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Säuglingsalter und frühes Kindesalter

• Körperliche Entwicklung• Frühe Kompetenzen des Säuglings

–Lernfähigkeit (klassische, operanteKonditionieren, Nachahmung), Wissen Problemlösen

• Kognitive Entwicklung nach Piaget• Temperamentsentwicklung• Soziale Entwicklung

–Bindung, Bindungsqualität, Auswirkungen der Bindungsqualität

Wichtigste Literatur für die heutige Sitzung

• Berk, L. (2005) (Kap. 3-5.)• Oerter & Montada (2002) (Kap.

6.2.)• Mietzel, G. (2002). Wege in die

Entwicklungspsychologie (Kap. 3, 4, Kap. 5).

Veränderung der Körperproportionen

Veränderung synaptischerVerbindungen im Gehirn

Frühe Kompetenzen: klassische Konditionierung

Versuch von Rovee-Collieret al. (1980)

Operante Konditionierung (Rovee-Collier)1. Bei Säuglingen wurden ein interessantes Mobile und

ein bloßes Gestell am Kinderbett befestigt2. Zunächst wurde ein Säuglingsbein am Gestell

befestigt und 3 Min. lang die Basis-Tretfrequenz festgestellt

3. Danach wurde am Bein das interessante Mobile befestigt und Kleinkind konnte 9 Min. lang durch Treten das Mobile bewegen (Verstärkungslernen)

4. Danach wurde erneut das Bein 3 Min. lang an das Gestell gebunden

5. Die Differenz in der Tretfrequenz zwischen 2. und 4. galt als Indikator für das kurzfristige Behalten der Kontingenz

6. Tage später wurde erneut Tretfrequenz am Gestell erfasst

7. Differenz in der Tretfrequenz zwischen 2. und 6. galt als Indikator für das langfristige Behalten

Ergebnisse bei Rovee-Collier• Säuglinge von 3 M. merken sich Kontingenz

für 2 bis 8 Tage • Nach 14 Tagen Vergessen der Kontingenz• Sie merken sich offenbar auch Details des

Mobiles, denn sie reagieren bei eintägiger Verzögerung nur auf das gleiche oder ein geringfügig anderes Mobile (ein geändertes Teil)

• Je länger die Zeitdauer, desto eher auch Reaktionen auf andere Mobiles (Erinnerung an das Wesentliche)

• Lernkontext spielt eine Rolle: Babys merken sich Kontingenz eher, wenn sie immer wieder in das selbe Bett gelegt werden

Frühe Kompetenzen: Nachahmung

Frühe Kompetenzen: Nachahmung

Frühe Kompetenzen: Nachahmung

Frühe Kompetenzen: Nachahmung

Frühe Kompetenzen: Nachahmung

Frühe Kompetenzen: Nachahmung

Frühe Kompetenzen: Gesichts-wahrnehmung

Frühe Kompetenzen: Habituierung

Frühe Kompetenzen: Wissen über physikalische Phänomene

(4 M; Spelke, 1991)

Weitere Kompetenzen im Säuglingsalter (1)

• 12 Stunden (!) alte Säuglinge bevorzugen die Stimme der Mutter– Vorgabe der Stimme der Mutter (Tonband) oder

fremder Stimme in Abhängigkeit von Saugrate des Säuglings (high amplitude sucking)

• Neugeborene erinnern sich an Geschichten, die Sie im Mutterleib gehört hatten– Schwangere lesen 3 Geschichten, nach Geburt

bevorzugen Säuglinge über die Saugfrequenz die Geschichte, die sie vorher gehört hatten (auch dann, wenn Geschichte nach Geburt von anderer Person vorgelesen wird!)

Weitere Kompetenzen im Säuglinsalter (2): Tiefensehen (Gibson)

Alter: ca. 6MKrabbelerfahrungwichtig!

Weitere Kompetenzen im Säuglingsalter (3)

• Problemlösen– Kinder (12 M) müssen Hindernis überwinden und an

Schnur ziehen, um attraktives Spielzeug zu erreichen

– Wenn Erwachsene Lösung bei (a) vormachen, lösen Kinder auch andere Probleme (b), (c) schneller)

Kognitive Entwicklung nach Piaget

• sensumotorische Phase in den ersten 2 Jahren– Einüben von Reflexen, motorischen Gewohnheiten,

zielgerichtetes Verhalten, Ausprobieren, mentale Repräsentationen

• präoperationale Phase (2 bis ca. 6 Jahre)– spezifische Denkfehler treten auf („Animismus“),

Zentrierung und Egozentrismus usw.

• konkret-operationale Phase (6 bis ca. 12 Jahre)– Überwinden früherer Fehler, aber noch kein

abstrakt-logisches Denken

Kognitive Entwicklung im Kindesalter

• Grundschulalter: Verbesserung der Gedächtnisleistung–Gedächtnisspanne: 7+/- 2 bei Erwachsenen

• Wortspanne (einsilbig): 6-Jährige ca. 4, 12-Jährige ca. 5

• Zahlenspanne: 4-Jährige ca. 4, 12-Jährige ca. 6-7• Zahlenspanne > Buchstabenspanne

• Anwendung von Lern- und Gedächtnisstrategien

• Verbesserung der Metakognition• Wissenszuwachs

Förderbedingungen im Kindergarten und zu Hause

• Strukturelle Merkmale–z.B. Ausstattung, materiale Anregung der

Kindergärten, anregendes Spielzeug, Anzahl der Bücher als Indikator

–Ausbildung der Erzieher, SÖS der Eltern• Prozessuale Merkmale

–Förderliche Erzieher-Kind-Interaktion• z.B. gemeinsames Bilderbuch-Anschauen,

vorlesen, Problem lösen (z.B. Puzzeln), Fragen (auch nach nicht „sichtbaren“ Sachverhalten), häufige Beschäftigung mit Kind …

• autoritativer Erziehungsstil

Effekte beim Carolina Abecedarian Project

• Zufallszuweisung von über 100 Säuglingen (3 Wochen – 3 M) aus armen Familien zu Training (Vorschuljahre) vs. Kontrollgruppe

Temperamentsentwicklung• „Temperament“: Stabiler Verhaltensstil• Längsschnittstudie von Thomas & Chess (Beginn

1956, 140 Kinder von Geburt bis Adoleszenz)– 3 Temperamente– „Leichte“ Kinder (ca. 40 %): gute Grundstimmung, leichte

Anpassung an neue Situationen– „Schwierige“ Kinder (ca. 10 %): schwer zu beruhigen,

Schwierigkeiten, sich an neue Situationen zu gewöhnen– „langsam in Gang kommende“ Kinder (ähnlich

Schüchternheit, ca. 15 %): Eingewöhnung nach längerer Zeit erfolgreich

– 35 % der Kinder nicht klassifizierbar

• Hohe Stabilität der Temperamente bis in die Adoleszenz

• Passung zwischen Umwelt (Erziehung) und Temperament wichtig!

Soziale Entwicklung: Anfänge

• Säugling als „aktiver Partner“– Ist für Aufnahme sozialer Beziehungen

gerüstet • Z.B. Unterscheidet Mutterstimme von anderer

Stimme• Z.B. Präferenz für Gesichter (gegenüber anderen

Stimuli)

–Beeinflusst/steuert Verhalten der Bezugsperson (z.B. durch Ausdrucksverhalten)• Z.B. „Heranholen der Mutter“ durch Signalisieren

(Schreien, Glucksen, …)• Aktives Annähern an die Mutter (Klammern,

Saugen, …)

Frühe Bindungsforschung:Harlow (1958)

• Ziel: Das Wesen der Mutterliebe aufklären• Experiment: Affenkinder mit unterschiedlichen

Mütter-Attrappen– Milchspendende Drahtmutter (Nahrung)– Plüschmutter ohne Milch (Kontakt, Trost)

• Fragen– Bei welcher Mutter halten sich Äffchen bevorzugt auf?– Zu welcher Mutter flüchten sie bei Angst oder in neuer

Situation?

Wärme und „Kuscheln“ wichtiger als Nahrungsaufnahme!Mutterliebe als Kombination aus Milchspenden und Kuschelmöglichkeit jederzeit

Die Affenexperimente von Harry Harlow (1958)

Revision von Harlow(1962)

• Mutterlose Affen zeigten–Kein sozial kompetentes

Sozialverhalten–Unfähigkeit, sexuelle Beziehungen

aufzunehmen–sich als rabiate Mütter nach

künstlicher Befruchtung

Mutterattrappe kann echte Mutter nicht ersetzen

Bindungsforschung beim Menschen

• Rene Spitz– Untersuchung an Heimkindern (40er Jahre)– Hospitalismusschäden

• massive Entwicklungsverzögerungen und –störungen• vor allem im sozial-emotionalen Bereich• auch hinsichtlich kognitiver und körperlicher Entwicklung

• John Bowlby (1907-1990)– Einfluss der Psychoanalyse (z.B. Bedeutsamkeit

frühkindlicher Erfahrungen) und der Verhaltensforschung (Ethologie, z.B. Prägung)

– Bindungsverhalten des Kindes: attachment– Fürsorgeverhalten der Mutter: bonding

Bowlbys Bindungstheorie• Bindung: Konstrukt, das Emotion, Motivation und

(Bindungs-)Verhalten in einer sozialen Situation strukturiert – ist im Individuum als erfahrungsoffenes

„Arbeitsmodell“ gespeichert– Arbeitsmodell: geistige Repräsentation, die

affektive und kognitive Komponenten enthält– In Situationen, in denen die Nähe von

Bezugspersonen aufgesucht wird, bilden sich innere Arbeitsmodelle aus• Kinder, deren Versuche nach Nähe Erfolg haben, bilden

andere Arbeitsmodelle aus als erfolglose Kinder haben

– Einmal ausgeformt existieren Arbeitsmodelle auch unbewusst und neigen zu Stabilität

– In Kindheit können Bindungsmodelle vermutlich nur durch andere konkrete Erfahrungen verändert werden

Entwicklung der Bindung• 1. und 2. Lj: drei Etappen

– Vorphase: keine Unterscheidung von Bezugspersonen (Bpn)

– ab 3 Monaten: personenspezifisches Bindungsverhalten

– ab 7/8 Monate: aufgrund von Lokomotion (z.B. Erkundungs-verhalten) und Objekt-/ Personenpermanenz kann Kind Bp vermissen und sich in seine Nähe bringen (Höhepunkt zwischen 12 und 18 Monate

• Ab 3. Lj: zielkorrigierte Partnerschaft (Verstehen von Gefühlen, Motiven der Bp; gegenseitige Beeinflussung)

• Erfassung der Bindungsqualität: Mary Ainsworth

Der Fremde-Situations-Test (Ainsworth)

Der Fremde-Situations-Test (Ainsworth)

8 Episoden a 3 Min.(1) Mutter und Kind werden in Raum geführt; Mutter setzt Kind

auf Boden(2) Mutter und Kind allein; Mutter liest; Kind kann

Umgebung/Spielzeug erkunden(3) freundliche Fremde tritt ein, unterhält sich mit Mutter,

beschäftigt sich auch mit Kind(4) Mutter verlässt unauffällig den Raum, hinterlässt ihre

Tasche; Fremde beschäftigt sich mit Kind (tröstest wenn nötig)

(5) Mutter kommt zurück, Fremde geht; Mutter beschäftigt sich mit Kind, versucht es für Spielzeug zu interessieren

(6) Mutter verlässt mit deutlichem Abschiedsgruß den Raum(7) Fremde tritt ein; tröstet Kind wenn nötig(8) Mutter kommt wieder, Fremde verlässt den Raum

Kodierung der Bindungsstrategien

• Valideste Informationen auf Grund des Verhaltens des Kindes, wie es die Mutter nach Trennung empfängt (Phase 5 und 8)

• 4 Strategien– Nähesuchen– Kontakthalten– Widerstand gegen Körperkontakt– Vermeidungsverhalten

• Einschätzung jeder dieser Strategien (7-stufige Rating-Skala) und Gesamteindruck führt zu Bestimmung der Bindungsqualität (drei Bindungsstile)

Bindungsstile/ Bindungsqualität

• Beobachtung des Kindverhaltens wenn Mutter wiederkommt (Episode 5 und 8)

Typ Mutter anwesend

Ankunft fremder Person

Alleine mit fremder Person

Rückkehr der Mutter

Mütter- verhalten

B Sicher

Explo-rierend

Positive Reaktion

Verstimmung, Fremde Person kann nicht trösten

Sucht Nähe zur Mutter, rasche Beruhigung. Entspannung bei Aufnahme auf den Arm. Wiederaufnahme des Spiels

Feinfühlig, zuverlässig = kontingent; freundlich, zugewandt

A Unsicher-vermei- dend

Bleibt in der Nähe der Mutter

Keine Reaktion

Kein Kummer, höchstens Unmut. Mutter und fremde Person werden ähnlich behandelt.

Sucht keine Nähe zur Mutter; Ignorieren der Mutter, evt. Sogar Abwendung. Bei Aufnahme kein Widersetzen, keine Entspannung

Ablehnend, Nähe und Körperkontakt vermeidend

C Unsicher-ambi-valent

Bleibt in der Nähe der Mutter

Ängstlich Reagiert ängstlich, Z.T. wütend

Sucht Nähe der Mutter, aber lässt sich nicht beruhigen. Bei Aufnahme widerstrebend

Inkonsistent zugewandt und abweisend. Häufig eingreifend

Bindungsqualität: Stabilität und weitere Zusammenhänge

• Stabilität der Bindungsqualität bis ins Schulalter• Sichere Bindungsqualität (Bq): hohe Feinfühligkeit der

Mütter • Unsicher-vermeidende Bq: Mütter reagieren ungehalten

bei Bedürfnisäußerung der Kinder• Ambivalent-unsichere Bq: Eher überfürsorgliche Mütter,

die aber nicht immer verfügbar sind (unberechenbar, inkonsistent)

• Sichere Bq: Gefühl von Verlässigkeit der Welt und anderer Personen (Urvertrauen sensu Erikson)

• Zusammenhänge mit Explorationsverhalten, Eingewöhnung (z.B. Kinderkrippe), Konfliktregulierung (mit 5 Jahren), seelische Gesundheit und soziale Kompetenz

• Wechsel von sicherer zu unsicherer Bq z.B. bei Eltern-Trennung möglich

Zusammenfassung• Kognitive Entwicklung

– der „kompetente Säugling“– Piagets Annahmen überholt– sehr frühes (angeborenes?) Wissen und

Lernfähigkeiten– institutionelle und familiäre Förderung ist

innerhalb genetischer Grenzen effektiv!• Persönlichkeitsentwicklung: Temperament

früh erkennbar und relativ stabil („leicht, schwierig, langsam in Gang kommend (Schüchternheit))

• Soziale Entwicklung– Entstehung der Bindungsqualität im 2. Lj– Prädiktiv für soziale Kompetenz und psychische

Gesundheit

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