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© (2010) Swiss Political Science Review 16(4): 715–46

Hochschulföderalismus zwischen Kooperationszwang und Blockadegefahr:

Deutschland und die Schweiz im Vergleich

Thomas Griessen und dieTmar BraunUniversität Lausanne

In diesem Artikel werden jüngere Entwicklungen föderaler Koordinations- und Ver-flechtungsstrukturen in der Hochschulpolitik Deutschlands und der Schweiz unter-sucht. Seit rund zwanzig Jahren führen politische und funktionale Herausforderungen, beispielsweise die Anbindung nationaler Bildungspolitik an internationale Entwick-lungen im Bildungsbereich, zu Anpassungszwängen hochschulpolitischer Gover-nance-Strukturen. Beide Länder waren aber für strukturelle Reformen relativ schlecht gerüstet: Deutschland litt unter der Schwerfälligkeit seiner föderalen Entscheidungs-strukturen, während die Schweiz gerade in der Hochschulpolitik große Mühe hatte, das Handeln zwischen Bund und Kantonen zu koordinieren. In beiden Länder wurden bis ins Jahr 2006 grundlegende Reformen der Governance-Strukturen im Föderalis-mus durchgeführt. Der Artikel untersucht, inwiefern diese Reformen dazu beigetragen haben, die Schwächen in der föderalen Koordination beider Länder zu überwinden. Es wird aufgezeigt, dass sich Deutschland trotz der umfassenden Reformen nur wenig gewandelt hat, während die Schweiz institutionell deutlich verflochtener wird, aber in-stitutionelle Mechanismen etabliert hat, die möglicherweise Entscheidungsblockaden verhindern helfen.

Keywords: Higher Education Policy • Politikverflechtung • Cooperative Federalism • Multi-level Governance

Gegenstand und Fragestellung

Hochschulen1 besitzen traditionell zwei funktionale Bezüge, den zur Bil-dung und den zur Wissenschaft bzw. zur Forschung. Beide Bereiche ver-änderten sich in den letzten beiden Jahrzehnten in schnellem Tempo mit Auswirkungen auf das bisherige Selbstverständnis der Hochschulen und

1 Unter Hochschulen verstehen wir hier öffentliche und private Universitäten.

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ihrer Organisation. Knapp zusammen gefasst erwartet man heute von den Hochschulen, dass sie gleichzeitig ihr Bildungsangebot “europäisieren”, leistungs- und wettbewerbsstark werden, mehr Fördermittel akquirieren und konkurrenzfähige Forschung produzieren, aktiv an den öffentlichen Debatten über die Wissensgesellschaft teilnehmen und ihre Schnittstellen zu den Anwendern offener gestalten.

Solche Erwartungen an internationalisierte und “wettbewerbsfähige” Hochschulen, die zudem vermehrt Anliegen ihrer Umwelt aufnehmen, konnten nicht ohne eine Reorganisation der Strukturen und Prozesse auf der Leistungs- und Regelungsebene der Hochschulpolitik erfüllt werden. Eine solche Reorganisation einzuleiten, bedeutete gerade in föderal auf-gebauten Ländern eine besondere Herausforderung, weil hochschulpoli-tische Entscheidungen unter einer Vielzahl von politischen Akteuren mit fragmentierten oder verflochtenen Kompetenzen ausgehandelt werden müssen. Unter diesen Bedingungen ergibt sich ein besonders hoher Koor-dinations- und Kooperationsbedarf.

Die beiden Bundesstaaten Deutschland und Schweiz, deren hochschul-politische Reformen in diesem Artikel näher untersucht werden, haben im so genannten “kooperativen Föderalismus” jeweils eigene Zusammenar-beits- und Koordinationsstrukturen etabliert. Dabei unterscheidet sich die für Deutschland charakteristische unitarische Interessen- und Regulie-rungsstruktur fundamental von schweizerischen Verhältnissen, in denen der Schutz der Handlungsautonomie der Kantone und ihrer kulturellen Identität viel eher eine föderalistische Praxis der Dezentralisierung stützt (z.B. Braun 2003; Braun 2010; Linder 2005, 2007). Deutschland kämpft regelmässig mit Entscheidungsblockaden (“Politikverflechtungsfalle”; Scharpf et al. 1976; Scharpf 1994), während sich die Schweiz aufgrund der relativ hohen Implementationsautonomie der Kantone eher um einen einheitlichen Vollzug von Bundesgesetzen (Linder 1987) und die Einhal-tung von Harmonisierungsvereinbarungen sorgen muss.

Vor diesem Hintergrund interessiert uns, in welcher Weise beide Län-der die hochschulpolitischen Koordinationsprobleme zwischen Bund und Gliedstaaten (Länder in Deutschland; Kantone in der Schweiz) angegan-gen sind – in Deutschland das Problem der Politikverflechtungsfalle; in der Schweiz die Gefahr der Fragmentierung und mangelnden Koordination. Im Zentrum unserer Analyse stehen politische Reformen, die in beiden

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Ländern stattgefunden und teils direkt, teils indirekt die hochschulpoli-tischen Governance-Strukturen2 berührt haben:

In Deutschland wurde mit der “Föderalismusreform I” die grösste Verfassungsreform seit Bestehen der Bundesrepublik realisiert (Holtschneider und Schön 2007). Diese Reform bezog sich aller-dings nicht spezifisch auf hochschulpolitische Problemlagen. Mit der Reform sollte ganz allgemein die politische Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern verbessert werden (Scharpf 2009). Hiervon war aber auch die Hochschulpolitik betrof-fen (Boehl 2007; Münch 2008).

In der Schweiz fand ein langes und zähes Ringen um klarere Ver-fassungskompetenzen des Bundes im Bildungsbereich mit einer Volkabstimmung am 21. Mai 2006 über zehn veränderte Artikel der “Bildungsverfassung” (WBK-N 2005), die zum Teil auch die Hoch-schulen betrafen, ein vorläufiges Ende: Die neuen Kompetenzen für den Bund, der gemeinsam mit den Kantonen für den Bildungsraum und für die Hochschulpolitik zuständig wird, wurden mit einer über-wältigenden Zustimmung von 85.6% des Stimmvolkes und aller Kantone in die Verfassung aufgenommen (BBl 2006: 6725).

Auf den ersten Blick erscheint hierbei, dass entgegen der traditionellen Verflechtungstendenz Deutschland in Richtung einer Entflechtung ge-gangen ist und damit in Zukunft Entscheidungsblockaden möglicherwei-se verhindert werden können, gleichzeitig aber eine Fragmentierung der Entscheidungen droht. In der Schweiz dagegen scheint die Tendenz der Reform auf mehr Verflechtung gerichtet gewesen zu sein, womit sich die Frage stellt, ob die Schweiz nicht in Zukunft in ähnliche Entscheidungs-blockaden geraten kann wie bisher die Akteure im deutschen System. Die-sen Vermutungen wollen wir in diesem Artikel nachgehen. Mit unserer Analyse wollen wir konkret untersuchen,

inwiefern sich die unterschiedlichen Reformtendenzen in den bei-

2 Unter Governance-Strukturen verstehen wir hier solche Strukturen, in denen die Zutei-lung von Kompetenzen, Rechten, Ansprüchen und Ressourcen in Bezug auf die Regelung einer bestimmten Ressource oder eines bestimmten Policy-Bereichs erfolgt. Konkreter Gegenstand ist die institutionelle Architektur der Hochschulpolitik in der Schweiz und Deutschland, wobei wir die Strukturen der Regelungs- und der Leistungsebene berücksich-tigen (vgl. z.B. Mayntz 2008: 106–11).

1.

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den Ländern tatsächlich nachweisen lassen und

ob die neuen Governance-Strukturen in der Hochschulpolitik der beiden Länder zu den vermuteten Defiziten (Politikverflechtungs-falle in der Schweiz; Fragmentierung in Deutschland) führen kön-nen.3

Wir gehen dabei folgendermassen vor: Im nächsten Abschnitt präsentieren wir zunächst die empirischen Befunde zu den jeweiligen Verflechtungs-strukturen im Hochschulbereich vor den Reformen. Im folgenden, drit-ten, Abschnitt diskutieren wir die wichtigsten Ergebnisse der Reformen in Deutschland und dann in einem vierten Abschnitt die Reformen in der Schweiz und ihre Wirkung auf die politische Entscheidungs- und Hand-lungsfähigkeit. Zum Schluss werden die Ergebnisse zusammengefasst und mit Blick auf die Ausgangsfragen und auf weitere theoretische Debatten eingeordnet.

Hochschulpolitik zwischen Autonomie und Verflechtung: Die Situation vor den Reformen

Politikverflechtung entsteht in Bundesstaaten gewissermassen aus “funkti-onalen” Gründen der Aufgaben- und Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Gliedstaaten. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz werden im Laufe der Zeit zahlreiche Politikbereiche Gegenstand verflochtener Entscheidungskompetenzen von Bundesländern (bzw. Kantonen) und dem Bund. Politikverflechtung ergibt sich in Deutschland aus grundsätzlichen “funktionsbezogenen Interdependenzen” zwischen Gesetzgebung des Bundes und Vollzug in den Ländern sowie durch die föderalen Finanzbe-ziehungen (Scharpf 2009: 7). Gleiches gilt für die Schweiz im gestuften Gesetzesvollzug und, wenn auch weniger ausgeprägt, bei den öffentlichen Finanzen (Finanzausgleich auf Bundesebene und interkantonaler Lasten-ausgleich). In beiden Ländern bezeichnet Verflechtung also ein Struktur-

3 Wir untersuchen ausdrücklich nicht die Gründe und Motive, die zur Veränderung hoch-schulpolitischer Governance führen, obwohl diese Aspekte – natürlich – auch von hoher politikwissenschaftlicher Relevanz sind. Durch den Fokus auf die institutionell-struktu-relle Dimension (polity) des “Hochschulföderalismus” vernachlässigt unsere Analyse in gewisser Weise die Dimension der Interessenkonstellationen (politics), die den institutio-nellen Wandel erklären könnten. Hingegen scheint die inhaltliche Dimension (policy) der Hochschulpolitik immer wieder auf.

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merkmal bundesstaatlicher Governance, die aber je nach Spielart des “ko-operativen” Föderalismus unterschiedlich institutionalisiert sein kann.

Die Unterschiede ergeben sich aus grundsätzlich anderen Entschei-dungsstrukturen, die sich historisch herausgebildet haben (in der Litera-tur ist weitestgehend unbestritten, dass sich Mehrebenensysteme pfadab-hängig entwickeln, z.B. Benz et al. 2007). Deutschlands Föderalismus ist bekannt für seine Kombination von Zwangsverhandlungssystemen unter Beteiligung von Bund und Ländern, die versuchen, gemeinsame Problem-lösungen zu finden, dabei aber mit der Entscheidungsregel der Einstim-migkeit und damit mit der “Politikverflechtungsfalle” konfrontiert wer-den.4 Charakteristisch ist für Deutschland des Weiteren die enge Kopplung zwischen föderaler und parlamentarischer Entscheidungsarena, in denen inkongruente Entscheidungslogiken (Konsensus- vs. Mehrheitsdemokra-tie) vorherrschen und zu einem “Strukturbruch” beitragen (Lehmbruch 1998).5 Zu berücksichtigen sind ferner die herausragende Rolle des Bun-desverfassungsgerichtes als Streitschlichter zwischen föderalen Akteuren, was es allen Akteuren erlaubt, einmal erreichte Vereinbarungen nachträg-lich wieder anzuzweifeln, sowie die unitarische politische Kultur, die den Spielraum für regionale Abweichungen im Policy-Output einengt (Braun 2003; Lehmbruch 2002).

Die Schweiz dagegen kennt zwar vielfältige formelle und informelle Zusammenarbeitsformen zwischen Bund und Kantonen, diese unterliegen aber prinzipiell nicht der Logik der Politikverflechtungsfalle, weil keine formellen Mitentscheidungsverfahren bestehen (Linder 2005). Es kommt zu keinem Strukturbruch zwischen föderaler und parlamentarischer Are-

4 In der Zwangsverhandlung / Politikverflechtungsfalle sind inhaltlich nur noch Ent-scheide möglich, die dem “kleinsten gemeinsamen Nenner” der Interessen aller Beteiligten entsprechen – vorausgesetzt, die beteiligten Akteure lassen sich in den Verhandlungen aus-schliesslich von ihren Eigeninteressen leiten. Falls keine Einigung zustande kommt, besteht weiterhin der Status Quo fort, da keine der beteiligten Parteien selber entscheiden oder einseitig handeln kann. Die Handlungsfähigkeit der Akteure in Zwangsverhandlungen wird beschränkt, was sich negativ auf die, normativ erwartete, Problemlösungsfähigkeit und Effektivität föderaler Koordination und Kooperation auswirken kann (Scharpf 2009: 30). Solche Konstellationen sind in Deutschland in verschiedenen Kontexten zu beobachten – gerade auch im Bereich der Hochschul- und Wissenschaftspolitik (Gemeinschaftsaufga-ben (GA) nach Art. 91a und 91b GG; beispielhaft zur GA Hochschulbau: Wiesner 2006). 5 Bisweilen wird dies als eine Art Verflechtung zweiter Ordnung verstanden (Benz 2003: 206; auch Benz 1998). Wenn wir von Politikverflechtung sprechen, beziehen wir uns aber auf die vertikale Zusammenarbeit von Bund und Ländern und auf die horizontale Zusam-menarbeit zwischen den Ländern (Scharpf 1994: 25).

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na, da in beiden das Prinzip der Aushandlung vorherrscht (Armingeon 2000: 125; von Beyme 2003: 249) und ausserdem die Kantonsregierungen nicht das gleiche Mitspracherecht im Bundesparlament besitzen wie die Regierungen der deutschen Länder (Vatter 2006). Das Bundesgericht hat aufgrund der dominanten Stellung des Parlaments kaum Vetomacht und seine Anrufung bei föderalen Konflikten soll nach der Verfassung (Art. 44, Abs. 3) möglichst vermieden werden. Dafür müssen aber alle föderalen Akteure mit Referenden als Vetopositionen rechnen und sie darum – über die Herstellung von Elitenkonsens – verhindern; schliesslich dominieren politisch-kulturell eher dezentrale Lösungen und man orientiert sich am Wert regionaler Unterschiede (Braun 2003). Dies hat dazu beigetragen, dass horizontale Selbstkoordination der Kantone einer Koordination mit dem Bund vorgezogen wird, was durch eine unüberschaubare Zahl an interkantonalen Kooperations- und Koordinationsvereinbarungen belegt wird (Linder 2007; Schenkel und Serdült 2002; Vatter 2002).

Auffälligerweise wird allerdings nun die Bildungspolitik und auch der weiter gefasste Hochschulbereich ursprünglich gerade nicht als typischer Verflechtungsbereich im Föderalismus beider Länder angesehen (Criblez 2009; Münch 2008). Tatsächlich ist die Bildungspolitik einer der Bereiche, in denen die Gliedstaaten ihre Zuständigkeiten kaum preisgeben, weil sie als wichtiger Kern kultureller Identität angesehen wird (verfassungsrecht-lich geschützte Kulturhoheit der Bundesländer bzw. Bildungshoheit der Kantone). Erst seit rund einem Jahrzehnt beginnt sich dies zu ändern, ins-besondere durch die wichtiger werdenden internationalen Einflüsse auf den Bildungsbereich (Criblez 2009; Wolf 2008).

In der Schweiz wurde schon kurz nach der Gründung des Bundes-staates in einer hochschulpolitischen Grundsatzdebatte entschieden, dem Bund keine Steuerungs- oder Finanzierungskompetenz bei den kantonalen Hochschulen zuzugestehen, ihm aber im technischen Bereich, der damals von den kantonalen Universitäten nicht wahrgenommen wurde, eine ei-gene Hochschule zu gestatten6 (Benninghoff und Leresche 2003). Daraus entstand ein Nebeneinander von Bundes- und Kantonsuniversitäten – eine Konstellation, die es in Deutschland so nicht gibt. In beiden Ländern fand aber dann Ende der 1960er Jahre aufgrund erhöhter Ansprüche an das Bildungswesen, verbunden mit einer steigenden Zahl von Hochschulbe-

6 Das damalige Eidgenössische Polytechnikum in Zürich, die heutige ETHZ (Eidgenös-sische Technische Hochschule Zürich), seit 1968 führt der Bund eine zweite Technische Hochschule in Lausanne, die EPFL (Ecole Polytechnique Fédérale Lausanne).

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werbern, ein Prozess der zunehmenden Einbeziehung des Bundes in die Hochschulpolitik statt: In Deutschland im Zuge der Verfassungsreform von 1969, die das Steuerungssystem von Bildung und Wissenschaft größ-tenteils als Gemeinschaftsaufgabe definierte und institutionelle Verflech-tung als Grundstruktur politischen Handelns in diesen Bereichen festlegte. Zudem erhielt der Bund mit dem Hochschulrahmengesetz das Recht, tief in die Regulierungskompetenz der Länder einzugreifen. In der Schweiz aber erhielt der Bund aufgrund zweier Niederlagen in Volksabstimmungen während der 1970er Jahre7 keine neuen Zuständigkeiten, im Bildungsbe-reich tätig zu werden, dagegen aber wohl im Forschungsbereich (Benning-hoff und Leresche 2003; WBK-N 2005). In der Folge richtete der Bund bis Ende der 1990er Jahre auf der bestehenden, schwachen Verfassungs-grundlage im Rahmen des seit 1968 bestehenden Bundesgesetzes über die Förderung der Hochschulen pragmatisch finanzielle Hilfen an die Univer-sitäten aus und hatte keine rechtliche Möglichkeiten, auch inhaltlich Hoch-schulpolitik zu betreiben.

Die unterschiedliche Ausgangslage beider Länder auf der Ebene des Bundes zeigt sich auch darin, dass es ab den 1970er Jahren in der Bundes-republik je einen Bundesminister für Bildung und für Forschung und Tech-nologie gab, die Schweiz die Wissenschaftspolitik im Eidgenössischen De-partement des Inneren (EDI) aber erst in den 1990er Jahren aufwertete, indem ein Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung ernannt wurde (Braun et al. 2007).

Wie lässt sich nun die föderale Governance-Struktur in Bildung und Wissenschaft vor den grossen Reformen im neuen Jahrtausend charakteri-sieren? Welche Verflechtungsstrukturen wurden etabliert?

Die folgende Tabelle gibt eine summarische Übersicht über die hoch-schulpolitischen Governance-Strukturen beider Länder vor den Reformen. Dabei unterteilen wir in die Verflechtungsdimension in “horizontale Ver-flechtung” sowie “vertikale Verflechtung” und zweite in die Regelungsge-genstände der “Hochschulfinanzen” und der “Hochschulregulierung”. Eine weitere Unterscheidung betrifft die Konstellation der beteiligten Akteure, inklusive der generellen Konfliktstruktur im jeweiligen Bereich (Deutsch-land: D und Schweiz: CH).

Im Bereich der horizontalen Koordination gab es zwei wichtige Un-terschiede in der Wirkungsweise von deutscher Kultusministerkonferenz

7 Ablehnung des Verfassungsartikel zur Schulkoordination im März 1973, Referendum gegen Bundesgesetz über Hochschul- und Forschungsförderung 1978.

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(KMK) und schweizerischer Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK): Zum einen spielte die parteipolitische Dimension in Deutschland eine grosse Rolle bei den Diskussionen in der KMK, während diese parteipolitische Dimension durch die besondere Regierungsform von “großen Koalitionen” (Mehrparteienregierungen) auf Kantonsebene kaum von Bedeutung für Diskussionen in der EDK gewesen ist. Hinzu kam, dass Entscheidungen in der EDK (qualifizierte) Mehrheiten, in der KMK aber Einstimmigkeit erforderten. Allerdings sollte man diesen Unterschied nicht zu schwer ge-wichten, da auch in der EDK wenn möglich versucht wurde, einen Kon-sens herzustellen. In der KMK bedeutete dies aber im Zusammenhang mit häufiger parteipolitischer Politisierung, dass gemeinsame verbindliche Entscheidungen kaum zustande kommen konnten.

Die Hochschulfinanzierung sollte in beiden Ländern grundsätzlich über die eigenen Einnahmen der Gliedstaaten erfolgen. Dies war aber wie ge-zeigt seit Mitte der 1960er Jahre nicht mehr möglich. Deutschland nahm daraufhin in der föderalen Neuordnung von 1969 eine Gemeinschaftsauf-gabe “Hochschulbau” auf, in der die Akteure beider Staatsebenen gemein-sam über den Einsatz der Bundesgelder entschieden. Mit dem hohen Zeit-druck – jedes Jahr musste der Einsatz neu verabschiedet werden – gelang dies auch meistens, allerdings wurden dann die abnehmenden Zuschüsse des Bundes in Folge von Sparmassnahmen ein Problem und diese Art der Mitfinanzierung verlor immer mehr ihren eigentlichen Zweck, was ge-wissermassen zu einer Selbstauflösung des Verhandlungssystems führte (Wiesner 2006). Ansonsten konnte der Bund – wie auch in der Schweiz – Sonderprogramme der Hochschulfinanzierung verabschieden, ohne dass die Länder hier zustimmen mussten. In der Schweiz gab es zwar immer wieder informelle Gespräche zwischen Bund und Kantonen über die Fi-nanzierungsprobleme der kantonalen Universitäten – vor allem im Rah-men der Schweizer Hochschulkonferenz (SHK). Das Bundesparlament entschied aber auf der Grundlage des Hochschulförderungsgesetzes alleine wie viel und unter welchen Bedingungen der Bund Gelder hinzuschiessen wollte. Dies war für die Kantone eine unbefriedigende Situation, da die Gefahr von Kürzungen wie in Deutschland immer bestand. Die Kantone gingen diese Finanzierungsprobleme anfangs der 1980er-Jahre selber an, indem sie untereinander vereinbarten (interkantonale Universitätsverein-barung), dass jeder Kanton für seine Studierenden einen Beitrag an die empfangende Universität bzw. den jeweiligen Sitzkanton ausrichtet. An dieser Vereinbarung waren (und sind) alle Kantone beteiligt und für jede Änderung musste die EDK einen Konsens herstellen – die reale Abhän-

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gigkeit der Kantone untereinander half dabei; die Sitzkantone der Hoch-schulen bleiben auf die Beiträge angewiesen, die Kantone ohne Hochschu-len auf die Angebote höherer Bildungsgänge in den Hochschulkantonen. Grundsätzlich aber war die Finanzierungssituation der Hochschulen in beiden Ländern nicht nachhaltig geregelt und gab immer wieder Anlass zu Diskussionen. Trotzdem zeigte sich auch in diesem Bereich das Muster der formalen Verflechtung in Deutschland sowie einer möglichen Politikver-flechtungsfalle und der eher informellen Verflechtung in der Schweiz mit weitgehend geteilter Kompetenz des Bundes und der Kantone.

In der Hochschulregulierung besass der deutsche Bund eine deutlich einflussreichere Rolle als der Schweizer Bund. Dies lag aber in diesem Fall weniger an den unterschiedlichen föderalen “Kulturen”, sondern, wie oben erwähnt, an der Direktdemokratie in der Schweiz (das Volk verhin-derte zweimal die Verankerung von bildungspolitischen Kompetenzen des Bundes in der Verfassung). Daraufhin musste es im Hinblick auf Regulie-rung und Planung der Hochschulentwicklung bei freiwilliger Koordination bleiben. Sowohl der Schweizer Wissenschaftsrat – in dem es Bundes- und Gliedstaatenvertreter gab wie in Deutschland – wie auch die SHK waren solche Foren des gegenseitigen Informationsaustausches. Der Bund regelte in der Schweiz einzig den Übertritt vom Gymnasium an die Hochschulen, indem er in den eidgenössischen Maturitätsreglementen entsprechende Vorgaben festhielt – dem Bund war eine eigentliche hochschulpolitische Gestaltung lange nicht möglich. Dies war anders in Deutschland, wo die Bund-Länder-Kommission (BLK) als Bildungsplanungsgremium einge-richtet worden war und damit auch die Hochschulplanung umfasste. Die BLK war aufgrund der hohen Abstimmungshürden und der parteipoli-tischen Konflikte der Bildung und des Planungsinstruments insgesamt ein sehr schwerfälliges Organ, das kaum entscheidungsfähig war. Hier bestan-den klare Entscheidungspathologien (Bentele 1979; Münch 2008). Auf der anderen Seite besass der deutsche Bund das Recht der Hochschulrahmen-gesetzgebung, mit dem Ziel, harmonisierend in die Hochschulentwicklung eingreifen zu können. Dieses Recht konnte er natürlich immer auch dann einsetzen, wenn er bestimmte eigene Zielsetzungen in der Hochschulpoli-tik durchsetzen wollte. Die Verflechtungsstruktur in diesem Fall bestand in der Zustimmungsbedürftigkeit solcher Gesetze durch den Bundesrat und damit der Länderregierungen. Und selbst wenn es möglich war, Ände-rungen des Rahmengesetzes zu verabschieden, bestand immer wieder die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht angerufen wurde und dieses korrigierend einschritt (Scharpf 2009). Damit wurden dem Bund immer

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stärkere Fesseln angelegt, trotz der eigenen Kompetenzen in diesem Be-reich.

Beide Systeme hatten damit ihre Nachteile: Deutschland konnte po-litisch nur mühsam auf Veränderungen im bildungs- und hochschulpo-litischen Bereich reagieren, weil es stark verflochten war. Die Schweiz konnte es ebenso wenig, weil sie zu wenig verflochten war.

In beiden Ländern nahm dann aber der Problemdruck in der Bildungs- und Hochschulpolitik seit den 1990er Jahren rapide zu. Ein wichtiger Anlass für solche Debatten bestand in der zunehmenden Europäisierung der Bildungs- und Hochschullandschaft (Münch 2008); exemplarisch für diesen Prozess ist die Unterzeichnung der Bologna-Erklärung in beiden Ländern Ende der 1990er Jahre. Die Selbstbindung an europäische Re-formvorhaben übte einen enormen Einigungsdruck auf die politischen Ak-teure im Bundesstaat aus, entweder nicht existierende Kooperation zum Leben zu erwecken oder aber Entscheidungsblockaden zu beheben. Wie einleitend erwähnt, stiegen daneben die Ansprüche der Gesellschaft und der Politik an die Wissenschaft (Gläser und Lange 2007) und es wuchsen die Ambitionen, ein stärker performanzorientiertes und im internationalem Wettbewerb erfolgreiches Hochschulsystem zu schaffen (Lanzendorf und Pasternack 2008). Um sich vor allem der Herausforderung einer besse-ren Vernetzung von Wissen und Anwendung zu stellen, beschlossen die Schweizer Mitte der 1990er Jahre zudem, ihr Hochschulsystem durch die Einführung von Fachhochschulen auszudifferenzieren, was neue Koordi-nationsprobleme aufwarf, da Universitäten und Fachhochschulen unter-schiedlichen Regelungs- und Verflechtungsstrukturen unterlagen und eine umfassende Hochschulentwicklungspolitik erschwert wurde.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass es in der Schweiz schon seit Ende der 1990er Jahre zu Bemühungen um einen radikalen Umbau der bestehenden Governance-Strukturen kam, während in Deutschland trotz der offensichtlichen Defizite in den hochschulpolitischen Governance-Strukturen dieses Problem nicht zuletzt wegen der hochschulpolitischen Bewältigung der deutschen Einheit nicht als so dringlich erachtet wurde, dass man radikale Reformen einleiten wollte. Tatsächlich bedurfte es des “Umwegs” über die allgemeine Föderalismusreform, die seit 2003 in An-griff genommen wurde. Diese Reform versuchte das Problem der Politik-verflechtungsfalle selbst anzugreifen: Zielsetzung war es ganz allgemein, die politische Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern zu verbessern (Scharpf 2009). In der Schweiz kam es mit dem Universitätsförderungs-gesetz von 1999 zu einer radikalen Neuorganisation der Zusammenarbeit

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zwischen Bund und Kantonen und die Verabschiedung der “Bildungsver-fassung” im Jahre 2006 stellte neue Weichen für die zukünftige horizontale und vertikale Kooperation.

Die neuen Governance-Strukturen in der deutschen Hochschulpolitik

In Deutschland sind die Reformen der Governance-Strukturen in der Hoch-schulpolitik ein “Nebenprodukt” der allgemeinen Auseinandersetzung über die Neudefinition von Zuständigkeiten im deutschen Bundesstaat. Nach langwierigen und fast gescheiterten Verhandlungen brauchten die Länder in der Föderalismuskommission einen Erfolg in ihren langjährigen Bemü-hungen, verflochtene Kompetenzen in die Länderzuständigkeit zurückzu-führen. Alles konzentrierte sich zum Schluss auf die Bildungspolitik, die aufgrund der traditionellen Betonung einer kulturell eigenständigen Politik der Länder der offensichtlichste Bereich für eine sinnvolle Entflechtung war (Scharpf 2009). Es ging dabei im Wesentlichen um föderale (und zum Teil parteipolitische) Machtansprüche im föderalen System und weniger um konkrete Lösungen der Herausforderungen in der Bildungs- und Hoch-schulpolitik (Scharpf 2009). Trotzdem brachte die Föderalismusreform im Hochschulbereich folgende wichtige Veränderungen (nach Boehl 2007; vgl. auch Münch 2008):

Die Gesetzgebungskompetenz im Hochschulbereich wird haupt-sächlich den Ländern übertragen. Der Bund besitzt noch konkurrie-rende Kompetenz bei der Hochschulzulassung und den Hochschul-abschlüssen (Art 74 Abs. 1 Nr. 33 GG).

Die Hochschul-Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes ist weggefallen (Wegfall Art. 75 GG).

Die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau wird beendet (Wegfall Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG alt). Damit erlischt im Grundgesetz die Mitwirkungspflicht des Bundes in Hochschulbereich.

Die bisherige Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung wird been-det und durch die Gemeinschaftsaufgabe zur Feststellung der Lei-stungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich ersetzt (nach Art. 91b Abs. 2 GG).

Die neu gestaltete und erweiterte Gemeinschaftsaufgabe For-

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schungsförderung nach Art. 91b GG lässt das Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern bei überregionaler Bedeutung einer Förderung von “Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen” zu (Art. 91b Abs. 1 Nr. 2 GG) und schafft eine neue Gemeinschaftsaufgabe bei der “Finanzierung von Forschungsbauten inklusive Grossgeräten” (Art. 91b Abs. 1 Nr. 3 GG).8

Tatsächlich scheint damit eine Entflechtung stattgefunden zu haben. Die Länder besitzen in höherem Umfang hochschulpolitische Definitionsho-heit, zumindest was die formalen Gesetzgebungskompetenzen betrifft. Doch wie gestaltete sich die Umsetzung dieser Verfassungsreformen in der hochschulpolitischen Realität?

Im Bereich der Selbstkoordination unter den Ländern ändert sich nichts Wesentliches. Die KMK dient weiterhin der horizontalen Koordination bei allen Fragen, die nach Ansicht der Bundesländer der gemeinsamen Rege-lung bedürfen. Durch die grösseren Freiheiten der Länder im gesamten Bildungsbereich nach der Reform erhält die KMK eine wichtigere Rolle bei der horizontalen Selbstkoordination und betont, die Länder seien be-reit, diese neue “gesamtstaatliche Verantwortung“9 anzunehmen. Jedoch bleibt Einstimmigkeit die Beschlussregel der KMK bei allen (wichtigen) Beschlüssen, die finanzielle Folgen für die Länder zeitigen (Wolf 2008). Das horizontale Zwangsverhandlungssystem bleibt also institutionalisiert, was die verpflichtungsfähigen Einigungen betrifft.

In der vertikalen Koordination mit dem Bund wird die KMK bei der neuen Gemeinschaftsaufgabe im Bildungsbereich – der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich – wichtiger. Das Sekretariat der KMK übernimmt die Geschäftsstellenfunk-tion.10 Die KMK wird durch den Wegfall des Hochschulrahmengesetzes

8 Die ursprüngliche Gemeinschaftsaufgabe Forschungsförderung bei der Einrichtung und Vorhaben wissenschaftlicher Forschung ausserhalb der Universitäten bleibt unverändert bestehen (neu in Art. 91b Abs. 1 Nr. 1).9 So der Generalsekretär der KMK im Vorwort einer Informationsbroschüre “Kultusmini-sterkonferenz” über die “Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundes-republik Deutschland” vom März 2007. 10 Bei der Umsetzung dieser GA wird, auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung, ein Verflechtungssystem nach bekanntem Muster eingerichtet, in dem Bundes- und Län-derminister zusammenwirken und sich dabei durch Wissenschaftler beraten lassen. Auf Ministerebene sollen Beschlüsse “einvernehmlich” getroffen werden. In der vorbereiten-den “Steuerungsgruppe” gilt eine Fast-Einstimmigkeit (7 von 8 Stimmberechtigten müssen zustimmen, vgl. entsprechendes Verwaltungsabkommen).

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aber auch bei der Koordination in Hochschulfragen wichtiger. Nachdem schon die letzten Änderungen des Hochschulrahmengesetzes den Weg hin zu mehr Hochschulautonomie geebnet hatten, wurden mittlerweile in fast allen Bundesländern entsprechende Reformen weitergetrieben (Lanzen-dorf und Pasternack 2008). Zudem werden schrittweise neue Regelungs-bereiche und entsprechende Organe in den Bereichen Qualitätssicherung (Institut für Qualitätssicherung) und Akkreditierung (Akkreditierungsrat) geschaffen. In der Folge wandelt sich das Verhältnis zwischen politischen, “intermediären” und operativen Akteuren (bzw. zwischen Regelungs- und Leistungsebene) (vgl. Münch 2008). Es resultiert scheinbar ein neues Rol-lenverständnis bei den politischen Akteuren in den Ländern einerseits, der Wille zur aktiven Nutzung neuer Handlungsspielräume bei den Hoch-schulakteuren andererseits.

Die wichtige Neuerung bei hochschulpolitischen Regelungen besteht darin, dass sie nicht mehr über den Bundesrat verabschiedet werden müs-sen. Zwischen Bund und Ländern abgestimmte Hochschulpolitik wird in Form von Staatsverträgen bzw. Verwaltungsvereinbarungen organisiert. Mit deren Aushandlung und Umsetzung ist ein neues Organ befasst, die “Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK)”. Die GWK ist die Nachfolgerin der Bund-Länder-Kommission für Bil-dungsplanung und Forschungsförderung, die Ende 2007 aufgelöst wurde. Die zentrale Aufgabe der GWK liegt im Bereich der Forschungsförderung, insbesondere bei der Umsetzung der Gemeinschaftsaufgaben “Forschungs-förderung” und “Forschungsbauten und Grossgeräte” (mit Beteiligung des Wissenschaftsrates, WR) sowie der “Vorhaben der Wissenschaft und For-schung”. Die GWK setzt sich also auch schon in ihrer Bezeichnung von “Bildung” ab, die ja nun umfassend in der Zuständigkeit der Länder liegen soll.

In ihrer Zusammensetzung unterscheidet sich die GWK nicht von der BLK (Wissenschafts- und Finanzminister). Bei der Beschlussfassung gilt ein hohes qualifiziertes Mehr von 29 Stimmen (der Bund hat 16 Stimmen und die 16 Bundesländer je eine Stimme). Eine Sperrminorität entsteht durch vier opponierende Länder oder die Ablehnung des Bundes. Bei jeder gemeinsamen finanziellen Förderung ist auch die Zustimmung des Sitz-landes erforderlich. Die Förderung von “Vorhaben der Wissenschaft und Forschung” nach Art. 91b Abs. 1 Nr. 2 bedarf neu der Zustimmung aller Länder und des Bundes (vgl. Art. 4 Abs. 5 GWK-Abkommen). Damit be-steht auch in den vertikalen Beziehungen der Hochschulpolitik nach wie vor ein Verflechtungsmuster zwischen Bund und Ländern, das nun zwar

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den Bundesrat aus dem Entscheidungsprozess ausgeschlossen hat und auf “freiwillige Vereinbarungen” setzt,11 aber trotzdem eine Einigung auf brei-ter Front, also mit Aushandlung und Auszahlungen bedingt.

Auf diese letztgenannte Klausel – Einstimmigkeitserfordernis bzw. Be-teiligungspflicht für alle Länder bei Staatsverträgen – stützen sich heute Bund-Länder-Vereinbarungen von zentraler Bedeutung, insbesondere der “Hochschulpakt 2020”, die Vereinbarung über die Fortsetzung des Exzel-lenzinitiative (Exzellenzvereinbarung II) sowie das “Professorinnenpro-gramm des Bundes und der Länder”. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Wissenschaftsbereich ist tatsächlich auf gemeinsame wissenschafts- und forschungspolitische Strategien ausgerichtet, wie das GWK-Abkommen im ersten Artikel festhält und die eben genannten Vor-haben verdeutlichen. Interessant dabei ist, dass die Politik die so genannten Wissenschaftsorganisationen immer stärker in die Entscheidungsfindung und Umsetzung dieser strategischen Vorhaben einbezieht – die Deutsche Forschungsgemeinschaft und den WR bei der Exzellenzinitiative, ausseru-niversitäre Forschungseinrichtungen beim Pakt für Forschung und Inno-vation. Insgesamt scheinen diese Entscheidungsprozesse wenig konflikt-trächtig zu sein, offenkundig richten sich die Interessen aller Akteure auf die Herausforderungen einer internationalisierten, strategisch auf Wettbe-werbsfähigkeit ausgerichtete Hochschul- und Forschungspolitik aus, zu-dem betrifft die Koordination oft Bereiche, in welchen reale Interdepen-denzen bestehen (Finanzierung, Investitionen) oder technischer Natur sind (Qualitätssicherung, Akkreditierungen).

Die neuen Governance-Strukturen in der schweizerischen Hochschulpolitik

In der Schweiz vollzogen und vollziehen sich die bildungs- und hoch-schulpolitischen Reformen in mehreren Etappen. Die erste Etappe war das Universitätsförderungesetz von 1999 (“Bundesgesetz über die Förderung der Universitäten und über die Zusammenarbeit im Hochschulbereich”,

11 Und tatsächlich können ja alle Zusammenarbeitsformen aufgekündigt werden, da es sich um zeitlich beschränkte Staatsverträge handelt. Insofern haben die Länder – aber auch der Bund – ein Sanktionsinstrument in den Händen, das aber aufgrund der weiterhin beste-henden funktionalen Zwänge und finanziellen Probleme der Länder kaum ernsthaft zur Anwendung kommen kann und damit auch von den Akteuren bei ihren strategischen Ent-scheidungen kaum in Erwägung gezogen werden wird.

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UFG), welches das bisherige Hochschulförderungsgesetz ablöst. Das UFG stand bereits ganz im Zeichen um einen Beitrag zur Wissensgesellschaft (“Bildungsqualität“) und von weiterreichenden Strategien vor allem des Bundes, die von den Kantonen unabhängiger gewordenen Hochschulen zu international wettbewerbsfähigen Institutionen in der Forschung zu ma-chen (siehe Kleiber 1999).

In einer zweiten Etappe soll die Rolle des Bundes und seiner be-schränkten Kompetenzen für den “Bildungsraum Schweiz” überdacht und angepasst werden. Die entsprechenden Diskussionen beginnen 1997 auf Initiative des Bundesparlaments (WBK-N 2005). Dies führt zur Ausarbei-tung eines neuen Bildungs- und eines neuen Hochschulartikels, der die Grundlagen für eine verfassungsmässig abgesicherte Bundesteilnahme in Bildungsfragen schaffen soll (Bildungsartikel Art. 61a; Hochschulartikel 63a BV). Die Vorlage wird, wie einleitend erwähnt, im Jahre 2006 ange-nommen. Wegen der zeitlichen Befristung des geltenden Universitätsför-derungsgesetzes (zuerst auf Ende 2008 begrenzt, dann auf Ende 2011 ver-längert), wird ein neues Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz in die Vernehmlassung gegeben. Dieses “Bundesgesetz über die Förderung der Hochschulen und die Koordination im schweizerischen Hochschulbe-reich” (HFKG) bedeutet die dritte Reformetappe. Seine Verabschiedung steht noch bevor, die künftigen Strukturen von Zusammenarbeit und Ver-flechtung sind aber in der Vorlage klar aufzeigt und dürften mehr oder we-niger im vorgeschlagenen Rahmen verabschiedet werden – unsere Analyse stützt sich auf diese vorgeschlagenen Strukturen (Bundesrat 2009).

(1) Mit dem Beschluss des Universitätsförderungsgesetzes im Oktober 1999 fand eine grundsätzliche Umorientierung der föderalen Zusammen-arbeit im Hochschulbereich statt. Hauptziel dieser Reform war, ein strate-gisches Organ für die gemeinsame, gesamtschweizerische Universitätspo-litik12 von Bund und Kantonen zu schaffen und die Verpflichtungsfähigkeit der föderalen Akteure gegenüber der freiwilligen und wenig erfolgreichen Zusammenarbeit in den bisherigen Strukturen zu erhöhen. Die wichtigsten institutionellen Neuerungen sind:

Die Entstehung eines gemeinsamen, strategisch tätigen hochschul-politischen Organs von Bund und Kantonen, die Schweizerische

12 Nach der Einführung der Fachhochschulen konnte der Begriff “Hochschulpolitik” wegen Abgrenzungsproblemen zur neuen Fachhochschulpolitik nicht mehr verwendet werden; aus der bisherigen Hochschulpolitik wurde die Universitätspolitik – entsprechend aus der Hochschulkonferenz die Universitätskonferenz.

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Universitätskonferenz (SUK);

Die Übertragung von Bundes- und Kantonskompetenzen an die SUK, die nun verpflichtende Entscheide treffen kann und über eige-ne finanzielle Steuerungsmittel verfügt;

Die SUK wird als gemeinsames hochschulpolitisches Organ von Bund und Kantonen mit drei Vertragswerken rechtlich umfassend abgestützt,

das “Interkantonale Konkordat über die universitäre Koordi-nation vom 9. Dez. 1999” regelt die horizontale Zusammen-arbeit unter allen Universitätskantonen,

die bundesgesetzliche Grundlage des UFG verpflichtet den Bund zur Zusammenarbeit im Hochschulbereich und

die “Vereinbarung zwischen Bund und den Universitäts-kantonen über die Zusammenarbeit im universitären Hoch-schulbereich” (Zusammenarbeitsvereinbarung) regelt die vertikale Zusammenarbeit;

Eine Trennung von politisch-strategischer Führung im schweize-rischen Hochschulbereich (SUK) und einer operativen Führung (Rektorenkonferenz, CRUS), wobei die Rektorenkonferenz einige Verhandlungsgegenstände vorbereitet und über ein Antragsrecht verfügt;

Die Schaffung weiterer Organe im Bereich Qualitätssicherung und Akkreditierung.

Die Übertragung rechtssetzender Kompetenzen an ein gemeinsames Or-gan war ein Novum im “kooperativen Föderalismus” der Schweiz (Bun-desrat 1998). Dies implizierte eine formelle Übertragung von “Eigentums-rechten” der Kantone und des Bundes an die SUK. Für den Schweizer Föderalismus war dies ein grosser Schritt, nicht so sehr, weil der Bund nun weitergehend und ganz formal in die Hochschulpolitik eingebunden wurde, sondern weil die Kantone sich bereit zeigten, einen Teil ihrer Au-tonomie in der Hochschulpolitik an ein kollektives Organ zu übertragen. Die bisherige informelle Einigungspolitik zwischen Bund und Kantonen hatte damit ein Ende.

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Die SUK hat nun das Recht, Rahmenordnungen über Studienrichtzeiten, die Anerkennung von Studienleistungen sowie -abschlüssen zu erlassen. Aufgrund dieser Kompetenzen konnten die Akteure in der SUK verbind-liche Richtlinien für die Umsetzung der Bologna-Reform beschliessen, was früher nicht möglich gewesen wäre. Für bindende Entscheide bedarf es einer Zweidrittelmehrheit aller Teilnehmer13 und einer qualifizierten Mehrheit der Kantone14. Die gleiche qualifizierte Mehrheit gilt für die An-erkennung von wissenschaftlichen Institutionen und Studiengängen, für Richtlinien zur Qualitätssicherung in Forschung und Lehre sowie für den Transfer von Wissen in die Gesellschaft. Eine einfache Mehrheit dagegen reicht, allerdings unter Zustimmung jedes finanzierenden Akteurs, für so genannte projektgebundene Beträge, die für unterschiedliche Zusammen-arbeitsprojekte an den Hochschulen ausgegeben werden können. Die SUK hat hierfür vom Bund ein Budget erhalten, das sie nach eigenem Gutdün-ken verwenden kann (die Kantone beteiligen sich in der Regel mit 50% der Projektkosten an den beschlossenen Beiträgen).

Mit der SUK, als dem politisch-strategischen Organ, arbeitet die Rek-torenkonferenz (CRUS) zusammen, die politische Entscheide auf der aka-demischen Ebene umsetzt, aber auch die Planung vorbereitet und als Ini-tiatorin von Projekten dienen soll. So ist der CRUS von der SUK explizit die Aufgabe übertragen worden, die Bolognareform in den Hochschulen umzusetzen. Die CRUS behält relativen Freiraum in der Ausführung sol-cher grossen Richtlinien.

(2) Mit der Verabschiedung der neuen Bildungsverfassung (zehn an-gepasste Verfassungsartikel) im Jahre 2006 wird der Bund als unverzicht-barer Partner in der Bildungs- und Hochschulpolitik bestätigt sowie die sich bereits herausgebildeten Ziele eines “nationalen Bildungsraumes” und der mehr oder weniger erfolgreich praktizierten “Koordinationspflicht” im Hochschulbereich in der Verfassung festgeschrieben. Darüber hinaus kom-men im Bildungs- (Art. 61a BV) und Hochschulartikel (Art. 63a BV) wich-tige Elemente für die zukünftige Zusammenarbeitspraxis hinzu: Erstens wird die für den Bund bisher freiwillige Mitfinanzierung der Hochschulen in eine Mitfinanzierungspflicht umgemünzt (Art. 63a Abs. 2) – dabei sind 13 Der Bund erhält nicht wie in Deutschland ebenso viele Stimmen wie die Kantone zu-sammen, besitzt aber Vetomacht, weil seine Zustimmung für das Zustandekommen jedes Entscheids grundsätzlich erforderlich ist. 14 Es findet eine Gewichtung an Stimmen für jeden Kanton anhand der Zahl der Studen-tInnen statt. Damit soll verhindert werden, dass die Kantone mit den grösseren Universi-täten überstimmt werden konnten.

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die kantonalen Universitäten wie auch die kantonalen Fachhochschulen gemeint. Zweitens ist im Hochschulartikel von der gemeinsamen Aufgabe von Bund und Kantonen bei der Hochschulkoordination die Rede, ohne zwischen Hochschulkantonen und Nicht-Hochschulkantonen zu unter-scheiden (Art. 63a Abs. 3). Aufgrund dieser Bestimmung verlangte die EDK eine Beteiligung aller Kantone bei einer nun vorgesehenen Neustruk-turierung der SUK. Zudem werden, drittens, allgemeinere Ziele wie die hohe Qualität und die Durchlässigkeit im “Bildungsraum Schweiz” festge-halten (Art. 61a Abs. 1). Denn trotz der stärkeren Binnendifferenzierung, die mit dem Aufbau der Fachhochschulen im schweizerischen Hochschul-bereich stattgefunden hat, bleibt man bestrebt, den Hochschulbereich als interdependentes System mit einheitlichem Regelungsbedarf zu sehen.

Daraus ergeben sich für die Akteure im Hochschulbereich neue Ver-pflichtungen, in einigen zentralen Eckwerten Einheitlichkeit herzustellen (WBK-N 2005). Die neue Bildungsverfassung enthält für den Hochschul-bereich (Art. 63a Abs. 5) entsprechende Bestimmungen, in welchen die zu harmonisierenden Punkte genannt werden. Viel wichtiger als die Eckwerte selbst ist aber folgende Bestimmung: Wenn in den genannten Punkten oder Zielen keine Einigung zwischen Bund und Kantonen zustande komme, kann der Bund diese Eckwerte regeln. Der Bund hat mit der Bildungs-verfasssung eine “subsidiäre” Regelungskompetenz in Kooperationsberei-chen der Hochschulpolitik erhalten. Was bedeutet das?

Diese Klausel erlaubt es dem Bund, allgemeinverbindliche Vorschriften über “Studienstufen und deren Übergänge, über die Weiterbildung und über die Anerkennung von Institutionen und Abschlüssen” (Art. 63a Abs. 5 BV) zu erlassen, falls in der heutigen SUK oder einer künftigen Hoch-schulkonferenz keine Einigung zustande käme. Damit hat die Schweiz ei-nen Mechanismus eingeführt, der helfen kann, Politikverflechtungsfallen zu vermeiden, indem starke Einigungszwänge hergestellt werden – über den Aushandlungsprozessen steht dann der “Schatten der Bundeslösung”.

In ähnlicher Weise wird auch die Selbstkoordination unter den Kanto-nen, also die interkantonale Zusammenarbeit verbindlicher gestaltet. Eine Bestimmung die im Rahmen der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) in die Verfas-sung gekommen ist, Art. 48 Abs. 1 Bst. b BV, sieht vor, dass der Bund in einigen Bereichen – darunter die Hochschulen – auf Antrag interessierter Kantone bestehende interkantonale Verträge als allgemeinverbindlich für alle Kantone erklären oder einzelne Kantone zur Beteiligung an diesen Verträgen verpflichten kann. Im Hochschulbereich haben sich somit seit

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2006 die Bedingungen bei der Aushandlung und der Ratifizierung interkan-tonaler Vereinbarungen geändert – relevant etwa für die Vereinbarungen über interkantonale Beiträge an die Hochschulen (Interkant. Universitäts-vereinbarung, IUV; Interkant. Fachhochschulvereinbarung, FHV). Die entsprechenden Regeln sind in den Artikeln 10 bis 17 des Bundesgesetzes über den Finanz- und Lastenausgleich (FiLaG, SR 613.2) festgehalten.

(3) Schliesslich bedeutet die dritte Reformetappe, der Entwurf des Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetzes (Entwurf HFKG), einen weiteren Schritt hin zu einer einheitlicheren Steuerung der gesamten Hoch-schulpolitik, da dem – neuerlich umgewandelten – hochschulpolitischen Koordinationsorgan “Schweizerische Hochschulkonferenz” (SHK) die Koordination aller Hochschularten (ETH, kantonale Universitäten, Fach- und Pädagogische Hochschulen) aus einer Hand übertragen werden soll. Damit wird zum ersten Mal tatsächlich ein einheitlicher Bildungsraum (als Hochschulraum) auf der Governance-Ebene geschaffen. Ausserdem wird die neue SHK nun auch in Bezug auf die Beteiligung “gesamtschweize-risch”, weil, wie im Verfassungsartikel vorgesehen, alle Kantone an der SHK beteiligt sein werden. Die Beteiligung erfolgt neu in zwei Kammern, in einem “Hochschulrat”, der im Wesentlichen wie die bisherige SUK zusammengesetzt ist, und einer “Plenarversammlung”, in der die ande-ren Kantone hinzutreten. Hier werden die gesamten Finanzierungsfragen des Hochschulsystems behandelt (auch die Nicht-Hochschulkantone sind ja durch Konkordate an der Finanzierung der Hochschulen anhand von Studentenbeiträgen beteiligt). Die Finanzierungsfragen werden damit im Unterschied zur bestehenden Situation, in der der Bund alleine über seine Finanzierungsleistungen entscheidet, in ein Verflechtungssystem einge-bunden. Wie funktioniert dieses System?

Es ist beabsichtigt, dass Bund und Kantone gemeinsam das Gesamtfi-nanzierungsvolumen anhand von Referenzkosten festlegen.15 Die Grundla-ge hierzu sind die Finanzplanungen aller Hochschulen, einschliesslich der Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH). Letztere aber erhalten ihre Beiträge nicht über das HFKG, sondern weiterhin über die Verfahren im eigenen ETH-Gesetz. Die Finanzierung und die Bemessung der Bundes-beiträge betreffen somit kantonale Universitäten und Fachhochschulen. Im

15 Dieses Modell war in der vorberatenden Parlamentskommission umstritten, die Mehrheit jedoch will die Bestimmungen wie vom Bundesrat vorgeschlagen beschliessen: Es bleibt abzuwarten, ob beide Parlamentskammern dieser Empfehlung folgen (vgl. “Bericht zuhan-den der WBK-S über die geleisteten Arbeiten” vom 1. April 2010, Subkommission HFKG der ständerätlichen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur).

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HFKG wird festgehalten, dass sich der Bund zu einem festen Beitragssatz an deren Gesamtkosten beteiligt (20% für Universitäten und 30% für die Fachhochschulen). Die Entscheidung über den Finanzrahmen wird dann in der Plenarversammlung gefällt – von Bund und allen Kantonen gemein-sam –, wobei eine Zweidrittelmehrheit und die Zustimmung des Bundes nötig ist. Die weiteren Bestimmungen über die Zusammenarbeit (Planung, Aufgabenteilung) betreffen auch die ETHs und für alle Hochschularten gelten die strukturellen Regelungen des Hochschulbereichs (Qualitätssi-cherung, Akkreditierung, Diplome).

Zusätzlich tritt neu der Verflechtungstatbestand einer “Aufgabenteilung in kostenintensiven Bereichen” der Hochschulen hinzu, der im Hochschul-rat (Hochschulkantone) behandelt werden soll. Sollte man sich hier nicht einigen können, müsste das Bundesparlament eine Aufgabenteilung, be-ziehungsweise mindestens den Teil, den der Bund dabei spielen soll, fest-legen. Sollte es keine Einigung bei den Referenzkosten für die Hochschul-finanzierung geben, würde ganz einfach die Situation entstehen, dass der Bund seine Beiträge nicht entrichten würde. Damit wird also wieder ein starker Einigungsdruck auf die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen ausgeübt.

Die folgende Tabelle fasst die veränderten Verflechtungsverhältnisse in der Hochschulpolitik zusammen.

Fazit

Hat sich nun, so lässt sich abschliessend fragen, der deutsche Föderalismus von einer föderalen Governance-Struktur, die den Gesetzen der Politik-verflechtungsfalle unterliegt, hin zu einer entflochtenen, möglicherweise durch Fragmentierung und Nicht-Koordination geprägten Struktur entwi-ckelt? Und unterliegt heute der Schweizer Föderalismus in der Hochschul-politik der Politikverflechtungsfalle?

Nach der Föderalismusreform im Jahre 2006 verfügen die deutschen Bundesländer formal gesehen über mehr Eigenständigkeit bei der Steu-erung der Hochschulen, das heisst, die Rolle der Länder in der Hoch-schulpolitik wurde gestärkt. Trotzdem zeigt sich, dass die Möglichkeiten autonomen Handelns der Bundesländer relativ beschränkt bleiben und Ver-flechtung nach wie vor eine wichtige Rolle spielt.

In Bezug auf die Organisation, Strategie und Finanzierung der •

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Hochschulen könnten die Länder in der Gesetzgebung tatsächlich relativ selbständig agieren. Sie werden hier aber durch die erweiterte Autonomie der Hochschulen (Stichwort New Public Management) in ihren direkten Einflussmöglichkeiten stark eingeschränkt. In den meisten Fällen geht es nur noch darum, die ordnungspolitischen (dazu zählen auch Evaluations- und Akkreditierungsmechanismen) und strategischen Voraussetzungen für erfolgreiches strategisches Handeln der Universitäten zu schaffen.

Gerade ordnungspolitische Fragen lassen sich im weiterhin unita-risch geprägten Deutschland kaum im Alleingang entscheiden. In den meisten Fällen werden diese zum Thema in der KMK gemacht, um gemeinsame Regelungen zu finden. Zumindest Empfehlungen können so den Spielraum der Länder in der Ordnungspolitik ein-schränken.

Strategische Hochschulpolitik mit Blick auf die Steigerung der Lei-stungsfähigkeit von Hochschulen ist zudem in die Gemeinschafts-aufgaben mit dem Bund eingebunden (Art. 91b GG). Dies macht Länderinitiativen nicht unmöglich. Aber die Hochschulpolitik wird hier überwiegend über die gemeinsamen Vereinbarungen in der GWK gesteuert werden und wird damit wieder zur Verbundpolitik – zumal die grossen Initiativen im Sinne der “Vorhaben der Wissen-schaft an Hochschulen” (nach Art. 91b Satz 1 Nr. 2 GG) von allen Ländern mitgetragen werden müssen. Der Bund ist weiter massge-blich an der Hochschulentwicklung über Gemeinschaftsaufgaben beteiligt und dies in institutionalisierten Zusammenhängen (GWK; “Steuerungsausschuss” und Ministerkonferenzen; Wissenschafts-rat), die nach wie vor erhebliche Entscheidungshürden aufbauen.

Daraus lässt sich folgern, dass die neu gewonnen Kompetenzen der Län-der durch die Autonomisierung der Hochschulen, durch die Einbindung in die horizontale Koordination und durch die fortbestehende vertikale Ver-flechtung in der strategischen Hochschulpolitik stark relativiert sind. Die Gefahr einer Fragmentierung und Nicht-Koordination, die durch Entflech-tung entstehen kann, ist so kaum gegeben.

Aber auch die Gefahr fortdauernder Entscheidungsblockaden, die durch die Verflechtungsverhältnisse prinzipiell bestehen kann, scheint unter den heutigen Kontextbedingungen kaum virulent zu werden. Drei Faktoren lassen sich hier nennen:

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Erstens, die funktionalen Herausforderungen und Zwänge, die im Hochschulbereich auch weiterhin bestehen (finanzielle Abhän-gigkeiten der Gliedstaaten vom Bund, Fortführung europäisierter Hochschulpolitik wie z.B. Bologna-Reform usw.), erlauben eine kooperative Interaktionsorientierung und verschaffen unilateralen Strategien wenig Erfolg. Das ist allen föderalen Akteuren bewusst.

Zweitens, hat sich das politische Steuerungssystem nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz nach den Leitbildern des New Public Management gewandelt. Dies bedeutet eine Stärkung der Eigenständigkeit der Hochschulen und ein Interesse der poli-tischen Akteure, sich auf die Schaffung von günstigen Bedingungen für die Hochschulen zu fokussieren. Die reine Koordination von Re-gulierungen reduziert aber allgemein die Konfliktintensität in Ver-handlungen.

Drittens, akzeptieren die deutschen Bundesländer immer mehr – in der Schweiz war dies ohnehin unbestritten –, dass der Wettbewerb der Hochschulen untereinander gefördert werden sollte. Damit ist auch im unitarischen Deutschland eine Differenzierung in der Leistungsfähigkeit der Hochschulen politisch hoffähig geworden, womit Forderungen nach Gleichbehandlung, Gleichverteilung von Ressourcen usw. weniger Rückhalt finden. Verteilungskonflikte wegen Ungleichbehandlung der Hochschulen werden damit weni-ger virulent, was wiederum mehr Einigungsmöglichkeiten in strate-gischen Fragen eröffnet.

Aufgrund dieser Handlungsbedingungen – funktionaler und internationa-ler Druck, Autonomisierung der Hochschulen, Wettbewerbsdenken – tre-ten Differenzen zwischen den föderalen Akteuren zurück und werden die Politikverflechtungssysteme in beiden Ländern entlastet.

Verflechtung war auch im Schweizer System bereits angelegt. Bisher hatte die politische Kultur des informellen Aushandelns und die direkte Demokratie aber eine Verrechtlichung, wie sie für Deutschland typisch ist, nicht zugelassen. Der eigentliche Wechsel besteht heute im Ausmass der Regulierung und Formalisierung der hochschulpolitischen föderalen Zusammenarbeit in der Schweiz.

Die SUK – und ebenso die geplante SHK – wird zum Dreh- und Angel-punkt der gesamten Hochschulpolitik. Von der Konstruktion her ist man dabei noch weiter gegangen als in Deutschland: Die SHK ist ein Verflech-

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tungssystem mit hohen Abstimmungshürden und damit einer inhärenten Tendenz zur Verflechtungsfalle. Gleichzeitig ist die Verpflichtungsfähig-keit aufgrund der rechtssetzenden Kompetenzen hoch und durch eigene Finanzen, die zur Finanzierung von Kooperationsprojekten an Hochschu-len eingesetzt werden, gibt der SHK auch Ressourcen in die Hand, die zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit und zur Überwindung von Struk-turproblemen an den Hochschulen genutzt werden kann. Dabei sind aber, anders als in Deutschland, wo der Bund im Rahmen der GWK mit seinen finanziellen Mitteln Anreize zur Kooperation ausüben kann, keine “gol-denen Zügel” möglich. Mit dem neuen Regime wird in der Schweiz die Verflechtung auch bei Finanzierungsfragen verstärkt und formalisiert (Re-ferenzkostenmodell). Aus der bisherigen “losen föderalen Kopplung” in der Schweiz ist so eindeutig ein formalisiertes Verbundsystem geworden. Damit zeichnen sich mögliche Entscheidungsblockaden ab.

Es gibt aber eine Reihe von Gründen, warum diese Entscheidungspa-thologien in der Schweiz nicht nur aufgrund der heute wirkenden Kon-textfaktoren, sondern auch aufgrund der spezifischen Governance-Struktur nicht zum Tragen kommen müssen:

Zunächst einmal ist in der Schweiz die Realisierung eines nationalen Bildungsraumes und einer koordinierten Hochschulpolitik zum Verfas-sungsauftrag für Bund und Kantone geworden. Dies geht weiter als die Verpflichtung der Akteure in Deutschland, lediglich an einer Gemein-schaftsaufgabe teilzunehmen. Damit bleibt den Akteuren in der Schweiz weniger Spielraum, sich gegen abzeichnende Einigungen zu stemmen. Das Ziel einer “Durchlässigkeit der Bildungssysteme” in der Schweiz treibt die Kantone auch zur horizontalen Koordination. Einen Konsens über Koor-dination zu finden wird zum vordringlichen Ziel bei der Behandlung poli-tischer Probleme. Alle anderen Lösungen sollten Ausnahme bleiben – sie könnten hohe Folgekosten haben (z.B. Ausbleiben von Bundesbeiträgen).

Die Kantone haben dabei ausserdem eine “subsidiäre Regelungskom-petenz” des Bundes anerkannt, die in den Bereichen, in denen sie gilt, ebenfalls einen grossen Einigungszwang ausübt. Etwas Ähnliches gibt es in Deutschland nicht. Der Bund erhält eine zentrale “problemlösende Rol-le” für Entscheidungsblockaden: Er entscheidet in allen wichtigen struk-turellen Fragen der Hochschulen mit, sitzt den Versammlungen der SUK (alternierend mit den Kantonen) bzw. der neuen SHK (ständig) vor, besitzt ein Veto und kann einschreiten, wenn das System seinen Koordinations-pflichten nicht nachkommt.

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Hinzu kommt schliesslich eine andere Grundstruktur des Schweizer Föderalismus, die wir am Anfang erwähnt haben: in Deutschland ist Ver-flechtung auch immer die Verflechtung von föderaler und Parteienarena. Der Parteienwettbewerb spielt häufig in die verschiedenen Politikbereiche hinein. Das hat sich etwa bei Fragen der Hochschulzulassung oder zu Studi-engebühren gezeigt. Der Wechsel von einer konsensorientierten Strategie, wie sie zur Zeit in der GWK vorzuliegen scheint, hin zu einer mehr partei-orientierten Wettbewerbsstrategie ist in Deutschland immer dann möglich, wenn Themen angeschnitten werden, bei denen sich die Parteipräferenzen stark unterscheiden. In der Schweiz spielt dagegen die Parteienpolitik ge-rade in der Hochschulpolitik kaum eine Rolle. Damit sind Blockaden nicht ausgeschlossen – und vor allem in der Schweiz lange Verzögerungen von Entscheidungen. Aber die Diskussion wird sich an die föderalen Konflikt-felder halten und nicht zusätzlich das Finden von Lösungen durch partei-politische Themen erschweren.

Diese Punkte könnten zusammen genommen dazu beitragen, dass auch ein solches Zwangsverhandlungssystem wie es jetzt mit der SUK besteht bzw. mit der SHK bestehen wird, nicht unbedingt in die typischen Ent-scheidungspathologien der Politikverflechtungsfalle verfallen wird.

Schlussfolgerungen

Da der Schweizer Föderalismus ein formal verflochtenes Zwangsverhand-lungssystem errichtet hat und gleichzeitig der deutsche Föderalismus die Verflechtungspraxis nicht wirklich aufgegeben hat, haben sich die Gover-nance-Strukturen beider Länder aneinander angenähert. Trotzdem scheint zur Zeit in beiden Ländern die Gefahr einer Politikverflechtungsfalle gering zu sein. Hierzu tragen günstige Kontextfaktoren bei und in der Schweiz auch institutionelle Vorkehrungen, da bestimmte Komponenten des Ver-flechtungssystems (wie Verfassungsauftrag zum gemeinsamen Bildungs-raum und Kooperationspflicht oder die subsidiären Entscheidungskom-petenzen des Bundes) mögliche Entscheidungsblockaden durchbrechen helfen. In beiden Ländern wirkt der internationale Druck auf die Anpas-sung der Hochschulen konsensbildend. Unilaterale Strategien scheinen kaum möglich und kollektive Vereinbarungen scheinen für alle föderalen Akteure erfolgversprechender zu sein als die Beibehaltung des Status Quo. Diese Kontextbedingungen können sich allerdings wieder wandeln. Dann könnte damit gerechnet werden, dass der deutsche Hochschulföderalismus

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wieder in seine typischen Entscheidungspathologien verfällt, während sich beim Schweizer Föderalismus noch zeigen muss, ob die eingebauten Si-cherungssysteme in den Entscheidungsverfahren auch bei divergierenden Interessen stand halten: die Chancen hierfür stehen besser als in Deutsch-land.

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Relations fédérales dans la politique de l’éducation supérieure en Allemagne et en Suisse : entre coopération obligatoire et immobilisme

Dans cet article, les plus récentes réformes de structures de coordination et les dé-cisions collectives d’Allemagne et de Suisse sont étudiées en matière d’éducation supérieure. Depuis environ 20 ans, des défis politiques et fonctionnels ont émergé - comme par exemple, la connectivité croissante entre la politique nationale de l’édu-cation supérieure et les développements internationaux - qui ont mis sous pression les structures de la gouvernance des hautes écoles. Les deux pays étaient relativement mal préparés pour des réformes structurelles ; l’Allemagne souffrait de la lourdeur de ses structures de décision collective au niveau fédéral, tandis que la Suisse avait de la peine à coordonner Confédération et cantons. Les deux pays ont quand même réussi à introduire, pendant ces dernières années, des réformes de fonds en matière de gouver-nance fédérale. L’article étudie, dans quelle mesure ces réformes ont-elles contribué à surmonter les faiblesses de la coordination fédérale des deux pays. Il sera démontré que l’Allemagne, malgré des réformes compréhensives, était peu capable de changer de cap, tandis que la Suisse, même si un système de coordination plus formel était éta-bli - a instauré des mécanismes institutionnels qui pourraient empêcher des blocages de décisions dans le futur.

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Federal Relations in Higher Education Policy in Germany and Switzerland: Between Compulsory Cooperation and Immobilism

This article analyses recent reforms of federal coordination and joint decision-making in the realm of higher education policy, both in Germany and Switzerland. During the last two decades several political and functional challenges – such as the increased interlinkage between national education policy and international developments in the higher education sector – have put pressure on existing governance structures in this domain. The two countries were hardly prepared to respond to structural reforms: Germany suffered from its immobile federal joint decision-making, whereas Switzer-land faced a constant struggle to co-ordinate federal and cantonal actors, especially in the higher education field. Nevertheless, the two federations succeeded during the last decade to implement fundamental constitutional reforms concerning federal deci-sion-making. In this article we analyse to what extent these reforms have contributed to overcome existing problems of federal collaboration in Germany and Switzerland. We will demonstrate that in Germany the – admittedly – encompassing reforms were not able to turn the tides in joint decision-making, while in the Swiss case, although more formalised joint decision-making has been installed, institutional precautions might help to avoid joint decision traps.

Thomas Griessen ist Doktorand am Institut d’Etudes Politiques et Internationales an der Universität Lausanne und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Geschäftsstelle des Schwei-zerischen Nationalfonds.

Korrespondenzadresse: Schweizerischer Nationalfonds, Wildhainweg 3, Postfach 8232, CH-3001 Bern, Schweiz. Tel.: +41 31 308 23 51; E-mail: [email protected].

Dietmar Braun ist Professor für Vergleichende Politikwissenschaft Institut d’études po-litiques et internationales (IEPI) an der Universität Lausanne und Forschungsrat beim Schweizerischen Nationalfonds. Er hat über Staatstätigkeit, Föderalismus, politische Theo-rie und Forschungspolitik publiziert.

Korrespondenzadresse: Institute of Political and International Studies, University of Laus-anne, Bâtiment Anthropole, CH-1015 Lausanne, Switzerland. Tel.: +41 21 692 31 32; E-mail: [email protected].


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