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«Jugendliche Intensivtäter» Polizeiliche ExpertInnenbefraung Modul 1 Jugendsachbearbeiter-Fortbildung 22. Bis 24. November 2010 Herisau Chantal Billaud Schweizerische Kriminalprävention

Jugendliche Intensivtäter, Polizeiliche ExpertInnenbefraung

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«Jugendliche Intensivtäter»

Polizeiliche ExpertInnenbefraung

Modul 1Jugendsachbearbeiter-Fortbildung

22. Bis 24. November 2010Herisau

Chantal BillaudSchweizerische Kriminalprävention

Wiederholungstäter / Intensivtäter. Ergebnisse aus internationalen Studien.

• Dunkelfeldstudien oder einzelne Untersuchungen am Hellfeld belegen, dass ein grosser Teil der (Gewalt-) Delikte von verhältnismässig wenig jugendlichen Tätern verübt wird.

• 4 bis 6 Prozent eines Geburtenjahrgangs sind für eine sehr grosse Zahl - zirka 40 bis 60 Prozent - der (registrierten) Delikte verantwortlich.

• Mehr als die Hälfte der von den Intensivtätern begangenen Straftaten werden von mehreren Tätern gemeinsam begangen, dies selten aber in Grossgruppen.

• Jugendliche Intensivtäter machen immer wieder, was Jugendliche in aller Regel episodisch tun - aber in aller Regel auch wieder lassen.

• Bei jugendlichen Intensivtätern sind kriminelle Karrieren weit wahrscheinlicher.• Überproportional viele jugendlichen Intensivtätern haben ausländische Herkunft und

kommen bezüglich Ausbildung, Berufsaussichten, Familienverhältnissen und Drogenkonsum in der Regel aus problematische Verhältnisse.

• Die Bande übernimmt eine gewisse "Familienfunktion".

Wiederholungstäter in der PKS 09.

Strafausübung in Gruppen in PKS 09.

Warum eine polizeiliche Umfrage zu Jugendlichen Intensivtätern?

• Eine systematische Untersuchung zu jugendlichen Intensivtätern und Jugendbanden ist in der Schweiz nicht vorhanden.

• Gemäss Aussagen von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden sind jugendliche Intensivtäter (ob einzeln oder in der Gruppe aktiv) den Strafverfolgungsbehörden mehrheitlich bekannt.

• Bekannt ist auch, dass diese Delinquenten gesamthaft innerhalb der Bekämpfung von Jugendkriminalität überproportional viel an polizeilichen Ressourcen beanspruchen.

Erhebung nötig und möglich.

Formales zur Umfrage.

• Auftrag ehemaliger BR Blocher 2007, Jugendgewalt näher zu untersuchen.• Angebot fedpol: Expertenbefragung bei den kantonalen Polizeikorps• Keine statistische Auswertung geplant• Ziel: Grobe Übersicht zur Situation• Vorabklärungen bei Kapo ZH• Erarbeitung Fragebogen• Vernehmlassung Fragebogen bei Experten Polizei und Bund • Versand Fragebogen im Juni 2008 an alle kantonalen Korps

ALLE KORPS HABEN GEANTWORTET!

Ergebnisse Umfrage jugendliche Intensivtäter.Definitionen.

• Vier Korps haben Definition und Erfassung von Jugendlichen Intensivtätern.

• Bei zwei Korps handelt es sich um solche in grossen Ballungsräumen mit grossen Ballungszentren, in denen relativ viele jugendliche Intensivtäter aktiv sind.

• Bei den zwei beruht das speziellen Augenmerk auf die Intensivtäter in ihrem Verantwortungsbereich mehr auf persönlichem Engagement der verantwortlichen Personen.

• Es wurde in den Fragebögen mehrfach angesprochen, dass eine gesamtschweizerische, gleichsam angewendete Definition und ein nationales Abfragesystem wünschenswert wären.

(Geschätzte) Anzahl jugendliche Intensivtäter

Hintergrundwissen zur Täterschaft

• Die beschriebenen Jugendlichen Intensivtäter entsprechen dem medial vermittelten Bild. • Eine prototypische kriminelle Jugendbande setzt sich aus 2 bis 5 Jugendlichen zusammen,

selten handelt es sich um grössere Gruppen. Die Bande setzt sich vorwiegend aus jungen Männern zusammen, sie ist selten gemischt und wenn, dann gelten die Frauen eher als Mitläuferinnen.

• Delikte: Vor allem Sachbeschädigungen, Gewalt- und Vermögensdelikte, in der Regel kombiniert

• Drogeneinfluss: Alkohol oder Marihuana respektive Haschisch, kaum stärkere Drogen.• Gruppenstruktur: Keine straffen Hierarchien, teils wechselnde Zusammensetzung mit „hartem

Kern“. • Gemeinsamkeiten der Gruppe: Nicht in erster Linie die Ethnie, sondern die familiären und

schulischen Probleme; bildungsferne Schichten, schlechte schulische Leistungen und dementsprechend wenig Perspektiven auf dem Berufsmarkt.

• Meistgenannte Ethnien: Balkan und Türkei. Die Korps aus der französischen Schweiz erwähnen zudem auch nordafrikanische Länder und vereinzelt andere Länder Afrikas.Meist Migrationshintergrund und wenig integriert.

Was tun sie in welcher Art?

• Jugendliche Intensivtäter tun, was „normale“ jugendliche Delinquenten in der Regel auch tun, dies aber häufiger und intensiver. Es ist also weniger die Qualität der Delikte oder deren Tatausführung, sondern die reine Menge, die einen jugendlichen Intensivtäter ausmacht.

Jugendlichen Intensivtäter sind in der Regel nicht auf bestimmte Delikte spezialisiert

Sinnvoll, Jugendlichen mit spezialisierten Jugendsachbearbeitern und -bearbeiterinnen zu begegnen und die Ermittlungs- und Präventionsarbeit sowie die Arbeit auf Justizebene nicht auf spezialisierte Brigaden aufzuteilen. Im Vordergrund stehen das Alter der Delinquenten und deren Entwicklungsmöglichkeiten, nicht das Delikt.

Wo sind sie aktiv?

• Öffentliche Orte wie Bahnhofareale, Shoppingzentren, Jugendtreffs, Discos, Parkanlagen, Stadtplätze, Fastfoodlokale, Innenstädte generell, Festgelände oder im Umfeld von Grossanlässen.

• Orte mit gewisser Anonymität, wo dennoch "was los“ ist. Diese Orte sind zumindest anfängliche Treffpunkte, an denen aber öfter (zu späterer Stunde) auch Vandalenakte, Raubdelikte oder Gewalthandlungen stattfinden.

• Räuberisches Ausnehmen, oft von Gleichaltrigen oder Jüngeren, auch in der Umgebung von Schulen.

• Kaum geplante, vorbereitete Deliktausübungen, sondern spontane Aktionen. • Nicht unbedingt in der eigenen Wohnumgebung, nicht einmal im selben Kanton.

Entfernungen zwischen Wohn- und Ausgangsorten durch die grossen Mobilitätsangebote schnell fast rund um die Uhr überwindbar.

Warum tun sie es, warum tun sie es nicht?

• Selbstberichtete Motive: Uniform; Langweile, Kicksuche, rasche Bereicherung, vermeintliche Provokationen, sich Respekt verschaffen oder verletzte Ehre.

• Die von den Polizisten und Polizistinnen angeführten Motive: Abgebaute Hemmschwellen durch Alkohol- und Marihuanakonsum. Grundlegende Frustration oder Wut, die sich willkürlich gegen Sachen oder Menschen.

• Hinter der Wut: Minderwertigkeitsgefühle, Verunsicherungen und Ängste.

• Gewaltvideos und -spiele finden kaum Erwähnung.

Zunahme der Jugendlichen Intensivtäter?

• Knapp die Hälfte aller Expertinnen und Experten meint: Weder die Bandenbildung, noch die Anzahl jugendlicher Intensivtäter hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. ABER: Der einzelne jugendliche Intensivtäter delinquiert häufiger, intensiver und brutaler. – Tendenz aber in allen Alterskategorien!

• Zwei andere Gruppen vertreten gegensätzliche Meinungen:– Lage der Intensivtäter über die letzten Jahre relativ stabil– Anzahl Jugendbanden mit Intensivtätern habe in den letzten Jahren deutlich

vergrössert.

• Regionale Unterschiede? Verlagerungen?

Was tut die Polizei dagegen?

• Spezialisierte Jugendsachbearbeiter und Jugendsachbearbeiterinnen:– Proaktives Ansprechen– Szenenkenntnisse– Vertiefte Kenntnisse der Biografie und Situation der Jugendlichen– Vermehrte Präsenz an den sogenannten Hotspots– Früherkennung und der Vernetzung mit relevanten Partnern

• 8 Korps mit speziellen Programmen oder Vorgehensweisen:– spezifischen Intensivtäterprogrammen unter Federführung der jeweiligen

Jugendanwaltschaften– Intensiven Persönlichkeitsabklärungen unter Einbindung des familiären Umfeldes,

evt unter stationärer Beobachtung – Spezifische Weisungen für den Umgang mit jugendlichen Wiederholungstätern

Wünsche

• Aktivere, andere Behörden und Instanzen für Frühinterventionen und Früherkennung für potentiell gefährdete Kinder und Jugendliche.

• Zu wenig griffige Strafen und Massnahmen (selten).• Lange Urteilsdauer und zu lasche Haltung der Justiz.• Mangel an geschlossenen Einrichtungen für jugendliche Intensivtäter.• Lücken bei der psychologisch-psychiatrischen Abklärung und Betreuung

für Jugendliche.• Kaum Möglichkeiten, auch die Eltern in Verantwortung zu ziehen.

Fazit.

• Situation in der Schweiz mit dem Ausland grob vergleichbar.• Situation in der Schweiz aber weniger dramatisch und überschaubar. • Genau Situationsanalyse noch zu machen.

• Repression hat sich stark verbessert.• Möglichkeiten der Verbesserung beim Datenaustausch auch zwischen Korps.• Früherkennung und Frühintervention verbesserungswürdig.• Erkennung Best Practices bei Justiz wünschenswert.

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit!