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Page 1: Monogene Ionenkanalerkrankungen des Knochens; Monogenic ion channelopathies of the skeleton;

medgen 2013 · 25:493–500DOI 10.1007/s11825-013-0420-xOnline publiziert: 19. Dezember 2013© Springer-Verlag 2013

T. Stauber1 · D. Horn2 · U. Kornak2

1  Physiologie und Pathologie des Ionentransports, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) und Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) Berlin

2 Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik, Charité-Universitaetsmedizin Berlin

Monogene Ionenkanalerkrankungen des Knochens

Ausgehend von knorpeligen Vorläufer-strukturen, die durch chondrogene Dif-ferenzierung von mesenchymalen Zellen gebildeten werden, entstehen die meisten Elemente des Skeletts durch enchondra-le Ossifikation [12]. Sobald in diese Vor-läufer Gefäße eingedrungen sind, treten eingewanderte Osteoblasten und Osteo-klasten in Aktion, um das Knochengewe-be auf- und abzubauen. Mit der Bildung eines kompakten kortikalen Knochens geht die Entstehung der Osteozyten als zahlenmäßig größten Gruppe der Kno-chenzellen einher. Zusammen bestim-men diese 3 Zelltypen, Osteoblasten, Os-teozyten und Osteoklasten als „bone mul-ticellular unit“ (BMU) zeitlebens die Kno-chenhomöostase. Störungen der BMU äu-ßern sich v. a. in einer veränderten Dich-te und Feinstruktur des Knochengewebes. Im Gegensatz hierzu erzeugen Störungen in den Knorpelzellen der Knochenvorläu-fer eher größere Deformationen und ein vermindertes Längenwachstum.

Durch Mutationen in Genen für Io-nenkanäle kann jede Phase der Skelettent-wicklung und jeder der genannten Zellty-pen beeinträchtigt werden. Bei Durch-sicht der 226 Gene beinhaltenden Noso-logie für Skelettkrankheiten finden sich neben einigen Transportern die Ionen-kanalgene ANO5 (Anoctamin 5), CLCN5 („chloride channel, voltage-sensitive 5“), CLCN7, GJA1 („gap junction protein“, α-1) und TRPV4 („transient receptor potential cation channel, subfamily V, member 4“; [28]). Da aber Mutationen in CLCN5 pri-mär eine Nierenerkrankung, „Dent’s dis-

ease“, Online-mendelian-inheritance-in-men(OMIM)-Eintrag: 300009, verursa-chen, wird auf dieses Gen hier nicht einge-gangen [15]. Für das Gen ANKH, dessen Genprodukt ANK Pyrophosphat trans-portieren soll, ist die Art der Transport-funktion noch unklar und es findet da-her ebenfalls keine Erwähnung [5]. Eine Übersicht der genannten Phänotypen und Gendefekte findet sich in . Tab. 1.

Mit Connexin 43 assoziierte Skelettveränderungen

Funktionen von Connexin 43 in Knochenzellen

Connexin 43, das Genprodukt von GJA1, gehört zu der Familie der Gap-junction-Kanäle, deren Öffnungsverhalten durch verschiedene Stimuli, darunter auch das Membranpotenzial und mechanische Kraft, gesteuert wird [22]. Durch ihre Pore können nicht nur Kationen, sondern auch andere Substanzen bis zu einer Größe von 1 kDa passieren, z. B. ATP oder Eicosanoi-de. Es bilden 6 Connexinmonomere einen Hemikanal, der alleine ebenfalls funk-tionstüchtig ist und den Austausch zwi-schen der Zelle und ihrer Umgebung er-möglicht. Zwei Hemikanäle einander be-rührender Zellen können ein Connexon bilden, durch das die o. g. Substanzen zwischen den Zellen ausgetauscht wer-den können. Connexin 43 wird in Odon-toblasten, Osteoblasten, Osteozyten und Osteoklasten exprimiert und beeinflusst diese Zelltypen in komplexer Weise [22].

Neben der Ionenhomöostase erfolgt dies auch durch Beeinflussung der MAPK- und Smad-Signaltransduktion. Beson-ders wichtig scheint Connexin 43 für die Osteozyten zu sein, die über Kanalikuli wie Neuronen miteinander kommunizie-ren. Im Mausmodell konnte gezeigt wer-den, dass Mutationen im oder das Fehlen von Connexin 43 die Sensitivität des kor-tikalen Knochens für mechanische Stimu-lation und die Überlebensrate der Osteo-zyten verringern [29].

GJA1-Mutationen und induzierte Erkrankungen

Okulodentodigitale DysplasieDie Trias aus Augen- (Mikrophthalmie oder Mikrokornea), Zahn- (Mikrodontie oder Hypodontie mit Schmelzdefekten) und Handanomalien (Klinodaktylie und Syndaktylie) ist für die autosomal-domi-nant vererbte okulodentodigitale Dyspla-sie (ODDD; OMIM-Eintrag: 164200) cha-rakteristisch. Hinzu kommt eine schma-le Nase mit hypoplastischen Alae nasi. Im Schädelskelett finden sich eine Mikroze-phalie, Verdickungen der Schädelkalotte und eine prominente oder hypoplastische Mandibula. Die Röhrenknochen sind häufig untermodelliert und in manchen Fällen sklerotisch. Komplizierend können Hörstörungen, Optikusatrophie, Spas-tik oder Ataxie auftreten. In der Mehr-heit der Fälle ist die geistige Entwicklung normal. Der Phänotyp ist äußerst varia-bel, als gering ausgeprägte Variante kann auch eine isolierte Syndaktylie auftreten

Schwerpunktthema: Ionenkanalerkrankungen

493Medizinische Genetik 4 · 2013  | 

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494 |  Medizinische Genetik 4 · 2013

Schwerpunktthema: Ionenkanalerkrankungen

Page 3: Monogene Ionenkanalerkrankungen des Knochens; Monogenic ion channelopathies of the skeleton;

(OMIM-Eintrag: 186100). Die heterozy-goten Mutationen sind über das gesam-te Connexin-43-Protein verteilt [19]. Es handelt sich überwiegend um Missense-Mutationen, die zu einem Funktionsver-lust führen.

Autosomal-rezessive kraniometaphysäre DysplasieDie kraniometaphysäre Dysplasie (CMD; OMIM-Eintrag: 123000) gehört zu den kraniotubulären Skelettdysplasien und zeichnet sich v. a. durch eine erhebliche Verdickung des Schädeldachs und eine Verkleinerung oder einen Verschluss der Nebenhöhlen aus. Kennzeichnend sind auch eine Erlenmeyerdeformität des dis-talen Femurs, eine erhöhte metaphysä-re Röntgentransparenz und eine unter-schiedlich ausgeprägte Verdickung des diaphysären kortikalen Knochens. Für die häufigere dominante Variante sind Muta-tionen im Membranprotein ANK ursäch-lich. Im Gegensatz dazu wurde in mehre-ren Patienten mit der autosomal-rezes-siven CMD-Variante (OMIM-Eintrag: 218400) eine identische homozygote Mu-tation im C-Terminus von GJA1 identifi-ziert [8].

Hallermann-Streiff-SyndromDas Hallermann-Streiff-Syndrom (HSS; OMIM-Eintrag: 234100) ist eine proge-roide Erkrankung, die sowohl mit Er-krankungen des Cutis-laxa-Spektrums als auch mit anderen Progeriesyndromen und dem okulodentodigitalen Syndrom überlappt. Hervorstechendes klinisches Merkmal ist eine mandibuläre Hypopla-sie, die in Kombination mit einer schma-len gebogenen Nase mit hypoplastischen Nasenflügeln und einer Hypotrichose die von Hallermann in der ursprüngli-chen Beschreibung als Vogelgesicht be-zeichnete Fazies ergibt [6]. Darüber hi-naus zeigen die Betroffenen einen aus-geprägten proportionierten Kleinwuchs und verschiedene Zahnanomalien (Hy-podontie, Schmelzdefekte, überzähli-ge Zähne). Radiologisch wurde eine dia-physäre endostale Verdickung beschrie-ben [9]. Mikrophthalmie und angeborene Katarakt sind typische okuläre Manifesta-tionen. Die geistige Entwicklung ist häu-fig unauffällig. Bei einem einzelnen HSS-Patienten mit einer geringen Ausprägung

ohne okularer Beteiligung und mit Klino-daktylie des 5. Fingers wurde eine homo-zygote Mutation in GJA1 detektiert, so-dass in diesem Fall dieses dem HSS ähn-liche Krankheitsbild als Extremvariante der ODDD gesehen werden kann.

Mit TRPV4-Mutationen assoziierte Skelettdysplasien

Verwirrende Vielfalt von Phänotypen

Das breite phänotypische Spektrum be-dingt durch heterozygote Mutationen im TRPV4-Gen umfasst die metatropi-sche Dysplasie (MD; OMIM-Eintrag: 156530), die spondylometaphysäre Dys-

plasie Typ Kozlowski (SMDK; OMIM-Eintrag: 184252), und die autosomal-do-minante Form der Brachyolmie (Typ 3 der Brachyolmie, BO3; OMIM-Eintrag: 113500). Einige Patienten mit parastrem-matischer Dysplasie (PM; OMIM-Ein-trag: 168400) und spondyloepiphysä-rer Dysplasie Typ Maroteaux (SEDM; OMIM-Eintrag: 184095) sind ebenfalls beschrieben, die ursächliche Mutationen in TRPV4 tragen.

Die klinische Hauptsymptomatik der metatropischen Dysplasie ist durch den Wandel von einer bei Geburt sichtbaren Kurzgliedrigkeit zu einem zum späteren Zeitpunkt auffallenden im Vergleich zur Extremitätenlänge kurzen Rumpf cha-rakterisiert (. Abb. 1). Als wesentliche

Zusammenfassung · Abstract

medgen 2013 · 25:493–500   DOI 10.1007/s11825-013-0420-x© Springer-Verlag 2013

T. Stauber · D. Horn · U. KornakMonogene Ionenkanalerkrankungen des Knochens

ZusammenfassungObwohl Ionenkanäle eher mit der Generie-rung von Aktionspotenzialen in Verbindung gebracht werden, können sie auch in unter-schiedlichster Weise die Entwicklung und Funktion von Knochenzellen und -gewebe beeinflussen, was durch die hier vorgestell-ten Skeletterkrankungen verdeutlicht wer-den soll. Jeder der grundlegenden Zelltypen, Chondrozyten, Osteoblasten, Osteozyten, Os-teoklasten, kann in die Pathogenese invol-viert sein und in vielen Fällen ist das Zusam-menspiel der verschiedenen zellulären Defek-te nicht verstanden. Connexin 43 und TRPV4, 2 der genannten Membranproteine, trans-portieren v. a. Kalzium und stehen jeweils mit einem Spektrum an Skelettphänotypen in 

Verbindung. Hierbei scheint Connexin 43 v. a. als Regulator in Osteoblasten und Osteozy-ten zu fungieren, während TRPV4 eine wichti-ge Rolle in Chondrozyten spielt. Die anderen beiden Beispiele sind die chloridtransportie-renden Proteine ANO5 und ClC-7, deren De-fekt die gnathodiaphysäre Dysplasie bzw. die Osteopetrose nach sich zieht. Während die Funktion von ANO5 noch unklar ist, konnte die Funktion von ClC-7 in Osteoklasten detail-liert beschrieben werden.

SchlüsselwörterKalizumkanäle · Chloridkanäle · Connexine · Chondrodysplasien · Osteopetrose

Monogenic ion channelopathies of the skeleton

AbstractAlthough ion channels are intuitively more related to the generation of action potentials, they can influence skeletal cells, develop-ment, and homeostasis in different ways as demonstrated in this review. All major skele-tal cell types, chondrocytes, osteoblasts, os-teocytes, and osteoclasts, can be involved in the pathogenesis and often the interaction of these different defects is incompletely un-derstood. Connexin 43 and TRPV4, two of the mentioned membrane proteins, predomi-nantly conduct calcium ions and are the ba-sis of a whole spectrum of skeletal pheno-types. While connexin 43 seems to regulate 

the function of osteoblasts and osteocytes, TRPV4 is crucial for chondrocytes. The  other two examples are chloride-transporting membrane proteins ANO5 and ClC-7, which can cause gnathodiaphyseal dysplasia and osteopetrosis, respectively. Whereas the func-tion of ANO5 is largely unknown, the role of ClC-7 in bone resorbing osteoclasts has been investigated in great detail.

KeywordsCalcium channels · Chloride channels · Connexins · Chondrodysplasia · Osteopetrosis

495Medizinische Genetik 4 · 2013  | 

Page 4: Monogene Ionenkanalerkrankungen des Knochens; Monogenic ion channelopathies of the skeleton;

radiologische Auffälligkeiten stellen sich eine ausgeprägte Platyspondylie und ver-breiterte Metaphysen sowie eine redu-zierte Läge der langen Röhrenknochen dar. Die Schwere des klinischen Bilds der metatropischen Dysplasie variiert zwi-schen letalen Phänotypen und leichteren Formen.

Die klinischen Hauptmerkmale bei der spondylometaphysäre Dysplasie vom Typ Kozlowski sind ein Kleinwuchs, der durch eine Rumpfverkürzung mit einer kurzen breiten Thoraxform bedingt ist, sowie häufig eine Kyphoskoliose (. Abb. 1). Hervorstechende radiologische Merkma-le umfassen eine Platyspondylie und eine metaphysäre Dysplasie, die sich etwa ab dem 4.–5. Lebensjahr entwickelt und be-sonders in den proximalen Femurmeta-physen sichtbar ist.

Markante klinische Auffälligkeiten bei der autosomal-dominanten Form der Brachyolmie sind ein verkürzter Rumpf, der in einem mäßigen Kleinwuchs resul-tiert, und ein klinisch unauffällig erschei-nendes Extremitätenskelett.

Radiologisch zeigt sich ab dem Kin-desalter eine langsam zunehmende Platy-spondylie. Mäßige metaphysäre Verände-rungen können an den proximalen Femo-ra auftreten.

Bei der sehr seltenen parastremma-tischen Dysplasie zeigt sich eine Defor-mierung der unteren Extremität mit ein-geschränkter Gelenkbeweglichkeit und schwerer Ausprägung von Genua val-ga oder Genua vara. Bisher ist bei einem Patient mit parastremmatischer Dyspla-sie eine TRPV4-Mutation in der Literatur dokumentiert.

Die klinischen Hauptmerkmale der spondyloepiphysären Dysplasie Typ Ma-roteaux sind ein leichter Kleinwuchs, eine Rumpfverkürzung und eine Brachydak-tylie, die als Brachydaktylie E zu klassifi-zieren ist. Richtungsweisende radiologi-sche Merkmale schließen eine moderate bis schwere Platyspondylie, eine epiphy-säre Dysplasie der langen Röhrenkno-chen und eine Hypoplasie der Darmbein-schaufeln ein. Metaphysäre Auffälligkei-ten sind nicht vorhanden oder minimal ausgeprägt. Bei der selten beschriebenen familiären digitalen Arthropathie mit Brachydaktylie (FDAB; OMIM-Eintrag: 606835), bei der ebenfalls TRPV4-Muta-tionen identifiziert wurden, sind die ske-letalen Veränderungen auf die Hände und Füße beschränkt.

Abb. 1 9 Radiologische Charakteristika von TRPV4-abhängigen Skelettdyspla-sien. a, b, c Radiologische Befunde bei einem Pati-ent mit metatroper Dyspla-sie im Alter von 6 Monaten, verursacht durch die häu-fige P799L-Mutation. a La-terale Wirbelsäule: deutlich abgeflachte Wirbelkörper, insbesondere im Bereich der Brustwirbelsäule. b Be-ckenübersicht anterior-pos-terior: runde verbreiterte Beckenschaufeln mit Hy-poplasie der unteren An-teile des Beckens, vereng-te Incisura ischiadica, ver-breiterte proximale Enden der Femora. c Knie anterior-posterior. Stark verbreiterte Metaphysen des distalen Femurs sowie der proxima-len Tibia und Fibula. d, e, f Patient mit spondylome-taphysärer Dysplasie Typ Kozlowski im Erwachse-nenalter, verursacht durch die häufige R594H-Muta-tion. d Laterale Wirbelsäu-le: Platyspondylie, unregel-mäßige Grund- und Deck-platten der Wirbelkörper. e Becken anterior-posterior: kurze Schenkelhälse, ab-geflachte Hüftkopfepiphy-sen. f Unterschenkel: mä-ßig verbreiterte Metaphyse der proximalen Tibia 

496 |  Medizinische Genetik 4 · 2013

Schwerpunktthema: Ionenkanalerkrankungen

Page 5: Monogene Ionenkanalerkrankungen des Knochens; Monogenic ion channelopathies of the skeleton;

Molekulare Eigenschaften von TRPV4

TRPV4 gehört zur Familie der Transi ent-receptor-potential(TRP)-Ionenkanäle. Deren Untereinheiten weisen einen für Kationenkanäle typischen Aufbau aus 6 Transmembranhelices und einem in die Membran eingebetteten Loop zwischen der 5. und 6. Helix auf, der wesentlich die Pore bildet, die in diesem Falle v. a. Kalziumionen leitet [18]. Sowohl N- als auch C-Terminus befinden sich im Zyto-plasma. Im längeren N-Terminus befin-den sich eine prolinreiche Domäne, die für den zellulären Transport eine wichti-ge Rolle spielt, und 6 Ankyrinrepeats, die für Protein-Protein-Interaktionen ver-antwortlich sind. Der C-Terminus be-inhaltet eine calmodulinbindende Domä-ne. Höchst bemerkenswert ist die unüber-schaubare Vielfalt an Stimuli, die die Öff-nungswahrscheinlichkeit des Kanals be-einflussen. Sie reichen von Zellschwel-

lung, Hitze und Membranpotenzial bis zu dem Endocannabinoid Anandamid [18]. Außerdem kann TRPV4 auch mit ande-ren TRP-Kanälen Heteromere bilden, die wiederum andere Eigenschaften aufwei-sen. Die hierdurch entstehende Vielfalt wird durch die sehr breite Expression von TRPV4 begünstigt.

Trotz der starken Unterschiede zwi-schen den neurologischen und Skelett-phänotypen finden sich die ursächlichen Mutationen in überlappenden Bereichen des Proteins. Auffällig ist v. a. eine Akku-mulation von Mutationen im Bereich der N-terminalen Ankyrinrepeats bei FDAB, den Skelettdysplasien und den neuro-logischen Phänotypen. Dieselbe Muta-tion (z. B. p.Ala217Ser) kann sowohl zur Neuropathie als auch zur SMDK füh-ren. Zwar befinden sich alle FDAB-Mu-tationen in einem Loop zwischen dem 3. und 4. Ankyrinrepeat, aber die Mutatio-nen einer Aminosäure davor erzeugt eine Neuropathie. Die elektrophysiologischen

Analysen haben ergeben, dass die zu den Skelettdysplasien führenden Mutationen eher zu einem Funktionsgewinn führen, während die mit Neuropathie und digita-ler Arthropathie assoziierten Mutationen eher einen Funktionsverlust nach sich zie-hen. Jedoch gibt es Ausnahmen von die-ser groben Regel und die funktionellen Untersuchungen wurden jeweils unter-schiedlich durchgeführt, was einen direk-ten Vergleich erschwert.

Mögliche Pathomechanismen

Die bei allen TRPV4-abhängigen Skelett-dysplasien zu beobachtende Platyspondy-lie und metaphysäre Veränderungen sind ein untrügliches Zeichen für eine wichti-ge Funktion dieses Kanals in Chondrozy-ten. Schon vor Entdeckung eines Krank-heitszusammenhangs wurde TRPV4 so-wohl in einem Screening für die Chon-drozytendifferenzierung als auch als Be-standteil von durch Chondrozyten gebil-deten Matrixvesikeln identifiziert [1, 17]. Funktionelle Untersuchungen legen nahe, dass TRPV4-abhängige, durch Zugspan-nung aktivierte Kalziumströme eine ent-scheidende Rolle bei der Volumenregula-tion der Chondrozyten spielt. Unerwarte-terweise führt das Ausschalten von Trpv4 in der Maus keineswegs zu einer spon-dylometaphysären Dysplasie, sondern zu einem überaus gering ausgeprägten Ske-lettphänotyp mit leicht erhöhter Kno-chenmasse durch verminderte Osteoklas-tenfunktion. Jedoch wurde in diesen Tie-ren eine starke Neigung zur Osteoarthri-tis beobachtet. Hierzu passt die o. g. eher aktivierende Wirkung der bei den Ske-lettdysplasien gefundenen Mutationen, während bei FDAB ein Funktionsver-lust vorzuherrschen scheint. Ansonsten gibt es kaum eine Körperfunktion, an der TRPV4 nicht beteiligt zu sein scheint: Die Beispiele reichen vom Energiemetabolis-mus bis zum Harndrang, für den TRPV4 bereits als therapeutisches Target gehan-delt wird.

Gnathodiaphysäre Dysplasie

Phänotyp

Fokale Wucherungen von irregulärem fibrotisch-knöchernem Gewebe in der

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Resorptionslakune

Bürstensaum

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Abb. 2 8 Funktionen von „chloride channel protein 7“ (ClC-7) in Osteoklasten. Der Chlorid-Protonen-Austauscher ClC-7 befindet sich zusammen mit der H+-ATPase sowohl in der Membran von späten En-dosomen/Lysosomen als auch in der durch die Fusion dieser Vesikel mit der Plasmamembran entste-henden Bürstensaummembran. Während im Lysosom eher die Regulation der  Chloridkonzentration im Vordergrund steht, ist für die Knochenresorption die Sekretion von Protonen und Chloridionen über die Bürstensaummembran entscheidend, um das im Knochen eingelagerte basische Hydroxy-apatit auflösen zu können. Daneben wird durch die Fusion der Vesikel auch die saure Protease Cathep-sin K in die Resorptionslakune befördert, die für den Abbau des Kollagens essenziell ist. Bei einem ClC-7-Defekt sind alle diese Prozesse gestört, wodurch es zur Anhäufung von mineralisiertem Knorpel und Knochengewebe und hierdurch zur Osteopetrose kommt. Ostm1 „osteopetrosis associated transmem-brane protein 1“

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Mandibula, die zusammen mit wieder-kehrenden Osteomyelitiden im Erwach-senenalter entstehen und zu einer zu-nehmenden Vergrößerung der Man-dibula führen, sind das kraniofaziale Kennzeichen der autosomal-dominan-ten gnathodiaphysären Dysplasie (GDD; OMIM-Eintrag: 166260; [25]). Hinzu kommt eine schon im Kindesalter be-stehende äußerst ungewöhnliche unre-gelmäßige Verbreiterung des diaphysä-ren kortikalen Knochens und eine grobe Trabekelzeichnung des spongiösen Kno-chens, wobei jedoch die Mineralisierung vermindert scheint. Trotz der radiologi-schen Vermehrung des Knochengewebes ist dieses – ähnlich der Osteopetrose – in-stabil, sodass es zu pathologischen Fraktu-ren kommt. Allelisch mit der GDD sind die autosomal-rezessiven Phänotypen Gliedergürtelmuskeldystrophie Typ 2L (OMIM-Eintrag: 611307) und die Miyos-hi Muskeldystrophie Typ 3 (OMIM-Ein-trag: 6133319; [3]).

Eigenschaften von Anoctamin 5 und Pathomechanismus

Mit dem ersten identifizierten Mit-glied der Anoctaminfamilie (auch als TMEM16-Famile bezeichnet), ANO1 (TMEM16A), wurde das molekulare Kor-relat der lange bekannten kalziumindu-zierten Chloridleitfähigkeit identifiziert. Hingegen ist die Funktion der anderen 9 Mitglieder dieser Familie unklar und oft kontrovers. Nach dem momentanen Kenntnisstand handelt es sich bei ANO5 (TMEM16E) um ein intrazelluläres Prote-in [16]. Zwei bei der GDD gefundene Mu-tationen betreffen ein Zystein (Cys356) in einem Loop des Kanalproteins. Wird das entsprechende Zystein in ANO1 mutiert, ändert sich das Verhalten des Kanals. An-dererseits führt das Ersetzen des vermut-lich die Pore bildenden Loops zwischen S5 und S6 von ANO1 durch denjenigen von ANO5 zu einem Verlust des Chlorid-stroms [24]. ANO5 scheint im Skelett v. a. im Perichondrium, in prähypertrophen Knorpelzellen und in Osteoblasten ex-primiert zu sein [16]. Angesichts des Phä-notyps ist in erster Linie eine Dysfunk-tion der Osteoblasten zu vermuten, wobei dies letztlich nur durch ein entsprechen-des Tiermodell (z. B. ein konditioneller

Knock-in einer GDD-Mutation) zu bele-gen sein wird.

Mit CLCN7–Mutationen assoziierte Osteopetrose

Klinisches Bild und Formen der Osteopetrose

Schon früh nach Einführung der Rönt-genstrahlen in die medizinische Diag-nostik fiel dem Hamburger Radiologen Albers-Schönberg bei einem Patienten mit Oberschenkelfrakturen eine erhöh-te Röntgendichte der Knochen auf. Der von ihm geprägte Begriff Marmorkno-chenkrankheit, bzw. Osteopetrose, illust-riert sowohl diese radiologische Verände-rung (im Extremfall ein kompletter Ver-schluss des Markraums durch Knochen-gewebe) als auch die herabgesetzte Stabi-lität und Flexibilität des marmorartig-brö-seligen Knochengewebes, das zu patholo-gischen Frakturen führen kann, sehr gut [2]. Heute wird die von ihm beschriebe-ne Erkrankung als autosomal-dominan-te Osteopetrose Typ 2 (ADO2) bezeichnet und es liegen genaue Daten über ihre kli-nischen Kennzeichen, allen voran die sog. Sandwichwirbel, ihre enorme Variabilität und verminderte Penetranz, vor [27]. Im Gegensatz zur Überfunktion der Osteo-blasten bei der ADO1 steht bei der ADO2 eine Funktionsverminderung der Osteo-klasten im Vordergrund, die bei der rezes-siven Variante (ARO) zum völligen Ver-lust der Knochenresorption führt. Ent-sprechend schwerwiegend ist der Ver-lauf dieser Form, die daher auch infan-til maligne Osteopetrose genannt wird [26]. Neben Frakturen und einem gestör-ten Längenwachstum der Röhrenkno-chen kommt es durch die fehlenden Mar-kräume zu Anämie, Hepatosplenomega-lie und Immunschwäche. Durch Verän-derungen des Schädels können Hirnner-ven geschädigt werden, allen voran der N. opticus. Ohne eine rettende Transplanta-tion von hämatopoetischen Stammzellen überleben ARO-Patienten selten länger als 10 Jahre.

Funktion der Osteoklasten

Osteoklasten sind mit Makrophagen ver-wandte riesige multinukleäre Fresszellen,

die als einzige Zellen des Körpers in der Lage sind, Knochengewebe in nennens-wertem Umfang abzubauen (Übersicht in [23]). Im Gegensatz zu anderen Geweben, deren extrazelluläre Matrix durch ver-schiedene andere Zelltypen abgebaut wer-den kann, besteht das Knochengewebe zu einem großen Teil aus basischem Hydro-xyapatit. Um dieses in Lösung zu bringen sind folglich große Mengen an Säureäqui-valenten erforderlich. Durch einen spezia-lisierten Mechanismus sind die Osteoklas-ten in der Lage, solche großen Mengen an Protonen in die sog. Resorptionslakune zu transportieren (. Abb. 2). Hierfür fu-sionieren in atypischer Weise späte En-dosomen, die einen niedrigen pH-Wert aufweisen, mit der der Knochenoberflä-che zugewandten Seite der Plasmamem-bran des Osteoklasten. Durch die Akku-mulation von Membranen kommt es zu einer starken Fältelung, die histologisch als Bürstensaum erkennbar ist. Der Be-reich der Bürstensaummembran wird durch die „sealing zone“ begrenzt, durch die sich die Osteoklasten sehr fest an die Knochenoberfläche klammern und somit verhindern, dass die in die Resorptions-lakune sezernierten Protonen in die Um-gebung entweichen. Die nach Auflösung des Hydroxyapatits freigelegte organische Matrix wird durch saure Proteasen ver-daut. Sowohl Ionen als auch Spaltproduk-te der Matrix werden durch Transzytose aus der Resorptionslakune entfernt und in die Umgebung ausgeschüttet.

Rolle von ClC-7 für die Funktion von Osteoklasten

Sowohl die Ansäuerung der späten Endo-somen und Lysosomen, durch deren Fu-sion mit der Plasmamembran der Bürs-tensaum der Osteoklasten gebildet wird, als auch die der Resorptionslakune wird durch die vakuoläre H+-ATPase bewerk-stelligt, die unter Energieverbrauch Pro-tonen in die entsprechenden Kompar-timente pumpt. Damit dieser elektro-gene Prozess nicht aufgrund eines sich aufbauenden Spannungsgefälles vor Er-reichen eines sauren Milieus zum Er-liegen kommt, muss ein Ladungsaus-gleich durch den Transport eines Gegen-ions, z. B. Chlorid, stattfinden. „Chloride channel protein 7“ (ClC-7), das Genpro-

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Schwerpunktthema: Ionenkanalerkrankungen

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dukt von CLCN7, ist zusammen mit sei-ner β-Untereinheit „osteopetrosis asso-ciated transmembrane protein 1“ (Ostm1) ubiquitär exprimiert und hauptsäch-lich auf späten Endosomen und Lysoso-men lokalisiert ([11, 13, 14]; . Abb. 2). Zu-sätzlich kommen die beiden Proteine ge-meinsam im Bürstensaum der Osteoklas-ten vor [11, 13]. Es hat sich herausgestellt, dass ClC-7 ein Chlorid-Protonen-Austau-scher ist [14]. Mit dieser Funktionsweise könnte er die Azidifizierung der Resorp-tionslakune durch die H+-ATPase er-möglichen. Tatsächlich ist diese bei Os-teoklasten von gentechnologisch erzeug-ten ClC-7-defizienten (ClC-7-KO-)Mäu-sen stark beeinträchtigt [11]. Dementspre-chend sind die Osteoklasten dieser osteo-petrotischen Mäuse nicht zur Knochenre-sorption fähig. Auffällig ist, dass nicht nur die Ansäuerung, sondern schon die For-mung des Bürstensaums in ClC-7-defizi-enten Osteoklasten beeinträchtigt ist. Dies ist wahrscheinlich auf einen lysosomalen Defekt zurückzuführen. Sowohl die ClC-7-KO-Maus, als auch die Grey- lethal-Maus, der Ostm1 fehlt [4], entwickeln neben der Osteopetrose eine lysosoma-le Speicherkrankrankheit. Dieser liegt je-doch keine verminderte Ansäuerung der Lysosomen zugrunde, sondern vielmehr ein Defekt der pH-getriebenen luminalen Chloridanreicherung durch den Cl−-H+-Austausch [10, 30]. Somit scheint ClC-7 2 Rollen zu spielen: zum einen die Chlorid-Protonen-Austauschaktivität in der lyso-somalen Ionenhomöostase, die für die Formung des Bürstensaums durch lyso-somale Exozytose erforderlich ist, zum anderen die Bereitstellung des benötigten Ladungsausgleichs für die Ansäuerung der Resoprtionslakune.

Auswirkungen von ClC-7-Mutationen

Nach Mutationen in TCIRG (dem Gen, das die osteoklastenspezifische a3-Un-tereinheit der vakuolären H+-ATPase ko-diert), die bei etwa 50% der ARO-Fälle identifiziert werden, sind Mutationen in CLCN7 mit etwa 15% die zweithäufigs-te Ursache, wobei es sich meist um Mis-sense- und selten um Nonsense-Muta-tionen handelt, die über die gesamte Se-quenz von ClC-7 vorkommen (Über-

sicht in [21]). ARO-Fälle mit Mutatio-nen in CLCN7 können zusätzlich noch eine primäre Neurodegeneration aufwei-sen, die nicht durch Transplantation von hämatopoetischen Stammzellen thera-piert werden kann. Eine genaue Korrela-tion zwischen Genotyp und Phänotyp be-steht nicht. Einige monoallele Mutationen in CLCN7 führen zur wesentlich weniger ausgeprägten ADO2.

Für die wenigsten der inzwischen bei ARO und ADO2 etwa 50 identifizierten Missense-Mutationen in CLCN7 ist der pathogene Mechanismus bekannt. Die Schwere der Erkrankung in ARO, die mit dem Phänotyp der ClC-7-KO-Maus ver-gleichbar ist, legt einen nahezu komplet-ten Funktionsverlust von ClC-7 nahe. Tat-sächlich war in Fibroblasten des ersten ARO-Patienten, der compound-hetero-zyot für eine Nonsense- und eine Missen-se-Mutation war, ClC-7 auf Proteinebene nicht nachweisbar [11]. Da Haploinsuffi-zienz bei CLCN7 auszuschließen ist, müs-sen ADO2-Mutationen einen dominant-negativen Effekt ausüben. Dies kann in-nerhalb eines ClC-7-Dimers geschehen. So kann die gesamte Aktivität auf maxi-mal 25% reduziert werden, was die ver-minderte, aber vorhandene Funktionali-tät von ADO2-Osteoklasten und die ge-ringe Ausprägung des Phänotyps erklären würde [7]. Überexpressionsstudien deu-ten darauf hin, dass die am häufigsten vor-kommende ADO2-Mutation (G215R) den Export aus dem endoplasmatischen Reti-kulum einschränkt [20]. Interessanter-weise gibt es neben Mutationen, die die Ionentransportaktivität von ClC-7 hem-men, auch einige (sowohl ARO als auch ADO2), die das normalerweise langsa-me spannungsabhängige Steuerungsver-halten (Aktivierung und Deaktivierung) beschleunigen, was vermutlich einem „gain of function“ gleichkäme [14]. Da al-lerdings von keiner dieser Mutanten be-kannt ist, dass sie in vivo normal expri-miert ist, ist fraglich, ob die Beschleuni-gung von ClC-7 in diesen Fällen die Pa-thologie verursacht.

Fazit für die Praxis

F  Ionenkanäle können in unterschiedli-cher Weise die Entwicklung und Funk-

tion von Knochenzellen und -gewebe beeinflussen.

F  Kalziumtransportierende Mem-branproteine stehen dabei mit einem Spektrum an Skelettphänotypen in Verbindung. Hierbei fungiert Conne-xin 43 v. a. als Regulator in Osteoblas-ten und Osteozyten, während TRPV4 eine wichtige Rolle in Chondrozyten spielt. Auch chloridtransportieren-de Proteine, wie z. B. ANO5 und ClC-7, sind in die Osteogenese und Homöos-tase involviert.

F  Mutationen in den genannten Ge-nen sind mit verschiedenen Skelett-veränderungen assoziiert. Die Geno-typ-Phänotyp-Beziehung kann hier-bei z. T. sehr unterschiedlich sein. 

F  Für die Einschätzung einer Skelettauf-fälligkeit ist die molekulargenetische Diagnostik von zunehmender Bedeu-tung.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. U. KornakInstitut für Medizinische Genetik und Humange-netik, Charité-Universitaetsmedizin BerlinAugustenburger Platz 1, 13351 [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  T. Stauber, D. Horn und U. Kornak geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.  Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Schwerpunktthema: Ionenkanalerkrankungen


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