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167 Hartmut Kühne – Carina Brumme Ablässe und Wallfahrten in Braunschweig und Königslutter. Zu einem Detail des Briefes Heinrich Hanners an Thomas Müntzer „Bedenke, dass es nicht Fragen der Neugier sind, sondern solche, die dem Seelen- heil dienen.“ 1 So schließt der Brief des Braunschweiger Lateinschulrektors Hein- rich Hanner an Thomas Müntzer, Propst des Kanonissenstiftes Frose, verfasst wahrscheinlich im Juni 1517. Der Adressat des Briefes, der seit 1514 auch eine Al- tarpfründe an der Braunschweiger Michaeliskirche besaß, hielt sich damals im Haus des Braunschweiger Fernhändlers Hans Pelt auf, der später in der Reformations- geschichte seiner Heimatstadt eine wichtige Rolle spielen sollte. 2 Das an Müntzer gerichtete Schreiben betraf grundlegende Probleme der Ablasspraxis: So die Frage, wie der Ausdruck „Ablass von Strafe und Schuld“ zu verstehen sei, wie weit die Vollmacht des Papstes zur Sündenvergebung reiche, ob der Schatz der Kirche, aus dem der Ablass fließe, durch die Verdienste der Heiligen irgendwie vermehrt werde etc. Am Ende des Briefes wechselt der Schreiber die Perspektive von den grund- sätzlichen theologischen Anfragen auf zwei konkrete Fälle. Er bittet Müntzer um Auskunft darüber, was er von den Ablässen halte, „die die Brüder des Predigerordens uns neulich öffentlich anpriesen, wobei sie von den Geistlichen scharf angegriffen wurden, wie bekannt ist“, und was er „zugleich von den Ablässen in Königslutter [halte], die schon vor vielen Jahren gepredigt wurden, ob sie widerrufen sind, wie einige Leute zu behaupten wagen, oder nicht?“ 3 Diese Fragen führen mitten hinein in die Ablassdebatte, an der sich die deutsche Reformation nur wenige Monate spä- ter entzünden sollte. Im Hinblick auf die folgenden Ereignisse macht die briefliche Äußerung deutlich, dass in Braunschweig bereits vor den Wittenberger Ablassthesen Luthers ein Potential an Unklarheiten und Zweifeln an der gängigen Ablasspraxis entstanden war, an das der reformatorische Einspruch anknüpfen konnte. 1 „Recordare, quod non sunt curiosa, sed que saluti consulunt, quesita.“ zitiert nach Buben- heimer, Ulrich: Thomas Müntzer. Herkunft und Bildung. Leiden – New York – Kopenha- gen – Köln 1989, Quelle 1.5, S. 247-249, hier S. 249. 2 Bräuer, Siegfried: Der Beginn der Reformation in Braunschweig. Historiographische Tra- dition und Quellenbefund. In: Braunschweigisches Jahrbuch 75 (1994), S. 85-116 wieder abgedruckt in: Ders.: Spottgedichte, Träume und Polemiken in den frühen Jahren der Re- formation. In: Goertz, Hans-Jürgen und Wolgast, Eike (Hgg.): Abhandlungen und Auf- sätze, Berlin 2000, S. 169-206, hier S. 185-189. 3 „...quid ipse teneat de indulgentiis, quas nuper fratres ordinis predicatorum nobis publi- cabant, prelatis satis acriter repugnantibus, ut notum est. Similiter de indulgentiis in Regali Lutter iam ante multos annos predicatis, an sint revocate, [ut] quidam presumunt dicere nec non.“ zit. Bubenheimer: Müntzer (Anm. 1), S. 249.

Ablässe und Wallfahrten in Braunschweig und Königslutter

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Hartmut Kühne – Carina BrummeAblässe und Wallfahrten in Braunschweig und Königslutter.

Zu einem Detail des Briefes Heinrich Hanners an Thomas Müntzer

„Bedenke, dass es nicht Fragen der Neugier sind, sondern solche, die dem Seelen-heil dienen.“1 So schließt der Brief des Braunschweiger Lateinschulrektors Hein-rich Hanner an Thomas Müntzer, Propst des Kanonissenstiftes Frose, verfasst wahrscheinlich im Juni 1517. Der Adressat des Briefes, der seit 1514 auch eine Al-tarpfründe an der Braunschweiger Michaeliskirche besaß, hielt sich damals im Haus des Braunschweiger Fernhändlers Hans Pelt auf, der später in der Reformations-geschichte seiner Heimatstadt eine wichtige Rolle spielen sollte.2 Das an Müntzer gerichtete Schreiben betraf grundlegende Probleme der Ablasspraxis: So die Frage, wie der Ausdruck „Ablass von Strafe und Schuld“ zu verstehen sei, wie weit die Vollmacht des Papstes zur Sündenvergebung reiche, ob der Schatz der Kirche, aus dem der Ablass fließe, durch die Verdienste der Heiligen irgendwie vermehrt werde etc. Am Ende des Briefes wechselt der Schreiber die Perspektive von den grund-sätzlichen theologischen Anfragen auf zwei konkrete Fälle. Er bittet Müntzer um Auskunft darüber, was er von den Ablässen halte, „die die Brüder des Predigerordens uns neulich öffentlich anpriesen, wobei sie von den Geistlichen scharf angegriffen wurden, wie bekannt ist“, und was er „zugleich von den Ablässen in Königslutter [halte], die schon vor vielen Jahren gepredigt wurden, ob sie widerrufen sind, wie einige Leute zu behaupten wagen, oder nicht?“3 Diese Fragen führen mitten hinein in die Ablassdebatte, an der sich die deutsche Reformation nur wenige Monate spä-ter entzünden sollte. Im Hinblick auf die folgenden Ereignisse macht die briefliche Äußerung deutlich, dass in Braunschweig bereits vor den Wittenberger Ablassthesen Luthers ein Potential an Unklarheiten und Zweifeln an der gängigen Ablasspraxis entstanden war, an das der reformatorische Einspruch anknüpfen konnte.

1 „Recordare, quod non sunt curiosa, sed que saluti consulunt, quesita.“ zitiert nach Buben-heimer, Ulrich: Thomas Müntzer. Herkunft und Bildung. Leiden – New York – Kopenha-gen – Köln 1989, Quelle 1.5, S. 247-249, hier S. 249.

2 Bräuer, Siegfried: Der Beginn der Reformation in Braunschweig. Historiographische Tra-dition und Quellenbefund. In: Braunschweigisches Jahrbuch 75 (1994), S. 85-116 wieder abgedruckt in: Ders.: Spottgedichte, Träume und Polemiken in den frühen Jahren der Re-formation. In: Goertz, Hans-Jürgen und Wolgast, Eike (Hgg.): Abhandlungen und Auf-sätze, Berlin 2000, S. 169-206, hier S. 185-189.

3 „...quid ipse teneat de indulgentiis, quas nuper fratres ordinis predicatorum nobis publi-cabant, prelatis satis acriter repugnantibus, ut notum est. Similiter de indulgentiis in Regali Lutter iam ante multos annos predicatis, an sint revocate, [ut] quidam presumunt dicere nec non.“ zit. Bubenheimer: Müntzer (Anm. 1), S. 249.

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Im Hinblick auf die Person Müntzers gibt der Brief einen ersten, schlaglichtarti-gen Einblick in das geistige Milieu, aus dem heraus sich der junge Priester wenige Monate später der von der Wittenberger Universität ausgehenden Reformbewe-gung anschloss. Zugleich bildet das Schreiben einen Mosaikstein zur Identifikation jenes Braunschweiger Kreises von humanistisch gebildeten Klerikern und nach einer mystisch geprägten Christusnachfolge strebenden Kaufleuten, in dem der junge Müntzer offenbar eine gewisse Autorität besaß. Daher ist dieses Schreiben für die Rekonstruktion der Frühzeit Müntzers von besonderer Bedeutung – auch wenn wir seine Antwort auf die gestellten Fragen nicht kennen.

Den Brief Heinrich Hanners, der sich im Nachlass Müntzers im Dresdner Staatsarchiv erhalten hatte, wurde zuerst von Johann Karl Seidemann 1842 veröf-fentlicht. Seidemann unterliefen bei der Bestimmung des historischen Umfelds allerdings so grobe Fehler, so dass die Beziehungen Müntzers zu Braunschweig zunächst verunklart wurden.4 Erst mehr als einhundert Jahre nach der Entde-ckung Seidemanns versuchte Siegfried Bräuer die Suche nach den historisch richtigen Verbindungen Müntzers zu Braunschweig neu aufzunehmen, was ihm als sächsischem Pfarrer und später in Ost-Berlin tätigem Verlagsleiter aber erst 1983 gelang, als ihm seine erste Dienstreise in den ‚Westen’ genehmigt wurde.

5 Die ersten – knappen aber gewichtigen – Ergebnisse seiner Recherchen im Braunschweiger Stadtarchiv publizierte er 1984.6 Fast gleichzeitig mit ihm be-gann auch der damals in Reutlingen tätige Religionspädagoge Ulrich Bubenhei-mer, den nach Braunschweig weisenden Indizien in Thomas Müntzers Biografie nachzugehen.7 Bubenheimer konnte diese Studien bis zum „Müntzer-Jahr“ 1989 abschließen, in dem seine Monografie über Herkunft und Bildung Müntzers erschien. Siegfried Bräuer hat die Früchte seiner Braunschweiger Recherchen 1992 in seinem Habilitationsvortrag an der Kirchlichen Hochschule in Naum-burg unter der Fragestellung zusammengefasst, wie die reformatorischen Be-

4 Seidemann, Johann Karl: Thomas Müntzer. Dresden 1842, S. 2. Wieder abgedruckt in Ders.: Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1842–1880), hg. von Ernst Koch, Bd. 1, Leipzig 1990, S. 12f. Seidemann hielt Hans Pelt für einen Ascherslebener Bürger und glaubte, Müntzer sei an der Braunschweiger Lateinschule als Lehrer tätig gewesen. Die Präsentationsurkunde des Braunschweiger Rates für das Altarlehen der Michaeliskirche wurde erst 1931 durch die Edition des Briefwechsels Müntzers von Heinrich Böhmer und Paul Kirn bekannt.

5 Vgl. seine eigene Darstellung in: Bräuer: Beginn (Anm. 2), S. 266f.6 Bräuer, Siegfried: Thomas Müntzers Beziehungen zur Braunschweiger Frühreformation.

In: Theologische Literaturzeitung 109 (1984), Sp. 636-638.7 Vgl. Bubenheimer: Müntzer (Anm. 1), Vorwort, S. XIII.

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wegung in Braunschweig begann und welchen Verlauf sie nahm.8 Soviel sei hier zum forschungsgeschichtlichen Kontext des Schreibens angemerkt, der künf-tig in der von Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch bearbeiteten Edition des Briefwechsels Müntzers umfassend dokumentiert sein wird. Angesichts dieser Edition wäre es vermessen, den Brief Heinrich Hanners an dieser Stelle neu in-terpretieren zu wollen. Es soll in diesem Beitrag lediglich um die geschichtliche Einordnung der beiden konkreten Anfragen zu dem von den Dominikanern gepredigten Ablass sowie der Ablässe von Königslutter gehen.

1. Die Ablässe der DominikanerWer den Begriff Ablass im Zusammenhang mit der Reformation zur Sprache bringt, ruft damit geradezu reflexartig den Namen Johannes Tetzel auf. In der Gestalt des Dominikaners, der 1517 als Generalsubkommissar im Auftrag Kardinal Albrechts von Brandenburg den Petersablass vertrieb, konzentriert sich all das, was man an negativen Vorstellungen mit dem spätmittelalterlichen Ablass assoziiert. Gegen dieses populäre Negativstereotyp blieben alle seit dem Ende des 19. Jahrhunderts unternommenen Versuche einer historisch gerechteren Bewertung von Johannes Tetzel machtlos.9 Allerdings hat sich zumindest in der einschlägigen Forschung die Einsicht durchgesetzt, dass der von Tetzel organisierte Ablassvertrieb keinesfalls eine Innovation des Dominikaners darstellte. Vielmehr agierte er in einem theolo-gisch-rechtlichen Rahmen, der durch den päpstlichen Ablasskommissar Raimund Peraudi erstmals bei der Verkündigung des Türkenkreuzzugsablasses 1487 / 1488 abgesteckt wurde:10 Peraudi hatte das Modell der Ablasskampagne ‚erfunden’, d. h. die Möglichkeit geschaffen, auf der Grundlage päpstlicher Genehmigung in einem bestimmten Territorium für einen begrenzten Zeitraum den sonst nur in

8 Vgl. Anm. 2. 9 Für die Überwindung der konfessionellen Stereotypen war die Monografie von Paulus,

Nikolaus: Johann Tetzel der Ablaßsprediger. Mainz 1899, grundlegend.10 Der inzwischen fast schon klassische Überblick zu den Ablasskampagnen stammt von

Moeller, Bernd: Die letzten Ablaßkampagnen. Der Widerspruch Luthers gegen den Ab-laß in seinem geschichtlichen Zusammenhang. In: Boockmann, Hartmut, Moeller, Bernd und Stackmann, Karl (Hgg.): Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittel-alter zur Neuzeit. Politik - Bildung - Naturkunde - Theologie. Göttingen 1989 (Abhand-lungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist. Klasse, Dritte Folge 179), S. 539-567. Zitiert wird hier nach dem Neudruck in Ders.: Die Reformation und das Mittelalter. hg. von Johannes Schilling, Göttingen 1991, S. 53-72. Besonders für den mitteldeutschen Raum vgl. auch Kühne, Hartmut: Ablassfrömmigkeit und Ablasspraxis um 1500. In: Meller, Harald (Hg.): Fundsache Luther. Archäologen auf den Spuren des Reformators [Ausstellungskatalog Halle 2008]. Stuttgart 2008, S. 36-47.

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den Heiligen Jahren in Rom zu erlangenden vollständigen Jubelablass gegen die Zahlung einer – meist sozial gestaffelten – Geldsumme zu erwerben. Mit diesem gut organisierten Jubiläumsexport verband Peraudi weitere kirchliche Gnaden, die er im Konzept der vier Hauptgnaden zusammenfasste: die Jubiläumsgnade für die Lebenden, die Teilhabe an den geistlichen Gütern der universalen Kirche, den vollständigen Strafnachlass für die Seelen der Verstorbenen im Fegefeuer und die Gnade des Beichtbriefes.11 Mit diesen umfassenden Gnadenangeboten, einer öffentlichkeitswirksamen und personalaufwändigen Inszenierung der Ablässe an den wichtigsten Orten der betroffenen Territorien, sowie dem flächendecken-den Vertrieb durch die Indienstnahme weiterer Unterkommissare erfüllten diese Ablasskampagnen gleichzeitig zwei Funktionen, die sich in unserer Vorstellung geradezu ausschließen: Zum einen war man durch diese Kampagnen in der Lage, in kurzer Zeit immense Geldmengen für fromme Zwecke zu mobilisieren. Zum anderen führte das Gnadenangebot des Ablasses, verbunden mit der intensiven Ablasspredigt und der für den Ablassempfang notwendigen Beichte, häufig zu einer Verchristlichung des Laienstandes, hatte gewissermaßen ‚volksmissionari-sche’ Effekte. Dies erklärt, warum das Modell der Ablasskampagne nicht nur für die Finanzierung des Türkenkreuzzugs eingesetzt wurde, sondern solche Ablässe im Reich oder einzelnen Diözesen bzw. Territorien in den zwei Jahrzehnten vor dem Beginn der Reformation von verschiedenen Institutionen für unterschied-liche Vorhaben gepredigt wurden, u.a. im Auftrag des Deutschen Ordens zur Verteidigung gegen die Russen in Livland, zur Unterstützung des Konstanzer Münsterbaus, des Baus des Augsburger Dominikanerklosters, des Trierer Doms, des römischen Heilig-Geist-Spitals, der abgebrannten Pfarrkirche im böhmischen Brüx oder für den Neubau des römischen Petersdoms etc.12 Zur Interpretation der an Müntzer gestellten Anfragen über den Ablass der Dominikaner hat Ulrich Bubenheimer auf den Vertrieb dieser unterschiedli-chen Ablässe in der Stadt Braunschweig hingewiesen: 1488 wurde hier der erste Türkenkreuzzugsablass gepredigt, 1502/1503 der zweite und 1509 der Ablass zugunsten des Deutschen Ordens.13 Freilich konnte es sich bei den von den

11 Vgl. dazu Moeller: Ablasskampagnen (Anm. 10), S. 61.12 Einen Überblick über die wichtigsten Ablasskampagnen findet sich bei Moeller: Ablass-

kampagnen (Anm. 10), S. 65f. sowie bei Winterhager, Wilhelm Ernst: Ablaßkritik als In-dikator historischen Wandels vor 1517: Ein Beitrag zu Voraussetzungen und Einordnung der Reformation. In: Archiv für Reformationsgeschichte 90 (1999), S. 6-71, hier S. 22-32. Grundlegend für die Erforschung der Vorgänge ist immer noch: Schulte, Aloys: Die Fug-ger in Rom. 1495-1523. Mit Studien zur Geschichte des kirchlichen Finanzwesens jener Zeit, 2 Bde., Leipzig 1904, bes. Bd. 1, S. 56-92.

13 Bubenheimer: Müntzer (Anm. 1), S. 97-99.

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Dominikanern propagierten Ablässen nicht um diese Aktionen handeln, da sie nach den Angaben im Brief erst kürzlich („nuper“) für Aufsehen sorgten. Daher hat Bubenheimer vermutet, dass es sich bei dem von den Dominikanern gepredigten Ablass um die Indulgenz zugunsten der Peterskirche handelte, die Johannes Tetzel in der Magdeburger Kirchenprovinz und dem Bistum Halber-stadt predigte – sie hätten in diesem Fall als Unterkommissare in seinem Auf-trag gehandelt.14 Für die persönliche Anwesenheit Tetzels in Braunschweig im Jahre 1517 könnte sprechen, dass er in einem Schreiben vom 22. Juni 1517 an den Abt von Königslutter auf ein in Kürze anstehendes Treffen anspielte – Tet-zel hielt sich also Ende Juni oder Anfang Juli wahrscheinlich zumindest in der Nähe Braunschweigs auf.15 Allerdings ließ sich die Anwesenheit Tetzels in der Stadt bisher ebenso wenig erweisen, wie die Verkündigung des Petersablasses am Ort. Wenn man die wenigen gesicherten Fakten über die Tätigkeit Tetzels als Ablasskommissar im Auftrag Kardinal Albrechts erwägt, erscheinen die Ar-gumente für die Identität des von den Dominikanern angebotenen Ablasses mit dem von Tetzel gepredigten Petersablass keineswegs plausibel. Johannes Tetzel war als Unterkommissar für den Livlandablass des Deutschen Ordens von 1504 –1510 in verschiedenen Regionen des Reichs tätig gewesen16 und predigte ab März oder April 1516 als Subkommissar im Auftrag des päpstlichen Legaten Archimboldo den Petersablass im Bistum Meißen.17 Erst um die Jahreswende 1516/1517 wurde er von Kardinal Albrecht zu einem der Unterkommissar für den Vertrieb des Petersablasses in den Diözesen Magdeburg und Halberstadt eingesetzt.18 Ende Januar 1517 ist Tetzel in Eisleben nachzuweisen, wenig später hielt er sich im Leipziger Paulinerkloster auf, wo er den Petersablasses allerdings

14 Ebenda, S. 99-103.15 Das am 22. Juni 1517 in Halle abgesandte Schreiben wurde zuerst gedruckt von Kapp, Jo-

hann Erhard: Kleine Nachlese einiger größtentheils noch ungedruckter und sonderlich zur Erläuterung der Reformationsgeschichte nützlicher Urkunden, Theil 3. Leipzig 1730, S. 232f. Der Brief schließt mit der Wendung, dass Tetzel den Abt vielleicht bald sehen werde „...in brevis fortassis videbo.“ Vgl. zum vermutlichen Aufenthalt in Braunschweig auch Bubenheimer: Müntzer (Anm. 1), S. 99f.

16 Vgl. Paulus: Tetzel (Anm. 9), S. 9-22; Ehlers, Axel: Die Ablasspraxis des Deutschen Ordens im Mittelalter (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 64). Marburg 2007, bes. S. 389, 392, 398, 401.

17 Vgl. Paulus: Tetzel (Anm. 9), S. 29f. 18 Das erste sichere Zeugnis für die Bestellung zum Unterkommissar ist die Selbsttitulatur

„Primatis Germanie ac sanctarum Magdeburgensis et Moguntiensis Ecclesiarum archipresu-lis per prefatas Ecclesias ac Halberstadensis diocesis generalis subcommissarius“ in einem an den Mansfelder Rat Johannes Rühl gerichteten Brief vom 24. Januar 1517, gedruckt bei Paulus: Tetzel (Anm. 9), S. 35f. Anm. 1.

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nicht öffentlich vertrieb.19 Durch Luthers späteres Zeugnis sind sein Aufent-halt in Jüterbog, einer Enklave des Magdeburger Erzstifts – wahrscheinlich im Frühjahr 1517 –, und in Zerbst bekannt.20 Im Juni hielt sich Tetzel in Magdeburg und Halle, den beiden wichtigsten Städten des Magdeburger Erzstifts auf.21 Ab Ende September bereiste er die Markgrafschaft Brandenburg und stellte am 5. Oktober 1517 in Berlin eine Urkunde aus.22 Wenn Tetzel den Petersablass tat-sächlich in Braunschweig gepredigt haben sollte, so wäre im Hinblick auf die genannten Daten am ehesten ein Zeitraum im Sommer 1517 wahrscheinlich. Da die Dominikaner nach der Angabe des wohl im Juni geschriebenen Briefes ih-ren Ablass „kürzlich“ predigten, weist dies aber auf eine bereits zurückliegende Aktion – vielleicht im Frühjahr 1517 – hin.Wenn man im Umfeld der großen Ablasskampagnen nach einem anderen ‚pas-senden’ Ablass sucht, der von den Braunschweiger Dominikanern gepredigt wor-den sein könnte, so stößt man schnell auf den für die Fastenzeiten der Jahre 1514 und 1515 bewilligte Jubelablass zugunsten des Augsburger Dominikanerklosters. Diesen Ablass hatte der Augsburger Dominikanerprior Johannes Faber für den Neubau der Kirche seines Konventes von Papst Leo X. erbeten, nachdem der Neu-bau der dortigen Konventsgebäude durch Zuwendungen vermögender Augsbur-ger Bürger begonnen hatte, aber aus Geldmangel nicht zu Ende geführt werden konnte.23 Faber24, der als Generalvikar an der Spitze der Congregatio Germaniae stand, d. h. des reformfeindlichen, konventualen Zweiges des Ordens, hatte den Jubelablass für den Vertrieb in den Kirchenprovinzen Mainz und Köln erhalten.25 Daher ist es grundsätzlich denkbar, dass der Braunschweiger Dominikanerkon-

19 Der Aufenthalt wird durch den Briefwechsel Herzog Georgs mit den Leipziger Domini-kanern am 1. bzw. 6. April 1517 belegt: Geß, Felician: Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, Band 1: 1517–1524. Berlin 1905. Nachdruck Köln – Wien – Leipzig 1985, Nr. 10, S. 6 (Schreiben Herzog Georgs an das Leipziger Paulinerkloster vom 1. April 1517) und Nr. 14, S. 8f. (Antwort des Konvents an Herzog Georg vom 6. April 1517). Die Leipziger Dominikaner erklärten, Tetzel habe seit dem 14. Februar nicht mehr in Leipzig gepredigt und hier auch keine Gnadenbriefe verkauft.

20 „Der selbige Detzel fueret nu das Ablas umb her, und verkaufft gnade umbs Gelt, so thewr oder wol veil [...] Als nu viel Volcks von Wittemberg lieff dem Ablas nach gen Juetterbock und Zerbest...“ WA 51, S. 538f. Zur Datierung in den Frühling vgl. Paulus: Tetzel (Anm. 9), S. 41f.

21 Vgl. Paulus: Tetzel (Anm. 9), S. 38. 22 Ebenda, 42f.23 Vgl. den Überblick bei Schulte: Fugger (Anm. 12), Bd. 1, S. 88f. und S. 161-168. 24 Zur Person vgl. Paulus, Nikolaus: Der Dominikaner Johann Faber und sein Gutachten

über Luther. In: Historisches Jahrbuch 17 (1896), S. 39-60.25 Schulte: Fugger (Anm. 12), Bd. 1, S. 88; vgl. auch den Abdruck der beiden päpstlichen

Ablässe für die Jahre 1514 und 1515 ebenda, Bd. 2, Nr. 47, S. 71-84.

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vent, der ebenfalls dem Ordenszweig der Konventualen angehörte26, für diesen Ablass tätig wurde. Auch begegnete diesem Ablass in unterschiedlicher Weise Widerstand, so von Seiten Kaiser Maximilians, der seine Verkündigung kurzzeitig unterband.27 Der Augsburger Chronist Wilhelm Rem urteilte als Augenzeuge sehr unvorteilhaft über das Unternehmen28, und Johannes Eck fragte 1523 mit Blick auf diesen Ablass in einem Gutachten für Papst Hadrian kritisch, wem es nutze, eine Plenarindulgenz in zwei oder drei Kirchenprovinzen für den Bau einer Do-minikanerkirche zu erteilen.29 Man könnte daher versucht sein, den Ablass für die Augsburger Dominikanerkirche mit dem von Heinrich Hanner angesprochenen Ablass zu identifizieren. Allerdings will u. E. auch in diesem Fall der Ausdruck „neulich“ im Brief Hanners nicht recht zu dem im Sommer 1517 gut zwei Jahre zurückliegenden Ablassunternehmen passen.In eine ganz andere Richtung weist ein Beschluss, den das Provinzialkapitel der Dominikaner am 8. September 1517 in Braunschweig fasste: Es verbot künftig die Propagierung neuer Ablässe, die als Plenarindulgenzen gelten, bevor die entsprechenden päpstlichen Urkunden nicht durch die Provinziale, Provinzial-vikare und Priore geprüft wurden, denn es habe an verschiedenen Orten wegen der leichtsinnigen Veröffentlichung von Ablässen mit den örtlichen Ordinarien und den Vorstehern der Kirchen Streit und Unmut, auch Skandale beim gemei-nen Volk gegeben.30 Diese Bestimmung wurde auf dem Kapitel des Jahres 1519 nochmals eingeschärft, wobei die „verworrenen“ Plenarindulgenzen als „nicht erteilt“ („non concessis“), also als gefälscht bezeichnet wurden.31 Es liegt auf der

26 Vgl. Löhr, Gabriel Maria: Die Kapitel der Provinz Saxonia im Zeitalter der Kirchenspal-tung 1513–1540 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 26). Vechta – Leipzig 1930, bes. S. 25*.

27 Vgl. Schulte: Fugger (Anm. 12), S. 164; Paulus: Faber (Anm. 24), S. 42.28 Rem, Wilhelm: Cronica newer geschichten. In: Die Chroniken der schwäbischen Städte.

Augsburg Bd. 5 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis 16. Jahrhundert 25). Leipzig 1896, S. 1-245, hier S. 26f.

29 „Et plenarias indulgentias dare per duas aut tres provincias pro una ecclesia fratrum men-dicantium, quid boni?“ Acta Reformationis Catholica Bd. 1, hg. von Georg Pfeilschifter, Regensburg 1959, S. 110.

30 „Item, quia in diversis locis propter indiscretam in modo publicandi saltem aliqualem indul-genciarum publicacionem inter ordinarios locorum et rectores ecclesiarum suborte sint rixe, displicencie et communis populi scandala, quapropter per presentes statuimus et sub debito obediencie prioribus, predicatoribus et alijs quibuscumque fratribus precipimus, ne quas-cumque indulgencias novas et maxime plenarias a sede apostolica concessas ordini audeant publicare, nisi prius vel in manibus reverendi patris provincialis vel vicariorum vel priorum conventualium habeantur autentica documenta.“ Löhr: Kapitel (Anm. 26), S. 65f.

31 Ebenda, S. 110.

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Hand, dass sich das Verbot des Braunschweiger Kapitels auf denselben Vorgang bezog, wie die Bemerkungen Hanners über den Ablass der Dominikaner, dem mit Widerstand begegnet wurde. Da es sich um einen im Verdacht der Fälschung stehenden Ablass handelte, kann unmöglich der Petersablass gemeint sein.Schon Gabriel Löhr hatte bei seiner Edition der Kapitelsbeschlüsse einen Finger-zeig zu Lösung des Problems gegeben, indem er auf einen Brief des deutschen Dominikaners Franziskus von Worms hinwies, den dieser im April 1514 aus Rom an Cornelius von Sneek, den Generalvikar der Congregatio Hollandiae, richte-te.32 Er warnt darin, einen als „litere Augustinensium“ bezeichneten Plenarablass zu verkünden, wie es in einigen Konventen der Congregatio Hollandiae, Frisiae und anderer Nationen üblich sei, da es für diesen angeblich von Papst Innozenz IV. stammenden Ablass keine glaubhaften Quellen gebe und er sachlich auch nicht in das Pontifikat Innozenz IV. passe.33 Diese Kritik an der angeblich am 26. April 1244 dem Augustinereremitenorden verliehenen Papsturkunde hat in neuerer Zeit Nikolaus Paulus zum Erfolg verholfen, indem er diese Ablasstra-dition zweifelsfrei als Fälschung erwies.34 Jan Hrdina hat in einer scharfsinnigen Studie zeigen können, dass diese Fälschung von dem Augustiner Detlef von Opperhausen aus der Ordensniederlassung Einbeck im Jahr 1417 in Rom her-gestellt wurde, als er sich im römischen Konvent von Santa Maria del Popolo aufhielt.35 Er kompilierte verschiedene lokale Ablasstraditionen des römischen Ordenshauses und anderer mittelitalienischer Ordenskirchen zu folgenden Ab-lassbestimmungen36: Jeder, der eine Kirche des Ordens mit einem Almosen an einem jeglichen Tag der Fastenzeit bis Palmsonntag und zahlreichen weiteren Festen besucht, erlangt 1000 Jahre und 10 000 Quadragenen Strafnachlass; am

32 Löhr: Kapitel (Anm. 26), S. 65, Anm. 3. Der Brief ist gedruckt von Vorberg, Axel: Beiträge zur Geschichte des Dominikanerordens in Mecklenburg. Teil 2. Das Dominikanerkloster zu Röbel. / Teil 3. Mecklenburgische Dominikanerurkunden (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 9). Leipzig 1913, S. 51-54.

33 Ebenda, S. 53f.34 Paulus, Nikolaus: Geschichte des Ablasses am Ausgang des Mittelalters (= Geschichte

des Ablasses im Mittelalter, Bd. 3). Paderborn 1923, zitiert wird der Neudruck Darmstadt 2000, S. 224f.

35 Hrdina, Jan: „Litere Augustinensium“ aneb pozdnì støedovìké odpustkové falzum pro au-gustiniány eremity. In: Acta Universitatis Carolinae - Phil. et hist. 1 (1996): Z pomocných vìd historických XIII, Prag 1997, S. 142-168. Eine deutsche Fassung dieser Untersuchung ist noch nicht erschienen. Ich habe Jan Hrdina für die Überlassung eines deutschen Typo-skripts zu danken.

36 Eine Edition der Fälschung bei Hrdina: Litere Augustinensium (Anm. 35), S. 184f. Zur Bedeutung und Verwendung der Formel „a poena et culpa“ vgl. Paulus: Ablass (Anm. 34), S. 277-296.

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Mittwoch, Donnerstag und Freitag der Karwoche sogar einen Ablass „a poena et culpa“ (von „Strafe und Schuld“). Es handelt sich um genau jene Formulierung, die die Fragen Heinrich Hanners an Müntzer eröffnet! Diese wohl zunächst für die Unterstützung des Einbecker Konvents hergestellte Fälschung wurde im Augustinereremitenorden auf unterschiedlichen Wegen breit rezipiert. Eine nochmalige Welle der Ausbreitung erfuhr dieser Ablass, als Papst Sixtus IV. 1479 in der sogenannten „Bulla aurea“ sowohl den Franziskanern als auch den Dominikanern alle Ablässe der Serviten, Augustinereremiten und Karmeliter einräumte, die damit auch diesen Ablass für ihre Ordenskirchen in Anspruch nehmen konnten.37 Eine manipulierte Abschrift dieser Urkunde aus dem Kölner Franziskanerkloster zeigt exemplarisch, dass der gefälschte Augustinerablass besonders begehrt war, denn er wurde hier dem originalen Wortlaut der „Bulla aurea“ als Bestätigung dieser Plenarindulgenz für die drei Tage der Karwoche hinzugefügt.38 Da auch Franziskus von Worms in seinem Schreiben nur die drei Ablass-Tage in der Karwoche erwähnt, wird sich die Verkündigung dieses Ablasses im wesentlichen auf diese Zeit beschränkt haben. Im Jahr 1517 waren dies der 5. bis 7. April, von Ende Juni aus gesehen also ein Zeitraum, der mit Recht als „kürzlich“ anzusprechen war. Leider sind abgesehen von dem Verbot des Braunschweiger Kapitels im September 1517 bisher keine Nachrichten über die öffentliche Diskussion dieses Ablasses bekannt. Aber je mehr es gelingt, die Vielschichtigkeit der spätmittelalterlichen Ablasspraxis von dem Tetzel-Stere-otyp zu lösen, umso größer sind die Chancen, auch in diesem Bereich weitere Zeugnisse zu finden.

2. Ablass und Wallfahrt in Königslutter Anders als im Fall des von den Dominikanern verbreiteten Ablasses ist der historische Hintergrund der Anfrage Hanners zum Widerruf der Ablässe von Königslutter geklärt. Über die dort zu gewinnenden Ablässe informiert ein im Jahr 1500 im Auftrag des Klosters hergestellter lateinischer Einblattdruck: Papst Innozenz II. habe auf Bitten Kaiser Lothars allen Besuchern der Klosterkirche am Peter- und Paulstag (29. Juni) einen Ablass versprochen, der den Ablässen aller 1505 Kirchen und Kapellen Roms entspreche, worunter sich auch vollständige Ablässe und solche „a pene et culpe“ fänden.39 Dieser jährlich zu gewinnende

37 Vgl. Paulus: Ablass (Anm. 34), S. 220f. 38 Neuhausen, Christiane: Das Ablaßwesen in der Stadt Köln vom 13. bis zum 16. Jahrhun-

dert. Köln 1994, S. 191f.39 Der Ablass ist als Textedition gedruckt bei Naß, Klaus: Ablaßfälschungen im späten Mit-

telalter. Lothar III. und der Ablaß des Klosters Königslutter. In: Historisches Jahrbuch

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Ablass war zusammen mit den Ablässen aller anderen Kirchen in den Diözesen Magdeburg und Halberstadt von Johannes Tetzel für die Dauer des von ihm vertriebenen Petersablasses auf der Grundlage des päpstlichen Ablassprivilegs suspendiert worden, worüber der Abt von Königslutter am 16. Juni durch den Prior des Magdeburger Karmeliterklosters unterrichtet wurde.40 Gegen diese Suspendierung intervenierte der Braunschweiger Herzog Heinrich der Jüngere als Landesherr bei den Domkapiteln von Magdeburg und Halberstadt, wäh-rend sich der Abt von Königslutter an Graf Botho von Stolberg-Wernigerode, den Hofmeister von Erzbischof Albrecht, wandte, um die unmittelbar bevor-stehende Ablassfeier zu ermöglichen – was schließlich zum Erfolg führte, da Johannes Tetzel in dem bereits oben zitierten Schreiben vom 22. Juni 1517 die Suspendierung aufhob.41 All dies ist seit der Edition der einschlägigen Briefe durch Johann Erhard Kapp im Jahre 1730 bekannt – freilich entspricht dieser Druck nicht den Ansprüchen einer modernen Edition.42 Die Ereignisse sind in jüngerer Zeit sowohl von Ulrich Bubenheimer43 als auch von Klaus Naß44 dar-gestellt worden, weshalb hier auf diese Arbeiten verwiesen werden kann.Freilich scheint diese Episode das am besten bekannte Detail aus der Geschich-te des Ablasses von Königslutter und der mit ihm verbundenen Wallfahrt zu sein, denn bis heute fehlt eine umfassende Darstellung zu diesem Thema. 1907 publizierte der Braunschweiger Museumsleiter Paul Jonas Meier einen kurzen Aufsatz zu dieser Wallfahrt, der trotz seines geringen Umfangs eine kompri-mierte Zusammenstellung der damals bekannten Quellen und Zeugen bietet.45

111 (1991), S. 403-432, hier S. 431f. Eine Reproduktion des Einblattdrucks findet sich bei Eisermann, Falk: Verzeichnis der typographischen Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, 3 Bde. Wiesbaden 2004, hier Bd. 1, Abb. 4 (Nr. A-79).

40 Gedruckt bei Kapp: Nachlese (Anm. 15), S. 222f.41 Die Briefe sind verbunden mit Kommentaren des Herausgebers gedruckt ebenda, S. 217-

233.42 Auf die fehlerhafte Wiedergabe des Briefwechsels aus dem Copial- und Handelsbuch de anno

1503-1540 im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel, Signatur VII B Hs 325, Bl. 33r-34r, haben sowohl Naß: Ablaßfälschungen (Anm. 39), S. 403 Anm. 1, als auch Bräuer, Sieg-fried: Wallfahrtsforschung als Defizit der reformationsgeschichtlichen Arbeit. In: Kühne, Hartmut, Radtke, Wolfgang und Strohmaier-Wiederanders, Gerlinde (Hgg.): Spätmittelal-terliche Wallfahrt im mitteldeutschen Raum. Beiträge einer interdisziplinären Arbeitstagung Eisleben 7. / 8. Juni 2002, Berlin 2002, S. 15-49, hier S. 21 mit Anm. 54, hingewiesen.

43 Bubenheimer: Müntzer (Anm. 1), S. 99-101.44 Naß: Ablaßfälschungen (Anm. 39), S. 403f.45 Meier, Paul Jonas: Die Fahrt nach Lutter. In: Braunschweigisches Magazin 13 (1907), S.

33-35.

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Ein wichtiges Zeugnis sind die Bestimmungen über die Sicherungsmaßnahmen in der Stadt Braunschweig während der jährlichen Wallfahrtstage um den 29. Juni, die sich im Ratsordinarius von 1408 finden.46 Im ungefähren zeitlichen Zusammenhang mit dieser ersten Erwähnung der Fahrt nach Königslutter in Braunschweiger Quellen stehen von Papst Bonifaz IX. am 8. März 1401 dem Kloster erteilte Beichtfakultäten, worin auf einen kurz zuvor erteilten Ablass verwiesen wird. Zwar ist schon im Jahr 1291 im Zusammenhang mit einem ma-rianischen Wunderbild im nahegelegenen Küblingen von der sollennen Feier des Patronatstages der Abtei die Rede.47 Aber Zeugnisse für einen wallfahrtsmäßi-gen Besuch Königslutters lassen sich erst seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts feststellen. Als Wallfahrtszeugnisse buchte Meier vor allem Pilgerzeichen aus Königslutter, von denen er zwar keine Originale kannte, dafür aber auf eine am Kloster selbst gefundene steinerne Gussform für Pilgerzeichen verweisen konnte, sowie auf Abgüsse von Pilgerzeichen auf sechs Glocken.48 Einen gro-ßen Fortschritt in der Erforschung der Wallfahrt von Königslutter brachte die gründliche Untersuchung der spätmittelalterlichen Ablasslisten der Abtei Kö-nigslutter, die Klaus Naß 1991 veröffentlichte.49 Er konnte zeigen, dass die Ab-lasstradition des Klosters auf einen bischöflichen Sammelablass zurückgeht, der 1287 auf dem Konzil von Würzburg ausgestellt wurde. Dieser mäßige Ablass wurde wahrscheinlich im Kontext des Pontifikats Bonifaz IX. (1389–1404), das durch eine Schwemme päpstlicher Ablassgnaden in Form der ad instar-Abläs-se ausgezeichnet war50, durch Kummulation und Fälschung zu einem zunächst

46 Hänselmann, Ludwig: Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. 1. Braunschweig 1873 (Ordinarius Kapitel 124), S. 178.

47 Meier: Fahrt (Anm. 45), S. 34. Die in Wolfenbüttel verwahrte Handschrift der „Revelatio beate Marie virginis in villa Cubbeling anno 1291“ ist inzwischen ediert und im histori-schen Kontext behandelt von Graf, Sabine: Marienverehrung und Pfarrei. Ein Wunder und seine Auswirkungen (mit Edition). In: Aufgebauer, Peter und van den Heuvel, Christine (Hgg.): Herrschaftspraxis und soziale Ordnungen im Mittelalter und in der frühen Neu-zeit. Ernst Schubert zum Gedenken (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 232). Hannover 2006, S. 331-359.

48 Meier: Fahrt (Anm. 45), S. 34f. 49 Naß: Ablaßfälschungen (Anm. 39).50 Zur Ablassschwemme unter Bonifaz IX. vgl. Frankl, Karlheinz: Papstschisma und Fröm-

migkeit. Die „Ad instar–Ablässe“. In: Römische Quartalsschrift 72 (1977), S. 57-124 und 184-247. Eine umfassende Darstellung dazu liegt jetzt in der Prager Dissertation von Jan Hrdina vor, die voraussichtlich im Jahr 2010 verteidigt werden wird; vgl. daher vorerst: Hrdina, Jan: Päpstliche Ablässe im Reich unter dem Pontifikat Bonifaz IX. (1389-1404). In: Hrdina, Jan, Kühne, Hartmut und Müller, Thomas T. (Hgg.): Wallfahrt und Reforma-tion. Frankfurt/M. u.a. 2007, S. 109-130.

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etwas vage formulierten quasi Plenarablass gesteigert – eine Tendenz, die sich in zwei weiteren Wachstumsstufen bis zum oben zitierten Einblattdruck von 1500 weiter fortsetzte und verdichtete. Diese gründliche diplomatische Studie konnte freilich die Adressaten dieser Ablasspropaganda, die Wallfahrer oder allgemeiner gesprochen die Besucher des Klosters am Ablass verheißenden Pa-tronatstag, nur sehr am Rand in den Blick nehmen. Zum einen verwies Naß auf fünf Lübecker Bürgertestamente, in denen zwischen 1415 und 1451 Legate für stellvertretende Wallfahrten nach Königslutter im Todesfall errichtet wurden.51 Zum anderen benannte er die schon von Meier angeführten Pilgerzeichen, deren Verbreitung das Einzugsgebiet der Wallfahrt markierte, die danach „nicht nur in Niedersachsen, sondern auch in Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg, Schleswig-Holstein und vereinzelt sogar in den skandinavischen Ländern“52 verbreitet war. Hierbei bezog sich Naß auf einen kurzen Artikel, den Kurt Köster, der Nestor der europäischen Pilgerzeichenforschung, kurz vor seinem plötzlichen Tod für den Katalog der 1985 veranstalteten Braunschweiger Ausstellung „Stadt im Wan-del“ als Begleittext für das schon erwähnte Gussmodel aus Königslutter verfasst hatte.53 Naß folgerte aus diesen Daten, dass Königslutter -verglichen mit den großen Wallfahrtszentren wie Aachen, Köln oder Wilsnack - „ein Wallfahrtsort von nur lokaler Bedeutung gewesen“ war und die weiter verstreuten Zeugnisse lediglich von „Anschlusswallfahrten“ der „Fernpilger“ zeugen.54 Zweifellos ge-hörte die Wallfahrt nach Königslutter in eine andere Kategorie, als die Fahrten zu den schon im 13. Jahrhundert besuchten niederrheinischen Pilgerzentren Aachen, Köln und Maastricht.55 Auch die nach 1383 etwa 150 Jahre lang in ganz

51 Naß: Ablaßfälschungen (Anm. 39), S. 406. Die Belege stammen aus der Zusammenstel-lung von Melle, Jacob de: De itineribus Lvbecensium sacris, seu religiosis et votivis eorum. Lübeck 1711, S. 87f.

52 Ebenda, S. 406.53 Köster, Kurt: Mittelalterliche Pilgerzeichen. In: Meckseper, Cord (Hg): Stadt im Wandel.

Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150–1650, Bd. 1, Stuttgart – Bad Cannstatt 1985, S. 404-414, hier Nr. 331, S. 410f.

54 Naß: Ablaßfälschungen (Anm. 39), S. 414.55 Eine moderne Darstellung zur Aachener Wallfahrt im Mittelalter fehlt, deshalb ist im-

mer noch zu verweisen auf Beissel, Stephan: Die Aachenfahrt. Verehrung der Aachener Heiligthümer seit den Tagen Karls des Großen bis in unsere Zeit. Ergänzungsheft zu den Stimmen aus Maria Laach 82. Freiburg i. Br. 1902. Instruktive Einzelstudien enthält der Band: Aachen zum Jahre 1951. Aachen 1951. Vgl. auch den kurzen Überblick bei Kühne, Hartmut: Zwischen Totschlag und Tourismus. Spuren von Wallfahrt und Pilgerschaft im mitteldeutschen Umfeld Luthers. In: Meller, Harald, Rhein, Stefan und Stephan, Hans-Georg (Hgg.): Luthers Lebenswelten (Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 1, 2008). Halle 2008, S. 377-387, hier S. 378-380. Zur niederrheinischen Wallfahrts-

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Nord- und Mitteleuropa boomende Wilsnackfahrt hatte einen anderen Rang als Königslutter.56 Dennoch wird man den wallfahrtsmäßigen Besuch Königslut-ters auch nicht als regionales Phänomen werten dürfen, da uns inzwischen eine Reihe weiterer Quellen und Zeugen bekannt sind, die einen außerordentlich weiträumigen Besuch Königslutters dokumentieren. Diese bisher nicht oder an entlegener Stelle publizierten Materialien sollen im Folgenden überblicksartig vorgestellt werden.Neben den bereits von Naß angeführten Lübecker Testamenten sind einige weitere testamentarische Wallfahrtslegate bekannt, durch die ebenfalls Stell-vertreter nach Königslutter gesendet wurden. Spätmittelalterliche Bürgertes-tamente können als eine der wichtigsten Leitquellen der Wallfahrtsforschung wie der Erforschung der spätmittelalterlichen Frömmigkeit überhaupt ange-sprochen werden.57 Leider sind die Bürgertestamente bisher nur in wenigen Fällen als Edition oder als Regest erschlossen bzw. inhaltlich ausgewertet. Für Lübeck liegt eine vormoderne Arbeit über die in den Testamenten genannten Wallfahrtsziele vor.58 Die Stralsunder Testamente sind mehrfach thematisch

landschaft vgl. Schmid, Wolfgang: Die Wallfahrtslandschaft Rheinland am Vorabend der Reformation. In: Schneider, Bernhard (Hg.): Wallfahrt und Kommunikation. Kommuni-kation über Wallfahrt. Mainz 2004, S. 17-195.

56 Zur Wilsnackfahrt vgl. Kühne, Hartmut und Ziesak, Anne-Katrin (Hgg.): Wunder – Wall-fahrt – Widersacher. Die Wilsnackfahrt. Regensburg 2005; Escher, Felix und Kühne, Hart-mut (Hgg.): Die Wilsnackfahrt. Ein Wallfahrts- und Kommunikationszentrum Nord- und Mitteleuropas im Spätmittelalter (Europäische Wallfahrtsstudien 2). Frankfurt a.M. u. a. 2006.

57 Vgl. zu den Interpretationsansätzen der Testamentsforschung den grundlegenden Auf-satz von Brandt, Ahasver: Mittelalterliche Bürgertestamente. Neuerschlossene Quellen zur Geschichte der materiellen und geistigen Kultur. Heidelberg 1973. Zur Wallfahrts-forschung vgl. Kühne, Hartmut: Religiöse Mobilität zwischen Elbe und Saale am Ende des Mittelalters. In: Herbers, Klaus und Bünz, Enno (Hgg.): Der Jakobuskult in Sachsen (Jakobus-Studien 17). Tübingen 2007, S. 25-60, hier bes. S. 35f. Zu den hansestädtischen Testamenten vgl. auch Favreau-Lilie, Marie-Luise: Civis peregrinus. Soziale und rechtliche Aspekte der bürgerlichen Wallfahrt im späten Mittelalter. In: Archiv für Kulturgeschichte 76 (1994), S. 321-350.

58 de Melle, Jacob: De itineribus Lvbecensium sacris, seu religiosis et votivis eorum. Lübeck 1711. Auf dieser Grundlage hatte Norbert Ohler einen im Einzelnen allerdings problema-tischen Überblick über Lübecker Wallfahrten vorgelegt: Ohler, Norbert: Zur Seligkeit und zum Troste meiner Seele. Lübecker unterwegs zu mittelalterlichen Wallfahrtsstätten. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 63 (1983), S. 83-102. Die Edition der Lübecker Testamente in Regestenform ist inzwischen abgebrochen, der letzte Band umfasst die Zeit bis 1361: von Brandt, Ahasver: Regesten der Lübecker Bürgertestamente des Mittelalters, Bd. 2 (1351–1361). Lübeck 1973.

180

behandelt worden.59 Editionen liegen für Lüneburg60 und Fehmarn61 vor. Die Braunschweiger Testamente sind bisher ein Desiderat der Forschung geblie-ben62, was auch für weitere Testamentsbestände Mitteldeutschlands gilt. Unter der daher notwendigen Einschränkung der Unvollständigkeit und in gewisser Weise auch Zufälligkeit kennen wir bisher folgende 15 Wallfahrtslegate für den Besuch von Königslutter:

Tabelle 1: Testamentarische Verfügungen mit der Nennung von Königslutter

Ort Datum Testator Wallfahrtslegate:Lübeck 1415 Hermann Storm eine Reise nach Wilsnack, Königslutter,

Aachen, Maastricht63

Lübeck 1419 Johannes Widerbrugghe

eine Reise nach Königslutter und eine nach Eichsen64

Stralsund 1420 (3. April)

Modeke Culemann

zwei Reisen nach Rom, drei zum Gollen (Golme), eine nach Wilsnack und Königs-lutter, einen nach Köln, Aachen und Trier65

Lübeck 1426 Ludolpus (Ludeke), Konehoff

zwei Reisen nach Königslutter66

Stralsund 1428 (27. Okto-ber)

Taleke Kummerow

ein Reise für 60 Mark nach Rom, eine Reise für 30 Mark nach Königslutter (Lutteren), Aachen, Thann (St. Enwolde), sunte Hul-pe (Hülfensberg?), Trier und Einsiedeln67

Lübeck 1443. Jacobus Schenckenberch

eine Reise nach Wilsnack und Königs-lutter68

Stralsund 1451 (24. Juli)

Martin Schardik

je eine Reise nach Königslutter, Thann, Wilsnack, Kenz69

Lübeck 1451 Werneke Herberdes

eine Reise nach Eixen, Wilsnack, Königs-lutter, Thann und Einsiedeln70

Stralsund 1452 (14. Januar)

Bernd Heket (Hecht)

unternimmt selbst eine Reise nach Ein-siedeln, Thann, Wilsnack und Königs-lutter71

Stralsund 1466 (30. Juni)

Matthias Bene ein Mann nach Rom, Einsiedeln, Aachen, Königslutter und Wilsnack, fünf weitere Reisen nach Wilsnack72

Burg (Fehmarn)

1471 (4. März)

Clawes Klyngksteen

eine Reise nach Wilsnack und Königs-lutter73

Lüneburg 1473 (23. Juli)

Metteke von Dassel

eine Reise nach Königslutter, Hülfens-berg, Aachen und Einsiedeln74

Burg (Fehmarn)

1486 (4. Juni)

Mathias Broie eine Reise nach Wilsnack und Königs-lutter75

Burg (Fehmarn)

1503 (21. Sept.)

Clawes Wilder eine Reise nach Wilsnack, Werben und Königslutter76

Stralsund 1516 (20. August)

Margarete Zeger eine Reise nach Einsiedeln und eine Rei-se nach Alt Krüssow (Krussow), Duxen (evtl. Düren?), Königslutter, Köln, Aa-chen, Maastricht und nach Eichsen77

181

59 Einen ersten Überblick gab Heyden, Hellmuth: Stralsunder Wallfahrten. In: Greifswald-Stralsunder Jahrbuch 8 (1968/69), S. 29-36. Als Materialbasis zur Alltagsgeschichte wurden die Testamente ausgewertet von Schildhauer, Johannes: Hansestädtischer Alltag. Unter-suchungen auf der Grundlage der Stralsunder Bürgertestamente vom Anfang des 14. bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts. Weimar 1992. Auf einer Erfassung aller Testamente in einer privaten Datenbank basiert der Aufsatz von Bettin, Hartmut und Volksdorf, Dietmar: Pilgerfahrten in den Stralsunder Bürgertestamenten als Spiegel bürgerlicher Religiosität. In: Herbers, Klaus und Bauer, Dieter R. (Hgg.): Der Jakobuskult in Ostmitteleuropa. Austausch – Einflüsse – Wirkungen (Jakobus-Studien 12). Tübingen 2003, S. 231-258. Wir sind Hartmut Bettin für die Auskünfte zu einzelnen Stralsunder Testamenten aus dieser Datenbank zu großem Dank verpflichtet.

60 Reinhardt, Uta: Lüneburger Testamente des Mittelalters 1323 bis 1500 (Veröffentlichun-gen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 37). Hannover 1996.

61 Fehmarnsche Urkunden und Regesten. Urkundensammlung der Schleswig-Holstein-Lau-enburgischen Gesellschaft für vaterländische Geschichte: Bd. 3, T. 2, Kiel 1880.

62 Einen knappen Einblick in das Material lieferte Schütte, Otto: Aus Braunschweiger Tes-tamentsbüchern. In: Braunschweigisches Magazin 24 (1918), S. 53-58. Die regestenartige Erschließung durch den Genealogen Mack, Dietrich: Testamente der Stadt Braunschweig, 5 Bde. (Beiträge zu Genealogien Braunschweiger Familien 3, 1-5). Göttingen 1988–1995, ist nicht fortgesetzt worden.

63 „item scholen myne vormundere vthsenden enen bedderen man /ener Reyse troweliken to gande to dem hilgen Blode tor Wilsnacke/ to Luttere/ vort to Aken/ vnde to Trecht to sunte Servacio myner Selen to Troste.“ de Melle, De itineribus (Anm. 57), S. 88 mit Er-gänzung auf S. 116.

64 „item wil ik/ dat myne Vormundere senden scholen – enen Man to Luttere/ in sunte Pe-ters vnde Pawels Dage dar to wesende und einen anderen Mann nach Eixen“. Ebenda, S. 88 und Ergänzung auf S. 68.

65 „item scalme wynen twe erlike pelegrymen unde laten eneme je weliken pelegrymen ene reyse to romr gan um mynerzele [...], 3 Reisen tome Golme, 1 Reise tor Wilsnacke und weiter nach Luttern, 1 to collen to Aken to Trere in einer Reise“. Stadtarchiv Stralsund, Testament 533. Die Abschrift erfolgt nach freundlicher Mitteilung von Hartmut Bettin, Greifswald (vgl. Anm. 59).

66 „...item scholen myne Vormundere II. Pelegrimen senden to Luttere/ uppe sunte Peters Vnd sunte Pawels Dach/ enen van myner weghen/ vnd den anderen van mynes Wives weghen“. de Melle, De itineribus (Anm. 58), S. 88.

67 Stadtarchiv Stralsund, Testament Nr. 559. Abschrift von Hartmut Bettin (vgl. Anm. 58).68 „:.. hir van schal se (myne Modder Greteke) nu to Somer senden enen Man to dem hilghen

Blode to der Welsnakke/ vnde fort to Luttere...“ de Melle, De itineribus (Anm. 58), S. 88.69 Stadtarchiv Stralsund, Testament Nr. 621. Abschrift von Hartmut Bettin (vgl. Anm. 59).70 Vgl. de Melle, De itineribus (Anm. 58), S. 57, 66 und 88.71 „...schal men gan laten ene reise to unserer leven vrouwen to der eensedelen [und] to sunte

eenwolde [und]. to der wilsnak [und] to Luttern...“ Stadtarchiv Stralsund, Testament Nr. 623. Abschrift von Hartmut Bettin (vgl. Anm. 59)

72 Stadtarchiv Stralsund, Testament Nr. 657. Abschrift von Hartmut Bettin (vgl. Anm. 59).73 Fehmarnsche Urkunden (Anm. 61), Nr. 8, S. 54. Der Testator vermachte Jacob Yerren 14

Scheffel Saatgut, einen braunen Mantel und einen grünen Rock, einen Grapen und einen

182

Ebenfalls in den rechtlichen Bereich gehören Sühnewallfahrten, die in Sühnever-trägen fixiert wurden.78 Es handelt sich um eine seit der Mitte des 14. Jahrhun-derts verbreitete Rechtspraxis, die im Fall eines Totschlags auf die Versöhnung zwischen den betroffenen Gruppen abzielte, also zwischen dem Täter und seiner Familie sowie der Familie des Getöteten Frieden stiften sollte. In den Sühnever-trägen ging es zum einen um Ersatzleistung an die Familie für den Verlust der getöteten Person und zum anderen um die Jenseitsvorsorge für den Getöteten, was auch stellvertretende Wallfahrten umfassen konnte. Das häufigste Ziel der in Sühneverträgen aus deutschen Landen genannten Sühnewallfahrten war Aa-chen. An zweiter Stelle stand Rom, gefolgt von Wilsnack, das im Norden und Osten des Reiches populär war, bzw. Einsiedeln für den Westen und Süden. 79 Zu diesen wichtigsten Pilgerzentren im Reich traten gelegentlich weitere Wall-fahrtskirchen hinzu. In einem Fall ist auch der Besuch Königslutters als Süh-neleistung bekannt: Als 1436 Martin Kroger einen Peter Wever in Möringen bei Stettin tötete, wurde auch eine Wallfahrt nach Wilsnack, Königslutter und Aachen als Sühne fixiert.80

Messingkessel: „Hiirvore schal he eyne reyze gahn to deme hilghen blode tor Wylssenacke unde to Lutter.“

74 Reinhardt: Lüneburger Testamente (Anm. 60), Nr. 239, S. 358-260, hier S. 359: „Item schal Diderick, myn huszhere, eynen personen to Lutter, to sunte Hulpe, to Aken unde to den Ensedelen senden vor myne unde alle christen zele.“

75 Fehmarnsche Urkunden (Anm. 61), Nr. 15, S. 58: eine „reise tor Wilsnak unde to Lutte-re.“

76 Ebenda, Nr. 23, S. 61f., hier S. 62: „Item noch so geve ick ene reyse tor Wilsnack, to wer-ben unde to Lutteren in eyner reyse tho ghande“

77 Stadtarchiv Stralsund, Testament Nr. 945. Abschrift von Hartmut Bettin (vgl. Anm. 65).78 Zur allgemeinen Orientierung über Sühneverträge und Sühnewallfahrten vgl. Schmitz,

Johannes: Sühnewallfahrten im Mittelalter. Bonn 1910, bes. S. 45-65; Frauenstädt, Paul: Blutrache und Totschlagsühne im Deutschen Mittelalter. Studien zur Deutschen Kultur- und Rechtsgeschichte. Leipzig 1881, S. 105-173; Saal, Walter: Zwischen Glaube und Recht. In: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 35 (1994), S. 638-651; Deutsch, Andreas: Späte Sühne – Zur praktischen und rechtlichen Einordnung der Totschlagsühneverträge in Spätmittelalter und früher Neuzeit. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechts-geschichte. Germ. Abt. 122 (2005), S. 113-149; Wirsing, Michaela: Strafwallfahrten des Spätmittelalters. Perspektivische Überlegungen. In: Doležal, Dan und Kühne, Hartmut (Hgg.): Wallfahrten in der europäischen Kultur – Pilgrimage in European Culture (Euro-päische Wallfahrtsstudien 1). Frankfurt a.M. u.a. 2006, S. 301-315.

79 Vgl. zur statistischen Auswertung der Sühnewallfahrten Kühne: Totschlag (Anm. 55), S. 377f.

80 Hoogeweg, Hermann: Die Stifter und Klöster der Provinz Pommern, Bd. 2, Stettin 1925, S. 609:

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Betrachtet man die Testamente und den Sühnevertrag im Überblick, so fällt so-fort auf, dass Königslutter als ausschließliches Ziel der Wallfahrt nur in zwei Fäl-len genannt wird, nämlich im Lübecker Testament des Johannes Widerbrugghe von 1419 und im 1426 verfassten Testament des Ludeke Konehoff ebenfalls aus Lübeck. In beiden Fällen wird die Anwesenheit der Stellvertreter am Peter- und Paulstag gefordert: Die Erblasser wollten sich auf diese Weise wohl durch Stell-vertreter den Ablass sichern. Man wird hier die Vorstellung voraussetzen dürfen, dass der Ablass stellvertretend für die Toten erworben werden sollte, was erst im Rahmen der Ablasskampagnen Peraudis dogmatisch anerkannt wurde.81 Alle anderen Wallfahrtslegate und Sühnebestimmungen kombinieren den Besuch von Königslutter mit dem weiterer Wallfahrtsorte. Dabei lassen sich drei Grup-pen unterscheiden. Im ersten Fall wurde der Besuch von Königslutter mit einer Wallfahrt nach Wilsnack verbunden. Im zweiten Fall kombinierte man die Visite in Königslutter mit einer Wallfahrt an den Niederrhein, also nach Aachen und zu weiteren Kirchen im niederrheinischen Wallfahrtsverbund, wie den Kölner Kirchen oder dem Servatiusstift in Maastricht. Im dritten Fall erscheint Königs-lutter im Zusammenhang von Reisen in den Südwesten des Reiches (Kloster Einsiedeln, Theobaldskirche in Thann).Bei den Fahrten an den Niederrhein via Königslutter konnte auch Wilsnack hinzutreten, da es zumindest von den wendischen Hansestädten aus auf dem Wege lag. In der Verbindung der Wallfahrten nach Königslutter mit denen zum Niederrhein und nach Wilsnack spiegelt sich die seit dem Ende des 14. Jahrhun-derts etablierte Wallfahrtsgeografie im nördlichen Teil des Reiches wieder: Seit dem Jahr 1349 wurden am Aachener Marienstift im Rhythmus von sieben Jahren vom 10. bis zum 25. Juli die sogenannten „Vier Großen Reliquien“ im Rahmen eines feierlichen Rituals gezeigt und für den Besuch dieser Veranstaltung ein quasi-Plenarablass verkündet.82 Diesem zeitlichen Rhythmus schlossen sich bis zum Ende des 14. Jahrhunderts das Maastrichter Servatiusstift, die Abtei Korne-limünster und der Kölner Dom mit ähnlichen Reliquien- und Ablassfeiern an.83 Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kamen die Trierer Domkirche und Düren mit dem Annenhaupt dazu.84 Auch durch diese ‚Symbiose’ entwickelte sich die alle sieben Jahre stattfindende Aachenfahrt zur bedeutendsten Wallfahrtsbewegung

81 Vgl. Paulus: Ablass (Anm. 34), S. 316-343.82 Vgl. Anm. 55. Zum Ritus und Rhythmus der Feier vgl. Kühne, Hartmut: ostensio reliquia-

rum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltums-weisungen im römisch-deutschen Regnum (Arbeiten zur Kirchengeschichte 65). Berlin – New York 2000, S. 157-178.

83 Vgl. ebenda, S. 198-227 und 250-274.84 Vgl. ebenda, S. 465-477 und 500-511.

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des Reiches, die regelmäßig große Menschenmassen vom Ordensland bis in das Königreich Ungarn in Bewegung setzte. Eine wichtige Ost-West-Verkehrsachse für die Aachenfahrt stellte der Hellweg mit seiner östlichen Verlängerung über Hildesheim und Braunschweig nach Magdeburg dar.85 Deshalb lag Königslutter an der Straße von Braunschweig nach Magdeburg für die Aachenfahrer aus dem Norden und Osten des Reiches gewissermaßen auf dem Weg. Die Gewährung des Ablasses von Königslutter am Peter- und Paulstag, also zwölf Tage vor Be-ginn der Aachener Reliquienweisung, kam der ‚Terminplanung’ der in Gruppen nach Aachen reisenden Pilger sicher entgegen, da man bei der Strecke von unge-fähr 430 km und einer auch sonst für Pilger belegten täglichen Marschleistung von knapp 40 km86 pünktlich von der Ablassfeier in Königslutter zur Eröffnung der Reliquienweisung in Aachen eintreffen konnte. In dem Protest des Abts von Königslutter gegen die Suspendierung ‚seines’ Ablasses in dem oben schon angesprochenen Brief vom 17. Juni 151787 wird ausdrücklich darauf hingewie-sen, dass großer Schaden entstehen würde, wenn der Ablass „itz in der Akis-ken fahert [Aachenfahrt] der nedder gelecht dath ße swerlich wedder yn eynen fullenkomen gange wedder gebracht werden“88. Diese Nachricht unterstreicht, in welcher Weise die Aachenfahrt jenen ‚Transmissionsriemen’ bildete, der die Wallfahrt nach Königslutter zu einem überregionalen Phänomen machte. Neben der Ost-West-Achse des Hellwegs führte seit der Entstehung der Wilsna-cker Wallfahrt auch eine Nord-Süd-Verbindung regelmäßig Pilger zumindest in die Nähe von Königslutter. Im 15. Jahrhundert ist eine Pilgerroute gut belegt, die von Wilsnack aus nach Süden führte: Über Werben, wo die Elbe überquert wur-de, reiste man via Tangermünde in zwei bis drei Tagen nach Magdeburg und von hier aus weiter nach Süden oder Westen.89 Diese Lage von Königslutter im ‚Pil-gerverkehrskreuz’ zwischen der Wilsnacker Nord-Süd-Route und der Aachener Ost-West-Verbindung spiegelt sich in den Wallfahrtslegaten deutlich wieder.Neben den Kombinationen Königslutters mit Wilsnack und der Aachenfahrt finden sich in den Wallfahrtslegaten immer wieder Hinweise auf das Schweizer Kloster Ein-siedeln und die mit der Einsiedler Wallfahrt verbundene Theobaldkirche in Thann /

85 Vgl. zu dieser Wegeführung mit weiteren Quellen und Literatur Kühne, Hartmut: Spät-mittelalterliche Pilger und ihre Spuren zwischen Werben und Magdeburg. In: Fajt, Jiøí, Knüvener, Peter und Franzen, Wilfried (Hgg.): Die Altmark von 1300 bis 1600 – Eine Kulturlandschaft zwischen Magdeburg, Lübeck und Berlin, Berlin 2010 (im Druck).

86 Vgl. die Nachweise bei Kühne, Hartmut: Unterwegs nach Wilsnack. In: Kühne und Ziesak: Wilsnackfahrt (Anm. 56), S. 19-47, hier S. 41.

87 Kapp: Nachlese (Anm. 15), S. 228-230.88 Zitat nach der Abschrift von Bräuer: Wallfahrtsforschung (Anm. 42), S. 21.89 Vgl. dazu Kühne: Spätmittelalterliche Pilger (Anm. 85).

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Abb. 1: Geografische Verteilung der Wallfahrtszeugnisse von Königslutter, Entwurf: Carina Brumme.

Legende: Wallfahrtslegate; # Strafwallfahrt, Pilgerzeichenoriginale, Pilgerzeichen-abgüsse, Pilgerzeichengussmodel

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Elsass, wie etwa im Falle des Stralsunders Bernd Heket, der 1452 selbst eine Reise antrat, die ihn über Wilsnack und Königslutter nach Thann und Einsiedeln führte. Die Wallfahrt zum Einsiedler Benediktinerkloster war im Lauf des 14. Jahrhunderts vor allem durch die sog. Engelweihfeier mit ihrem hohen Ablass zu einem reichs-weit besuchten Ereignis geworden. Wer im Anschluss an den Besuch Aachens nach Einsiedeln und Thann reiste, benutzte normalerweise die rheinaufwärts führende Route oder fuhr mit dem Schiff.90 Eine alternative Strecke aus Norddeutschland in den Südwesten des Reichs wird durch die Erwähnung des Hülfensberges bei Geismar („sunte Hulpe“) in dem Stralsunder Testament des Taleke Kummerow von 1428 und im Lüneburger Testament der Metteke von Dassel aus dem Jahr 1473 sichtbar. Beide Testamente scheinen auf eine Route zu verweisen, die über Königslutter und Braunschweig nach Göttingen und weiter über den Hülfensberg in den Südwesten des Reiches führte.91 So bildete Königslutter von Nordosten des Reiches aus gesehen einen zentralen Knotenpunkt im Netz der Wallfahrtsgeogra-fie. Der besondere Charakter der Wallfahrt nach Königslutter besteht daher in der Funktion des Ortes als Transitstation zu den Wallfahrtszentren am Niederrhein und im Südwesten des Reiches oder auch weiter nach Rom, wie das Stralsunder Testament des Matthias Bene andeutet. Diese Behauptung wird durch die bisher nachgewiesenen Pilgerzeichenfunde aus Königslutter unterstrichen. Alle Pilgerzeichen aus Königslutter entsprechen demselben ikonographischen Typus: Unter einem krabbenbesetzten Giebel, der von einer stilisierten Lilie ge-krönt wird, befindet sich eine dreifigurige Kreuzigungsgruppe. Vom Betrachter aus links neben dem Gekreuzigten steht der Apostel Paulus mit einem erhobenen Schwert in der Hand, rechts der Apostel Petrus mit einem großen Schlüssel. In einem halbkreisförmigen Feld darunter befindet sich die gekrönte Büste eines Königs – gemeint ist Lothar von Supplinburg als Stifter von Königslutter – mit dem Reichsapfel in der linken und einem Lilienzepter in der rechten Hand. Vor ihm steht ein Wappenschild mit dem einköpfigen Reichsadler. Gelegentlich trägt der untere Steg des Rahmens die Inschrift „lutter“. Als Kurt Köster 1985 seinen Beitrag über die Pilgerzeichen aus Königslutter pu-blizierte, waren ihm 21 Nachweise bekannt: das schon genannte Gussmodel im Braunschweiger Herzog Anton Ulrich-Museum, ein originaler Fund aus der Weser

90 Vgl. Rückert, Peter: Der spätmittelalterliche Pilgerverkehr am und auf dem Oberrhein – Wege und Zeichen. In: Frank, Thomas, Matheus, Michael und Reichert, Sabine (Hgg.): Wege zum Heil. Pilger und heilige Orte an Mosel und Rhein (Geschichtliche Landeskunde 67). Stuttgart 2009, S. 241-258, bes. S. 246-254.

91 Vgl. zur historischen Streckenführung in diesem Gebiet Bruns, Friedrich und Weczerka, Hugo: Hansische Handelsstraßen, Bd. 1: Atlas (Quellen und Darstellungen zur hansea-tischen Geschichte N.F. 13, 1). Köln – Graz 1962, Karte 19.

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im Bremer Focke-Museum und 19 Abgüsse auf Glocken bzw. einer Erztaufe, die mit drei Ausnahmen (Dänemark bzw. Schweden) aus Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg und Schleswig-Holstein stammten.92 Inzwischen hat sich das Bild aber verändert, da wir mittlerweile 27 Glocken und eine Erztaufe kennen, auf denen Pilgerzeichen aus Königslutter abgegossen wurden.93 Auch wenn die Konzentration der Nachweise weiterhin ihren Schwerpunkt im östlichen Nord- und Mitteldeutschland hat, so erweitern Funde aus Böhmen und Ostpommern das Verbreitungsgebiet deutlich in Richtung Osten. Noch stärker verändern aber die archäologischen Nachweise das Bild, deren Zahl inzwischen auf elf gestiegen ist. (Vgl. Tabelle 2). Besonders die Funde aus Belgien und London vergrößern den Verbreitungsradius der Pilgerzeichen deutlich. Diese weite Streuung nach Nord-westen hängt wahrscheinlich mit der Nähe Königslutters zu Wilsnack zusammen. Wilsnacker Pilgerzeichen sind in Belgien und den Niederlanden archäologisch nachgewiesen, in einem Fall auch für England bezeugt. Die fünf in der Ucker-mark geborgenen Pilgerzeichen stehen damit innerhalb dieses Fundkomplexes zahlenmäßig mit den Wilsnacker Pilgerzeichen auf einer Ebene.94 Berücksichtigt man den gesamten Fundzusammenhang in Seehausen, so stößt man auf dieselben Wallfahrtsorte, wie in den testamentarischen Legaten: die niederrheinischen (Aa-chen, Köln, Maastricht) und oberrheinischen Zentren (Einsiedeln, Odilienberg) sowie das zwischen Wilsnack und Königslutter gelegene Werben.

Tabelle 2: Archäologische Nachweise von Pilgerzeichen aus Königslutter

Objekt Fundort1 Gussmodell (Schiefer) Königslutter am Elm95

2 Original (Blei-Zinn) Bremen96

3 Original (Blei-Zinn) Voss, Hordaland, Norwegen97

4 Original (Blei-Zinn) London98

5 Original (Blei-Zinn) Sluis, Belgien99

6 Original (Blei-Zinn) Rotterdam, Niederlande100 (Abb. 2)7-11 fünf Originale, zwei nur fragmentarisch

erhalten (Blei-Zinn)Seehausen, Gemeinde Oberuckersee, Landkreis Uckermark, Brandenburg101

92 Vgl. oben Anm. 53. Den Kenntnisstand Kösters dokumentiert die Pilgerzeichenkartei Kurt Köster im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, vgl. dazu: Poettgen, Jörg: Europäi-sche Pilgerzeichenforschung. Die Zentrale Pilgerzeichenkartei (PZK) Kurt Kösters (gest. 1986) in Nürnberg und der Forschungsstand nach 1986. In: Jahrbuch für Glockenkunde 7/8 (1995/96), S. 195-206.

93 Vgl. die Einzelnachweise in der Tabelle 3. Ein von Köster verzeichneter Abguss auf einer Glo-cke ließ sich nicht bestätigen: Es handelt sich um die Glocke in Wilster (Landkreis Steinburg,

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Schleswig-Holstein), die in der Pilgerzeichenkartei Kurt Köster mit einem Hinweis auf das Deutsche Glockenarchiv im Germanischen Nationalmuseum (DGA 4/21/41 B) und dem Gussdatum 1492 verzeichnet wird. Die Überprüfung der Karteikarte und der Abbildungen im Deutschen Glockenarchiv ergab aber, dass diese sog. „Quirinius-Glocke“ nur Pilgerzei-chenabgüsse aus Neuss zeigt und bereits 1472 gegossen wurde.

94 Vgl. Kühne, Hartmut und Brumme, Carina: Der Pilgerzeichenfund am Kloster Seehau-sen und sein historischer Kontext. Mit einem Katalog des Seehausener Fundes, In: Dirk Schuhmann (Hg.): Sachkultur und religiöse Praxis (Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser 8). Berlin 2007, S, 406-457.

95 Köster: Pilgerzeichen (Anm. 53); Ferdinand Seibt u.a. (Hgg.): Transit Brügge Nowgorod, Eine Straße durch die europäische Geschichte. Ausstellungskatalog Ruhrlandmuseum Es-sen. Essen 1997, Kat. Nr. IV/159.

96 Grohne, Ernst: Bremische Boden- und Baggerfunde. In: Jahresschrift des Focke-Museums Bremen 1. Bremen 1929, S. 44-102; hier: S. 94-96, Tafel 31, Nr. 3; Wittstock, Jürgen: Der Bremer Pilgerzeichen-Fund. In: Herbers, Klaus und Plötz, Robert (Hgg.): Der Jakobus-Kult in „Kunst“ und „Literatur“ (Jakobus-Studien 9). Tübingen 1998, S. 85-107; hier S. 100, mit Abb. 18.

97 Liebgott, Niels Knud: Afstobninger af pilgrimstegn pa danske middelalderlige kirkeklok-ker. In: Aarboger for nordisk Oldkyndighed og historie 1971, S. 196-240; hier S. 220, Fig. 31; Anderson, Lars: Pilgrimsmärken och vallfart. Lund Studies in Medieval Archeology 7. Lund 1989, S. 60.

98 Spencer, Brian W.: Pilgrim Souvenirs and Secular Badges. London 1998, S. 266, Nr. 263a.99 van Beuningen, Hendrik Jan Engelbert, Koldeweij, Jos und Kicken, Maria Dory (Hgg.):

Heilig en Profaan 2. 1200 laatmiddeleuwse insignies uit openbare en particulare collecties. Cothen 2001, S. 278, Nr. 1189 [die Inventarnummer in der Sammlung van Beuningen hat sich inzwischen geändert, das Stück wird jetzt unter der Nr. 2867 geführt: freundliche Mitteilung von Dory Kicken (Stichting Middeleeuwse Religieuze en Profane Insignes) vom 5. März 2010]; Koldeweij, Jos: Geloof & Geluk. Sieraad en devotie in middeleeuws Vlaanderen. Arnhem 2006, S. 221, 225, Abb. 16, 30.

100 Das Stück war bisher unpubliziert. Es befindet sich in der Sammlung der Familie van Be-uningen unter der Inventarnummer 4022. Wir haben Dory Kicken (vgl. Anm. 99) für den Hinweis auf dieses Stück zu danken.

101 Es handelt sich um einen größeren Fundkomplex, der in den 80er Jahren des 20. Jh.s. in der Nähe eines ehemaligen Zisterzienserinnenklosters mittels Unterwasserarchäologie geborgen wurde. Eine erste Veröffentlichung der damals bestimmbaren Stücke erfolgte durch: Jaitner, Ralf und Kohn, Gerhard: Ausgewählte Pilgerzeichen aus dem Zisterzi-ensernonnenkloster Seehausen in der Uckermark. In: Wismarer Studien zur Archäolo-gie und Geschichte 4. Wismar 1994, S. 102-108; die Exemplare aus Königslutter hier S. 103, Abb. 1a-e. Ein damals publiziertes Exemplar gelangte nicht wie die übrigen Pilger-zeichen in die Sammlung des Kulturhistorischen Museums Prenzlau, sondern wurde zunächst von dem privaten Finder verwahrt (firmiert als „Sammlung Dobusch“), des-sen Sammlung später behördlich beschlagnahmt wurde und sich heute im Brandenbur-gischen Landesamt für Denkmalpflege in Wünsdorf befindet. Ein Gesamtkatalog der Pilgerzeichen des Kulturhistorischen Museums Prenzlau liegt inzwischen vor: Kühne, Brumme: Pilgerzeichenfund (Anm. 94), zu den Zeichen aus Königslutter vgl. hier S. 413f. und S. 430f., Nr. 7-11.

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Abb. 2: Pilgerzeichen aus Königslutter, 45 mal 40 mm, gefunden in Rotterdam, Sammlung Familie van Beuningen, Inventarnummer 4022.

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Ein Überblick der Abgüsse von Pilgerzeichen verdeutlicht neben den bereits ge-nannten geografischen Verbreitungsräumen, dass sich Pilgerzeichenabgüsse relativ gleichmäßig über den Zeitraum des frühen 15. Jahrhunderts bis 1516 verteilen. Auffällig ist, dass zahlreiche Glocken in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Rhythmus der Aachenfahrten stehen, was vor allem für die Aachenfahr-ten der Jahre 1440, 1447, 1468, 1475, 1482, 1489, 1496 und 1510 gilt. Ferner ist festzustellen, dass nur auf neun der insgesamt 28 Abgussträger allein Königslutter erscheint. In den übrigen ca. 70 % der Fälle tritt es auf in Verbin-dung mit Pilgerzeichen vom Niederrhein, also aus Köln, Aachen und Maastricht (zwölf Glocken), aus dem Südwesten des Reiches, d. h. aus Einsiedeln und Thann (fünf Glocken), vor allem aber aus Wilsnack (acht Glocken). Neben den Zeichen aus diesen großen Pilgerzentren erscheinen im Glockenschmuck weitere, eher regional besuchte Wallfahrten. Eine besonders interessante Grup-pe von Glocken mit einer markant-ähnlichen Pilgerzeichenauswahl bilden die Glocken aus Jeinsen, Eime, Landringshausen und Basse / Scharrel. Zu dieser Gruppe gehört auch noch eine Glocke aus Mandelsloh von 1427, die allerdings keine Zeichen aus Königslutter aufweist.102 Wir planen zu dieser Gruppe von Glocken eine separate Veröffentlichung. Diese Glocken, die zwischen ca. 1430 und ca. 1450 gegossen wurden und wenigstens zum Teil aus der Werkstatt Hans Meigers stammen, verwenden neben einem Standartrepertoire von Zeichen aus Köln, Aachen, Königslutter und Nikolausberg zwei markante Typen, die nur auf ihnen zu finden sind: eine Antoniusbüste mit einer Glocke auf der rechten Schulter und der Inschrift „S ANTHOINE“103, sowie ein Pilgerzeichen mit der Darstellung des hl. Christophorus104, das durch einen in baumartige Palmetten auslaufenden Architekturrahmen gekennzeichnet ist. Mit diesen Abgüssen wur-den zwei wohl um 1430 florierende Kultstätten in den Rahmen der schon länger etablierten Wallfahrtsgeografie eingefügt, ohne dass bisher eine Identifikation dieser Orte möglich war. Eine für die Interpretation der Pilgerzeichenensembles auf den einzelnen Glo-cken entscheidende Frage ist, wer diese Zusammenstellung festlegte: der Gießer, der Auftraggeber oder einzelne Funktionsträger der Gemeinde? Bisher gibt es keine befriedigende Antwort auf diese Frage. Dennoch sind gute Argumente

102 Vgl. Doll, Eberhard: Pilgerzeichen an einer Glocke der Kirche zu Mandelsloh. In: Bölsing, Christoph und Doll, Eberhard: Mandelsloh. Beiträge zur Kirchengeschichte. Mandelsloh 1990, S. 9-18. Wir sind Eberhard Doll (Neustadt am Rübenberge) für die Überlassung seiner Fotos der Pilgerzeichenabgüsse sowie der genannten Broschüre zu Dank verpflichtet.

103 Vgl. zur Lesung Köster: Pilgerzeichen (Anm. 53), Nr. 328e, S. 407f. 104 Köster, ebenda Nr. 328f., S. 408 dachte an eine Marienfigur. Die Aufnahmen aller ange-

sprochenen Glocken zeigen aber deutlich eine Christophorusgestalt.

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Abb. 3: Erztaufe in der Evangelischen Johanneskirche von Tostedt (Landkreis Harburg / Niedersachsen) aus dem Jahre 1423, Foto: Annemarie Anders, Tostedt.

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dafür vorgebracht worden, dass der Gießer einen entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung hatte – wenngleich man auch im Einzelfall den Einfluss der Auf-traggeber nicht leugnen kann.105 In jedem Fall mussten die Pilgerzeichen vor dem Einpressen in die „verlorene Form“ der zukünftigen Glocke an den jeweiligen Wallfahrtskirchen erworben werden, so dass sie als Zeugnis einer konkreten Wallfahrt angesprochen werden können. Man wird die Pilgerzeichen-Ensembles also auch als Abbildung einer oder mehrerer Wallfahrten lesen können. Exem-plarisch sei dies an zwei Beispielen demonstriert: Die 1484 für die Kirche von Hablingbo auf Gotland gegossene Glocke bezeugt sehr wahrscheinlich eine Pilgerfahrt, die 1482 (im Jahr einer Aachenfahrt) unternommen wurde. Die niederrheinischen Wallfahrtskirchen sind mit Aachen, Köln, Maastricht und dem gerade damals boomenden Quirinus-Kult in Neuss106 stark vertreten. Das Zeichen aus Königslutter deutet auf einen Aufenthalt in Königslutter wahr-scheinlich auf der Anreise nach Aachen hin – die gotländischen Pilger dürften den Landweg ab Lübeck oder Stralsund benutzt haben. Die Glocke von Hohenzieritz bei Neustrelitz spiegelt hingegen jene Wallfahrts-rundreise durch das Reich wieder, wie sie uns in den Wallfahrtslegaten der han-sestädtischen Bürgertestamente begegnet ist: Über Wilsnack und Königslutter führte der Weg nach Einsiedeln, den Rhein abwärts nach Köln und von hier über den Hellweg mit Halt an dem seit 1460 für großes Aufsehen sorgenden eucharistischen Kult in Blomberg zurück nach Mecklenburg, das mit Zeichen aus Sternberg und der Schweriner Domkirche auf der Glocke präsent ist.Der hier vorgestellte Überblick über Quellen und Zeugen der Wallfahrt nach Königslutter ist eine vorläufige Zusammenstellung, da künftige Forschungen sehr wahrscheinlich weiteres Material über den Besuch der Abtei im Spätmittel-alter zu Tage fördern werden. Insofern ist unser Beitrag als Materialsammlung und Anregung zu einer zukünftigen Geschichte der Wallfahrt von Königslutter zu verstehen. Aber auch der fragmentarische Befund lässt erkennen, dass Königslutter, wenn es auch nicht zu den großen Wallfahrtszentren des Reiches zählte, im 15. Jahr-

105 Vgl. exemplarisch Poettgen, Jörg: Der Beitrag der Glockenkunde zur Pilgerzeichenfor-schung von Kurt Köster bis heute. In: Kühne, Hartmut, Lambacher, Lothar und Konrad, Vanja (Hgg.): Das Zeichen am Hut im Mittelalter. Europäische Reisemarkierungen. Sym-posion in memoriam Kurt Köster (1912–1986) und Katalog der Pilgerzeichen im Kunstge-werbemuseum und im Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin. (Europäische Wallfahrtsstudien 4). Frankfurt a.M. u. a 2008, S. 31-46, hier S. 40f.

106 Vgl. Köster, Kurt: St.-Quirinus-Wallfahrten und ihre Pilgerandenken. Neue Studien zur Kultgeschichte und Ikonographie des Neusser Heiligen. In: Neusser Jahrbuch für Kunst, Kulturgeschichte und Heimatkunde 5 (1960), S. 8-26.

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Tabelle 3: Abgüsse von Pilgerzeichen aus Königslutter

Ort Datie-rung

Fundkontext

1 Groß Kreuz, Landkreis Potsdam-Mittelmark, Brandenburg, Kir-chenglocke107

1408 Königslutter

2 Domsühl, Landkreis Parchim, Mecklenburg-Vorpommern, Kir-chenglocke108

um 1400 Königslutter (2-mal), Aachen (Fragment, wohl dreikreisiges Spiegelzeichen)109, Köln (Hl. Drei Könige, Typ C II b)110, Thann, Wilsnack (2-mal), Antonius-Kreuz mit Ösen, vier unbekannte Zeichen

3 Bisperode, Landkreis Hameln-Pyrmont, Niedersachsen, Kir-chenglocke111

1415 Königslutter, Aachener Spiegelzei-chen, Köln (Hl. Drei-Könige, 2-mal ähnlich Typ B II b und 1 mal Typ CII-Ib), Wilsnack, Thann (?)

4 Tostedt, Landkreis Harburg, Nie-dersachsen, Erztaufe112

1423 Königslutter, Nikolausberg (defor-miert)113, Kreuztragung (Perleberg)114, un-bekanntes Marienzeichen (Abb. 3 und 4)

5 Jeinsen, Landkreis Hildesheim, Niedersachsen, Kirchenglocke115

1431 Königslutter, Köln (Hl. Drei Könige, Typ B IIIa), Nikolausberg, Thann, Wer-ben116, Wilsnack (2-mal), Antoniusbüste, Christophorus (2-mal leicht variierend)

6 Eime (heute Samtgemeinde Gro-nau), Landkreis Hildesheim, Nie-dersachsen, Kirchenglocke117

1436 Königslutter, Antoniusbüste, Niko-lausberg, Maria (Elende?), Gestalt mit Schwert ?

7 Aschersleben, Salzlandkreis, Sachsen-Anhalt, S. Stephan, Abendglocke 118

1437 Königslutter

8 Droyßig, Burgenlandkreis, Sach-sen-Anhalt, Kirchenglocke119

1440 Königslutter, Heiligenleichnam120, Maastricht, Thann (2-mal)

9 Landringshausen, Stadt Barsing-hausen, Landkreis Hannover, Niedersachsen, Kirchenglocke121

um 1440 Königslutter, Aachen (kleiner Typus), Thann, Wilsnack, Antoniusbüste, Ma-rienzeichen, Christophoruszeichen

107 Dieser von Cornelia Oefelein (Kremmen) entdeckte Glockenabguss ist noch unpubli-ziert. Eine Beschreibung und Abbildung findet sich im Mitteilungsblatt der Kirchgemein-den Bochow, Derwitz, Groß Kreutz, Krielow und Schmergow „Der Christophorus“ 111. Ausgabe, Juni / Juli 2009, S. 2f.

108 Schaustatt, Monika: Mittelalterliche Pilgerzeichen auf Glocken in mecklenburgischen Dorfkirchen. In: Mecklenburgische Jahrbücher 109 (1993), S. 19-55; hier S. 37, Abb. 6a.

109 Für die Aachener Pilgerzeichen existiert bisher keine befriedigende Typologie oder eine zumindest repräsentative Übersicht. Vgl. daher zu diesem Zeichentypus noch Köster, Kurt: Mittelalterliche Pilgerzeichen und Wallfahrtsdevotionalien. In: Legner, Anton (Hg.): Rhein

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und Maas. Kunst und Kultur 800–1400 (Ausstellungskatalog Köln 1972). Köln 1972, S. 146-160, hier S. 150f.

110 Für die Typologie der Kölner Drei-Königs-Zeichen ist grundlegend die Arbeit von Haasis-Berner, Andreas und Poettgen, Jörg: Die mittelalterlichen Pilgerzeichen der Heiligen Drei Könige. Ein Beitrag von Archäologie und Campanologie zur Erforschung der Wallfahrt nach Köln. In: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 30 (2002), S. 173-202. Auch im Folgenden wird die typologische Einordnung nach dieser Arbeit vorgenommen.

111 Vgl. die Angaben bei Steinacker, Karl (Bearb.): Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Holzminden. Die Bau- und Kunstdenkmäler der Herzogtums Braunschweig 4. (Kunst-denkmälerinventare Niedersachsen 11). Wolfenbüttel 1907, S. 235f., wo nur das Aachener Spiegelzeichen wiedergegeben ist. Wir haben Jan Sören Damköhler (Kirchengemeinde am Ith) für die Übermittlung digitaler Aufnahmen zu danken.

112 Drescher, Hans: Tostedt – die Geschichte einer Kirche aus der Zeit der Christianisierung im nördlichen Niedersachsen bis 1880. (Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Nie-dersachsens 19), Hildesheim 1985, S. 178. Wir danken Annemarie Anders (Kirchgemeinde Tostedt) für Zusendung einer Kopie des Textes und die Anfertigung digitaler Aufnahmen der Erztaufe.

113 Vgl. Köster: Pilgerzeichen (Anm. 53), Nr. 333, S. 411f.114 Eine Identifikation dieses Pilgerzeichentypus, der in der Pilgerzeichenkartei Kurt Köster

im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg als „Christus, Kreuztragung Typ A V 2b“ geführt wird, als Pilgerzeichen der „Heilig-Kreuz-Kapelle“ oder Jerusalemkapelle bei Per-leberg ist uns erst kürzlich gelungen; eine Veröffentlichung ist in Vorbereitung.

115 Eine Beschreibung der Abgüsse bei Jürgens, Heiner, Nöldecke, Arnold und Freiherr von Welck, Joachim (Bearb.): Die Kunstdenkmale des Kreises Springe (Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover 29). Hannover 1941, S. 103f. Wir danken Pf. Christian Hüttmann (Pattensen) für die Anfertigung digitaler Aufnahmen der Abgüsse.

116 Zu den Pilgerzeichen aus Werben vgl. Kühne, Brumme: Pilgerzeichenfund (Anm. 94), S. 419-423 und 435f.

117 Vgl. Jürgens, Heiner u.a. (Bearb.): Die Kunstdenkmale des Kreises Alfeld: II. Der ehema-lige Kreis Gronau (Die Kunstdenkmale der Provinz Hannover 26). Hannover 1939, S. 60. Die Glocke war schon 1939 nicht mehr vorhanden, die Beschreibung erfolgte nach dem Text von Mithoff, Wilhelm H.: Kunstdenkmale und Alterthümer im Hannoverschen. Bd. 1: Fürstenthum Calenberg. Hannover 1871, S. 28.

118 Beschreibung bei Brinkman, Adolf (Bearb.): Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Aschersleben (Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen 25). Halle 1904, S. 62.

119 Liebeskind, Paul: Pilger- und Wallfahrtszeichen auf Glocken, Teil 2. In: Die Denkmalpflege 7 (1905), S. 117-120 und 125-128; hier S. 118 mit Abb. 4. Fotografische Aufnahmen finden sich in der von Heinrich Schuster angelegten Glockenkartei im Archiv des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Abteilung Bau- und Kunstdenkmä-ler, Halle unter dem Vermerk „Droyßig“.

120 Zur Identifikation des Pilgerzeichens vgl. Kühne, Hartmut und Brumme, Carina: Jenseits von Wilsnack und Sternberg: Pilgerzeichen spätmittelalterlicher Heilig-Blut-Wallfahrten. In: Varia campanologiae studia cyclica (Schriften aus dem Deutschen Glockenmuseum 6). Greifenstein 2009, S. 129-142, bes. S. 135f.

121 Köster: Pilgerzeichen (Anm. 53), Nr. 328, S. 407f.

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Abb. 4: Pilgerzeichen aus Könisglutter, Abguss auf der Erztaufe in Tostedt, Foto: Annemarie Anders, Tostedt.

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10 Lauenstein (OT von Salzhemmen-dorf), Landkreis Hameln-Pyrmont, Niedersachsen Schlagglocke122

um 1440 Königslutter, Köln (Hl. Drei Könige), zwei Zeichen nicht identifiziert

11 Kistritz (OT von Krauschwitz), Burgenlandkreis, Sachsen-Anhalt, Kirchenglocke123

1441 Königslutter

12 Gross-Lübars (OT von Möckern), Landkreis Jerichower Land, Sach-sen-Anhalt, Kirchenglocke124

1447 Königslutter

13 ursprünglich Basse, heute Scharrel, (OT von Neustadt am Rübenber-ge), Landkreis Hannover, Nieders-achsen Bet-/ Friedhofsglocke125

um 1450 Königslutter, Elende, Köln, Nikolaus-berg, Wilsnack, Christophoruszei-chen, Antoniusbüste, nicht identifi-ziertes Marienzeichen

14 Grieben, Landkreises Stendal, Sachsen-Anhalt, Kirchenglocke 126

um 1450 Königslutter, evtl. Maastricht (Serva-tiuszeichen) und Nikolausberg

15 Jörl, Kreis Schleswig-Flensburg, Schleswig-Holstein, Kirchenglocke127

1470 Königslutter

16 Bernburg, Schlosskirche S. Ägidi-en, Salzlandkreis, Sachsen-Anhalt, Schlagglocke 128

1475 Königslutter

17 Prestin, Ortsteil Bülow, Landkreis Parchim, Mecklenburg-Vorpom-mern, Kirchenglocke129

1478 Königslutter, unbekanntes Marien-zeichen und 2 weitere unbekannte Zeichen

18 Velhartice, Okres Klatovy, Plzensky kraji, Tschechische Re-publik, Kirchenglocke130

2. Hälfte 15. Jh.

Königslutter

19 Hablingbo, Kommune Gotland, Gotlands län, Schweden, Kirchen-glocke131

1484 Königslutter, Aachen, Köln (ein Ur-sulazeichen und ein Drei-Könige/Ur-sulazeichen), Maastricht, Neuss

20 Klein Wülknitz, Landkreis Köthen, Sachsen-Anhalt, Kir-chenglocke132

1485 Königslutter

21 Gütz (OT von Landsberg), Saa-lekreis, Sachsen-Anhalt, Kirchen-glocke133

1489 Königslutter

22 Metzelthin (OT von Wusterhau-sen), Landkreis Ostprignitz-Rup-pin, Brandenburg, Kirchenglocke134

Ende 15. Jh.

Königslutter, Werben (3-mal)

23 Manker (OT von Fehrbellin), Kreis Ostprignitz-Ruppin, Bran-denburg, Kirchenglocke135

Ende 15. Jh.

Königslutter, Werben (2 mal), Wils-nack (mehrfach als Trenner in der In-schrift), unbekanntes Zeichen

122 Beschreibung bei Bühring, Joachim (Bearb.): Die Kunstdenkmäler des Landkreises Ha-meln-Pyrmont. Kunstdenkmälerinventare Niedersachsen 35. Hannover 1975, S. 360. Die Abb. im Tafelband Nr. 426 zeigt nur das Zeichen von Königslutter.

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123 Jäger, Franz (Bearb.): Die Inschriften des Landkreises Weißenfels (Die deutschen Inschrif-ten 62). Wiesbaden 2005, Nr. 34, S. 30f., mit Abb. Taf. XII, Abb. 23.

124 Wernicke, Ernst (Bearb.): Die Kreise Jerichow. Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 21. Halle 1898, S. 105. mit Abb. Fig. 30.

125 Die Schlagglocke kam nach 1890 aus Basse nach Scharrel, wo sie zunächst als Schulglocke Ver-wendung fand. Nach dem Abriss des Schulgebäudes wurde sie auf den Friedhof der Evangelischen Gemeinde überführt, wo sie sich gegenwärtig befindet. Die Angaben bei Nöldeke, Arnold u.a. (Bearb.): Die Kunstdenkmale des Kreises Neustadt am Rübenberge (Kunstdenkmäler-Inventa-re Niedersachsens 20), München 1958, S. 173f., sind sehr knapp und z. T. überholt. Wir danken Albert und Lisa Kohansky (Scharrel), die uns fotografische Aufnahmen der Abgüsse anfertig-ten und eine Ausgabe des 1989 hektographierten Heftes „300jähriges Jubiläum. Wiederaufbau der Simon und Judas Kirche zu Basse“ zur Verfügung stellten. Auf S. 37f. des Heftes finden sich zwei Kopien einer handschriftlichen Beschreibung der Glocke von „Leutnant C.[onrad[ W.[ilhelm] Hase in Hannover“, dem bekannten Architekten und Denkmalpfleger, aus dem Jahr 1891 mit Umzeichnungen der Abgüsse, die zur Identifikation der Pilgerzeichen hilfreich waren.

126 Hossfeld, Friedrich, Haetge, Ernst (Bearb.): Kreis Stendal Land. (Die Kunstdenkmale der Provinz Sachsen 3), Burg 1933, S. 79f., sprechen den Abguss als „Kruzifix mit Maria und Johannes“ an. Wir danken Pf. Peter Gümbel für die Anfertigung von fotografischen Aufnahmen der beiden Glocken.

127 Uldall, Frederik: Danmarks middelalderlige Kirkeklokker. Kopenhagen 1906, S. 93f.; Lieb-gott, Niels Knud: Afstobninger af pilgrimstegn pa danske middelalderlige kirkeklokker. In: Aarboger for nordisk Oldkyndighed og historie 1971, S. 196-240, hier S. 220f. mit Abb. 32; Anderson: Pilgrimsmärken (Anm. 97), S. 60.

128 Schubart, Friedrich Wilhelm: Die Glocken im Herzogtum Anhalt. Ein Beitrag zur Geschichte und Altertumskunde Anhalts und zur allgemeinen Glockenkunde. Dessau 1896, S. 142 bietet eine Beschreibung der im 2. Weltkrieg vernichteten Glocke. Ein Foto mit dem Abguss des Pilgerzeichens, dessen obere Umrahmung abgebrochen ist, befindet sich im Deutschen Glo-ckenarchiv (Deposit im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg), DGA 6/33/52 C.

129 Schaustatt: Pilgerzeichen (Anm. 108), S. 37.130 Hostaš, Karel und Vanìk, Ferdinand: Soupis památek historických a umìleckých v království

Èeském [Topographie des Königreich Böhmen], Bd. 12: Sušice. Prag 1900, S. 147 mit Abb. 112. Wir danken Tomáš Chvátal (Prag) für den Hinweis auf diesen Glockenabguss.

131 Amark, Mats: Pilgrimsmärken på svenska medeltidsklockor. In: Antikvarikt Arkiv 28, 1956, S. 29-38 mit Abb. 22-25 und 29; Köster: Pilgerzeichen (Anm. 109), S. 151, Abb. 10; Andersson: Pilgrimsmärken (Anm. 97), S. 68ff.

132 Schubart: Glocken (Anm. 128), S. 142, beschreibt den Abguss als Passionsgruppe. Durch die Übereinstimmung des Abgusses mit dem aus Bernburg (vgl. Anm. 128) ist die Iden-tität aber gesichert.

133 Evangelisches Zentralarchiv Berlin, Bestand 525, „Glockenerfassung Richard Heinzel“, Karteikarte 1001.

134 Ebenda, Karteikarte 1670.135 Goecke, Theodor und Eichholz, Paul (Bearb.): Die Kunstdenkmäler des Kreises Ruppin.

(Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg 1,3). Berlin 1914, S. 148f. Zur Identifika-tion der Abgüsse vgl. Kühne, Hartmut: Pilgerzeichen. Spuren mittelalterlicher Wallfahrten auf märkischen Kirchenglocken. In: Offene Kirchen 2005, S. 14-17, hier S. 16.

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24 Zichow, Kreis Uckermark/An-germünde, Brandenburg, Kir-chenglocke136

Ende 15. Jh.

Königslutter, Maastricht, Wilsnack, zwei unbekannte Zeichen

25 Hohenzieritz, Landkreis Meck-lenburg-Strelitz, Mecklenburg-Vorpommern, Kirchenglocke137

um 1500 auf der Flanke: Königslutter, Stern-berg, Köln, Blomberg138, Einsiedeln, Schwerin (Domkirche)139, Wilsnack (in der Inschrift)

26 Mielno (dt. Mellen), Powiat £obeski (Labes), Zachodniopo-morskie (Westpommern), Polen, Kirchenglocke 140

1500 Königslutter, Vadstena, Thann

27 Preddöhl, Amt Meyenburg Land-kreis Prignitz, Brandenburg, Kir-chenglocke141

1507 Königslutter, Aachen, Sternberg

28 Breitenfelde, Landkreis Herzog-tum Lauenburg, Schleswig-Hol-stein, Kirchenglocke142

1511 Königslutter, Köln (Hl. Drei Könige), Büchen (?)143

136 Wolff, Fritz: Die Glocken der Provinz Brandenburg und ihre Gießer. Berlin 1920, S. 24 und Taf. VI Abb. 2, Taf. VII, Abb. 6.

137 Krüger, Georg: Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Freistaates Mecklenburg-Stre-litz, Bd. 1, 1: Das Land Stargard. Neubrandenburg 1921, S. 110f. identifiziert die Pilger-zeichen nicht; sie werden aber sorgfältig nachgezeichnet. Nach freundlicher Mitteilung von Monika Schaugstat (Güstrow) existiert die Glocke nicht mehr.

138 Zur Identifikation des Blomberger Pilgerzeichens vgl. Kühne, Brumme: Jenseits (Anm. 120), S. 136-138.

139 Zur Identifikation des Schweriner Pilgerzeichens vgl. Kühne, Hartmut: Zur Konjunktur von Heilig-Blut-Wallfahrten im spätmittelalterlichen Mecklenburg, erscheint in: Jahrbuch für Mecklenburgische Kirchengeschichte. Mecklenburgia Sacra 12 (2009), S. 76-115, hier S. 91f. und S. 115; Abb. 7.

140 Majewski, Marcin: Ludwisarstwo Stargardskie i pomorskie XIV -XVII wieku. Stargard 2003, S. 98-103; dort: S. 98f.

141 Evangelisches Zentralarchiv (Anm. 133), Karteikarte 974.142 Warncke, Johannes: Mittelalterliche Pilgerzeichen aus Lübeck und Lauenburg. In: Nor-

delbingen 8 (1930/31), S. 158-183; hier Abb. 15 und 16; Haasis-Berner, Poettgen: Pilger-zeichen (Anm. 110), S. 197.

143 Diese bisher nicht weiter diskutierte Identifikation stammt von Warncke: Pilgerzeichen (Anm. 142).

hundert durch das Zusammenspiel mit den maßgeblichen Wallfahrtsbewegun-gen einen wichtigen Platz in der nord- und mitteldeutschen Wallfahrtsgeografie einnahm. Dazu trug wesentlich der dort propagierte Papstablass bei, der den Besuch des Klosters gewissermaßen in eine Romreise verwandelte. Auch wenn es sich um eine später noch veränderte Fälschung aus der Zeit um 1400 handelte,

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144 Hier sei auf zwei Beiträge Siegfried Bräuers verwiesen – die vielen anregenden Gespräche sind dabei aber mitgedacht: Bräuer: Wallfahrtsforschung (Anm. 42) und Ders. Wallfahrt in reformationsgeschichtlicher Perspektive. Forschungsgeschichte und Desiderata. In: Hrdina, Jan, Kühne, Hartmut und Müller, Thomas, T. (Hgg.): Wallfahrt und Reformati-on – Pout’ a reformace. Zur Veränderung religiöser Praxis in Deutschland und Böhmen in den Umbrüchen der Frühen Neuzeit (Europäische Wallfahrtsstudien 3), Frankfurt a.M. u. a. 2007, S. 29-62.

besaß diese Indulgenz eine unbestrittene Autorität, die auch der Brief Heinrich Hanners bezeugt, indem er die ‚Alterwürdigkeit’ des schon „vor vielen Jahren“ gepredigten Ablasses von Königslutter indirekt mit den fragwürdigen, neuen Ablässen der Dominikaner konfrontiert. Der Brief Heinrich Hanners führt auf diese Weise in Zusammenhänge hinein, die im Rahmen der Müntzerforschung oder auch – allgemeiner – der Reformationsgeschichte bisher kaum eine Rolle gespielt haben. Daher ist es nicht leicht, für diese Themen der ‚vorreformato-rischen’ Frömmigkeit im Rahmen der protestantischen Kirchengeschichte ein Forum zu finden. Im Gegensatz zu diesem Mainstream hat sich Siegfried Bräu-er in den letzten Jahren nicht nur im Gespräch offen für solche Fragen gezeigt – er hat sich auch vom Interesse an diesen Themen mitnehmen lassen und uns aus seiner reichen Kenntnis der Geschichte des späten 15. und des 16. Jahrhun-derts immer wieder Hinweise und Anregungen mitgeteilt.144 Dafür sei ihm auch durch diesen Beitrag Dank gesagt.