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CULTURAL HERITAGE Archäologie als Teil der Gegenwart Kulturerhalt in Ägypten PANORAMA 40.000 Jahre Musik … Nachbau antiker Instrumente FOKUS Archaeological Heritage Network Ein Netzwerk für den Erhalt des kulturellen Erbes TITELTHEMA 1 2016 Archäologie Weltweit – Vierter Jahrgang – Berlin, im Juli 2016 – DAI UNTERWEGS Magazin des Deutschen Archäologischen Instituts Wege und Wanderungen in der Antike ARCHÄOLOGIE WELTWEIT 1 2016 TITELTHEMA UNTERWEGS

Magazin \"Archäologie Weltweit\" Ausgabe 1-2016

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C u lt u r a l H e r i ta g e

Archäologie als Teil der GegenwartKulturerhalt in Ägypten

pa n o r a m a

40.000 Jahre Musik … Nachbau antiker Instrumente

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Archaeological Heritage NetworkEin Netzwerk für den Erhaltdes kulturellen Erbes

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Magazin des Deutschen Archäologischen Instituts

Wege und Wanderungen in der Antike

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Wenn wir unser kulturelles Erbe erhalten

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Wie Sie uns helfen

können, sehen Sie hier:

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gesellschaft der Freunde des  deutschen Archäologischen Instituts

Theodor wiegand gesellschaft e. V. wissenschaftszentrum Bonn

Ahrstraße 45, 53175 Bonn

Nadja Kajantel.: +49 228 30 20

Fax: +49 228 30 22 70 [email protected]

Theodor wiegand gesellschaftdeutsche Bank Ag, essen

IBAN de20 3607 0050 0247 1944 00BIC deUtdedeXXX

oderBonner sparkasse, Bonn

IBAN de88 3705 0198 0029 0058 08BIC COLsde33XXX

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Vielen Dank!

TWG

In der Nähe des sees genezareth im Norden Jordaniens liegen die Ruinen der antiken stadt gadara. die hellenistisch-römische stätte – heute heißt der Ort Umm Qays – ist schauplatz eines außergewöhnlichen workshops. Auf dem Programm steht Unterricht in traditioneller steinbear-beitung, einem Handwerk, das in der Region fast in Vergessenheit geraten war. Praxisnah und anschaulich vermitteln Meister André gravert und geselle tobias Horn, steinmetze und Restau-ratoren im Handwerk, einem gemischten team von Jordaniern und syrern grundzüge traditio-neller steinbearbeitung. Ziel ist einerseits Capacity Building für die Bevölkerung vor Ort. Zum anderen sollen aber auch die syrischen Kursteilnehmer in die Lage versetzt werden, die neu erworbenen Fähigkeiten beim wiederaufbau ihres Landes einzusetzen. die Idee zu dieser weiterbildungsmaßnahme, die auch vom Auswärtigen Amt unterstützt wird, hatte die dAI-Bauforscherin dr. Claudia Bührig, die auch das Konzept entwickelte.

Meisterklasse am See Genezareth. Jordanische und syrische Handwerker lernen für die Zukunft ihrer Länder. Foto: Bührig, DAI

ArcHäoloGie welT weiTOrte und Regionen in dieser Ausgabe

ägypten. Cultural heritage, landschaft, seite 18, 28llanos de mojos. Bolivien. landschaft, seite 28wuqro. Äthiopien. Das Objekt, seite 38samos. griechenland. titelthema, seite 56umm al-Houl. Katar. titelthema, seite 58ostseeküste. Deutschland, Polen. titelthema, seite 58

malaita. salomonen. titelthema, seite 65wanderungen und migrationsströme vom Fruchtbaren halbmond bis Mitteleuropa und innerhalb Europas. titelthema, ab seite 40teheran. Iran. standort, seite 82

d a s t i t e l b i l d

Um 3000 v. Chr. ging im südpazifik eine Art Völker-wanderung vonstatten. In 20 Meter langen groß-

kanus kamen Menschen über den Ozean und besiedel-ten nach und nach die pazifische Inselwelt. Vom Bismarck-

Archipel in Papua-Neuguinea aus stießen die lapita-leute, benannt nach einer Fundstelle auf der Foué-halbinsel in Neukaledonien, bis zu den salomonen und Vanuatu vor. später breitete sich die lapita-Kultur nach Fidschi, tonga und schließlich samoa aus. Doch woher kamen sie? Kamen sie aus südchina, taiwan, von den Philippinen oder gar aus Indonesien? Oder doch aus dem Bismarck-Archipel, wo die ältesten spuren dieser Kultur gefunden wurden?wanderungen sind ein Dauerphänomen der Menschheitsgeschich-te. Einige ihrer wege und Ziele werden im DAI erforscht. sie sind diesmal unser titelthema.

Boote vor Malaita. Foto: Moser

Die ruinen von Persepolis wurden seit dem frühen 19. Jahrhundert archäologisch dokumentiert. Friedrich Krefters Fotografien, Aquarelle und Zeichnungen aus den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts besitzen hohen dokumentarischen wert. Foto: Krefter

archäologie weltweit _ 01

Edit

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editorial

liEbE lEsErin, liEbEr lEsEr,

wenn die welt in Bewegung gerät und alte rituale der Selbstvergewisserung auf dem Prüfstand stehen, kann es mitunter schwierig sein, die anker zu identifizie-ren, die noch ein Minimum an Sicherheit bieten, sei es im denken oder im handeln. Solche anker in der Vergangenheit zu su-chen, wird vielfach zu recht kritisiert – es sei denn, wir reden von einer Vergangen-heit, die uns eines Besseren belehren kann, wenn es darum geht, in scheinbar aus-weglosen Situationen lösungen zu finden. der integrierte Blick in die geschichte, wie er in der modernen archäologie gängige Praxis ist, zeigt nämlich, dass welten in Bewegung ein ziemlich normales Phäno-men sind und dass auch die welt, in der wir heute leben, das ergebnis vieler sich überschneidender Bewegungen ist.

Man kann gerade heute nicht genug da-rauf hinweisen, dass die lebensweise, die wir die unsere nennen, die wir für selbst-verständlich nehmen und aus der wir Selbstvergewisserung ziehen, auch nur im Zuge einer Bewegung zu uns gekommen ist. die Vorstellung allein autochthoner Kulturen, die getrennt voneinander je aus sich selbst heraus entstanden, wird zwar in der Forschung als alleiniges Modell für die entwicklung von Kulturen nicht mehr ver-treten, scheint aber in Momenten der Un-sicherheit – falsch begründeten – rückhalt zu bieten. Und Vorstellungen von „aufstie-gen“ und „Niedergängen“ unterschätzen die Komplexität der Bewegungen, die nie aufhören, unsere gemeinsame welt zu

formen und zu verändern und mit ihr die Menschen, die darin leben.

auch die archäologie ist in Bewegung. längst hat sie den Blick erweitert und schaut nicht mehr „nur“ auf objekte und denkmäler, sondern auch auf die Men-schen, die sie schufen. Sie folgt den kom-plexen wegen, die Menschen und ihr wissen in raum und Zeit gingen, um so die Vergangenheit mit der gegenwart zu verbinden. die welt in Bewegung ist auch das titel-thema dieser ausgabe von archäologie weltweit. Nach neolithischen reisen geht es weiter zu griechischen internationalen heiligtümern, ins imperium romanum kurz vor seiner transformation in das Mit-telalter, zu häfen auf verschiedenen Konti-nenten bis schließlich in den weit entfern-ten Südpazifik. wie man durch gründung eines „archaeological heritage Network“ aktuelle Bewegungen zum anlass neh-men kann, sich auf gemeinsame Ursprün-ge zu besinnen und zusammenzuarbeiten, zeigt unser „Fokus“, und das „Panorama“ berichtet, welches menschliche Bedürfnis seit 40.000 Jahren eine wesentliche rolle in unser aller leben spielt: Musik.

Viel Vergnügen bei der lektüre wünscht ihnenihre

Prof. dr. dr. h. c. Friederike Fless

Prof. dr. dr. h. c. Friederike FlessPräsidentin des Deutschen Archäologischen InstitutsFoto: Kuckertz

02 _ archäologie weltweit archäologie weltweit _ 03

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iNhalt

nachrichtEn

Fokus

archaeological heritage network

ein Netzwerk für den erhalt des kulturellen erbes

cultural hEritagE

archäologie als teil der gegenwart

Kulturerhalt in ägypten

standPunkt

connecting cultures

landschaFt

ströme – die landschaften von Nil und amazonas

das objEkt

Ein sabäisches heiligtum – der libationsaltar in wuqro

titElthEma

unterwegs – wege und wanderungen in der antike

Völkerwanderung? – eine Klärung der Begriffe

auf dem Weg nach Europa –

die ausbreitung des Neolithikums

iranisches Neolithikum

kompetenznetzwerke –

wie das wissen in Bewegung kommt

schmelztiegel –

die internationalen Vernetzungen bedeutender heiligtümer

tore zur Welt – häfen an der ostsee und am arabischen golf

seewege – einwanderung auf die Salomonen

im Porträt

heinz-Jürgen Beste

Martin Bachmann

alltag archäologiE

die kunst im bild – Fotografinnen und Fotografen am dai

standort

archäologie im iran – die außenstelle teheran

Panorama

40.000 jahre musik –

das european Music archaeology Project

imPrEssum

titElthEma

UNterwegSWege und Wanderungen

in der Antike

Fokus

archaeological heritage NetworK

Ein Netzwerk für den Erhalt des kulturellen Erbes

cultural hEritagE

archäologie alS teil der gegeNwartKulturerhalt in Ägypten

landschaFt

StröMeDie Landschaften von Nil

und Amazonas

Panorama

40.000 Jahre MUSiK Das European Music Archaeology Project

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alltag archäologiE

die KUNSt iM BildFotografinnen und Fotografen

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archäologie weltweit _ 0504 _ archäologie weltweit

Jahresempfang des Deutschen Archäologischen Instituts

mit Bundesaußenminister Frank-Walter SteinmeierStart des Projekts »Stunde Null« und Gründung des Archaeological Heritage Network

am 27. april 2016 wurde in anwesenheit von außenminister Frank-walter Steinmeier das Projekt „Stunde Null – eine Zukunft für die Zeit nach der Krise“ offiziell gestartet. es geht auf eine ini-tiative des deutschen archäologischen instituts (dai) zurück und steht auf einer breiten Basis kooperierender einrichtungen, dem archaeological heritage Network. Ziel des Netzwerks ist die Bün-delung der vielfältigen Kompetenzen an hochschulen, außeruni-versitären Forschungseinrichtungen und Museen, in Verbänden und einrichtungen der landesarchäologie und landesdenkmal-pflege, um sie für die konkrete arbeit im ausland einsetzbar und sichtbar zu machen.

außenminister Steinmeier betonte in seiner ansprache „die Pro-jekte, die wir mit der initiative „Stunde Null“ fördern, sind komplex und vielschichtig. So vielschichtig und komplex, mag manch einer sagen, wie die herausforderungen, die mit dem wiederaufbau Sy-riens einhergehen werden!“die Zerstörung des kulturellen erbes in Syrien und im irak durch den sogenannten islamischen Staat schafft übermächtige, eigens medial inszenierte Bilder beispielsweise von der Sprengung der tempel in Palmyra. dabei gerät mitunter aus dem Blick, dass seit 2011 syrische Städte und große teile des kulturellen erbes zerstört

werden, die zum lebensalltag der Menschen gehören. aus dem Blick gerät manchmal auch die Frage, wie Syrien nach dem ende der Krise als lebensraum für Menschen wieder aufgebaut werden kann.das deutsche archäologische institut als eine der größten archäo-logischen Forschungseinrichtungen weltweit initiierte das Projekt

„Stunde Null“, um für diese herausforderung Kompetenzen zu bündeln und Synergieeffekte zu schaffen. die Zusammenarbeit soll jedoch nicht auf dieses thema beschränkt werden. Vielmehr will es künftig weitere Projekte initiieren und ist offen für erwei-terung.

„wir verfügen in deutschland über große Kompetenzen auf die-sem Feld. aufgrund föderaler Strukturen sind diese in zentralen Bereichen jedoch auf die Bundesländer bezogen“, erklärte dai-Präsidentin Friederike Fless. „andere einrichtungen haben einen explizit auf deutschland bezogenen auftrag. diese Kompetenzen auch für die konkrete arbeit im ausland sichtbar und einsetzbar zu machen, ist ein Ziel des archaeological heritage Network. ein anderes besteht darin, hiervon wiederum zu lernen und das eige-ne handeln in globaler Spiegelung zu reflektieren.“

diE aktuEllE hErausFordErung

die tempel von Palmyra sind bedeutende Stätten des kulturellen erbes in Syrien. doch beim wiederaufbau Syriens müssen auch andere Maßnahmen des Kulturerhalts Priorität haben. höchste eile ist geboten, wenn es darum geht, syrische Städte mit ihren antiken denkmälern und historischen Stadtkernen zu retten und zu erhalten. es kann also nicht allein um die Frage gehen, wie man die tempel von Palmyra rekonstruiert, sondern vielmehr darum, wie man zum Beispiel mit dem bereits 2012 zerstörten Basar von aleppo, einem UNeSco-welterbe, verfahren will. Soll die altstadt von aleppo in ihrer Struktur erhalten und teilweise wieder auf-gebaut werden oder will man sie durch eine neu gebaute Stadt ersetzen? Syrische experten werden gemeinsam mit deutschen Kollegen daran arbeiten, die notwendigen dokumentationen von Bauten und stadtplanerischen Bestandsaufnahmen durchzuführen, um zielführende Planungsprozesse gestalten und schließlich durch-führen zu können.im Mittelpunkt des Projekts „Stunde Null“ steht daher die weiter-bildung syrischer architekten, archäologen, denkmalpfleger, Bau-forscher, Stadtplaner und vor allem handwerker. ein großer teil der aus- und weiterbildung findet in den Nachbarländern Syriens statt, die Flüchtlinge aufgenommen haben. Für hochschulabsol-venten stehen darüber hinaus Stipendien für Masterstudiengän-ge in Baudenkmalpflege an der helwan University in Kairo und an der german Jordanian University in amman zur Verfügung. in ergänzung dazu werden Flüchtlinge und lokale Kräfte bei arbei-ten zum erhalt bedeutender denkmäler im libanon, in Jordanien und in der türkei professionell geschult und zu Fachkräften wei-tergebildet.So vereint das Projekt humanitäre hilfe, indem es arbeitsplät-ze schafft und Perspektiven durch ausbildung eröffnet – nicht in abstrakten lehreinheiten, sondern in konkreter Planung und anwendung beim wiederaufbau und damit erhalt bedeutender denkmäler in der region.

GründunGsmitGlieder des netzwerkes:Baudenkmalausschuss des Deutschen Archäologischen InstitutsBrandenburgische Technische Universität Cottbus-SenftenbergDeutsche Stiftung DenkmalschutzDeutsche UNESCO-KommissionDeutscher Akademischer AustauschdienstDeutsches Archäologisches InstitutDeutsches Nationalkomitee für DenkmalschutzDeutsches Nationalkomitee von ICOMOSGerda Henkel StiftungDeutsche Gesellschaft für Internationale ZusammenarbeitHochschule für Technik und Wirtschaft BerlinKoldewey-Gesellschaft (Vereinigung für baugeschichtliche Forschung e. V.)Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule AachenRömisch-Germanisches Zentralmuseum MainzStiftung Preußischer KulturbesitzVerband der LandesarchäologenVerein der „Freunde der Altstadt von Aleppo“Vereinigung der Landesdenkmalpfleger

dai-Präsidentin Fless dankte dem Mi-nister ebenso wie den Mitgliedern des deutschen Bundestages für ihr persön-liches engagement und ihre entschei-dungen, die eine Finanzierung und Umsetzung des Projektes „Stunde Null“ überhaupt erst möglich machen.das Netzwerk und das Projekt werden vom auswärtigen amt unterstützt.

Sondermittel „Flucht und Migration“ des auswärtigen amts tra-gen dazu bei, das Projekt in den nächsten Jahren umzusetzen. die gerda henkel Stiftung fördert zahlreiche Stipendien und Projekte im Kontext des Projektes „Stunde Null“.

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GründunGsmitGlieder des archaeological heritage Network Fotos: PaaschVolles haus in der hauptstadtrepräsentanz der telekom.dai-Präsidentin Fless begrüßt außen-minister Steinmeier zum Jahresempfang.

DAI-Präsidentin Prof. Dr. Dr. h. c. Friederike Fless

NachrichteN

archäologie weltweit _ 0706 _ archäologie weltweit

Der Wissenschaftsrat im DAI Neue Arbeiten des DAI im Irak»Ein Glanzstück des Wissenschaftssystems« Wiederaufnahme

„das dai wird von Forschenden sowie antiken- und denkmal-schutzbehörden zahlreicher länder als kompetenter Kooperati-onspartner und vorzüglicher Botschafter deutschlands geschätzt und trägt zu einem positiven Bild deutschlands im ausland bei. das institut gehört zu den glanzstücken unseres wissenschafts-systems“. Mit diesen worten fasste der Vorsitzende des wissen-schaftsrats, Prof. dr. Manfred Prenzel, die ergebnisse der neuesten Stellungnahme zum deutschen archäologischen institut (dai) zusammen.

als eine der international „renommiertesten geisteswissenschaft-lichen Forschungs- und Forschungsinfrastruktureinrichtungen deutschlands“ habe das dai sein wissenschaftliches Profil in den vergangenen Jahren weiter geschärft und profiliere sich insbe-sondere in der globalarchäologie, die über große geografische und zeitliche räume interdisziplinär arbeitet und kulturelle inter-aktionen untersucht. Zur positiven Beurteilung trägt weiterhin bei, dass das institut das Methodenspektrum besonders in den Bereichen Naturwissenschaften und informationstechnologie kontinuierlich erweitert und eine herausragende rolle in der archäologischen und altertumswissenschaftlichen Nachwuchs-förderung einnimmt.

wieGandhausdas deutsche archäologische institut. Zentrale im Berliner Stadtteil dahlem. Foto: Grunwald

Nach 14 Jahren Unterbrechung nimmt das deutsche archäologi-sche institut die Feldforschung im Südirak wieder auf. ein inter-nationales team aus zehn aus deutschland angereisten archäolo-gen und Spezialisten sowie sieben irakischen archäologen unter leitung von Margarete van ess, leiterin der außenstelle Bagdad des dai, führte einen archäologischen Umlandsurvey in Uruk, der Metropole des legendären Königs gilgamesch, durch und bereite-te Projekte zur weiteren erforschung der archäologischen Stätten und ihrer Konservierung vor. Konservierungsmaßnahmen an be-reits ausgegrabener architektur sind nach der langen Unterbre-chung dringend erforderlich. das team dokumentierte die Schä-den, die durch Umwelteinflüsse entstanden sind, um auf dieser grundlage detaillierte Maßnahmen entwickeln zu können. im rahmen des Surveys wurden zudem alle archäologischen res-te sowie hinweise auf antike Bodennutzung in einem radius von drei Kilometern um die antike Stadtmauer herum kartiert. die da-ten wurden bereits vor ort in ein geoinformationssystem aufge-nommen. erste ergebnisse stehen daher sofort zur Verfügung und können direkt an die örtlichen Behörden weitergegeben werden. Mit den Untersuchungen war ein Fortbildungsprogramm für jun-ge irakische und deutsche archäologen verbunden. es war Fort-setzung und erweiterung der alljährlichen Sommerschulen der orient-abteilung des dai für irakische Nachwuchswissenschaftler.

al-hira

auch in al-hira konnte ende 2015 ein deutsches archäologenteam einen zweiwöchigen Survey durchführen. die leitung haben Margarete van ess und Martina Müller-wiener in Kooperation mit Mitarbeitern der technischen Universität Berlin. die Kooperati-onspartner arbeiteten eng mit der irakischen antikenverwaltung von Najaf zusammen. das internationale team inspizierte wesent-liche teile des umfangreichen Stadtgebiets, kartografierte archi-tektur- und topografiebefunde und erfasste Keramik- und sonsti-ge Kleinfunde. So sollte der Umfang der ursprünglich besiedelten Flächen ermittelt und die jeweiligen Stadtteile bestimmt werden. al-hira war eines der bedeutenden städtischen Zentren des irak. al-hira gilt als Vorgängerstadt Kufas, der ältesten islamischen Stadtgründung im irak. aus früheren ausgrabungen ist der be-deutende Beitrag al-hiras in der geschichte des Zweistromlandes in der Spätantike bekannt. der Survey brachte wesentliche neue erkenntnisse. die archäo-logen konnten Funde aus früheren internationalen Vorhaben präziser lokalisieren und auf großen Flächen neue Siedlungsreste dokumentieren. am Survey war auch eine gruppe junger irakischer archäologen beteiligt, die im rahmen des weiterbildungsprogramms des dai moderne technologien in der archäologie trainierten. dieses Pro-gramm wird maßgeblich vom auswärtigen amt (aa) finanziert. das wissenschaftliche Personal aus deutschland wurde durch die schweizerische Fondation Max van Berchem unterstützt.

uruk ist eine der größten grabungsstätten des dai im irak. Foto: Wagner

eiN iNterNatioNaleS teaM inspizierte wesentliche Teile des Stadtgebiets von Al-Hira, eine sehr bedeutende Stadt der Spät- antike und wichtig für die Entwicklung des mittelalterlichen Irak. Foto: DAI Orient-Abteilung

Vor dem hintergrund rasanter digitalisierung auch in den geistes-wissenschaften erwähnt der wissenschaftsrat mit Nachdruck das iaNUS-Forschungsdatenzentrum für die Forschung und Vernet-zung der archäologien und altertumswissenschaften, eine Platt-form, die von einem Verbund deutscher wissenschaftlicher ein-richtungen unter Federführung des dai entwickelt und betrieben und von der deutschen Forschungsgemeinschaft (dFg) finanziert wird. das Konzept von iaNUS als langzeitarchiv und digitales Forschungsdatenzentrum zur archivierung und Bereitstellung von Projektdaten wird in den archäologien und altertumswissen-schaften dringend benötigt. Besonders beeindruckt zeigten sich die gutachter von den leistungen des dai nicht nur auf wissen-schaftlichem gebiet, sondern auch in den Bereichen Kulturerhalt und auswärtige Kultur- und Bildungspolitik.der wissenschaftsrat bestärkt daher das auswärtige amt aus-drücklich in seinem Bestreben, den Umfang des institutionellen haushalts des deutschen archäologischen instituts zu erhöhen.

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archäologie weltweit _ 0908 _ archäologie weltweit

iN eiNSaMeN höheN …

ein halbes Jahrhundert arbeit deutscher archäologen im iran ist im iranischen Nationalmuseum in teheran nun für die öf-fentlichkeit sichtbar. am 24. april 2016 wurde die ausstellung

„tehran 55: ein halbes Jahrhundert deutsche archäologen in iran“ feierlich eröffnet. die ausstellung war zuerst 2011 im Berliner Museum für islamische Kunst (SMB) zu sehen. Konzipiert hatten sie Barbara helwing, die damalige leiterin der außenstelle te-heran und Patricia rahemipour von der eurasien-abteilung des deutschen archäologischen instituts. anlass war das 50-jährige Bestehen der außenstelle. in teheran wird eine leicht geänderte Fassung der ursprünglichen Präsentation gezeigt.grußworte sprachen Jebrael Nokandeh, direktor des iranischen Nationalmuseums, der deutsche Botschafter im iran Michael von Ungern-Sternberg, der die ausstellung eröffnete, Mohamm-adreza Kargar (ichhto) und Mohammad Beheshti, direktor des Forschungszentrums der iranischen antikenbehörde (richto//ichhto). Judith thomalsky, leiterin der außenstelle teheran, führte die gäste mit einem Vortrag in die thematik der ausstellung ein, welche die Vorgeschichte und die geschichte der außenstelle teheran zeigt. Präsentiert werden aber nicht nur Fundstücke aus ausgrabungen und archivalien, sondern mit Bildern und Korres-pondenz auch ein Stück wissenschaftsgeschichte. Zu Beginn der ausstellung werden die Besucher mit ersten informationen zur Sache versorgt, Vertiefungen gibt es, falls gewünscht, an den ein-zelnen Stationen.

höhepunkt des Festakts war die feierliche Übergabe des Katalogs „tehran55“, der in der redaktion von Yousef hassanzadeh vom ira-nischen Nationalmuseum von hamid Fahimi ins Persische über-setzt worden war.ermöglicht wurden ausstellung und Übersetzung des Katalogs ins Persische unter anderem durch Sondermittel des auswärtigen amts. Begleitet wird die ausstellung von Vorträgen zu archäologi-schen Projekten des dai im iran.

Ausstellung im Iranischen Nationalmuseum

»Tehran55«

Das Plakat zur Ausstellung „Tehran55“

Judith thomalsky, leiterin der außenstelle teheran des dai, führt in die ausstellung ein. Übersetzung: M. Ahmadi.

Jebrael Nokandeh, direktor des iranischen Nationalmuseums, spricht das grußwort.

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… ScheiNeN Sich die BeideN FigUreN ZU BewegeN.

hoch vielleicht, aber sicher nicht einsam. aleppo zählte einst zu den wichtigsten handelszentren des Nahen ostens. Besonders in der altstadt von aleppo mit lebendigen Basaren und der Zitadelle herrschte reges treiben. hier wurden anfang des 20. Jahrhunderts die Karawanen richtung irak ausgerüstet. Von hier aus brachen auch deutsche archäologen zu Pferd zu ihren Forschungen im irak auf.

das Foto stammt von walter Bachmann, der an den ausgrabun-gen von assur und Kar tukulti Ninurta mitgearbeitet hat. wir schreiben das Jahr 1914. Zu sehen ist das haupttor zur Zitadelle von aleppo.

Bilder wie diese gehören zu den reichen Beständen des dai, die nun digitalisiert und syrischen einrichtungen zur Verfügung ge-stellt werden, um Vorlagen beim wiederaufbau zerstörter Kultur-güter bieten zu können.

siehe auch: archäologie weltweit, Sonderausgabe „rekonstruktionen“

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Zu Gast in DeutschlandAkademischer Austausch mit Ägypten

die gäste besuchten Universitäten, Mu-seen, Forschungseinrichtungen und aka-demien ihrer jeweiligen Fachrichtungen in Berlin, Bonn, heidelberg, hildesheim, leipzig, München und würzburg. dabei konnten sie einen Blick hinter die Kulissen werfen und in Magazinen, Bibliotheken, laboratorien und Sammlungen einen ein-druck vom deutschen wissenschaftsbe-trieb gewinnen.So konnte zum Beispiel eine gruppe von zehn Studierenden der Papyrologie ende letzten Jahres an einem Papyrologie-workshop im ägyptischen Museum und der Papyrussammlung der Staatlichen Mu-seen zu Berlin teilnehmen. das Studium der Papyri offenbart unter anderem wich-tige Sozial- und wirtschaftsdaten aus dem alten ägypten. Zurück in Kairo, trugen die ägyptischen gäste ihre rechercheergeb-nisse vor und äußerten den wunsch, mit den deutschen Kommilitonen, Kollegen und institutionen in Kontakt zu bleiben.

dank der Finanzierung durch das auswär-tige amt (aa) konnte die abteilung Kairo des deutschen archäologischen instituts 29 einladungen an ägyptische Studieren-de für Studienaufenthalte aussprechen, damit sie deutsche Universitäten besu-chen können. ägyptologie, Koptologie, islamische archäologie, Papyrologie so-wie Konservierungs- und Museumskun-de sind akademische disziplinen, die an deutschen Universitäten einen internati-onal hervorragenden ruf genießen. dar-über hinaus erfahren die vermeintlichen

„orchideenfächer“ wachsende Bedeutung für den erhalt des kulturellen erbes.

Junge ägyptische akademikerinnen zu gast in deutschland. Foto: DAI Kairo

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FoKUS

archaeological heritage NetworKEin Netzwerk für den Erhalt des kulturellen Erbes

as Deutsche Archäologische Institut als die Forschungseinrichtung des Auswärtigen Amtes setzt inter- national Maßstäbe. Gemeinsam wer-den wir ein Archaeological Heritage Network gründen, das Kompetenzen bündelt und von der kulturellen Bil-dung über die gemeinsamen Grabun-gen und Restaurierungen bis hin zur wissenschaftlichen Auswertung für aktuelle Fragen wie den nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen nutzbar macht und vor allem eines gewährt: Zugang zum kulturellen Erbe der Welt hier in Berlin sowie das gemeinsame Erarbeiten von Weltwissen.«*

Frank-Walter Steinmeier

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* Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Mai 2015

reStaUrierUNg aUF der NiliNSel elePhaNtiNe bei Assuan in Ägypten. Teile der Arbeiten wurden aus Mitteln der Transformations-partnerschaft des Auswärtigen Amts unterstützt.

Foto: DAI Kairo

in Zeiten von Umbruch und Krise steht die gewährleistung der Sicherheit von leib und leben und die grundversorgung mit dem lebensnotwendigen der Menschen an erster Stelle. in Zeiten feh-lender gewissheiten ist Selbstvergewisserung in der eigenen tra-dition und kulturellen Überlieferung darüber hinaus ein wichtiger Faktor, so etwas wie eine Verankerung in der eigenen geschich-te herstellen zu können. Kultur und tradition manifestieren sich dabei nicht nur in gebäuden und objekten, sondern auch in den Fähigkeiten der Menschen, sie zu konzipieren und herzustellen. Kulturelle Konzepte bestimmen aber auch die art und weise, wie Menschen das Verhältnis zu ihrer natürlichen Umgebung bestim-men und gestalten.die Zerstörung des kulturellen erbes hat vielfältige Ursachen. Krieg ist diejenige Ursache, die durch die aktuellen ereignisse in ländern wie Syrien, im irak oder im Jemen derzeit am deutlichs-ten vor augen stehen. in medial inszenierten spektakulären akti-onen vernichtete der sogenannte islamische Staat weltbekannte Kulturstätten und denkmäler. doch fast unbemerkt von der welt-öffentlichkeit verlieren Menschen in der kriegsgeschüttelten re-gion fast täglich auch kulturelles erbe, das für sie zur alltäglichen lebenswelt gehört. Krisen verstärken zudem die Bedrohung des

kulturellen erbes durch raubgrabungen und Plünderungen für den weltweit operierenden illegalen Kunsthandel. Zu den von Menschen gemachten gefährdungen des Kulturerbes gehört auch die Vernichtung ganzer Kulturlandschaften durch weit-läufige infrastrukturmaßnahmen und rücksichtslosen ressour-cenabbau. aber auch Umweltfaktoren wie wind, Niederschläge und Überschwemmungen bedrohen mit der Zeit archäologische denkmäler in ihrer Substanz.

aktuEllE hErausFordErungEn

es ist aber die lage in den Krisenregionen des Nahen ostens, durch welche die Notwendigkeit, das kulturelle erbe zu schützen und zu erhalten, wieder stärker ins Bewusstsein rückt und zuneh-mend auch auf politischer ebene an Bedeutung gewinnt. doch Kulturerhalt geht weit über den erhalt, die Sicherung und restau-rierung bedeutender kultureller Stätten und denkmäler hinaus.

Kulturerhalt bedeutet auch, traditionelles handwerk mit inno-vativen Methoden zu verbinden sowie arbeitsplätze zu schaffen und so wirtschaftliche impulse zu setzen, die zur Stabilisierung in den gast- und Partnerländern beitragen. alte Konzepte von geschlossenen Kulturräumen oder gar asymmetrische hilfsan-gebote können dabei aber keine grundlage bieten. Zum einen werden in einer rasch sich verändernden welt die diskurse über nationale und kulturelle identitäten komplizierter und mit ihnen die entscheidungen darüber, welche herangehensweise gewählt und welche Prioritäten beim erhalt des kulturellen erbes gesetzt werden sollen. Zum anderen gilt es, kooperative Formate zu ent-wickeln, die das wissen, das über lange Zeit in institutionen wie dem dai gesammelt wurde, dort zur Verfügung zu stellen, wo es gebraucht wird.

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Meister andré gravert und geselle tobias horn, Steinmetze und restauratoren im handwerk, vermitteln grundzüge traditionel-ler Steinbearbeitung. Foto: Bührig

der „groSSe teMPel“ VoN Yeha ist ein einzigartiges Zeugnis sabäischer Baukultur in Äthiopien. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) werden ungelernte Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes in unterschiedlichen Handwerken ausgebildet. Foto: Wagner

KUltUrerhalt iM JeMeNFoto: Wagner

daS orchoNtal ist die Wiege spätnomadi-scher Stadtkultur im nördlichen Zentralasien und galt als heiliges Zentrum der Welt. Heute gehört es zum Welterbe der UNESCO.

Foto: Wittersheim

archäologie weltweit _ 1514 _ archäologie weltweit

die reStaUrierUNgSarBeiteN des DAI und seiner Partner in Pergamon sind unverzichtbar für den Erhalt des Weltkulturerbes. Foto: Bachmann

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das komPEtEnz-nEtzWErk

das expertennetzwerk „archaeological heritage Network“ ist kei-ne neue institution. Vielmehr geht es darum, vorhandene Kom-petenzen zu bündeln und so die notwendigen Synergieeffekte zu schaffen. im Netzwerk haben sich hochschulen und Forschungs-institute, Verbände und einrichtungen des denkmalschutzes, För-derinstitutionen, Museen, Berufsverbände und Stiftungen, aber auch private initiativen zusammengeschlossen. die internationa-len Vorhaben zur rettung des kulturellen erbes weltweit werden in einer rasant sich verändernden welt zunehmend komplexer. diesen veränderten herausforderungen kann man nur gemein-sam begegnen – auch wenn es gilt, auf internationaler ebene er-folgreich Mittel einzuwerben und die Sichtbarkeit des deutschen engagements zu steigern. deutschland besitzt aufgrund seiner historischen erfahrungen besondere expertise im Bereich der „Postwar reconstruction“, bei der entscheidungsrelevante theorie und logistische Praxis hand in hand arbeiten müssen. diese expertise wird zunehmend nach-gefragt.

in den einschlägigen internationalen Netzwerken verspricht man sich von einem starken deutschen Netzwerk einen positiven ein-fluss auf die entwicklung profunder Konzepte im Kulturerhalt

– was umgekehrt positive rückkopplungseffekte auf Forschung, lehre und ausbildung in deutschland haben würde. deutsche hochschulen und Forschungseinrichtungen besitzen eine Fülle von Kompetenzen für den Bereich des archäologischen Kulturerhalts, die jedoch nicht gebündelt, sondern in einem brei-ten Spektrum aufgelöst sind. Sie werden in zahlreichen Studien-gängen vermittelt und umfassen sowohl ein breites Spektrum archäologischer Forschung wie auch architektur und historische Bauforschung. Methoden der Schadenserfassung sowie res-taurierung und Konservierung gehören dazu, ebenso wie Site Management und nicht zuletzt die inhaltliche erschließung und Vermittlung an Besucherinnen und Besucher. in vielen ländern, die bedeutende denkmäler und welterbestätten beherbergen, ist der tourismus ein wichtiger wirtschaftsfaktor.

das ErstE ProjEkt – diE „stundE null“

Das Archaeological Heritage Network hat sich in seiner konsti-tuierenden Sitzung 2015 auf ein erstes gemeinsames Vorha-ben geeinigt. Das Projekt „Stunde Null“ bietet Plattform und Rahmen, um syrische Fachleute, Studierende und zukünftige Entscheidungsträger zusammenzubringen und in den Berei-chen Architektur, Archäologie, Denkmalpflege, Bauforschung und Stadtplanung sowie im Handwerk aus- und weiterzubil-den, und zwar sowohl in Deutschland wie auch in Ländern der Region. Ziel ist es, sie dabei zu unterstützen, die Zukunft ihres Landes planen und gestalten zu können. Während des Jahres-empfangs des DAI am 27. April 2016 wurde es in Anwesenheit von Außenminister Frank-Walter Steinmeier offiziell gegründet.

dieses multidisziplinäre wissenschaftliche angebot, das theorie und Praxis miteinander verbindet, besitzt eine große internatio-nale ausstrahlung und zieht daher zahlreiche Studierwillige, aber auch gastforscher aus allen ländern der welt an.die Beschäftigungsmöglichkeiten für absolventen dieser Studi-engänge sind vielfältig. Zum einen ist ihre expertise gefragt in zahlreichen nationalen und internationalen wissenschaftlichen und kulturellen einrichtungen wie hochschulen und Museen. Zum anderen bietet der wirtschaftliche Sektor attraktive angebo-te in spezialisierten architekturbüros und restaurierungsfirmen bis hin zu Positionen in der tourismusbranche. Nur mit einem ausbau dieser Kompetenzen wird es möglich sein, die Basis für eine erfolgreiche Kulturerhaltarbeit im ausland zu gewährleisten. die Verbindung von innovativer Forschung, nach-haltiger ausbildung, praxisorientierter arbeit und die Stärkung wirtschaftlichen Potentials zur Stabilisierung in gast- und Partner-ländern wird darüber hinaus langfristig zu einer erhöhten akzep-tanz der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik beitragen.

SteiNMetZSchUle iN gadaraSyrische Flüchtlinge in Jordanien werden an der archäologischen Stätte der 2000 Jahre alten hellenistisch-römischen Stadtanlage von Gadara in der Nähe von Umm Qays gemeinsam mit lokalen Akteuren in den Bereichen Restaurierung und Konservierung ausgebildet. In einem Trainingscamp für jordanische und syrische Handwerkerinnen und Handwerker werden zudem traditionelle Steinmetztechniken vermittelt. Foto: Bührig

SicherUNg UNd PräSeNtatioN der bronzezeitlichen Stadtmauer von Hattuscha in Zentralanatolien. Foto: Schachner

doKUMeNtatioN alS BaSiS FÜr KoNSerVierUNg UNd PräSeNtatioN: Architekten bei der Aufnahme der hellenis-tischen Stadtmauer von Oinoanda (Lykien, Türkei). Foto: Bachmann

archäologie weltweit _ 1716 _ archäologie weltweit

gründungsmitgliEdEr dEs archaEological hEritagE nEtWork

Baudenkmalausschuss des Deutschen Archäologischen InstitutsBrandenburgische Technische Universität Cottbus-SenftenbergDeutsche Stiftung DenkmalschutzDeutsche UNESCO-KommissionDeutscher Akademischer AustauschdienstDeutsches Archäologisches InstitutDeutsches Nationalkomitee für DenkmalschutzDeutsches Nationalkomitee von ICOMOSGerda Henkel StiftungDeutsche Gesellschaft für Internationale ZusammenarbeitHochschule für Technik und Wirtschaft BerlinKoldewey-Gesellschaft (Vereinigung für baugeschichtliche Forschung e.V.)Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule AachenRömisch-Germanisches Zentralmuseum MainzStiftung Preußischer KulturbesitzVerband der LandesarchäologenVerein der „Freunde der Altstadt von Aleppo“Vereinigung der Landesdenkmalpfleger

MUSeUMSBaU iN YehaFoto: Wagner

tiPPDas DAI gibt zum Projekt „Stunde Null“ eine Sonderausgabe von Archäologie Weltweit heraus. Sie erscheint zeitgleich mit dieser Ausgabe.

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cUltUral heritage

archäologie alS teil der gegeNwartKulturerhalt in Ägypten

ie will man in Ägypten Kultur er-halten und restaurieren? Wo anfangen, mag man sich fragen. Und wo enden? Schließlich geht es um 6000 Jahre, in denen kulturelle Zeugnisse von über-ragender Bedeutung und unschätzba-rem Wert für Land und Leute entstan-den, blieben oder versanken, zerfallen durch Naturgewalt oder Vernachläs-sigung, in Vergessenheit gerieten oder Teil der Gegenwart wurden.

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PharaoNiSche geSchichte UNter deM MiKroSKoP. In starker Vergrößerung wird der technische Aufbau der Pferdegeschirre und Waffenscheiden sichtbar, die im Grab des Tutanchamun gefunden wurden. Die Goldfolien sind auf einen Träger aus Leder, Textil, Füll- und Bindemitteln aufgetragen.

Abb.: Eckmann

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die größten Bedrohungen bringt die Moderne. Mit der europäi-schen ägyptomanie erlebt die grabräuberei erste hochkonjunk-turen. im windschatten kolonialer eroberungen und umwälzen-der geopolitischer Veränderungen wird ägypten wie viele andere länder auch in einen anderen aggregatzustand katapultiert und folgt seit dem 19. Jahrhundert den entwicklungen der Moderne in vielerlei hinsicht. als das 20. Jahrhundert technische Möglich-keiten ungeahnten ausmaßes bereitstellt, werden sie stürmisch begrüßt und in gestalt gewaltiger Unternehmungen angewendet. So kommt es zur bislang spektakulärsten und größten rettung antiker Kultur am Nil. als die tempel von abu Simbel, heiligtümer von ramses ii., im neu geschaffenen assuan-Stausee zu versinken drohten, wurden sie in einer weltweit konzertierten aktion auf ein höheres Niveau am Nilufer verlegt. der Pharao hatte die anlage vor mehr als 3000 Jahren fast 60 Meter tief in einen Sandsteinfel-sen am westufer des Nils graben lassen. Fünf Jahre dauerte die rettung, von 1963 bis 1968. 1970 wurde der Staudamm in Betrieb genommen. doch spektakuläre ereignisse dieser art überstrahlen häufig die andauernde, langwierige und oft komplizierte alltägliche archäo-logische arbeit in ägypten. ein bedeutender teil dieser arbeit ist heute der Kulturerhalt, aber auch – untrennbar damit verbunden

– die adäquate Vermittlung vor ort der langen und reichen ge-schichte des landes am Nil.

„Für ein land in komplizierten Zeiten ist ein rückgriff auf die Vergangenheit wesentlich“, weiß Stephan Seidlmayer, direktor der abteilung Kairo des deutschen archäologischen instituts.

das pharaonische ägypten wird im modernen Staat mehr denn je zu einem anker der Selbstvergewisserung, und unversehens wird archäologie zu einem teil der gegenwart. daher befassen sich die Kulturerhaltprojekte des dai Kairo nicht nur mit Zeugnissen fer-ner Vergangenheiten, sondern auch mit solchen aus der jüngsten geschichte und gegenwart.in einem land wie ägypten, das immer wieder Umbrüche erlebt, ist der Schutz des kulturellen erbes mitunter eine herausfor-derung. Viele der weltbekannten Bauten sind gut geschützt, an entlegenen Stellen hingegen gibt es immer wieder Zerstörungen. eine der Ursachen ist oft Unwissenheit.

„eines der Probleme beim Kulturerhalt ist häufig die vernachläs-sigte einbindung der lokalen Bevölkerung“, erklärt Seidlmayer.

„deshalb darf die Forschungsarbeit nie auf die innenwelt der wis-senschaft beschränkt bleiben. in einem land, in dem rund 15 % des Bruttosozialprodukts und der arbeitsplätze vom tourismus abhängen, ist es entscheidend, die gesellschaftliche Bedeutung der archäologie zu erkennen.“ Mit den Projekten zum erhalt des kulturellen erbes gehen daher immer auch Site Management, erschließung und information einher, sei es in Form touristischer oder moderner musealer Kon-zepte – zum Beispiel auch in Form eines Smartphone-basierten reiseführers zu assuan für die digital Natives. das dai Kairo gibt Newsletter in arabischer Sprache heraus, stellt Unterrichtsmateri-al zur Verfügung, veranstaltet Kurse für Schülerinnen und Schüler und berichtet mit einer Fülle öffentlicher Veranstaltungen von seiner arbeit.

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BeiM „KiNdertag“ auf der Ausgrabung Elephantine erleben die Schulkinder der

benachbarten Dörfer den archäologischen Platz als Teil ihres kulturellen Erbes.

Foto: Sigl

Vor 6000 JahreN begannen Men-schen auf der Nilinsel Elephantine eine Siedlung zu bauen. Sie war ein wichtiger Handelsplatz und bedeu-tend für den Götterkult. Foto: DAI Kairo

dUrch FlYer iN eNgliScher UNd araBiScher SPrache – hier zu den Felsinschriften im „Public Garden“ von Assuan – werden Besucher und Einhei-mische mit den Denkmälern vertraut gemacht.

ProF. dr. StePhaN SeidlMaYer ist Direktor der Abteilung Kairo

des Deutschen Archäologischen Instituts.

Foto: DAI Kairo

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klEinEs gold mit grossEn gEschichtEn

Vor knapp 100 Jahren, 1922, entdeckte howard carter das grab des tutanchamun aus dem 14. Jahrhundert v. chr. Kaum ein altä-gyptisches objekt ist so berühmt wie die spektakuläre goldmaske des Pharao, die einer staunenden weltöffentlichkeit präsentiert wurde. andere Stücke blieben dabei manchmal unbeachtet und fristeten ein dasein abseits von glanz und Prunk. in einem Koope-rationsprojekt erforscht das dai Kairo einige dieser „aschenputtel“ aus dem grab des Pharao. es sind rund 100 goldblechbeschläge aus der Vorkammer des grabes, die in der Nähe der Streitwagen gefunden wurden. Sie bestehen aus punzierter goldfolie, die auf ein trägermaterial, vermutlich leder und textil, aufgebracht wa-ren. Bis vor kurzem wurden sie im Magazin des ägyptischen Muse-ums in Kairo aufbewahrt. Nun werden die überaus empfindlichen objekte analysiert, wissenschaftlich aufgearbeitet, restauriert und der öffentlichkeit in adäquater weise zugänglich gemacht.hier und da finden sich noch reste des ursprünglichen trägerma-terials an den goldblechen. die Forscher vermuten, dass es aus mehreren Schichten von leder, textil und gips bestand. Mit mor-dernsten zerstörungsfreien Untersuchungsmethoden wollen sie herausfinden, wie die Materialien zusammengesetzt und wie das gold auf den trägerschichten befestigt war. Viele der feinen gold-bleche haben sich vom trägermaterial gelöst, die meisten sind beschädigt. Sie zeigen zahlreiche risse, Verwerfungen und Falten.

doch die materielle analyse ist nur ein teil der arbeit. „wir wol-len versuchen, diese Schäden so gut wie möglich zu beseitigen, um die lesbarkeit der darstellungen zurückzugewinnen“, sagt christian eckmann, restaurator am römisch-germanischen Zen-tralmuseum Mainz.“ dazu müssen restauratorinnen und restauratoren die goldble-che vorsichtig entfalten, die risse zusammenfügen, auf der rück-seite mit feinem Kunstfasergewebe hinterlegen und stabilisieren.

„es sind oft auch die kleinen dinge, die wichtige hinweise geben“, erklärt Seidlmayer. Manche Motive – darstellungen des Königs auf der Jagd, im Krieg und in rituellen handlungen – sind in der Kunsttradition ägyptens tief verwurzelt. andere Bilder – darstel-lungen von tierkämpfen, das Motiv der „capriden am Baum“ und verschiedene ornamentale Pflanzen – tauchen ab der späten Bronzezeit im gesamten östlichen Mittelmeerraum auf.

„diese bislang kaum beachteten goldbleche geben wichtige hin-weise zu den internationalen Beziehungen zwischen den Mäch-ten des orients in dieser Zeit.“ Krieg, tributbeziehungen und dynastische heiraten gehörten ebenso dazu wie der intensive handel mit Metallen, glas, halbedelsteinen, rohstoffen, luxusgü-tern und Nahrungsmitteln oder der austausch von Beamten. Und womöglich kann man mit hilfe der kleinen Bleche auch neue er-kenntnisse über ägyptische Streitwagen der Bronzezeit gewinnen.

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kooPErationRömisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz, Abteilung VorgeschichteEberhard Karls Universität Tübingen, Institut für die Kulturen des Alten Orients (IANES), Abteilung für Vorderasiatische Archäologie Ägyptisches Museum Kairo

FördErungDeutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Auswärtiges Amt

die BiSlaNg KaUM BeachteteN gold-Bleche geben wichtige Hinweise zu den internationalen Beziehungen zwischen den Mächten des Orients in der Bronzezeit. Foto: Eckmann

daS Bild der archäologie als Wissenschaft mit „Spaten und Schaufel“ ist lange überholt. Heute spielen modernste naturwissenschaftliche Analyseverfahren eine ebenso große Rolle wie die traditionellen Methoden. Goldbleche unter dem Mikroskop. Foto: Eckmann

die Bilderwelt der Bleche zeigt eine Kombination von Moti-ven klar pharaonischer Provenienz und von Themen – wie die Tierkampf-szene hier –, die in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. im östlichen Mittelmeerraum weit verbreitet waren. Foto: Eckmann

UNter deM MiKroSKoP wird der tech-nische Aufbau der Pferdegeschirre und Waffenscheiden sichtbar. Die Goldfolien sind auf einen Träger aus Leder, Textil, Füll- und Bindemitteln aufgetragen. Foto: Eckmann

die Goldbleche wurden in der Nähe der Streitwagen gefunden. hier reproduktionen für eine ausstellung in Paris 2012. Foto: Exposition Toutankamon à Paris, Parc des Expositions en 2012 avec des copies. © Traumrune / Wikimedia Commons / CC-BY-3.0

Public Domain, Joshdboz

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dEr FatimidEnFriEdhoF

der Blick auf die antike verleitet häufig dazu, die Vergangenheit als statisch zu betrachten. doch es gehört zum Kern archäologi-scher arbeit, sich mit transformationen in der Vergangenheit und ihren langfristigen wirkungen auseinanderzusetzen. „am ‚Fatimi-denfriedhof’ in assuan können wir die arabisierungs- und islami-sierungsprozesse in der region sehr gut nachvollziehen“, erklärt Stephan Seidlmayer. Mit geschätzten 500 Privatgräbern und rund 50 Mausoleen ist er eine der größten islamischen Nekropolen ägyptens und der größte aus dieser frühen Zeit, errichtet seit dem 7. Jahrhundert und belegt bis in das hohe Mittelalter. doch der Zahn der Zeit nagte an den lehmziegeln, aus denen die gräber und Mausoleen errichtet waren. der Fatimidenfriedhof, bis heute eine wichtige Stätte islamischer Kultur und Frömmigkeit, drohte zu zerfallen.daher galt es, die Nekropole zu dokumentieren und zu sichern, um anschließend zunächst teile davon restaurieren zu können. das Projekt des dai startete in Kooperation mit der technischen Universität Berlin im Jahr 2006 mit einer umfassenden Untersu-chung und dokumentation. „wir konnten schließlich neun Mauso-leen sichern und 50 Privatgräber restaurieren“, sagt Philipp Spei-ser, der die arbeiten vor ort leitet. doch das Projekt ging über die reine restaurierung hinaus. „in enger Zusammenarbeit mit den ägyptischen experten konnten auch lokale arbeiter zu restaura-toren ausgebildet werden.“ Nach knapp zehn Jahren arbeit wurde das Projekt erfolgreich abgeschlossen. Und auch hier spielt die einbeziehung der lokalen Bevölkerung eine entscheidende rolle beim Kulturerhalt. in einem ausgewählten Sektor der Nekropole haben die Projektmitarbeiter einen Besucherparcours angelegt. Mehrere erklärungstafeln sind für die zahlreichen ausländischen Besucherinnen und Besucher angelegt, die die Nekropole jährlich besuchen – vor allem aber für die lokale Bevölkerung.

industriEarchitEktur als sPiEgEl dEr gEschichtE

„die Zeugnisse der ägyptischen industriearchitektur sind wertvol-le Monumente lokaler geschichte und globaler Verflechtungen“, weiß ralph Bodenstein vom dai. er leitet ein Projekt, das die his-torische entwicklung dieser architektur von der Zeit Muhammad alis bis in die 1970er-Jahre untersucht. „Unter Muhammad ali er-lebte ägypten als erstes land im Nahen osten großangelegte in-dustrialisierungsversuche im modernen Sinne“ erklärt Bodenstein.

„es gab einen wandel von autokratischen zu bürgerlichen Struktu-ren im ägyptisch-europäischem Kontakt in beide richtungen, die Baugeschichte ist ein Spiegel dieser Zeit.“ Viele der gebäude sind gefährdet wie die Bauten aus pharaoni-scher oder antiker Zeit. „diese baulichen Zeugnisse sind bis heute in Forschung und denkmalpflege stark vernachlässigt worden“, sagt Bodenstein. deshalb wollen die wissenschaftler mit hilfe von Fotografien und Planzeichnungen eine Bestandsaufnahme machen, um ggf. künftige restaurierung unterstützen zu können.

„Mit dieser Bestandsaufnahme erfassen wir die ägyptische indus-

kooPErationMinistry of Antiquities CairoLehrstuhl für Bau- und Stadtbaugeschichte der Technischen Universität Berlin

FördErungAuswärtiges Amt

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triearchitektur zum ersten Mal im Zusammenhang“, erklärt Bo-denstein. „So können wir sie auch auf ihre lokalen und globalen entstehungszusammenhänge hin untersuchen.“die Bandbreite der schon erfassten industriebauten reicht vom großen arsenalkomplex aus der Zeit Muhammad alis (1805-1848) über Baumwoll-entkernungsanlagen des späteren 19. Jahrhun-derts über die gigantischen textilfabriken von alexandria und al-Mahalla al-Kubra aus den 1930er- bis 1960er-Jahren und zahl-reiche Fabrikgebäude anderer Branchen bis hin zu den modernis-tischen gebäuden der zweiten hälfte des 20. Jahrhunderts.

Bei der restaurierung der Mausoleen werden lokale arbeiter in tradi-tionellen handwerks-techniken geschult.

Schautafeln auf dem neu gestalteten Besucherparcours in der frühislamischen Nekropole von Assuan geben Informationen zu den Gebäuden und ihrer Geschichte.

die frühislamische nekropole von assuan, der sogenannte Fatimidenfriedhof, ist einer der bedeutendsten Plätze der islami-schen archäologie außerhalb Kairos. Fotos: Speiser

dr. Sc. tech. PhiliPP SPeiSer leitet das Projekt „Die frühisla-

mische Nekropole von Assuan“ (Fatimidenfriedhof ).

Foto: Sigl

dr. ralPh BodeNSteiN untersucht die moderne

Industriearchitektur Ägyptens

Foto: Kuckertz

bereits muhammad ali pascha trieb in der ersten hälfte des 19. Jahrhunderts die industrialisierung ägyptens voran. erhalten blieben Bauten des arsenalkomplexes auf der Zitadelle von Kairo aus seiner Zeit. Foto: Bodenstein

die fabrik zur entkernunG von baumwolle in el-Qanater el-Khairije gleich nördlich von Kairo gibt einen eindruck von der ästhetischen gestaltung früher industrieanlagen. Foto: Bodenstein

Bauaufnahme der Südfassade der alten al-ahraM BierBraUerei in Kairo, der Brauerei des in Ägypten allbekannten Stella-Bieres. Grafik: Bodenstein

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die aktuellen Bilder von Flüchtlingen, die über das Mittelmeer und den Balkan nach Mitteleuropa und besonders nach deutschland zu gelangen versuchen, wur-den vor allem im vergangenen Jahr in vielen Medien mit historischen Parallelen verbunden. Nicht selten war in den Medi-en von einer neuen Völkerwanderung die rede. Und mit diesem Bild wird zunächst die Vorstellung einer kompakten wande-rung ganzer Völkerschaften verbunden und dann auch die Vorstellung des Unter-gangs eines lange stabilen großreichs, des römischen reichs. Mit dem Bild der Völ-kerwanderung wird unterschwellig also die angst vor instabilität und Untergang transportiert.

der Blick in die Vergangenheit erlaubt es natürlich, diese für moderne Phänomene genutzten Bilder differenzierter darzu-stellen. dies gilt für die Völkerwanderung ebenso wie für die vielen anderen Formen der Mobilität. Blickt man in die Vergangen-heit zurück, so scheint Mobilität eher die Norm als die ausnahme gewesen zu sein. es beginnt damit, dass in der Forschung die Verbreitung des modernen Menschen, des homo sapiens, mit einem Migrations-modell verbunden wird, mit der theorie einer „auswanderung“ aus afrika, out of africa. Zugleich wird dieser theorie in der Forschung das Modell einer multiregiona-len entwicklung des modernen Menschen entgegengestellt. Und somit sind bereits für diese frühe Phase der Menschheitsge-schichte zwei grundmodelle formuliert, die sich zur erklärung vieler Formen der entwicklung in den frühen Kulturen der

Menschheitsgeschichte wiederfinden. die domestikation von Pflanzen und tieren, die am Übergang zum Neolithikum mit dem packenden Bild der „neolithischen revolution“ verbunden wird, entwickelte sich im Bereich des Fruchtbaren halbmon-des zwischen levante und Mesopotami-en. die grundlegenden Kulturtechniken, ackerbau und Viehzucht, verbreiteten sich durch Migration, aber auch durch die wei-tergabe von wissen. Zugleich lassen sich vergleichbare entwicklungen hin zum anbau und zur Kultivierung von Pflanzen als eigenständige entwicklungen, ohne direkten Kontakt zu dieser region des Nahen ostens, zum Beispiel in der „Neuen welt“ Südamerikas beobachten. auch hier stehen sich das Modell der weitergabe durch Mobilität von Menschen und wis-sen und die eigenständige entwicklung gegenüber. deutlich wird jedoch, dass in zusammenhängenden regionen die Ver-breitung von Kulturtechniken über Mobi-lität eine große rolle spielte. aber auch in historischen epochen ist Mo-bilität ein Kennzeichen. die Schifffahrt ver-band die Mittelmeeranrainer und brachte das Phänomen internationaler handels-plätze und heiligtümer hervor. handels-routen wiederum verbanden china mit dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer. dass chinesische lackkästchen auf der Krim gefunden wurden, erstaunt da-her nicht weiter. dass griechen und Phöni-zier Niederlassungen rund um das Mittel-meer gründeten, ist ein ebenso vertrautes Phänomen wie die Mobilität im imperium romanum, das selbst durch militärische expansion, also eine sehr spezifische und

Prof. dr. dr. h. c. Friederike FlessPräsidentin des Deutschen Archäologischen InstitutsFoto: Kuckertz

Connecting Cultures

gewaltsame Form von Mobilität entstan-den war. die Karriere eines römischen Sol-daten konnte ihn dann später durch das ganze imperium romanum führen, römi-sche Beamte wurden in die Provinzen ver-setzt. es waren syrische Bogenschützen, die unter anderem die römische grenze, den limes in Bayern, bewachten. ein re-ger tourismus in der römischen Kaiserzeit führte nach griechenland oder ägypten. Mobilität in der antike erweist sich bei genauem hinsehen als genauso facetten-reich wie die heutige Mobilität.

Zwischen 1820 und 1914 sind ca. 5 Millio-nen deutsche nach amerika ausgewandert. 40.000 hugenotten flohen im 17. Jahr-hundert nach deutschland. Ungefähr 10 Millionen touristen besuchen jährlich die Balearen. dies sind fast ebenso viele Besu-cher, wie jährlich nach Berlin kommen. im Jahr 2015 wurden sogar über 12 Millionen gezählt. das aufkommen an Passagieren allein am Flughafen in Frankfurt am Main wurde 2015 mit fast 60 Millionen gezählt. diese Zahlen wurden in der antike mit ihrer begrenzten Mobilität und auch be-grenzten welt natürlich nicht erreicht. dennoch waren die frühen Kulturen der Menschheitsgeschichte erstaunlich mobil und an austausch und handel interessiert.

nEtzWErkE

das vorliegende heft kann nur einen klei-nen einblick in dieses grundthema geben, das im dai in einem eigenen Forschungs-verbund „connecting cultures“ unter-sucht wird. dass das dai das thema globa-

ler Vernetzungen in den frühen Kulturen in den Blick nimmt und diese im Kontext einer globalarchäologie betrachtet, hat der wissenschaftsrat gerade erst in seiner Stellungnahme zur evaluation des dai po-sitiv hervorgehoben. globalarchäologie bedeutet dabei, dass Phänomene, die von den verschiedenen abteilungen und Kom-missionen des dai erforscht werden, un-ter übergreifenden Fragestellungen, wie der nach innovation, Migration oder auch Sesshaftwerdung verglichen werden. glo-balarchäologie bedeutet aber auch, dass größere regionen in den Blick genommen werden, wie im transarea Network africa. hier wird nicht allein Vernetzung anti-ker Kulturen erforscht – vielmehr ist ein Merkmal moderner Forschung auch die Vernetzung der Forschenden. das macht sich zunehmend auch bei den herausfor-derungen im Bereich des Kulturerhaltes und Kulturgüterschutzes bemerkbar. So haben die Zerstörungen, die das kultu-relle erbe weltweit erlebt, zu der initiative geführt, die Kompetenzen in deutschland im archaeological heritage Network zu bündeln. Mit dieser gründung reagieren wir auf die weltweit steigenden anfragen, deutsches Know-how im Bereich des Kul-turerhalts und Kulturgüterschutzes stärker einzubringen. ein erweiterbares Netzwerk scheint hier die geeignete Form zu sein. Schließlich verfügen wir in deutschland über große Kompetenzen auf diesem gebiet. aufgrund föderaler Strukturen in deutschland sind diese Kompetenzen in zentralen Bereichen jedoch auf die Bun-desländer bezogen. andere einrichtun-gen wiederum haben einen explizit auf

deutschland bezogenen auftrag. diese Kompetenzen auch für die konkrete ar-beit im ausland sichtbar und einsetzbar zu machen, ist ein Ziel des archaeological heritage Network. ein anderes besteht da-rin, hiervon wiederum zu lernen und das eigene handeln in globaler Spiegelung zu reflektieren. auch hier geht es letztlich um Mobilität und den austausch von wissen, Know-how und Menschen.

daS traNSarea NetworK aFrica ist eines der Netzwerke im Forschungsverbund „Connecting Cultures“

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StröMeDie Landschaften von Nil und Amazonas

usammen sind sie 13.000 Kilo-meter lang – die beiden längsten Flüsse der Erde. Der Nil ist einige Kilometer länger, der Amazonas führt mehr Wasser. Beide sind Lebensader jeweils mehrerer Länder, Transport-weg, Wirtschaftsfaktor, Sehnsuchts-ort, Ziel von Habgier und kolonialer Ermächtigung, Faszinosum für For-scher und Abenteurer, Heimat für Menschen.

der eine alt, der andere jung, so der un-vorsichtige gedanke, weil der europäische Blick den einen in die „alte welt“, die der eigenen näher scheint, den anderen in die

„Neue welt“ verfrachtete, den einen fast als eine art Kulturheros betrachtete, während der andere ein wilder blieb. Und während die altertumswissenschaften den „alten“ Nil und seine Kulturen schon lange er-forschen, betreten die archäologen am amazonas Neuland – mit überraschen-den entdeckungen. amazonien „gehörte“ lange den Mythologen, ethnologen und aussteigern, den Spezialisten für „primiti-ve“ Kulturen, bis auch rinderbarone und Klimaschützer die landschaft für sich re-klamierten. „wem gehört der Nil?“ ist eine Frage, die in der europäischen Sicht lange nicht gestellt wurde. der Nil war immer

„ägyptisch“, inklusive der Folgen für die landschaft selbst und seine Kulturen, die Ziel gebildeter reisender und kolonialer Begehrlichkeiten waren. Seine afrikani-schen Quellen blieben lange unbeachtet.

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Nördlich VoN aSSUaN fließt der Nil in einem schmalen Bett durch die Wüstenebene.

Foto: Klose

regeNZeit. Die Savannen in den Llanos de Mojos stehen in weiten Bereichen bis zu einem Meter unter Wasser.

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Seit Jahrtausenden wird über den Nil geschrieben. Quellen stam-men aus pharaonischer Zeit, aus der griechisch-römischen epoche und reichen bis in die arabische Zeit. Sie stehen oft ohne textge-schichtliche Verbindung nebeneinander, doch scheint die Quelle ihrer inspiration, der mächtige Nil, immer wieder ähnliche asso-ziationen auszulösen. ohne den Nil hätte es kein menschliches Verweilen in der wüste geben können, das lang genug hätte an-dauern können, etwas hervorzubringen, was bis heute andächtig bestaunt wird. der fruchtbare Schlamm, den die Nilflut alljährlich mitbrachte, bot alles, was man brauchte, um eine nennenswerte landwirtschaft zu betreiben. doch man musste achtsam sein mit der lebensspendenden Macht, opfern und strenge riten einhalten, damit die Flut auch wiederkäme. Schließlich war es eine Frage des Überlebens zu wissen, welche Mächte der Naturgewalt geboten und wie man sie milde stimmen konnte. doch die Menschen am Nil verließen sich nicht allein darauf. Schon im 4. vorchristlichen Jahrtausend wurde die wissenschaft von der Messung der was-serstände des Nil entwickelt. die groß angelegte wasserwirtschaft entstand in der Zeit der ägyptischen Staatsbildung, zur Zeit des Pharao Snofru (um 2600 v. chr.), der auch die erste großpyramide errichten ließ. So wie die Steine für König Snofrus erste Pyramiden über den Nil transportiert wurden, so war der Fluss insgesamt der haupttransport- und Verkehrsweg ägyptens. in ägypten, wo deutsche archäologen schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts forschen, hat fast alles mit dem Nil zu tun – auch in der wissenschaft.

„der Nil und sein lauf haben sich im laufe der Jahrtausende stark verändert“, sagt Stephan Seidlmayer, direktor der abteilung Kairo des dai. „Jede dynamisierung der landschaft hat mit dem Fluss zu tun, wobei eingriffe der Menschen eine ebenso große rolle spielen wie natürliche Prozesse.“

Der Nil

dahschurkooPEration:Freie Universität Berlin Ministry of Antiquities Cairo Städtisches Klinikum München - Klinikum Bogenhausen, TU München (Humanbiologie und Archäopathologie)FördErung:Freie Universität Berlin Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

butokooPEration:Ministry of Antiquities Cairo Université de Poitiers Institut Français d’Archéologie Orientale (IFAO)FördErung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

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Vor 6000 Jahren begannen Menschen mitten im Nil auf einer insel namens elephantine eine Siedlung zu bauen. Von hier aus wurde in der Folge der handelsverkehr mit dem nubischen Süden und nach Norden kontrolliert. elephantine war aber auch wichtig für den götterkult. denn es galt als mythischer ort der Quellen des Nil. auf elephantine und später auch gegenüber, in der Bucht des modernen assuan wurden vor 5500 Jahren Siedlungen gegrün-det, die in der gegenwart einem der gigantischsten eingriffe in die natürlichen Prozesse der Nillandschaft mit ihren Menschen und Kulturen ihren Namen geben sollte: assuan. die Minderheit der Nubier wurde ausgesiedelt, um dem Bau des assuan-Stau-damms und dem Bett des Stausees Platz zu machen. „1971 ist eine ganze Kulturregion überschwemmt worden“, erklärt Stephan Seidlmayer. So will ein Projekt die (Kultur-)landschaftsgenese der region nachvollziehen. der geoarchäologische Survey findet auf dem west- und ostufer in den ehemaligen Überschwemmungsge-bieten des Nils nördlich des ersten Kataraktes statt. das Unter-suchungsgebiet erstreckt sich von den nördlichen grenzen der modernen Stadt assuan und der Felsnekropole Qubbet el-hawa etwa 15 Kilometer in nördliche richtung. Um zu ermitteln, wie die alluvialböden im laufe der verschiedenen epochen entstanden sind und wie sich vor allem die Morphologie des Schwemmlan-des durch die Jahrtausende ständig änderte, hat ilka Klose, die das Projekt durchführt, zahlreiche Bohrungen vorgenommen. Bisherige analysen ergaben, dass sich die landschaft in den ver-gangenen 5000 Jahren dramatisch verändert hat. etwas landein-wärts wurde Keramik der Naqada Periode (~4500 bis 3500 v. chr.) in 2,5 Meter tiefen Schichten gefunden. Keramikbefunde aus dem Mittleren reich (~ 2100 bis 1800 v. chr.) stammen aus bis zu sechs Metern tiefe in Flussnähe, und die Siedlungen römischer und spä-tantiker Zeit liegen teilweise bis zu zwei Meter unter der heutigen oberfläche.

ilKa KloSe bearbeitet den geo-archäologischen Survey Assuan. Foto: privat

ProF. dr. StePhaN SeidlMaYer ist Direktor der Abteilung Kairo des

Deutschen Archäologischen Instituts. Foto: DAI Kairo

alS der aSSUaN-StaUdaMM errichtet wurde, waren nicht nur die weltberühmten Tempel von Abu Simbel bedroht. Eine ganze Kulturlandschaft wurde über-schwemmt. Foto: Public domain

elePhaNtiNe war ein wichtiger Handelsplatz an dem Fluss, der den afrikanischen Kontinent mit dem Mittelmeer verbindet. Foto: DAI Kairo

iN der UFerFroNt deS röMiScheN Satet-teMPelS auf Elephantine war der maßgebliche Nilometer der Region als Treppengang mit seitlichen Messskalen eingebaut. Diese Anlage wurde 1870 wieder in Betrieb genom-men und bildete den Ausgangspunkt auch der modernen Vermessung der Nilflut. Foto: Seidlmayer

iM hadriaNStor auf Philae ist der Nilgott mit seinen beiden Wasserkrügen im Quell-Loch unter der Katarakteninsel Bigge abgebildet. Foto: Seidlmayer

ZUr erForSchUNg der hiStoriScheN FlUSSVerläUFe wurden auf dem östli-chen Nilufer nördlich von Assuan systema-tisch Bohrtransekte angelegt. Grafik: Klose, unter Verwendung eines Satellitenbilds aus Google Earth

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PharaonischE landschaFts-architEktur

weitere 1000 Kilometer nilabwärts, in dahschur, steht die erste, in idealer, glatt-seitiger Form geplante Mega-Pyramide, die König Snofru errichten ließ, die Knick-pyramide. Sie besaß einen eigenen Nil- hafen, der, anders als bei anderen Pyra-miden, eine echte Funktion hatte. „gigan-tische Mengen Materie mussten bewegt werden“, so Nicole alexanian, die die ar-beiten des dai in dahschur leitete. 3,5 Mil-lionen Kubikmeter Baumaterial wurden transportiert und verbaut. doch König Snofru ließ nicht nur eine Pyramide bauen.

„in dahschur wurde landschaftsarchitektur in großem Stil betrieben“, erklärt alexanian. diese umwälzenden Maßnahmen wurden möglich, weil der Nil zu dieser Zeit etwa 500 Meter weiter östlich verlief – in unmit-telbarer Nähe der Pyramiden. Mit magnetometrischen Untersuchungen wollen die archäologen anhaltspunkte für die Suche nach der genauen lage der anlagen gewinnen. denn das hafenbe-cken und die umliegenden Bauten sind heute unter einer sieben Meter dicken Sandschicht begraben.

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iM digitaleN höheNModell erkennt man die architektonischen Eingriffe in die Landschaft. Es zeigt sich die fraktale Beschaf-fenheit der natürlichen Landschaft (u. r.) im Unterschied zu der von Menschen gemach-ten (u. l.). Die natürlichen Erosionsrinnen übertragen ihre fraktale Natur auf die Oberfläche – hier sind sie als selbstähnlicher Baum zu erken-nen. Abb.: Arne Ramisch, Freie Universität Berlin, Geowissenschaften

in tiefer trauer geben wir bekannt, dass am donnerstag, dem 28. april 2016 dr. Nicole alexanian verstorben ist.Nicole alexanian wurde am 6. Januar 1965 geboren. Sie stu-dierte ägyptologie, Kunstgeschichte und germanistik an der Universität heidelberg. dort wurde sie 2001 mit der arbeit

„die provinziellen Mastabagräber und Friedhöfe im alten reich“ promoviert.Schon als Schülerin nahm sie an ausgrabungen in ägypten teil. Noch als Studentin arbeitete sie seit 1988 in dahschur, seit 2005 leitete sie dort die Projekte. die Stätte von dahschur und die archäologie der Begräbniskultur des alten reichs standen stets im Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen arbeit.ihr Buch zur monumentalen Mastaba des Prinzen Netjer-aperef in dahschur und ihre artikel zu den archäologischen Spuren von Begräbnisritualen erlangten internationale an-erkennung.in ihrem leben wie auch in ihrer arbeit ließ Nicole alexanian niemals in ihrem Bemühen nach, für andere da zu sein – arbeiter, Studierende, Kollegen. in ägypten zu leben und für die ägyptische archäologie zu arbeiten, war die erfüllung ihres lebens.

ZU ZeiteN deS KöNigS SNoFrU verlief der Nil etwa 500 Meter weiter östlich. Vom Hafen führte ein Aufweg zum Taltempel, ein weiterer von dort zur Pyramide. Da Hafenbecken und die umliegenden Bauten unter einer sieben Meter dicken Sandschicht liegen, untersuchten die Archäologen das Gelände zunächst magnetometrisch. Foto: DAI Kairo, Magnetogramm: Helmut Becker, München

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Francisco de orellana, hauptmann in diensten des gonzalo Pizarro, wollte im osten der anden das Zimtland canelas und das gold von el dorado suchen. er war der erste, der den amazonenstrom von Peru bis zur Mündung befuhr. den berühmt gewordenen Bericht dazu („re-lación“) schrieb gaspar de carvajal, Pro-vinzialvikar in lima, 1542. die Fahrt führte sie durch das herrschaftsgebiet der „ama-zonen“, herrscherinnen über fruchtbares land und arbeitskraft, erbauerinnen von Städten und Besitzerinnen von reich-tümern an gold und Silber. der Bericht sollte nahelegen, dass die grundlagen für eine systematische Kolonisierung be-reits existierten – man müsste nur noch den amazonen die herrschaft und die Kontrolle über die natürlichen reichtü-mer entreißen. heute weiß man, dass die ansässigen Bevölkerung den Spaniern allerhand geschichten erzählte, um sie schnell wieder loszuwerden. die aber sa-hen, was sie sehen wollten. Menschen mit affenschwänzen gehörten ebenso dazu wie reich bevölkerte Städte und das, was man heute komplexe gesellschaften nen-nen würde. in all den Vermischungen von Fiktion und wirklichkeit, relaciónes und ritterromanen, Konstruktion und dekon-struktion wollte niemand mehr garantien

Amazoniendarüber abgeben, was nun wirklich in der Zeit der conquista am amazonas vorhan-den war. Und so gewannen die Zuschrei-bungen die oberhand. amazonien blieb erst einmal wild – genau wie seine Bewoh-ner, die eher der Natur zugezählt wurden als dem Bereich der Kultur. Bedeutende hochkulturen gab es ja an anderen Stellen des Kontinents. die landschaften amazo-niens verweigerten sich zudem beharrlich der Vorstellung, größere Siedlungen sess-hafter gemeinschaften beherbergen zu können.

kooPEration: Unidad Nacional de Arqueología (UNAR) von Bolivien

FördErung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

luftaufnahme der rinGGrabenanlaGe bv-2 auf dem gelände der granja del Padre bei Bella Vista. im Zentrum die grabungsschnitte von jeweils 5 × 10 m größe.

Beigaben aus einem Grab auf dem Gelände der Schule von Bella Vista.

dr. heiKo PrÜMerS, Referent für Lateinamerika an der KAAK, leitet das Projekt Llanos de Mojos gemeinsam mit Dr. Carla Jaimes Betancourt. Foto: KAAK

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dr. Ulrich hartUNg, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung Kairo des DAI,

leitet das Projekt Buto / Tell el Fara‘in

die UNterSte Schicht der prädynas-tischen Siedlung in Buto zeigt noch die Grundrisse einfacher Hütten aus Matten und Astwerk. Foto: Hartung

der tell el fara‘in, Stätte der anti-ken Stadt Buto, erhebt sich als einer der eindrucksvollsten Siedlungshügel aus der Schwemmebene des nordwestlichen Nildeltas. Foto: Hartung

Blick in die Grabungsfläche mit Gefäßbestat-tungen. Fotos: Prümers

nildynamik

Nach 250 Kilometern richtung Norden erreicht man den Siedlungshügel des alten Buto (heute: tell el Fara‘in). er liegt in der Schwemmebene des nordwest-lichen Nildeltas, etwa 40 Kilometer von der heutigen Küstenlinie des Mittelmeers und rund 10 Kilometer vom rosetta-arm des Nils entfernt. das dai führt seit 2010 einen Survey im nordwestlichen Nildelta durch, um die Siedlungsgeschichte und landschaftsveränderungen in der regi-on zu erforschen. am Beispiel Buto zeigt sich, wie tiefgreifend die auswirkungen der dynamik des Nils auf menschliche an-siedlungen war. „Von der ersten hälfte des 4. Jahrtausends bis zum ende des alten reichs (ca. 2200 v. chr.) wurde das areal kontinuierlich genutzt“, sagt Projektleiter

Ulrich hartung. danach verlieren sich die Spuren für rund 1000 Jahre. „offenbar war der ort aufgegeben worden“, erklärt har-tung. die wissenschaftler gehen davon aus, dass sich lebenswichtige Nilarme so verlagert hatten, dass Buto die Verbin-dung zu anderen regionen verlor. erst im späten 8. Jahrhundert v. chr. wird die Stadt in größerem Umfang wiederbesiedelt.

die permanente dynamik der Nilland-schaft führt dazu, dass anzahl und Ver-lauf der Flussarme sich im laufe der Zeit grundlegend änderten und dass die Fluss-landschaft ständig neue lebensbedingun-gen mit unmittelbaren auswirkungen auf den Siedlungsraum der Menschen her-vorbrachte. das zweiarmige delta, so wie

man es heute kennt, existiert erst seit gut 1000 Jahren.

eine andere dynamik jedoch ist an ihr ende gelangt. die jährlichen Überschwem-mungen des Nil, die außer fruchtbarem Boden auch götter, opfer, riten und welt-bilder, wissenschaften und tiefgreifende theologische Fragen hervorbrachten, gibt es nicht mehr. 1964 wurde der große Stau-damm bei assuan in Betrieb genommen und setzte ihnen ein ende.

Anhand der Kontur-linien des modernen

Geländereliefs und der Verteilung anti-ker Siedlungshügel

ist es möglich, antike Nilarme im Delta zu

rekonstruieren. Grafik: Schiestl

die relieFS deS SowJetiScheN Bild-haUerS NiKolaJ VetchKaNow im Monument am Hochdamm von Assuan feiern die Bändigung des Stroms. Foto: Seidlmayer

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ein ideales Siedlungsgebiet ist die region wirklich nicht. die Böden sind nährstoff-arm – trotz der vermeintlichen Fruchtbar-keit. Umso größer war die Überraschung, als man überall Spuren dichter Besiedlung aus vorspanischer Zeit fand. in einem gür-tel von der brasilianischen Provinz acre im Südwesten des amazonasgebietes über Nordbolivien bis in den alto Xingú Südbrasiliens, in regionen also, die man für wild und unberührt hielt, entdeckten archäologen hunderte von ringgraben-anlagen.

heiko Prümers von der Kommission für archäologie außereuropäischer Kulturen (KaaK) des dai und seine bolivianische co-direktorin carla Jaimes Betancourt, arbeiten seit 2007 in Kooperation mit der Bolivianischen denkmalschutzbehörde in den llanos de Mojos, einer rund 110.000 Quadratkilometer großen Überschwem-mungssavanne im bolivianischen teil amazoniens. die llanos de Mojos entsprechen in etwa dem departement Beni. eine der Provin-zen dieses Bundeslandes ist die Provinz iténez, die im Nordosten der llanos liegt

– im Nordosten des bolivianischen amazo-nastieflandes.

„offenbar verlief die geschichte amazo-niens anders, als man lange Zeit dachte oder romantische Vorstellungen es woll-ten“, erklärt Prümers den neuen Blick auf die region. Plötzlich war von einer wissen-schaftlichen „revolution am amazonas“ die rede, von „verlorenen Städten“ und

„vergessenen Zivilisationen“. tatsächlich sind archäologische daten zur Besiedlung des amazonasbeckens noch rar. Zu Beginn der arbeiten der dai-archäo-logen und ihrer bolivianischen Koopera-tionspartner gab es weder ein chronolo-gisches grundgerüst für die ausgewählte region, noch konnte man bestimmte Kul-turen bestimmten regionen zuordnen. lange blieb unklar, wann genau die re-gion überhaupt aufgesiedelt worden war.

vermessunGsarbeiten an der ringgrabenanlage von Jasiaquiri.

FigÜrlich geStalteteS geFäSS der späten Besiedlungsphase vom Fundort Jasiaquiri.

BeStattUNg der frühen Phase (350-550 n. Chr.) von Jasiaquiri.Fotos: Prümers

plan des fundortes loma salvatierra. Südlich des durch einen Wall abgegrenzten Bereiches befinden sich Damm- und Kanalanlagen für die Regulierung des Regenwassers.

daS BiSlaNg eiNZige ‚reich’ aUSge-Stattete graB in ganz Amazonien. Neben Körperschmuck aus Knochen und Tigerzäh-nen fanden sich auch Schmuckscheiben aus Kupfer.

Fotos: Prümers

digitaleS geläNdeModell einer Grabenanlage rund 10 km östlich von Bella Vista am nördlichen Ufer des Río San Martín.

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„2013 fanden wir auf der waldinsel Jasia-quiri erstmals reste einer Kultur aus dem 4. bis 6. Jahrhundert n. chr.“, sagt Prümers. das war der erste Nachweis, dass die regi-on eine lange vorspanische Siedlungsge-schichte hat. das in der waldinsel liegende dorf befindet sich direkt nordwestlich ei-ner ringgrabenanlage mit einem durch-messer von etwa 350 Metern. die ringgrä-ben umgaben einst die Siedlungsplätze und dienten womöglich der Verteidigung. Ursprünglich vermutete man als Zeit ihrer entstehung Beginn oder Verlauf der con-quista (14.-16. Jh.).

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eiN SaBäiScheS heiligtUMiN äthioPieNDer Libationsaltar aus dem Almaqah-Tempel von Wuqro

wir wissen sehr wenig über den einfluss altsüdarabiens auf die Kultur Nordäthiopiens. auch die Fusion nordostafrikanischer mit sabäischen Kulturelementen zu Beginn des letzten Jahrtausends v. chr. kennen wir nur aus sehr wenigen Fundstellen. dazu gehö-ren Yeha im äthiopischen tigray oder Matara im Norden eritreas. es war daher eine archäologische Sensation, als Mitarbeiter des tigray culture and tourism Bureau (tctB) bei rettungsgrabungen in Meqaber ga‘ewa nahe der Kleinstadt wuqro im dezember 2007 einen fast vollständig erhaltenen libationsaltar und weitere Kult-objekte sabäischer Prägung fanden. die künstlerische und hand-werkliche Qualität dieser objekte sind herausragend.die Funde waren der ausgangspunkt für gemeinsame Feldar-beiten der tctB, der orient-abteilung des dai und der Friedrich-Schiller-Universität Jena in den Jahren 2008 bis 2014. ergebnis war die ausgrabung und Konservierung eines heiligtums des sabäi-schen Mondgottes almaqah, das aus dem 8. bis 6. Jahrhundert v. chr. stammt.in ikonographie und Stil entspricht der etwa 70 cm hohe altar altsüdarabischen opferaltären. allerdings wurde selbst im Jemen noch keine vergleichbar vollständig erhaltene opferanlage dieser art gefunden. Somit liefert der altar von wuqro erstmals klare hin-weise für die rekonstruktion einzelner altarteile, die aus anderen orten wie Yeha oder Marib im sabäischen Mutterland bekannt sind. die Fassadenplatten des altars mit vierstufigem Sockel und darüber eingeschnittenen Blendfenstern bilden das auflager für die mit Zahnfries dekorierten deckplatten, die mit einer könig-lichen Votivinschrift versehen sind. die deckplatten rahmen ein quadratisches Becken für die aufnahme von opferflüssigkeiten. eine flach eingetiefte quadratische opferfläche auf der westlichen deckplatte weist Schlagkerben auf. gemeinsam mit Knochenfrag-menten von Schaf und Ziege, die im lehmboden um den altar ge-funden wurden, lässt dies an tieropfer denken. Blut oder andere opferflüssigkeiten liefen über einen stierkopfgestaltigen ausguss in das Becken, dessen Boden aus einer kalksteinernen opferplatte bestand. derartige opferplatten sind aus altsüdarabien als soge-nannte ‚trankopfertische‘ belegt. Unser trankopfertisch war durch eine aufmauerung aus Feldsteinen und lehmmörtel im inneren des altars befestigt. er besitzt ebenfalls einen stierkopfgestaltigen ausguss, der aus der Südfassade des altars herausragt und die op-

ferflüssigkeiten auf eine zwei Meter lange, in den lehmboden des tempels eingelassene monolithische rinne aus Kalkstein leitete. an ihrem ende wurden die opferflüssigkeiten in einem schalen-förmigen Beckenaufgefangen. ikonographie und Stil, aber auch die Votivinschrift eines der Meister auf einem der Verkleidungsblöcke des tempelsanktuars verweisen darauf, dass es sabäische Steinmetze waren, die diese altaranlage schufen. der Name des Meisters, „hayrhumu“, gehört zu einem typ, der im zentraljemenitischen inschriftenkorpus gut belegt ist. gesteins-analysen belegen aber, dass die Steinmetzen ihr werk vor ort in wuqro schufen. der Kalkstein stammt aus lokalen Steinbrüchen. eine holzkohleprobe aus dem inneren des altars datiert dessen Zusammenfügung in das 8. bis 6. Jahrhundert v. chr.

königlichE inschriFt

herausragende kulturhistorische Bedeutung kommt der weihin-schrift des altars zu. es ist die erste königliche inschrift aus dem letzten Jahrtausend v. chr., die im abessinischen hochland in ei-nem gesicherten archäologischen Kontext gefunden wurde. ihr in klarem Sabäisch verfasster text besagt, dass ein bislang unbe-kannter König namens wa‘ran, Sohn des Königs radi‘um und des-sen gefährtin Shakatum den altar aus anlass seiner amtseinset-zung als herr des tempels von Yeha, dem damaligen Zentrum des reiches von di‘amat, dem gott almaqah stiftete.

Neben dem hier erstmals inschriftlich belegten Namen von Yeha enthält die inschrift zwei bemerkenswerte hinweise auf regional-afrikanische und in die nordwestlich gelegenen ebenen des Nil-tals weisende Kulturtraditionen. die erwähnung der Mutter des Königs und sein attribut „der die Feinde niederwirft“ sind im altsüdarabischen Kulturraum ungewöhnlich. gleichzeitig ist im reich von Kusch am mittleren Niltal die hervorhebung der weibli-chen Vorfahren in der Filiation des Königs von großer Bedeutung. Sie beruht auf einer tradition der legitimierung der königlichen herrschaft über die mütterliche linie, die sich bis in das christli-che Mittelalter fortsetzt. das „Niederschlagen der Feinde“ gehört zu den formelhaften Beinamen altägyptischer und kuschitischer

herrscher in ihren inschriften und in den Bildprogrammen könig-licher gräber und göttertempel. in denselben Kulturhorizont ver-weisen im tempelbezirk von wuqro gefundene Keramiken, wie beispielsweise schwarzrandige oder mit geometrischen Motiven verzierte gefäße, während andere Votivgaben durch ihre Bindung an den almaqah-Kult auf altsüdarabische traditionen zurückge-hen. das almaqah-heiligtum vereinte Kultobjekte und Votivga-ben einer sabäisch beeinflussten oberschicht mit ortsüblichen weihgaben der einfachen Bevölkerung.

dank der großzügigen Unterstützung des auswärtigen amtes konnten der libationsaltar und weitere Votivobjekte am Fundort durch präzise repliken ersetzt, der tempel konserviert und durch einen Schutzbau überdacht werden, um das heiligtum als Frei-lichtmuseum zu erhalten. die originale sind der interessierten öf-fentlichkeit seit oktober 2015 in einem neuen Museum – errichtet gemeinsam von tctB und dem Berliner Verein zur Förderung der Museen in äthiopien – in wuqro zugänglich.

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der liBatioNSaltar VoN MeQaBer ga‘ewa war der Schlüssel für die Entdeckung des Almaqah-Tempels von Wuqro und damit eines bis dahin unbekannten Zentrums der äthio-sabäischen Kulturfusion im archäologisch noch kaum erforschten abessini-schen Hochland. Foto: P. Wolf

dr. Pawel wolF von der Orient-Abteilung des DAI hat sich als Ägyptologe und Klassi-scher Archäologe auf die antiken Kulturen des Sudan und des nördlichen Horns von Afrika spezialisiert. Er leitete Ausgrabungen und archäologische Surveys mehrerer Projek-te im Sudan, beispielsweise in Musawwarat es Sufra, am Jebel Barkal und am 4. Nilkata-rakt, sowie in Qohaito in Eritrea. Neben der Leitung seines siedlungs- und landschafts-archäologischen Projektes in Hamadab im Nordsudan betreut er die archäologischen Arbeiten des DAI an den königlichen Pyra-midennekropolen von Meroë und leitet die Feldarbeiten der Orient-Abteilung im äthiopi-schen Wuqro.

der iN eXZelleNter BildhaUerarBeit aus nahtlos aneinander gefügten Kalkstein-blöcken zusammengesetzte Libationsal-tar stellte einst das rituelle Zentrum des Almaqah-Heiligtums dar. Foto: P. Wolf

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anderungen sind ein Dauer-phänomen der Menschheitsgeschichte. Wanderungen von Menschen, von Gegenständen, Handelsgütern, aber auch Wanderungen von Wissen, von Ideologien, Glaubensrichtungen oder Kulturtechniken.Der Facettenreichtum von Kultur-kontakten über Jahrtausende ist schier unübersehbar – und eines der frucht-barsten Forschungsthemen moderner Archäologie.

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UnterwegsWege und Wanderungen in der Antike

titelthema

Gütertransport und tauschGeschäfte zwischen den inseln haben auf den salomonen eine lange tradition.

Foto: Moser

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„Fellbekleidete Horden überrennen die römischen Grenzen, wilde Krieger mit Hörnerhelmen demütigen besiegte römische Generäle und hilflose Senatoren in wehenden Togen – und vernichten schließlich die antike Zivilisation.“*

„wenn heute von Völkerwanderung die rede ist, schwingt häufig das 19. Jahrhundert mit“, erklärt Philipp von rummel, generalse-kretär des Deutschen archäologischen instituts (Dai) zum lebhaft diskutierten thema. Die Dichotomie des „gegen“ – Barbaren zer-stören die Zivilisation – ist nach wie vor lebendig und verschleiert allzu häufig den gebotenen analytischen Blick auf eine komplexe Kette von ereignissen. „im 19. Jahrhundert war ‚Volk‘ die konstitu-ierende größe, und geschichte sah man als ein agieren von Völ-kern gegeneinander an“, erklärt von rummel. Doch weder ‚Volk’ noch ‚wanderung’ lassen sich so einfach auf den Begriff bringen.

Zwischen dem 4. und dem ende des 6. Jahrhunderts ereigneten sich Vorfälle, an deren ende der europäische Kontinent sein ge-sicht vollkommen verändert hatte – das imperium romanum in der bis dahin bekannten Form hatte aufgehört zu existieren. Den Beginn der ereignisse markieren der einbruch der hunnen nach

osteuropa und die migration der terwingischen goten in das römische reich 376 n. chr. „Zwar hatten die einfälle der hunnen durchaus den charakter von raubzügen, aber man kann nicht alle Bewegungen dieser Zeit als kompakte oder gar intendiert geord-nete Vorgänge mit dezidiertem eroberungswillen ansehen“, sagt von rummel. „Vielmehr waren die meisten der vielen gruppen, die unterwegs waren, auf der suche nach einem stabilen Platz im großen Vielvölkerstaat römisches reich.“ Viele der Kämpfe der Völkerwanderungszeit waren Kämpfe um die integration ins reich, nicht angriffe fremder mächte zum Zwecke der eroberung. es waren Kämpfe zwischen denen, die ihre Privilegien behalten wollten, und denen, die ihr glück erzwingen wollten. „alarich oder theoderich agierten nicht gegen die römische welt oder gar au-ßerhalb, sondern innerhalb der römischen strukturen“, rückt von rummel eine der üblichen Fehleinschätzungen zurecht. „nicht ‚die germanen’ haben das römische reich besiegt. Vielmehr haben sie

* tippPhilipp von Rummel – Hubert FehrDie Völkerwanderung Darmstadt 2011Broschiert: 152 Seiten

Eine Klärung der Begriffe

VölKerwanDerUng?

am Deutschen archäologischen institut (Dai) werden die Untersu-chungen zu diesem weltumspannenden Phänomen in einem For-schungscluster gebündelt. „connecting cultures. Formen, wege und räume kultureller interaktion“ wurde 2013 neu gegründet. in Zeiten beschleunigter globalsierung können die themen, die hier verhandelt werden, unverzichtbare grundlagen auch für die einschätzung gegenwärtiger entwicklungen liefern. in der archäologie geht mit der Zunahme der weltweiten Ver-flechtungen, den Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur vieler länder und den vielfältiger werdenden wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Diskursen ein Paradigmen-wechsel einher.

seit dem 19. Jahrhundert hatte die Forschung Denkmodelle ent-wickelt, die die gegensätze und Unterschiede zwischen beteilig-ten akteuren ins auge fasste. Dabei wurde häufig der Dualismus zwischen „Fremdem“ und der Bewahrung des „eigenen“ betont. inzwischen wird dieses modell differenziert. Denn gesellschaft-liche Prozesse – seien sie nun kultureller, politischer oder wirt-schaftlicher natur – sind nur noch selten räumlich eindeutig zu-zuordnen. Die Vorstellung, wonach nationalstaatliche grenzen eine einheit umfassen, innerhalb derer sich Politik, gesellschaft, Kultur und wirtschaft national und deutlich von anderen ländern getrennt entwickeln, erweist sich immer mehr als überholte Kate-gorie. auch die Vorstellung, dass Kultur ein unveränderter und un-veränderbarer Vorrat sei, aus dem ein individuum lebensformen, werte und identitätskonstruktionen quasi mechanisch ableitet, wird zunehmend in Frage gestellt. ein statischer Kulturbegriff kann dem dynamischen charakter des kulturellen austauschs und den gesellschaftlichen und politischen entwicklungen nicht mehr gerecht werden. nicht, dass die Vorstellung einer aus der kultu-rellen tradition abgeleiteten identität deshalb irrelevant wäre. es könnte aber zu Fehlschlüssen führen, sie als eine art computer-programm zu betrachten, das vorschreibt, wie konkrete Personen in bestimmten situationen handeln oder reagieren.

Kulturkontakte und die damit verbundene genese oder trans-formation von identitäten werden daher auch in der archäologie zunehmend in ihrer ganzen Komplexität betrachtet. Dahinter verbergen sich nicht nur unterschiedliche akteure mit mitunter wechselnden identitäten, sondern verschiedene Formen von

Kontakten, die sich in unterschiedlichen physischen räumen und handlungsräumen vollziehen. mobilität und migration sowie der austausch von gütern sind motoren für Bevölkerungsentwick-lung, technische innovationen, die weitergabe von wissen und für die genese neuer sozialer und kultureller ordnungen. als was würde man zum Beispiel die Kulturen des westlichen und des öst-lichen mittelmeerraums bezeichnen wollen, wenn man bedenkt, dass große teile von ihnen nacheinander phönizisch, griechisch und römisch waren? antike reiche waren immer Vielvölkerstaaten, am augenfälligsten trifft dies auf das römische reich zu, das, einer Vorstellung des 19. Jahrhunderts zufolge, brutalen Überfällen wilder Barbaren zum opfer fiel.

Unser titelthema zeigt, dass nicht nur diese Vorstellung von ei-ner epoche namens „Völkerwanderung“ überholt ist. wanderun-gen waren auch im spiel, als es viel früher in der geschichte der menschheit um die Verbreitung von wissen ging. schon Jäger und sammler waren in weiträumigen netzwerken miteinander verbunden und hockten keineswegs ein jede gruppe für sich vor einem kleinen Feuer. wie komplex indigene entwicklungen bahn-brechender innovationen einerseits und die „wanderungen“ von neuerungen andererseits aufeinander einwirken, zeigt ein stück über entwicklungen im neolithikum, über das die wissenschaft-liche Debatte noch längst nicht vorbei ist. Pilgerreisen sind ein auch heute noch bekanntes Phänomen. menschen suchen heilig-tümer auf, um bestimmten göttinnen und göttern zu huldigen. weniger in Betracht gezogen wird dabei allerdings, dass dies zu einer steten Bewegung von menschen, Kenntnissen und gütern führte. Das heraion auf samos ist ein herausragendes Beispiel frü-her „reisereligion“.Dass häfen eine bedeutende rolle bei überregionalen Bewegun-gen und transporten spielen, liegt auf der hand. ostseehäfen im mittelalter und ein kleiner, aber bedeutender katarischer hafen aus dem 19. Jahrhundert sind unsere Beispiele. Unsere wande-rung führt uns schließlich in weit entfernte welten, in denen vor langer Zeit ebenfalls sehr weite wanderungen stattgefunden ha-ben – und zwar nicht über land, sondern mit hochseetauglichen langbooten in die inselwelt des Pazifik. wir fragen uns: wie wur-den die salomonen besiedelt?

Wie in dieser Szene aUF Der marcUssäUle in rom war das Verhältnis zwischen Römern und Barbaren im offiziellen Verständnis klar definiert. Der zivilisierte, siegreiche Römer triumphiert über den wilden, kulturlosen Barbaren. Foto: DAI Rom

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Aus einer kleinen Kirche in henchir el-goUsset (Tunesien) stammt der Schluss-stein eines Bogens mit einer Inschrift, die den vandalischen König Thrasamund nennt. Foto: von Rummel

Vandalen in Afrika – Völkerwanderung ohne „Vandalismus“

graBinschriFt Des VanDalen ariFriDos aus einer Kirche in Thuburbo Maius (Tunesien, heute im Bardo-Museum Tunis): auch in der Gestaltung ihrer Gräber unterschieden sich die Vandalen nicht von ihren römisch-afrikanischen Nachbarn. Foto: von Rummel

in und mit ihm einen entwicklungsprozess durchlaufen, an dessen ende neue herrschaftsgebilde standen.“ Und während die einen das imperium an seinen inneren widersprüchen und Dekaden-zen zerbrechen sahen, war es für die anderen ein eindeutiger Fall politischer Barbarei, ein Überfall, der das stolze reich in den Un-tergang zwang. „Beides ist richtig, und beides ist falsch“, benennt Philipp von rummel die komplexe sachlage.

in den ereignisreichen zwei Jahrhunderten veränderte sich die landkarte europas grundlegend. Das riesige römische reich war auf seine östliche hälfte reduziert, und in den Provinzen des wes-tens hatten sich neue herrscher etabliert. „Das leben ging wei-ter und keineswegs in allen lebensbereichen schlechter“, weiß Philipp von rummel. geradezu romantische Vorstellungen des imperium romanum als einem unerreichten Vorbild des neuzeit-

lichen machtstaats trieben manchen gelehrten in die Vorstellung eines ‚clash of civilizations’, weiß der archäologe. „es ist richtig, dass das technische und wirtschaftliche niveau in ganz europa sank“, sagt von rummel. man solle dabei aber auch fragen, für wen genau welche entwicklungen von nachteil waren. „Zwar mag die residenz des angelsächsischen Königs von northumbria nicht annähernd so prächtig gewesen sein wie der Palast hadrians in tivoli. Doch der ernährungsstatus der europäischen Bevölkerung blieb während der Völkerwanderungszeit der gleiche“, sagt von rummel. Damit war ihr lebensstandard in dieser hinsicht besser als derjenige der meisten menschen im 19. Jahrhundert, dem Jahr-hundert der großen erzählungen über die Völkerwanderungszeit.

Basis Des theoDosiUs-oBelisKen auf dem Hippo-drom in Istanbul (Türkei): Klare Verhältnisse in der kaiserlichen Darstellung in der beginnen-den Völkerwanderungszeit mit der kaiserlichen Familie und Leibwächtern im oberen Register, unten gabenbringen-de Barbaren. Foto: von Rummel

sattelBeschläge eines Gepidenfürsten aus dem Schatz von Apa-hida - Nationales Museum der Geschichte von Rumänien. Apahida ist eine Gemeinde in Siebenbürgen, die durch ihre drei Prunkgräber aus der Zeit der Völkerwanderung berühmt wurde. Abb: „Saddle fittings of a Gepid prince - Apahida.jpg“, James Steakly, GFDL 1.2 oder später

Das maUsoleUm theoDerichs in Ravenna. Der Eckstein des eindrucksvollen Grabbaus ist aus einem einzigen Stein gearbeitet. Foto: DAI Rom

Unter VanDalischer herrschaFt wurden in Karthago (Tunesien) große Villen errichtet und ausgebaut, die sich von älteren römischen Häusern, wenn überhaupt, nur dadurch unterschieden, dass sie noch etwas prächtiger ausgestattet waren. Foto: von Rummel

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lebensmittel zu produzieren, statt sie nur zu sammeln, ist einer der wesentlichen Züge der „neolithischen revolution“. in mitteleuropa wird die Verbreitung der innovationen des neolithikums mit der linienband-keramik-Kultur verbunden. mahlsteine wie diese wurden in gräbern der Bandkeramiker gefunden. Foto: “Molino piedra-2009.jpg”, Tamorlan, CC-BY 3.0

Die Ausbreitung des Neolithikums

aUF Dem weg nach eUroPa

in weiten teilen der alten welt werden zwischen 10.000 und 6500 v. chr. menschen sesshaft, produzieren lebensmittel anstatt sie nur zu sammeln, domestizieren tier und Pflanze, bauen häuser, entwickeln Keramik, schließlich sogar die metallurgie und brin-gen differenzierte gesellschaftliche institutionen hervor. älteste Formen dieser lebensweise sind aus dem Fruchtbaren halbmond, der Kernlandschaft des Vorderen orients, seit dem 10. Jahrtau-send v. chr. bekannt. Von dort breitete sich die frühbäuerliche lebens- und wirtschaftsweise ab dem 7. Jahrtausend v. chr. aus. Über südost-europa wanderte die „neolithische revolution“ bis nach mitteleuropa und schließlich weiter nach norden und wes-ten.

„was wir heute in europa unter Zivilisation verstehen, kommt ur-sprünglich aus dieser region des Vorderen orients“, sagt eszter Bánffy, erste Direktorin der römisch-germanischen Kommission des Dai (rgK). transmissionsriemen dieser Prozesse ist die südost-europäische starčevo-Kultur – so genannt nach einem Fundort in serbien. „Die angehörigen dieser Kultur waren die letzten migran- ten, die noch genetisch aus anatolien stammen“, sagt Bánffy,

„träger der innovationen eines sozialen und kulturellen ‚Pakets’, das europa irreversibel veränderte.“ Doch es wäre verfehlt, sich den Prozess der neolithisierung eu-ropas als einen einfachen Kulturkontakt im sinne einer „mission civilisatrice“ vorzustellen, bei dem eine „höher entwickelte“ Kultur einer einfacheren etwas beibringt. „im Zuge dieser lang andau-

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ProF. Dr. esZter BánFFy ist Erste Direktorin der Römisch-Germanischen Kommission des

DAI in Frankfurt. Foto: privat

ernden entwicklung gab es in vielfältige Kontakte und komple-xe akkulturationsprozesse zwischen den einwanderern und den ansässigen Jäger- und sammlerkulturen im südost- und mittel-europäischen raum“, weiß Bánffy. „eine revolution im wörtlichen sinne war die neolithisierung also eher nicht.“ Begünstigt wurden die Kontakte durch eine Verlangsamung der wanderungsbewe-gung der immigranten in der region um das westliche Karpaten-becken, unter anderem, weil die bäuerliche lebensweise an das immer kühlere und nassere, atlantische Klima angepasst werden musste. so ergaben sich gelegenheiten, voneinander zu lernen.

„Die ansässigen Jäger- und sammlerkulturen waren an die hügel- und wasserlandschaft der region bestens angepasst“, sagt die archäologin.

Neue Methoden in der Archäologie könnten Übersicht in die komplexe Lage bringen. Schon seit Jahrzehnten werden mittels Radiokarbon-methode Datierungen genauer, Materialanalysen erweitern das Wissen um Produktion und Distribution, seit einiger Zeit spielen Isotopen- und DNA-Analysen eine größer werdende Rolle, um zum Beispiel Wande-rungsbewegungen bestimmter Gruppen ausmachen zu können.

neUe QUellen Der archäologie

archäoloGie WeltWeitMachen die Naturwissenschaften den klassischen Methoden der Archäologie Konkurrenz?

philipp von rummelsie bieten eine wertvolle ergänzung. aber wie alle anderen Quel-len müssen auch Quellen aus naturwissenschaftlicher Forschung kritisch betrachtet werden. so können wir zum Beispiel mit bio-logischen methoden populationsgeschichtliche informationen gewinnen und Verwandtschaftsverhältnisse bestimmen – aber kulturell und soziologisch ist damit noch nichts gesagt. Denn Verwandtschaft wurde und wird ja häufig nicht in erster linie biologisch definiert, sondern soziologisch. wenn es schließlich zu Fragen wie selbstzuschreibung, identität oder sprache kommt, kann es sehr kompliziert werden.

Dr. PhiliPP Von rUmmel ist Generalsekretär des Deutschen Archäologischen Instituts

Foto: Kuckertz

untersuchunGen am referat für naturWissenschaften des dai: Man

kann die Fellfarbe von Pferden als Marker für das Einsetzen des Domestikationsprozesses von Wildtieren verstehen. Spätestens ab der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. gibt es eine

deutliche Zunahme der Farbfell-Varianten bei Pferden aus Osteuropa und Westsibirien als

Folge gezielter Zucht. Abb.: Benecke

aW Wie gestalten sich die Diskurse in der Archäologie zu den Möglichkeiten etwa von DNA-Analysen?

von rummelwenn man mit neuen methoden erkenntnisse erweitern kann, ist die Begeisterung anfangs immer groß. aber wir dürfen dabei nicht historische gegen genetische methoden ausspielen wollen. Die Zusammenarbeit zwischen geistes- und naturwissenschaf-ten ist fruchtbar und notwendig, und wird gerade im Dai schon seit langer Zeit praktiziert. alte Dna ist eine von vielen Quellen-gattungen, an die historische Fragen gestellt werden können. in dieser reihe kann sie äußerst wertvolle erkenntnisse liefern, ist aber grundsätzlich nicht wichtiger oder gar objektiver als andere Quellen. ganz gleich, ob es sich um einen archäologischen Fund, einen text oder eben Dna aus einem alten skelett handelt – alle bedürfen einer historischen interpretation, wenn die aussage über das rein Faktische hinausgehen soll. Die archäologie war stets ein mittler zwischen unterschiedlichsten Disziplinen und Zugängen. in dieser tradition fügt sich die Paläogentik ein in eine reihe zahlreicher anderer in der archäologie angewandter natur-wissenschaften. in unterschiedlichsten Kooperationen wird sie in Dai-Projekten bereits ganz selbstverständlich praktiziert, sowohl in studien zu menschlicher als auch tierischer Dna.

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mehr als 30 geFUnDene sKelette bieten – neben der archäologischen und anthropologischen Auswertung – zahlreiche Möglichkeiten für weitere Forschungen wie zum Beispiel paläopathologische Untersuchungen, 14C-Datierung sowie Isotopen- und aDNA-Analysen. Einige der Skelette wurden in unterirdischen Öfen bestattet. Fotos: Bánffy

KarpatenbecKen

Kooperationen Kroatische Akademie der Wissenschaften und Künste, Zagreb, Institut für ArchäologieJohannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für AnthropologieEötvös Loránd Universität Budapest, Institut für Archäologie Ungarische Akademie der Wissenschaften Budapest, Institut für ArchäologieUniversität Szeged, Institut für Anthropologie

alsónyéK-bátaszéK

Kooperationen Landesamt für Denkmalpflege Hessen Ungarische Akademie der Wissenschaften, Budapest, Forschungszentrum für Humanwissenschaften

hinterlassenschaften einer Jahrtausende alten Kultur. Fotos: Bánffy

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transdanubien

Kooperation Universität Heidelberg, Institut für Ur- und FrühgeschichteUngarische Akademie der Wissenschaften, Budapest, Forschungszentrum für Humanwissenschaften

FörderungDeutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Die FrÜhneolithische FUnDstelle alsónyéK-BátasZéK ist die größte bekannte Starčevo-Siedlung in Ungarn. Sie wurde im Rahmen von Baumaßnahmen für eine Autobahn zu großen Teilen freigelegt. Oben: Ovale Öfen in Alsónyék-Bátaszék, unten: Unterirdische Öfen mit Lüftungsröhren Fotos: Bánffy

die Karte zeigt die Formierung der linien-bandkeramischen Kultur im westlichen Karpatenbecken, mitte des 6. Jahrtausends v.chr. Abb.: Bánffy

Vor allem aber waren die Bauern auf der suche nach fruchtbaren Böden. als einen weiteren wichtigen grund der dynamischen ausbreitung ins heutige Deutschland sieht eszter Bánffy aber auch die suche nach salz an, das zum einen eine eher fleischarme ernährung kompensieren konnte und zum andern als Konservie-rungsmittel unerlässlich war. Bekannte salzgebiete mit solquellen, in denen salz auch in gewässern zugänglich war, lagen im Flach-land, einer topografie mithin, in der die Bauern sich auskannten: nördlich von Frankfurt, in der elbe-saale-region und in Klein-polen.

Um die komplexe geschichte der neolithisierung europas nach-vollziehen zu können, müssen geistes- wie auch naturwissen-schaftliche archäologische Forschungsmethoden hand in hand gehen, ist eszter Bánffy überzeugt. in mehreren Projekten, die sie leitet und zusammen mit Kooperationspartnern durchführt, kom-men traditionelle archäologische methoden ebenso zum einsatz wie umwelt- und bioarchäologische Verfahren. isotopenunter-suchungen, paläomedizinische Forschungen und aDna-analysen werden herangezogen, um archäologisch gesicherte Befunde zu bestätigen, aber auch, um neue antworten auf alte Fragen zu finden. es gilt noch viel herauszufinden über eine revolution, die keine war und die dennoch das angesicht eines Kontinents von grund auf veränderte. eine der grundlegenden Veränderungen war die entstehung einer neuen Kultur. „im Zuge einer reihe kom-plexer entwicklungen und Zusammentreffen entstand schließlich die neue kulturelle identität der linienbandkeramiker, der ersten Bauern mitteleuropas“, erklärt eszter Bánffy, nachkommen der nordwestbalkanischen starčevo-Kultur, „der letzten immigranten aus dem südosten“.

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hirte mit PFerD in Paläolithischen Abri Do Ashkraft bei Kermanshah, Zentralzagros, Iran. Um 7000 v. Chr. kommt Keramik zeitgleich in Syrien, in der Levante und in der Südost-Türkei wie auch im iranischen Zagrosgebirge und in der Fars im Süden Irans auf. Für Ali Kosh im Zagros-Gebirge ist ab dem 9. Jahrtausend eine erste Verarbeitung von Erzen wie Naturkupfer und Malachit nachgewiesen.

Forschungscluster „sesshaFtigKeit”

Die Konferenz „Neolithization and its Cosequences: A global View from and to Iran” vom 1. bis zum 4. März 2016 an der Universität Teheran wurde vom Forschungs-cluster 1 des DAI in Kooperation mit Hasan Fazeli Nashli, Institut für Archäologie der Universität Teheran, veranstaltet.Im Cluster 1 „Von der Sesshaftigkeit zur komplexen Gesellschaft: Siedlung, Wirtschaft, Umwelt, Kult“ (SprecherInnen Friedrich Lüth, Karin Bartl, Norbert Benecke, Markus Reindel) wird am DAI die Forschung zu neolithischen Prozessen gebündelt. Ziel des Clusters ist es, das Umfeld und die Rahmenbedingungen der Sesshaftwerdung des Menschen in unterschiedlichen Natur- und Kulturräumen der Alten und der Neuen Welt vergleichend zu untersuchen und die wesentlichen Schritte zur Ausbildung komplexer Lebensformen nachzuvollziehen. Die ältesten ansieDlUngen Bei taPPe

sialK nahe Kashan in der Provinz Isfahan gehen 7500 bis 8000 Jahre zurück. Fotos: Thomalsky

Judith thomalsky erforscht die entwick-lung der charakteristischen iranischen steingeräteindustrie. im Zagros-gebirge und in der Fars ist sie am frühesten zu be-legen. thomalsky analysiert Feuersteinge-räte mit einem alter von 8000 bis 14.000 Jahren. „Von hier scheint sich dann diese neue technik in die türkei und in den Kaukasus zu verbreiten“, sagt thomalsky. insgesamt, so eines der übergreifenden ergebnisse der Konferenz, gab es viele lo-kale neolithische entwicklungen, die aber dennoch in regem austausch miteinander standen.

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„Das neolithikum ist wohl die innovativste Phase der menschheitsgeschichte, die wir archäologen beschreiben können“, sagt Judith thomalsky, leiterin der außenstelle teheran des Dai – eine innovative Phase, die an mehreren stellen des Fruchtbaren halbmonds gleichzeitig einsetzt. einer der indikatoren für die umwälzenden Verän-derungen ist das aufkommen der Keramik.

„Die frühe Keramikproduktion beginnt in nordmesopotamien – in syrien, in der le-vante und in der südost-türkei – wie auch im iranischen Zagrosgebirge und in der Fars im süden irans gleichzeitig“, erklärt die archäologin, „nämlich um 7000 v. chr.“.Dies ist eines der ergebnisse einer in-ternationalen Konferenz anfang märz an der Universität teheran, veranstaltet vom Forschungscluster 1 „sesshaftigkeit“ des Dai in Kooperation mit hasan Fazeli nashli, institut für archäologie (siehe Kas-ten). auch andere neolithische entwick-lungen im iran sind indigen, weiß man heute. „anhand von Dna-analysen wie auch archäozoologischen und -botani-schen Untersuchungen können wir spu-ren einer lokalen Domestikation von Zie-gen und auch von getreide ausmachen“, sagt thomalsky. Doch die neolithisierung ist ein langer Prozess. tiere zu halten, heißt zunächst noch nicht, sie auch zu domes-tizieren, und auch die Verarbeitung von Pflanzen gab es schon lange, bevor men-schen damit begannen, Zuchtsorten zu entwickeln. im iran beginnt dieser Prozess vor 10.000 Jahren.

iranisches neolithiKUm

archäologen bei der arbeit in pahlavan tappe in der iranischen Provinz nord-Khorasan. Pahlavan tappe ist ein siedlungshügel aus dem 6. Jahrtausend v. chr.

Dr. JUDith thomalsKy leitet die Außenstelle Teheran der Eurasien-Abteilung des DAI.

technologien

als in der ersten hälfte des 7. Jahrtausends v. chr. die Keramik erfunden wird, sind die stile in der Frühphase noch recht einheit-lich, doch bald entstehen regionale stile.

„Für die Zeit, in der sich die Keramik ‚re- gionalisiert’, bilden sich offenbar auch ver-stärkt regionale Kontakte und netzwerke“, sagt thomalsky. Der Bedarf an materiali-en für die aufkommenden technologien steigt und setzt eine Zirkulation dieser rohstoffe in gang. noch deutlicher fass-bar wird dies beim aufkommen der me-tallurgie, einer anderen der bahnbrechen-den erfin-dungen des neolithikums.

„Für ali Kosh in der Deh luran ebene kön-nen wir ab dem 9. Jahrtausend eine erste Verarbeitung von erzen wie naturkupfer und malachit nachweisen“, sagt thomalsky. im 6. Jahrtausend wird die neue technolo-gie erprobt, um sich schließlich im 5. Jahr-tausend weiträumig im iran und darüber hinaus zu verbreiten.

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Doch wie verbreitet sich das wissen über komplexe handwerks-techniken? nur im objekt, das gehandelt, hergeschenkt oder ge-raubt wird? „schon seit dem Paläolithikum waren die gesellschaf-ten des westlichen eurasiens zwischen atlantik und Ural durch überregionale netzwerke verbunden“, erklärt hansen. „in ihnen waren der austausch von gütern, techniken und ideen geregelt und auch der von menschen.“ gruppen von Jägern durchstreiften weite gebiete, trafen andere Jäger und tauschten sich aus mit ih-nen. „innovationen verbreiteten sich dann schnell, wenn sie plau-sibel waren“, sagt hansen. Das gilt auch für das neolithikum und die anfänge der metallurgie. Denn metall ist als innovation plausi-bel, weil es sich um das erste recycling-material handelt, das wie-der und wieder verwendet werden konnte. Plausibel sind auch rad und wagen, die um 3500 v. chr. zwischen mesopotamien und der nordsee nachweisbar sind.

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im 5. Jahrtausend v. chr. entwickelt sich die metallurgie von westasien bis nach südosteuropa. „metallurgische innovationen begründeten sich auf einen beständigen und raschen wissens-transfer“, erklärt hansen. grundlage ist zum einen eine hohe soziale Kooperationsbereitschaft. Zum anderen gibt es aber auch Faktoren des technischen Prozesses, die den wissenstransfer auch über große Distanzen begünstigten. „manche metalle – wie Zinn, antimon oder silber – sind nur begrenzt verfügbar“, sagt hansen.

„allein darin liegt ein innerer motor für die Überwindung großer Distanzen.“ lagerstätten waren immer auch potentielle treffpunk-te für spezialisten.

aşaği Pinar, Türkisch-Thrakien. Fragment einer Tonstatuette mit dem charakteristi-schen flachen Oberkörper und Kopf, um 6000 v. Chr. Foto: Hansen

Wie das Wissen in Bewegung kommt

KomPetenZnetZwerKe

erz zu finden, zu fördern, zu verhütten, zu gießen und zu formen, war eine veritable innovation, eher schon eine revolution (nach der Keramik die zweite Umwandlung von materie durch Feuer). in vielen gegenden eurasiens wurden Zeugnisse primitiver bis ela-borierter metallbearbeitung gefunden, die zu analysieren – mit-samt dem wissen, das in ihnen steckt, ebenfalls innovative metho-den erfordert, vor allem, wenn es keine schriftlichen Quellen gibt.

„Den meisten Begriffen von wissen fehlt etwas“, findet svend han-sen, erster Direktor der eurasien-abteilung des Deutschen archäo-logischen instituts. nur das akademische wissen, niedergeschrie-ben und kanonisiert, als wissen zu betrachten, hieße nämlich, den größeren teil der menschheit aus den Betrachtungen auszuschlie-ßen. „Daher ist es wichtig, die objekte zu betrachten, die träger von wissen sind.“

ProF. Dr. Dr. h. c. sVenD hansen ist Erster Direktor der Eurasien-Abteilung des DAI. Foto: I. Hansen

Wie kommen die Dinge in die Welt? Alle die nütz-lichen Dinge, die Menschen im Laufe der Jahrtausende dazu benutzten, sich das Leben zu erleichtern oder vielleicht auch nur damit anzugeben. Woher wissen Menschen, wie Pflanzen anzubauen und Tiere zu halten sind, wie man Töpfe herstellt und – viel schwieriger – Gegenstände aus Metall?

maiKoP, rUssische FöDeration, 1. Hälfte 4. Jt. v. Chr. Der Stier ist einer der ältesten Nachweise für die Verwen-dung des Silbers. Die Stierfigur ist darüber hinaus eines der frühsten Beispiele für den Guss in verlorener Form. Dieses Verfahren war schon im 4. Jt. v. Chr. zwischen Persischem Golf und südlichem Ostseeraum verbreitet. Fotos: Piotrovsky, Eremitage St. Petersburg

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alte VerbindungenDie ersten Bauern, die aus Anatolien und der Levante nach Südosteuropa kamen, bildeten ein materiell erkennbares Netzwerk zwischen Türkisch-Thrakien und Makedonien sowie der mittleren Tisza-Region (Ungarn). Verblüffend ähnliche Tonstatuetten repräsentierten eine Form der Zusammengehörigkeit. Die zweite europäische Ausbreitungswelle der bäuerli-chen Lebensweise, getragen von der „Linienbandkeramik“ zwischen dem Plattensee und der nördlichen Oberrheinebene, gründete auf eine strikte Wiedererkennbarkeit gleichartig verzierter Gefäße und uniformer Häuser, die tausendfach nach dem gleichen Schema gebaut wurden. Diese Netzwerke regulierten den Austausch von notwendigen Gütern ebenso wie den von Objekten, die ihrem Besitzer Prestige verliehen. Sie bildeten durch Hilfe und Unterstützung eine potentielle Reduktion der Gefahren durch Missernten und andere Krisen und boten damit zugleich eine aktive Verminderung des Konflikt- und Gewaltpo-tentials. In solchen Netzwerken erfolgte auch die Verbreitung technischen Wissens. Viele Innovationen der Metallurgie, wie z. B. der „Guss in verlorener Form“ waren im 4. Jt. v. Chr. schon zwischen Persischem Golf und Mitteleuropa verbreitet.

aşaği pinar, türkisch-thrakien. Fragment einer tonstatuette (Kopf und oberkörper mit Brüsten), um 6000 v. chr. Vergleichbare Figurinen dieser Form wurden zwischen türkisch-thrakien und der mittleren theissregion hergestellt. Die Darstellungskonventionen reichen bis in die Details der sorgfältig dargestellten haare. Foto: Hansen

KaranoVo, Bulgarien. Tonstatuette einer sitzenden Person, um 6000 v. Chr. Die Tonstatuette weist große Ähnlichkeit mit der Statuette aus Aşağı Pınar auf. Die linke Hand ruht auf der Scham, die rechte Hand ist auf den Rücken gelegt

sZaJol-FelsöFölD, Ungarn. Tonstatuette einer sitzenden Person, frühes 6. Jt. v. Chr. Auch diese fragmentierte Tonstatuette reprä-sentiert den gleichen Typus von Figurinen, der mit der Ausbreitung der bäuerlichen Wirtschaft- und Lebensweise nach Südosteu-ropa einhergeht. Fotos: Hansen

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innerhalb der gesellschaften wurde handwerklich-technisches wissen durch anschauung und nachahmung weitergegeben. Und wie zu allen Zeiten mussten die adepten eines spezialisierten handwerks eine echte lehrzeit durchlaufen. „in schriftlosen Kultu-ren können wir von einem familialen oder verwandtschaftlich ge-prägten Umfeld ausgehen“, sagt hansen. mit der einführung der schrift können theoretisch schulen die Vermittlung dieser neuen technik übernehmen und zunehmend die Vermittlung des durch sie aufgespeicherten wissens. allerdings gibt es hierfür zum Bei-

Bytyń, Woj. wielkopolskie, Polen. rindergespann aus arsenbronze. Die Figuren sind ebenfalls im guss in verlore-ner Form hergestellt. aber sie weisen darüber hinaus auf eine der wirkmächtigsten innovationen der menschheits-geschichte hin: wagen und Pflug, die bereits um die mitte des 4. Jt. v. chr. zwischen nordsee und mesopotamien bekannt waren. Foto: Museum Poznań

aşaği Pinar, Türkisch-Thrakien. Tonstatuette einer sitzenden Person, um 6000 v. Chr. Die Tonstatuette repräsentiert einen Typus, der charakteristisch für die Ausbreitung der bäuerlichen Wirtschaft- und Lebensweise nach Südosteuropa ist. Statuetten dieser Form wurden zwischen Türkisch-Thrakien und der mittle-ren Theissregion hergestellt. Foto: Hansen

spiel in mesopotamien keine Belege, so dass auch in schriftkul-turen weiterhin eher von einer mündlichen tradition auszugehen ist. notwendig wurde die Vermittlung von wissen und so die Ver-teilung auf mehrere Köpfe, weil auch schon in der Kupfer- und Bronzezeit die menschen mobil waren. es hätte unter Umständen den Fortbestand einer ganzen gruppe gefährden können, wenn es einem einsamen genie gefallen hätte, einfach wegzugehen.

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den genauen termin in abstimmung mit den unterschiedlichen Kultkalendern bekanntzugeben. Die „olympischen spiele“ beginnen im 8. vorchristlichen Jahrhun-dert und erreichen wie andere spiele auch allmählich eine pan-hellenische Bedeutung. alle vier Jahre rief olympia die Jugend zu den panhellenischen spielen. Und mit ihr kamen alle, die rang und namen, macht und mittel hatten. hier wurden die sportwett-kämpfe ausgetragen, die so berühmt und so ruhmreich waren, dass bis heute bei der Zählung der spiele das Zeitalter genannt wird: 2016 finden die 31. olympischen spiele „der neuzeit“ statt. waren und Kulturtechniken – einheimische wie fremde – fanden anbieter und abnehmer, menschen und wissen kursierten in frei-em austausch. olympia im nordwesten der halbinsel Peloponnes wird seit 1875 von deutschen archäologen erforscht. inzwischen ist fast das gesamte heiligtum mit seinen zahlreichen repräsenta-tiven Bauten für Kulte und sport freigelegt.

samos

Die griechische insel samos liegt vor der ionischen Küste Kleinasi-ens. in der antike war sie regionalmacht und bedeutendes han-delszentrum. hier wurde eines der herausragenden heiligtümer für hera, gattin und schwester des Zeus, das heraion, errichtet. herodot bezeichnet die monumentale tempelanlage als den größten tempel griechenlands. seine Blütezeit fällt in das 8. bis 5. Jahrhundert v. chr., bezeugt durch eine Fülle an weihgeschenken aus Keramik, stein, Fayence, elfenbein, metall und schnitzereien aus holz, die sich im sumpfigen gelände des heiligtums erhielten.

Das heraion wird seit rund 90 Jahren von der abteilung athen des Deutschen archäologischen instituts (Dai) erforscht. Für Überra-schungen sorgten die grabungen, die ein internationales archäo-logenteam unter der leitung des damaligen Direktors der abtei-lung athen des Dai, wolf-Dietrich niemeier, östlich des ca. 550 v. chr. errichteten großen altars 2012 und 2013 durchführte. Das grabungsteam deckte eine reiche Planierungsschicht mit ei-ner Fülle an heiligtumsabfällen auf, die auf den ersten Blick ein großes Durcheinander offenbarte. sortiert und bearbeitet, ver-wandelte sich der unübersichtliche schutt in ein Zeugnis interna-tionaler Vernetzung. Zyprische Kalksteinstatuetten, edelmetalle und gussformen für schmuck gehörten zu den neufunden, die archäologinnen und archäologen fanden aber auch einen sil-bernen ägyptisierenden siegelring aus phönizischer Produktion oder auch eine Ushbeti-statuette aus Kalkstein, die aus ägypten importiert worden war, in einer älteren Planierschicht zudem eine ägyptische Bronzestatuette der nubischen 25. Dynastie. sie zeigt die nackte weibliche gestalt einer Konkubine mit afrikanischen gesichtszügen. in der linken hand trägt sie Krone und lilie.

„Kein anderes griechisches heiligtum hat unter den Votiven frühar-chaischer Zeit einen solchen reichtum und eine solche Vielfalt an importen aus dem Vorderen orient und ägypten hervorgebracht wie das der hera auf samos“, sagt wolf-Dietrich niemeier. „samos war also bereits im 7. Jahrhundert v. chr. in die internationalen handelsnetze des östlichen mittelmeers und darüber hinaus ein-gebunden.“ nun gilt es, die Vielzahl der neufunde weiter zu bear-beiten und für die Publikation vorzubereiten.

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schuttschicht mit Votiven in situ aus älteren altären. Das grabungsteam deckte eine reiche Planierungsschicht mit einer Fülle an heiligtumsab-fällen auf. sortiert und bearbeitet, verwandelte sich der unübersichtli-che schutt in ein Zeugnis internationaler Vernetzung.

Ägyptische Bronzestatuette der 25. Dynastie. Ushebti aus Kalkstein.

Phönizischer ägyptisierender Silberring.

Fotos: Niemeier

Die internationalen Vernetzungen bedeutender Heiligtümer schmelZtiegel

Vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. chr. geriet eine große region am mittelmeer in Bewegung. einzelne gruppen von menschen machten sich auf die suche nach handelsmöglichkeiten, andere wollten land besetzen oder städte gründen. Die meisten gingen zuvor nach Delphi, um im heiligtum des apollon das orakel zu befragen. so wird der tempel Umschlagplatz für geografische, nautische und ethnologische informationen. später würde man diese Phase „Die große griechische Kolonisation nennen.“ Doch der mittelmeerraum war kein Binnenraum. er war darüber hinaus über Flüsse und handelswege mit anderen Kulturen verbunden – die netze reichten einerseits bis in keltisches gebiet, andererseits hinein in circumsaharische Kulturkreise, die sich wiederum mit denen des alten Vorderen orients überschnitten. Die arabische halbinsel war über den pazifischen ozean mit den Kulturen indi-ens verbunden, die wiederum mit dem Zentral- und mittelasiati-schen raum. Bei den vielen Bewegungen von menschen, wissen und waren spielten antike heiligtümer sehr häufig eine uns heute fremd gewordene rolle als informationsbörsen, treffpunkte und Koordinationszentren – und zugleich Zeugnisse für ebendiesen austausch über kulturelle grenzen hinweg.

innerhalb der griechischen welt gehörten ortsveränderung und Bewegung zum leben der menschen, die häufig aus religiösen gründen auf reisen gingen. ein Beispiel dafür sind die panhelle-nischen Feste, die seit der entstehung der Polisgesellschaften im 8. vorchristlichen Jahrhundert stattfanden. Jede Polis, die ein hei-liges spiel ausrichtete, hatte monate vor Beginn der agone eine abordnung an alle orte der griechischen welt zu entsenden, um

ProF. Dr. wolF-Dietrich niemeier, ehemaliger Erster Direktor der Abteilung Athen des DAI, leitete die Ausgrabungen auf Samos.

Kooperationspartner21. Ephorie für prähistorische und klassische Altertümer des griechischen AntikendienstesUniversität von ZypernUniversität Bochum

FörderungUniversität von ZypernFritz Thyssen StiftungInstitute for Aegean Prehistory

Babylonische Bronzestatuette eines Mannes mit Hund.

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äfen sind Schnittstellen zwischen Land und Wasser. Sie sind Wege in ferne Welten. In vielen geografischen Kontexten braucht es Häfen, um Güter, Menschen und Informationen transportieren zu können. So werden Häfen zu Trägern ökonomischer, sozialer und kultureller Strukturen.

Häfen sind komplexe Systeme, in denen Umwelt, Technik, Logistik, soziale, ökonomische und politische Beziehungen einander überlagern. Schließlich: Wie definieren Städte am Meer ihr Verhältnis zum Hinterland? In welchem Maße richtet sich ihr Blick aufs Meer?

Die erforschung antiker stadtkultur gehört zu den zentralen For-schungsfeldern der archäologie – viele der bedeutenden Zentren der antike waren auch hafenstädte. Zur archäologischen For-schung gehört auch herauszufinden, wie in der Vergangenheit der austausch von ressourcen und ideen und die Bewegung von menschen funktionierte.

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Häfen an der Ostsee und am Arabischen Golf

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graBUng in rostocK-DierKow.Foto: Karle, Niedersächsisches Institut für historische Küstenforschung (NIhK)

Die Archäologen haben in Umm al-hoUl eine 900 Quadratmeter große Hofhausanlage freigelegt. Foto: Pfeiffer

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Die lage im VertorFten nieDerUngsBereich begünstigte die Erhaltung von organischen Materialien wie Holz oder Leder in Rostock-Dierkow; mehrere freigelegte Flechtwerkmatten und -zäune sowie verschiedene Holzkonstruktionen weisen auf umfangreiche Baumaßnahmen hin. Fotos: Sack

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aKriBische arBeit beim Ausschlämmen und Durchsichten der Kulturschichten.

Neben botanischem Material traten die schönsten Perlen zutage. Sie zeigen, dass es weitreichende Kontakte gab, teilweise über

den Ostseeraum hinaus.

Foto: Messal

Foto: Kiepe, Niedersächsisches Institut für historische Küstenforschung (NIhK)

Doch wie wählten die menschen einzelne standorte überhaupt aus? „Für die anlage von landeplätzen bzw. häfen bevorzugte man geschützte lagen in Buchten, Boddengewässern oder an Flussläufen“, sagt messal. „Die dazugehörige siedlung wurde aber in der regel in unmittelbarer nähe auf erhöhten standorten an-gelegt.“ Die archäologen wollen darüber hinaus klären, wie die häfen an die jeweilige siedlung angebunden waren und welche rolle überhaupt der hafen im leben der siedlung spielte. mit der Zeit scheint sich so etwas wie eine maritime identität entwickelt zu haben – die gräber, mehrfach auch in Form von Booten, in den Küstenorten befanden sich meist in erhöhter lage und boten ei-nen guten Blick über handelsplatz und hafen.

ostseehäFen

anders als man heute denken mag, war der ostseeraum im frü-hen mittelalter eine belebte und durchaus globalisierte region, in der nicht nur enge nachbarn miteinander zu tun hatten und entsprechend begrenzten handel trieben. Vielmehr bildete er die Kontaktzone zwischen den skandinavischen Königreichen, dem fränkischen reich und den baltischen und slawischen gebieten. ein gesellschaftlich, ethnisch, religiös und wirtschaftlich äußerst heterogener internationaler wirtschaftsraum entstand, in dem güter, informationen und menschen ständig unterwegs waren. er bot somit ausgezeichnete Voraussetzungen für die erschließung neuer märkte und die Kommunikation von innovationen.

„seit dem 8. Jahrhundert erlebt der ostseeraum eine Blüte des Fernhandels und die etablierung und Festigung eines überregi-onalen Verkehrsnetzes“, beschreibt sebastian messal die entste-hung des internationalen wirtschaftsraums. Das zentrale element dabei sind häfen, die sich in anlage und ausrichtung auf über-regionalen handel und das dazu notwendige handwerk speziali-sierten, die ihrerseits eine große kulturelle Vielfalt zeigen. „neben slawen könnten hier auch skandinavier und vielleicht Friesen und sachsen gelebt haben“, fügt messal hinzu. „so etwas finden wir im Frühmittelalter südlich der ostsee nur auf diesen seehandels-plätzen.“

messal ist mitarbeiter des interdisziplinären DFg-gemeinschafts-projekts der abteilung Kulturgüterschutz und site management des Deutschen archäologischen instituts (Dai) und des nieder-sächsischen institutes für historische Küstenforschung, in dem frühmittelalterliche hafenanlagen zwischen wismarer und Danzi-ger Bucht erforscht werden.

„im 9. und 10. Jahrhundert schließlich erleben die ostseehäfen einen erheblichen Bedeutungszuwachs“, erklärt messal. „manche entwickelten sich sogar zu mittelalterlichen städten.“ während aber die einen naturgewalten wie hochwasser, Verlandung oder Veränderung des wasserspiegels durch umfangreiche ausbau- und infrastrukturmaßnahmen innerhalb der siedlungen trotzten, gaben andere auf und verschwanden wieder.

FrÜh- UnD hochmittelalterliche aUF hanDel UnD hanD-werK sPeZialisierte KÜstenansieDlUngen entlang Der sÜDlichen ostseeKÜste:

Groß Strömkendorf, Rostock-Dierkow, Ralswiek auf Rügen, Usedom, Bardy/Świelubie und Puck wurden von den Archäologen bereits umfassend interdisziplinär untersucht.

Dr. seBastian messal ist Mitarbeiter der Abteilung Kultur-güterschutz und Site Management des Deutschen Archäologischen Instituts. Foto: Karle, NIhK

1 Starigard/Oldenburg; 2 Alt Lübeck; 3 Groß Strömkendorf; 4 Rostock-Dierkow; 5 Ralswiek; 6 Menzlin; 7 Usedom; 8 Szczecin; 9 Wolin; 10 Kamień Pomorski; 11 Kołobrzeg; 12 Bardy/ Świelubie; 13 Puck; 14 Gdańsk; 15 Janów Pomorski.

Grafik: Messal

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umm al-houl

auf den ersten Blick scheint Umm al-houl ein kleines unscheinbares nest an der katarischen Küste des arabischen golfs gewesen zu sein. Um die 20 häuser aus dem 19. Jahrhundert mögen es gewesen sein, die in der siedlung, die landseitig von einer stadtmauer umgeben war, er-richtet worden waren. „Doch der ort ist ein bedeutsamer Bestandteil des kultu-rellen erbes Katars“, weiß Kristina Pfeiffer von der orient-abteilung des Deutschen archäologischen instituts (Dai). Die sied-lung ist die einzige befestigte siedlung an der südostküste des landes. seit 2012 werden in Kooperation zwischen Qatar museums (Qm) und der orient-abteilung des Dai umfassende surveys in der regi-on durchgeführt. Da der alte ort sowohl durch Baumaßnahmen wie auch durch Umweltschäden gefährdet ist, entschied man sich für rettungsgrabungen, die von 2014 bis 2015 durchgeführt wurden.

an Der KÜstenZUgewanDten seite Der sieDlUng stand ein runder Turm, der als Beobachtungsposten gedient haben könnte.

Foto: Pfeiffer

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DUrch BaUmassnahmen hat sich Der grUnDwassersPiegel starK VeränDert. Dadurch ist die Ruine gefährdet. Foto: Pfeiffer

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schwierige arBeitsBeDin-gUngen. Die Hafenareale sind heute zumeist vermoort, sumpfig und mit Schilf bestanden.

geomagnetische UntersU-chUngen in Rostock-Dierkow.

Foto: Karle, Niedersächsisches Institut für historische Küsten-forschung (NIhK)

KernBohrUngen in Bardy/Świelubie.

Foto: Messal

BlicK auf den hafen von Gross strömKendorf. Das hafenbecken zeichnet sich deutlich als l-förmige Verfärbung (durch algenwachstum) ab. Luftbild: Google Earth

Der hanDelsPlatZ Von gross ström-KenDorF wird sowohl von der Landseite her als auch auf dem Wasser erforscht. Die geophysikalischen Messungen im Flachwasserbereich des Hafenbeckens (hier Geomagnetik) werden vom Institut für Geowissenschaften der Christian-Albrechts-Universität Kiel durchgeführt.

Foto: Messal

Der kolonialzeitliche ort liegt an der südostküste Katars, 20 km südöstlich der hauptstadt Doha. seeseitig ist durch vorgelagerte strandstreifen eine lagune entstanden, in der sich ein niedriger man-grovenwald gebildet hat. Dieser trennt die siedlung von der offenen see und grenzt westlich direkt an die Bebauungsreste. Die landseitige, natürliche topografische Umgebung des ortes ist durch die jüngs-te Bebauung in Form eines sedimenta-tionsbeckens vollkommen zerstört. Die wälle des Beckens umfassen die siedlung im norden, westen und süden. nach os-ten zum meer hin war die siedlung offen. rundtürme dienten als Beobachtungs-posten besonders zur Küstenseite. im ort fanden sich verschieden große hofhäuser aus lehmverputztem Kalkstein mit vier-eckigen grundrissen im traditionellen Baustil der region.

im Jahr 2015 fanden die archäologinnen und archäologen teile einer möglichen kleinen hafenanlage und Bootswerkstät-ten in den mangroven. „Die anbindung an den arabischen golf ist ein hauptgrund für die wahl des siedlungsplatzes“, erklärt Pfeiffer. Zum einen war so die subsistenz gesichert. Zum anderen aber war der Zu-gang zu den großen Perlenbänken ge-währleistet. Perlen hatten seit jeher eine überregionale Bedeutung für den handel – das Perlentauchen im arabischen golf war ein einträgliches Unterfangen. so ließ sich eine der bedeutendsten katarischen han-delsfamilien in Umm al-houl nieder und trug zur Bedeutung der kleinen siedlung an der katarischen Küste bei. Das ende des Perlenhandels läutete auch das ende des ortes Umm al-houl ein. 1930 hatten die Japaner die Zuchtperlen erfunden.

archäologie weltweit _ 65

malaita So wie sich die Insel einst den pazifischen Seefahrern präsentierte, so zeigt sie sich weitgehend auch noch heute.

Foto: J. Moser

Einwanderung auf die Salomonen

seewege

Dr. Johannes moser ist Referent für Asien der KAAK in Bonn. Foto: C. Moser

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Eine regelrechte Völkerwanderung soll es gewesen sein, die um 3000 v. Chr. im größten Ozean der Erde vonstatten ging. In 20 Meter langen Groß-kanus kamen Menschen über den Ozean und besie-delten nach und nach die pazifische Inselwelt. Vom Bismarck-Archipel in Papua-Neuguinea aus stießen die Lapita-Leute, benannt nach einer Fundstelle auf der Foué-Halbinsel in Neukaledonien, bis zu den Salomonen und Vanuatu vor. Später breitete sich die Lapita-Kultur nach Fidschi, Tonga und schließlich Samoa aus. Doch woher kamen die Lapita-Leute? Kamen sie aus Südchina, Taiwan, von den Philip-pinen oder gar aus Indonesien? Oder doch aus dem Bismarck-Archipel, wo die ältesten Spuren dieser Kultur gefunden wurden?

Frühmittelalterliche haFenanlagen

KooperationNiedersächsisches Institut für historische Küstenforschung (NIhK)Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-VorpommernInstitut für Geowissenschaften der Christian-Albrechts-Universität Kiel (IFG)Nationalmuseum StettinNationales Maritimes Museum DanzigPolnisches Geologisches Institut DanzigWikingerschiffmuseum Roskilde

FörderungDFG-Antrag Schwerpunktprogramms (SPP 1630) „Häfen von der römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter. Zur Archäologie und Geschichte regionaler und überregionaler Verkehrssysteme“. Gesamtlaufzeit: Sechs Jahre (2012–2018)

umm al-houl

KooperationspartnerQatar Museums (QM)Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)Universität zu Köln Deutsches Archäologisches Institut (DAI)

FörderungQatar Museums (QM)

im mangroVengeBiet wurden Baureste vorgefunden, die womöglich Bootshäuser waren. Im Hintergrund die Großbaustelle des neuen Industriehafens. Foto: Pfeiffer

ÜBerreste Kleiner BaUlicher anlagen, die als Bootshäuser oder zum Trocknen von Netzen verwendet worden sein könnten. Foto: Pfeiffer

Dr. Kristina PFeiFFer dokumentiert die Arbeiten während der Ausgrabung. Foto: Tiltmann

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„wir stehen noch ganz am anfang“, sagt Johannes moser von der Kommission für archäologie außereuropäischer Kulturen des Dai (KaaK). seit 2011 arbeiten er und seine Kooperationspartner auf der insel malaita (salomonen), um neue erkenntnisse zur ausbrei-tung des prähistorischen menschen in den pazifischen raum zu gewinnen. eine erste Besiedlungswelle in der region gab es wäh-rend des Paläolithikums, vor 30.000 Jahren. „Die lapita-leute sind die ‚neuen‘“, erklärt moser. sie kamen vor ungefähr 3500 Jahren, besiedelten die Küstensäume und brachten verzierte, in stich-technik aufpunktierte Keramik mit, die lapita-Keramik.

in mehreren höhlen, und unter Felsdächern und an offenen Freilandfundplätzen entdeckten die wissenschaftler abschlag-material aus Feuerstein, der offenbar in die Fundstellen einge-bracht und dort zu werkzeugen weiterverarbeitet wurde und in die Vergangenheit vor dem ersten Kontakt mit europäern ende des 16. Jahrhunderts zurückreichte. Bald stellte sich heraus, dass hier nicht nur für den eigenbedarf produziert wurde. „wir haben es hier mit einem großräumigen Produktionszentrum zu tun, von dem aus die Fabrikate – in erster linie steinbeile – als handels- oder tauschware überregional in Umlauf gebracht wurden“, sagt moser. Der Fundort apunirereha hat, auch wegen seines einzig-artigen und immensen rohmaterialvorkommens vor ort, dabei eine schlüsselposition auf der insel malaita. Kontakte zwischen den inseln, auch über größere Distanzen, und funktionierende Beziehungsgeflechte haben im melanesischen raum eine lange tradition.

auf der spur der steine des Fundplatzes apunirereha ist Benjamin spies, der an der Universität tübingen zum thema promoviert. er will nicht nur die entwicklung der Feuersteintechnologie, die an diesem Fundort vor mehr als 2000 Jahren ihren anfang genom-men zu haben scheint, untersuchen, sondern auch aufschluss darüber gewinnen, ob malaita womöglich die weitere region mit silex versorgt hat.

Benjamin spies promoviert zur entwicklung der Feuerstein-technologie und der Verbreitungswege von silex. Foto: J. Moser

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Das ria FelsschUtZDach, ein Wohn- und Bestattungsplatz im Süden der Insel Malaita, Salomonen. Das Felsdach bietet Platz für 1-2 Familienverbände. Der vorkragende Felsüberhang ist Teil eines isolier-ten Felsstocks im tropischen Regenwald.

DoPPelBestattUng unter dem Ria Felsschutzdach.

Die art Der BestattUng mit geKreUZten Unterarmen UnD geKreUZten FÜssen wurde in entlegenen Regionen auf der Insel Malaita bis in die 1960er-Jahre praktiziert. Die Kopfpartien der Toten wurden häufig mit Steinen abgedeckt.

Fotos: J. Moser

scheiBenBeile aus lokalem Feuerstein.Foto: J. Moser BeiltyPen unterschiedlicher Machart aus Apunirereha.

Foto: Hartl-Reiter; J. Moser

JUlia gresKy Bei Der anthroPologischen analyse der mensch-lichen Skelettreste aus den Bestattungen des Ria Felsschutzdaches. Foto: J. Moser

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„crossroads oF culture“

Beim ria-Felsschutzdach, dem zweiten Fundplatz auf der insel, fanden moser und seine Kollegen einen gesetzten Kieselbelag, der offenbar menschenwerk war. Darunter fanden sie menschli-che Überreste, die wahrscheinlich bestattet worden waren. aber sie deckten die Knochen vorerst wieder zu. „Die Bewohner der in-sel wussten nicht, dass an dieser stelle ein grab war“, erzählt mo-ser. „andernfalls wäre der Platz tabu gewesen.“ Zum glück für die Forscher gibt es etwas wie eine nachträgliche tabuisierung nicht. nun hoffen sie, dass der Fund aufschluss über die noch unklaren Befunde zur herkunft der menschen geben könnte. Die ersten Untersuchungen der skelette dreier menschen führte die Paläoanthropologin Julia gresky vom referat für naturwissen-schaften des Dai durch. „normalerweise zerstören Feuchtigkeit und wurzeln in solchen Klimaten die Knochen“, erklärt gresky. Der Fund ist also ein glückstreffer. schnell stand fest, dass die Be-statteten vor dem ersten Kontakt mit europäern gestorben sind.

„sie sind etwa 500 Jahre alt, das haben 14c-Datierungen ergeben“, erklärt die anthropologin. in dem grab lagen eine Frau von ca. 25 bis 30 Jahren, ein 11- bis 13-jähriges Kind, eher weiblich als männlich, und ein ungefähr 4-jähriges Kind. einen ersten hinweis auf die mögliche herkunft ergab die Untersuchung der Zähne. gresky entdeckte bei den zwei älteren individuen eine schaufel-artige Verformung der Zahnrückseiten, was an einen asiatischen Ursprung denken lässt. aufgrund anderer hinweise ist außerdem darauf zu schließen, dass die Frau und das ältere Kind miteinander verwandt waren. Das jüngere Kind hatte hingegen keine schaufel-förmigen Zähne. Dna-analysen, die am max-Planck-institut für menschheitsgeschichte in Jena durchgeführt werden, aber auch

isotopenuntersuchungen, mit denen Fragen zur regionalen her-kunft der menschen und zu ernährungsgewohnheiten beantwor-tet werden können, sollen weiteren aufschluss geben. „natürlich sind drei skelette noch zu wenig, um ‚große‘ theorien entwickeln zu können“, warnt Julia gresky vor allzu schnellen schlussfolge-rungen.

„Die salomonen sind ‚crossroads of culture‘“, weiß Johannes moser. schon seit langer Zeit sind sie eine bedeutende, gut vernetzte kulturgeografische Kontaktzone zwischen den groß- regionen südostasiens, australiens und der pazifischen inselwelt.

„Die menschen waren ständig unterwegs – das ist es, was die For-schung so viel spannender macht.“

sondaGe am lithischen schlaGplatz apunirereha mit sichtbarer artefaktstreuung an der oberfläche. Foto: J. Moser

VereinFachtes schema Der migrationsaBläUFe im sÜDlichen PaZiFiK.(Karte basierend auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Map_Polynesian_migration-es.svg? CC-SA 4.0 Anpassung: J. Moser)

Nordwestprofil der Sondage in Apunirereha. Kulturschicht mit Erdofen (‚Umu‘) und projizierten 14C Daten. Die Kulturschicht, hier als schwarz-braunes Band zu erkennen, datiert auf 672 BP ± 42.

Foto: J. Moser

Der Fundort Apunirereha, ein lithischer Freilandfundplatz zur Her-stellung von Steinwerkzeugen. Die Ausgrabungen werden von der lokalen Bevölkerung mit großem Interesse verfolgt.

Foto: J. Moser

Foto: J. Moser

Kulturschicht mit Erdofen ‚UMU‘Datierung 672 BP ± 42

Datierung 2050 BP ± 43

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Die inselKette Der salomonen und Teile des Bismarck-Archipels mit erweiterter Landmasse zu Zeiten eines Meeresspiegelabfalls (Re-gressionsphase) im Pleistozän mit Fundstellen des Paläolithikums und dem bislang ältesten Fundort Vatuluma Posovi auf den Salomonen.

Die Salomonen und der Bismarck-Archipel in heutiger Zeit.Grafik: Wittersheim

KooperationNational Museum Solomon Islands (Honiara)Ministry of Culture and Tourism, Solomon IslandsTony Heorake, Director National Museum Lawrence Kiko, Chief Archaeologist National Museum. Dennis Marita, Director of Culture

mitarbeiterChief Andrew Raroirae (Maniaha)Robinson Kokope (Masupa)

logistische hilFestellungDeutsche Botschaft CanberraHonorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland auf den Salomonen Gerald Stenzel (Honiara).

Die Bewohnerinnen UnD Bewohner Der salomonen zeigen eine große Vielfalt unterschiedlicher Typen. Foto: Moser

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nomaDen im iran auf dem weg zu den sommerweiden. ihre Passage führt sie an den weithin sichtbaren Felsformationen vor-bei, in die König Darius i. sein Felsgrab meißeln ließ.Die aufnahme stammt von der Fotografin der abteilung (heute außenstelle) teheran, Barbara grunewald. entstehungszeit zwi-schen 1972 und 1978.

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ort

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als le corbusier 1911 nach istanbul kam, faszinierten ihn mehr als die großen Prachtbauten die typischen holzhäuser der stadt, ihre vielfältigen Formen und Farben, ihre filigrane Bauweise. martin Bachmann kann sich darin wiedererken-nen. „hier kommt der architekt in mir durch“, sagt der Bauforscher, der seit 2006 Zweiter Direktor der abteilung istanbul des Dai ist.

nach Beendigung des architektur-studi-ums 1996 wurde martin Bachmann wis-senschaftlicher mitarbeiter am institut für Baugeschichte an der Universität Karlsru-he, 1999 folgte die Promotion daselbst mit dem thema „Die Karlsburg. spuren einer residenzanlage im Durlacher stadtgefü-ge“. im Jahr 2000 wurde er referent für Bauforschung bei der abteilung istanbul des Deutschen archäologischen instituts (Dai), nahm während dieser Zeit einen lehrauftrag an der BtU cottbus wahr und kurz danach eine lehrstuhlvertretung in Dortmund. 2005 nahm Bachmann seine tätigkeit am Dai wieder auf.

„noch bis vor 100 Jahren war istanbul fast eine hölzerne stadt“, erzählt martin Bachmann. Die alten holzhäuser, die le corbusier so faszinierten, zeigten mannig-faltige Bauformen, Dekorationen und Far-ben. Doch grundlegende Veränderungen, städtebauliche Paradigmenwechsel und der einbruch der moderne im Verlauf des 20. Jahrhunderts haben wenig von der alten Bausubstanz übrig gelassen. Bach-manns lieblingsprojekt ist dem Dai istan-bul seit über 50 Jahren anvertraut. martin Bachmann wusste immer, dass er Bauforscher werden wollte. „am ende des studiums gab es einen moment der Überlegung, vielleicht doch architekt zu werden“, blickt er zurück. Die stelle im Karlsruher institut entschied den inneren wettstreit, der in seiner arbeit am Dai al-lerdings aufgehoben ist, wie er findet, weil beide stränge hier vereint sind. Bachmann leitet und koordiniert die Konservierungs-arbeiten an der welterbestätte Pergamon.

„es ist die beste Verbindung von wissen-schaft und kreativem architektendasein“, ist er überzeugt. eine besondere heraus-forderung für den architekten stellt dabei die arbeit in der modernen stadt Bergama dar, wo das Dai istanbul in Kooperation mit deutschen und türkischen Partnern umfassende restaurierungsarbeiten an bedeutenden Denkmälern durchführt und darüber hinaus ein neues touristi-sches erschließungsprojekt für die alt-stadt mit ihren zahlreichen monumenten osmanischer und multiethnisch geprägter architektur entwickelt hat. „Bei solchen Vorhaben muss man nicht nur die struktur und Funktion der alten gebäude verste-hen“, erklärt Bachmann. „es ist auch not-wendig zu verstehen, wie eine moderne stadt funktioniert, damit Vergangenheit und gegenwart sich nicht im wege ste-hen.“ Bei Bauaufnahme und restaurierung spielt das alter der gebäude ohnehin keine rolle. Die herangehensweise der Bauforscher bleibt gleich, ebenso wie die selbstverständliche Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen und spezialisten. Bei derart komplexen anforderungen und heterogenen Projektteams ist die sorgfäl-

tige Planung der Vorhaben unverzichtbar. Doch hier kommt dem Zweiten Direktor die erfahrung seines Berufs entgegen. „ich muss in gewisser weise die architektur der Projekte entwickeln“, erklärt Bachmann

– Planung, entwurf, abstimmung, ausfüh-rung.

seit 2010 ist martin Bachmann Vorsitzen-der der Koldewey-gesellschaft, der berufs-ständischen Vereinigung der Bauforscher; zum mitglied wurde er 1998 ernannt. „Die historische Bauforschung wird derzeit an den Universitäten recht stiefmütterlich be-handelt“, weiß Bachmann. gerade deshalb sei die Verbandsarbeit wichtig, zu der er sich in einer aus seiner sicht privilegierten lage verpflichtet fühlt. „am Dai wurde die Bauforschung immer sehr geschätzt“, sagt er. „Und die Zeiten, in denen manch einer fand, dass Bauforscher zwar nützliche Din-ge tun, aber nicht wissenschaftlich-kon-zeptionell arbeiten, sind zum glück schon lange vorbei.“

seit 15 Jahren lebt und arbeitet martin Bachmann in einer der dynamischsten städte der welt. „istanbul ist in vieler hin-sicht mit keiner anderen stadt vergleich-bar“, erzählt er. „4000 Jahre geschichte, dann wieder die rasanz der entwicklung und Veränderung, wie man sie sonst aus fernöstlichen metropolen kennt, und eine wachstumsrate, die alles sprengt.“ istan-bul hat heute 18 millionen einwohner.

„in dieser Dynamik geht natürlich manches verloren“, bedauert der Bauforscher. „Die situation ist ähnlich wie im Deutschland der 1960er-Jahre. Der Blick ist häufig eher nach vorn als in die ferne Vergangenheit gerichtet.“ so sehr dadurch teile des his-torischen erbes bedroht sind, so intensiv ist aber auch die Beschäftigung damit.

„es gibt eine zum teil sehr fruchtbare span-nung zwischen dem wunsch, ein teil der moderne zu sein und zugleich identität aus dem kulturellen erbe ableiten zu wol-len.“ Von vorschnellen Beurteilungen rät er ab. „man begreift vieles von dem, was geschieht, besser, wenn man hier lebt.“

Dr.-ing. martin Bachmann ist Zweiter Direktor der Abteilung Istanbul des DAI.

Die Architektur der Projekte

im Porträt

architekten haben mit Planung und ent-wurf zu tun, mit deren Umsetzung und sogar mit Fragen der ökonomie. insofern ist die architektur eine ideale Verbindung von theorie und Praxis. Für heinz-Jürgen Beste ist sie darüber hinaus eine ideale Verbindung von wissenschaft und Kunst. seit 1996 ist Beste referent an der abtei-lung rom des Deutschen archäologischen instituts (Dai) mit dem schwerpunkt römi-sche architektur und topografie.

wegen dieser Verbindung von architektur und Kunst hat heinz-Jürgen Beste dem architekturstudium in Dortmund und Berlin auch die Kunstgeschichte hinzu-gefügt. Diplom-ingenieur wurde er 1986, die Promotion in architektur erfolgte 1997 an der technischen Universität münchen. Durch einen schwerpunkt in Forschung und lehre säumten hier schon früh „alte steine“ einen weg, der beharrlich in die antike führte und dem Beste nur zu gern folgte. er wurde assistent am institut für Baugeschichte der technischen Univer-stät münchen. Das reisestipendium des Dai 1989-1990 führte ihn ans mittelmeer.

„Die deutsche Baukunst, die gotik zumal, hat ja etwas Dunkles“, weiß der architekt.

„Dann kommt man auf einmal ins siziliani-sche licht mit seiner antiken griechischen architektur, die so anders ist als die histo-rischen monumente hierzulande.“ Doch damit nicht genug der Unterschiede. „in Deutschland sind die meisten Denkmä-ler in geschlossene ensembles eingefügt“, sagt Beste. „in sizilien, in den archäologi-schen Zonen oder Parks, ist man häufig allein mit dem Denkmal. es will, dass man sich mit ihm auseinandersetzt.“ wenn er Besucher nach agrigent führt, freut er sich jedesmal wieder über deren Begeisterung.

Den Bauforscher Beste interessiert von anfang an der historische Kontext von ge-bäuden, und so stellt er Fragen, die weit über die reine architektur hinausgehen.

„wer waren die menschen, die diese häu-ser bauten? was für ein leben haben sie geführt? in welcher art von gesellschaft haben sie gelebt?“Beste arbeitet am kaiserlichen Palast Do-mus aurea in rom, an den amphitheatern in der antiken stadt capua in Kampanien und ancona an der adriaküste und am olympieion in der stadt agrigent. Doch sein lieblingsprojekt ist das Kolos-seum in rom. Das Flavische amphitheater gehört zu den höchstleistungen römi-scher ingenieurbaukunst, findet Beste. „es ist ein Bauwerk von gewaltigen Dimen-sionen, das in nur zehn Jahren errichtet wurde.“ Und das ist nicht noch nicht alles. Besucherströme von fünfzigtausend Zu-schauern waren perfekt organisiert. „Das Kolosseum ist so berühmt, dabei aber so wenig gekannt und kaum verstanden“, sagt Beste. längst haben sich die Fragen in archäologie und historischer Baufor-schung verändert. „Früher fragte man nicht, wie das Untergeschoss des Kolosse-ums funktionierte“, erklärt Beste und lacht:

„Keiner wollte in den Keller.“in Kooperation mit der soprintendenza archeologica di roma, der römischen Denkmalbehörde, vereinbarte man, dass die Bauforscher des Dai und ihre italieni-

schen Kolleginnen dem berühmten unbe-kannten Keller die wissenschaftliche ehre erweisen konnten. „Und er barg eine Über-raschung nach der anderen“, freut sich der Bauforscher.

Bestes umfassender Blick auf einen Bau, seinen gesellschaftlichen Kontext und seine geschichte führt ihn aber auch zu ei-nem scheinbar unbedeutenden sachver-halt. „Für mich beginnt die Baugeschichte mit dem Bauplatz“, sagt er. Der Bauplatz des Kolosseums lässt an historischer Be-deutung nichts zu wünschen übrig, und heinz-Jürgen Beste kann hier zudem zwei seiner Projekte miteinander verbin-den. Denn das Kolosseum wurde auf dem ehemaligen areal der Domus aurea des Kaisers nero errichtet, und zwar genau an der stelle, an der auf kaiserlichen wunsch ein künstlicher see entstehen sollte. Doch dazu kam es nicht mehr. es ist die kom-plexe Baugeschichte des alten rom an solchen stellen, die den Bauforscher fas-ziniert. hier, wo die Kunst, die architektur, die ökonomie und die soziologie zusam-menkommen und zusammen verstanden werden müssen, um aussagen zum anti-ken geschehen machen zu können.

„in einer stadt wie rom zu leben und zu arbeiten, ist ein großes Privileg“, ist Beste überzeugt. „italien ist eine ungebrochene Kulturnation, antike und moderne stehen souverän nebeneinander.“ nicht nur in Bestes Fach, der architektur, sei das un-schwer zu erkennen. auch der mode, der natürlichen eleganz, im Design und nicht zuletzt in der Küche – „in allen Punkten ge-konnte selbstdarstellung.“ Der moderne schmelztiegel rom mit seinen vielen gesichtern, Kulturen und sprachen ist für Beste ein Faszinosum, das auch wieder in die antike weist, auch wenn er zum Beispiel mit seinen Kindern zum spiel von as rom ins Fußballstadion geht. „genau so muss sich das rom der antike angefühlt haben.“

Dr.-ing. heinZ-JÜrgen Beste ist Referent an der Abteilung Rom des DAI.

Die Verbindung von Kunst und Architektur

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s ist heiß und staubig. Sandstür-me wehen Partikel auf die empfind-lichen Objektive. Anderswo ist es so kalt, dass die Finger klamm werden. Manchmal muss man auf wacklige Türme und Gerüste klettern, um den besten Blick, den besten Aus-schnitt und das beste Licht zu haben. Manchmal gibt es gar kein Licht, auch keinen Strom oder Menschen-mengen, die ständig im Wege stehen.

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Der Einsatz professioneller Foto-grafinnen und Fotografen hat am Deutschen Archäologischen Institut eine lange Tradition. Drei von ihnen erzählen von ihrem Arbeitsalltag.

Die KUnst im BilDFotografinnen und Fotografen am DAI

alltag archäologie

sammelaUFnahme des Caesar, Titus und der Antonia Minor, Pantelleria

aUF Dem gerÜst am haDrianeUm versucht Daniela Gauss das Licht optimal zu setzen.

Fotos: Behrens

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grafie ist ‚schreiben mit licht‘“, nennt die Fotografin diese heran-gehensweise. oft gilt es dabei, auf das perfekte natürliche licht zu warten. „ich versuche, möglichst wenige lichtquellen zur wirkung zu bringen, da unser auge ursprünglich nur eine lichtquelle, die sonne, gewöhnt war“, sagt die Fotografin. Doch wo natürliches licht nicht zur Verfügung steht, greift sie zu Blitzlampen, Dauer-lichtlampen oder handblitzgeräten, die allerdings mit augenmaß und sorgfalt eingesetzt werden müssen. „erzeuge ich mehr als einen schatten, indem ich viele lichtquellen verwende, ist das irri-tierend für den Betrachter“, sagt Behrens.am anfang einer Kampagne steht jedes mal die technische aus-stattung im Vordergrund. „Doch im laufe der Kampagne nimmt man Verbindung mit den Dingen auf“, erzählt heide Behrens.

„man entdeckt zum Beipiel die kleinen Fehler, und man mag sie. sie markieren den Unterschied und zeigen so etwas wie die Persönlichkeit eines objekts“. Und manchmal werden auch die schöpfer der gegenstände greifbar. „wenn ich unter streiflicht die rückseite von terrakotten betrachte, sehe ich die Fingerabdrücke derjenigen, die sie hergestellt haben“, sagt Behrens.

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Portraits des Caius Iulius Caesar, Pantelleria

„Ich sehe mich dann als Künstlerin, wenn ich durch die Wahl meines Lichtes aus dem Objekt etwas Besonderes hervorheben kann.“

alle Fotos stammen, falls nicht anders angegeben, von heide Behrens.

In der „Tomba dei Sarcofagi“, Cerveteri, war es eng und feuchtkalt – eine Strapaze für Fotografin und Ausrüstung.

heide behrens

„schwierig wird es, wenn ich das original nicht richtig sehen kann“, erzählt heide Behrens, Fotografin an der abteilung rom des Dai. wie in tarquinia, der bedeutenden etruskerstadt, deren nekropo-le zum Unesco-welterbe gehört. Das einzige licht fiel zur tür hin-ein und störte eher, als dass es half. außerdem war es in der grab-kammer so kalt, dass die einstellung der Kamera eine strapaze war. heide Behrens musste schnell umschalten und mit handlicht im-provisieren. „es muss trotzdem gut werden“, sagt sie. schließlich dienten die aufnahmen der wissenschaftlichen Dokumentation. seit 2002 ist heide Behrens beim Dai. ihr schwerpunkt ist die ob-jektfotografie in museen und sammlungen, bei grabungen die Dokumentation der Funde. in italien kennt sie fast alle häuser, Fo-tokampagnen führten sie und ihre Kollegen aber auch nach tune-sien und albanien – wo immer die abteilung rom archäologisch arbeitet. „Bei ‚meiner‘ Fotografie ist die lichtsetzung das a und o“, sagt heide Behrens. Das Besondere ihrer arbeit – besonders bei statuen oder terrakotta-statuetten – ist es, die Kunst der schöpfer möglichst originalgetreu zur wirkung zu bringen. „ich versuche mir vorzustellen, wie das stück ursprünglich beleuchtet wurde und versuche, diese situation zu imitieren“, erklärt Behrens. „Foto-

Die archäologie verlangt nach der illustration. als 1829 das Deut-sche archäologische institut (Dai) gegründet wurde, war die Foto-grafie gerade erfunden worden. aber es verging noch einige Zeit, bis sich die neue technologie als Dokumentationsmethode in der archäologischen wissenschaft durchgesetzt hatte. Das mittel der wahl war die Zeichnung, das mit den Fortschritten der Fotogra-fie auch nicht verschwand. heute stehen beide methoden häufig friedlich nebeneinander, besonders da, wo es um die Darstellung archäologischer objekte geht. Unterlegen ist die Fotografie in sa-chen Präzision der Zeichnung aber schon lange nicht mehr, und die anfangs misstrauisch betrachtete digitale Fotografie hat die Kinderkrankheiten längst hinter sich gelassen. technisch hat sie das Fotografieren müheloser und einfacher gemacht. selbst die Profis wissen das zu schätzen. Dabei führte die digitale Fotogra-fie aber auch zu missverständnissen über das handwerk an sich, in dem mehr beherrscht werden muss, als „auf den auslöser zu drücken“. es braucht das auge des Künstlers, um den richtigen ausschnitt erkennen zu können oder den goldenen schnitt anzu-legen. ohne diesen Blick wird die Komposition fehlgehen, ohne Verständnis für Proportion und Farbe entsteht das große Durch-einander „geknipster“ Bilder. auch wenn archäologen in unweg-samen gegenden, tiefen grabungsschnitten oder dunklen ecken in ländlichen museen ohne strom dokumentieren möchten, oder wenn die Zeit drängt und improvisiert werden muss, muss der Fotograf das Bild wie ein gemälde sehen können, auch dann muss es eine stimmige Komposition werden, die die archäologische arbeit in adäquater weise darstellt.

Terrakotta-Köpfchen aus Selinunt

Terracotta aus Fabrateria Nuova

heiDe Behrens im Garten des Palazzo Colonna in Rom. Foto: Gaussheide Behrens im museo capitolino in rom. Foto: Gauss

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wenn das tageslicht gleißend und hart ist, spannt irmgard wag-ner den Diffusor auf, um künstlichen schatten zu schaffen. Um-gekehrt kann es in einem sechs meter tiefen grabungsschnitt so dunkel sein, dass man starke tageslichtlampen einsetzen muss, um verwertbare aufnahmen machen zu können. nicht selten klettert die Fotografin auf hohe gerüste oder hangelt sich an ge-stängen entlang, um das optimale Bild produzieren zu können. Der geschulte Blick erkennt die Position, die das beste ergebnis zeitigt – auch wenn irmgard wagner mit dem neun meter langen Kamerakran hantiert, um auch an schwer zugänglichen stellen fotografieren zu können oder horizontale grabungsflächen auf-zunehmen. Bei ihrer arbeit steht die wissenschaftliche Dokumen-tation an erster stelle. „Das heißt aber nicht, dass man auf ästhe-tik und schönheit verzichtet“, betont irmgard wagner. „Denn die Qualität der aufnahme entscheidet darüber, wie die archäologi-sche arbeit wahrgenommen wird.“ Um 14 Uhr ist der erste teil des arbeitstages zu ende. nun beginnt die arbeit am computer. Die Bilder müssen geordnet und bearbeitet werden. Die archäologin-nen und archäologen bekommen ihre Bilder für die Beschriftung auf einen netzwerkserver gestellt. auch nach dem abendessen geht die arbeit oft noch weiter, sechs tage in der woche und oft auch sonntags.

„Die Qualität der Aufnahme ent-scheidet darüber, wie die archäologi-sche Arbeit wahrgenommen wird.“

Manchmal gibt es neugierige Zuschauer bei der Grabung, die unbedingt fotografiert werden wollen.

Jemen, waDi gUFaina 2003. Dem alten Beduinen begegnete Irmgard Wagner auf einen Streifzug nach der besten Ansicht auf eine Siedlung und wurde von seiner Familie auf ein Glas

lauwarme Ziegenmilch eingeladen.

alle Fotos stammen, falls nicht anders angegeben, von irmgard wagner.

irmgarD wagner im Einsatz in Sirwah. Foto: Japp

Relief aus Alabaster mit In-schrift. Fotografiert im Vorder-asiatischen Museum für eine kleine Jemen-Ausstellung.

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hama in syrien 2009. Blick von der fünfbogigen Arkade nach Osten und Süden in den Hof II.

erBil im norDiraK 2011. Blick auf die zwei Sarkophage in der Grabgruft.

irmgard Wagner

mit ähnlichen und auch wieder ganz anderen herausforderungen ist irmgard wagner konfrontiert, die ab 2000 die professionelle Digitalfotografie an der orient-abteilung des Dai eingeführt hat.

„wenn die sandstürme kommen, kann man die ausrüstung kaum noch richtig schützen“, erzählt sie. Jeden abend muss man die fei-nen Partikel aus den objektiven putzen. andernfalls wäre schnel-le Zerstörung des teuren geräts die sichere Folge. einmal im Jahr lässt irmgard wagner die Kamera-ausrüstungen der orient-abtei-lung professionell reinigen.Die Fotografin kennt weite teile des Vorderen orients. sie war in Jordanien, im irak, im Jemen, im libanon, in saudi-arabien und in der türkei. auch in syrien hat sie fotografiert. Vor kurzem ist sie aus äthiopien zurückgekommen, wo sie die archäologischen, bauhistorischen und restauratorischen arbeiten am monumen-talbau grat Be’al gebri und den großen tempel in yeha dokumen-tiert hat. Um fünf Uhr früh beginnt der arbeitstag, nachdem am Vortag die Planung gemacht wurde. in yeha gibt es vier stationen, die sie dokumentieren muss: museumsbau, grabungsschnitte, re-staurierungsarbeiten und Fundobjekte.

BaalBeK herBstKamPagne 2007. Blick auf den Altarhof und den Jupitertempel von Süden.

BaalBeK, herbst 2012. irmgard wagner im altarhof bei horizontalaufnahmen der grabungsfläche mit dem Kamerakran. Foto: Genz

sirwah, eines der wichtigsten politischen und ökonomischen Zentren des sabäischen Reichs im heutigen Jemen, im Frühjahr 2009. Kurz vor Grabungsende werden die letzten Aufräumarbeiten erledigt.

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in den feuchtheißen tropen, die wittersheim in sri lanka erlebte, herrschten hingegen ganz andere Bedingungen. Bereits vor son-nenaufgang sah man ihn auf dem Fototurm – noch bevor die Pal-men ihre langen schatten auf die grabungsfläche warfen. warane und schlangen, einmal auch eine hochgefährliche Kettenviper, zählten zu den eher unliebsamen Besuchern. in marokko schließlich hieß die herausforderung „ifri n’ammar“, eine höhle im östlichen rif. „Die höhle ist natürlich nur zu einer seite offen und dementsprechend dunkel“, sagt wittersheim. „wir bekamen zwar später ein aggregat, mit dem wir lampen versor-gen konnten. aber es blieb sehr schwierig, mit licht und schatten fertig zu werden.“ Der innenhof des alten Berber-gehöfts, in dem das team in marokko untergebracht war, bot hingegen ideale Bedingungen für die Fotografie der Fundobjekte: „Die weiß ge-tünchten wände gaben regelmäßiges licht durch gegenseitige reflektion“, erzählt wittersheim. Bis die Köchinnen mittags Feu-er machten und die weiße asche auf das schwarze tuch flog, auf dem die Funde arrangiert waren.

aUFnahme einer DePonierUng von Reibsteinen auf der Grabung in Tissamaharama, Sri Lanka. Foto: Weisshaar

in sri lanKa hält die tropische Vegetation ganz andere Heraus-forderungen bereit. Vor Sonnenaufgang muss der Fotograf auf den Fototurm – noch bevor die Palmen ihre langen Schatten auf die Grabungsfläche werfen. Foto: Weisshaar

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Die höhle iFri n‘ammar im östlichen Rif Marrokos. Die Lichtverhältnisse im Grabungsschnitt sind für den Fotografen eine Herausforderung.

im innenhoF Des alten BerBer- gehöFts bereitet die Köchin für das Grabungsteam das Mittagessen vor.

Fotos: Wittersheim

hans-peter Wittersheim

auch hans-Peter wittersheim ist das Problem mit sand und hit-ze wohl vertraut. seit oktober 1983 arbeitet der Fotograf und grafiker bei der Kommission für archäologie außereuropäischer Kulturen des Dai (KaaK). am Beginn seiner tätigkeit standen die grafische arbeit für die Publikationen des instituts und die Doku-mentation von grabungsfunden. seit ende der 80er-Jahre kam das Fotografieren im Feld hinzu. hitze, wind, sand und staub, die die objektive verschmutzten, waren tägliche herausforderungen z. B. im westafrikanischen togo.

„in togo habe ich anfang der 90er-Jahre parallel noch gezeichnet“, erinnert sich wittersheim. es war die Übergangszeit von der Zeich-nung zur Fotografie als der bevorzugten archäologischen Doku-mentationsmethode. später, in Karakorum, der alten hauptstadt Dschingis Khans in der mongolei, erlebte wittersheim den Über-gang von der analogen zur digitalen Fotografie und bevorzugte noch für eine weile die Kamera mit Film. „Die ersten Digitalkame-ras entsprachen noch nicht den Qualitätsansprüchen.“ Das hat sich geändert; geblieben ist die anforderung ans handwerk. „Beim Fotografieren von objekten, Kleinfunden oder architekturresten muss ich besonders auf die lichtverhältnisse achten“, erklärt wit-tersheim. „ich muss wissen, wie ich licht und schatten einsetze, um starke Kontraste zu vermeiden. abschatten und erzeugen von diffusem licht mit Folien und reflektoren sind hier unerlässlich.“ all das muss auch funktionieren in eisiger morgenkälte, wenn die Feinmotorik der Finger streikt und man vor der mongolischen Jur-te mithilfe des reprostativs objekte fotografieren will.

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KaraKorUm, Die alte haUPtstaDt Des Dschingis Khan, ist teilweise vom Kloster Erdene Zuu überbaut, das hier von Pilgern aufgesucht wird. Foto: Wittersheim

arBeitsPlatZ JUrte. Die eisige Morgenkälte weicht mittags den hochsommerlichen Temperaturen der mongolischen Steppe. Foto: Zick

ein monGolischer murmeltierjäGer hatte den Fund eines Felsspaltengrabes im gebirge in der Provinz Bajanchongor gemeldet. mit schwerer ausrüstung machten sich archäologen und Fotograf auf den weg zur Fundstelle auf 2700 meter höhe. Foto: Pohl

warane UnD giFt-schlangen gehören auf der Grabung zu den eher unliebsamen Besuchern.

Fotos: Wittersheim

anfanG der 90er-jahre in toGo: Die Felsbilder werden fotografiert, aber auch noch mittels transparenter Folie 1:1 von der wand übertragen. Foto: Moser

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archäoloGie WeltWeitDie Standorte des Deutschen Archäologischen Instituts

BerlinBonnmünchenFrankfurt am mainathen istanbulromlissabonmadrid

KairoJerusalemammansana'aPekingBagdadDamaskusUlaanbaatarteheran www.dainst.org/standort/teheran

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Archäologie im IranDie Außenstelle Teheran

Die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und dem iran blickt auf eine lange tradition zurück. 1961 wurde schließlich die heutige au-ßenstelle teheran als zunächst eigenstän-dige abteilung des Dai gegründet. Das arbeitsgebiet umfasst die archäologie irans von der Vorgeschichte bis in islami-sche Zeit. Die langjährigen ausgrabungen an zentralen Plätzen wie takht-i suleiman, Zendan-i suleiman, Bastam, Bisutun und Firuzabad sind weit über die grenzen irans hinaus von Bedeutung und hatten nachhaltige wirkung auf das heutige Bild von der urartäischen bis sassanidischen Zeit dieses Kulturraums. Ferner wurden im institutsgebäude in teheran eine umfang-reiche Fachbibliothek und eine Fotothek aufgebaut. neben der archäologischen Feldarbeit widmete sich die abteilung außerdem der herausgabe einer wissen-schaftlichen Zeitschrift und mehrerer rei-henwerke. 1996 wurde die außenstelle in die ein Jahr zuvor gegründete eurasien-abteilung ein-gegliedert, die ihren sitz an der Berliner Zentrale hat. nach 30 Jahren wurde die leitung der außenstelle teheran erstmals wieder entsandt mit Dienstsitz teheran, von wo aus die Projekte organisiert wer-den. gleichzeitig ist die außenstelle ein anlaufpunkt für deutsche und iranische altertumswissenschaftlerinnen und -wis-

senschaftler. seit 2005 unterstützt die außenstelle die iranische Behörde für Kul-turerbe, traditionelles handwerk und tou-rismus bei rettungsgrabungen.am 18. oktober 2015 wurde während der iranreise von außenminister steinmei-er ein memorandum of Understanding (moU) zwischen dem Dai und der irani-schen Behörde für Kulturerbe, handwerk und tourismus (ichhto) unterzeichnet. gemeinsam mit der ichhto sollen an zentralen archäologischen stätten Pro-gramme zum schutz des Kuturerbes und für „sanften tourismus“ erarbeitet und umgesetzt werden. Konkrete Planungen betreffen antike gebäude in Firuzabad, unter anderen Qaleh Dokhtar des sassani-denkönigs arteshir i., archäologisch-bau-historische Prospektionen des weltkultur-erbes Bisutun/Bagistan (Kermanshah)sowie archäologische Forschungen in dem über 100 hektar großen Platz rivi in der Provinz nord-Khorasan (eisenzeitlich-sassanidisch).

aussenstelle teheran der eurasien-abteilungKhiaban-i shahid hasan akbari 7P.o. Box 389419639 tehran elahiya+98 (0)21 222 163-39 www.dainst.org/standort/teherane-mail: [email protected]

Das Gebäude der Außenstelle Teheran

Foto: DAI Teheran

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Panorama

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Denn was wusste man schließlich über das musikalische leben der Jahrzehntausende der steinzeit? Zunächst nicht viel. in den letzten Jahrzehnten jedoch kamen mehr und mehr Funde und mit ihnen erkenntnisse ans licht, um aussagen über diese epo-che und ihr künstlerisches schaffen zu machen. Die ältesten mu-sikinstrumente der menschheit wurden in den tälern der oberen Donaunebenflüsse in Deutschland gefunden. es waren Flöten mit vier oder fünf grifflöchern, hergestellt aus den Flügelknochen von geiern und schwänen oder aus den stoßzähnen des mammut. Die höhlenfunde sind etwa 40.000 Jahre alt.

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„musik ist ein Primärbedürfnis menschlicher Zivilisationen, und sie kann viel über antike Kulturen aussagen“, weiß arnd adje Both, der an der orient-abteilung des Deutschen archäologischen in-stituts (Dai) ein innovatives musikarchäologisches Projekt leitet.

„neben anderen Formen der Zusammenarbeit wissen wir heute, dass musik und musikinstrumente zum austausch über zum teil weit gespannte netzwerke beitrugen.“

auch das „european music archaeology Project“ (emaP) ist ein weit gespanntes netzwerk. als Kooperationsprojekt mehrerer eu-ropäischer Forschungseinrichtungen will es mit eU-Förderung in den kommenden Jahren der alten und reichen geschichte euro-päischer musikkultur auf den grund gehen. Dabei wird das Vorha-ben sich aber nicht mit archäologischen theoretischen erörterun-gen begnügen. Vielmehr ist es ein einzigartiges Zusammentreffen nicht nur von wissenschaft und Kunst, sondern auch von altem wissen mit modernen technologien.

der musiKer und Komponist john Kenny mit dem irischen lough-nashade horn. Foto: Marano

john Kenny mit tintignac carnyx and loughnashade horn. Foto: Marano

in einem eisenzeitlichen ofen in Bailén, Spanien, werden keltiberische Trompeten hergestellt. Foto: Jiménez

40.000 Jahre MusikDas European Music Archaeology Project

archäologen und altertumswissenschaftler beschreiben alte Kulturen, erkunden Bauwerke, schriftzeugnisse, landschaften und lebensweisen, und sie befassen sich mit der Kunst antiker gesellschaften. Dabei denkt man schnell an Bildhauerei, malerei und natürlich die unsterblichen werke der großen Dichter des altertums. Für prähistorische Zeiten wird die Vorstellungskraft in sachen Kunst dann schon auf die Probe gestellt – zum teil aber

auch, weil ein bürgerlicher Kunstbegriff häufig allzu deutlich vom „eigentlichen“ leben getrennt wird. Das betrifft nicht nur werke der – wie man heute sagen würde – bildenden Kunst. es betrifft vor allem eine Form menschlicher artikulation, die wie kaum eine andere von allen bekannten Kulturen der menschheitsgeschichte geteilt wird: die musik.

nachBaUten altägyPtischer laUten aus Gräbern der pharaonischen Zeit (Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr.) und aus koptischer Zeit (5./6. Jahrhundert n. Chr.). Fotos: Wagner

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emap und archÆomusica

Das European Music Archaeology Project (EMAP) erreichte 2012 unter 80 Projekten den ersten Platz in einem Wettbewerb der

„Education, Audiovisual and Cultural Executive Agency“ (EACEA) der EU. Das innovative Projekt, in dem wissenschaftliche For-schung und künstlerische Kreativität eng zusammenarbeiten, will die antike Musikgeschichte Europas aus einem ungewöhnli-chen Blickwinkel zeigen: musikalisch, wissenschaftlich und „zum Anfassen“. Es hat eine Laufzeit von fünf Jahren, von 2013 bis 2018. Beteiligt sind sieben europäische Länder und zehn europäische Institutionen. Koordiniert wird das Vorhaben vom italienischen Tarquinia aus. Außer einer groß angelegten Reise durch Zeit und Raum in der interaktiven Ausstellung „ARCHÆOMUSICA“ wird das Projekt Workshops und Konferenzen durchführen, Konzerte aufführen sowie Bücher, CDs und DVDs und Unterrichtsmaterial herausgeben.www.emaproject.eu

ausstellungsdaten und -orte:

5./6. Juni 2016 bis 8. Januar 2017 – ystad, schweden (Kloster ystad)

7. Februar bis 21. mai 2017 – Valladolid, spain (museo de la ciencia)

11. Juni bis 24. september 2017– ljubljana, slowenien (narodni muzej slovenije – nationalmuseum sloweniens)

13. oKtober bis 11. dezember 2017 – rom, italien (Parco regionale dell‘appia antica,

sala appia)

in mesopotamien, während harfen zeitgleich auch auf figürlichen Darstellungen in griechenland erscheinen. auch im alten ägypten waren harfen bekannt, lauten findet man dort im 2. Jahrtausend v. chr. Zum berühmten grabinventar des tutanchamun gehörten trompeten aus silber und Kupfer (2. hälfte des 14. Jahrhunderts v. chr.). Die ausstellung zeigt aber nicht nur die instrumente selbst, sondern erklärt auch die kulturellen Kontexte ihres jeweiligen gebrauchs. Von Beginn an spielten musik und von instrumenten erzeugte Klänge eine herausragende rolle in religion und ritus, aber auch bei der Übertragung von informationen und signalen. Bei der huldigung an herrscher und bei sieges- oder auch trau-erfeiern durfte musik nicht fehlen. Und natürlich diente sie auch dem schönsten Zweck: dem reinen Vergnügen.

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John Kenny sPielt Die tintignac carnyx.

Foto: Marano

steinzeitliche Knochenflöten, schwirrhölzer, Zahnrasseln und andere „musikalien“ begleiten den menschen womöglich schon seit den Zeiten der neanderthaler, sicher aber schon seit der Be-siedlung europas durch den anatomisch modernen menschen vor 40.000 Jahren. hier setzen Projekt und die ausstellung ein und er-strecken sich über die großen Zivilisationen der antike bis in die musikalische gegenwart. musikarchäologie befasst sich auch mit der Frage, wieviel von der vergangenen musik womöglich über-lebt hat und ob spuren in den immer noch lebendigen traditio-nen der musikkulturen europas zu finden sind.

„Viele der instrumente sind herausragende Zeugnisse elaborierter handwerkskunst“, sagt Both. Die instrumentenbauer nutzten die möglichkeiten ihrer jeweiligen Zeit auf kreative und intelligente weise. Dabei griffen sie immer wieder auf altes wissen zurück, das von generation zu generation weitergegeben wurde, wie auch auf den transfer von technologien zwischen zum teil weit vonein-ander entfernten Kulturen. Das neolithikum ist reich an instrumenten aus Keramik, in der Bronzezeit kommen saiteninstrumente sowie trompeten und hör-ner aus metall auf den spielplan. im 3. vorchristlichen Jahrtausend entsteht eine Fülle neuer instrumente. leiern, harfen und lauten

archÆomusica

Kernstück des Projekts ist eine multimediale wanderausstellung, die professionell gefertigte nachbauten alter instrumente zeigt, und darüber hinaus ihre Klänge hörbar macht. Die theoretische Vorarbeit der musikarchäologen stellt die instrumente in ihre kul-turellen Kontexte, professionelle instrumentenbauer sorgen da-für, dass die reproduktionen den originalen so nahekommen, wie es geht. Und schließlich stehen musiker vor der herausforderung, den instrumenten stimme zu geben und Klänge zu entlocken, die das Publikum in die lage versetzen zu sagen: „so könnte es gewe-sen sein.“ „Die nachbauten, die wir in der ausstellung zeigen, sind auch nicht – wie originale es sein müssten – abgeschirmt in Vitrinen“, erklärt Both, der die umfangreiche ausstellung kuratiert. „Viel-mehr sind es spielbare instrumente, die auch von Zuschauern berührt und ausprobiert werden dürfen.“ Die ausstellungsmacher nutzen darüber hinaus modernste technische möglichkeiten der Klang- und Bildwiedergabe, die es erlauben, einen ganzheitlichen eindruck der alten instrumente und ihrer musik zu gewinnen.

raquel jiménez baut in der Keramik-werkstatt im spanischen Bailén keltiberi-sche trompeten nach. Foto: Howkins

john creed baut ein loughnashade horn aus irland nach (1. Jahrhundert v. chr.). Foto: Howkins

nachBaU einer ägyPtischen Kasten-leier aus Theben, 12. Jahrhundert v. Chr. Foto: Wagner

nachBaU Der tintignac carnyx aus dem Frankreich des 1. Jahrhunderts v. Chr. Foto: Lake

nachBau eines Bronzezeitlichen sistrums aus der türkei, um 2000 v. chr. Foto: Marano

seiKilos epitaph mit der ältesten komplett erhaltenen griechischen notation. tralles, türkei, 100 v. – 100 n. chr. 3D Scan: STARC, The Cyprus Institute.

jean Boisserie beim nachbau einer tintignac carnyx aus Frankreich. Foto: Howkins

nachBauten KeltiBerischer trompeten, spanien, 2.-1. Jahrhundert v.chr. Foto: Jiménez

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archäologie Weltweitmagazin des Deutschenarchäologischen instituts

4. Jahrgang / 1 2016

herausgeberDeutsches archäologisches institutwww.dainst.org

teXt, redaKtionund organisationwortwandel Verlagsusanne weisswww.wortwandel.demitarbeit: hedwig görgen

satz und layoutBauer+möhring grafikdesign, Berlinwww.bauerundmoehring.de

gestalterische s KonzeptschÜtZ BranDcom agentur fürmarkenkommunikation gmbhBessemerstraße 2–14 12103 Berlinschuetz-brandcom.de

drucKBuch- und offsetdruckereih. heenemann gmbh & co. KgBessemerstraße 83–91 12103 Berlinwww.heenemann-druck.de

VertriebDeutsches archäologisches institutPresse- und öffentlichkeitsarbeitnicole KehrerPodbielskiallee 69–71 14195 [email protected] www.dainst.org

soweit nicht anders angegeben liegen sämtliche nutzungsrechte des verwen-deten Bildmaterials beim Deutschen archäologischen institut. eine weiter-verwendung ist nur nach ausdrück-licher genehmigung erlaubt.

imPressUm

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leider wissen wir nicht, wer der Künstler ist, der eines der berühm-testen Denkmäler der welt verewigt. sein motiv ist die terrasse des Palasts von Persepolis, einer der hauptstädte des achämeniden-reichs. Persepolis wurde seit den frühen 30er-Jahren des 20. Jahr-hunderts unter der leitung des archäologen und altorientalisten ernst herzfeld erforscht. einer seiner Kollegen war der archäologe und architekt Friedrich Krefter, von dem dieses Foto stammt.

Eurasien-Abteilung, Archiv Außenstelle TeheranNachlass Friedrich Krefter

ArcHäoloGie welT weiTOrte und Regionen in dieser Ausgabe

ägypten. Cultural heritage, landschaft, seite 18, 28llanos de mojos. Bolivien. landschaft, seite 28wuqro. Äthiopien. Das Objekt, seite 38samos. griechenland. titelthema, seite 56umm al-Houl. Katar. titelthema, seite 58ostseeküste. Deutschland, Polen. titelthema, seite 58

malaita. salomonen. titelthema, seite 65wanderungen und migrationsströme vom Fruchtbaren halbmond bis Mitteleuropa und innerhalb Europas. titelthema, ab seite 40teheran. Iran. standort, seite 82

d a s t i t e l b i l d

Um 3000 v. Chr. ging im südpazifik eine Art Völker-wanderung vonstatten. In 20 Meter langen groß-

kanus kamen Menschen über den Ozean und besiedel-ten nach und nach die pazifische Inselwelt. Vom Bismarck-

Archipel in Papua-Neuguinea aus stießen die lapita-leute, benannt nach einer Fundstelle auf der Foué-halbinsel in Neukaledonien, bis zu den salomonen und Vanuatu vor. später breitete sich die lapita-Kultur nach Fidschi, tonga und schließlich samoa aus. Doch woher kamen sie? Kamen sie aus südchina, taiwan, von den Philippinen oder gar aus Indonesien? Oder doch aus dem Bismarck-Archipel, wo die ältesten spuren dieser Kultur gefunden wurden?wanderungen sind ein Dauerphänomen der Menschheitsgeschich-te. Einige ihrer wege und Ziele werden im DAI erforscht. sie sind diesmal unser titelthema.

Boote vor Malaita. Foto: Moser

Die ruinen von Persepolis wurden seit dem frühen 19. Jahrhundert archäologisch dokumentiert. Friedrich Krefters Fotografien, Aquarelle und Zeichnungen aus den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts besitzen hohen dokumentarischen wert. Foto: Krefter

C u lt u r a l H e r i ta g e

Archäologie als Teil der GegenwartKulturerhalt in Ägypten

pa n o r a m a

40.000 Jahre Musik … Nachbau antiker Instrumente

f o k u s

Archaeological Heritage NetworkEin Netzwerk für den Erhaltdes kulturellen Erbes

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Magazin des Deutschen Archäologischen Instituts

Wege und Wanderungen in der Antike

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gesellschaft der Freunde des  deutschen Archäologischen Instituts

Theodor wiegand gesellschaft e. V. wissenschaftszentrum Bonn

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Nadja Kajantel.: +49 228 30 20

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In der Nähe des sees genezareth im Norden Jordaniens liegen die Ruinen der antiken stadt gadara. die hellenistisch-römische stätte – heute heißt der Ort Umm Qays – ist schauplatz eines außergewöhnlichen workshops. Auf dem Programm steht Unterricht in traditioneller steinbear-beitung, einem Handwerk, das in der Region fast in Vergessenheit geraten war. Praxisnah und anschaulich vermitteln Meister André gravert und geselle tobias Horn, steinmetze und Restau-ratoren im Handwerk, einem gemischten team von Jordaniern und syrern grundzüge traditio-neller steinbearbeitung. Ziel ist einerseits Capacity Building für die Bevölkerung vor Ort. Zum anderen sollen aber auch die syrischen Kursteilnehmer in die Lage versetzt werden, die neu erworbenen Fähigkeiten beim wiederaufbau ihres Landes einzusetzen. die Idee zu dieser weiterbildungsmaßnahme, die auch vom Auswärtigen Amt unterstützt wird, hatte die dAI-Bauforscherin dr. Claudia Bührig, die auch das Konzept entwickelte.

Meisterklasse am See Genezareth. Jordanische und syrische Handwerker lernen für die Zukunft ihrer Länder. Foto: Bührig, DAI