremitethischenSchwerpunkteninderSozialenArbeitundreligionspsychologischenAspektenderAltenarbeitundSterbeforschungauseinander.
ErverabschiedetesichausdemregulärenLehrbetriebmitseinerAbschlussvorlesungzumThema„Rendez-vous mit dem Leben – Innere Einstellung als letzte Freiheit: Das Prinzip Selbstverantwortung in den Phasen der Lebensübergänge“.
WährendseinerTätigkeitalsProfessoranderHoch-schuleNiederrheinwarProfessorAdamsbereitsimFAUST-Gasthörerprogrammengagiert.NachseinerEmeritierungbiskurzvorseinemTodgaberimRah-mendesFAUST-ProgrammsregelmäßigVeranstaltun-genzuphilosophischenundsozialethischenThemen.
In seinenVeranstaltungenbeschäftigte er sichschwerpunktmäßigmitderFragenachdemSinndesLebens,mitderSuchenachAntwortenaufdieFragen:Warum?Wozu?Wohin?undschließlichmitderEnd-lichkeitdesLebens.
DabeihatervonjedemEinzelnenstetsgefordert,sichalsGestalterdeseigenenLebenszusehenundfürdasGelingendieVerantwortungzuübernehmen.
IneinemseinerAufsätzezumThema„Hat langesLebeneinenSinn?DiereligiöseDimensionimIndivi-duationsprozess“schreibterdazu:„JemehrEigen-ständigkeitundUnabhängigkeit indeneinzelnenPhasenerreichtwordensind,umsowenigerwerdeichdaraufachten,wiemeinUmfeldreagiertundwieessichverhält,wennichselberziel-orientiertlebe.EinGrundsatzwirdsichdabeibewahrheiten:‚IchbinnichtaufderWelt,umeuchzugefallen!‘JenseitsderIllusionenzuleben,bedeutetmehrinnereFreiheitundwachsendeUnabhängigkeiten.DiesisterlebteFreiheitundwachsendeUnabhängigkeit.Dies isterlebteFreiheitnachaußenundnachinnen.“
3In GEdEnkEn
„Ich bin nicht auf der Welt, um euch zu gefallen!“
wir trauern um Professor Dr. Karl-August Adams,
der am 22.09.2014 verstarb.VONSIGRIDVERLEySDONK-SIMONS
Am28.8.2014zum20-jährigenJubiläumdesFAUST-GasthörerprogrammsverabschiedetesichProfessorAdamsinBegleitungseinerFrauBrigitte,dieer imJulidesJahresgeheiratethatte,vonseinergroßenZuhörerschaft.ZudieserZeitwarerbereitsschwererkrankt.Wirallesindihmdankbardafür,dasserunsdieGelegenheitgegebenhat,ihmnocheinmalper-sönlichzudankenundvomihmpersönlichAbschiedzunehmen.
Am22.09.2014verstarbProfessorAdamsnachlän-gererKrankheit.AufseinenWunschfanddieBeiset-zunginderSchweizinallerStillestatt.
HerrProfessorAdamsgehörtezudenhochgeschätz-tenDozenten imFAUST-Gasthörerprogramm,erhinterlässtalsMenschundalsDenkereinegroßeLücke.Wirwerdenihnsehrvermissenundinehren-vollerErinnerungbehalten.
IchschließemitdenWortenvonProfessorAdams:
„Leben hat seinen Sinn in der eigenen Lebendigkeit, solange das Leben
vorhanden ist. Sinn ist also das Leben selbst.
Leben ist Reifung und deshalb in sich sinnvoll.“
EswarderTagderälterenSemesteranderHochschuleNiederrhein:DasGasthörerprogrammFAUSTfeierteam28.08.2014sein20-jährigesBestehen.MiteinerRingvorlesungzumWintersemester1994/95und15Gasthörerngestartet,istdasheutigeGasthörer-Programm60Seitenstarkundwirdvonrund300BildungsinteressiertenproSemestergenutzt.Insgesamthabenindenvergangenen20Jahrenmehrals3000MenschenvomBildungsprogrammFAUSTprofitiert.EsgehörtzudengrößtenGasthörerprogrammenandeutschenFachhochschulen.
betreiben“,soderemeritierteProfessor.ImRuhestandkönnemansichfragen,wasdieeigenenWünschesind,dieInteressen,dieTräume,diemannochhat.
WersichnachsolchenKriterienimAlterweiterbilde,könnedieseslebenslangeLernendannauchgenießen.UndEngelbertKerkhofffügtehinzu:„Wersichbildet,istganznahedrananeinemselbstständigen,selbstbe-stimmtenLeben.“
ProfessorMichaelBorg-Laufs,DekandesFachbereichsSozialwesen,indemdasFAUST-Gasthörerprogrammangesiedeltist,sprachvoneigenenErfahrungenmitälterenStudierendenindenLehrveranstaltungen,diedurchwegpositivsind.„Eskommtschonvor,dassdiejüngerenStudierendenbeidenWortmeldungenderälterenfürchten,jetztkommendieGeschichtenvonfrüher,aberdasistnichtso.SiepassensichdemKursanundbringensichkonstruktivein.“ProfessorMichaelBorg-LaufsistderzeitauchDirektordesKompetenzzen-trumsREAL(RessourcenorientierteAlter(n)sforschung),dasvorvierJahrenausdemForschungsschwerpunkt„KompetenzimAlterzwischenRoutineundNeubeginn“hervorgegangenist.
Lebenslanges Lernen für ein selbstbestimmtes Leben
„DieHochschulleitungunterstütztdasKonzeptvonFAUSTnachhaltig,weileszumeinendaslebenslangeLernenimHumboldtschenSinnesotreffendumsetztundweileseineganzandereKlientelanunsereHochschulebringt“,sagteHochschulpräsidentProf.Dr.Hans-HennigvonGrünberginseinemGrußwort.EswarderAuftaktzueinemlangenTagmitReden,Rückblickensowiein-teressantenAngebotenwieGedächtnistraining,einerSchreibwerkstatt,einemErzählcaféoderSeminarenzuKörperwahrnehmungenundEntspannungsübungen.Mehrals100GästenahmenanderJubiläumsveranstal-tungteil,dieunterdemMotto„BildungundlebenslangesLernenanderHochschuleNiederrhein“stand.
NichtfehlendurftedabeiProf.Dr.EngelbertKerkhoff,dermitderEtablierungdesForschungsschwerpunktes„KompetenzimAlterzwischenRoutineundNeube-ginn“vor20JahrendenGrundsteinfürdasFAUST-Gasthörerprogrammgelegthatte.ZusammenmitSigridVerleysdonk-Simons,diebisheuteLeiterindesFAUST-Programmsist,entwickelteerdasGasthörerprogrammanderHochschuleNiederrhein.VorvierJahrengingderetablierteAltersforschermitdenschönenWortenindenRuhestand,erhabedasPrivileggenossen,anderHochschuleanseinereigenenZukunftzuforschen.
AmJubiläumstagrieferdenGästenzu:„Wirkommennichtumhin,lebenslangzulernen!“AberdarausdürfekeinmitZwangverbundenes„lebenslänglichesLernen“werden.„Entscheidendist,sichmitdereigenenBiografieauseinanderzusetzen,Spurensuchebeisichselbstzu
VONCHRISTIANSONNTAG
4 wIssEnschaft & forschunG
An dieser Stelle möchten wir uns nochmals bei allen Mitwirkenden und Unterstützern bedan-ken, die es möglich gemacht haben, dass dieser Tag für uns alle unvergesslich bleibt.
Prof. Dr. Michael Borg-LaufsSigrid Verleysdonk-SimonsNicole Klösges
PRESSEREFERENTDERHOCHSCHULENIEDERRHEIN
20 Jahre FaUsT-PrOGraMM
5wIssEnschaft & forschunG
DieGrußworteundVorträgeaufdermorgendlichenEröffnungwurdendemfeierlichenunddemfachlichenAspektderVeranstaltunggleichermaßengerecht.
FürdenkulturellenundgeselligenTeilsorgtendasTRIOLEGNOunddieFAUST-TheatergruppeunterderLeitungvonHeideReinhold.
Prof. Dr. von Grünberg // Präsident hochschule niederrhein
Prof. Dr. borg-Laufs // Direktor reaL
Prof. Dr. Kerkhoff // Gründer reaL
Dipl.-Geront. Verleysdonk-simons // Geschäftsführerin reaL
Prof. Dr. Kopperschmidt // Festredner
// FotoS // Madlen BöhM
„GANZHEITLICHESGEDäCHTNISTRAINING“MITMANFREDW.FLORACK
„LIEBEUNDHASSDERMOLEKüLE“–CHEMIEMITPROF.DR.JüRGENSCHRAM
„üBERNEGERMUSIKUNDLANGHAARIGEAFFEN“–ERZäHLCAFéMIRBERNHARDBüDTS
„FABULIERENMITFAUST“–SCHREIBWERKSTATTMITZWISCHENTöNE
20 Jahre FaUsT-PrOGraMM
6 wIssEnschaft & forschunG
„BEWEGTEBILDER“MITVERONIqUEJANSEN
iMPressiOnenKreaTiVanGebOTe // FeierLicher aUsKLanG
DenNachmittagnutztendieGäste,umdievielfältigenKreativangebotezubesuchen.DerJubiläumstagendetemiteinemfeierlichenundgeselligenAusklangimSenatssaalundmitderVerabschiedungvonProf.Dr.Adams.
VordemSenatssaalinMönchengladbach(GebäudeS,3.Etage)istdieFotoausstellung„Momentaufnahme–FAUSTimBild“vonMadlenBöhmzusehen,diesiezumFAUST-JubiläummitGasthörernundDozentengestaltete.
FEIERLICHERAUSKLANGUNDVERABSCHIEDUNGVONPROF.DR.KARL-AUGUSTADAMS
// FotoS // Madlen BöhM
„EMOTICONS–GEFüHLEIMBILD“MITELISABETHLUCHESI
FotoS // Madlen BöhM
7wIssEnschaft & forschunG
Das GeDächTnis DerAlterungsprozessgehtmitvielenVeränderungeneinher.ImsubjektivenErlebensindVerände-rungenderGedächtnisleistungenamstärkstenandasAlterngebunden.1FolgendeFragenstellensichdann:InwelchenBereichenzeigensichaltersbedingteEinschränkungen?InwelchenBereichensindsiebesondersausgeprägt?Undvorallem:wieallgemeinsindsie?Dasheißt,wienormalsinddieGedächtniseinbußen,diemirauffallen,undhabenandereMenschendiegleichen„Probleme“?Esistwichtigzuwissen,inwieweitsichdasGedächtnisimAlterungsprozessverändert,dadieAngstvoreinerDemenzallgegenwärtigundoftgenugunbegründetist.AußerdementsprichtdassubjektiveErlebenoftnichtderobjektivenGedächtnisleistung.2IndiesemArtikelwirdzunächsterläutert,wieunserGedächtnisfunktioniertundwelchenormalenVeränderungenesimLaufederZeiterfährt.DesWeiterenstelltsichdieFrage,obdieseVeränderun-genhingenommenwerdenmüssenoderobesvielleichtMöglichkeitendesEntgegenwirkensgibt.
Einfachausgedrückt:SolangewireinebestimmteIn-formationimKopfverfügbarhabenundwirunsgeistigmitihrbeschäftigen,wirdsieautomatischverschlüsselt(kodiert),zumBeispieldurchAssoziationen,undan-schließendimLangzeitgedächtnisgespeichert.Außer-demwerdenimArbeitsgedächtnisInformationenausdemLangzeitgedächtnisabgerufenundverarbeitet.Dasistunteranderemwichtig,damitneuaufgenommeneInformationenmitInformationenausdemLangzeitge-dächtnisverglichenwerdenundsoandievorangegan-genenangeknüpftwerdenkönnen.
GelangenInformationenerstmalindaslangzeitgedächt-nis,bleibensiedortTagebishinzuJahrzehnten.AmbestenwerdenInformationenimLangzeitgedächtnisgespeichert,wennsievielseitigverschlüsseltsind,dasheißtesgibtvieleAssoziationenoderVergleichemitdem,waswirschonwissen.DeshalbisteszumBeispielauchmühsam,sichlangweiligeGebrauchsanweisungenzumerken,aneigeneErlebnisseerinnernwirunsdagegenmühelos.
DaimLangzeitgedächtnisdiesegroßeFülleanInforma-tionenliegt,wirdesmeistinfünfverschiedeneSystemeunterteilt:dasepisodischeGedächtnis,dassemantischeGedächtnis,dasperzeptuelleGedächtnis,dasprozedu-raleGedächtnisunddasPrimingGedächtnis.5
VONLISAWINKENS
EinfachformuliertverstehtmanunterGedächtnis,„dieFähigkeiteinesOrganismusInformationenaufzunehmen(Einprägung,Lernen),einegewisseZeitzuspeichern(Behalten,Retention)undaufspezifischeSchlüsselreizehin(Assoziationen)wiederzugeben(Reproduktion)“.3
Wichtigist,dassesnichtdas„eine“Gedächtnisgibt.EswerdenverschiedeneGedächtnisfunktionenunterschie-den,diewiederumunterschiedlich„altern“.4
DieEinteilungderGedächtnisfunktionenistnachzeitli-chenundinhaltlichenKriterienmöglich.BeiderzeitlichenEinteilungwirdmeistenszwischendemUltrakurzzeit-,demKurzzeit-,demArbeits-unddemLangzeitgedächtnisunterschieden.
Dasultrakurzzeitgedächtnis,auchsensorischesGe-dächtnisgenannt,hateinezeitlicheBegrenzungimMillisekundenbereichundbeinhaltetdieAufbereitungsensorischerEingangsinformationen.
DaskurzzeitgedächtnisumspannteinenZeitraumvonSekundenbismaximalMinutenundhältdieaufgenom-menenInformationenzurVerarbeitungverfügbar.
ZwischendemKurzzeitgedächtnisunddemLangzeitge-dächtnisistdasArbeitsgedächtniszwischengeschaltet.ImarbeitsgedächtniswerdendieaufgenommenenInformationenaktivaufrechterhaltenunddortkönnensieauchmanipuliertwerden.
Was versteht man unter Gedächtnis und wie funktioniert es?
8 wIssEnschaft & forschunG
DasepisodischeGedächtnisenthältErinnerungenanEr-eignissedereigenenLebensgeschichtemiträumlichem,zeitlichemundsituativemBezug.HieristzumBeispieldieErinnerungandenletztenUrlaubgespeichert.
DassemantischeGedächtnisistdasDepotfürallgemei-nesFaktenwissenohnepersönlichenBezug.DortwerdenSchul-undWeltkenntnissegespeichert,zumBeispieldasWissen,wasderSatzdesPythagorasbedeutet.
DurchdasperzeptuelleGedächtniswirddasErkennenvonGegenständenundObjektenaufgrundvonBe-kanntheits-oderFamiliaritätsurteilenermöglicht.Dasbedeutet,jedererkennteinAutoalsAuto,egalobeseinFiat,eineEnte,einkleinerSmartodereinRollsRoyceist.
ImprozeduralenGedächtnisfindensichdieProgrammefüreintrainierteBewegungsabläufe,wiezumBeispielFahrradfahren.
DurchdasPriming-Gedächtniskommteszueinerbesse-renWiedererkennensleistungvonzuvorwahrgenomme-nenInhaltenoderReizmusternaufgrundwenigerFrag-mente.HierunterfälltzumBeispieldasErkenneneinerzuvorgehörtenMelodieanhandwenigerTonsequenzen.6
Vorabistzusagen,dasseskeineallgemeinüberein-stimmenden„Verfallserscheinungen“beimAlterngibt.DieAlterungsprozessesindindividuellverschiedenundverlaufenbeijedemMenschenanders.7VerschiedenekognitiveFunktionenlassenmitzunehmendemAlternach,aberebenmiteinererheblicheninterindividuellenHeterogenität.8
EntscheidenderalsdieFrage,„HatsichmeinGedächtnisverschlechtert“,istdieFrage,obsichdieGedächtnisleis-tunginletzterZeitstarkverschlechterthat.DennwerzumBeispielschonimmervergesslichwarunddasauchheutenochist,hatkeineGedächtnisstörung.
FürvieleältereMenschenundauchderenAngehörigenistvorallemdieFragewichtig,obessichumaltersent-sprechendeGedächtnisbeeinträchtigungenhandeltoderumersteAusprägungeneinerDemenz.Dasheißt,esstelltsichdieFrage,abwannGedächtniseinbußenimAlterein‚normales‘AlternwiderspiegelnundabwannsieeinebeginnendeDemenzsignalisieren.DieFragelässtsichleidernichtsoeinfachbeantworten,denneinerseitsgehenGedächtnisstörungenhäufigmitanderenkognitivenEinbußeneinherwiezumBeispielAufmerksamkeitsstörungenundexekutiveDysfunktio-nenundandererseitsentwickeltsicheinedemenzielleErkrankungoftschleichendübervieleJahre.9
AlspathologischwirddasNachlassenderkognitivenFähigkeitenmeisterstangesehen,sobaldesBeeinträchti-gungenbeiderBewältigungalltäglicherLebensaufgabengibt.10
Eskannaberauchschonhilfreichseinzuwissen,welcheBeeinträchtigungenals„normal“angesehenwerden,dennderAlterungsprozessbringtnunmalnichtnurkörperlicheVeränderungenmitsich.
VieleStudienbelegen,dassesmitzunehmendemAlterauchbeihirngesundenMenschenzueinerAbnahmederGedächtnisleistungenkommt,undzwarschonabderdrittenLebensdekade.DieserProzessistlangsamaberkontinuierlich.AllerdingssindnichtalleGedächtnis-funktionengleichermaßenbetroffen,dennverschiedeneBereichekönnendurchausstabilbleibenodersichsogarmitdenJahrenverbessern.11
Wie verändern sich die beschriebenen Gedächtnis funkti onen im Alter?
Wenn ich mich nur erinnern könnte, ob ich früher ein
gutes gedächtnishatte.
9wIssEnschaft & forschunG
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QuEllEn1 vgl.Oswald/Hagen(2002)2 vgl.Oswald/Hagen(2002)3 Oswald(1977),S.3444 vgl.Oswald/Hagen(2002)5 vgl.Brand/Markowitsch(2004)6 vgl.Brand/Markowitsch(2004)7 vgl.Wolter(2013)8 vgl.Kalbe/Kessler(2009)9 vgl.Brand/Markowitsch(2004)10 vgl.Reischies/Helmchen(2002)11 vgl.Kalbe/Kessler(2009)12 vgl.Kalbe/Kessler(2009)
13 vgl.Kalbe/Kessler(2009)14 vgl.Kalbe/Kessler(2009)15 vgl.Kalbe/Kessler(2009)16 vgl.Brand/Markowitsch(2004)17 vgl.Oswald/Hagen(2002)18 vgl.Ladner-Merz(2002)19 vgl.Wolter(2013)20 vgl.Oswald/Hagen(2002)21 vgl.Oswald/Hagen(2002)
RelativrobustgegenüberdemAlterungsprozessscheinendassensorischeunddasKurzzeitgedächtniszusein.ImGegensatzdazuzeigensichMinderungenbeimArbeits-gedächtnis.HierkommenalsmöglicheUrsachenfürdieschlechterwerdendeLeistungBeeinträchtigungenderexekutivenFunktioneninFrage(z.B.Aufmerksamkeits-prozesse,AusblendungunwichtigerInformationen).12
BestimmteLeistungendesLangzeitgedächtnisseslassenebenfallsimAlternach.Hierzuzähltvorallemdasepiso-discheGedächtnis.Allerdingswirddavonausgegangen,dassessichhiereherumDefizitevonAbrufprozessenalsumSpeicherproblemehandelt,dennwerdenAbrufhilfengegeben,kommteszueinerhöherenErinnerungsleis-tung.EineMöglichkeitfürdieAbrufschwierigkeitenisteinenachlassendeInformationsverarbeitungstiefebeiälterenMenschen.DadurchwerdendieInformationenunzureichendkonsolidiertundkönnenschwierigerab-gerufenwerden.13
GanzanderssiehtesbeimsemantischenGedächtnisaus.DassemantischeGedächtniswirdalssehraltersstabilangesehen.Außerdemkannessichjenachpersönli-chemLebensstilundintellektuellerAktivitätüberdieAltersspanneerheblichvergrößern.14
InwieweitPriming,dasprozeduraleunddasperzeptuelleGedächtnisaltersbedingtenänderungenunterworfensind,istnochnichtabschließendbeurteilbar.15
ZURAUTORINLISAWINKENS,GERONTOLOGIN(B.A.)
StudiumderGerontologieanderUniversitätVechtavon2010bis2013.
Seit2013MasterstudiumderGerontologieanderFriedrich-AlexanderUniversität
Erlangen-Nürnberg.
PraktikantinanderHochschuleNiederrheinimKompetenzzentrumRessourcenorientierte
Alter(n)sforschung(REAL)amFachbereichSozialwesenvonOkt.bisDez.2014.
Insgesamtzeigtsich,dass beiAufgaben,dieunterZeitdruckbewältigtwerdenmüssen,unterLaborbedin-gungenzumBeispielineinerMinutesovieleWörterwiemöglichzueinerbestimmtenKategorie(z.B.Tiere)aufzählen,stärkerealterskorrelierteEinbußenauftretenalsbeiAufgaben,beidenenerworbeneKenntnissevonBedeutungsind,wiezumBeispieldasAbfragenvonAll-gemeinwissen.Wieweiterobenschonangedeutet,istzubeachten,dasseineVerschlechterungdesGedächtnissesnichtausschließlichaufgeminderteGedächtnisfunkti-onenzurückzuführenist.DasGedächtnisfunktioniertnichtallein,eswirdauchvonanderenkognitivenFunk-tionenbeeinflusst.DeshalbhängenGedächtnisdefizitehäufigauchmitanderenkognitivenDefizitenzusammen.DasistzumBeispieldasNachlassenderInhibitionsfähig-keit,alsoderFähigkeitunwichtigeInformationenundStörreizeauszublenden.DamitverbundenistwiederumdieFähigkeitzurSteuerungvonAufmerksamkeitspro-zessen,dasheißtwiezielgerichtetkannichmichaufeinThemakonzentrieren.16
DiesesganzeNetzwerkanFunktionenwirdbenötigt,daInformationennichtnurpassivabgespeichertwerden.SiewerdenzumBeispieldurchKodierungsvorgänge,dasheißtdasVerarbeitenvonneuenInformationen,zumBeispieldurchSchaffungvonAssoziationenoderdemVergleichmitbereitsvorhandenemWissen,um-geformtundanbereitsvorhandeneGedächtnisinhalteangeknüpft.DieKodierungsprozessebeeinflussendieEinspeicherungunddieAbrufmöglichkeitenderInfor-mationenentscheidend.17
Wie unterschiedlich empfindlich sind die Verschleißteile im Gehirn?
FortSetzung
10 wIssEnschaft & forschunG
VErWEndEtElitEraturBrand,M.;Markowitsch,H.J.(2004)frontalhirnundGedächtnisimalterIn:NeuroGeriatrie,1(1),9-20
Kalbe,E.;Kessler,J.(2009)Gerontoneuropsychologie–GrundlagenundPathologieIn:W.Sturm,M.Hermann,T.F.Münte(Hrsg.):LehrbuchderklinischenNeuropsychologie:Grundlagen,Methoden,Diagnostik,Therapie.2.überarbeiteteAuflage.Heidelberg:Spektrum.789-819
Ladner-Merz,S.(2002)diefünfsäulendeskognitiventrainingsIn:BAGSO-Nachriten,01/2002,31-32
Oswald,W.D.(1977)GedächtnisIn:HeinrichRombach(Hrsg.):WörterbuchderPädagogikindreiBänden.Freiburg:Herder.344-347
Oswald,W.D.;Hagen,B.(2002)Gedächtnistraining–auchimaltergeistigfitbleibenBAGSO-Nachrichten,01/2002,4-8
ReischiesF.M.;HelmchenH.(2002)normalesundpathologischeskognitivesalternIn:Beyreuther,K.;Einhäupl,K.M.;FörstlH.;KurzA.(Hrsg):Demenzen.GrundlagenundKlinik.Stuttgart:Thieme.1–14
Wolter,H.(2013)GutesGedächtnisimalter–WirksametätigkeitengegendasVergessen2.Auflage.Norderstedt:BooksonDemand
Können wir Gehirn und Gedächtnis bis ins hohe Alter fit halten?
11wIssEnschaft & forschunG
Und wie kann eine einfache Gedächtnis übung aussehen?
FürdieMenschen,dienunabergezieltetwastunmöch-ten,ohnedirekteinProgrammfürGedächtnistrainingzubenutzen,gibtesfolgendeeffektiveGedächtnisübung:BeimLeseneinesArtikelsausderTageszeitungwerdenzumBeispielalle„a“und„n“imTextmarkiert.DanachsolldasWichtigsteausdemArtikelinStichwortenno-tiertwerdenundamAbendsollversuchtwerden,dieseStichwortezuwiederholen.HierwerdenunteranderemdieAufmerksamkeitssteuerung,vorallemdieKonzen-trationsfähigkeitbeansprucht,dasArbeitsgedächtniswirdgefordert,dadieInformation„markierebestimmteBuchstaben“ständigaufrechterhaltenbleibenmuss.Wort-undTextverständniswerdengenutzt.Dieaufge-nommenenInformationenmüssenverarbeitetwerden,damitsiekurzeZeitspäterwiedergegebenwerdenkönnenundinsLangzeitgedächtnisvorrücken,umamAbendnocheinmalwiederholtwerdenzukönnen.DurcheinerechtkleineAufgabewerdenalsogleichmehrereGedächtnisfunktionenund-prozessebeansprucht.21
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ZeitweiligherrschtedieMeinung,mankönnenichtsgegengeistigeDefiziteimAltertun.DieErgebnissederHirnforschungderletztenJahrebelegenallerdings,dassdieskeineswegssoist.DasGehirneinesMenschenent-wickeltundverändertsicheinLebenlang.Wieessichverändertoderauchweiterentwickelt,hängtdavonab,wasderMenschdenktundwomitersichbeschäftigt.18
ZwarnehmenTeilleistungendesGedächtnissesmitdemAlteretwasab,allerdingskönnensiedurchbestimmteAktivitätenwiedergesteigertwerden.AußerdemkönnenältereMenschendurchihrestärkereGedächtniskapa-zität,diederderJüngerenmeistüberlegenist,vieleskompensieren.19
EsgibtmittlerweilezahlreicheGedächtnistrainingspro-gramme.Eswirdauchanerkannt,dasseinzelneGedächt-nisfunktioneneinerpositivenBeeinflussungzugänglichsind.InwieweiteinTrainingbestimmterFunktionenTransfereffekteermöglicht,alsoeinenNutzenfürdenAlltagaufweist,istnochnichthinreichenderforscht.Andererseitskonnteschonnachgewiesenwerden,dassinfolgeeinessystematischenLerntrainingspositiveVer-änderungenwieeineerhöhteAktivitätzwischendenNervenzellen,dieBildungneuerKontaktezwischenihnenundinsgesamteineGewichtszunahmederGehirnrindezubeobachtenwaren.20
LetztendlichisteingutesGedächtniseines,dasbenutztwird.Dasheißt,ohneregelmäßigeHerausforderungendesGehirnserschlafftdieLeistungwiebeieinemun-bewegtenMuskel.DasGedächtnisfunktioniertumsobesser,jehäufigerundjeintensiverwiresbenutzen.
ZEIT
Beim Kreativangebot der Jubiläumsveranstaltung„20JahreFAUST-Gasthörerprogramm“am28.8.2014durftenatürlichaucheineSchreibwerkstattnichtfeh-len.SiewurdevondenRedaktionsmitgliederndie-ser Zeitschrift geleitet und dauerte gerade mal60Minuten–einesehrkurzeZeit,umetwaszuPapierzubringen.
anMut . christine tanz
anmut ist leuchtendes gelbanmut sieht aus wie eine schwebende elfe im abendlichtanmut klingt wie der gesang der nachtigallanmut erinnert an den duft von süßen zitronenanmut schmeckt wie der erfrischende tropfen des Morgentauanmut: ein hauch von leichtigkeit, ein zauber im traum und erwachen
Sonne . gerta gormanns
Sommersonne wärmelass den regen oben
Wir wollen Weizen erntenalles ist nass.
Freude . helene klein
Freude ist ein zartes grünSieht aus wie ein Willkommensgruß
Freude klingt wie harfenspielFreude schmeckt nach Waffeln mit Sauerkirschen
Freude liegt auf dem Weg, man muss sich nur bücken
AberunsereTeilnehmerinnen(tatsächlichfandensichausschließlichFrauenein!)ließensichaufdiesesAben-teuerein.VollerNeugierundoffenfüralles,wasdakommenmoch-te,machtenvielevonihnenihreerstenGehversucheaufdem„ParkettdeskreativenSchreibens“.
SchreibwErkstattFABULIERENMITFAUST
eene Meene Muh . gerta gormanns
Vögel, Blumen, Kinder,Pferde, hunde, rinderbringen leben auf den hofohne tiere fänd’ ich’s doof.
12 GEdIchtE
Foto // Madlen BöhM // SchreiBWerKStatt // 20 jahre FauSt
GEDICHTE 21
haSS . angela wolff
ist blutrotsieht aus wie Soldaten auf dem Feldklingt wie ein todesschreiriecht wie aasschmeckt wie Brennnesselhass wird die Welt verändern
glücKSMoMente . angela wolff
der Blick aus dem Fensterder gang zum Meerdie Welle und gezeiten still betrachtenddie Wärme der Sonne auf meiner hautdie gedanken kommen und gehendie Welt versinkt
Freude . sieglinde jansen
ist sonnengelb-orangesieht aus wie der Sonnenaufgangklingt wie eine schöne Melodieduftet nach himbeerenschmeckt wie FruchteisFreude kann das leben lebenswerter machen
UmindiesemBildzubleiben–eskamzukeinenStürzenundVerrenkungen.VielmehrbewegtensichdieTeilneh-merinnenmiteinerspielerischenLeichtigkeitvollFreudeundmanchmalgarEleganz.EinigeKostprobenderErgeb-nissemöchtenwirIhnendeshalbhierpräsentieren.
SchreibwErkstatt
glücKSMoMente . iris dickhof
umarmungen von Menschen, die man liebtzusammen und nicht alleindas Malen eines Bildesgefühle ausdrücken und festhaltendabei sein, da sein!
kathrIn mEdItIErtvon ElkE roob
mein vogelhäuschen,selbst gezimmert undmit begrüntem dach
- winterharte sukkulenten -,war monatelang
verwaist, verschmähtvon vögeln aller art.
doch nun hateine amsel es
nicht nur als futterstelleentdeckt, sondern verbringt
täglich viele stundenunbeweglich darin
und meditiert.
sie scheint zu wissen,dass ich ihr das hausgebaut habe und sie
täglich mit dem leckerstenfutter versorge.denn wenn ich
die verandatür öffneund mich ihr nähere,bleibt sie ruhig sitzen
und erwidert meinen blick.neulich hat sie mir
verraten, welche körner sieam liebsten mag und
dass ihr name Kathrin ist.
TExT:ELKEROOB
13GEdIchtE
14 kultur : bIldunG : lEbEn
Vordenferienhabenwirvonunsererlehrerinerfah-ren,dasswirunsmitunsererstufeaneinemsoko-Projekt2beteiligenkönnen.Wermitmachenwollte,solltesicheinestelleineinerogata3,imaltersheim,indernachbarschaftshilfeoderauchineinemtierheimsuchen.WirbekamenvieleInformationenundhörten,dassdasRoteKreuzdiesesProjektunterstützt.IneinemHeft,dasausgeteiltwurde,standz.B.,wannundwielangeicharbeitendurfte.WährenddesUnterrichtsgingdasnatürlichnicht,undamWochenendedurftemandasnurmiteinerbesonderenErlaubnis,wennzumBeispieldorteinFestgefeiertwird.Wirbrauchten40StundenArbeit-mehrgehtnatürlichauch-,umeinZertifikatzubekommen.Ichdachte:DasistgutfürdieZukunftundesmachtSpaß.
Zuerstwareswichtig,eineStellezufinden.IchfandeineineinemSeniorencenterinViersen.
Ichweißnicht,wievieleStundenichbereitsgearbeitethabe,ichhabesienichtgezählt,undesmachtwirklichSpaß.Ichglaube,esgehtauchdarum,dassverschiedeneGenerationeninKontaktkommen.
IchmachemitbeiGruppenangebotenBingo,Kartenspielen,Sitzgymnastik,Singen.IchhelfebeiFesten,leistez.B.Gesellschaft,teileGetränkeausundunterhaltemichmitdenBewohnern.Dasistmanchmaletwasschwierig,ichmussdannlautersprechen.BeiderSitzgymnastikhelfeichdenMenschen,denRaumzufinden.WennjemandsichangemeldethatundkeineLusthat,kannerauchinseinemZimmerbleiben.BeimSingenhelfeichauch,schaue,oballedasind,oderholejemandenvomZimmerab.
Tom lernten wir bei Spaziergängen mit unserem Labrador kennen.
Tom isst – wie fast alle Kinder – sehr gerne Poffer tjes. Deshalb hatten wir ihn und seine Familie zu diesen kleinen holländischen Pfannkuchen eingeladen und waren sehr erstaunt zu hören, dass er an dem seit längerer Zeit geplanten Tag doch nicht kommen konnte, weil er nachmittags im Altersheim helfen musste.
statt PoffErtJEs
sozIalE komPEtEnz
VONTOM1(13JAHRE)
Soziale kompetenz
15kultur : bIldunG : lEbEn
P.STomkamdannspäterdochnoch
undhatesglücklicherweisegeschafft,einigePortionenPoffertjeszuvertilgen.
AmAnfangkannteichkeineinzigesLied.Jetztkenneich„HochaufdemgelbenWagen“.DreiodervierandereLiederkannichauchschonmitsingen.IndemAndachtsraum,wogesungenwird,stehteinKlavier.Eskommtimmerjemand,ichglaubeeinEhrenamtler,umunszubegleiten.Eshörtsichgarnichtsoschlechtan,auchwennesnichtmeineMusikist.Manchehörenauchnurzu.
IchhattemirdieArbeiteinbisschenandersvorgestellt.Ichdachte,dortsindmehrBewohner,diewenigeraktivundfitsind.Ichhabegedacht,dieMenschen,dienochfitsind,gehenehernichtinsSeni-orencenter.Eherdie,diestolpernoderHilfebrauchen.DiemeistenMenschenindiesemAltenheimsindrelativgutzuFuß,siegehenauchspazieren.SiebrauchenschonHilfe,abernichtsodringend.
VielleichtistdasProblemauch,dasssiesichnichtgutalleineumziehenkönnen.EinigeliegenwohlimBett,vielesindmitdemRollatorunterwegs,wennauchsehrlangsam.EinigehabenkeinenRollatorodersindnichtoftaufihrenZimmern.Mankriegtmit,wiedasLebenimAlterseinkönnte.ManchemöchtenbiszumSchlussinihrereigenenWohnungleben.
Fürmichistesschön,wennFremdeKomplimentemachen:„Dankeschön“,„Nettvondir“.
DenBerufalsAltenpflegeraufDauerauszuüben,istbestimmtsehranstrengend.IcharbeitehöchstenszweiStundenamStück.Schwie-rigistes,wennvondergleichenPersonimmerwiederdiegleicheFragegestelltwird,z.B.:„Wiespätistes?“,wennmandieAntwortgeradegegebenhat.Manchmallässt jemandsichauchdrei-oderviermalerklären,wofüreinBedienungsknopfvomRadiooderFernseherist,unddannfragterodersie,wennmandasZimmerwiederverlassenwill:„Kannstdumirbitteeinmalerklären,wofürderKnopfist?“.
Ichdenke,wennmannichtdenrichtigenCharakterhatundsichleichtausderRuhebringenlässt,wirdesschwierig.
1 _ _ Der vollständige name ist der redaktion bekannt.2 _ _ sOKO = soziale Kompetenz3 _ _ Ogata = Offene Ganztagsschule
0 _ _ Diese Gesprächsaufzeichnung wurde von Tom und Josée hümpel-Langen verfasst.
Soziale kompetenz
// FotoS // oBen // Mira PangKey // cc By // unten // WoMBat85, cc By-nc-Sa
Nichtalles,wasunsalshoheWissenschaft„verkauft“wird,istwirklicheineErkenntnisvonbleibendemWert.Vielesklingtgut,zu-mindestkompliziert,weilunsdieFachsprachenichtvertrautist,klopftmanaberdenInhaltab,bleibtmeistwenigübrig.Außerdemistdas,washeutealserwiesengilt,oftmorgenschonveraltet.
DieKommunikationswissenschaftlerumFrankBrett-schneidervonderUniversitätStuttgart-Hohenheimuntersuchten„CheftexteaufHauptversammlungen“undsiebewertetendieSpracheunsererManager-Elite.InderZeitungDIEWELTvom31.Mai2014fandichunterdemTitel„VorständeredenoftKauderwelsch“einenAuszugausderStudie.Klartextredennurwe-nigederTop-Manager,sofandendieWissenschaftlerheraus.BeidenHauptversammlungenwerdendenZuhörernoftMarathon-Sätzezugemutet,diekaumzuerfassensind.DerdiesjährigeRekordhalteristNorbertSteiner,ChefdesKasselerDünger-undSalzproduzen-tenK+S.Erformulierte:„In den neun zwischen der K+S Aktiengesellschaft und ihren jeweils 100-prozentigen Tochtergesellschaften geschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabfüh-rungsverträgen soll klar gestellt werden, dass der in den Verträgen bereits bislang enthaltene Verweis auf die gesetzliche Regelung zur Verlustübernahme gemäß Paragraph 302 Aktiengesetz sich stets auf die jeweils gültige Fassung dieser Vorschrift in ihrer Gesamtheit bezieht.“(51Wörter)
Allesklar?MeineKritikandenVerschachtelungsex-pertenderWirtschaftpackeichebenfallsineinenBandwurmsatz.„Mancher Vorstandsvorsitzende eines Dax-Unterneh-mens – Generaldirektor eines weltweit agierenden Konzerns – glaubt, seine Bedeutung und Führungs-qualitäten den Aktionären und Aktionärsvertretern da-durch kundtun zu müssen, dass er seine Redenschrei-ber anweist, Sätze zu formulieren, die so verschachtelt sind, dass die Zuhörer bei seinem Auftritt während der Jahreshauptversammlung nicht sofort erkennen, wie viele Nebelkerzen er wirft, um den wahren Zustand des von ihm geführten Unternehmens im verflossenen Ge-schäftsjahr zu beschönigen und die Zukunftsaussichten möglichst allgemein zu halten, damit die Gewinnaus-sichten verschleiert und die Gewinnausschüttung in Form der Dividende als großzügiges Geschenk, ohne Murren und Einwände, von den Anteilseignern ange-nommen wird.“ (96Wörter)Soweit–sogut?
VOrsichT, nebeL!
16 dEnkanstössE
Foto // laSzlo zaKariaS // cc0 PuBlic doMain
VONGERTRUDGRINS
die Wahrheit iSt eine FacKel
die durch den neBel leuchtet
claude-adrien helVétiuS (1715 - 1771)FranzöSiScher PhiloSoPh
DieBankenkrisehatgezeigt,dassauchTop-ManagerdieFolgenihrerfinanzwirtschaftlichenEntscheidun-genfürdieWeltwirtschaftnichtmehrüberblickenbzw.nichtmehrbeherrschenkonnten,obwohlsieindenHauptversammlungendieKonzernergebnissemitpositivenZahlenbelegtenundmitschwülstigenWortenschönredeten.
SeienwiraufderHut!LassenwirunsnichtblendenvonReden,diemitSchachtelsätzengespicktsind.Wernichtszuverbergenhat,kannKlartextreden.
17dEnkanstössE
das Magische
auge Von eliSe donder
ManchePassantenkauftennureineeinzigederblauenGlasperlen.DerkleineSouvenir laden in Istanbulbotnichtsanderesan:große,kleine,einfacheoderinSilbergefasste,allengemein-samwarendieFarben–vonDunkel-bisHellblauundbisinsReinweiße–unddieMusterung:konzentrischeKreise.JedefürsicheinkleinesKunstwerk.
Ich fand die Perlen so schön,dassichbeschloss,zwanzigzukaufen,ummireineHalskettezumachen.WieAugenblicktensiemichan.GernhätteichsolcheblauenAugengehabt,gernauchbraune.Meinesindgraugrün,sostehtesimPass.
18 kultur : bIldunG : lEbEn
Nazar(türk.),derböseBlick,gehtinderBefürchtungvielerBewohnerdesMittelmeerraumsvonblauenAugenaus.EineLegendeausdemOrienterzählt,dassdieheiligeFatimawegenihrereinzigartigenblauenAugenfarbemitneidischenBlickenangeschautwurde,woraufeinesihrerAugenerblindete.DamitnahmderAberglaube,durchdas„NazarBoncugu“(PerlegegendenbösenBlick)unheilbringendeneidischeBlickeabzuwenden,seinenAnfang.KleineAmulettewerdenalsSchmuckgetragen,grö-ßereinderWohnung,überderEingangstür,überderKinderwiegeoderimAutoamRückspiegelaufgehängt.InIndienwerdenböseBlicke(DishtioderNajar)durchkleineSpiegelzurückgeworfen,dieinGewändereingenähtsind.
„BlaueAugenkönnenzaubern,diekönnendiretwasantun,sagtmanbeiuns.WennsiedichzumBeispielvollerNeidanblickenundduwehrstsienichtab,könnensieSchadenanrichten.“IchprüfedieFarbeihrerAugen,dunkelbraun.SiewagteinenganzkurzenBlickinmeine.Graugrünistwohlnichtsogefährlichwiehim-melblau.NeidistimMomentauchnichtzube-fürchten.IchnestelenachdenklichanmeinenPerlenherum,dreheundschiebesie.„Dashabeichnichtgewusst“,erkläreich.„MirhabendiePerleneinfachgefallen.IchfreuemichanmeinerKette.“ErneuterBlickaufmei-nenSchmuck,aufmeineAugen,dannzurSeite.„AngstvorBlickenhabeichjetztnichtmehr“,sageichnoch.„Nichtmehr?–DannhattestduschonmalAngstvordembösenBlick?“„EinfachvorBlicken.AlsKindhatteichdieseAngst.“„Wielangewardasso?“,willsiewissen.„Lange.Ichglaube,eshatgedauert,bisicherwachsenwar.Irgendwannhabeichgemerkt,dassBlickeguttunkönnen.“„Wiehastdudasgemerkt?“„Ichhabeeseinfachmalausgehalten,ange-schautzuwerden.Unddannhabeichgewagtundgeübt,andereanzusehen.Freundlich,aufmunternd.WennichmalStresshabeoderbedrücktbin,kanndasWunderwirken.OhneWorteundohnenahebeieinanderzustehen,einAugengespräch!“Erstzögernd,danninheiteremEinvernehmentreffensichunsereBlicke.
Monatespäter inDeutschlandsprichteinetürkischeBekanntemichan:„HastduwirklichsolcheAngst?“Ichfragezurück:„Angst wovor?Wiekommstdudarauf?“SieschautaufmeinenHals;ichfasseandieKette,diesieoffensichtlichmeint.„SovielemagischeAugen“,sagtsie.„Eineinzigesgenügtdoch,umdenbösenBlickabzuwehren.“„DenbösenBlick?“,frageichzurück.„EineböseTat,diemüssteichvielleichtabwehren.DochwaskanneinBlickmirdenntun?“
19kultur : bIldunG : lEbEn
Foto // ShiVaranjan // cc By-nc
DasmagischeAuge!WeresindenreizarmenZeitenerlebthat,alsdieGerätetechnikinihrenAnfängensteckte,derbegreiftdieFaszinationmeinerErinnerung.WirwarennochnichtimBesitzeinesFernsehers,dochhattenwireinsolidesRadio,braun-poliertesNussbaumholz,dieLautsprechermitgoldfarbenerBespannungverkleidet,unteneinegeheimnisvolleSkala,daruntergelblicheTastenfürUKW,MittelwelleundLangeWelle,rechtsundlinksjeeingroßerStellknopfzurLautstärkenregulierungundzurSenderwahl.ObenrechtsschauteausdemgoldglänzendenStoffdasmagischeAugeher-aus.SchaltetemandenApparatein,sobegannesnachlängererWartezeit,ingrünlicherFarbezuleuchten.BiseinSendergenaueingestelltundgutzuhörenwar,verändertesichseinAussehen,umendlichinderoptimalenStellungstehenzubleiben.Eswarinden1950erJahren.IchmagsechsodersiebenJahrealtgewesensein.MeinSpielebegeisterterBrudermussaufdieIdeegekom-mensein,einmalimMonatabends„17und4,einheiteresRatespielmitRobertLembke“zuhören.
EigentlichwaresschonSchlafengehenszeit.DochmeinBruderholtedieGenehmigungbeiunsererMutterein,denRadiokastenaus-nahmsweiseimSchlafzimmeranzuschließen.Nichtnurdas,erschafftees,dieMutterwegvonihrerHausarbeitindieZuhörerschaftzuholen,undsolagenwirdreiimDunkelnaufdemBettundlauschtendemmunterenGeplaudervonquizmasterLembkemitseinemRateteam.
DieStimmenwarenunsschonvertraut,wirwusstensiedenNamenzuzuordnen.WiediebeteiligtenPersonenaussehenmochten,bliebderPhantasieüberlassen.UnddiehatmanalsKind!
NachderBegrüßungundVorstellungderRun-dewurdenjedesMaldieSpielregelnerklärt.EinBegriffausdemBereichderLebewesenoderderDingesolltemithöchstens21Ja/Nein-Fragenerratenwerden.EserklangzunächsteinGong,undesmeldetesichdienäselndemännliche„Geisterstimmevon17+4,dieauseinerschalldichtenKabinespricht“.DieverrietdenHörern,dieeswissenundnichtmitratenwollten,denzusuchendenBegriff.
Dabeiflackerte,sokamesmirdamalsvor,dasmagischeAugeeinwenig.Imsonststockdunk-lenZimmersahdasgespenstischundzugleichheimeligaus.DasSpielbegann.Eswurdereih-umgefragt.BekameinRatenderein„Nein“zurAntwort,sokamseinNachbarandieReihe.OftwardieRatereilustig,eswurdevielgelachtundapplaudiert.Wennesschließlichhieß:„17Fragen,noch4!“,wurdeesspannend.SchafftejemandausderRundees,denBegriffzuraten,odersiegtederjenige,derihnvorgeschlagenhatteunddafüreinebescheidenePrämiebekam?Wirfreutenunsimmer,wennZeitfürnocheineRundewarundfürnocheine…
WennLembkeundseinRateteamsichver-abschiedethatten,wurdeausgeschaltet.DasmagischeAugeerloschganzlangsam.Esglühteimmernocheinwenignach.
20 zEIt
Foto // judith // cc By-nc-Sa
das maGIschE auGE // no 2VONELISEDONDER
21zEIt
AntonsVaterstammtevoneinerderVulkaninselndesKönigreichsTongoimsüdwestlichenPazifik,seineMutterausSoluthurn,einemKantonderSchweiz.ImsogenanntenKannenbäckerland,einerGegendinderNähevonKoblenz,dieihrenNamenaufgrunddervielenTongrubenundKeramikfab-rikentrug,lerntensichseineElternkennenundlieben.HierwurdeAntonauchgeboren,undhierverbrachteerseinLeben.
DaAntonsVaterkurznachderGeburtseinesSohnesstarb,wuchsAntonalleinmitseinerMutterauf,diealsKrankenschwesternichtgenugverdiente,umihmtrotzseinerIntelligenzmehralseineVolksschul-bildungzuermöglichen.AußerunterderstetenGeldknappheitlittAntonauchdarunter,dasservonseinenKlassenkameradenwegenseinesetwasdunklerenHauttonsals„Halb-Teutone“gehänseltwurde.Ummöglichstschnellfinanziellunabhängigzusein,begannAntondirektnachseinemSchulab-schlussalsungelernterArbeiterimTonkellerderFir-maMartonsundlegtehiereinesteileKarrierehin.
SehrschnellverließerdenTonkeller,wodaseintöni-geSchaufelndesschwerenTonsihmbeinaheeinenTonarmbescherthätte,undstiegzumTontechnikerundschließlichzumTonmeisterauf,derdieEnt-scheidungenfällteundinderFirmadenTonangab,währendderChefsichungestörtseinensportlichenHobbys,TennisundMarathonlauf,widmenkonnte.
AntonwurdezumgefragtenExperteninseinemFach:ErkanntealleTonartenundwusste,dassesaufdieTonqualitätankam.ErvergriffsichnieimTon,lehnteHalbtöneundZwischentönealsMisstönederKategorieB-TonabundakzeptiertelediglichdenKammertonA,denreinenGanztonauseinergutenTonlage,derganzobenaufderTonleiterstandundohnedenschmierigenTonfilmaufderOberflächedaherkam.UndsowarenKeramikproduktederFirmaMartonsbalddafürbekannt,dasssieauseinemerstklassigenGrundtonbestanden,stattausdemmittelmäßigenUmgangston,deretlicheTon-störungenaufwies.BaldwarbsiemitdemSlogan„Martons–PerfektioninBildundTon“.
NebenderWahldesrichtigenTonsbestandAntonsAufgabedarin,Sorgedafürzutragen,dassdieFirmanietonloswar,esalsozukeinemTonausfallkam,selbstwenndieTonliefererundTonträgerSchwierigkeitenmitdemNachschubhatten.NachderTonaufnahmewurdederTonmitWasseraufbe-reitetundderTonschlammsodanninGipsformengegossen.SoentstandendieBlumentöpfeunddiespäterdurchGlasur,EngoveundBemalungkunst-vollgestaltetenübertöpfe,diedieMonotoniederlediglichgetauchtenBlumentöpfeversteckensoll-ten,sodassdieTopfpflanzensichsozusagenToninTonpräsentierenkonnten.
Die sanG- UnD KLanGLOse
22 kultur : bIldunG : lEbEn
Foto // elKayPicS // cc By-nc-nd
GEDICHTE
EswarensozusagenzweiFAUST-interneAnregungen,diezudiesemTextgeführthaben.AlsDr.TölkeinseinerVorlesungübermoderneKunsteinVexierbildvonSalvadorDalizeigte,fragteichmich,obeswohl eine Entsprechung inderDichtkunstgebe.
Wiesoein„Vexierklang“möglicher-weiseaussehenkönnte,fandichdannindemSchiller-Zitat,dasAl-bertVerleysdonkzumeiner„Stim-migenGeschichte“inderletztenAusgabederZwischenTönegesetzthatte.EsenthältzwardiebeidenWörter„Zug“und„Stimme“,die
inmeinerGeschichteeinegroßeRollespielen,aberinvölligandererBedeutung,wodurcheinegroteskeSpannungentsteht.SokamesalsozudiesemTextmitderseltsamenüberschrift„Diesang-undklanglo-seVertonungeinesLebens.“
ImTonstudioderFabriksaßendiekreativenTon-künstler,dieneueDekorefürdieübertöpfeent-warfen.NachdemBrennenließeinKlopfenmitdemFingerknöchelamTopferkennen,oberdenVorgangohneRisseüberstandenhatteunddamitstabilundwasserdichtwar.OriginaltonAnton:„DergutgebrannteTonmachtdieMusik“.TöpfemitkleinerenFehlernwurdenals2a-WareaussortiertundperGewichttonnenweisefürFlohmärkteoderPolterabendeverkauft.DerResterhieltdasEtikettderFirma„Martons’Ton-Art“undwurdedurchHolzwollegeschütztinKartonsverpacktundinalleWeltverschickt.
DieArbeitließAntonfrühaltern:SchonmitMitte40warseineHautwelk,seineHaltunggebeugtundseinHaargrauundsogelichtet,dassseineFrisureinerTonsurglichundsichjedeTönungdamitalsüberflüssigerwies.AberAntonwurdenichtmüdezubetonen,wiesehrerseineArbeitliebe.ImBrust-tonderüberzeugungverkündeteerimmerwieder:„DerguteTonistmeinLeben“.
DochdiesesLebenwurdezerstört,alsmaninApulienUnmengenvonTongrubenerschloss.DersogenannteBari-TonwarvielbilligeralsderausdemKannenbäckerlandundkonnteinItalienauchbilligerverarbeitetwerden.DieswurdevondenNiedriglöhneninAsiennochübertroffen,undbaldsankdieNachfragenachdenvergleichsweiseteurenKeramikartikelnausdemKannenbäckerland.AlsdieFinanzsituationderFa.MartonsaufsotönernenFüßenstand,dassdieLöhnederArbeiternichtmehrgesichertwaren,schlosssiewiesovieleandereFabrikenimKannenbäckerland.
Anton,dernieverheiratetgewesenwar,daihmdieplatonischeLiebezuseinerArbeitausgereichthatte,erkrankteschwerundstarbmitderheimi-schenKeramikindustrie.BeimletztenTon,derhierverarbeitetwurde,warergerademal57Jahrealt.
VerTOnUnG eines LebensVONELKEROOB
foto:eLKayPics,cc-by-nc-nd,flickr
23kultur : bIldunG : lEbEn
„Undjetzthastduesgeerbt“,murmeltSonjamiteinemsüß-saurenLächelnundbetrachtetforschenddieHaus-fassade,derenBausubstanz,zumindestaufdenerstenBlick,ganzpassabelaussieht.
„Sorechtkannichesnochgarnichtglauben“,erwidertBertundnicktnachdenklich:„WohlhabendeLeutewohn-tenhier.DieFrauwar,wennichmichrechterinnere,mitmeinerMuttersogarummehrereEckenverwandt.SiehatteneineTochter,etwasjüngeralsich.Ansiekannichmichkaumnocherinnern.Irgendwannhörtenwirnichtsmehrvonihnen.Siezogensichvölligzurück.Warum?–Ichweißesnicht.MutterwollteniedarüberredenundwichFragenimmerwiederaus.SelbstvonihremToderfuhrenwirerst,alssieschonlängstbeerdigtwaren.AuchdieTochterwirdgestorbensein.“
„AufjedenFall“,fügtSonjaan,„sonsthättemandichjakaumalsErbenauserkoren.“„Duhastrecht“,sagtBertunddrehtbehutsamdenTürschlüsselum.
WiderstrebendquietschtdieschwereHolztürindenAn-geln.MuffigeLuftundbleierneDunkelheitschlägtihnenaugenblicklichentgegen.BertgehtsofortanserstbesteFenster,ziehtdasRollohochundschütztseineAugenmiteinerHandgegendasgrelleTageslicht.
Beeindrucktblickterineinweitläufiges,sonnendurch-flutetesAnwesenmithohenBäumenundgroßemZier-fischteich.InihrerRuheaufgeschreckt,fliegenmehrereVögelpanischdavon.
„Hierlässtessichaushalten!“,rufterSonjazu.InihremGesichtstehtungläubigesStaunen.„Unddasgehörtjetztuns?“
AlsBertsichimZimmerumschaut,wagterkaumlautzusprechen.Wohinerauchblickt,überallstehenwertvolleMöbel,andenWändenhängengroßeGemälde.
„Ziemlichverstaubtistalles…lauterSpinnengewebe“,sagtSonjaundvertreibtmitderHandeinekleineSpinne,diedirektvorihrerNasebaumelt.
WährenddessenstehtBertinteressiertvoreinerkleinenGalerieandergegenüberliegendenWandmitdenPor-traitsmehrererMännerundFrauen,aufdienundirektdieeinfallendeHelligkeittrifft.Einigeblickenmild,andereernst,manchesogarstreng.DieMännertragendurch-wegsteifeKragen,dieFrauenkostbarenHalsschmuck.
„SiehtauswieeineAhnengalerie“,murmelter.DasletzteBildinderReihestichtjedochbesondershervor.SchonderRahmenunterscheidetsichvonallenanderen.NichtausdunklemMahagoniholz,sondernhellundmitsilbernenBlumenornamentenverziert,umgibterdasGemäldeeinesleichtzurSeitegeneigten,etwafünfJahrealtenMädchengesichtesmitblondenZöpfen,leuchtendblauenAugenundrosigenWangen.Esscheint,alshättederMalerhierganzbesonderenWertdaraufgelegt,einKindergesichtinallseinerunschuldigenAusstrahlungdarzustellen.WiezurBestätigungdessenfälltderBlickdesKindesnichtaufdenBetrachter,sondernaufeineblütenweißeLilie,direktnebendenkunstvollenVerzie-rungeneinerSignaturauszweiBuchstaben.
FüreinenMomenthältBertdenAteman.DasGesichtwecktErinnerungen.
„Sonja,schaumalher“,sagterzuseinerFrau.„Dasistsie…dieTochterderFamilie.Ichsehesiejetztwiederdirektvormir.MirfälltsogarihrNameein…Eleonore,ja–sohießsie.“
cUsTOs VeriTaTis
langsamfahrensonjaundBertkleinermannsdieschmalestraßeamrandederstadtentlang.BeidesindmittevierzigundseitüberzwanzigJahreneinEhepaar.„irgendwohiermussessein“,sagtBertundrecktdenkopfeinwenignachvorn.sonjasBlicketastensichderweildiestraßeentlangundbleibenaneinemdunkelgrünenschildhängen.„hausnummer55,daistes!“Etwaszurückliegend,hinterdichtenheckenundhohenkastanien-bäumenkaumzusehen,stehteindreigeschossigesPatrizierhausausdem19.Jahrhundert.„alskindwarichzweimalhierzuBesuchundweißnochgenau,dassmeineElternimmererleichtertaufatmeten,wennsieeswiederverlassenkonnten.“
VONKARL-HEINZTHIFESSEN
24 zEIt
WieeinMaler,derseinWerkbetrachtet,gehtereinenSchrittzurück.Dabeiwärenihmfastdienachträglicheingetragenen,etwasverblasstenSchriftzeichenindenEckenentgangen.SonjanimmtdasBildvonderWandundhältesinsTageslicht.
„VierBuchstabenstehenhier“,sagtsieunddrehtesinverschiedeneRichtungen,sodassjedeEckeausgeleuch-tetwird.„D-V-S-G,seltsam…wasbedeutendienur?“
„HörtsichanwieeineverschlüsselteBotschaft“,erwidertBert.„Geradeso,alswollejemandetwasüberdasKindmitteilen.“
„Aberwermachtsowas?“,überlegtSonja.„VielleichtweißderMalerjamehr.WennichseineSignaturnebenderLilierichtigdeute,sindesdieBuchstabenCundV.“
„Wirmüssenesherausfinden“,sagtBert.„DeineFreun-dinMarionistdochKunsthändlerin.SiekanndieSignaturmitSicherheitentschlüsseln.“
Der WahrheiT VerPFLichTeTWächTer Der WahrheiT
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ariStide Maillol 1861 - 1944
25zEIt
ZweiTagespäterinderKunsthandlungvonMarionTellmann:„Tutmir leid,Sonja,einenMalermitdieserSigna-turkenneichnicht.WennichmirdasgesamteWerkbetrachte,siehtessehrdanachaus,alsseienhiereinigeRätselbewusstfürdieNachweltversteckt,undichglaube,dieLösungistnichtallzuweitentfernt.“
SonjaKleinermannsrunzeltdieStirn.Inihrregtsichaugenblicklichkrimina-listischeNeugier.Dochwasistzutun?„WelcheMöglichkeitengibtesdenn,dieGeheimnissezuentschlüsseln?“,fragtsieungeduldig.
IhreFreundinbetrachtetdasBildvonallenSeiten.„Eskommtoftvor,dassversteckteAnspielungeninPortraitsaufderenRückseiteerklärtwerden“,sagtsieundschautaufdiehintereVersiegelungdesBildes.„Dazumüssteichesöffnen.Dasmacheichabernur,wennauchBertdazuseinEinverständnisgibt.ImmerhinisterderEigentümer.“
SonjaskurzeNachfrageüberSmartpho-negenügt,undihrMannerklärtspontanseineZustimmung.KurzdanachlegtMarionTellmanndasGemäldeuntereinegroßeLampeunddurchtrenntvor-sichtigSchichtfürSchichtdierückwär-tigeVersiegelung.FürSonjawerdendiespannendenSekundenzurUnendlich-keit.SiehältdenAteman,alsendlichdieRückansichtderLeinwanderscheint.
„Tatsächlich!Dastehtetwas!“Ange-strengtblinzelnbeideundentzifferndieerstenWorte.
„Custosveritatis“,murmeltSonja.„DasistLatein.Lassmichüberlegen…SovielichausmeinemfrüherenUnterrichtnochweiß,bedeutetdies»WächterderWahrheit«.“
„DieAnfangsbuchstabenpassengenauzudem,waswiraufderVorderseitefüreineSignaturhielten“,stelltMarionfest.„Interessant“,erwidertihreFreundinnachdenklich.„CundV.“
MarionTellmannnimmteineLupeundsuchtweiter.Sieahnt,dasssiederLö-sungallmählichnäherkommen.„Schauher,hierstehennochmalzweiBuchsta-ben.DaswirddiewahreSignaturdesMalerssein.“
Sonjabeugtsichherüber.Fastehrfürch-tigklingtihreStimme:„VundU.“„Ichkenneihn“,sagtMarionzuversichtlich.
„Wunderbar“,jubeltSonja.„Dannmüs-senwirihnausfindigmachen.VielleichterfahrenwirNäheresüberdasSchicksaldesKindes.WahrscheinlichkannerauchdieBedeutungderSchriftzeichenindenEckenderVorderseiteerklären.“
MarionschließtdieAugen,esfälltihrsichtlichschwerSonjasEuphoriezubremsen.„Das ist leidernichtmehrmöglich.DerMalerVictorUrbanstarbvorzweiJahren.Aberichbinmirsicher,seineFraulebtnoch.“
„MöglicherweiseweißsiejaNäheres“,haktSonjanach.„EinenVersuchistesallemalwert.“
KnappeineWochedanachstehenBertundSonjaKleinermannsvorderniedri-gen,mitRosenrankenumgebenenEin-gangstüreinesaltenFachwerkhauses.EsistfrüherNachmittagunddiewarmeSonneverbirgtsichabundzuhinterwei-ßenSommerwolken.WieeinenSchatz,verborgenuntereinemLeinentuch,trägtBertdasGemäldemitdemKinderpor-trait.Eristderfestenüberzeugung:Hierwurdeeseinstgemalt.
AufdemgroßenSchildunterderKlingelsteht immernoch,wennauchstarkverblichen,»VictorUrban-Kunstma-ler«.
NachdemKlingelzeichenschlägteinHundmehrmalslautan.KurzdanachnähernsichlangsamSchritte,dannöff-netjemanddenkleinenAusguckundeinfreundlichesGesichterscheint.„SiesinddasEhepaarKleinermanns?“,fragteineältereDame.
Bertnickt:„Wirhattenunstelefonischangekündigt.“
„TretenSieherein“,sagtdiemittelgroße,hagereFrau.SieträgteinweitesluftigesSommerkleidmitbuntenBlumen.SonjaschätztihrAlteraufetwasübersechzigJahre.
AndenFlur-undZimmerwändenhängenBilderjeglicherCouleur.„SinddasallesGemäldeIhresMannes?“,fragtBert.
„Jaja“,seufztdieFrau.„Leidernurschwerzuverkaufen.“
Bertspürt,dassihrdiesesThemaunan-genehmist.ErweistmitdemZeigefingeraufdasabgedeckteBildnisunterseinemArmundlenktdasGesprächaufdeneigentlichenAnlassihresBesuches:„WieschonamTelefonerwähnt,habenwireinigeFragenhierzu.“
VorsichtigschlägternundasTuchzu-rück.NachundnachkommtdasGesichtdesKindeszumVorschein.AlsdieFraueserkennt,reißtsiefüreinenMomentdieAugenaufundvergräbterschrockenihrGesichtinbeideHände.
Sonjaspürt,wieihrHerzsprunghaftschnellerschlägt.„KennenSiees?“
KeineAntwort!FürSekunden lastetbleiernesSchweigenimRaum.BerthatdasGefühl,alsbefindesichdieFrauineinemZwiespaltundringedamit,wiesiedieFragebeantwortensoll.SonjasiehtihnfragendanundlegtwiezumTrosteineHandaufihreSchulter.Dasscheintihrgutzutun.AllmählichkommendieAugenwiederzumVorschein.
OhnejedochdenBlickvomPortraitdesKindesabzuwendensagtsie:„Esistschonlangeher,aberichkonnteesnievergessen.DerAuftraggeberwareinFreundmeinesMannes,immergutgelauntundlebenslustig.AberdamalswirkteerwieumJahregealtert.DenTodseineseinzigenKindeskonnteereinfachnichtüberwinden.NachdemdasPortraitfertiggestelltwar,trugerselbstindenEckenvierBuchstabenein.Icherinneremichnochgenau,wieseineHändeda-beizitterten.DannübergabermeinemManneinenversiegeltenUmschlagzurAufbewahrung.öffneihnbitteerstnachmeinemTod,sagteer.“
FortSetzung
26 zEIt
„WasbedeutendieBuchstabenindenEcken?“,fragtSonjaungeduldig.
„DassageichIhnengleich.LassenSiemichzuerstnocherwähnen,dassmeinMannstattseinerüblichenSig-naturdieAnfangsbuchstabenvon»Custosveritatis«insGemäldesetzte.DieWahrheitsolltenievergessenwerden.“
SonjasAugenblitzen:„UndwasistdieWahrheit?“
DieFraugehtimRaumunruhighinundherundholtmehrmalstiefLuft:„DieBuchstabenD-V-S-GindenEckendesGemäldesbedeuten:DurchVatersSchuldgestorben.“
Bertzucktzusammen:„WelcheSchuld?“
„DasMädchenwargeradeerstfünfJahrealt.Auchichkannteesgut.EswarsogareinigeMalemitseinemVaterhierindiesemHaus.EinesTageserfuhrenwir,dassesimgroßenTeichdeselterlichenGartensumsLebenkam,weilihrVaterfürkurzeZeitunaufmerksamwarundsichablenkenließ.AlserseineTochterimWasserliegendentdeckte,warsienichtmehrzuretten.Nie-mandwollteihmdieSchuldzuschieben.AllestandenihmzurSeite,auchseineFrau,dieamUnglückstagnichtzuHausewar.DocherselbstfühltesichverantwortlichunderkrankteschwerandieserLast.Letztendlichstarberwohlauchdaran.“
WiederliegttiefeStilleimRaum.Niemandwagtees,denerstenSatzzusagen.
„EinetragischeGeschichte“,durchbrichtSonjadasSchweigen,währenddieihrgegenüberstehendeFraumitstarrenAugenwieabwesendeinenimaginärenPunktanderDeckefixiert.
„HabenSievielenDankfürIhreAuskunft“,flüstertBertundmachtAnstalten,dasZimmerzuverlassen.„IchwerdedasGemäldeinEhrenhalten.“
„WartenSienocheinenAugenblick“,sagtdieFrauundverlässtfüreinigeMinutendenRaum.Alssiewiederzurückkehrt,hältsieeinenUmschlagmitzerbrochenemSiegelinihrenHänden.
„FürSie!ErgehörtjetztIhnen.“
27GEdIchtE
die Wahrheit iSt der tod theodor Fontane
(1819 - 1898)
ende
Abgelegtvon gertrud grins
hopp und weg – nein!nicht mit mir,
nicht durch mich!Schön waren die Sachen,
modisch, neu, und
nun ist es vorbei damit?
ich schaue sie an, langeund entscheide dann,sie sorgfältig zu falten,
die alten, gut erhaltenen,zu kurzen, zu weiten, zu farbigen
Blusen, Pullover, jacken, röcke.
Wie neu, denke ich.erinnerungen erwachen
an Feste, gefühle, Begebenheiten.Muss ich mich davon trennen?
Vielleicht. Bestimmt.aber noch nicht!
sinnenfroh
mitdemgeruchdesmeeresliefichüberdendeichdiehändewarenfrei
flüchtig
flüchtigdiewolkendiewellenderstrand
flüchtigdermenschaufdemleerenstrand
nordwester
fernnahistderwinderstürmtheftig
überspringtdieflutdiesandbank
gehohnehastzügiganland
28 GEdIchtE
aufdemleuchtturm
kinderkönneneskaumerwartenplappernlachenundrennendiewendeltreppehinauf
außeratemstehensieaufderplattformundschauengebanntaufsweitemeer
derwindlieststaunenaufihrenmündernsiesindganzstill
GEDICHTE&FOTOUDOHOUBEN
29GEdIchtE
Die Reispflanzerinnen schauen erst auf, als wir neben ihnen stehen.
„Mingalaba!“ (Guten Tag!)2 „Tsche ma Geaerman nunioba.“ (Ich komme aus Deutschland.)
„Tsche ma Gertrud naamä.“ (Mein Name ist Gertrud.)Eine der jungen Frauen richtet sich auf, lächelt. „Tsche ma San Njun.“ (Ich heiße San Nyun.)
MyanMarTExTVONGERTRUDGRINSFOTOSVONGERTUD&DIETERGRINS
1 | Vielen ist der staat besser bekannt unter den alten na-
men burma (angelsächsisch) oder birma (romanisch).
2 | Dieser Gruß bedeutet wörtlich übersetzt: „Möge
segen über dich kommen“.
ein Land geprägt vom Buddhismus
1
3 | Pagoden sind sakralbauten mit einer reliquienkammer, in die man nicht hineingehen kann. statt eines Turmes besitzen sie einen glocken- oder zwiebelförmigen stupa. Die begriffe Pagode und stupa werden synonym verwendet.
Siehatmichverstanden!Ichbinerfreut.Ichhabenämlichversucht,Burmesischzusprechen.„Dtapouyeillujala.“(DürfenwirSiefotografieren?)Nunschauenallehoch,lächeln,nicken.
MeinMannDieternutztdieGunstdesAu-genblicksundmachtFotos.WirsindzuzweitmiteinemeinheimischenReiseleiterunter-wegs.DererzähltinzwischendenjungenFrauenetwasmehrvonuns.Erfordertmichaufzusagen:„Myanmalu-benedetatäe.“(IchsprechenureinwenigBurmesisch.)Dasmacheichgerne.OhneScheufügeichhinzu:„Tschmakoonaessänganetshibii.“(Ichbin75Jahrealt.)
AlteristinMyanmarkeinMakel.IchzeigeaufDieterundsage:„Dukagermàdjaudjiabá.“(EristmeinEhemann.)
DieFrauenfreuensichüberdieAbwechs-lung.Siestehenknöcheltief imWasserundsetzenmitgeschicktenBewegungenReispflanzeumReispflanzeindieErde.GanzgleichmäßiginReihenstehtdaszarteGrün.InanderenParzellengrüntderfrisch-gepflanzteReisbereitsüppig.
Wirverabschiedenundbedankenuns:„Tjej-zù-tin-badae,“(IchdankeIhnen.)BeimAbschiedheißtesdann:„Duadomää!“(AufWiedersehen!“)
ähnlichwiebeidieserBegegnunggehtesunsimVerlaufderReiseimmerwieder.EssinddieFrauen,mitdenenichzuerstKon-taktaufnehme.SpätestensbeidemSatz„IchsprechenureinwenigBurmesisch“istdasEisgebrochen.EinmalbekommeichzurAntwort:„UndichsprechenureinwenigEnglisch.“Gemeinsamlachenwirdarüber.ZumGlückdolmetschtunserReiseleiterimWeiterendasGespräch.TrotzderbritischenKolonialzeitsprechennurwenigeBurmesenEnglisch,selbstbeidenMönchensindEng-lischkenntnisseeherdieAusnahme,obwohlsiezurElitedesLandesgehören.
Maha gandha glocKe ShWedagon-Pagode
30 raum
YanGon(ranGon)DieShwedagonPagode3(GoldenePagode)beherrschtdasZentrumder5Mill.Metro-poleyangun.DorthinführtmandieBesu-cherderStadtzuerst,dahinmöchteichSieinGedankenmitnehmen.Eswirdheiß.TragenSieleichteKleidung,aberbedenkenSie:WirwerdeneinenheiligenOrtbetreten,deshalbmüssenArmeundBeinebedecktsein.
DieprachtvolleAnlagewurdeaufeinemriesigenSockelerbaut.DievierEingängewerdenvonmächtigenLöwenbewacht.WirlassenunszumSüdeingangbringen.AlsTouristenzahlenwirfürdieTageskarte8,00US$.WirziehenpflichtgemäßSchuheundStrümpfeaus,danachbringtunseinAufzugmitGläubigenausallerWeltaufdieMarmorgeflieste60.000m²großePlattform.
DerGlanzechtenGoldesnimmteinemfastdenAtem.Derformvollendete100MeterhoheShwedagonStupaistgekröntvoneinemedelsteinbesetztenSchirm,eristmitGlöckchenbehängt,indenenderWindspielt.WirgehenimUhrzeigersinnumdiesesHerzdesHeiligtums.EsistumgebenvonkleinerenStupasmitBuddha-Statuen,vonAndachtstempelnmitüberlebensgroß-enBuddha-Figuren,vonGlockentürmen,vonoffenenGebetsstätten,GebetssäulenundWunscherfüllungsstellen.InAndachtversunkeneGläubigekniendort,anderebringenBlumenmit,entzündenKerzenoderRäucherstäbchen,opfernGeldoderschenkenBlattgold.Selbstverständlichho-ckensiesichnieder,verbeugensichdreimaltief,verharren,beten.Hierschämtsichniemand,gläubigzuseinoderdiePlattformzufegen.DasistnämlichgutfürdasKarma.BuddhistenglaubenandieWiedergeburtunddaran,dasssieeinehöhereStufedes
Seinserreichenkönnen,wennsieeingutesKarmahaben.Erlöstist,werdenKreislaufderWiedergeburtenverlassendarf,uminsNirwanaeinzutreten.BuddhasLehreweistdenWegdorthin.(Knapp90%derBurmesensindBuddhisten.)NachSon-nenuntergangverabschiedenwirunsmitBedauernvondemHeiligtum,erkennend:EslässtsichbeieinemBesuchnichtwirklicherfassen.AbervieleGläubigekommennureinmalinihremLebenhierhin.Siehaben–wiewir–dasAndenkenandiesenBesuchimFotofestgehalten.
dErGoldEnEfElsEnSowiebeiunsjedeStadtihrMünsteroderihrenDomundweitereKirchenhat,hatjedeStadtMyanmarsihrePagoden,TempelundStupas.Vieledavonsindbedeutend,sindgroßundprachtvoll.Einprägenkonnteichmirleidernurwenige.DazugehörtimMonStaat,südlichvonyangon,der„Gol-deneFelsenvonKyaikhtiyo“.DensolltenSieunbedingtbesuchen,wennSienachMyanmarreisen.DerGebirgspfaddorthinist langundbeschwerlich.MittlerweilerüttelnundschüttelndichtbesetzteLast-wagendiePilger(bis42Pers.)aufsteiler,kurvenreicherStraßehinaufbisauf1800Meter.EineTortur.–FürDurchschnittseu-ropäersinddieBreiteunddieAbständederSitzbalkennichtberechnet.–TrotzdemreißtderStromderMenschennichtab.Obenangekommen,beziehenwireinenkleinenHotel-Bungalow.KurzeZeitspäterstehenwiramEingangzurPilgerstätte.BarfußwandernwirdurchdieweitläufigeAnlagezudem600TonnenschwerenGranitblock,der–derLegendenachnurvoneinemHaarBuddhasgehalten–übereinem1000mtiefenAbgrundschwebt.DerFindlingist
vergoldetundwirdvoneinerfünfMeterhohenPagodegekrönt.WirbleibenbiszumSonnenuntergangundlassendieSchönheitderLandschaftunddenGoldenenFelsenaufunswirken.Wunderbar,welchfriedlicheStimmungüberallemliegt.
mandalaY–torZumnordEnMandalay,diezweitgrößteStadtMyan-mars,liegtetwainderMittedesLandesamAyeyarwady(Irrawady)Fluss.SchönistMan-dalaynicht,abereinelebendigeStadt,inderHandwerkundHandelblühen.WennSienurdiewichtigstenSehenswürdigkeitenerkun-denwollen,solltenSiedreiTageeinplanenundaufLärmundStaubgelassenreagieren.DieMahamuni-PagodeisteinMuss.DiezentraleBuddha-StatueistsodickmitGoldbedeckt,dassvonderursprünglichenFormwenigübrigblieb.AbereswirdtäglichneuesBlattgoldgeschlagen–wirdurftendabeizusehen–,gekauftundvonMännerhandderStatueaufgedrückt.FrauendürfendenAltarraumnichtbetreten.
HändlersindandenPagodenallgegenwär-tig.IchmussanJesusdenken,dersieausdemTempelvertrieb.AberwovonsollendieMenschenleben?SiemüssendochihreFamilienernähren.WasgeschiehteigentlichmitdenSingvögeln,diesiegefangenhalten?Ichfragenach.FüreinenDollardarfmaneinerKreaturdieFreiheitschenkenundsichdabeisogarnochetwaswünschen.InMandalaykönnenSieauchdassogenanntegrößteBuchderWeltbesichtigen.In729MarmortafelnhabenSteinmetzeLebenundLehreBuddhasgemeißelt.JedeTafelstehtineinemweißenetwadreiMeterhohenStupaundistTeilderKuthodaw-Pagode.
reiSPFlanzerinnen
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31raum
lonGYiAufdemMarkthabeichStofffüreinenLongyi,dentraditionellenWickelrockderBurmesen,erworben.DieStoffbahn,90cmbreitund2mlang,nähtmirderSchneidergegenüberfüreinenDollarzueinemSchlauchzusammen.Nunmussichlernen,ihnwieeineFrauzubinden.DieVerkäuferinistmirbehilflichdabei.IchkannnurTrippelschrittedarinmachen.DieBurmesinnensindinderLage,damitFahrradzufahrenundjedeArtvonArbeitzuverrichten.WohlhabendetrageneinengesOberteilinpassenderFarbezumedlenLongyi,fürdenAlltagreichteinehelleBluseodereinShirtmitkurzenärmeln.
DieMännerdürfenihrenLongyisoknoten,dasssiegutausschreitenkönnen.Falterechts,FaltelinksundeinKnotenkommtmittenaufdenBauch.4LongyiskleidendieschlankenBurmesenausgezeichnet.DazutragensiemeistlangärmeligeHemdenundSchuhe.Nein,dassindkeineSchuhe,dassindBadelatschen.DiekannmanvorjederPagodeundjedemTempelschnellabstreifen;inKlösternundimHausgehtmanpersebarfuß.
mönchEInAmarupuranaheMandalayliegtdasMahaganda-Kloster.EsistdasgrößteKlosterMyanmars.JedenMor-genum10.15UhrversammelnsichdortdieNovizenundjungenMönchezumgemeinsamenEssen.SieordnensichmitihrenEssschaleninzweiendloslangeSchlan-geneinundwartengeduldig,bisihreSchalenmitderTagesrationgefülltwerden.WohlfühleichmichnichtindiesemPulkderSchaulustigen.Aberbeachtenswertistesschon,dasssovielejungeMännerbereitsind,nachdenRegelnBuddhaszuleben.
TraditionsgemäßsolltejederMannzweiMalimLeben>RobeundSchüssel<nehmenundmitgeschorenemHauptfüreinigeZeitimKlosterleben.DiebuddhistischeLehre,FormenderKonzentrationundStufenderMe-ditationsollenihmnahegebrachtwerden.AmfrühenMorgensiehtmandieNovizenmitihremReis-NapfdurchdieStraßeneilen,umEssenzuerbetteln.DieBurmesenspendengroßzügig.ImKlosterdienendiejungendenaltenMönchen.Dafürwerdensiekostenlosunterrich-tet.FürdiearmeDorfbevölkerungistdasoftdieeinzigeChance,ihrenSöhnenZugangzurBildungzuverschaffen.
FortSetzung
32 raum
4 | Frauen binden ihn mit einer tiefen Falte.
Die verdrehten stoff enden werden seitlich
eingesteckt.
eSSenSauSgaBe iM Mahaganda-KloSter
Buddha Sagt:eS giBt Keinen Weg zuM glücK. glücKlich Sein iSt der Weg.
shinBYufEstEineProzessionkommtausdemTempel,angeführtvonfestlichgekleidetenJungen–zwischen10bis15Jahrealt–,dieaufherausgeputztenPferdensitzen.DieFamili-enfolgeningeschmücktenOchsenkarren.DiejüngerenGeschwistersindwiePrinzenundPrinzessinnengeklei-det.SiefeierndasShinByuFest,sagtmanuns.EswirdzumEndejedesSchuljahresbegangenfürJungen,dieinsKlostereintretenwerden.SiereitenzumFestessenineinKloster.AmAbendfolgtdanndieVerwandlungderGefeierten.MitgeschorenemHauptundmitdenweißenGewändernderNovizengekleidetverabschiedensiesichvonElternundGeschwistern.
Nachdem20.LebensjahrsolltejedergläubigeBuddhisterneuteineZeitlangalsMönchleben.Wievieledazubereitsind,istschwerzusagen.AberdieZahlderMön-cheundNonneninMyanmarsollmehralseinehalbeMillionbetragen.BettelmöncheinihrenochsenblutrotenRobensindallgegenwärtig,selbstindenGroßstädten.Arbeiten,sogarimStraßenbau,isteherFrauensache.DennNonnezuwerden,istnichtsoerstrebenswert.SiesinddenMönchennichtgleichgestellt,müssenaberwiesiezölibatärleben.InrosafarbenenGewändernmitgeschorenemKopfundmeistfröhlichenGesichterngehörensieebenfallszumStraßenbild.
auch die tiere Werden Für daS Shin Byu FeSt geSchMücKt.
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33raum
FortSetzung
BaGan–tEmPElstadtindErstEPPENacheiner12-stündigenFlussfahrtaufdemIrrawadyerrei-chenwirBagan.HierwirdfürunseinTraumwahr.VorSon-nenaufgangschwebenwirimHeißluftballonüberderTempel-stadt.EsliegennochNebelschwadenaufderLandschaft.DieSpitzendergrößerenPagodenragenmystischdaraushervor.AlsdieSonneamHorizonterscheint,erstrahltdasPagodenfeldinwarmemLicht.FasziniertschaueichaufdassichwandelndeSzenarium.IchversuchewenigstensdiegrößtenTempelmitderKameraeinzufangen,abergleichzeitigmöchteichdiesenerhabenenAnblickgenießen.„Verweile,Augenblick,dubistsoschön“,töntesinmir.AberdereinstündigeAusfluggehtschonzuEnde.NachdergeglücktenLandungstoßenwireuphorischaufdiegelungeneFahrtan.
EinlandimumBruchMyanmarhat60Mill.EinwohnerundistetwadoppeltsogroßwieDeutschland.EswareinmaldieReiskammerSüdostasiens.DurchdieAbschottungdesLandeszurZeitderMilitärdiktatur(1962bis2010)istMyanmarheuteeinEntwicklungsland.DieBirmanensindmit69%diegrößteBevölkerungsgruppedesLandes.DanebengibtessiebenEthnien,dievorwiegendindenBergregionenlebenunddieumEigenständigkeitbemühtsind.SpannungenzwischendenVolksgruppenschadenderEntwicklungdesLandes.
Seit2010istMyanmareineparlamentarischeDemokratie.InderVerfassunghatsichdasMilitäreineSperrminoritätgesichert.LichtgestaltderDemokratiebewegungistAUNGSANSUUKHy,der1991derFriedensnobelpreisverliehenwurde.InzwischenhatsichdasLandgeöffnetundTourismusundWirtschaftwachsen.DieElektrifizierungerreichtdieDörfer.SolarzellenliefernStromfürPumpen,ComputerundFernsehen.
BeiunsererReiseimFebruar2014spürtenwirwederetwasvondenSpannungenzwischendenethnischenGruppennochvomEinflussdesMilitärs.Wirwarenüberrascht,dassPolizeiundMilitärimöffentlichenBildquasinichtinErscheinungtraten.AllerdingsdurftenwirnursolcheGebietebesuchen,indenenAufbegehrenundAusschreitungenderMinderheitennichtzubefürchtenwaren.
BefriedetistdasLandnochnicht,eineReisewert–immer.
Myanmarpi gu chitè !
Ich liebe Myanmar!
Sonnenuntergang in Bagan
thanaKa-PaSte alS SonnenSchutz
34 raum
DASKöNIGREICHBAGAN
ZurZeitKarlsdesGroßengabes inMyanmardasvonBirmanengegründeteKönigreichBagan.InseinerBlütezeitzwischen1050und1250entstandenTausendePagodenundTempel.AlsdieMongolen1287dasReicheroberten,zerstörtensiemutwilligvielederHeiligtümer.AnderewurdendurchErdbebenbeschädigtoderdurchdieFlutendesAyeyarwadyteilweiseweggerissen.Aufdem36km²großenTempela-realsollennochetwa3000Ruinenvorhandensein.BaganistebensobedeutsamwieAngkorWatinKambodscha.Inzwischensindvonden2230registriertenRuinen64HeiligtümerimaltenStilwiederhergestellt.BaganistnichtnurfürArchäologeneineReisewert.DerOrtselbstistklein(3000Einwohner),abersehrlebendig.DieGegendistnieder-schlagsarm,siekanndasganzeJahrüberbereistwerden.DieMenschenlebenhauptsächlichvomTourismus.ObwohlamgrößtenStromMyan-marsgelegen,istdasLandversteppt.InfoausStefanLooseTravelHandbücher:Myanmar,vonA.&M.Markand,H.Petrich,VolkerKlinkmüller
35raum
GiraffEnhalsfrauausdEmkachin-staat
shWEdaGon-PaGodEYanGon
GoldEnErfElsEnkYaikhtiYo
BallonVordErdhammaYanGYi-PaGodE
hsinBYumE-PaGodEinminGun
NachdemEndedesZweitenWeltkriegeslagendiemeistendeutschenStädteinSchuttundAsche.Zu-nächstkamesdaraufan,dieTrümmerzubeseitigen.Gleichzeitigsollteeineneue,moderneInfrastrukturentstehen.SogingmanauchinMönchengladbachdirektnachKriegsendedaran,dieschwergetroffe-nenStadtteilevomSchuttzubefreienundneuzugestalten.ImInnenstadtbereich,besondersanderHindenburgstraße,warnichtsmehrwievormals.DieHauptgeschäftsstraßesolltebreiterundgroßzügigeralszuvorausdenTrümmernerstehen.AlseinearchitektonischeNeuheit,dieweitundbreit ihresGleichensuchte,entstandkurznachderWährungsreformindenJahren1949/50eine5,50Meterbreiteundetwa75Meterlange,glasüberdachtePassage.Zielwares,denzukünftigenKonsumenteneinebequeme,wetterunabhängigeEinkaufsmög-lichkeitmitattraktivenGeschäftenzuschaffen.MangriffdamiteinenGedankenauf,denbereits45JahrezuvorderArchitektKarlBrantzkevorgeschlagenhatte.TrägerdieserAttraktionwareineAufb augemeinschaftderGrundstückbesitzer.
SoschriebdieRheinischePostam6.August1949:„Zwischen Hindenburg- und Steinmetzstraße zum Finanzamt hin hat sich aus der M.-Gladbacher Stadtplanung heraus ein Verbindungs-weg entwickelt. Er soll nach Plänen und Modellen des Rheydter Architekten L. Hinrichs zu einer Ladenpassage ausgebaut werden. Dieser Durchgang ist als Erweiterung der Hindenburgstraße und als Anziehungspunkt an die Geschäft swelt gedacht (...) Zu beiden Seiten der Passage sollen kleinere, eingeschossige Ladenbauten entstehen. Man kann insgesamt 32 Läden unterbringen. Jedes einzelne Geschäft wird eine Front von 4,50 Meter haben. Je nach Wunsch lassen sich auch zwei oder drei Läden zusammenlegen. Hinter dem Verkaufsraum wird ein weiteres Zimmer gebaut, das sich als Lager oder Büro verwenden läßt. Die Gesamtti efe des Geschäft es beträgt 11,50 m, die des Verkaufsraumes 8,25 m. Ein glasüberdachter Hofraum schließt sich nach hinten an.“
WichtigwarderAufb augemeinschaftdaraufhinzuweisen,dassessichbeidiesemProjektnichtumeinProvisorium,sondernumendgültige,ausmassivemSteinerrichteteBautenhandelt.
DiePlanungengingenzügigvoranundbaldschonerfolgtederersteSpatenstich.UmfangreicheEntschuttungs-undPlanie-rungsarbeitenwarenerforderlich,verschütteteKellermusstenfreigelegtwerden.EineweitereHerausforderungwardieüber-windungdesHöhenunterschiedesvonca.vierMeternzwischen
Hindenburg-undSteinmetzstraße.Manentschiedsich,aufdiezunächstfavorisiertenStufenzuverzichtenundwegenderbes-serenBegehbarkeiteinenleichtenAnstieginKaufzunehmen.
DiehiesigePresseriefübereinPreisausschreibendieBevölke-rungauf,einenNamenfürdiePassagezufinden.EssiegtederVorschlag»Lichthof«.IngroßenLeuchtbuchstabenprangteeramEingangsportal,alsnochvorWeihnachten1949derersteTeilfertiggestelltwurde.
AuchdazueinAuszugausderRheinischenPostvom5.Dezem-ber1949:„Am Samstagmorgen wurde der Lichthof im Rahmen einer kleinen Feierstunde seiner Besti mmung übergeben. Der Bauherr, Zimmermeister Emil Köhler, wies in einer Ansprache auf die Bedeutung der Ladenpassage hin, die in dreimonati ger Bauzeit erstellt wurde.“
ZahlreicheVertreterdesöffentlichenLebenswarenanwesend.DiezweiteHälftederLadenstraßewerdeimnächstenJahregebaut.
BesondersstolzwarendieGründeraufdasGlasdach,daseinenfreienBlickzumHimmelermöglicheunddennochgutenWet-terschutzdarstellte.
Insgesamteröffnetenandiesem3.Dezember1949zwölfGeschäf-teihreTüren.SiekamenausdenBereichenFeinkost,Bekleidung,Elektro,Buchhandel,Bäckerei,öfen,KaffeeundTabakwaren.
NachderendgültigenFertigstellung imFrühsommer1950entwickeltesichderLichthofraschzueinergernebesuchtenEinkaufspassagemitmehrmalswechselndenGeschäften.Außer-demstellteereineansprechendeundvielbenutzteVerbindungzwischenHindenburgstraßeundGründerzeitvierteldar.
DiePassageausdenJahren1949/50bliebüberdreißigJahrebestehen.AnfangderachtzigerJahrewurdenjedochdringendeRestaurierungsarbeitennotwendig,dasDachdrohteeinzustür-zen.Esgelang1982denLichthofsamtDachkonstruktionsoumzugestalten,dasszwarderursprünglicheCharaktererhaltenblieb,aberdennochdenverändertenEinkaufsgewohnheitenRechnunggetragenwurde.
ImHerbst2012kamallerdingsdasendgültigeEnde.DieBaggerrücktenan,derLichthofmusstedemneuenMönchengladbacherEinkaufscenter»Minto«weichen.VonnunanwardieältestenachdemKrieggebautevollüberdachteEinkaufspassageDeutschlandsGeschichte.
Der LichThOF
36 zEIt
in MönchengladBach
ZUr GeschichTe Der ersTen nach DeM KrieG erbaUTen GLasüberDachTen einKaUFsPassaGe DeUTschLanDs
VONKARL-HEINZTHIFESSEN
37zEIt
Bilder // StadtarchiV MönchengladBach
DIEFENSTERsiesinddunkel,diefensterfinstersindsie,verfinstertichhöredentraum,weineweineinsdunklevordemfensterichhöredentraum,lächleinshellestill,andemfenster
DERTODINVENEDIGesdampftdasmeerindieweitederstadtausdermeeresengeflüchtensieanlanddiehoffnung,dievisiongerötetdaslicht,imgewirrdersprachenleichtfüßigtanzterdaslebenneuderknabetanztdenaugenblickweißschaut
OHNETITELwirbel,glaswirbelkreisespiegelnsilbersilberwirbel,silbernewirbelandiewand
KAMELIEdudrehstdichamhorizontanhorizontenimlichtleuchtestduhell
BILDAUSLICHTIchkanndichineinBildausLichtverwandelninjedesZimmerbrenntdieGluteinHausdasHauseinBildausFlammenundindasBildeinBild
liCHt
38 GEdIchtE
LUMENDELUMINELICHTVOMLICHT
warumderaltelichthofmichdermaßenfaszinierte,wirdwohlimmereingeheimnisbleiben.waresdaswunderbarelichtandentagenderfotoaufnahmen?
dasstarkegefühlvonmelancholie,ohnmacht,destruktivitätundverlassenheit?dermorbideundzurgleichenzeitschöneanblickdeseinkaufstempels?
dasgefühlderdekadenz?fragenüberfragen
KAMELIEdudrehstdichamhorizontanhorizontenimlichtleuchtestduhell
liCHtlichtgedichte
undfotosdesmönchengladbacherlichthofeswenigetagevorseinerschließung
imjahr2012
39GEdIchtE
VOn JOsée hüMPeL-LanGen
Dat schwatte Köfferke
datschwatteköfferkewoarvanvörderkreech,widiaallüüsaitefriidenswaar.schwattVärkesle’er,nööt,mötdekkwittJaarejeni’entonverkroomdeBeschlääch,datsoachrichtischnoojetuut.JejoldehoddeminEldereet,vörjetdengemötdeneäme,wennsemömnöijemotorradopjökjinge.NuävelwoarKreech!D’rPappwoarenRußland.OnetMotorradwoarjootongerjebrait,–verste’ake.JeddesHuusmosdeenneLufschutzkellerhann.OnwennetnaitsdeSirenejinge,meschdenstöschetwaionder’ijU‘erendeNait,dannkosdenetflökkjenochend’rKellerkomme.IndiTiitkrächdatKöfferkeenangerAufjab.IndatKöfferkekoamenualdiwichtijePapiire:Ausweise,etStammbook,PapiirevamHuusonwatsenochmendenü’edichdehann,wenndäTämpelöverönnesechannetbrennejoavofensechtesaameveel.
Wisojetuutsennkoß,hodmrenossVi’edelalljesenn.DeallereschdeBombe,diemKreeschveele,wo’areendeNobberschaferafkomme.EnglischeBomberwoarenoJläbekjeschikwu‘ede,ömdäFluchhavedebomba-deere,dätöschedeöökerstrootonHäänloach,wohüütd’rNordparkesonBorussiaspelt.
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MUnDarT VOn GeOrG nOWaK
40 mundart
Gedichte in Gladbacher Mundartvon Rudi schreur
EnnemannbruckehobbyWennenneMannenRentejeet,Vöölddäsechdöckserchleäch.Ejaal,wohäochsettonsteet,HäessinnVrauwemWeäch,SodenkdannvlöcksoenneMann:„WatfangechmetmiLeäveaan?“
Wäsechvörrwerkeneteschaad,KannmetenSchöppömjonn,Dänömpsechdöck nekleeneJaad,Onhatwi’erjettedonn.HäbrengksinnVrauwJemöösonDenge,OnesbloosnochemJaadtevenge.
Sollso neMannemHuuswatdonn,SinVrauwvengkemmerjet,DannwellhänohdrJaadhinjonn,EssinnVrauwnochesonett.DovörrsteethäamMeddachwi’er,Met nePutschBlomevörrdeDüer.
Es,wailetWeärschlait,nixtedonn,Kannhäsechselvsnetlihe,DannmoddhänohdrDokterjonn,WailömdrRöggdeetwihe.Eswi’erjesonk,t’reckwenn-edann,Wi’ernohdrJaadhinlopekann.
In memoriam Rudi SchreurWir verabschieden uns von unserem lang jährigen Redaktionsmitglied Rudi Schreur.
Von Anbeginn an bis zum Jahr 2009 hat er die Rubrik Mundart betreut und mit Leben gefüllt. Die Liebe zur heimischen Mundart haben er und viele regionale Mundartautoren im Mönchengladbacher Erzählcafé und auf vielen Mundartveranstaltungen in Mönchen-gladbach an die immer zahlreiche Zuhörerschaft weitergegeben.
Neben seiner Liebe zur heimatlichen Mundart war er Naturliebhaber und begeisterter Hobby gärtner.
Rudi Schreur verstarb am 5.11.2014 im Alter von 80 Jahren.
Wir sind dankbar dafür, dass Rudi Schreur uns so viele Jahre begleitet hat und werden ihn auch über seine Geschichten und Gedichte in Gladbacher Mundart in liebevoller Erinnerung behalten.
41mundart
WäesBaas?OpdrStohlsettPitteremmer.EndrSeätelsettsinVrauw.Kömp-sebeSchmitzenetZemmer,OpdeKoutschliggdrWauwau.
DatdäHonksechdosobreedmäck,WoardemmPitteri’echtebonk.MinndsinVrauw,wovörrdäHäckmäck?O’mmStohltesettewüerjesonk.
KöößdäFexo’mmStohlsechsette!DatwüerochjoodvörrdrHonk.HämäudopdeKoutchsechsette,wüeddäRöckochdobejronk.
DondsechVrauwonHonktesame,Dannblivvhööchonschwiichmaarjeär.Dovörrbruckmerrsechnetschame,MannblivvMann.DrHonkspelltHeär!
EklejParadiisWämaarbloosensinWoenesblivv,SechopdeKoutschteleäje,DäwüddamEngnochlaamonstiiv.Dämoddsechmihbeweäje.SoenneManndeetjooddodraan,WennhäsechenneJaadschavvtaan.
DäJaadesochvörrKengerjood,DikönnedoemDenge,Metang’reaandevrescheLootSchönnspi’ele,jare,sprenge.DokömpkejAutoömdeEck,OnkenJevaaresdoversteck.
Drivvmerretensebeskebongk,Watkannmerrallversüme?DeHaupsaakes,merrblivvjesonk.DomachdäDokterküme.DiEärbeedaandevrescheLoot,HältdechopJankonmäckdechMoot.
WänieemJaadsechhatbeluurd,Wathähatselvsjetrocke,Wäni neVureltowjehuurd,Bli’evensemJröönehocke,Bejripnet,datdäJaaddöckes,VörrmennjeLüüteParadiis.
42 mundart
JadefääßEtWeärhoddjepaaßonetjingkenneWenk.LautspelldediMusikdotow.OnsesoatetesameVadder,ModderonKenkBejmSu’emerfääßemJadebow.Merrkalldemetjeddemondannko’emdöcksdiVrooch:„Watmäck-sedannsoonwijeetetdechnoch?“
Merrtro’efsechwaaldöckserävvernihoddmerrTiit,Tehüere,watdäAngereding.MaaropsoeFääßke,denkmerresetsowiit,OnvroochochnohKallaonTring.OndäEneovvAng’re,metdemmmerrjeärdronk,Däleävdenetmiheovvwoarnetmihjesonk.
DanndrenkmerrnocheenemetDrickesonJan,Ondenknochensstickumteröck,Denkaandat,watmerrmäudonallnetmihkann,Onverloete,wiitvottesetJlöck.Onluurdwi’ernohmorje,onnetmaaropdatwatwoar:„ProstVröngde!Blivvdjesonkonkommtwi’ernäxtesJoar.”
Jeetochnochensnoh’mJaadonluurdsechdataan,WischönnallesdräätonbrengkVroch.OndrMond,däkicktowondanndengk-sedodraan,EtesochnochEärbeedjenoch.OnwenndatKäuzkedannschreet,dannvälltdechwaalen:„WenndrHeärjoddnetwell,hatdatallkenneSenn!“
DieGedichteindieserAusgabederZwischentönesindRudiSchreursletztemBuch„Müerke.DieschwatteMimmonangereStöckskes“entnommenundwurdenvonihmselbstfürdieseVeröffentlichungausgewählt.DasBuchistüberdieRedaktion„Zwischentöne“zubeziehen.
zwischentöne@hs–niederrhein.deoderTel.02161/1865661Postanschrift:HochschuleNiederrheinFachbereichSozialwesenRedaktionZwischentöneRichard–Wagner-Str.10141065Mönchengladbach
Bilder in dieSeM Beitrag:jan ManKeS, 1889-1920
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IMpressuMHerausgeber:
hochschule niederrheinkompetenzzentrum „ressourcenorientierte alter(n)sforschung - rEal“sigrid verleysdonk-simons (v.i.s.d.P.)
anschrift:hochschule niederrhein, fachbereich sozialwesenredaktion Zwischentönesigrid verleysdonk-simonsrichard-wagner-str. 10141065 mönchengladbacht 02161 - 186 5637 - 5661f 02161 - [email protected]
redaktion:Elise donder, walter Elschenbroich, Gertrud Grins, Josée hümpel-langen, Georg nowak, Elke roob, karl-heinz thifessen, sigrid verleysdonk-simons
Layout:albert verleysdonktitelseite: Jan mankes
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nächster redaktionsschluss:Juni 2015
nächste ausgabe:august 2015
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zwIschEntönE : fEbruar 2015
RICHTIGSTELLUNG
EinemaufmerksamenLeserderletztenAusgabederZwischenTöneisteingravierenderDenk-bzw.RechenfehlerindemText„MeinJubiläumsjahr2014“aufgefallen:Von414v.Chr.bis2014sindesnatürlichkeine2400,sondern2428Jahre.VielenDank,Dr.Aengenheister!
Schriften des Kompetenzzentrums Ressourcenorientierte Alter(n)sforschung – REAL
Band 1Technischer Fortschritt und Neue Medien – mehr Teilhabe oder mehr Ausgrenzung für eine älter werdende Gesellschaft?ISBN 978-3-933493-32-3, 80 Seiten, 6,50 €
Band 2Das Erzählcafé. Erlebte und erzählte Geschichte(n)ISBN 978-3-933493-33-0, 180 Seiten, 9,90 €
Beide Bände sind über den Buchhandel oder direkt im FAUST-Büro erhältlich.Studierende und Gasthörer können die Bücher zum Preis von 5,00 € im FAUST-Büro (Tel.: 02161 / 1865661) erwerben.
ZwiSchENTöNEDas Generationen-MagazinFachbereich Sozialwesen, Kompetenzzentrum „Ressourcenorientierte Alter(n)sforschung (REAL)“ Hochschule Niederrhein
University of Applied Scienceshochschule Niederrhein Sozialwesen
Faculty of Applied Social Sciences
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