Endbericht der Evaluation des Modellprojekts
Betrifft: Häusliche Gewalt
Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen
Endbericht der Evaluation im Auftrag des Landespräventionsrates Niedersachsen
Endbericht der Evaluation
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Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen
Endbericht der Evaluation des Modellprojekts: „Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“ Projektträger: AWO Kreisverband Schaumburg e.V. Laufzeit des Projektes: März 2006 bis März 2008 Gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit
Evaluation im Auftrag des Niedersächsischen Justizministeriums
Geschäftsstelle des Landespräventionsrates Niedersachsen
Autorin: Prof. Dr. Barbara Kavemann Berlin
Herausgeber: Landespräventionsrat Niedersachsen (LPR) Hannover 2008
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
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Vorwort
Migrantinnen sind von häuslicher Gewalt ebenso betroffen wie viele Frauen ohne
Migrationshintergrund; einige Studien weisen darauf hin, dass der Anteil der Migrantinnen
im Durchschnitt sogar höher liegt. Außerdem hat sich in wissenschaftlichen Untersuchungen
und Beobachtungen aus der Praxis gezeigt, dass Migrantinnen oft hohe Hürden überwinden
müssen, um professionelle Unterstützung zu finden. Hier entstehen spezifische
Anforderungen für die Interventions- und Beratungsarbeit. Vor diesem Hintergrund hat das
Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit zur
Verbesserung der Arbeit mit von häuslicher Gewalt betroffenen Migrantinnen von 2006 bis
2008 ein Projekt der Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Schaumburg e. V., gefördert, in dem
unterschiedliche Maßnahmen zur Entwicklung interkultureller Kompetenz in der
Beratungsarbeit mit Migrantinnen erprobt und durchgeführt wurden.
Die Inhalte dieses Projekts wurden gemeinsam vom Niedersächsischen Ministerium für
Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit und dem Kooperationsprojekt ‚Häusliche Gewalt’
beim Landespräventionsrat Niedersachsen zusammen gestellt und in einer Broschüre in der
Reihe „Betrifft: Häusliche Gewalt – Interkulturelle Kompetenz in Einrichtungen zur
Unterstützung von Frauen – Hinweise für die Arbeit mit von häuslicher Gewalt betroffenen
Migrantinnen“ - veröffentlicht. Das Projekt wurde während der gesamten Laufzeit von Prof.
Dr. Barbara Kavemann wissenschaftlich begleitet. Auftraggeber der Evaluation war der
Landespräventionsrat Niedersachsen, der mit dieser Broschüre den Evaluationsbericht
veröffentlicht.
Der Bericht enthält einen Überblick über die Zielsetzungen und Aktivitäten des Projekts. Er
dokumentiert darüber hinaus die Projekterfahrungen im Hinblick auf die im Projektzeitraum
registrierten Wirkungen und Konsequenzen der Arbeit und leitet hieraus zahlreiche
Empfehlungen für die weitere Arbeit in diesem Feld ab. Hier ergeben sich interessante
Anknüpfungspunkte für alle Einrichtungen und Fachkräfte, die an der Intervention bei
häuslicher Gewalt beteiligt und / oder in der Migrationsarbeit tätig sind. Die Empfehlungen
der wissenschaftlichen Begleitung helfen, die praktische Interventions- und Beratungsarbeit
bezogen auf den Unterstützungsbedarf von Migrantinnen weiterzuentwickeln. Zudem
enthalten sie einen umfassenden Fundus an Anregungen für die Fortbildungsarbeit zu
diesem Thema.
Zielgruppen dieses Berichts sind deshalb die Fachkräfte in Frauenunterstützungsrichtungen
ebenso wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Beratung von Migrantinnen, aber auch
Fachkräfte in Polizei, Justiz und Jugendhilfe, die mit betroffenen Frauen und ihren Kindern
arbeiten. Wir hoffen, dass der Bericht dazu beiträgt, die Interventions- und Präventionsarbeit
gegen häusliche Gewalt im Hinblick auf die Bedürfnisse und den spezifischen
Unterstützungsbedarf von Migrantinnen weiter zu entwickeln und damit die Folgen häuslicher
Gewalt für die Betroffenen zu mildern.
Andrea Buskotte Erich Marks / Susanne Wolter
Koordinationsprojekt „Häusliche Gewalt“ Landespräventionsrat Niedersachsen
Endbericht der Evaluation
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Inhalt:
1. Das Modellprojekt und seine wissenschaftliche Begleitung ...................................................... 6
1.1 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts ............................................ 7
1.2 Forschungsauftrag und Forschungsdesign ....................................................................... 9
1.3 Datenlage ................................................................................................................... 11
2. Zielsetzung der wissenschaftlichen Begleitung .................................................................... 12
3. Zielbestimmung mit dem Projektteam .................................................................................. 14
4. Fachtage zur Sensibilisierung für den Erwerb interkultureller Kompetenzen ........................... 16
4.1 Evaluation der beiden Fachtage aus Sicht der Teilnehmenden ........................................ 16
4.2 Nachgehende Befragung der Teilnehmer/innen der Fachtage ......................................... 21
4.3 Befragung des Projektteams ......................................................................................... 27
4.4 Befragung der Referent/innen ...................................................................................... 28
5. Ein Workshop zur Vermittlung und Erprobung interkultureller Kompetenzen ......................... 33
6. Weiterentwicklung der Kooperation und Vernetzung in der Region ........................................ 38
7. Schlussfolgerungen und Diskussion ..................................................................................... 40
7.1 Konsequenzen für die Unterstützungspraxis .................................................................. 40
7.2 Konsequenzen für zukünftige Fortbildungsangebote ...................................................... 42
8. Literatur ............................................................................................................................. 47
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
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„Lernen ist ein Kreislauf, der immer wieder neu beginnt.“
Endbericht der Evaluation
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1. Das Modellprojekt und seine wissenschaftliche Begleitung
Das Modellprojekt „Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“ hat ein
innovatives Konzept für interdisziplinäre Weiterbildung zu interkulturellen Kompetenzen
entwickelt und dieses erprobt sowie die Ergebnisse als Handreichung für die Praxis
verschriftlicht und zur Verfügung gestellt.
Das Modellprojekt wurde im März 2006 vom Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und
Gesundheit des Landes Niedersachsen in Auftrag gegeben. Die Umsetzung übernahmen
zwei erfahrene Sozialpädagoginnen der Beratungs- und Interventionsstelle (BISS)
Stadthagen, dessen Träger die Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Schaumburg ist, und des
Frauenzentrums Stadthagen.
Auftrag des Modellprojekts war die Entwicklung eines Fortbildungskonzeptes zur
interkulturellen Kompetenz in Form eines Multiplikatorinnen-Trainings und die Erstellung
eines Handbuchs für die Praxis in Niedersachsen. Vermittelt werden sollten
Wissen über andere Kulturen am Beispiel des Islam und der russischen Kultur;
Auseinandersetzung mit den Themen Urteile versus Vorurteile, Akzeptanz versus
Toleranz und Grenzen;
Outreach – Erreichbarkeit unterversorgter Bevölkerungsgruppen und entsprechende
Modifikation von Konzeption und Praxis;
Entwickeln und erproben von Strategien für stabile und langfristige Kooperation mit
Communities der Migrant/innen;
Aufarbeitung rechtlicher Grundlagen.
Die Umsetzung des Modellprojekts wurde im Auftrag des Landespräventionsrates
Niedersachsen evaluiert.
Es handelte sich um ein regionales Modellprojekt im Landkreis Schaumburg. Das
Modellprojekt legte seinen Schwerpunkt auf die Zielgruppe von Gewalt in intimen
Beziehungen – im Folgenden häusliche Gewalt genannt – betroffener Migrantinnen. Die
Erreichbarkeit von Unterstützungsangeboten, geeignete Ansprache und Information, ein
Abbau von Barrieren und Hindernissen bei der Hilfesuche durch bessere Qualifikation und
Sensibilisierung auf Seiten der Fachleute, waren die Themen, mit denen sich in
unterschiedlichem Kontext auseinandergesetzt wurde.
Im Rahmen des Modells führten die beiden Projektmitarbeiterinnen – im Folgenden das
Projektteam genannt – zwei Fachtage im Abstand von einem Monat durch, den ersten am
1.2.2007, den zweiten am 1.3.2007. Im Anschluss daran wurde am 28.9.2007 ein
ganztägiger Workshop angeboten, um Aspekte der Fachtage zu vertiefen und stärker auf die
Praxis bezogen zu üben.
Das Projektteam suchte den Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher
Gruppen von Migrantinnen und Migranten – in Folgenden Communities genannt – und rief im
Sommer 2007 eine regionale Expertinnengruppe ins Leben, um den Grundstein für ein
Kooperationsnetz zu legen, Strategien für die Implementation von interkultureller Kompetenz
und von für Migrantinnen geeigneten Informationsstrategien zu häuslicher Gewalt für die
Region Schaumburg zu erarbeiten.
Die Ergebnisse der Modellphase wurden als Handbuch für die Praxis zusammengestellt.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
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Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts
Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt die Soziale Arbeit und die
Pädagogik seit einigen Jahren und veränderte teilweise eine ausschließlich und oft
polarisierend geführte Diskussion über Rassismus. Seitens der Einrichtungen zu Schutz und
Beratung von Frauen bei Gewalt – den Frauenhäusern, Frauenberatungsstellen,
Frauennotrufen, Mädchenhäusern usw. – wurde diese Auseinandersetzung nicht
durchgängig, aber wenn, dann leidenschaftlich geführt (vgl. Kriechhammer-Yagmur 2003;
Lehmann 2001). Zur Situation von Migrantinnen gibt es Erkenntnisse aus der Forschung
(z.B. Boos-Nünning 2004, und hinsichtlich ihrer Gewaltbelastung Schröttle 2006, UNHCR
2003).
Der Perspektivenwechsel in der Diskussion über Gewalt im Geschlechterverhältnis, der seit
Ende der 1990er Jahre stärker die Rechtsposition der Opfer von Gewalt betonte und die
Diskussion über Gewalt gegen Frauen im Menschenrechtsdiskurs verankerte (Kelly 2005),
trug dazu bei, dass die spezifische Situation von Migrantinnen, die Gewalt erleiden, ebenfalls
stärker mit Blick auf ihre Rechte und Ansprüche diskutiert wurde. An den Runden Tischen
der Interventionsprojekte wurden Fragen des Aufenthaltsrechts und der Härtefallregelungen
bei häuslicher Gewalt bearbeitet und Erleichterungen geschaffen (Kavemann u.a. 2001). Im
Rahmen der Untersuchung von Unterstützungsbedarf und neuen Unterstützungsangeboten
wurden Migrantinnen angemessen einbezogen (Helfferich u.a. 2005; WiBIG 2004 a). Die
Situation von Migrantinnen wurde nicht mehr ausschließlich im politischen Rahmen der
Rassismusdiskussion thematisiert, sondern wurde selbstverständlicher Teil der neueren
Forschung und Praxisentwicklung in Deutschland.
Ein wichtiges neues Ergebnis langjähriger Arbeitserfahrung, das mit dem Beginn des
Modellprojekts zusammenfällt, und eine wichtige Arbeitshilfe sind Aussagen zur Qualität in
der Arbeit mit von Gewalt betroffenen Migrantinnen (Interkulturelle Initiative 2006).
„Das Denken des Interkulturellen macht die Fähigkeit, sich irritieren zu lassen vonnöten. Je
heterogener die Gruppen sind, desto größer ist dabei das mögliche Feld des
Unverständnisses, der Missverständnisse und desto vielfältiger sind die Linien der Macht
und Gewalt, die das gemeinsame Sprechen durchkreuzen. Aus diesem Grunde spielt die
‚gute Intention’ bei interkulturellen Prozessen lediglich eine untergeordnete Rolle. Natürlich
ist es keineswegs unrelevant, ob vorsätzlich, wohl wissend also, Menschen verletzt
gedemütigt, beleidigt werden, doch die Verletzung und die Folgen, die das ‚Opfer’ tragen
muss, sind letztlich mit oder ohne gute Intention erst einmal dieselben. Das Wissen darum,
dass es nicht ausreicht, ‚Gutes tun zu wollen’ verlangt nach einem hohem Grad an
Verantwortlichkeit und professioneller Reife. Erwartet wird ein Wissen über
Dominanzverhältnisse und ein Wissen über die eigene Verletzungsgewalt.“ (Interkulturelle
Initiative 2006:30) Hier wird von der für Frauen engagierten Beraterin ausgegangen und ihre
Position, die Migrantinnen in Fällen von Gewalt unterstützen will, kritisch beleuchtet, ohne
auf die Person zu zielen. Es geht um ein strukturelles Problem, das kritische Selbstreflexion
verlangt, da die „Verletzungsgewalt, die die Mitarbeiterin selbst inne hat“ wahrgenommen
werden muss, „ohne sich lähmen zu lassen.“ Auch die engagierteste Mitarbeiterin kann nicht
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die Tatsache außer Kraft setzen, dass sozialarbeiterisches Handeln „machtgesättigt ist und
immer riskiert, andere zu verletzen.“ (ebenda).
Dieser sehr politische Zugang zum Thema interkulturelle Kompetenzen nimmt das gesamte
Geflecht von Macht- und Herrschaftsverhältnisse in den Blick und analysiert die Situation der
Migrantin und der Beraterin in diesem Kontext, beide Frauen, aber in unterschiedlichen
Rollen und Positionen, ausgestattet mit unterschiedlichem Zugang zu Ressourcen und
Privilegien. Neben diesen sehr grundsätzlichen und deshalb etwas schwergewichtigen
Ausführungen zum Verständnis von Interkulturalität ist besonders die Entwicklung eines
Konzepts interkultureller Beratung wertvoll, denn es gibt Orientierung für konkrete Praxis und
regt zur Diskussion an. Als Methoden interkultureller Arbeit werden festgehalten:
Wissen
Netzwerkbildung
Interkulturelle Haltung
Interkulturelle Perspektive
Alle vier Punkte sind auch in der Konzeption des Modellprojekts wiederzufinden und sollen
deshalb kurz ausgeführt werden.
Wissen
o Kenntnisse über spezifische gesetzliche Rahmenbedingungen. Hier geht es
besonders um das Ausländer- und Asylrecht.
o Sprachkompetenzen umfassen nicht nur Mehrsprachigkeit und
muttersprachliche Beratung. Es geht auch um die besondere Kompetenz, mit
Dolmetscherinnen Beratungsgespräche zu führen
o Migrationsspezifisches Wissen und Wissen um Bedeutung und Auswirkungen
der Migration.
o Exilspezifisches Wissen hinsichtlich der Bedeutung und der Auswirkungen
von Flucht und Vertreibung und der Bedrohung durch Abschiebung.
o Wissen um Diskriminierungserfahrungen, Ausgrenzung, Rassismus und auch
strukturelle Diskriminierung (ebenda:32)
Netzwerkbildung
Ziel interkulturellen Netzwerkens ist es, Fachnetzwerke z.B. zur Arbeit gegen Gewalt, zur
Unterstützung von Frauen und Mädchen mit interkulturellen, antirassistischen Netzwerken
und mit Migrant/innenorganisationen zu verknüpfen (ebenda:34).
Interkulturelle Haltung
Diese Haltung hat zum Ziel, soziale Ungerechtigkeit zu vermindern, indem unterschiedliche
Positionen und damit einhergehende Verletzlichkeiten ernst genommen werden. Ein
besonderer Unterstützungsbedarf von Migrantinnen erklärt sich aus ihrer Situation, nicht aus
ihrer Persönlichkeit. Sie haben höhere Hürden zu überwinden (ebenda:35)
Interkulturelle Perspektive
Eine interkulturelle Perspektive sieht die spezifischen Risiken, denen Menschen in der
Migration ausgesetzt sein können, die Vielfältigkeit von Diskriminierung, die möglich ist, und
ihre Widerstandspotentiale, ihre Ressourcen und schaut auf die jeweils individuelle
Kombination beider bei der Klientin. Simplifizierungen und Verallgemeinerungen sollen
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
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vermieden und Differenzierungen bei der Wahrnehmung von Migrantinnen gefördert werden
(ebenda:37).
Im Modellprojekt wurden alle diese Aspekte Thema: Es ging im Rahmen der Fachtage und
des Workshops und Wissensvermittlung und dabei auch um rechtliches Wissen. Auf dem
Weg des interkulturellen Lernens der Teilnehmenden wurde das Ziel interkultureller
Kompetenz verfolgt. Diese kann zukünftig die interkulturelle Öffnung der Einrichtungen und
Institutionen bewirken. Sie befördert den Kontakt zu den Organisationen und Expert/innen
der Migrant/innen und ist Voraussetzung für eine gelingende Kooperation. Im Arbeitskreis
trafen sich Vertreterinnen aus unterschiedlichen Zusammenhängen und bildeten ein neues
Netz, das Verbindungen sowohl zu fachlicher Vernetzung als auch zu den Communities
hatte. Vor allem im Workshop ging es um eine interkulturelle Haltung, das Hinterfragen von
eigenen Positionen und Selbstverständlichkeiten, das während der Fachtage bereits
begonnen wurde. Das Bestreben, Stereotypisierungen und Verallgemeinerungen
entgegenzuwirken, das alle Aktivitäten des Modellprojekts kennzeichnete, greift auf, was mit
interkultureller Perspektive gemeint ist.
Einiges von dem, was in der Diskussion um Qualität in der Arbeit mit Migrantinnen
thematisiert wird, war konzeptionell im Modellprojekt berücksichtigt. Hier ging die Diskussion
über interkulturelle Kompetenzen noch weiter, indem diese nicht ausschließlich auf den
Bereich der Arbeit mit Migrantinnen bezogen wurden, wenn auch hier der Schwerpunkt lag.
Interkulturelle Kompetenz wurde aber auch als Basiskompetenz der Sozialen Arbeit
verstanden. Ambiguitätstoleranz (also die Fähigkeit, Widersprüche und Mehrdeutigkeiten
„auszuhalten“) und Rollendistanz wurden als Schlüsselkompetenzen gesehen, die nicht nur
für die Arbeit im interkulturellen Kontext unverzichtbar sind.
Die Ergebnisse der Befragungen im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung geben
Hinweise darauf, dass bei vielen der Teilnehmenden eine interkulturelle Haltung und eine
interkulturelle Perspektive bereits vorhanden waren bzw. die Bereitschaft vorhanden war, zu
lernen und sich irritieren zu lassen. Bei anderen wurde diese Bereitschaft geweckt.
Aussagen über die Gesamtheit der Teilnehmenden und über die Nachhaltigkeit der
Aktivitäten des Modellprojekts können jedoch nicht gemacht werden. Ebenso kann die
wissenschaftliche Begleitung keine Aussagen über die Rezeption des im Rahmen des
Modellprojekts erarbeiteten Handbuchs, die Akzeptanz, auf die es bei Praktiker/innen trifft
bzw. seine Wirkung machen. Dies müsste zu einem späteren Zeitpunkt erhoben werden.
Forschungsauftrag und Forschungsdesign
Auftrag der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts war, mit dem Projektteam die
Ziele des Vorhabens, die durch den Projektauftrag gesetzt waren, zu konkretisieren und
einen Zeitplan der Zielerreichung zu erstellen, persönliche Ziele der Projektmitarbeiterinnen
zu identifizieren, im Laufe der Modellphase die Zielerreichung zu verfolgen und zum
Handbuch, in dem die Erkenntnisse des Modellprojekts der Praxis zur Verfügung gestellt
werden sollen, beizutragen. Darüber hinaus ging es darum, durch Befragungen aller
Beteiligten zu erheben, ob das Modellprojekt aus deren Perspektive sinnvoll und nützlich ist.
Hier wurden die Referentinnen und Referenten der beiden Fachtage und die Leiterin des
Endbericht der Evaluation
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Workshops befragt, wie sie die Wirkung und Reichweite solcher Weiterbildungsangebote
einschätzen. Die Teilnehmenden von Fachtagen und Workshop wurden zudem ein- bis
zweimal befragt, was sie aus den Angeboten des Modellprojekts gelernt haben und ob dies
zu Veränderungen in ihrer Praxis geführt hatte.
An den beiden Fachtagen nahm eine Vertreterin der wissenschaftlichen Begleitung
beobachtend teil, eine Teilnahme am Workshop war wegen der geringen
Teilnehmerinnenzahl nicht möglich, ein Rollenwechsel der wissenschaftlichen Begleitung
aus der Beobachtung in die Rolle der Teilnehmerin wäre nicht korrekt und sinnvoll gewesen.
Die begrenzten Ressourcen des Forschungsauftrags erlaubten nur eine begrenzte
Erhebung, die jedoch durchaus interessante, für zukünftige Planung und Durchführung
nutzbare Erkenntnisse und Ergebnisse erbrachte.
Für die jeweiligen Gruppen und Zeitpunkte von Befragungen wurden unterschiedliche
Instrumente erarbeitet. Alle erhoben neben sozialstatistischen Angaben spezifische Themen:
Im Anschluss an den ersten Fachtag „Viele Welten kennen, Kompetenzen lernen“
wurde ein Evaluationsbogen an die Teilnehmenden ausgegeben. Er umfasste
einerseits klassische Fragen der Seminarevaluation wie die nach ihren Erwartungen,
nach der Praxisrelevanz und der Qualität der Beiträge. Andererseits wurden Fragen
gestellt nach der Motivation bzw. Initiative der Teilnehmenden, sich mit dieser
Thematik auseinanderzusetzen, nach ihrem Vorwissen, nach der Bereitschaft, sich
weiter zu interkultureller Kompetenz zu qualifizieren und der angenommenen
Konsequenz für die eigene Praxis bzw. eigene Einrichtung. Es wurde auch nach der
Zusammensetzung der Klientel nach Herkunftsländern und nach dem Anteil an
Migrantinnen bzw. Migranten gefragt.
Der Evaluationsbogen des zweiten Fachtags war identisch aufgebaut. Das war
erforderlich, da davon ausgegangen werden musste, dass Personen teilnehmen, die
nicht beim ersten Fachtag dabei waren. Er enthielt allerdings die Fragen ob am
ersten Fachtag teilgenommen worden war und ob die Ergebnisse ins Team
eingebracht worden waren.
Für die Interviews mit den Referentinnen und Referenten wurde ein Leitfaden erstellt.
Die Interviews wurden telefonisch durchgeführt und protokolliert.
Für die Zielbestimmung und die Zielkontrollen mit dem Projektteam wurden
entsprechende Leitfragen entwickelt, die Ergebnisse dann an der Pinwand visualisiert
und in tabellarischer Übersicht dem Team zur Verfügung gestellt.
Teamdiskussionen wurden teilweise auf Band aufgenommen und transkribiert,
teilweise protokolliert.
Für die 13 Teilnehmerinnen des Workshops wurde ein Online-Fragebogen entwickelt.
Erhoben wurden Aspekte der Unterstützungspraxis für Migrantinnen in den
Einrichtungen der Teilnehmerinnen, Angaben zur Teilnahme an Fachtagen und zum
Vorwissen sowie Angaben zum Erleben und der Einschätzung des Workshops sowie
weiterem Fortbildungsbedarf.
Für die nachgehende Befragung von Teilnehmenden der beiden Fachtage wurde
ebenfalls ein Online-Fragebogen entwickelt. Gefragt wurde nach der
Angebotsstruktur der Einrichtung, der Erinnerung an die Fachtage, der Bedeutung
und Nachhaltigkeit der erhaltenen Informationen und erworbenen Kenntnisse, nach
Veränderungsplänen, die nach dem Besuch der Fachtage gefasst wurden und deren
Realisierung sowie weiterem Fortbildungsbedarf.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
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Es wurde ein Expertinnen-Gruppeninterview mit sechs Teilnehmerinnen
durchgeführt: neben den beiden Projektkoordinatorinnen waren dies die Leiterin der
Integrationskurse an der Volkshochschule, die Leiterin einer Integrationsgruppe des
Präventionsrates, eine Mitarbeiterin des Frauenhauses und eine Integrationslotsin.
Datenlage
Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung wurden mehrere Befragungen qualitativ und
quantitativ durchgeführt und eine Vielzahl von Beteiligten erreicht:
Zielgruppe quantitativ qualitativ
Tagungsteilnehmer/innen
1. Fachtag (schriftlicher Evaluationsbogen)
55
Tagungsteilnehmer/innen
2. Fachtag (schriftlicher Evaluationsbogen)
37
Tagungsteilnehmer/innen
(nachgehender Online-Fragebogen)
24
Workshopteilnehmerinnen (Online-Fragebogen)
13
Referent/innen (telefonische Interviews)
6
Expertinnenrunde
8 Expertinnen, interdisziplinär (Gruppendiskussion)
1
Projektkoordinatorinnen (Zielbestimmung und
Teamdiskussionen)
6
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2. Zielsetzung der wissenschaftlichen Begleitung
Die wissenschaftliche Begleitung hatte das Ziel, Aussagen über die Qualität der Arbeit des
Modellprojekts zu gewinnen.1
Um diese Aspekte zu erheben, wurden die Teilnehmenden an Fachtagen und Workshop
nach ihrer Zufriedenheit befragt und nach dem Nutzen, den diese für sie hatten. Fragen nach
Zufriedenheit und Nutzen sind Fragen nach der Ergebnisqualität der Arbeit, die der
Qualitätssicherung dienen:
Die Zufriedenheit der Teilnehmenden mit dem Weiterbildungsangebot ermöglicht
Aussagen über Struktur- und Prozessqualität der Arbeit.
Der Nutzen, den sie von der Arbeit haben, ist eine Aussage über die Zielerreichung.
Beide gemeinsam vermitteln Erkenntnisse über die Ergebnisqualität (vgl. Landgrebe 2005,
Kavemann, im Druck).
Wird ein Modellprojekt ins Leben gerufen, verbindet sich damit die Erwartung, dass durch die
Entwicklung und Erprobung einer neuen Praxis eine Verbesserung des bereits existierenden
Unterstützungsangebots erreicht werden kann. Dies ist die Frage nach der Wirksamkeit des
Modells, in unserem Fall die Frage nach der verbesserten Erreichbarkeit der Zielgruppe und
der Communities, die Frage nach dem Gelingen der Vermittlung interkultureller
Kompetenzen im Rahmen der geplanten und durchgeführten Veranstaltungen und nach dem
Lernerfolg der Teilnehmenden und dessen Konsequenzen für die Praxis. Die Frage nach der
Wirksamkeit entspricht der nach dem Nutzen. Es geht um die Ziele, die sich ein Team, eine
Einrichtung oder im übertragenen Sinne ein sozialpädagogisches Angebot gesetzt hat.
Werden sie mit der aktuellen Praxis erreicht? Muss die Praxis modifiziert werden, damit sie
erreicht werden können?
Häufig richtet sich die Aufmerksamkeit vor allem auf die Zufriedenheit der Zielgruppe – in
unserem Fall die Teilnehmenden an Fachtagen und Workshop – und die Qualität eines
Weiterbildungsangebots wird daran gemessen. Zufriedenheit bedeutet Akzeptanz des
Angebots und Anerkennung der Leistung derer, die ein Angebot machen. Wir alle haben es
gern, wenn wir von Klientinnen und Klienten der Beratung, von Teilnehmerinnen und
Teilnehmern von Fachtagen, von Kolleginnen und Kollegen gelobt und gemocht werden. Ist
dies nicht der Fall, fällt die Arbeit schwerer, wir fühlen uns angegriffen, möglicherweise zu
Unrecht kritisiert. Die Frage nach der Zufriedenheit ist eine nach einem emotionalen Zustand
und bewegt sich auf der persönlichen Ebene.
Die Unterscheidung von Zufriedenheit und Nutzen hilft, sich von individueller Kritik
unabhängiger zu machen und den Blick auf Strukturen und Ergebnisse zu richten. Es wird
immer Kritik geben, Erwartungen müssen möglicherweise enttäuscht werden, Fachtage und
Workshops können nicht bis ins letzte Detail geplant werden, vor Überraschungen ist man
nie gefeit – in unserem Fall die Erkrankung einer zentral wichtigen Referentin – und
Erwartungen können auch verfehlt oder unrealistisch sein. Auch Enttäuschungen oder Kritik
schließen jedoch nicht aus, dass das Weiterbildungsangebot für die Teilnehmenden von
Nutzen war in dem Sinne, dass das Ziel erreicht wurde, sie zu informieren, anzuregen und
eventuell produktiv zu irritieren.
1 Die wissenschaftliche Begleitung orientierte sich an den Standards der Deutschen Gesellschaft für Evaluation
e.V. von 2002: Nützlichkeit, Durchführbarkeit, Fairness und Genauigkeit.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
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Das alles bedeutet jedoch nicht, dass die Zufriedenheit der Teilnehmenden die Evaluation
nicht interessieren müsste. Die Ergebnisqualität, die von Modellprojekt angestrebt wird, und
die es durch die Evaluation zu überprüfen gilt, setzt sich zusammen aus Zielerreichung und
Akzeptanz, also aus Nutzen und Zufriedenheit. Findet ein Weiterbildungsangebot wie das
Programm einer Fachtagung oder eines Workshops nicht die Akzeptanz derer, für die es
gedacht ist, dann werden sie es nicht in Anspruch nehmen und von daher nicht in die Lage
versetzt werden, den Nutzen davon zu haben. Der wissenschaftlichen Begleitung ging es
somit um beides.
Zusätzlich zur Perspektive der Teilnehmenden wurde die Erfahrung und Expertise der
Referierenden erhoben. Diese Expert/innen sind häufig im Rahmen von Weiterbildung oder
auch Lehre tätig und ihre Einschätzung, was von Weiterbildungsveranstaltungen für ein
Effekt erwartet werden kann, ist aussagekräftig für die Entwicklung eines regionalen
Weiterbildungskonzepts. Sie machen Aussagen darüber, welches Ziel sie mit ihrem Beitrag
zu erreichen hoffen, wo sie die Grenzen sehen und was sie darüber hinaus für erforderlich
halten, um eine gewisse Nachhaltigkeit zu erreichen.
Endbericht der Evaluation
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3. Zielbestimmung mit dem Projektteam
Zu Beginn der wissenschaftlichen Begleitung wurde mit dem Projektteam eine
Zielbestimmung durchgeführt, die im weiteren Verlauf immer wieder angesehen und
überprüft wurde.
Die beiden Sozialpädagoginnen des Projektteams teilten die Vision einer Kultur gewaltfreien
und offenen Miteinanders zwischen allen in Deutschland lebenden Menschen, die es denen,
die zugezogen sind, ermöglicht, sich hier zuhause zu fühlen. Zu dieser Vision gehört der
Wunsch, dass alle voneinander lernen wollen.
Als langfristig zu verstehende Ziele auf einem Weg zu dieser Vision sahen sie
„Geschlechtergerechtigkeit“ und dass Migrantinnen sich gut verstanden und aufgehoben
fühlen können, wenn sie Probleme haben.
Ebenfalls eher langfristig wäre anzustreben, dass Kolleginnen in
Unterstützungseinrichtungen mit Spaß und Neugier in die Arbeit mit Migrantinnen gehen,
dass die Teilnehmenden der Fachtagungen aktiv als Multiplikator/innen wirken und das
Handbuch, das aus dem Projekt entstehen sollte, in der Praxis genutzt wird. Hierfür sollten
Werbematerialien für das Handbuch entwickelt und verbreitet werden. Dieses Ziel konnte
innerhalb der Projektlaufzeit, vor Fertigstellung des Handbuchs noch nicht eingelöst werden.
Als mittelfristige Ziele – also Ziele, die noch innerhalb der Modellphase bzw. in absehbarer
Zeit erreicht werden könnten – wurden folgende festgehalten:
Eine konkrete interdisziplinäre Zusammenarbeit im Sinne von Gewalt betroffener
Migrantinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, könne der Runde Tisch als Forum genutzt
und eine spezifische Arbeitsgruppe gegründet werden.
Zugang zu den Communities von Migrant/innen. Auf jeden Fall sollten Türen geöffnet
und geeignete Ideen für einen zielgruppengerechten Zugang entwickelt werden. Hier
wurde auf die Ergebnisse des Workshops beim ersten Fachtag gezählt, der
Strategien zum Erreichen der Communities erarbeiten sollte. Im Anschluss ginge es
dann darum, diese in der Praxis umzusetzen.
Die Beratungsstellen und die rechtlichen Schutzmöglichkeiten für von Gewalt
betroffene Frauen sind in den Communities bekannt. Auch für dieses Ziel wurde auf
die Ergebnisse des ersten Fachtags gesetzt.
Selbstreflexion bei Fachleuten ist nicht nur in Gang gesetzt, sondern es wurden erste
Konsequenzen gezogen. Die beiden Fachtage sollten dies anstoßen, der spätere
Workshop die praktische Umsetzung fördern.
Das Handbuch fertig stellen. Dies ist ein Auftrag des Modellprojekts, denn es
abzuarbeiten gilt.
Kurzfristige Ziele waren solche, die unmittelbar in Angriff zu nehmen waren und auf
mittelfristige Ziele hin wirkten:
Informationsmaterialien über Beratungsstellen und rechtliche Schutzmöglichkeiten
gezielt verbreiten.
Neugier auf interkulturelles Arbeiten bei Kolleg/innen aktiv wecken und sie
motivieren.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
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Durch erfolgreich verlaufende Fachtage und einen ebensolchen Workshop Prozesse
der Selbstreflexion in Gang setzen.
Im Laufe der Modellphase konnten viele Schritte unternommen und einzelne Ziele erreicht
werden. Die kurzfristigen Ziele wurde alle – zumindest in einem erheblichen Umfang –
erreicht. Auch mittelfristige Ziele wie ein verbesserter Zugang zu Communities, Verbreitung
von Information bei Frauen unterschiedlicher Herkunft, Strategien für die Verbesserung der
Kooperation wurden teilweise erreicht bzw. auf den Weg gebracht: Die Arbeitsgruppe war
gegründet und hatte mehrere Male getagt, sich Aufgaben gesetzt und diese auch bearbeitet;
im Rahmen der interkulturellen Woche hatte es Kontakt zu Vertreter/innen mehrerer
Communities gegeben; über Integrationslotsen und Integrationskurse entstanden neue
Möglichkeiten des Zugangs. Jedoch blieben diese Erfolge erwartungsgemäß im
Anfangsstadium. Es zeigte sich, dass die mittelfristigen Ziele prozesshaft zu sehen sind und
weit in den Bereich des Langfristigen hineinreichen. Das Projektteam war sich bewusst, dass
„nach ein oder zwei Fachtagen nicht die große Reaktion zu erwarten ist.“ (Teamdiskussion 3)
Die begleitende und nachgehende Zielkontrolle zeigt ein Problem, das für Modellprojekte
üblich ist: Für die Entwicklung und Erprobung eines innovativen Vorhabens steht in der
Regel viel zu wenig Zeit zur Verfügung. Selbst ein Projekt, das über üppigere Ressourcen
verfügt als das in Stadthagen, braucht mehr Zeit, um zu Ergebnissen zu kommen, die von
anderen genutzt und auf andere Regionen übertragen werden können. Messbare Resultate
der Aktivität eines Modellprojekts können in der Kürze der Laufzeit keinesfalls dokumentiert
werden. Veränderungen vollziehen sich langsam, Personen und Institutionen brauchen Zeit,
um auf neue Anregungen zu reagieren (vgl. Kavemann u.a. 2001). Um tatsächlich
projektbezogene Veränderungen messen, beurteilen und nutzen zu können, wäre es
optimal, wenn einer Modellphase von zwei Jahren eine Implementierungsphase von zwei
Jahren und danach eine erneute Phase der Evaluation und Überarbeitung der Konzeption
folgte.
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4. Fachtage zur Sensibilisierung für den Erwerb interkultureller
Kompetenzen
Die beiden Fachtage wurden jeweils ganztägig am 1. Februar und 1. März 2007 in
Stadthagen durchgeführt. Die Teilnahme war kostenlos. Die Projektmitarbeiterinnen hatten
dazu breit eingeladen und die Resonanz war erfreulich hoch. Die wissenschaftliche
Begleitung reichte auf den jeweiligen Fachtag zugeschnittenen Evaluationsbögen an die
Teilnehmenden ein mit der Bitte, diese ausgefüllt zurückzugeben. Nach Ablauf von neun
Monaten wurde erneut Kontakt zu den Teilnehmenden aufgenommen, soweit sie erreichbar
waren, und eine nachgehende Befragung zur Wirkung der Fachtage durchgeführt.
Von den Veranstalterinnen des Modellprojekts war eine Teilnahme an beiden Fachtagen
gewünscht worden. Eingeladen wurde über verschiedene Verteiler und über die Presse. Die
Fachtage richteten sich an Praktikerinnen und Praktiker, die als Multiplikator/innen in Frage
kamen.
Die Fachtage gliederten sich jeweils in einen Input-Teil mit Referaten am Vormittag und
einen Workshop am Nachmittag. Am ersten Fachtag gab es ein zusätzliches Referat zum
Abschluss des Tages. Als Referierende eingeladen waren namhafte Fachleute aus
Wissenschaft und Praxis und Fachleute aus der Region, fast alle mit eigenem
Migrationshintergrund. Die Veranstalterinnen stellten ein zweitägiges Programm zusammen,
da die Fülle der Themen und Informationen, die sie vermitteln wollten, den Rahmen einer
eintägigen Fachtagung bei weitem überstieg. Gewünscht war, dass die Teilnehmenden sich
zu beiden Fachtagen anmeldeten, um alle unterschiedlichen Referate und Fachbeiträge, die
ein breites Themenspektrum abdeckten, zu hören und sich an der Diskussion zu beteiligen.
Es gab Beiträge zur Bedeutung von Migration, zum Zuwanderungsgesetz, zum Konzept von
Diversity und spezifische zu türkischen Männern und russischen Frauen. Leider fiel ein
zentraler Beitrag – zu unterschiedlichen Glaubensrichtungen im Islam – wegen Krankheit der
Referentin aus. Die Referate waren von hohem Anspruch gekennzeichnet, die Workshops
wurden unterschiedlich bewertet.
Ein zentrales Problem der Fachtage war die zeitliche Enge. Es gab zu wenig Zeit für Pausen
und Austausch, was sowohl die Veranstalterinnen als auch die Teilnehmenden unter Stress
setzte. Dass trotzdem von allen Seiten die gute Arbeitsatmosphäre gelobt wurde, spricht für
die Qualität der Fachtage ebenso wie die Tatsache, dass nur wenige die Veranstaltungen
vorzeitig verlassen hatten.
Evaluation der beiden Fachtage aus Sicht der Teilnehmenden
Vom ersten Fachtag liegen 55 und vom zweiten Fachtag 37 Bögen vor, insgesamt 92
Rückmeldungen zu den Fachtagen. Der Rücklauf der Fragebögen des ersten Fachtags
betrug 90% und ist somit hervorragend. Für den zweiten Fachtag kann der Rücklauf nicht mit
Genauigkeit bestimmt werden, denn die Anzahl der Anwesenden wurde von den
Veranstalterinnen nicht genau dokumentiert. Der Rücklauf ist jedoch als gut einzuschätzen.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
17
Die Teilnehmenden, die den Fragebogen beantworteten, waren fast ausschließlich Frauen,
insgesamt drei Bögen kamen von Männern. Männer, die in Facharbeitskreisen mitarbeiteten,
die sich mit dem Thema häusliche Gewalt beschäftigten, waren gezielt eingeladen worden,
was jedoch keine Wirkung zeigte. Es nahmen ganz überwiegend Frauen teil. Diese
Verteilung ist nach Ansicht des Projektteams auch darauf zurückzuführen, dass in den
Unterstützungseinrichtungen für Frauen, die zahlreich vertreten waren, fast ausschließlich
Frauen tätig sind.
Die Teilnehmenden waren im Durchschnitt ca. 46 Jahre alt und seit durchschnittlich 11
Jahren im Beruf. Somit handelte es sich überwiegend um erfahrene Fachkräfte.
Erfahrung ist sicherlich ein Gewinn für die Arbeit im interkulturellen Kontext, denn sie
bedeutet Sicherheit im professionellen Agieren. Andererseits fehlen junge Kolleginnen und
Kollegen, die noch wenig Routine, dafür aber mehr Offenheit mitbringen könnten bzw. zu
einer Generation gehören, für die eine interkulturelle Mischung bereits an der Schule bzw.
der Hochschule eher selbstverständlich war. Dass die Mehrheit der Frauen, die Gewalt
erleiden, jung ist (Schröttle u.a. 2004) und dass vor allem junge Frauen aus eingewanderten
Familien in Konfliktlagen zwischen traditionellen Rollenerwartungen und anderen Optionen
im Einwanderungsland geraten, sollte dazu motivieren, junge Kolleginnen für dieses
Arbeitsfeld zu gewinnen.
Die Befragten hatten überwiegend sozialpädagogische Qualifikationen und viele arbeiteten in
Beratungsstellen, einige in Schutz- und Beratungseinrichtungen für von Gewalt betroffene
Frauen. Es waren auch Integrationsmanager/innen, Vertreter/innen der
Flüchtlingssozialarbeit, der Migrationsberatung, sowie der Schule und der Schulsozialarbeit
oder von Gleichstellungsstellen darunter.
Es waren kaum Teilnehmende mit eigenem Migrationshintergrund anwesend. Auch dies lag
nach Einschätzung des Projektteams daran, dass in den Einrichtungen, die präsent waren,
kaum Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund beschäftigt sind.
Die Zielgruppen, mit denen gearbeitet wird, waren überwiegend (von Gewalt betroffene)
Frauen und Mädchen auf der einen und Migrant/innen bzw. Flüchtlinge auf der anderen
Seite. Somit waren beide für das Modellprojekt zentralen Arbeitsfelder auf den Fachtagen
gut repräsentiert.
Für über 60% war es nicht die erste Fortbildungsveranstaltung zu diesem Thema, es
handelte sich somit in der Mehrzahl um besonders Interessierte.
Der Anteil von Migrant/innen unter den Zielgruppen der vertretenen Einrichtungen lag im
Durchschnitt bei 30%. Einige Einrichtungen arbeiteten ausschließlich mit Migrant/innen,
andere dagegen eher selten.
Als Herkunftsländer wurden vor allem die Türkei und Länder Mittel- und Osteuropas genannt,
aber vereinzelt auch Asien, Afrika und Lateinamerika bzw. andere Länder. Einige Befragte
gaben an, Klient/innen aus 20 bzw. mehr als 30 Nationen zu beraten.
Die Teilnehmernden kamen alle sowohl aus eigener Motivation als auch im Interesse ihrer
Einrichtung, eine sehr vorteilhafte Kombination, die garantieren kann, dass die Kenntnisse
Endbericht der Evaluation
18
nicht nur individuell bleiben, sondern zu Verbesserungen der Beratung von Migrantinnen in
der ganzen Einrichtung führen. Etwas über die Hälfte derjenigen, die auch am ersten
Fachtag teilgenommen hatten, antwortete am zweiten Fachtag, dass sie die Ergebnisse in
der Zwischenzeit in ihr Team eingebracht hatten.
Die Teilnehmenden gaben insgesamt eine positive Einschätzung der Fachtage. Sowohl zur
Zufriedenheit der Teilnehmenden als auch zum Nutzen, den sie aus den Fachtagen zogen,
kann die Erhebung Aussagen machen. Beides wurde als hoch eingeschätzt.
Die Erwartungen der Teilnehmenden bezogen sich vor allem auf
Anregungen, neue Ideen für die eigene Praxis, Denkanstöße, Impulse
Lösungsmöglichkeiten für Probleme der eigenen Praxis
Wissenszuwachs, theoretischen Input
Erfahrungsaustausch
97% der Befragten erklärten, dass diese Erwartungen erfüllt wurden, für die Hälfte von ihnen
sogar „voll und ganz“. Die Evaluation hinsichtlich ihrer Zufriedenheit mit der Fachtagung fiel
sehr positiv aus.
Bewertung der Fachtage durch die Teilnehmenden (N=92)
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Th
em
en
inte
ressa
nt
Vo
rträg
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ch
lich
gu
t
Wo
rksh
op
fach
lich
gu
t
Arb
eits
atm
osp
hä
re
gu
t
ja, auf jeden Fall
eher ja
eher nein
nein, auf keinen Fall
Die Themen und die Referate wurden durchweg positiv bewertet. Dabei fiel auf, dass zwei
Vorträge mit sehr unterschiedlichen Positionen, was unter interkulturellen Kompetenzen zu
verstehen sei, von mehreren Teilnehmenden gleichermaßen als besonders interessant
benannt wurden, ein Hinweis darauf, dass Anregung zum Weiterdenken gesucht und
gefunden wurde.
Die Arbeitsatmosphäre wurde sehr geschätzt. Auch in der offenen Frage, was sie besonders
positiv hervorheben wollten, bezogen sich viele Teilnehmende auf die guten
Rahmenbedingungen und die angenehme Atmosphäre der Tagung. Dies lässt vermuten,
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
19
dass sie nicht erwartet hatten, einen Fachtag zum Thema interkulturelle Kompetenzen so
anregend und entspannt zu erleben.2
Kritisch gesehen wurde der Workshop des ersten Fachtags. Es gab nur ein Drittel positive
Rückmeldung, die anderen waren negativ. Auch die Projektmitarbeiterinnen äußerten im
Auswertungsinterview Enttäuschung, da der Workshop nicht so konkret und praxisbezogen
verlaufen war wie gewünscht und geplant. Der Workshop des zweiten Fachtags wurde
erheblich besser bewertet, mehr als drei Viertel gaben positive Rückmeldung.
Kritisiert wurde die zeitliche Enge und thematische Überfüllung des ersten Fachtags. Der
zweite Fachtag bot etwas mehr Luft auch für Austausch und Diskussion.
Die beiden Fachtage scheinen den Fortbildungsbedarf der Teilnehmenden weitgehend
gedeckt zu haben, denn nur knapp die Hälfte wünschte sich am Ende weitere Fortbildungen.
Wenn Fortbildung, dann sollte es sich nach Ansicht der Befragten um Austausch zwischen
den Arbeitsfeldern handeln – also interdisziplinär und interinstitutionell – weniger um
Austausch im eigenen Arbeitsfeld, der offenbar ausreichend stattfindet oder zu diesem
Thema weniger Bedeutung hat.
Nutzen der Fachtage aus Sicht der Teilnehmenden (N=92)
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
Neues e
rfahre
n
Inhalte
konkre
t
nutz
bar
neue
Koopera
tionspartn
er
Handlu
ngskonzepte
anw
endbar
ja, auf jeden Fall
eher ja
eher nein
nein, auf keinen Fall
Eine deutliche Mehrheit (81%) gab an, Neues erfahren zu haben, das für ihre Praxis
unmittelbar von Nutzen ist (80%). Insofern haben die Fachtage ihr Ziel erreicht. Obwohl die
Fachtage überwiegend Input in Vortragform boten und der Workshop am ersten Fachtag die
in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllte, haben doch erstaunlich viele für sie anwendbare
Handlungskonzepte mitgenommen (63%). Dass relativ wenige hier neue
Kooperationspartner trafen (32%) mag daran liegen, dass die Teilnehmenden bereits
mehrheitlich miteinander aus Kommune und Landkreis bekannt waren. Dies ist durchaus
positiv zu sehen, da die Kooperation nicht bei Null beginnt, sondern auf bereits existierende
Strukturen aufgebaut werden kann. Andererseits kann die zeitliche Enge der Fachtage, die
2 Die in der Vergangenheit oft sehr polarisierend geführte und belastend erlebte Diskussion über Rassismus
könnte hier der Hintergrund sein.
Endbericht der Evaluation
20
kaum Austausch erlaubte, dazu beigetragen haben, dass sich wenig Neues entwickeln
konnte.
Für die zukünftige Planung von Fachtagen wäre ein heterogen zusammengesetztes
Publikum wünschenswert. Über eine gezielte Einladestrategie und Referierende, die
unterschiedliche Berufsbereiche ansprechen, kann dies gefördert werden.
Selbsteinschätzung der Teilnehmenden nach 2 Fachtagen (N=92)
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
sicher und gerüstet verunsichert
ja, auf jeden Fall
eher ja
eher nein
nein, auf keinen Fall
Die Teilnehmenden schätzten ihre Kompetenzen positiv aber nicht unkritisch ein.
Mehrheitlich sahen sie sich gut gerüstet für das Thema interkulturelle Kompetenzen in der
Arbeit mit von Gewalt betroffenen Frauen (66%), einige hatten aber ihre Zweifel bzw. sahen
noch Bedarf. Erfreulich war, dass die Fachtage zu mehr Sicherheit beigetragen haben und
kaum – wie durchaus möglich bei Fortbildungen mit geringen Beteiligungsmöglichkeiten und
einem als schwierig erlebten Thema – zur Verunsicherung (12%).
Der Blick der Teilnehmenden auf die eigene Haltung und Professionalität (N=92)
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
ich habe Denkanstöße
bekommen
ich muss eigene Haltung
überdenken
wir brauchen
konzeptionelle
Weiterentwicklung
ja, auf jeden Fall
eher ja
eher nein
nein, auf keinen Fall
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
21
Eine zentrale Erwartung der Teilnehmenden – Denkanstöße zu bekommen – hat sich für fast
alle erfüllt (96%). Das, was sie hier an Input und Anregung bekommen haben, führte für
knapp die Hälfte zu der Schlussfolgerung, die eigene Haltung zum Thema Interkulturalität zu
überdenken (46%), etwas mehr sahen sich in ihrer bisherigen Haltung bestätigt. Deutlich
mehr Bedarf an Veränderung wird bei den Konzeptionen der Einrichtungen gesehen. 65%
sehen hier Entwicklungsbedarf und nur eine Person ist überzeugt, dass dies keinesfalls
erforderlich ist.
Somit konnte nach Beendigung der beiden Fachtage davon ausgegangen werden, dass sie
Rückwirkungen auf die Praxis der Einrichtungen im Einzugsgebiet der Fachtage haben
werden. Die nachgehende Befragung sollte diese Annahme überprüfen.
Nachgehende Befragung der Teilnehmer/innen der Fachtage
Die These, die der nachgehenden Befragung zugrunde lag, war, dass Voraussetzung dafür,
dass der hier erkannte Bedarf an Weiterentwicklung auch in die Praxis umgesetzt wird, das
Engagement der Teilnehmenden ist, mit dem sie diese Inhalte in ihre Einrichtungen bzw. ihr
Team einbringen und die Bereitschaft der Einrichtung, die Veränderung einzuleiten. Dazu sei
eine längerfristige Arbeit erforderlich, einzelne Fachtage reichten erfahrungsgemäß nicht
aus.
Im Rahmen der nachgehenden Befragung der Teilnehmenden der beiden Fachtage kamen
nur wenige Antworten. Die Teilnehmerlisten waren unvollständig ausgefüllt, die
Emailadressen und Telefonnummern waren teilweise kaum leserlich. Emailadressen für die
Online-Befragung wurden telefonisch oder im Internet recherchiert. Insgesamt 60 Adressen
konnten ermittelt werden und wurden Anfang November 2007 angeschrieben, sechs davon
wurden nicht erreicht. Es antworteten dann 24 ehemalige Teilnehmende: 23 Frauen und ein
Mann. Die relativ kleine Anzahl vermittelt dennoch einen Einblick und – begrenzte –
Erkenntnisse über die Wirkung der Fachtage.
Das berufliche Spektrum ist breit, der Schwerpunkt liegt jedoch eindeutig auf Frauenhäusern
und Frauenberatungsstellen. Zehn der Antwortenden sind in diesen Einrichtungen
beschäftigt. Weitere zwei Personen arbeiten in Migrantinnenberatungsstellen und drei in
einer Behörde. Weitere zwei arbeiten in anderen Beratungseinrichtungen, zwei in Schulen,
außerdem waren die Kinder- und Jugendhilfe, die Jugendberufshilfe und die Elternarbeit
vertreten.
Der Altersdurchschnitt ist ähnlich hoch wie der der Fachtage, nur zwei sind jünger als 36
Jahre alt, die meisten über 40. Mehrheitlich arbeiten sie in Kreis- und Kleinstädten, sie sind
mehrheitlich erwartungsgemäß Sozialarbeiterinnen bzw. Sozialpädagoginnen und stehen
mehrheitlich über zehn Jahren im Beruf.
In einem Viertel der durch sie vertretenen Einrichtungen sind Kolleg/innen mit
Migrationshintergrund beschäftigt. Neben Deutsch werden hier am häufigsten die
klassischen Schulfächer Englisch und Französisch gesprochen und in Einzelfällen türkisch,
russisch, polnisch, arabisch, spanisch. Über Informationsmaterial in mehreren Sprachen
Endbericht der Evaluation
22
verfügen die meisten Einrichtungen, allerdings gibt nur eine an, dass diese Sprachen auch in
der Beratung gesprochen werden.
Bei den Antwortenden der nachgehenden Befragung handelte es sich um eine noch stärkere
„Auslese“ als bei den Teilnehmenden der Fachtage. Über die Hälfte hatten bereits früher
Fortbildungen zum Thema interkulturelle Kompetenzen besucht, mehrheitlich öfter als
einmal. Sie verorteten ihre eigene interkulturelle Kompetenz auf einer Skala zwischen 1
(sehr hoch) und 5 (sehr niedrig) überwiegend bei 2 oder 3.
An die Fachtage des Modellprojekts konnten sich 16 von 24 noch gut bis sehr gut und 6
noch leidlich erinnern. Sie schätzten sie im Nachhinein als durchaus praxisrelevant ein, fast
drei Viertel wählten auf der Skala 1 oder 2.
In der nachgehenden Befragung wurde danach gefragt, welche Inhalte sie für die
interkulturell sensible Unterstützungspraxis für Frauen als besonders wichtig erachten.
Inhalt interkulturell sensibler Unterstützung
N=24
Bewusstsein für die kulturspezifische Abhängigkeit des Denkens und Handelns 22
Akzeptanz von Unterschiedlichkeit 19
Gute Vernetzung und Kooperation 16
Kommunikative Kompetenz und Beratungskompetenz 14
Politische, soziale, religiöse Kenntnisse über die Herkunftsländer 12
Offenheit gegenüber neuen Ideen und Wertvorstellungen 12
Fähigkeit und Bereitschaft, mein Verhalten zu ändern 8
Gute Kenntnisse des Ausländerrechts 8
Konfliktlösungskompetenzen 3
Toleranz gegenüber einem anderen Verständnis von Gewalt 1
An erster Stelle stand für die Befragten das Bewusstsein von der kulturellen Abhängigkeit
des eigenen Denkens und Handelns. Damit stellten sie einen Dreh- und Angelpunkt der
Diskussion um interkulturelles Verständnis und einen selbstkritischen Ansatz in den
Mittelpunkt. Akzeptanz von Unterschiedlichkeit und Offenheit gegenüber anderen
Wertvorstellungen waren für die meisten wichtig, hatten ihre Grenze allerdings da, wo
Gewalt Thema wird. Hier wollten die Befragten bis auf eine Person keine kulturell begründete
Relativierung zulassen. Dies zeigt eine klare und unbeirrbare Haltung gegenüber Gewalt.
Erfreulich war der hohe Stellenwert, den sie der Vernetzung und Kooperation einräumten. All
das klingt viel versprechend mit Blick auf die Qualität der Unterstützungsangebote und deren
Weiterentwicklung in der Region.
Erstaunlich ist aber, wie gering Konfliktlösungskompetenzen bewertet wurden, angesichts
der Vielfalt von Konflikten, die in den interkulturellen Begegnungen möglich und täglich auf
der Tagesordnung sind. Es ist schwer vorstellbar, dass die befragten Fachkräfte Konflikte im
interkulturellen Kontext nicht erleben. Wenn sie offensiver im Bereich der Arbeit mit
Migrantinnen werden und neue Zielgruppen erreichen, stehen sie wahrscheinlich auch vor
neuen Konflikten.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
23
Wie die Untersuchung zu Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen (Schröttle
u.a. 2004) zeigt, ist Gewalt in Ehen und Beziehungen migrierter Frauen sehr häufig. Zudem
liegen Erkenntnisse vor, dass Gewalt in der Erziehung in vielen eingewanderten Familien in
einem Maße üblich ist, wie es in Deutschland bis vor 20 Jahren der Fall war (Baier/Pfeiffer
2007). Sollen diese Verhaltensweisen in Frage gestellt werden, sind Konflikte in der
Beratung unumgänglich. Und dies nicht nur, wenn es um Arbeit mit gewalttätigen Männern
geht. Auch die mütterlichen Erziehungskompetenzen müssen in den Blick genommen
werden.
Ein Beispiel gibt die Mitarbeiterin eines Frauenhauses:
„Im Frauenhaus müssen wir auf Kindesmisshandlung reagieren,3 und mit dem Satz ‚In
Vietnam wird das aber so gemacht’ kann ich nicht. Ich kann nicht einfach sagen, das ist eine
andere Kultur. Die Kinder sind ein und drei Jahre alt, das war einfach nicht zu ertragen. Aber
ich will auch etwas Positives dazu sagen. Die Frau spricht überhaupt kein Deutsch, das
Intervenieren ist also auch schwierig. Wir haben mit Hilfe einer Dolmetscherin unsere
Position klar gemacht und gesagt, das gibt es bei uns nicht, das sind deutsche Kinder, die
werden in Deutschland leben und wir wollen das hier nicht. Und sie hat es angenommen. Ob
ihr noch mal die Hand ausrutscht, ist eine ganz andere Geschichte, aber sie hat akzeptiert,
dass hier Grenzen sind.“
Auch in der Kooperation unterschiedlicher Institutionen, die verantwortlich oder beteiligt sind,
wenn es um den Schutz von Migrantinnen bei häuslicher Gewalt geht, treten regelhaft
Konflikte auf. Die Perspektive einer parteilich arbeitenden Schutzeinrichtung unterscheidet
sich z.B. in der Mehrheit der Fälle von der des Ausländeramtes. Unter Fachkräften
verschiedener Qualifikation, Zuständigkeit und Entscheidungskompetenz müssen Lösungen
gefunden werden, die möglichst wirksam zum Schutz vor Gewalt führen.
Ebenso gibt es Konflikte zwischen Gruppen von Migrant/innen. Das Projektteam stand z.B.
vor dem Problem, dass eine Veranstaltung im Rahmen der interkulturellen Woche nicht wie
geplant durchgeführt werden konnte, weil die Vertreter/innen der sunnitischen Gemeinde
nicht aufs Podium wollten, wenn dort auch Aleviten vertreten waren.
In diesen Prozessen sind Sozialpädagog/innen auf Verhandlungs- und
Konfliktlösungskompetenzen angewiesen. Die Frage nach Konflikten muss weiter gestellt
werden, über die Beratungsarbeit mit betroffenen Frauen hinaus.
Hier ist eine Anregung für zukünftige Weiterbildung zu sehen: Es gilt, ein Gewicht auf
konkrete Konflikte und entsprechende Lösungsmöglichkeiten zu legen und diese zu üben.
Ein Workshop ist dafür der geeignete Rahmen. Die Motivation dazu kann von Fachtagen
ausgehen.
Anlass zur Sorge gibt die geringe Bedeutung, die guten Kenntnissen des Ausländerrechts
beigemessen wird. Nach Ansicht der befragten Expert/innen (vgl. 4.4) sind gerade diese
Kenntnisse ausschlaggebend für die Qualität der Unterstützung von Migrantinnen. Ihr
Unterstützungsbedarf wird ansonsten eher nicht anders als der deutscher Frauen
eingeschätzt. Ihre unterschiedliche rechtliche Situation – abhängig von der EU-Zugehörigkeit
ihrer Herkunftsländer, ihren legalen Aufenthalts- und Arbeitsmöglichkeiten – stellt die
zentrale Herausforderung an Unterstützung dar. Von ihrer rechtlichen Situation hängt u. a.
3 Zu dieser Diskussion vgl. auch Kavemann/Kreyssig 2006.
Endbericht der Evaluation
24
ab, welche Konsequenzen ihnen aus dem Verlassen eines gewalttätigen Partners
erwachsen, ob sie sich für die Inanspruchnahme polizeilichen bzw. gerichtlichen
Gewaltschutzes entscheiden und ob sie sich an deutsche Behörden um Hilfe wenden
werden.
Zukünftige Weiterbildung muss den Teilnehmenden diese Aspekte mit großer Deutlichkeit
vermitteln. Alle Kenntnisse fremder Kulturen, Empathiefähigkeit und Selbstreflexion oder
Offenheit gegenüber anderen Werten und Traditionen sind bei der Frage des Schutzes vor
Gewalt sekundär. Wird die rechtliche Situation von Migrantinnen nicht zentral zum Thema
der beteiligten Professionellen und Institutionen gemacht, kann Gewaltschutz nicht gelingen.
Dies bedeutet nicht, dass alle Rechtsexpert/innen werden müssen, dazu gibt es die
Kooperation mit Anwält/innen. Gute Kenntnisse des Ausländerrechts gehören jedoch zu den
Grundvoraussetzungen guter Arbeit in diesem Bereich.
Die Teilnehmenden der Fachtage im Frühjahr wurden gefragt, ob sie sich nach den
Fachtagen ein Ziel gesetzt oder sich etwas Bestimmtes vorgenommen hatten. Das
beantworteten 15 mit ja, neun gaben an, Ziele erreicht zu haben. Was sie sich vorgenommen
und was sie erreicht hatten, war unterschiedlich:
Vorhaben nach den Fachtagen
N=24
vorgenommen erreicht
Die Inhalte und Ergebnisse der Fachtage in einer Teamsitzung
vorstellen und diskutieren
12 10
Die Vorträge der Referierenden nachlesen, mehr Literatur zum Thema
lesen
7 4
Die Konzeption unserer Einrichtung überprüfen und weiterentwickeln
7 3
Mehr mit Einrichtungen kooperieren, die spezifische Angebote für
Migrantinnen machen
7 3
Unsere Öffentlichkeitsmaterialien überprüfen und möglicherweise
überarbeiten
5 2
Kontakt zu Migrant/innenorganisationen aufnehmen
3 2
Zukünftig gezielt Migrantinnen als Kolleginnen werben
3 1
Eine Sprache lernen, um mit meinen Klientinnen besser reden zu
können
2 2
Unsere Beratungsräume anders einrichten, um Migrantinnen
willkommen zu heißen
2 1
Immerhin 15 von 24 nannten mindestens ein Vorhaben, das sie sich nach ihrer Teilnahme an
den Fachtagen als Ziel gesetzt hatten. Das ist eine gute Quote. Sie ist angesichts der
Auswahl besonders interessierter Personen, die sich an der nachgehenden Befragung
beteiligten, aber sicherlich nicht repräsentativ für die Gesamtheit der Aktiven in der Sozialen
Arbeit.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
25
Auch die Einschätzung des eigenen Erfolgs fiel positiv aus. Mehrheitlich hatten die Befragten
mindestens eines ihrer Ziele erreicht. Hier finden sich erste Hinweise auf Wirkung und
Nachhaltigkeit der Fachtage.
1. Am häufigsten gelang die Rückmeldung in das Team ihrer Einrichtung. Fast alle, die
sich das vorgenommen hatten, haben es umgesetzt.
Es könnte der Schluss gezogen werden, dass die Teilnahme besonders engagierter
Mitarbeiter/innen an Fachveranstaltungen oder Fortbildungen eine gute Chance darstellt,
dass alle in der Einrichtung Tätigen über die wesentlichen Inhalte informiert werden.
Förderlich wäre es, am Ende einer Fachtagung Zeit einzuplanen, in der die Teilnehmenden
in Kleingruppen ihre Rückmeldung an ihr Team bzw. in ihre Einrichtung gleich vor Ort
vorbereiten können. Möglich wäre auch, Zeit für ein Resümee einzuplanen, und dieses den
Teilnehmenden zuzuschicken. Es kann dann als Handreichung an das Team und als
Grundlage für einen Bericht in der Teamsitzung genutzt werden.
2. Eine Fortbildungsveranstaltung nachzubereiten, Texte nachzulesen und Literatur zu
lesen sind ganz übliche Reaktionen auf einen als anregend erlebten Input. Weniger
als die Hälfte derer, die sich das vornahmen, hat es auch in die Tat umgesetzt. Auch
das ist nicht überraschend. Angesichts der Arbeitsbelastung im Alltag verlangt es viel
Energie, sich noch an Fachliteratur zu setzen.
3. Eine Überprüfung der Konzeption ihrer Einrichtung haben nur wenige in Angriff
genommen. Dafür ist in der Regel die Unterstützung des ganzen Teams bzw. der
Leitung erforderlich, was nicht sichergestellt ist, wenn nur eine Mitarbeiterin an einer
Fortbildung teilnimmt. Das gleiche gilt für mehr Kooperation oder der Überprüfung
von Öffentlichkeitsmaterialien oder die Umgestaltung der Beratungsräume. Auch hier
sind dem individuellen Engagement Grenzen gesetzt.
Diese Themen könnten in weiteren Weiterbildungen aufgegriffen werden. „Wie weit ist uns
eine interkulturelle Öffnung gelungen und was gibt es noch zu tun?“, „Wie überarbeiten wir
unsere Öffentlichkeitsmaterialien, um Zugangsschwellen zu senken?“, dies sind sinnvolle
Themen für eine interinstitutionelle Arbeit in Workshops.
4. Mehr Kolleginnen mit Migrationshintergrund einzustellen ist ein schwieriges Ziel, das
angesichts der personellen Ausstattung und Absicherung von
Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern aber auch von anderen freien Trägern.
Es gibt wenige Stellen und von daher wenig Wechsel. Eine besondere Rolle nehmen
Kolleginnen mit Migrationshintergrund ein, die als „andere Deutsche“ hierzulande
sozialisiert worden sind (vgl. Mecheril 1994).
5. Erfreulich ist, dass die beiden, die sich vornahmen, eine Sprache ihrer Klientel zu
erlernen, dies auch tatsächlich begonnen haben.
Kommunikation ist das Instrument der Beratungsarbeit, meistens ist es Sprache. Sprache
bedeutet bekanntermaßen sehr viel mehr als Worte, wobei die richtigen Worte
ausschlaggebend sein können, Vertrauen in einer Beratungsbeziehung aufbauen zu können.
Dies gilt nicht nur für die Arbeit mit Migrantinnen. Auch deutsche Frauen bzw. Frauen, die
gut Deutsch sprechen haben oft Probleme einzuschätzen, ob die Stelle, deren
Endbericht der Evaluation
26
Telefonnummer oder Flyer sie bekommen haben, für sie und ihr Problem geeignet ist. Die
Fachsprache der Sozialen Arbeit – und der feministischen Sozialen Arbeit – ist nicht für alle
leicht verständlich. Neben Sprachschwierigkeiten spielt Beratungsferne und die Unkenntnis
des Hilfesystems eine große Rolle (Helfferich u.a. 2005). Für Migrantinnen kommen häufig
alle Probleme zusammen.
Eine Sprache zu erlernen ist ein langfristiges Vorhaben und ein weitreichender Entschluss.
Kurzfristig könnte die Arbeit mit von Gewalt betroffenen Migrantinnen davon profitieren, wenn
kleine Bedarfsanalysen in Schutz- und Beratungseinrichtungen vorgenommen werden. Z.B.
könnten Klientinnen mit Migrationshintergrund gefragt werden, worauf sie Wert legen, wenn
sie in einer Einrichtung ankommen, wie sie in Empfang genommen werden möchten und
was ihnen das Gefühl geben kann, dass sie hier richtig sind und Vertrauen fassen können
(vgl. auch Interkulturelle Initiative 2006).
Abschließend wurde in der nachgehenden Befragung weiterer Fortbildungsbedarf ermittelt.4
Mehrere Monate nach ihrer Teilnahme an den Fachtagen äußern 21 von 24 weiteren
Fortbildungsbedarf. Hier geht es also nicht um die häufig anzutreffende Reaktion nach
Veranstaltungen, dass Bedarf spontan genannt wird, weil der Eindruck des Inputs noch so
frisch ist – ein Bedarf der dann sehr oft nicht Bestand hat und nicht zur Teilnehme an
weiterführenden Veranstaltungen führt – sondern um einen Bedarf, der abgeklärt ist.
Die Befragten wünschen sich mehrheitlich Fortbildungen, die interdisziplinär angelegt sind
und gemeinsam mit Migrantinnen durchgeführt werden. Mehrheitlich sind sie an
Informationen zu spezifischen Kulturkreisen interessiert, was sicherlich mit der
Zusammensetzung ihrer Klientel korrespondiert.
Sowohl theoretischer Input bzw. Hintergrundwissen (17 mal ja) als auch praktische
Kommunikationsübungen (11 mal ja) waren gefragt.
Unklar bleibt, weshalb trotz des Monate später geäußerten Wunsches nach mehr Fortbildung
sich nur zwei Teilnehmerinnen der Fachtage zum Workshop im September anmeldeten. Dies
wäre die Gelegenheit gewesen, die Kenntnis zu vertiefen und an der eigenen Praxis entlang
zu diskutieren und zu üben.
Durch die Befragung konnte nicht geklärt werden, ob der Wunsch nach weiterer Fortbildung
ausschließlich Ausdruck eines Verlangens nach mehr Wissen und Handlungssicherheit ist,
oder ob es sich auch um ein Herausschieben von Entscheidungen über fällige
Veränderungen in Konzeption und Praxis handelt.
Es kann der Schluss gezogen werden, dass für einen engagierten Personenkreis – hier
handelte es sich mehrheitlich um Frauen aus dem Schutz- und Beratungsbereich – die
Fachtage Wirkung gezeigt haben, die über die Teilnahme und damit den Zuwachs an
Wissen und Kompetenz bei Einzelnen hinaus gingen und die Einrichtungen erreichte.
Darüber hinaus besteht bei diesen besonders Engagierten eine Motivation zur weiteren
Beschäftigung mit dem Thema interkulturelle Kompetenzen und es wird spezifischer
Weiterbildungsbedarf geltend gemacht, obwohl sie ihre eigenen Kompetenzen positiv
einschätzen. Wann und wie ausreichende Handlungssicherheit erreicht wäre, kann im
Rahmen dieser Befragung nicht beantwortet werden.
4 Es kann nichts über den Fortbildungsbedarf der Mehrheit der Teilnehmenden, die ja durch die nachgehende
Befragung nicht erreicht wurden, gesagt werden.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
27
Der Wunsch nach Sicherheit in der Arbeit ist verständlich, vor allem, wenn es um das Thema
Gewalt geht. Die Verantwortung für die Sicherheit der Klientinnen ist oft belastend. Es ist
schwierig damit umzugehen, wenn die Klientin ihre Situation anders einschätzt als die
Beraterin oder Wege gehen will, die die Beraterin möglicherweise für riskant oder verfehlt
hält. Diese Sorge und Unsicherheit auf Seiten der Beraterin sollte keinesfalls mittels
kulturalisierender Zuschreibungen an die Klientin entschärft werden. Sozialpädagog/innen
und Sozialarbeiter/innen sind von Berufs wegen darin geübt, auf Verunsicherung zu
reagieren und mit Unwägbarkeiten zu arbeiten. Ergebnisoffenheit ist ein zentrales Prinzip
von Beratungsarbeit. Ein Bewusstsein, dass Beratung von Menschen mit anderem
kulturellen Hintergrund nicht grundlegend andere Fähigkeiten erfordert, ist entlastend.
Unterstützungsbedarf ist immer differenziert zu sehen und individuell zu ermitteln. Bei
Migrantinnen können fehlende Sprachkenntnisse auf beiden Seiten eine Erschwernis
darstellen, für die Abhilfe geschaffen werden muss. Gibt es keine Beraterin, die die
entsprechende Sprache spricht, müssen Dolmetscherinnen zur Verfügung stehen. An
zusätzlichem und spezifischem Wissen erforderlich sind, wenn es um die Beratung von
Migrantinnen geht, spezifische Kenntnisse der (ausländer-)rechtlichen Regelungen, die das
Leben der Klientinnen betreffen.
Fachtage können auf den Bedarf an rechtlichen Kenntnissen nachdrücklich hinweisen, diese
aber nicht im Detail vermitteln, sondern in Grundzügen verdeutlichen, wo die Probleme und
die Lösungsmöglichkeiten liegen. Für die Anwendung in der Praxis ist die Rezeption von
Fachliteratur und die enge Kooperation mit Rechtsexpert/innen von Nöten. Fachtage sollten
im Interesse der Qualität der Arbeit und der Sicherheit der Klientinnen nicht vorgeben, mehr
als das leisten zu können. Sie sollten die Kooperation mit entsprechenden Fachkräften vor
Ort fördern, indem diese sich sichtbar und ansprechbar machen.
Befragung des Projektteams
Bevor der erste Fachtag stattfand, hatte sich das Projektteam bereits mehrere Monate in die
Thematik interkulturelle Kompetenz in der Beratungs- und Unterstützungsarbeit
eingearbeitet. Beide Mitarbeiterinnen waren hoch motiviert und voller Begeisterung
angesichts der Vorstellung, dass möglicherweise durch das Modellprojekt ein Impuls für eine
Verbesserung der Situation von Migrantinnen ausgehen könnte.5
Das Projektteam nahm im Teaminterview eine sehr sorgfältige und eher kritische Prüfung
der Fachtage vor. Sie waren insgesamt zufrieden. Trotz Kritik im Einzelnen sowohl an ihrer
Planung als auch am Verlauf der Tagungen und einzelnen Beiträgen, die nicht nach Wunsch
geraten waren, sahen sie ein Ziel der Fachtage erreicht:
„Mir geht immer wieder so das Wort ‚Boden’ durch den Kopf, also ich denke,
dass wir unser Ziel ein Stück weit geschafft haben, so was wie einen Boden zu
bereiten. Ich könnte nicht sagen, das und das aus dem und dem Vortrag hat den
und den Einfluss auf die Praxis, sondern ich denke eher, das ist so ein, ja, so ein
5 Sie hatten zudem das Konzept für die beiden Fachtage entwickelt, passende Referent/innen ausgewählt und
verpflichtet, Einladungen verschickt und die gesamte Tagungsorganisation übernommen.
Endbericht der Evaluation
28
Neugierigmachen, so eine Information erst mal, um den einen oder anderen
eigenen Gedankengang zu hinterfragen, neu anzugucken, um dann darauf
aufzubauen.“ (Teaminterview 1)
Aus Sicht des Projektteams gab es viele Rückmeldungen, die die Anregung betonten, die
von den Fachtagen ausging. Weniger erkennbar war eine Veränderungsbereitschaft. Es
wäre jedoch auch unrealistisch, diesen Effekt unmittelbar beobachten zu wollen. Sie
erhielten aber auch Rückmeldungen, die auf die chronisch hohe Belastung der
Mitarbeiterinnen von Schutz- und Unterstützungseinrichtungen für Frauen und deren
unabgesicherten Status hinwiesen und beklagten, dass immer wieder die Kraft für
Veränderung von ihnen verlangt werde:
„Dieses ‚Was-sollen-wir-denn-noch-machen?’ Ja. ‚Gut, gebt uns Zeit und gebt
uns Geld, und dann machen wir.’ Das gab’s schon auch, und ich denke, die
Rahmenbedingungen müssen ja schon auch berücksichtigt werden. Es gab auch
ein paar ironische Sprücheklopfereien in Richtung: ‚Was können wir konkret tun
für eine interkulturelle Öffnung, man kann ja schon mal eine türkische Zeitung ins
Wartezimmer legen. Na gut, dann legen wir jetzt alle eine türkische Zeitung ins
Wartezimmer.’ Dann: ‚Wir haben gar kein Wartezimmer.’ Also es gab auch
manchmal ein bisschen spöttische Auseinandersetzungen damit, aber nicht nur
abwertend, sondern wirklich auch auf der Ebene sich damit auseinandersetzend.
Ich hab schon den Eindruck, dass da insgesamt sehr engagierte Menschen
saßen, bei denen ich davon ausgehe, dass viele offen für Veränderung sind.
Ansonsten kann ich mich an ein paar zuckende Augenbrauen erinnern und ein
paar kritische Stirnfalten, ja, und an ein bisschen eigene Nervosität.“
(Teamdiskussion 1)
Das Projektteam – selbst als Sozialpädagoginnen in der Beratungspraxis tätig – sah sich von
den teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen kritisch betrachtet. Das Modellprojekt verlieh
ihnen einen Sonderstatus, dem sie gerecht werden mussten.
Für die Zukunft wäre zu überlegen, welche Stelle oder Institution die Organisation von
Fachtagen und Fortbildungen zum Thema interkulturelle Kompetenz übernehmen sollte, um
bestmöglichen Zugang zu Fachleuten unterschiedlicher Einrichtungen zu gewährleisten. Es
wäre zu überlegen, ob ein interdisziplinäres Team, das sich aus Vertreter/innen mehrerer
Institutionen zusammensetzt, besonders geeignet ist. Ein Runder Tisch oder bereits
existierender Arbeitskreis könnte die Aufgabe übernehmen.
Befragung der Referent/innen
Die Referent/innen, die an den Fachtagen mitgewirkt hatten, wurden kontaktiert und gefragt,
ob sie im Interview Auskunft über die Fachtagung und ihre Einschätzung dazu geben
würden. Fast alle waren zum Interview bereit. Die Interviews waren ergiebig und
konzentriert. Deshalb wurden alle erreichbaren Referent/innen interviewt, mehr als
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
29
ursprünglich geplant waren. Es liegen sechs telefonische Interviews6 von einer Dauer
zwischen 40 und 70 Minuten vor. Die Gespräche wurden in einen standardisierten
Protokollbogen übertragen und nach inhaltlichen Schwerpunkten ausgewertet.
Was ist unter interkulturellen Kompetenzen zu verstehen?
Die befragten Expertinnen und Experten definieren interkulturelle Kompetenzen
unterschiedlich auf ihrem jeweiligen beruflichen Hintergrund. Sie wurden verstanden als:
(1) Spezifische Kompetenzen für die Arbeit mit Migrantinnen und Migranten z.B. gute
Kenntnisse der eigenen Kultur und der Kultur der Zielgruppen, Kenntnisse über Migration
und Flucht (Expertin 1), umgehen können mit Menschen aus verschiedenen Kulturen und die
Fähigkeit zum Dialog und zum Zusammenleben entwickeln (Expertin 4). Betont wird, wie
wichtig das Vermeiden von Kulturalisierung und von Verallgemeinerungen ist (Experte 2).
Die Unterschiedlichkeit und Individualität von Migrant/innen muss gesehen werden.
Erworben werden können diese „Skills“ und Fähigkeiten in Workshops und Fortbildungen.
(2) Eine andere Position geht davon aus, dass interkulturelle Kompetenzen im Grunde nichts
als Professionalität in der Arbeit mit Klientinnen und Klienten bedeuten. Sie sieht die üblichen
Konzepte von Interkulturalität kritisch und fordert Basiskompetenzen der Reflexionsfähigkeit,
die nichts mit Migration zu tun haben. Ihr geht es um Handlungsfähigkeit trotz der
Unsicherheiten, um die Vermittlung von angemessener Reflexionsfähigkeit und
Fehlerfreundlichkeit durch Konzepte der interkulturellen Pädagogik.
Die beiden Positionen sind nicht „pur“ anzutreffen, sondern es zeigen sich Mischungen aus
Elementen beider in einigen Interviews.
Wie können interkulturelle Kompetenzen vermittelt werden?
Alle Referent/innen sehen die Potentiale, die Fortbildung in Form von Fachtagen hat, ebenso
wie die Grenzen, die ihr in diesem Format gesetzt sind.
Fachtage bieten eine Möglichkeit, den Wissenstand der Teilnehmenden zu erhöhen. Auf
diesem Weg können in kurzer Zeit „kompakt Wissen vermittelt und Grundlagen gelegt
werden“ (Expertin 3). Fachtage werden als „möglicher Rahmen“ (Experte 1) gesehen, die
Auseinandersetzung mit dem Thema interkulturelle Kompetenzen zu beginnen.
Die Vermittlung von Wissen und die Ansprache auf der kognitiven Ebene können nach
Ansicht der Expert/innen jedoch nicht für sich stehen. Sie sind in jedem Fall zu ergänzen
durch Angebote intensiverer Auseinandersetzung mit bisherigen Sicht- und
Verhaltensweisen. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass sich bei den
Teilnehmenden ein falsches, weil reduziertes, Verständnis von interkulturellen Kompetenzen
verfestigt. Es müsse darum gehen, „den Diskurs über interkulturelle Kompetenzen zu
problematisieren und das herkömmliche Verständnis davon in Frage zu stellen.“ (Experte 1)
„Institutionen und ihre Vertreter und Vertreterinnen verstehen sich als defizitär, weil sie
bestimmte Gruppen kaum oder gar nicht erreichen und die Kommunikation nicht gelingt. Es
besteht ein Bedarf an Kenntnissen und Kompetenzen, das zu ändern. Also wird eine
‚technologische’ Lösung angestrebt. ‚Ich mache mich fit, damit ich die Zielgruppe richtig
6 Ursprünglich waren persönliche Interviews geplant. Es erwies sich jedoch als unlösbares Terminproblem, da
die Interviews nicht in zeitlicher Nähe planbar waren und der Zeit- und Reiseaufwand deshalb unangemessen
gewesen wäre.
Endbericht der Evaluation
30
anspreche.’ Durch diese Art der Weiterbildung können aber Probleme nicht gelöst werden,
auch wenn das eine verbreitete Ansicht im psychosozialen Sektor ist.“ (Experte 1)
Sind interkulturelle Kompetenzen etwas, das man erlernen / erwerben kann?
Diese Kompetenzen können wie alle Kompetenzen erworben werden. Da sind sich die
Expert/innen einig. Allerdings bestehen Unterschiede, wo die Schwerpunkte des Lernens
liegen sollten. Es geht nicht nur um Lernen, sondern auch um Hinterfragen von als
selbstverständlich geltenden Haltungen und Einstellungen.
„In einer Dominanzkultur müssen Prozesse des Verlernens stattfinden, es muss zuerste
Abstand genommen werden von Selbstverständlichkeiten und Privilegien. Die Frage lautet,
wie können wir angemessen mit den Verhältnissen umgehen?“ (Experte 1)
Auch in den großen Gruppen eines Fachtags können Stereotype aufgebrochen werden, das
ist methodisch machbar. Es darf dann nur nicht vorher ein Wissensinput in Form eines
Referats erfolgt sein, denn dann orientieren sich alle an der gewünschten Haltung und
niemand äußert sich mehr gegenteilig (Expertin 3).
„Mit unseren Seminaren erreichen wir immer die Gutmenschen.“ (Expertin 3)
Bestimmte Bereitschaften und Fähigkeiten erleichtern den Erwerb interkultureller
Kompetenzen. Bereitschaft ist ein Voraussetzung, die alle mitbringen müssen. Fähigkeiten
können im Laufe von Fachtagen, Seminaren, Workshops erlernt werden. „Eine hohe
Fähigkeit zur Empathie erleichtert den Erwerb interkultureller Kompetenz genauso wie die
Auseinandersetzung mit anderen Themen wie z.B. Gender. Eine rigide Persönlichkeit ohne
Ambiguitätstoleranz und Rollendistanz erschwert es und kann es sogar unmöglich machen.
Erleichternd ist es, wenn Menschen kulturrelativistisch denken können, dann muss die
eigene und die fremde Kultur nicht gemessen und bewertet werden, ein Über- oder
Unterordnung bleibt erspart.“ (Expertin 3) Diese Expertin begrüßt verpflichtende Fortbildung
zu diesem Thema denn „jeder Mensch in öffentlichen Diensten und Einrichtungen, Lehrer,
Polizei, Richter, Ämter usw. braucht interkulturelle Kompetenzen, weil die Zahl der
Menschen mit Migrationshintergrund ansteigt.“
Eine andere Position stellt die hier genannten Ansprüche an Beratung nicht in Frage, geht
aber davon aus, dass die „eigentlich von Sozialpädagog/innen nicht extra gelernt werden
müssen, denn zu deren Kompetenzen sollte bereits durch die Ausbildung Empathiefähigkeit
und Rollendistanz gehören. Man muss auch die kulturellen Hintergründe kennen, aber
Lebensweltorientierung gehört zu den klassischen sozialarbeiterischen
Handlungskonzepten. Die Übertragung auf Migration fällt vielen schwer, sie denken immer,
bei Migrant/innen müsste es etwas ganz Besonderes sein. Dabei reichen die
Basiskompetenzen durchaus.“ (Experte 2) Das gilt nicht nur für Frauenunterstützung,
sondern auch für Täterarbeit. Hier gelten die gleichen Konzepte und Methoden, es braucht
aber muttersprachliche Trainings und ein starkes Eingehen auf traditionelle
Männlichkeitskonzepte als Anlass für Gewalt in Partnerschaften.
Expertinnen und Experten sprechen sich gegen ein migrationsspezifisch oder rezepthaft
verstandenes Lernen aus. Interkulturelle Kompetenzen sollten als „allgemeine Kompetenz
oder vielmehr Performanz diskutiert werden. Eine Gesellschaft kennt nicht nur die
Differenzierung durch Migration. Es geht im psychosozialen und pädagogischen Bereich
immer um vielfältige Lebenslagen. Durch Migration erscheinen diese Unterschiede wie unter
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
31
einer Lupe.“ (Experte 1) Beim Erwerb der „Basiskompetenz Reflexionsfähigkeit“ sollte –
wenn interkulturelle Kompetenzen ernst genommen werden – immer vom Nicht-Wissen, von
der Nicht-Sicherheit ausgegangen werden. Es gibt keine Sicherheit und man kann die
gewünschte Sicherheit nicht erwerben. Eine Pseudo-Sicherheit verstärkt nur die Klischees.“
(Experte 1)
Diese Reduzierung von Dominanz und das Nicht-Wissen als Ausgangspunkt stärkt die
Position der migrierten Klientinnen und Klienten und schafft eine Ausgangsbasis der
Gegenseitigkeit: „Es geht nicht darum, dass Migrantinnen lernen müssen, wie hier die Uhr
tickt.“ (Expertin 2) „Es geht nicht darum, dass Mehrheitsangehörige sich fit machen, wie sie
mit Minderheiten umgehen.“ (Experte 1) „Interkulturelle Kompetenzen sind nicht als
Gebrauchsanweisung für bestimmte Gruppen zu verstehen, es geht darum, Menschen zu
verstehen und verstehen zu wollen.“ (Expertin 1)
Der Experte sieht dann spezifische Probleme bei einzelnen Gruppen von Migrant/innen z.B.
dass das Unrechtsbewusstsein bei gewalttätigen Männern oder Eltern nicht sehr ausgeprägt
ist und die Vorstellung, dass Gewalt legitim sein kann, weiter verbreitet ist, als bei
Deutschen. Er fordert „muttersprachliche Elternarbeit, weil auch Eltern, die ihre Kinder
wirklich lieben, sie oft schlagen, damit aus ihnen etwas Anständiges wird. Hier ist
Sensibilisierung gefordert.“ (Experte 2)
Es werden Anforderungen an die inhaltliche Konzeption der Weiterbildungsveranstaltungen
formuliert und Ausführungen über die Reichweite solcher Angebote gemacht: Gelingen kann
nur die Verzahnung von Input und Übungen. In dieser Kombination kann die Reflexion von
Erfahrung angeregt und unterstützt werden. Anhand von Fallbeispielen kann darüber
nachgedacht werden, wann, von wem und mit welcher Absicht der Kultur- Relevanz
eingeräumt wird. Welche Bedeutung hat das für diejenigen, die es tun?
Haben Migrantinnen einen anderen, einen spezifischen Unterstützungsbedarf?
„Migrantinnen haben keinen grundlegend anderen Bedarf: Auch sie wollen verstanden
werden. Sie haben einen gleichen Unterstützungsbedarf aber teilweise spezifische
ausländerrechtliche Probleme.“ (Expertin 1)
Die Befragten sprechen sich vor allem für eine solide Professionalität und eine gute Kenntnis
ausländerrechtlicher Fragen aus. Darüber hinaus ist ein Wissen über die Bedeutung von
Migration und über die Bedeutung von Zusammenhalt in der Migration erforderlich.
„Oft kommen Frauen sehr spät in Beratung, in Russland hätten sie nie so lange gewartet.
Trennung und Scheidung werden von den Einrichtungen zu schnell zum Thema gemacht.
Ich kenne Fälle, in denen Scheidung empfohlen wurde, obwohl der Aufenthaltsstatus nicht
abgeklärt war, den Mitarbeiterinnen fehlten die Kenntnisse. Die Frau war zwar vor Gewalt
geschützt aber die Ausweisung stand an. Da sie bleiben wollte, hing alles von ihrem Mann
ab, ob er sie wieder aufnimmt. Das gibt ihm noch mehr Macht. Beratung muss an erster
Stelle informieren und Wege aufzeigen, Information über Rechte und Pflichten steht ganz
oben, um Handlungsspielraum zu eröffnen.“ (Expertin 4)
Die hier ausgeführten Ansprüche an Beratung gelten in gleichem Maße auch für deutsche
Frauen, bis auf die Problematik drohender Ausweisung. Auch sie brauchen gute Aufklärung
und rechtliche Orientierung, ohne dass ihnen als erstes zu Trennung und Scheidung geraten
Endbericht der Evaluation
32
wird (vgl. Helfferich u. a. 2005). Frauen, deren Lebensmodell Ehe und Familie sind – ganz
unabhängig davon, woher sie stammen – wünschen sich eine Beratung, die diesen
Lebensplan respektiert und sie darin unterstützt, ihn gewaltfrei zu realisieren. Sie wünschen
oft die Beratung des Partners, der sein Verhalten ändern soll. „Mit den Männern in der Krise
zu reden, kann bewirken, dass sie ihr Verhalten ändern. Umsiedelung, Migration ist eine
Krise der ganzen Familie.“ (Expertin 4)
Kulturelle Aspekte wie die Betonung von Individualität oder von Interdependency spielen
eine Rolle in der Unterstützungsarbeit. In der nord- und westeuropäischen Frauenhausarbeit
und den hier entwickelten Interventionskonzepten wird vorrangig darauf gesetzt, Schutz und
Sicherheit durch eine Trennung vom gewalttätigen Partner zu erreichen und Frauen dabei zu
unterstützen. Die rechtlichen Möglichkeiten, eine Trennung herbeizuführen, wurden in den
vergangenen Jahren deutlich verbessert. Eine möglichst schnelle und entschlossene
Trennung wird als kompetente Entscheidung einer von Gewalt betroffenen Frau gesehen,
der Wunsch, die Beziehung aufrecht zu erhalten, gilt eher als problematisch und
unentschlossen. Eine schnelle Trennung entspricht jedoch einem Lebenskonzept, das auf
Unabhängigkeit und Individualität basiert. Frauen, die stark in Gemeinschaften denken und
gelernt haben, so zu leben, sind mit der Anforderung einer schnellen Trennung meist
überfordert. Wenn sie sich nicht entschließen können, wird ihnen das oft als Schwäche
ausgelegt, sich und die Kinder nicht schützen zu können. Obwohl bei weitem nicht nur
Migrantinnen den erklärten Wunsch haben, dabei unterstützt zu werden, die Beziehung und
Familie aufrecht zu erhalten – jedoch gewaltfrei (vgl. Helfferich u.a. 2005) – gibt es zwar viel
Beratungspraxis aber noch wenig explizit für diesen Lebensentwurf angelegte Konzepte, vor
allem nicht in der Frauenhausarbeit, die ja eine zumindest temporäre Trennung voraussetzt.
„Es ist eine große Herausforderung. Wie unterstütze ich eine Person, die in Deutschland
lebt, aber ganz andere Werte hat? In Indien oder in der Türkei geht es viel mehr um
Interdependency, Harmonie, Kompromisse, Gemeinschaft. Dafür wird viel getan. Es ist keine
Schwäche, es braucht auch Stärke, in einer Gruppe zu leben und Kompromisse zu
schließen. Darauf muss Beratung eingehen. Trennung ist nicht immer eine Option, das
Gesicht zu verlieren spielt eine große Rolle. Es muss darum gehen, Frauen, die in Familie
und Gruppe bleiben, zu bestärken und nicht zu sagen: Wenn du noch nicht so weit bist, kann
ich dir nicht helfen.“ (Expertin 2)
Gute Unterstützung bedeutet für eine Expertin Folgendes: „Eine feministische Haltung,
Qualitätssicherung der Beratung, Vernetzung und interkulturelle Kompetenz – alles fließt
zusammen.“ (Expertin 1)
Die Interviews zeigen, dass unterschiedliche Konzepte von dem, was unter interkulturellen
Kompetenzen verstanden wird, im Rahmen der Fachtagungen Thema wurden. Die
Referent/innen setzten unterschiedliche Schwerpunkte, abhängig von ihrer eigenen
beruflichen Perspektive, ob aus Sicht der Sozialen Arbeit allgemein, der
Migrationsforschung, der interkulturellen Pädagogik, der Frauenunterstützung, der
Weiterbildung usw. Bei allen Unterschieden im Detail gab es jedoch grundsätzliche
Übereinstimmungen in den Positionen der Expert/innen: Fachtage werden als Möglichkeit
der Wissensvermittlung geschätzt, Workshops und Training als notwendige Ergänzung
gesehen.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
33
5. Ein Workshop zur Vermittlung und Erprobung interkultureller
Kompetenzen
Der Workshop fand ein halbes Jahr nach den Fachtagen statt. Er wurde in das Programm
der Volkshochschule aufgenommen und war Teil der „interkulturellen Woche“. Noch während
der Fachtage konnten sich Interessierte für den Workshop eintragen, das Interesse war aber
gering. Die erreichbaren Teilnehmenden wurden zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal
eingeladen.
Ziel des Workshops war, „für Kulturunterschiede zu sensibilisieren und aufzuzeigen, wie
diese die alltägliche Beratungspraxis mit Migrantinnen beeinflussen“ (Ausschreibung).
Der Workshop orientierte sich an den Fragestellungen und Bedürfnissen der Teilnehmenden,
die deshalb aufgefordert wurden, Fragen aus ihrem Berufsalltag, die sie bearbeiten wollten,
vorab einzureichen. Zur Vorbereitung worden folgenden Fragen zugeschickt:
Welche Bilder haben wir von den Lebenszuschnitten der Frauen? Kennen wir ihre
Werte?
Welche (deutschen) Werte haben wir in unseren Köpfen, wenn wir die Frauen
beraten?
Nehme ich wahr, dass ich als Beraterin in einer privilegierten Situation bin? Wie wirkt
sich das auf die Beratungspraxis aus?
Was bedeutet es, interkulturell kompetent zu sein? Wie wird man es?
Wenn ich im Alltag mit den Frauen Situationen erlebe, die mir gänzlich unverständlich
sind, wie gehe ich damit um? (Einladungsschreiben vom 16.7.07)
Der Workshop war gedacht als eine Vertiefung der Inhalte der Fachtage mit starkem
Praxisbezug. Aus Sicht des Projektteams „ein Muss“, wenn die einführende Information
durch die Fachtage sinnvoll gewesen sein sollte (Teamdiskussion 3). Es wurde überlegt,
einen zweiten Workshop anzubieten, da im Laufe einer eintägigen Veranstaltung zu wenig
Zeit für praktische Vertiefung und Rollenspiele sei. Die Anmeldungen kamen jedoch spärlich
und es stand zeitweilig nicht fest, ob der Workshop stattfinden könne. Schließlich kam mit 13
Teilnehmerinnen eine ausreichend große Gruppe für den Workshop zustande, allerdings
hatten nur eine an beiden und zwei an einem Fachtag teilgenommen.
Es ist festzuhalten, dass durchaus Interesse an einem eher praktisch ausgerichteten
Weiterbildungsangebot besteht, dass aber das Angebot an die Tagungsteilnehmer/innen im
Anschluss an die Fachtagungen eine Vertiefung der erhaltenen Informationen durch einen
praktisch ausgerichteten Workshop zu erhalten, nicht wahrgenommen wurde.
Am Workshop nahmen ausschließlich Frauen – meist aus eigener Initiative und nur in einem
Fall auf Initiative ihrer Einrichtung – teil. Acht Teilnehmerinnen waren im Frauenhaus bzw. in
BISS-Stellen oder Frauenberatungsstellen tätig, außerdem waren Schule, andere
Beratungseinrichtungen und psychosomatische Klinik vertreten. Der Altersdurchschnitt lag
noch etwas höher als bei den Fachtagen, neun von 13 waren über 46 Jahre alt. Die Angaben
zur Qualifikation und beruflichen Situation entsprachen denen der
Fachtagungsteilnehmenden. Die Hälfte hatte bereits Fortbildungen zum Thema
interkulturelle Kompetenzen besucht. In den Einrichtungen, aus denen die
Endbericht der Evaluation
34
Workshopteilnehmerinnen kamen, gab es nur in zwei Fällen Mitarbeiterinnen mit
Migrationshintergrund und es wurden auch kaum die Sprachen der größeren
Migrationsgruppen gesprochen. Gefragt nach dem, was sie am Workshop positiv erlebt
hatten, ergab sich folgendes Bild:
Was war positiv am Workshop?
N=137
Die Vermittlung von Wissen über unterschiedliche Kulturen
11
Die Vermittlung durch die Workshopleiterin
10
Die praktischen Übungen zum Umgang mit Unterschiedlichkeit von
Klientinnen
8
Der Austausch mit der Gruppe
7
Die Vermittlung theoretischer Grundlagen
1
Negative Rückmeldung gab es nur von einer Teilnehmerin, die den Austausch in der Gruppe
nicht gelungen fand und vier Teilnehmerinnen, die die Vermittlung theoretischer Grundlagen
vermissten. Es kann festgehalten werden, dass die Zufriedenheit der Teilnehmerinnen des
Workshops groß war und erwartungsgemäß die Person der Workshopleiterin und ihre
Kompetenz dafür ausschlaggebend waren.
Zusätzlich wurde nach einzelnen Aspekten der Workshopinhalte gefragt, um genauere
Rückmeldungen zu erhalten.
Wie wurden folgende Aspekte bewertet?
N=13
nein, auf
keinen Fall
Eher
nein
Eher ja ja, auf
jeden
Fall
War das Arbeitsklima dem Lernen förderlich?
--- --- 2 11
Stand genug Zeit für die Vermittlung der Inhalte zur
Verfügung?
--- 3 8 2
Stand genug Zeit für Übungen zur Verfügung?
--- 2 4 7
Stand genug Zeit für Diskussionen zur Verfügung?
--- --- 7 6
Konnten Sie Ihre eigenen Erfahrungen einbringen?
--- --- 8 5
Konnten Sie die Inhalte auf Ihre Arbeitspraxis
beziehen?
--- 1 4 8
Wurden Sie mit Ihrer Sicht akzeptiert?
--- --- 3 10
Gesamtbewertung
--- 6 36 49
7 Wegen der kleinen Gesamtheit ist es nicht sinnvoll, Prozentangaben zu rechnen.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
35
Die Bewertung des Workshops fällt sehr positiv aus. Es gibt wenig kritische und keine
negative Rückmeldung, es konnte gut und ertragreich gearbeitet werden.
Von besonderem Interesse war für die Befragung, worin der Nutzen für die Teilnehmerinnen
bestand. Bereits bei der Frage nach einzelnen Aspekten zeichnen sich Hinweise auf den
Nutzen ab, z.B. wenn sich die Inhalte des Workshops auf die eigene Arbeitspraxis beziehen
ließen bzw. eigene Erfahrungen thematisiert werden konnten.
Eine weitere Frage richtete sich auf erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten.
Haben Sie sich im Workshop
Kenntnisse und Fähigkeiten erworben?
nein, auf
keinen Fall
Eher nein Eher ja ja, auf
jeden Fall
Ich habe Hintergrundwissen über Migration
erworben.
--- 3 6 4
Ich habe erfahren, worin die Probleme
interkultureller Kommunikation liegen.
--- 2 3 8
Ich habe mehr über den sozialen, kulturellen
und politischen Hintergrund meiner Zielgruppe
erfahren.
--- 4 6 3
Ich konnte praktisch üben, wie ich
interkulturelle Kommunikation besser gestalte.
--- 4 5 4
Ich habe unterschiedliche und kontroverse
Sichtweisen kennen gelernt.
--- 2 5 6
Ich kann interkulturelle Kompetenz jetzt
definieren.
--- 2 8 3
Gesamteinschätzung
--- 17 33 28
Die Frage nach dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten fällt positiv aber verhaltener
aus, als die allgemeine Bewertung des Workshops. Hier geht es nicht nur um eine
Stellungnahme zur Gruppe oder zur Workshopleiterin bzw. zur Konzeption, sondern es geht
auch konkret um eigene Kompetenzen. Den höchsten Wert erreicht die Aussage „Ich habe
erfahren, wo die Probleme interkultureller Kommunikation liegen“. Klarheit über die
Problematik ist sicherlich der Beginn der Veränderung, jedoch noch keine
Handlungssicherheit.
Dass die Teilnehmerinnen bei der Einschätzung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten
selbstbewusst aber nicht illusionär sind, zeigen auch die Antworten auf die nächste Frage,
bei der es darum ging, was der Workshop für sie persönlich bedeutet hat.
Endbericht der Evaluation
36
Was hat der Workshop bei Ihnen
persönlich bewirkt?
nein, auf
keinen Fall
Eher nein Eher ja ja, auf
jeden Fall
Ich fühle mich sicher mit dem Thema
Interkulturalität
--- 2 11 ---
Ich fühle mich in meiner bisherigen Sicht der
Dinge bestätigt
--- 3 10 ---
Ich fühle mich in meiner bisherigen
Arbeitspraxis bestätigt
--- 5 8 ---
Ich fühle meine bisherige Sichtweise in Frage
gestellt
2 5 6 ---
Ich merke, dass ich meine bisherige
Arbeitspraxis verändern sollte
--- 6 7 ---
Ich fühle mich unangenehm verunsichert
9 4 --- ---
Ich fühle mich produktiv verunsichert
2 4 3 3
Wenn die persönliche Sichtweise und der persönliche Gewinn aus dem Workshop
angesprochen werden, werden die Antworten noch vorsichtiger. Es überwiegen aber auch
hier deutlich die positiven Rückmeldungen. Die Teilnehmerinnen haben mehrheitlich auch
persönlich von dem Workshop profitiert, sie fühlen sich sicher mit ihrer Sichtweise der
Thematik und ihrer Arbeitspraxis und haben eventuelle Verunsicherung eher produktiv als
verunsichernd erlebt. Das Ziel eines Workshops zum Thema interkulturelle Kommunikation
und Kompetenz muss auch sein, herkömmliche Sichtweisen in Frage zu stellen und
Teilnehmende herauszufordern, was ihre Arbeitsroutinen betrifft. Dies scheint gelungen und
zwar in einem Maß, das hilfreich und anregend war und nicht entmutigend.
Die Teilnehmerinnen waren mit dem Workshop sehr zufrieden und empfanden ihre
Teilnahme als lohnend, für alle wurden ihre Erwartungen erfüllt und bis auf eine geben alle
an, ihre Befürchtungen hätten sich nicht bestätigt. Das ist ein sehr erfreuliches Ergebnis,
denn gerade einem Workshop zu einem schwierigen Thema und mit dem Anspruch an die
Teilnehmenden, sich aktiv einzubringen und mit ihrer Sichtweise und Praxis zu zeigen, wird
oft mit Befürchtungen begegnet, sich exponieren zu müssen oder bloßgestellt zu werden,
was viele an der Teilnahme hindert. Die positiven Rückmeldungen zeigen, dass Workshops
nach diesem Konzept von den Teilnehmenden als bereichernd erlebt werden.
Alle 13 Teilnehmerinnen äußern in der Evaluation, dass sie noch mehr Bedarf an Information
und Fortbildung haben. Alle vorgegebenen Antwortmöglichkeiten – theoretischer Input,
Hintergrundwissen und interdisziplinäre Fortbildung – werden als Bedarf genannt. Vor allem
aber würden die Teilnehmerinnen ihrer Ansicht nach von Fortbildung zu spezifischen
Kulturkreisen, mehr praktische Kommunikationsübungen und Fortbildung gemeinsam mit
Migrantinnen profitieren.
Dieser Wunsch nach mehr Wissen kann bedeuten, dass sie richtig „auf den Geschmack“
gekommen sind und ein Thema entdeckt haben, dass viele spannende Facetten hat.
Interessant ist der Wunsch nach Workshops gemeinsam mit Migrantinnen. Einerseits macht
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
37
dieser Wunsch Sinn, weil auch Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund nicht
automatisch über Interkulturelle Kompetenzen verfügen. Sie sind zwar aufgrund ihrer
Lebenssituation in der Migration viel stärker gefordert – geradezu genötigt – diese zu
erwerben, können aber durchaus auch ihrerseits von Weiterbildung und Austausch zu
diesem Thema profitieren (Interkulturelle Initiative 2006). Problematisch wird es, wenn der
Wunsch nach ihrer Teilnahme dazu führt, dass sie für Lernprozesse funktionalisiert werden.
Es kann immer nur um ein gegenseitiges, gleichberechtigtes Lernen gehen. Davon könnten
dann alle Beteiligten sehr profitieren. Die befragten Expertinnen und Experten äußern sich
auch zu diesem Aspekt. Sie weisen darauf hin, dass „auch Kolleginnen und Kollegen mit
Migrationshintergrund interkulturelle Kompetenzen erlernen müssen“ und es auch
Hierarchisierungen zwischen Migrant/innen gibt (Experte 2). Andererseits können ihrer
Meinung nach „Grundkenntnisse nicht ohne Kontakt erworben werden.“ (Expertin 3).
Nicht nur inter-disziplinäre und inter-institutionelle, sondern auch inter-kulturelle Workshops
sind das zukünftige Modell.
Endbericht der Evaluation
38
6. Weiterentwicklung der Kooperation und Vernetzung in der Region
Um das Ziel eines verbesserten Zugangs zu den Communities zu erreichen und die
Zugangsschwellen für von Gewalt betroffene Migrantinnen zu senken, luden die
Koordinatorinnen Vertreterinnen mehrerer Einrichtungen, die mit Migrantinnen arbeiten, zu
einem Arbeitskreis ein. Der Arbeitskreis traf sich während der Zeit der wissenschaftlichen
Begleitung vier Mal.
Von den Teilnehmerinnen des Arbeitskreises hatten nur wenige an den Fachtagen im
Frühjahr bzw. am Workshop im Herbst teilgenommen. Sie waren gezielt für die Mitarbeit im
Arbeitskreis eingeladen worden. Diejenigen, die teilgenommen hatten, konnten sich zum Teil
an einzelne Aspekte von Referaten noch gut erinnern, anderes war nicht mehr unmittelbar
abrufbar:„Die Inhalte könnte ich jetzt hier nicht aufsagen, aber sie sind im Hinterkopf bei
Gelegenheit da.“
Der Workshop war intensiver im Gedächtnis geblieben, nicht nur weil er noch nicht so lange
zurück lag. „Der Workshop war für mich so was auf einer ganz anderen Ebene, also so ein
Spüren, so ein Nachfühlen, ja, nicht so ein rationales Lernen.“
Im Arbeitskreis waren vor allem Fachfrauen mit Migrationshintergrund vertreten, die in
unterschiedlichen Einrichtungen arbeiten. Das Thema interkulturelle Kompetenzen wurde
aus mehreren Perspektiven aufgegriffen und diskutiert. Es geht ihnen vor allem um
„Brücken“, um Verbindendes, nicht vorrangig um die Unterschiede.
„Ich höre manches von früher, was hier (in Deutschland) jetzt nicht mehr so aktuell ist, ein
paar Jahre zurück, dann sehe ich viele Ähnlichkeiten in der Kultur, die bei uns gelebt wird.
Da sehe ich doch viele Gemeinsamkeiten, nicht nur für die einen oder anderen typisch. Im
Grunde genommen ist es von den Werten her gleich.“
Sie koordinierten in ihrer Runde die Erstellung eines mehrsprachigen Informationsblattes,
das an Migrantinnen für ihre Region gerichtet sein sollte. Dieser Flyer sollte zukünftig in allen
Integrationskursen und –Gruppen verteilt werden und den Zugang zu Unterstützung
erleichtern.
Weitere Aktivitäten des Arbeitskreises, die überwiegend von den Projektkoordinatorinnen
umgesetzt wurden, waren die Planung von zwei Veranstaltungen im Rahmen der
interkulturellen Woche in Stadthagen im September 2007. Zum einen sollte hier der Vortrag
einer Islamwissenschaftlerin nachgeholt werden, der am ersten Fachtag wegen Erkrankung
der Referentin ausfallen musste. Zum zweiten hatte sich der Arbeitskreis das Thema Fasten
in unterschiedlichen Religionsgemeinschaften als Diskussionsthema gewählt. Hier gab es
jedoch ein Problem: Wegen eines Konflikts zwischen dem türkischen Kulturverein
sunnitischer Ausrichtung und den Aleviten will der Kulturverein nicht aufs Podium, wenn die
Aleviten auch vertreten sind. Der Zugang zu beiden Gruppen war gelungen, eine
Zusammenarbeit scheiterte nun an Konflikten, die nichts mit dem Verhältnis Deutsche –
Migranten zu tun hatten.
Der Zugang zur Gemeinde der Russlanddeutschen gelang während der wissenschaftlichen
Begleitung trotz intensiver Versuche und auch der guten Kontakte zum Integrationsrat nicht.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
39
Im Rahmen des Arbeitskreises wurden Besuche von Vertreterinnen von
Unterstützungseinrichtungen in Integrationskursen organisiert. Dies sollte demnächst feste
Praxis sein.
Auch die Durchführung eines weiteren Workshops wurde geplant, da der erste gut
aufgenommen worden war und es inzwischen bei mehreren Fachkräften Interesse daran
gab.
Die Teilnehmerinnen des Arbeitskreises schätzten die ganz konkrete Kooperation. „Ich habe
das Gefühl, da ist ein neues Netz entstanden.“ Und sie sahen bereits Auswirkungen ihres
Engagements. Eine Teilnehmerin stellte fest, dass mehr Klientinnen mit
Migrationshintergrund inzwischen in ihrer Einrichtung ankommen.
Eine andere führte eine ähnliche Entwicklung vor allem auf ihre eigenen Lernprozesse
zurück:
„Die Beratungen von ausländischen Frauen sind schon vorher ( vor Gründung des
Arbeitskreises) gestiegen, wir haben tatsächlich mal gezählt. Wir haben seit Anfang des
Jahres Migrationshintergrund in der Statistik, das hatten wir vorher nicht. Also nach
Migrationshintergrund, ich sag mal nach Selbsteinschätzung, wir fragen die Frauen nicht
nach dem Pass. Und das lag bei 30 Prozent, das hatte ich gar nicht so gefühlt. In der
Trennungs- und Scheidungsberatung sind ganz viele Frauen aus Polen und
Russlanddeutsche und türkischstämmige Frauen. Ich habe seit Beginn des Projekts, auf
einer anderen Ebene eine Tür aufgemacht. Da ist einfach innerlich eine Tür aufgegangen
und ich habe ganz spannende Begegnungen gehabt.“
Die Weiterführung eines solchen Arbeitskreises wäre sinnvoll, andererseits waren alle
Teilnehmenden zeitlich sehr belastet und eine regelmäßige Teilnahme war nicht immer
möglich. Von daher war es eine gute Entscheidung des Projektteams, zu einer begrenzten
Anzahl von Sitzungen und einem konkreten Vorhaben einzuladen. Möglicherweise gelingt
es, Gruppen in wechselnder Zusammensetzung für unterschiedliche Ziele und Aufgaben
zusammenzustellen und mehr Fachkräfte aktiv einzubinden, nicht immer die gleiche Zahl
derjenigen, die sich immer engagieren.
Endbericht der Evaluation
40
7. Schlussfolgerungen und Diskussion
Das Modellprojekt entwickelte und erprobte ein Konzept zur Verbesserung des Zugangs und
der Unterstützung von Gewalt betroffener Migrantinnen im Landkreis Schaumburg. Zwei
aufeinander aufbauende Fachtagungen und ein Workshop, ein Arbeitskreis und eine
Handreichung für die Praxis waren die Bausteine des Modells. Die Befragungen aller
Beteiligter zeigen, dass das Modell erfolgreich umgesetzt wurde, viele Ziele erreicht werden
konnten und es Anzeichen für nachhaltige Wirkung gibt. Gleichzeitig können aus dem Modell
eine Vielzahl von Hinweisen für verbesserte Planung, Umsetzung und Implementierung von
Weiterbildung zum Thema interkulturelle Kompetenzen in der Unterstützung von
Migrantinnen gezogen werden.
Dem Modell waren durch die Ausstattung und den zeitlichen Rahmen Grenzen gesteckt. Die
begleitende und nachgehende Zielkontrolle zeigt ein Problem, das für Modellprojekte üblich
ist: Für die Entwicklung und Erprobung eines innovativen Vorhabens steht in der Regel viel
zu wenig Zeit zur Verfügung. Selbst ein Projekt, das über üppigere Ressourcen verfügt als
das in Stadthagen, braucht mehr Zeit, um zu Ergebnissen zu kommen, die so ausgereift
sind, dass sie von anderen genutzt und auf andere Regionen übertragen werden können.
Messbare Resultate der Aktivität eines Modellprojekts können in der Kürze der Laufzeit
keinesfalls dokumentiert werden. Veränderungen vollziehen sich langsam, Personen und
Institutionen brauchen Zeit, um auf neue Anregungen zu reagieren. Um tatsächlich
projektbezogene Veränderungen messen, beurteilen und nutzen zu können, wäre es
optimal, wenn einer Modellphase von zwei Jahren eine Implementierungsphase von zwei
Jahren und danach eine erneute Phase der Evaluation und Überarbeitung der Konzeption
folgte.
Konsequenzen für die Unterstützungspraxis
Die Ergebnisse des Modellprojekts und der Befragung der Beteiligten geben einige Hinweise
darauf, wie Unterstützungspraxis für Migrantinnen in Fällen häuslicher Gewalt verbessert
werden kann. Sie sollen hier in Kürze benannt werden.
Fast alle Einrichtungen verteilen mehrsprachige Informationen über ihr Angebot.
Zukünftig sollte mehr darauf geachtet werden, dass deutlich wird, ob die Sprachen, in
denen Druckerzeugnisse oder Internetinformation vorgelegt werden, auch in der
Beratung gesprochen werden. Es sollte sehr klar ausgewiesen werden, welche
Sprache am Telefon oder im Beratungsgespräch gesprochen wird, dass für andere
Sprachen eine Dolmetscherin hinzugezogen werden kann. Von unschätzbarem Wert
sind mehrsprachige / muttersprachliche Mitarbeiterinnen im Team.
Einrichtungen sollten prüfen, ob Modelle ehrenamtlicher Patenschaften durch bereits
mit deutschen Gesetzen, Behörden und Strukturen erfahrene Migrantinnen
ergänzend zur professionellen Beratung genutzt werden können.
Kenntnisse der spezifischen Probleme von Migrantinnen sollten intensiv in den
eigenen Einrichtungen bzw. eigenen Teams und auch in der Vernetzung
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
41
kommuniziert werden, um die Wissensvermittlung weiterzutragen und für Fortbildung
zu motivieren.
Viele Probleme von Klientinnen, die vor allem an Migrantinnen beobachtet werden,
sollten nicht kulturalisiert werden, sondern am als generelles Thema diskutiert
werden. Lesen und Schreiben können manche deutsche Frauen nicht gut und
Öffentlichkeitsarbeit verständlich in einfacher Sprache zu gestalten ist nicht nur ein
Entgegenkommen an Migrantinnen mit Sprachschwierigkeiten. Bedrohung durch
einen gewalttätigen Partner nach einer Trennung ist für Frauen jeder Herkunft ein
Thema. Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen Kinder – auch Gewalt von Müttern –
ist kein kulturelles, sondern ein soziales Problem. Es braucht themenbezogene
Kompetenzen und Kenntnisse und das Wissen, welche Probleme aus welchen
Gründen in der Migrationssituation und hinsichtlich der Situation in den
Herkunftsländern von Migrantinnen eine besondere Rolle spielen.
Die hauptsächliche Aufgabe für den Unterstützungsbereich besteht nach wie vor
darin, im Kontext der Vernetzung, in der fallbezogenen Kooperation mit anderen
Einrichtungen, in der Arbeit mit Gruppen von Klientinnen und im eigenen Team
kulturelle Vorurteile zu bekämpfen und einen erweiterten und kritischen Begriff von
Interkulturalität zu entwickeln.
Viele Aktivitäten, die bereits in Unterstützungseinrichtungen üblich geworden sind,
sind wertvoll für die Gestaltung von Gemeinschaft, reichen allerdings nicht aus. Es
wird oft schon von interkultureller Öffnung gesprochen, wenn gemeinsam Rezepte
aus den Herkunftsländern gekocht oder Fest bzw. Konzerte mit entsprechendem
Programm organisiert werden. Das ist gut für die Annäherung und in einer
Einrichtung oder im Stadtteil, jedoch noch keine gelungene Interkulturalität, wenn es
dabei stehen bleibt.
Die Frage des Zugangs zu existierenden Unterstützungsangeboten ist
ausschlaggebend, wenn diese Frauen in den Genuss hierzulande erkämpfter
Möglichkeiten eines gewaltfreien Lebens kommen sollen. Die meisten Angebote wie
Frauenhäuser und Beratungsstellen erweisen sich auch für deutsche Frauen als sehr
hochschwellig, denn sie setzten voraus, das eigene Zuhause zu verlassen bzw. einen
Beratungsbedarf formulieren zu können (Helfferich u. a. 2005, WiBIG 2004). Ein
großer Schritt zum Senken der Schwellen ist in der pro-aktiven und der
aufsuchenden Beratung zu sehen, die die herkömmliche Komm-Struktur ergänzt.
Auch ein Abrücken von der zeitweilig dominierenden und als fortschrittlich
empfundenen Haltung, die in Klientinnen eher Kundinnen und in Schutz- und
Unterstützungseinrichtungen eine Dienstleistungsangebot sieht, trägt dazu bei, die
reale Hilfsbedürftigkeit vieler von Gewalt betroffener Frauen ernst zu nehmen. Die
Ausdifferenzierung des Unterstützungsangebots und ein differenzierender Blick auf
die Unterschiedlichkeit von Gewalterleben und Gewaltverhältnissen erleichtert es,
Fragen des Zugangs und der Zugangsschwellen zu diskutieren und über „Türöffner
und Stolpersteine“ (Aktion Jugendschutz 2004) nachzudenken. Diese Entwicklung ist
erfreulich, nicht nur für Migrantinnen hilfreich und trägt zur Qualitätsentwicklung der
Arbeit gegen Gewalt im Geschlechterverhältnis entscheidend bei.
Das Problem der Ausgrenzung in der Mehrheitsgesellschaft ist nicht nur eine Frage
des Geburtslandes und der Muttersprache, sondern eine soziale Frage.
Zugehörigkeit und ausgegrenzt werden sind Themen, die weit über Migration hinaus
reichen. Zudem haben wir es zunehmend mit einer inländischen Migration zu tun, aus
Endbericht der Evaluation
42
den verarmenden Regionen in den neuen Bundesländern in die eher wohlhabenden
unter den alten Bundsländern.
Konsequenzen für zukünftige Fortbildungsangebote
Wer sollte erreicht werden, wie sollte Fortbildung gestaltet und organisiert werden?
Die Teilnehmenden an Fachtagen und Workshop waren Fachkräfte mit vielen Jahren
Berufspraxis.
Erfahrung ist sicherlich ein Gewinn für die Arbeit im interkulturellen Kontext, denn sie
bedeutet Sicherheit im professionellen Agieren. Andererseits fehlen junge Kolleginnen und
Kollegen, die noch wenig Routine, dafür aber mehr Offenheit mitbringen könnten bzw. zu
einer Generation gehören, für die eine interkulturelle Mischung bereits an der Schule bzw.
der Hochschule eher selbstverständlich war. Dass die Mehrheit der Frauen, die Gewalt
erleiden, jung ist (Schröttle u.a. 2004) und dass vor allem junge Frauen aus eingewanderten
Familien in Konfliktlagen zwischen traditionellen Rollenerwartungen und anderen Optionen
im Einwanderungsland geraten, sollte dazu motivieren, junge Kolleginnen für dieses
Arbeitsfeld zu gewinnen. Z.B. könnten junge Kolleginnen und Kollegen aus der Jugendarbeit
angesprochen werden.
Damit wäre neben der Intervention auch die Prävention zum Thema gemacht. Angesichts
der Tatsache, dass Migrantinnen, die häusliche Gewalt erleiden, überwiegend „in der
Endversorgung landen“ (Expertin 3) und alle Angebote im Vorfeld – Prävention und Beratung
– kaum greifen, wäre der Einbezug der Jugendarbeit, Schule und Berufsbildung ein wichtiger
nächster Schritt.
Konfliktlösungskompetenzen werden in ihrer Bedeutung für interkulturelles Arbeiten
unterschätzt.
Hier ist eine Anregung für zukünftige Weiterbildung zu sehen: Es gilt, ein Gewicht auf
konkrete Konflikte und entsprechende Lösungsmöglichkeiten zu legen und diese zu üben.
Ein Workshop ist dafür der geeignete Rahmen. Die Motivation dazu kann von Fachtagen
ausgehen, wenn deutlich gemacht wird, dass Konflikte in der Arbeit unvermeidlich sind,
ebenso wie Konflikte zwischen Klientinnen in stationären Einrichtungen. Migrantinnen sind
keine homogene Gruppe, sondern gespalten durch politisch und religiös bedingte Konflikte
und sehr unterschiedliche Traditionen. In Schutzeinrichtungen müssen sie unter dem selben
Dach leben, in Integrationskursen gemeinsam lernen. Konfliktlösungskompetenzen sind
unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit.
Kenntnisse des Ausländerrechts werden in ihrer Bedeutung für die schützende und
unterstützende Arbeit mit Migrantinnen unterschätzt.
Rechtliche Kenntnisse wurden als ein wenig wichtiger Aspekt interkultureller Kompetenzen
bewertet. Dies ist jedoch nach Ansicht von Expert/innen ein großer Irrtum. Zukünftige
Fortbildungsarbeit sollte verdeutlichen, das dies einer der ganz zentralen Aspekte ist, dass
ein gutes Basiswissen dringend erforderlich ist und durch Spezialkenntnisse in der
regionalen Vernetzung ergänzt werden aber nicht ersetzt werden kann. Dazu müssen nicht
spezielle Referate gehalten werden, sondern den Teilnehmenden gut begründet werden,
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
43
weshalb die rechtliche Situation von Migrantinnen und ihre Risiken meist der
ausschlaggebende Faktor bei Entscheidungen für oder gegen Hilfesuche bei Gewalt sind.
Es nahmen fast ausschließlich Frauen aus der Sozialen Arbeit an den Fachtagen teil.
Für die zukünftige Planung von Fachtagen wäre ein heterogener zusammengesetztes
Publikum wünschenswert. Über eine gezielte Einladestrategie und Referierende, die
unterschiedliche Berufsbereiche ansprechen, kann dies gefördert werden. Es wäre günstig
für weitere Vernetzungen in der Region und verbesserten Schutz von Migrantinnen, auch
Vertreterinnen und Vertreter der Ausländerämter, der Polizei und der Justiz anzusprechen
und für eine Teilnahme zu gewinnen. Alle Expert/innen heben hervor, dass die
unterschiedliche rechtliche Situation von Migrantinnen den entscheidenden Unterscheid bei
ihrer Unterstützung und Versorgung ausmacht. Die Professionellen, die verantwortlich in
diesem Bereich tätig sind, sollten bewusst einbezogen werden, nicht nur als einzelne
Referierende, sondern als Teilnehmende. Dazu wird wahrscheinlich gezielte persönliche
Ansprache und Einladung erforderlich sein.
Um eine breitere Beteiligung zu fördern, wäre für die Zukunft zu überlegen, an welche Stelle
oder Institution die Organisation von Fachtagen und Fortbildungen zum Thema interkulturelle
Kompetenz gegeben werden solle, um bestmöglichen Zugang zu Fachleuten
unterschiedlicher Einrichtungen zu gewährleisten. Existierende Runde Tische oder
Arbeitskreise sind hierfür sehr geeignet. Gibt es sie nicht, könnte sich ein Gremium bilden, in
dem neben der Unterstützungsarbeit für Frauen z.B. auch Polizei und Justiz bzw.
Ausländerbehörde oder auch Männerarbeit und Jugendarbeit vertreten sind und die
gemeinsam einladen. Hat ein regionaler Arbeitskreis oder Runder Tisch es sich zum Ziel
gesetzt, Interkulturalität in der Arbeit mit von Gewalt betroffenen Frauen zum Thema zu
machen, kann es besonders motivierend für Kooperationspartner/innen aus beteiligten und
assoziierten Einrichtungen, Institutionen und Behörden sein, an der „eigenen“ Veranstaltung
teilzunehmen. Davon profitieren sowohl der gute Ruf und die Intensität der örtlichen
Vernetzung als auch alle Teilnehmenden.
Die konkrete Planung sollte allerdings nicht in allzu vielen Händen liegen, damit die Prozesse
von Vorbereitung und Umsetzung nicht zu schwerfällig verlaufen.
Viele der Teilnehmer/innen tragen die Informationen aus den Fachtagen in ihr Team bzw.
ihre Einrichtung.
Hier ist eine gute Chance zu sehen, dass alle in der Einrichtung Tätigen über die
wesentlichen Inhalte informiert werden. Förderlich wäre es, am Ende einer Fachtagung Zeit
einzuplanen, in der die Teilnehmenden in Kleingruppen ihre Rückmeldung an ihr Team bzw.
in ihre Einrichtung gleich vor Ort vorbereiten können. Möglich wäre auch, Zeit für ein
Resümee einzuplanen, und dieses den Teilnehmenden zuzuschicken. Es kann dann als
Handreichung an das Team und als Grundlage für einen Bericht in der Teamsitzung genutzt
werden. Dafür ist allerdings ausreichend Zeit erforderlich und Zeit war bereits das große
Problem der Fachtage. Das Programm war übervoll, obwohl auf zwei ganztägige
Veranstaltungen verteilt, und es blieb kaum Raum für Austausch, Vernetzung, Nachfragen
und Diskussion. Konsequenz daraus kann nur sein, zukünftig weniger Inhalte in Form von
Referaten anzubieten und mehr Zeit für Beteiligung der Teilnehmenden in Arbeitsgruppen
oder Diskussionsforen einzuräumen. Möglich wäre eine Veranstaltungsreihe, die für die
Region gedacht ist, also keine langen Fahrtzeiten berücksichtigen muss, und die nach und
nach unterschiedliche Facetten des Themas interkulturelle Kompetenzen bearbeitet. Wenn
Endbericht der Evaluation
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die Rückmeldungen in die Einrichtungen gut vorbereitet sind, könnte darauf vertraut werden,
dass das angebotene Wissen sich verbreitet, auch wenn nicht immer die gleichen Personen
die Fortbildungen besuchen.
1. Erfordernis interkultureller Kompetenz, in Frage stellen von Stereotypen und
Zuschreibungen, Vermeiden von Kulturalisierung und Ethnisierung
2. Informationen über die wichtigsten Gruppen von Einwanderern in der Region,
ihre Strukturen und Organisationen und Zugang zu ihnen
3. Rechtliche Probleme von Migrantinnen, Flüchtlingen, Asylsuchenden
4. Zugang unterschiedlicher Gruppen von Migrantinnen zu Schutz- und
Unterstützungsangeboten und Verbesserungsmöglichkeiten
5. Grundlegende Fragen interkultureller Kompetenz: Geht es nur um Migration
oder geht es generell um Probleme von Dominanz in der
Mehrheitsgesellschaft?
6. Basiskompetenzen Sozialer Arbeit und pädagogischer Arbeit – was braucht
es zusätzlich im interkulturellen Kontext?
Eine solche Reihe von kürzeren Veranstaltungen – ausreichend wäre ein einführendes
Referat und daran anschließende gut vorbereitete und von Moderator/innen mit
unterschiedlichem Hintergrund begleiteten Arbeitsgruppen – böte neben der kompakten
Wissensvermittlung bereits Elemente der persönlichen und fallbezogenen
Auseinandersetzung und könnte dann durch Workshops ergänzt werden, die eine
zusätzliche intensive Möglichkeit des Lernens darstellen.
In spezifischen Veranstaltungen für Mitarbeiterinnen von Schutz- und
Unterstützungseinrichtungen könnten Themen der Öffentlichkeitsarbeit und
Außendarstellung sowie der Zugangsschwellen aufgegriffen werden. „Wie führen wir eine
kleine Bedarfsanalyse durch, um zu erfahren, was unsere – potentiellen – Klientinnen sich
von uns erwarten?“; „Wie weit ist uns eine interkulturelle Öffnung gelungen und was gibt es
noch zu tun?“; „Wie überarbeiten wir unsere Öffentlichkeitsmaterialien, um
Zugangsschwellen zu senken?“; „Wie richten wie eine regelmäßige Selbstevaluation8 ein, um
die Zufriedenheit unserer Klientinnen mit unserer Arbeit und den Nutzen, den sie davon
haben, zu erheben?“. Dies sind sinnvolle Themen für eine interinstitutionelle Arbeit in
kürzeren Fachtagen und Workshops.
Das Thema Interkulturalität sollte nicht ausschließlich mit Blick auf die Situation von
Migrant/innen bearbeitet werden. Die Problematik von Dominanz in der
Mehrheitsgesellschaft betrifft eine Vielzahl sozialer Gruppen, die zur Klientel der Sozialen
Arbeit gehören. Angesichts der Diskussion um zunehmende Armut und um eine größer
werdende Anzahl von Personen und Gruppen, die aus den sozialen Strukturen herausfallen
oder an den Rand der Gesellschaft geraten ist es zunehmend wichtig, andere „Kulturen“
bestimmter gesellschaftlicher Gruppen in den Blick zu nehmen, zu denen aufgrund starken
ökonomischen und sozialen Gefälles große Unterschiede zur Mehrheitsgesellschaft
bestehen. Die Erkenntnis, dass es hinsichtlich der Werten und Lebensgewohnheiten der
Beraterin mehr Ähnlichkeiten mit einer Angehörigen der türkeistämmigen Mittelschicht geben
kann als mit einer Deutschen, die in der dritten Generation von Sozialhilfe lebt und kaum
8 Selbstevaluation sollte zur Routine der Einrichtungen gehören und ist ohne unverträglichen Aufwand
einzurichten. Vgl. Beywl/Bestvater 1998 und Kähler 2008 sowie Kavemann im Druck.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
45
lesen und schrieben kann, hilft, den Begriff der Kultur weiter zu fassen. Dies trägt dazu bei,
interkulturelle Kompetenz nicht zu ethnisieren und nur als Thema von Migration, sondern als
ein zentrales Thema von Schutz- und Beratungsangeboten zu sehen und auf
Basiskompetenzen in der Sozialen Arbeit zu bauen.
Sicherheit versus Unsicherheit
Die Befragungen an den Fachtagen und am Workshop gaben Hinweise, dass die
Teilnehmenden sich um mehr Sicherheit in der täglichen Arbeit mit Migrantinnen bemühen.
Vom Erwerb von Wissen über andere Kulturen und von interkulturellen Kompetenzen wird
erhofft, sicherer im Kontakt und in der Arbeit mit Angehörigen anderer Kulturen zu werden.
Sicherheit wird in der Regel mit Handlungsleitlinien, Checklisten oder zumindest dem
Wissen, „was muss ich tun?“, „was ist richtig?“ verbunden.
Die Befragung der Expertinnen und Experten, die an den Fachtagen mitwirkten, weist in eine
andere Richtung: Es kann nicht um Sicherheit gehen. Eine wichtige „Botschaft“ im Rahmen
weiterer Fortbildungsarbeit wäre zu vermitteln, dass es um die Bereitschaft und Fähigkeit,
Unsicherheit zu ertragen, gehen muss.
Bereitschaft, sich auf unsichere Situationen einzulassen, kann im Rahmen von
Fachtagen geweckt werden. Hier wird auf der kognitiven Ebene Information vermittelt
und aufgeklärt. Es erschließt sich den Teilnehmenden auf diesem Weg, weshalb es
sinnvoll ist zu lernen, kompetent mit Verunsicherung umzugehen. Dass die Hälfte der
Befragten die eigene Haltung und deutlich mehr die Konzeption ihrer Einrichtung
überdenken wollten, ergibt kein einheitliches Bild. Klarer sind die Ergebnisse der
Befragung der Workshopteilnehmerinnen. Sie fühlen sich positiv verunsichert, jedoch
nicht unangenehm, haben also erfahren, dass Verunsicherung im produktiven Sinn
nicht Handlungsunfähigkeit bedeutet.
Die Fähigkeit, mit Unsicherheiten in der Arbeit umzugehen, kann in Workshops
erfahrbar und praktisch erprobt werden. Fachtage sollten demnach – so auch
einhellig die Ansicht der befragten Expertinnen und Experten – von Arbeitsgruppen
und Workshops flankiert werden. Gemeinsam ergeben sie ein sinnvolles Ganzes an
Fortbildung.
Fachtage sind ein gutes Mittel zur Wissensvermittlung und zum Wecken von
Interesse und Motivation. Da sie aber verhältnismäßig aufwändig zu organisieren
sind, können sie nicht in jeder Gemeinde durchgeführt werden. Das Handbuch des
Modellprojekts wird zukünftig einen Teil der Wissensvermittlung übernehmen können,
sie aber nie ganz ersetzen. Im Unterschied zur privaten Lektüre bedeutet ein Fachtag
immer auch Begegnung und aktive Vernetzung. Deshalb wäre eine wenig
aufwändige, gestaffelte Veranstaltungsreihe eine mögliche Lösung.
Arbeitsgruppen und Workshops sind ein unverzichtbares Element von Fortbildung.
Hier können Fragestellungen der eigenen Praxis bearbeitet und neue
Verhaltensweisen im Rollenspiel erprobt werden. Es wird erfahrbar, dass es keine
perfekte oder „technologische“ Lösung gibt, Kommunikation immer dadurch bestimmt
ist, dass es Missverständnisse und Fehler geben kann, und „Fehlerfreundlichkeit“ ein
wichtiger Bestandteil interkultureller Kompetenz ist.
Endbericht der Evaluation
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Der Wunsch nach mehr Sicherheit ist gut nachvollziehbar, weil zum einen Unsicherheit und
Professionalität sich entgegenstehen, zum anderen Unsicherheit in der Sozialen Arbeit die
Berater/innen belastet und für die Klient/innen unerwünschte Folgen haben kann. Es geht bei
Beratung in Fällen von Gewalt in besonderer Weise um das Thema Sicherheit. Einmal die
Sicherheit von Leib und Leben der Betroffenen und ihrer Kinder, aber auch die professionelle
Sicherheit der Berater/innen, die über Unterstützungsmöglichkeiten informieren,
Empfehlungen aussprechen und über rechtliche Fragen aufklären. Berater/innen müssen
über ausreichend Beratungskompetenz und eine gute Kenntnis der rechtlichen
Rahmenbedingungen verfügen, die für ihre Zielgruppe relevant sind. Dies schafft eine
sichere Grundlage, auf der dann im persönlichen Kontakt eine Unsicherheit zugelassen
werden kann, ohne dass die Professionalität leidet. Das Grundprinzip von Beratungsarbeit
heißt Ergebnisoffenheit (Helfferich u.a. 2004). Nicht zu wissen, wohin die Klientin gehen will
und wird, bedeutet Unsicherheit, Entscheidungsprozesse müssen unterstützend begleitet
werden, ohne dass Ergebnisse vorweg genommen werden, die die Klientin selbst dann nicht
auf Dauer mittragen und leben kann.
In Workshops kann geübt bzw. erprobt werden, wie eigene Beratungskompetenz im
interkulturellen Kontext eingesetzt ist, wo sie sich bewährt hat und wo Kompetenzen
verbesserungsbedürftig sind, Lücken an Wissen und Strategien sichtbar und fühlbar werden.
Diese können dann in der Gruppenarbeit abgeklärt und verbessert werden, auf jeden Fall
Wege gezeigt werden, wie sie sich verbessern lassen. Insofern kann Fortbildungsarbeit zum
Thema interkulturelle Kompetenz auch immer ein Auffrischen grundlegender Elemente guter
Sozialer Arbeit oder pädagogischer Arbeit bedeuten, was angesichts der Altersgruppe, die
an den Veranstaltungen des Modellprojekts teilnahm, wichtig und für alle motivierend sein
kann.
Erforderlich sind Fortbildungsmodelle, die wiederholt bestimmte Inhalte anbieten bzw.
bestimmte Übungen ermöglichen, damit der Zuwachs an Kenntnissen und Fähigkeiten nicht
auf eine kleine Anzahl bereits Interessierter beschränkt bleibt, sondern eine Vielzahl von
Praktiker/innen im Laufe der Zeit erreicht.
Fachtage und Workshops sollten interdisziplinär, interinstitutionell und interkulturell
angeboten werden.
Die Fortbildung ist ein Schritt, interkulturelle Kompetenzen in der Unterstützung von Gewalt
betroffener Migrantinnen zum Thema zu machen und so zur Verbesserung beizutragen. Der
zweite Schritt – und auch hier hat das Modellprojekt den Weg gezeigt – besteht darin, das
Thema Gewalt im Geschlechterverhältnis und die Kenntnis der Schutz- und
Unterstützungsmöglichkeiten Migrantinnen verfügbarer zu machen. Die begonnenen
Strategien gilt es weiterzuentwickeln: Kontakt zu den Communities und Organisationen
unterschiedlicher Migrantengruppen aufzunehmen, Information in Integrationskurse und
Sprachkurse an Volkshochschulen und anderen Trägern hineinzutragen und sich als
kompetente Unterstützerinnen in der Region sichtbar zu machen. Diese Arbeit muss auf eine
gute Vernetzung aufbauen können und erfordert mehr Zeit als eine Modellphase. Das
Modellprojekt lud zu einem Arbeitskreis ein, um die zukünftigen Aufgaben auf mehrere
Schultern zu verteilen. Ein regionaler Runder Tisch mit Beteiligung der verantwortlichen
Institutionen kann für eine Implementierung dieser Initiative sorgen.
„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
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„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“
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