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in: Uffa Jensen, Daniel Morat. (Hg.), Rationalisierungen des Gefühls. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Emotionen, München, 2008, S. 35-59. JAKOB TANNER Unfassbare Gefühle. Emotionen in der Geschichtswissenschaft vom Fin de siede bis in die Zwischenkriegszeit Wer nach der Rolle der Emotionen in der Geschichtsschreibung in den Jahrzehnten um 1900 fragt, bedient sich eines Anachronismus. Der Begriff "Emotion" wurde in dieser Zeit in geisteswissenscba&lichen Disziplinen nicht verwendet. Soweit sich Historiker ruf diese Phänomene interessierten, sprachen sie im Deutschen VOll "Gefühlen", "Empfindungen", "seelischen Regungen" und im Französischen von sentiment. Im angelsächsischen Sprachgebrauch war der Begriff emotions allerdings bereits etabliert. Maßgeblich an dessen Definition waren William James und earl Lange beteiligt, die beide unabhängig voneinander in den 1880er Jahren vorge- schlagen hatten, in einer Emotion die geistige Wahrnehmung eines physiologischen Zustandes zu sehen. Nach James' "Theorie der Emotionen" aus dem Jahre 1884 rennen Menschen nicht deshalb vor einem Bären davon, weil sie Schrecken emp- finden, sondern sie empfinden umgekehrt diesen Schrecken. weil sie auf grund eines körperlichen Grundreflexes vor dem gefährlichen Tier davonrennen und als Folge davon ins Zittern geraten. l Historische Psychologie und naturwissenschafi:liche Objektivität Diese Diskussion um Emotionen, die physiologische, psychologische und ab der Jahrhundertwende auch ethologische Aspekte zu integrieren versuchte, wurde in den Geisteswissenschaften schon deswegen kaum rezipiert, weil hier Physiologie und Verhaltensforschung weitab des Erkenntnisinteresses lagen. Hingegen war in Europa - vor allem in der Geschichtswissenschaft, aber auch in der Soziologie und in der Ethnologie - die Psychologie ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. In Deutschland hatte 1889 der Historiker Eberhard Gothein die "historische Psycho- logie" zur Grundlage aller Kulrurwissenschaft erIdärt." 1897 schrieb sein Kollege 1 Dieser Beitrag entstand in einem interdisziplinären Forschungsprojekc zur "Geschichte und Theorie der Emotionen" des Collegium Helvetium (Universität und ETH Zürich). Einen Überblick über Theorien der Emotion gibt Jakob Tanner, "Das Rauschen der Gefühle. Vom Darwinschen Universalismus zur Davidsonschen Triangulation", in: Nach Feierabend Zür- eher Jahrbuch flrdie GesdJichte des Wissens 2 (2006), S. 129-152. 2 Eberhard Gothein, Die AuJiaben der Kulturgeschichte, Leipzig 1889, S. 61. Füc einen Über- blick vgl. Srefan Haas, Historische Kuitttr/orschung in Deutschland 1880-1930. Geschichtswis- senschaft zwischen Synthese und Pluralität, Köln u.a. 1994, S. 390n-:

Unfassbare Gefühle. Emotionen in der Geschichtswissenschaft

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in: Uffa Jensen, Daniel Morat. (Hg.), Rationalisierungen des Gefühls. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Emotionen, München, 2008, S. 35-59.

JAKOB TANNER

Unfassbare Gefühle.

Emotionen in der Geschichtswissenschaft vom Fin de siede bis in die Zwischenkriegszeit

Wer nach der Rolle der Emotionen in der Geschichtsschreibung in den Jahrzehnten um 1900 fragt, bedient sich eines Anachronismus. Der Begriff "Emotion" wurde in dieser Zeit in geisteswissenscba&lichen Disziplinen nicht verwendet. Soweit sich Historiker ruf diese Phänomene interessierten, sprachen sie im Deutschen VOll

"Gefühlen", "Empfindungen", "seelischen Regungen" und im Französischen von sentiment. Im angelsächsischen Sprachgebrauch war der Begriff emotions allerdings bereits etabliert. Maßgeblich an dessen Definition waren William James und earl Lange beteiligt, die beide unabhängig voneinander in den 1880er Jahren vorge­schlagen hatten, in einer Emotion die geistige Wahrnehmung eines physiologischen Zustandes zu sehen. Nach James' "Theorie der Emotionen" aus dem Jahre 1884 rennen Menschen nicht deshalb vor einem Bären davon, weil sie Schrecken emp­finden, sondern sie empfinden umgekehrt diesen Schrecken. weil sie auf grund eines körperlichen Grundreflexes vor dem gefährlichen Tier davonrennen und als Folge davon ins Zittern geraten. l

Historische Psychologie und naturwissenschafi:liche Objektivität

Diese Diskussion um Emotionen, die physiologische, psychologische und ab der Jahrhundertwende auch ethologische Aspekte zu integrieren versuchte, wurde in den Geisteswissenschaften schon deswegen kaum rezipiert, weil hier Physiologie und Verhaltensforschung weitab des Erkenntnisinteresses lagen. Hingegen war in Europa - vor allem in der Geschichtswissenschaft, aber auch in der Soziologie und in der Ethnologie - die Psychologie ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. In Deutschland hatte 1889 der Historiker Eberhard Gothein die "historische Psycho­logie" zur Grundlage aller Kulrurwissenschaft erIdärt." 1897 schrieb sein Kollege

1 Dieser Beitrag entstand in einem interdisziplinären Forschungsprojekc zur "Geschichte und Theorie der Emotionen" des Collegium Helvetium (Universität und ETH Zürich). Einen Überblick über Theorien der Emotion gibt Jakob Tanner, "Das Rauschen der Gefühle. Vom Darwinschen Universalismus zur Davidsonschen Triangulation", in: Nach Feierabend Zür­eher Jahrbuch flrdie GesdJichte des Wissens 2 (2006), S. 129-152.

2 Eberhard Gothein, Die AuJiaben der Kulturgeschichte, Leipzig 1889, S. 61. Füc einen Über­blick vgl. Srefan Haas, Historische Kuitttr/orschung in Deutschland 1880-1930. Geschichtswis­senschaft zwischen Synthese und Pluralität, Köln u.a. 1994, S. 390n-:

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Karl Lamprecht, man sei sich "einig ( ... ), daß die Psychologie die Grundlage aller Geschichtswissenschaft sein müsse", und zwar über alle Auseinandersetzungen zwi­schen den "zwei diametral entgegengesetzten Richtungen" in der Geschichtswis­senschaft, der individualistischen und der kollektivistischen hinweg.3 Weitere deutsche Kulturhisroriker wie Georg Steinhausen und Kurt Breysig teilten diese Prämisse uild deutschten psyche mit "Seele" oder der "Volksseele" ein.4 Lamprecht schloss sich schliesslich dieser Sprachregeluog an und setzte Kulturgeschichte mit einer "Geschichte der menschlichen Seele" gJeich.s

In umgekehrter Richtung bewegte sich auch die Psychologie auf die Sozial- und Geisteswissenschaften zu. In Fortsetzung von Überlegungen, die Moritz (Moses) Lazarus und Heymann (Hajim) Steinthai schon Jahrzehnte früher formuliert hat­ten, publizierte Wilhelm Wundt, der als Pionier der experimentellen Psychologie bekanm war, zwischen 1900 und 1910 seine zehnbändige Völleerpsychologie, die er mit zwei zusammenfassenden Werken über Probleme der VölkerjJsychologie (1911) und Elemente der Völker psychologie (1912) abrundete.' In Frankreich stellte der interdisziplinär arbeirende Soziologe Emile Durkheim in einer Bemerkung zur Merhode der Soziologie im Jahre 1908 fese: "Im sozialen Leben ist alles Vorstel­lung, Idee, Gefühl und nirgendwo beobachtet man besser die Wirksamkeit der Ideen ( ... ). Die gesamte Soziologie ist Psychologie, aber eine Psychologie sui generis. "7 Mit dieser Präzisierung "sui generis" markierte Durkheim eine Differenz: Es ging ihm - sowenig wie den deutschen Kulturhistorikern - nicht um eine indi­vidualistische, auf die Erforschung psycho-physiologischer Mechanismen im La­bor ausgerichtete Experimentalpsychologie und ein entsprechend operationalisier­tes Konzept von Emotionen, sondern um die kollektiven mentalen Grundlagen menschlicher Vergesellschaftung und die dadurch produzierten sozialen Tatsa­chen, die auch Gefühlsbindungen und Affekthandlungen umfassten. Durldleim rückte Zeitlichkeit und Wandel ins Blickfeld der soziologischen Forschung: Ge­sellschaften verändern sich und es war die Historizität und die daraus folgende Heterogenität gesellschaftlicher Phänomene, die ihn interessierten und die er mit empirisch robusten Methoden umersuchen wollte. Soziologie müsse deshalb, wie

3 Kar! Lamprecht: "Was ist Kulturgeschichte? Beitrag zu einer empirischen Historik", in:

Deutsche Zeitschrififür Geschichtswissenschaft NF 1 (1896/97), S. 75-145, hier: S. 77. 4 I-b.as, Historische Kultmjorschung, S. 171. 5 Zit. 11. Haas, ebd., S. 211. Zur Kulturgeschichte vgl. auch Gerhard Ritter, "Zum Begriff der

Kulturgeschichte", in: Historische Zeitschrift 171 (1950, S. 293-302. 6 Für einen knappen Überblick vgl. Werner Petermann, Die Geschichte der Ethnologie, Wup­

pm,12004, S. 53lf 7 Emilc Durkheim, "Remarque sur la methode eil sociologie (1908)", in: ders, Textes, Bd. 2,

Paris 1975, S. 61: "Dans Ia vje sociale, taut est representatiol1s, tout est idces, sentiments, cr, nulle part, on 11' observe mieux la force dftcace des idees. ( ... ) Tout la sociologie est une psychologie, mais unc psychologie sui gcneris." Deutsche Übersetzung zit. n. Lutz Raphad, Die Erben von Bloch und febvre. Geschichte der AnnaLes-Historiographie und nouveLLe histoire 1945-1980, Stuttgart 1984, S. 74.

EMOTlONEN IN DER GESCHICHTSWISSENSCHAFf 37

er forderte, "historisch und objektiv sein" - und dieselben Ansprüche stellte er an die Psychologie.'

Ausgehend von dieser allgemeinen theoretischen Attraletivität und wissenschaft­lichen Resonanzfähigkeit der Psychologie in den Geistes- und Sozialwissenschaften9 werden im Folgenden zwei Problemstellungen unterschieden. Zum einen wird ge­fragt, inwieweit dieser Begriff der "Psychologie" ein Konzept von Emotionen um­fasst. Dabei soll auch die Kritik am - vor allem deutschen - Psychologismus1o zur Sprache kommen und die in der Zwischenkriegszeit formulierten, auf ein neues Verständnis von "Gefühlen" hinarbeitenden .Ansätze der kulturgeschichtlichen Morphologie, der soziologischen Figurationsanalyse und der historischen Amhro­pologie vorgestellt werden. Zum andern geht es um den Nachweis, ob und wie in historischen, soziologischen, kunstgeschichtlichen, sozialpsychologischen und eth­nologischen Studien damals von Gefühlen - in unterschiedlicher Form als Empfin­dungen, Stimmungen, Affekte, Leidenschaften, Wünsche etc. - gesprochen wurde. Dabei interessieren vor allem die begrifflichen Relationen zwischen Emotion und Kognition: Werden Gefühle als der rationalen ReHexion abträglich dargestellt oder steht eher das gegenseitige Konstltutionsverhältnis zwischen emotionalem und ko­gnitivem Weltzugang im Zentrum? Bei der Beantwortung dieser Fragen wird nicht systematisch diskursanalytisch, sondern exemplifizierend verfahren, wobei Werke ausgewählt wurden, die für die genannten Positionen wichtig sind.

Um die aufgeworfenen Fragen angemessen zu stellen, ist es wichtig, sich zu­nächst die krisenhafte Defensive zu vergegenwärtigen, in welche die Geisteswissen­schaften angesichts des Triumphzuges der Naturwissenschaften im ausgehenden 19. Jahrhundert geraten waren. l

] Auf natulwissenschaftlicher Seite entstand da­mals "sowohl im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn ( ... ) ein neues Bild der Objektivität".12 Der Wille zur Erforschung einer dem Menschen äußerlichen Na-

8 Durkheim, "Remarque", S. 59. 9 Vgl. auch: Jakob TannerlLynn Hunt, "Psychologie, Ethnologie, historischc Anthropologie",

in: Haos-Jürgcn Goertz (Hg.), Geschichte. Ein Grund/mrs, 3. crw. Aufl., Reinbek bei I-Iam~ bU"g 2007, S. 723-765.

10 Die polemische Bezeichnung "Psychologismus" wurde VOm phänomenologischcn Philo­sophen Edrnund Husserl geprägt, um cinen naiven individuellen Erfahrungsbegriff ohne Reflexion auf das alter ego zu kritisieren, den er etwa bei Wi!helm Wundt beobachtete (ob­wohl Wumlt seinerseits behauptete, er würde die Logik niclu psychologisieren). Vgl. Martin Kusch, "Psychologism", in: Stanford Encyclopedia 01 Philosophy, http://plato.stanford.edu/ entrics/psychologism/; vgl. auch aus anderer Sicht Gerd Jüttemann (Hg.), Wegbereiter der Psychologie. Der geisteswissenschaftliche Zugang von Leibnüz bis FoumuLt, Weinhcim 1995.

11 Vgl. zum gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Kontext der Krisenlage um 1900 Rüdi­ger vom Bruch/Friedrich Wilhe1m Graf! GangolfI-lübinger (l-Ig.), Kultur und KuLturwissen­schaften um 1900. Krise der .NIoderne und Glaube an die W'issenschaji:, Stuttgart 1991; Vollccr Drehsen/Walter Sparn (Hg.), Vom WeltbiLdwandel zur WeLtanschauungsallalyse. Krisenwahr­nehrmmg und Krisenbewäitigu.ng um 1.900, Berlin 1996.

12 Lorraine Daston/Peter Galison, "Das Bild der Objektivität", in: Peter Geimer (Hg.), Ord­nungen der Sichtbar/~eit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Frankfurt am Main 2002, S. 29-99, hier: S. 99.

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tur stärkte das Ethos eines nur dem "Standpunkt der mechanischen Objektivität" verpflichteten Wissenschafders. 13 Subjektivität galt in den "exakten Wissen­schaften" als gefährlich, individuelle Regungen, Vorlieben und Gefühle konnten den Forscher aus der Kontrolle bringen und zu falschen Überzeugungen oder an­thropomorphen Fehlannahrnen verführen. Dagegen half nur strenge Askese und rationale Einstellung. In diesem Verständnis objektiver naturwissenschaftlicher Forschung ist eine Dichotomie von Emotion und Kognition angelegt, die bei aller Abgrenzungsarbeit zwischen den "zwei Kulturen der Wissenschaft"14 in vielen so­zial- und geisteswissenschaftlichen Ansätzen in unterschiedlicher Form reprodu­ziert wurde. Sowohl die Meinung, das Ausagieren von Gefühlsregungen gehe auf Kosten rationalen Argumentierens, wie auch die These, im historischen Rationali­sierungs- und Modernisierungsprozess würden Emotionen als Schwundphäno­mene zwangsläufig marginalisiert, sind Ausdruck dieser Nullsummen-Kontrastie­mngvon Gefühl und Vernunft. Im Gegenzug verlor die heute wiederum weitgehend akzeptierte Annahme einer "Rationalität von Emotionen" an Boden. 15 Der Um­gang mit Gefühlen schwankte insgesamt zwischen schierer Ausblendung (wobei das vermutete Verschwinden starker Mfekte gleich zur Prämisse von histOrischen Darstellungen gemacht wurde) und einer normativen Statusabwertung oder aber einer kulturellen Exotisierung (womit Emotionen als das "Andere der Vernunft", das entweder bedrohlich präsent oder faszinierend fremd ist, erschienen).

Die "Moralisierung der Objektivität"16, die in den Naturwissenschaften des ausgehenden 19. Jahrhunderts festzustellen war, hatte allerdings weit über diese Frage hinaus Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Geisteswissenschaften. Die einzelnen Disziplinen und Strömungen reagierten unterschiedlich. Im Endef­feln kam es zu einem "Boom der Interdisziplinarität"17; zugleich wurden transdis­ziplinäre Suchbewegungen angeregt. 1S Das Korrelat dazu war die verstärkte Selbst­reflexion über die methodologischen Grundlagen und theoretischen Prämissen innerhalb der Einzeldisziplinen. Gerade dies machte wiederum die Frage wichtig, ob gegenüber den Naturwissenschaften und dem von ihnen ausgehenden Objekti­vierungsdruck eine generell abwehrende, eine abgrenzende oder eine offene Hal­tung eingenommen werden sollte. Die Antworten gingen weit auseinander. Zum

13 Ebd., S. 97. 14 Diese Formulierung verwendete 1959 CE Snow, die Diskussion darum reicht allerdings ins

19. Jahrhundert zurück; vgl. cr. Snow, Thc Two Cultures, Cambl'idge 1998. 15 Vgl. Simon Blackburn, Ruling Passions. A Theory of Practical Reasoning, Oxford 1998; für

eine Übersicht Heiner Hastcdt, GefitMe. Philosophische Bemerlamgen, Stuttgart 2005. 16 Daston/Galisoll, "Das Bild der Objektivicät", S. 30f. I? Stdan Baas, "Transdisziplinarität als Paradigma der kllltur- und sozialhistorischen For­

scbung im frühen 20. Jahrhundert", in: Burldlard Dietz (Hg.), GrijJ nach dem Westen. Die, Westforschung' der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919-1960), Münster u.a .. 2003, S. 27-51, hier: S. 27.

18 Der Unterschied zwischeqTI:ans~ und Interdisziplinarität ergibt sich dadutch, dass erstere stärket auf gesellschaftliche Problemlagen reagiert und auch außerwissenschaftliche stake­holder integriert, während letztere auf der Kooperation mehrere Fachdisziplinen basiert.

EMOTIONEN IN DER GESCHICHTSWISSENSCHAFf 39

einen gab es Richtungen, welche - wie etwa Kar! Lamprecht mit seiner Kulturge­schichte - das Konzept der Gesetzmäßigkeit aufnahmen und eine theoretisch re­flektierte, auch Verallgemeinerungen zulassende Begrifflichkeit forderten. Lam­precht parallelisierte die von ihm geforderte "induktive ( ... ) Psychologie" mit der "Mechanik": So, wie letztere für die Naturwissenschaften konstitutiv sei, so müsse erstere "die Grundlagenwissenschaft der geistigen Erscheinungen sein".19 Lam­precht erklärte, "ohne seelische Emwiddung" könne es "innerhalb menschlicher Gemeinschaften keine Geschichte" geben, und er sah die Hauptaufgabe der Ge­schichtswissenschaft in der Erforschung der "Entwicldung des Seelenlebens" oder des "seelischen Habitus" von Kulturzeitaltern, wobei er "Kultur" wiederum defi­nierte als die "eine Zeit beherrschenden seelischen Gesamtzuständc".20 In deren Transformationen glaubte er das "Wirken einfacher seelischer Gesetze"21 und eine "allgemeine Mechanik seelischer Übergangszeiten "22 erkennen zu können. Lam­precht betonte durchwegs die gemeinsamen Grundlagen der Natur- und der Gei­steswissenschaften. Für ihn als Historiker hieß das: Weil der "Ablauf dieser Zeital­ter" der "unerbittlichen Forderung jeder Wissenschaft auf rücldlalts- und ausnahmslose Zulassung kausalen Denkens" entspreche, sei "die kulturhistorische Methode (. .. ) die erste wirldich wissenschaftliche Methode der Historie hinaus über die blosse kritische Bearbeitung der Einzeltarsachen und der einzelnen Tatsachcnreihcn".23

Einen alternativen Weg, um den Naturwissenschaften auf Augenhöhe zu begeg­neu, hatte der Lebensphilosoph Wilhelm Dilthey mit seiner nachhaltig wirkenden Unterscheidung zwischen nomothetischen und ideographischen Methoden einge­schlagen. Im Gegensatz zu Lamprecht, der eine Verwissenschaftlichung der Ge­schichtsschreibung auf der Grundlage kausalgesetzlicher Zusammenhänge for­cierte, arbeitete Dilthey die grundlegende Differenz zwischen natur- und geisteswissenschaftlichen Verfahren heraus. 24 Auf die beschworene Krisensituation antwortete er also nicht mit dem Import eines naturwissenschaftlichen Theorie­verständnisses, sondern mit akzentuiertem boundary work. 25 Dilthey legte die Na­turwissenschaften - deren Selbstverständnis folgend - auf die empirische Objekti-

19 Kar! Lal11precht, Die kulturhistorische Nfethode, Bedin 1900, S. 13. 20 Ebd., S. 26. 21 Ebd., S. 38.

22 Kar! Lampreclu, Moderne Geschichtswissenschaft: Fün/Vortritge, Freiburg 1905, S. 51f[ 23 Lampreclu, Die Iwitttrhistorische Methode, S. 15 u. 29f. 24 Dilthey entwickelte seine Überlegungen über mehr als drei Jahrzehnte hinweg; vgl. u.a.

Wilhe1m Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte, Bd 1, Leipzig l883; Wilhdm Dilrhey, Der Auf bau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Frankfurt am Main 2001 (erstmals 1910); vgL außerdem den Beitrag von Daniel Mout in diesem Band.

25 Der Begriff boundary work bezieht sich aufkonfliktive Auseinandersetzung um disziplinäre und andere Grenzziehungen innerhalb von Wissens- und Forschungsfeldern innerhalb der Wissenschaft; vgL Thomas F. Gieryn, "Boundaries of Science", in: Sheila ]asalloff (Hg.), Handbook ofScience and Technology Studies, Thousand Oaks/London/New Delhi 1995,

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vierbarkeit von Naturzuständen mit messenden Verfahren unter Anwendung theoretischer Hypothesen fest. Dieser kausalen Erklärung stellte er den verstehen­den Nachvollzug als Vorgehensweise der Geisteswissenschaften gegenüber. Diese geisteswissenschaftliche Methode Diltheys basiert auf dem Dreischritt von Erle­ben, Ausdrücken und Verstehen; Menschen sind in ihre Lebenswelt involviert, sie erleben sich in ihren Absichten und Wünschen in ihrer sozialen Interaktion mit anderen. Deshalb haben sie einen verstehenden Zugang zu den kulturellen Äuße­rungen, die auch Ausdruck von Stimmungslagen und emotionalen Manifestati­onen sind. In Abgrenzung zum Objektivitätsanspruch der Naturwissenschaften fungiert das Subjekt in den Geisteswissenschaften als Generator für henneneu­tische Empathie bei der Deutung der Vergangenheit, wie sie in der Quellenüberlie­ferung greifbar istY'

In dieser Subjekt-Objekt-Problematisierung, die damals die Diskussion um Ver­fahrensweisen und Geltungsansprüche von Wissenschaft maßgeblich strukturierte, könnte es nahe liegen, die Rolle von Gefühlen in der professionellen Praxis der Historiker zu untersuchen. Das ist nicht das Thema dieses Aufsatzcs.27 Ein ande­rer Zugang ergibt sich, wenn - um erneut auf die beiden bereits genannten Pro­blemstellungen zu sprechen zu kommen - der Status der Gefühle im Konzept der "Psychologie" und die historische Semantik der Emotionen in historischen Dar­stellungen analysiert werden. Aus dieser Perspektive wird der Ansatz der conceptual histVJ) produktiv gemacht. 28 Vom Unrersuchungszeitraum her wird die Aufmerk­samkeit nicht nur auf das Fin de siede gerichter29, sondern es werden auch Aus­blicke in das 20. Jahrhundert hinein unternommen, wobei auf die drei bereits ge-

s. 393-443; Pcter Galison/David Stulllp, The Dimnity olScience. Boulldaries, Contexts, flnd Power, Sranford 1996.

26 Auch dieses Subjekt hatte - im Rankesehen Verständnis - sdne "Selbscauslöschung" zu be­ueibell - es blieb aber, anders als in der mech:'Ulischcn Objektivität, in das Verfahren invol­viert.

27 Vgl. dcn Beitrag von Danicla Saxer in diesem Band. 28 Oie COllCl'jJtUfll history bezog wesentliche Anregungen aus den Arbeüen zur Begriffsgeschich­

te und zur historisdlen Semantik, die in die 1960er Jahrc zurückreichen; vgL Otto Brunnerl Werner CotrLe/Rcinhart Kosdlcck (Hg.), Geschichtliche Grundbegr{/fc. Histvrisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutsc!Jland, 8 Bde., Stuttgan 1972-t997. Zur aktuellen Debatte vgl. Reinhan Kosdleck, Begriffigeschichten, Frankfurt alll Main 2006; Hans Ulrich Gumbrecht, Dimensioll und Grenzm der Begriffigeschichte, Paderbom: 2006; concepta. lllter­ntuioJlal Resettrch School in Corlcepturt! History {md Political Thought [http://www.concepta~ ncLorgl].

29 Scit der Frühen Neuzcit lassen sich in Europa neue Formen der Subjduivierung und Indi­vidualisierung bcobachten, die auch einen reflektierten Umgang mit Gefühlcn implizieren. Dazu und auch für die Aufklärung liegen fundierte historische Untersuchungen vor, welche die !leuen Artikulationsweisen und Repräsentationsformen von Gefühlcn herausarbeiten lind damit einen Einblick:in die enormc kulturelle Plastizität von Leidenschaften, Emo­[ionen, Affekten, Gefühlen, Stimmungen, Empfindungen, Empfindsamkeiten und sinn­lichen Wahrnehmungcn geben. Für einen Überblick siehe Martina Kcssel, "Gefühle und Gcschicluswisscnschaft", in: Rainer Schütze:iclld (Hg.), Emotionell und S()ziaftheorie. Diszi-

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nannten Ansätze fokussiert wird: Die auf eine Kritik am historischen Psychologismus Wld an einer "ästhetisierenden Gefühlshistorie" abzieJende Kulturmorphologie Jan Huizingas findet mit seiner wichtigen Publikation Wege der Kulturgeschichte (1930) Berücksichtigung.3o Für die Figurationsanalyse wird das auf die Interdependenzen von Sozio- und Psychogenese abhebende epochale Grundlagenwerk von Norbert Elias Über den Prozeß der Zivilisation aus dem Jahre 1939 verwendet.31 Zur histo­rischen Anthropologie hin führen die inspirierenden Überlegungen bei den Anna­fes-Historikern Mare Bloch (mit den Wimdertätigen Königen aus dem Jahre 1924) und Lucien Febvre (mit den beiden Texten "Geschichte und Psychologie" und "Sensibilität und Geschichte" aus den Jahten 1938 und 1941).32 Im Lichte dieser drei Ansätze, die unterschiedliche Konzepte von Gefühlen vorschlagen, erweisen sich die holisrischen Vorstellungen einer "sozialen Psychologie", einer "Völkerpsy­chologie" oder einer "Seelengeschichte", die in Deutschland um 1900 Konjunktur hatten und Debatten auslösten, als theoretisch-methodische Sackgassen. Zwar transportierte die aus den französischen Annales hervorgehende Mentalitätenge­schichte einige dieser Hypotheken bis in die Gegenwart hinein, doch gerade im Rückgang auf Blodl und Febrve zeigen sich innovative und emwiddungsfähige Ansätze einer historischen Anthropologie der Gefühle.

Gefühlsphantome und soziale Psychologie bei Kar! Lamprecht

Eine der Hauptfiguren des seit den späten 1870er Jahren zunehmenden Interesses an "Kulturgeschichte" und einer der wichtigen Protagonisten im sog. "Methoden­streit" ab Mitte der 1890er Jahre war Kar! Lamptecht (1856-1915)." 1897 kon­statierte Lamprecht in einem Aufsatz "Was ist Kulturgeschichte?", in dem er frü­her schon entwickelte Thesen zuspit'Lte, "dass auf geschichtswissenschaftlichem Gebiete seit etwa zwei Jahrzehnten eine Gärung der Ansichten herrscht, die bis in

plinäre Ansätze, Frankfurt am Main/New York 2006, S. 29-47. und William M. Reddy, The Navigation 01 Feeling. A Framework for the History ojBmotiollS, Cambridge 2001.

30 Johan Huizinga, Wege der Kulturgeschichte, München 1930. 31 Elias Studie crschien, nachdem sie lange Zeit kaum Beachtung fand, 1969 mit einer neuen

Einleitung. Norben Bias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetischl' und psychogeneti­sehe Untersuchungen, 2 Bde., Bem 1969.

32 Mare Bloch, Die wundertiitigen Könige, München 1998 (mit einem Vorwort von Jacques Le Goff; erstmals 1924). Die beiden Texte von Febvre sind abgedruckt in: Luden Febvre, Das Gewissen des Historikers, Frankfurt am Main 1990, S. 79-90 u. 91-107.

33 Stefan Haas betollt zu Recht, dass der zum "Thcorienstreit" gewordene "Methodenstreit" ein heterogenes Phänomen war, das sich nicht als Auseinandersetzung zwischen zwei Rich­tungcn begreifen lässt (Haas, Historische Kultuiforschttng, S. 125ff u. 155ff.). Zu Lamprecht vgJ. Jörn SieglerschmidtlRainer Wirtz, "Kar! Lamprccht. Psychische Gesetze als Basis der Kulturgeschichte?", in: Gerd Jünemann (Hg.), Wegben:iter der Historischen Psychologie, München 1988, S. 104-114; Gerald Diesener, Kar! L(lmpreeht weiterdenken. Universal- und Kulturgeschichte heute, Leipzig 1993.

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die untersten Tiefen der Auffassung und Methode reicht", und "selbst der Begriff der Geschichte an sich" sei "strittig geworden".34 Aus Lamprechts Sicht kam die Historie nicht umhin, Erkenntnisse der "neueren Psychologie als exakte Wissen­schaft von den Gesetzen des Seelenlebens" aufzunehmen und sie zur Erldärung der "inneren Motivation persönlicher Handlungen" einzusetzen. Auf dieser Grundlageschien es ihm möglich, die rivalisierenden Ansätze in ein Komplemen­tärverhältnis zu bringen, wobei die "auf das Singuläre, auf den Menschen als emi­nente Persönlichkeit gerichtete ältere" und einer "auf das Generische, den Men­schen als historisches Gattungswesen gerichtete jüngere Geschichtsforschung" als grundsätzlich "gleich berechtigt" bewertet werden sollten.35 Unter explizitem Be­zug auf Wilhelm Wundt36 strebte Lamprecht allerdings nicht ein statisches Ne­beneinander der beiden Zugänge an, sondern ging von einem Primat des Kollek­tiven aus: Der Begriff des "freien Individuums" sollte vom rein Zufälligen abgelöst und auf "die Richtung des gesamtpsychischen Lebens" bezogen werden.37 Dabei wirkten die "gesellschaftlichen Zustände" allerdings nicht Naturbedingungen gleich auf das Handeln von Individuen ein, sondern bei den sozialpsychischen Faktoren handelt es sich um "lebendige Kräfte ( ... ) mit starken kausalen Wir­kungen", die in einen "ruhelosen, kontinuierlidlen, dramatischen Kampf" velwi­ckelt sind.38

Lamprechts Konzept der Psychologie integrierte durchaus Gefühle - allerdings konzipierte Cl' deren Analyse als interdisziplinäre Aufgabe, die er in einer spC".li­fischen Weise stellte, wollte er doch eine direkte Abhängigkeit der historischen Wissenschaft von der Psychologie vermeiden. Deshalb schlug er vor, die Einzclwis­senschaften müssten "ihre Grundbegriffe zunächst aus sich selbst heraus ( ... ) ent­wickeln", um sie dann anschließend im interdisziplinären Dialog zu schärfen, zu modifizieren und gegenseitig zu integrieren.39 In dieser Arbeitsteilung zwischen den Disziplinen komme der Ethnologie die Aufgabe zu, sozial psychische Grund­faktoren zu identifizieren und zu ldassifizieren und somit auch basale Erkenntnisse über "Affekte und Willenshandlungen", über "Gefühle und Triebe"40 zu liefern und das fundamentale menschliche "Bedürfnis nach Hervorbringung und Steige­rung der Eindrücke"41 zu erklären. Die Geschichte als "empirische Disziplin"42 hat dann die Auspr~igung dieser Faktoren im Wandel der Zeit zu untersuchen. Lamprecht definierte von diesem Verständnis her Kulturgeschichte als "verglei­chende Geschichte der sozialpsychischen Entwiddungsfakroren", welche den "gei-

34 Lamprecht, "Was [SC Kulturgeschichte?", S. 75. 35 Ebd., S. 86. 36 Ebd., S. 94. 37 Ebd.,5.110. 38 Ebd., S. 115. 39 Ebd., S. 9l. 40 Ebd., S. 118. 41 Ebd., 5.121 42 Ebd., S. 88.

EMOTIONEN IN DER GESCHICHTSWISSENSCHAFT 43

stigen Gesamthabitus der Zeit" und im historischen Prozess die ,,Anordnung der Kulturzeitalrer" auf der Grundlage einer "wissensch:;tftlichen Periodisierung" zu strukturieren habe. Dabei behauptete er eine Identität der Kulturzeitalter mit den Entwicklungsstufen der "materiellen" Kultur und strebte eine "Psychisierung der Wirtschaftsstufen" an, so dass Kulrur- und Wirtschaftsgeschichte weitgehend zu­saffimenfallen.43

Das Lamprechtsche Entwicldungsszenario Sall - in Übereinstimmung mit Rati­onalisierungsthesen - durchaus historisch wirksame 'Tendenzen in Richtung eines zunehmenden "Ausgleichs der Affekce" vor. Gegen die These der Affektkontrolle im Prozess einer zunehmenden Naturbeherrschung und Sozialdifferenzierung ent­wickelte er zwei Argumente: Erstens ging er nicht von einer positiven Korrelation von Frei.heitsgewinn und Naturkontrolle aus: "Denn es ist ein Irrtum zu glauben, dass der Mensch von der Natur um so freier wird, je eingehender er sie studien und ausbeutet." Der technisch-wissenschaftliche Zugriff des Menschen auf die Natur mag zwar die Abhängigkeit "von gewissen natürlichen Zufällen" reduzieren, insge­samt lässt er aber "unseren Zusammenhang mit der Natur dennoch immer stärker erscheinen".44 Zweitens setzte er Affektausgleich nicht gleich mit Gefühlsabbau, sondern ging umgekehrt vom "Prinzip fortschreitender psychischer Intensitä("45 aus. Dies führte ihn zu folgender Charakterisierung des "allgemeinen Gangs der geschichtlichen Entwicldung": "Die Transcendenz der Ideen muss also der Imma­nenz der psychischen Gesamtrichtung weichen. "46 In diesem Vorgang, der die psy­chische Disposition von Gesellschaften grundlegend transformierte, treten diese psychischen Faktoren immer stärker hervor - ein Grund für die Kulturgeschichte, sich mit diesem Phänomen zu befassen.

Referenzrahmen für Lamprechts Überlegungen war die Nation als "natürlichste ( ... ) menschliche Vergesellschaftung" und zugleich "oberste soziale Vereinigung":i7 Für ihn scand fest, "daß als regulärer Träger der weltgeschichtlichen Entwicldung, und damit als wichtigste Grundlage der Menschheitsgeschichte wie der Geschichte überhaupt die Nationen anzusehen sind", weil sich nur in ihnen "der größte Ent­wicldungstypus menschlichen Daseins" voll auslebe.48 Auch wenn sich Lamprecht gegen Ende seines Lebens - er starb 1915 - verstärkt universalhistorischen Proble­men zuwandte, stellte er den methodologischen Nationalismus nie in Frage.49

Auch in der Einfiihrung in das historische Den/;:en aus dem Jahre 1912 ist es für ihn

43 Ebd., S. 145, 112, 133, 125 u. 129; zur Interpretation vgl. Haas, Historische Kulturforschung, S.220.

44 Lamprecht, "Was ist Kulturgeschichte?", S. Illf. 45 Ebd., S. 132. 46 Ebd., S. 110. 47 Ebd., S. 99. 48 Ebd., S. 102, siehe auch S. 116. 49 Die Diagnose von Stefan Haas, der im Jahr 1900 "in der Entwicklung Lamprechrs dilen

gravierenden Einschnitt", d.h. eine Ablösung von nationalgeschichtlichen und eine Öff­nung hin zu universalhistorischen Problemen sieht, stellt in dieser Hinsicht eine Übertrei­bung dar (Baas, Historische Kulturforschung, S. 211).

44 JAKOB TANNER

Idar, dass "die psychischen Spannungen, die wir kennen gelernt haben, sämtlich in dem Verlauf der Geschichte einer grogen menschlichen Gemeinschaft, in unserem Fall zunächst des demsehen Volkes, beschIoßen" Seiell. Das "überall wirkende Ge­setz der psychischen Relationen" stelle aber sicher, "daß in der Tat alle andern Nationen eine der deutschen Entwicklung verwandte Reihe von Zeitaltern durch­laufen habcn".50 Auf einem solchen nationalen Standpunkt verbleiben auch kul­turhistorische Autoren wie Georg Steinhausen und Kurt Breysig, die, wenn sie von "Seelenkräften" sprachen, vom "deutschen Menschen" und "dem Volk" ausgingen. Gleichermaßen verharrten die europäischen und universalhistorisdlcn Deutungen dieser Autoren im Gravitationsfeld einer Volks-Nations-Homologie, die eine kul­turpessimiscische Aufladung förderte und einer völkischen Verengung sowie rassi­süschen Umdeutung dieser Psychologie-Konzepte, wie sie schon vor 1933 ein­setzte, entgegenkam oder sie jedenfalls nicht verhinderte.51

Das "deutsche Gefühlsleben" Georg Steinhausens und die "Gesellschaftsseelenkunde" Kurt Breysigs

Georg Steinhausen (1866-1933) gab ab 1894 die Zeitschrift jiir Kulturgeschichte heraus, die zu einem wichtigen Forum dieses heterogenen, aber dennoch einige Argwuenrationsstrategien vorantreibenden Diskussionszusammenhanges wur­de. 52 1895 - auf dem Höhepunkt des "Methodenstreits" - publizierte er eine Studie Der Wtmdel deutschen Gefühlslebens, in der er, anknüpfend an Arbeiten von Gustav Freyrag'53, die "Emwicklungsphasen deutschen FiUllens und Empfindens" nachzeichnete, dies in Abgrenzung zur und in Erweiterung der geistigen, poli­tischen und materiellen Entwiddung.54 Steinhausen will hier die "Hauptzüge" des "inneren Lebens" herausarbeiten, es geht ihm um die Dynamik des Wandels, um die großen Übergänge und nicht um Einzclzeiten, die nur in ihrer Symptomatik beachtet werden. Steinhausen unterscheidet fünf große Entwicklungsphasen, die er, immerzu einige Beispiele verallgemeinernd, in worrspielerisch-bunter Gesamt­charakterisierung darstellt. Eine erste, die im Banne der Minnezeit mit ihrer "ästhe­tischen Feinheit und tändelnder Anmut der ritterlichen Gesellschaft" stand, ging

50 Kar! LaOlprechr, };fIlßilmmg in das historische Denken, Leipzig 1912. 51 VgL auch Baas, "Ti'ansdisziplinarität ais Paradigma", S. 46fL Eine wenig wirkungsvolle,

argumentativ jedoch interessante Kritik an diesen Formen der Psychologisierung von Ge­fühlen entwickelte Ernst Bernheim in seinem 1889 crstmals publizierten und später immer wieder ncu aufgelegten und 1908 nachgefühnen Lehrbuch der historischen Met/Jode und der Geschichtsphilosopbie.

52 Haas, Historische KultuljorsclJUl1g, S. 254; vgL auch Jürgcn Herold, "Georg Steinhausen und dic Kulnugcschichte", in: Archiv ßir Kulturgeschichte 85 (2003), S. 29-70.

53 Gustav Freytag, Bilder aus der deutschen Vi:rgangenheit, 2 Bde., Leipzig 1859. 54 Gcorg Steinhauscn, Der Wrmdd deutschen Gefühlslehens seit dent Mittelalter, Hamburg

1895.

EMOTIONEN IN DER GESCl-IICHTSWlSSEN,SCHAFf 45

im Übergang zum Spätmirtelalter zu Ende. Es folgte - gemessen an diesen hohen Idealen - ein Rückschlag und in der zweiten Phase "zu Beginn des 14. Jahrhun­derts ist der Deutsche ein nüchterner, schlichter, fast gemütsarmer Mensch",55 Dieses "gering entwickelte Gefühlsleben" ist jedoch verbunden mit der Rüc!deehr des "Volkstümlichen", es beginnt eine "Periode aufsteigender Kraft" im Zeichen eines "gesunden, kräftigen und natürlichen Gefühlslebens", die sich durch eine "Einheitlichkeit" im Fühlen auszeichnet. Steinhausen betont vor allem den "Hu­mor" und die "Derbheit", die damals im Schwange waren und stellt fest: "Die Menschen dieser Zeit sind wie heute das niedere Volle in seinen gesunden Schich­ten." "Unser Volk sinkt" ist dann die Devise der dritten Phase, in der die vorherige Natürlichkeit in "kahle und kalte Gefühllosigkeit", in "Berechnung und ( ... ) fin­stere Grausamkeit" umschlägt. Vor allem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun­derts regen sich Aberglaube und Hexenwahn und "die Teufelsliteratur wächst ( ... ) ungeheuer an". 56 Steinhausen diagnostiziert einen Übergang von religiöser Hinge­bung in "pathologische Sucht"; die führenden Schichten hätten natürliches Fühlen verlernt. "Dies bewirkten vor allem und in erster Linie die neuen fremdartigen Einflüsse, die in dieser Zeit mächtig hervortraten". Es zeigt sich ein frappanter "Mangel an Einfachheit und Wahrheit", ein "Zwang zur Unnatürlichkeit" harr an der Grenze zur Lächerlichkeit, zur Groteske, zur Künstlichkeit und Zeremonialität. "Schwulst" ist das Signum dieser Zeit, es steht für "die ganze Periode" und ihre GefÜhlsäußerungen.57 Von diesem Zerfall sind allerdings "niedrige" und "länd­liehe Schichten" sowie "die Frauen" ausgenommen. Eine gewisse Rettung kommt dann von der "pietistischen Bewegung", mit der sich ein weiterer seelischer Wandel in Richtung einer neuen Innerlichkeit ankündigt. Das 18. Jahrhundert wird da­durch zur vierten Phase, zur "Gefühlsperiode der Empfindsamkeit", die zwar die vorherige "öde Leere des Empftndens" überwindet, ohne indessen schon natürlich und gesund zu sein. Denn was nun anbricht, ist eine Zeit der "Weichheit und Rührseligkeit", die Menschen versinken in einem "Gefühlsmeer" oder in einem "Tränenrneer" . Das romantische Naturgefühl einer sentimentalen, tränenreichen Phase ersrreclet sich bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, um dann - als fünfte Pha­se - von einem Zeitalter der Nervosität abgelöst zu werden, das im Banne von Schnelligkeit und Leistungsfähigkeit steht und durch "größere Reizbarkeit und Empfindlichkeit" und gleichzeitig durch eine zunehmende "Feinheit des Empfin­dens" charakterisiert isr.S8

Steinhausen macht diese Temposteigerung der gesellschaftlichen Verhältnisse durchaus auch an einer Veränderung der Körperlichkeit des Menschen fest: ",Ner­ven' in unserem Sinne haben unsere Vorfahren nicht gehabt. Sie sind ein Erzeugnis stark verfeinerter Kultur einerseits, des totalen Wandels der äußern Lebensverhält-

55 Ebd., S. 4. 56 Ebd. S. 5f. u. 15ff. 57 Ebd., S. 1Sff. 58 Ehd., S. 28[f.

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nisse andererseits: wir leben rascher als unsere Vorfahren. "59 Man könnte hier einen Vorgriff auf eine kulturanalytisch sensibilisierte Körpergeschichte sehen; doch die metaphysische Volkskategorie, die Überinterpretation von Quellen und die nicht haltbaren Verallgemeinerung von Einzelbeispielen verweisen auf Fundamentalpro­bleme des Ansatzes. Zudem ist die Interpretation wenig originell; Steinhausen legt sich auf eine durchgehende bipolare Schematisierung fest und wählt eine Srereo­rpyisierung mit Kontrasteffekten entlang der vier Achsen "Natürlich versus künst­lich", "beständig versus volatil", "Deutsches versus Fremdes", "Volk versus Eliten". Von der letzten Phase abgesehen, die Steinhauscll selber als "unsichere Sache" sieht, wird immer dasselbe Argumentationsmuster in Anschlag gebracht: Die unbestän­digen Eliten neigen häufig zum artifiziellen Fremden, während sich das robuste deutsche Volk den Sinn für das Natürliche auch in aussichtslosen Lagen bewahrt.

Ähnlich volksverhaftet und kollektiv-holistisch sind die Untersuchungen von Kurt Breysig (1866-1940). In der Geschichte der Seele von 1931 formuliert er ein­leitend folgende These: "Es ist die Annahme, dass in jedem der aufeinanderfol­genden Enwicldungsalter der Menschheit es eine andere der Seelenkräfte war, die Tat und Geist der Völker beherrschte. "60 Breysig kämpft mit seiner "Gesellschafts­seelenkunde" gegen "fremde ( ... ) griechisch-lateinische Misch- und Mißgeburten - wie das Ungeheuer Soziologie", die den "Vorgang der Entsinnlichung bis zur Leichenstarre, bis zum Vorstellungsmord" steigern,61 Hier erreicht teutonische Anschaulichkeit im Verein mit nationaler Blickverengung beklemmende Spitzen­werte, Die 1935 erscheinende Theorieschrift Psychologie der Geschichte ist demge­genüber offener, aber ebenso diffus; Breysig operien mit Begriffen wie "Kraft und Ordnung", und setzt sich mit Hirnforschung, dem menschlichen Leib und den "gemeinsamen Zielen der Natur- und Geisteswissenschaften" auseinander, dabei immer wieder auf zwischenmenschliche Anziehungskräfte und ähnliche Gefühlsla­gen Bezug nehmend.62 In der Nachkriegszeit publizierte Gerrrud Breysig, die als Jüdin von den Nationalsozialisten deportiert worden war, aber überlebte, weitere Werke ihres 1940 verstorbenen Mannes, Trotz dieser posthumen Profilierung blieb Kurr Breysig allerdings "in der Geschichts- und Kulturwissenschaft eine Null-Exi­stenz" (wie sich Harrmut Böhme ausdrückt),63 Seine "Kinetographie des univer­salhistorischen Prozesses" fiel aus den Debatten zwischen traditionellen politikge­schiehrlichen Ansätzen und der mit nellen Erldärungsansprüchen auftretenden Sozialgeschichte der 1950er und 60er Jahre ebenso heraus wie der Psychologie­Ansatz in der Nachfolge von Karl Lamprecht insgesamt, Dass diese gegen Ende des

59 Ebd., S. 41. 60 Kurt Breysig, Die Geschichte der Seele im Werdegang der Menschheit, Breslau 1931, S. VIII, 61 Ebd .• S. XlV. 62 Kurt Breysig, Psychologie der Geschichte, Breslau 1935, S. 51ff, 149ff u, 174ff. 63 Hal'tillut Böhme, ",Der D~l1loll des Zwiewegs', Kurt Breysigs Kampf um die Universalhi­

storie" , in: Kurt Breysig, Die Geschichte der Menschheit, Bd. 1: Die Anfinge der JvJenschheit, Bedin 2001, S. V-XXVII [http://www.culture.hu-berlin.de/hb/static/archiv/volltcxteItex­te/breysig.html].

EMOTIONEN IN DER GESCHICHTSWISSENSCHAFT 47

19, Jahrhunderts aufkommenden kulturhistorischen Ansätze keine nachhaltigen Anregungen für eine Geschichte der Gefühle zu liefern vermochten, passte gut zusammen mit der in den ersten Nachkriegsjahrzehnten im Mainstream der Ge­schichtswissenschaft dominierenden Ignoranz gegenüber der Dimension des Emo­tionalen und der affektiven Involvierung von Menschen in die Gesellschaft,

Pathos-Formeln und emotionale Entladung durch Rationalisierung

Einen andern, produktiveren Vorschlag, die Gefühle zum integralen Element einer Erldärung langfristiger gesellschaftlicher Transformationsprozesse zu machen, fin­det sich bei Aby Warburg (\866-1929), der in den 1880er Jahren unter anderem bei Kar! Lamprecht Kulturgeschichte studiert hatte, Nach seiner Rückkehr von Florenz nach Hamburg war er ab 1902 eng in den transdisziplinären Forschungs­zusammenhang der Kulturgeschichte und der Völkerkunde involviert und entwi­ckelte das hybride Projekt einer monumentalen Kulturtheorie, in der er der Psy­chologie die Rolle einer Fundamentalwissenschaft zuwies.64 Mit der damals breit diskurierren Methode einer "kulturpsychologischen Geschichtsauffassung" wollte er die Entwicklung von Symbolsystemen und die Dynamik der wissenschaftlichen Rationalisierung verstehen, Menschliche Zivilisation ist aus Warburgs Sicht das Resultat kultureller Konstruktionsleistungen; sie kommt dadurch zustande, dass Menschen lernen, neue Ursachensetzungen vorzunehmen, d.h. sich von Ängsten zu befreien, die sie durch die Unterstellung "magischer" Kausalitäten in sich selber hervorrufen. Es gibt nicht - wie bei Lamprecht - kausale Gesetze, welche die Ent­wicldung von Gefühlsregimes steuern, sondern die Vorstellung von Wirkungszu­sarnmenhängen ist selber Teil eines emotionalen Weltbezugs.

Für Warburg ist es vor allem das Bild, über das Menschen Kausalitätszuschrei­bungen zu verändern imstande sind. Das Bild ermöglicht die Bezwingung animi­stischer Gewalten, die der Mensch aufgrund einer magisch-engagierten Weltsicht überall am Walten Sall, Wenn destruktive sozial-psyclüsche Energien in Bilder ent­äußert werden, verlieren sie ihre gefährliche und gefährdende Potenz. Das Beäng­stigende wird gebannt in Pathos-Formeln, welche die gesellschaftliche Kontrolle dieser Energiepotentiale gewährleisten, Das Bild stellt zwar nach wie vor eine starke affektive Kraft dar und provoziert emotionale Identifikation. Doch es konstituiert sich aus einem Akt der Distanzierung, der Gefahren depotenziert. "Du lebst und tust mir nichts" meint bei Warburg auch: "Du lebst, aber bitte tu mir nichts!" In dieser Bedeutung bezieht er sich über die zähmende Kraft der Bilder hinaus auf die Wissenschaft, die als Beruhigungsmedium fungiert, weil sie eine neue, von teuf-

64 VgL etwa Horst Bredekamp/Michad Diers/Chadone SchoeH-Glass (Hg.), Aby Warburg, Akten des internationalen Symposions Hamburg 1990, Weinheim 1991; Bemd Roeck, Der junge A!.ry Warburg, München 1997.

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lischen Kräften entlastete Sicht der Welt genericrt.65 Warburg interpretiert die Kul­turentwicldung seit der Renaissance als Stillstellung bewegter Dämonen, die den Menschen bedrohen. Der Befund für den florentinischen Maler Sandro Botticelli butete, dass er das noch nicht geschafft hätte, denn "cr war sd10n einer von denen, die allzu biegsam waren"66; erst die die Künstler des 16. Jahrhunderts hätten durch­wegs beruhigte Bilder hervorgebracht. Im seihen Jahrhundert hätte Dürer seine ",Melancolia l' zum humanistischen Trosrblatt wieder Saturnfürchtigkeit" gemacht; Dürer und Luther seien überhaupt zusammengetroffen in ihrem Kampf gegen "magische Mythologik": "Wir stehen mit ihnen schon im Streite um die innere intellektuelle und religiöse Befreiung des modernen Menschen, freilich erst am Anfang".G7

Das Fortschrittszenario, das diesen Zivilisationsprozess antreibt, folgt nicht der Anziehungskraft: einer technisch erlösten Zukunft, es ist auch nidlE verursacht durch einen Willen zum Wissen oder eine wissenschaftliche Neugierde, sondern es formt sich aus der Sicht Warburgs in einer schauderhaften Gegenwart, die durch Gespenster und Geister der Vergangenheit bevölkert ist. Aus diesem dämonischen Chaos der Angst machen sich die Menschen auf den Weg in einen rationalen Kos­mos. Von daher kam das Interesse Warburgs an einer Psychologie der Ausdrucks­weisen, welche die Exorzierung des Irrationalen und den Sieg der Vernunft zu dokumentieren vermögen. Warburg sprach von "bewußter Auseinandersetzungse­nergie" mit einer Vergangenheit, deren energetisches Reservoir für die Exorzierung von Dämonen genutzt werden könne. Die Sublimierung von Ängsten durch Sym­bolisierung löst eine Transfonnation mentaler Dispositionen aus, welche die Welt erträglicher machen. Weil jede Zeit nur das sieht, was sie schon verstanden hat und demzufolge auch ertragen kann, muss die Ikonologie aufZeigen, wie Bilder, Rituale und Myrhen Ängste neutralisierten und handhabbar machren. Warburg entnahm der 1911 publizierten Studie von Richard Semon über die Mncme68 die Erkennt­nis, dass Erinnerungen als Speichereinheiten mit einer affektiven Ladung betrach­tet werden können, Dem Kunsthistoriker fällt dann die Rolle zu, gleichsam als Seismograph die Enrladungen, die Bilder im Erinnerungshaushalr auslösen, auf einer kulturellen Energieskala zu messen.69 Warburg fasste diesen entlastenden, be-

65 Wolfram Hogn::bt;:, ECho des Nichtwissens, Bedin 2006, S. 185; Hogrebe weist auf die Studie von w.J. Thomas MitchelI: What Do Pictures Wttnt? The Lives Imd Loves 0/ Images, Chicago 2005, hin, welche den "bildanimistischen Aspekt" wiederum ins Zentrum rüder.

66 Aby Moritz Warburg, "Salldro BotticeHis ,Geburt der Venus' und ,Frühling'. Eine Untersu­chung über die Vorstellungen von der Antike in der iralit;:nischen Frührenaissance", in: dt;:rs, Ausgewählte Schriften und Würdigungen, hg. v. Dieter Wuttke, Baden-Baden 1992, S. 11-64, hier: S. 63.

67 Aby Moritz Warburg, "Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luchers Zeiten", in: dcrs, Gesammelte Schriften, Bd. 1.2., Berlin 1998, S. 498-558, hier: S. 528u. 531.

68 Richard Semon, Die Mneme als erhaltendes Prinzip im Wandel des orgfmischen Geschehens, Ldpzig1911.

69 Bemd Roeclc, "Aby Warburg als Kulturtheoretiker", Vortrag am 17. März 2008, Universität Zürich.

EMOTIONEN IN DER GESCHICHTSWISSENSCHAFT 49

freienden Prozess in Richtung einer sich rationalisierenden Zivilisation allerdings nicht als irreversibel auf. Der Erste Welckrieg markierte auS seiner Sicht eine Kata­strophe, die er auch intensiv als unerträgliche persönliche Verunsicherung emp­fand. Seine Einlieferung in eine psychiatrische Klinik, wo zunächst eine Schizo­phrenie und dann - durch Emil Kraepelin - eine manisch-depressive Erkrankung diagnostiziert wurden, war auch Folge dieser Lebenssituation.

Diese Grundrhese von Aby Warburg - die Rationalisierung von Ängsten im Zuge eines Modernisierungsprozesses - findet sich in unterschiedlichen Varianten in theoretischen Ansätzen, die im sozial- und kulrurwissenschaftlichen Theoretisie­rungsschub Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden. Die Akzente wurden aller­dings unterschiedlich geserzt. Zwei Argumentacionsmodelle verdienen dabei be­sondere Beachtung, Das eine wird von Max Weber in der 1920 erstmals publizierten Studie über "die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus" entf.lltet. Weber spricht hier von der "Kapitalbildung durch asketischen Sparzwang"; er siehr in der modernen Askese überhaupt ein Antidotllm gegen die "unbefangene Vitali­tät trieb mäßigen Handelns und ein naives Gefühlsleben", mit dem Resultat einer Stärkung "konstanter Selbstkontrolle" und des "bürgerlichen Berufsethos" .70 In verschiedenen Werken mit modernisierungstheoretischem Einschlag polarisiert Weber Emotionalität und Rarionalität und erklärt soziokulturellen Wandel als Ver­drängung der ersteren durch letztere. Irrationale Gefühle, naive Empfindungen und ataviscische Leidenschaften werden so zum Gegenprinzip, vor dem sich die interdependenten Prozesse der Verwissenschafrlichung, Rationalisierung und Sä­kularisierung positiv abheben können. Weber führt zwar in den "Soziologischen Grundbegriffen" von 1921 das "affekruelle, insbesondere emotionale Handeln" neben anderen Handlungstypen - dem zweckrationalen, dem wertrationalen und dem rraditionalen - zunächst eigenständig auf, behandelt es jedoch als Residualka­tegorie. Nachdem er unter diesem Rubrum Formen eines "hemmungslosen Rea­gierens" angesprochen hat, kommt er auf die "Sublimierung" zu sprechen, die dann vorliegt, "wenn das affekruell bedingte Handeln als bewußte Entladung der Ge­fühlslage aufn·irr; es befindet sich dann meist (nicht immer) schon auf dem Wege zur ,Wertrationalisierung' oder zum Zwecldlandeln oder zu beiden,"?!

Die Romantik hatte die Wertladung dieses bipolaren Modells umgekehrt und den Topos einer wunderbaren rauschhaften Erfahrung lanciert, der sich gegen das oberflächliche Kalkül des Rationalen richtete. Gefühlsmäßige Intuition vermittelte aus dieser Sicht tiefere Wirldichkeirserkenntnis als logisches Raisonnieren. Emoti­onen blieben in der Romantik, die Teil der Moderne ist, allerdings fundamental

70 Max Weber, "Die protestantische Ethik und der Geisr des Kapitalismus", in: ders., Gesam­melte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, Tübingen 1988, S. 17-206, hier: S. 126, 192 u. 198.

71 Max Weber, "Soziologisdlc Grundbegriffe", in: ders., Gesttmmelte Aufiätze zur Wissenscl;afis­lehre, Tübingen 1988, S. 541-581, hier: S. 565f. Vgl. dazu auch Sighard NeckeI, "Kultur­soziologie der Gefühle. Einheit und Differenz ~ Rückschau und Perspektiven", in: Schütz­eichel, Emotionen und Sozialtheorie, S. 124-139.

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ambivalent. Der Gefühlsrausch hatte etwas die Menschen beglückendes, ließ sie aber unter Umständen zugleich ins Verderben stüEcn. Im Spannungsfeld von kon­trollierter Empfindung und außer Kontrolle geratender Leidenschaft konnte der romantische Mensch durchaus der letzteren anheim fallen und. damit das erfahren, was die Theoretiker der Modernisierung als Relikt der Vergangenheit sahen. n Eine interessante Spielfofm dieses Arguments findet sich bei Jan Huizingas 1919 veröf­fentlichten Studien zum Herbst des Mittelalters. 73 Als Gegenbild und Kontrastfolie zur wissenschafdich-tedmisch geballten Destruktionskraft der modernen Indus­triegeselIschaft, die sich im Ersten Weltkrieg gezeigt hatte, zeichnete Huizinga ein Mittelalter, das seine kindliche Unschuld noch nicht verloren hatte. "Als die Welt noch ein halbes Jahrtausend jünger war", schreibt er, "hatten alle Geschehnisse im Leben der Menschen viel schärfer umrissene äußere Formen als heute. Zwischen Leid und Freude, zwischen Unheil und Glück schien der Abstand größer als fuf uns; alles, was man erlebte, hatte noch jenen Grad von Unmittelbarkeit und Aus­schließlichkeit, den die Freude und das Leid im Gemüt der Kinder heute noch besitzen."74 Im Mittelalter bot das "tägliche Leben ( ... ) immer und überall unbe­grenzten lZaum für glühende Leidenschaftlichkeit und kindliche Phantasie" und haue "in mancherlei Hinsicht noch die Farbe des Märchens" und "so grell und bunt war das Leben, daß es den Geruch von Blut und Rosen in einem Atemzuge vertrug".75 Das Miuelalter wird hier zum Traumterritorium, das auf der Suche

nach der verlorenen Zeit aufgesucht werden kann.

Figurationsanalyse, Morphologie und die Geschichte der Gefühle

Norben Elias verwendete weder die plastisch-affektive Sprache Huizingas noch interessierte er sich für kunstgeschichtliche Arbeiten, wie sie Warburg vorlegte. Nichtsdestotrotz hat er das Mittelalter ähnlich gesehen?6 Er teilte die Meinung, damals seien Emotionen noch ungebrochener und ungestümer artikuliert worden. Er setzte mit seiner Interpretation des Zivilisationsprozesses jedoch anders an; er betonte nicht wie Huizinga das "ganz Andere" eines Mittelalters, das der Neuzeit den Spiegel vorhalten kann, sondern zeichnet in der epochalen Studie aber den

72 Martina Kessel, "Das Trauma der AffdukontroHe. Zur Sehnsucht nach Gefühlen im 19. Jahrhundert", in: Claudia Benthien/Anne Fleig/lngrid Kasten (Hg.), EmotionaLitiit. Zur Geschichte der GefiIhle, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 156~177.

73 Joban I-Iuizinga: Der Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens~ und Geisteiformen des 14. und 15. Jahrhunderts in 'Frankreich und in den Niederlanden, Stuttgart 1975 (erstmals

1919). 74 Ebd., S. l. 75 Ebd., S. 8 u. 22. 76 Vgl. etwa Claudia Opitz (Hg.), Höfische Gesel/schtift und Zivilisationsprozeß Nobert Bias'

Werk in Imlturwissenschil}ilicher Perspektive, Köln/Weimar/Wien 2004.

EMOTIONEN IN DER GESCHICHTSWJSSENSCHAFr 51

Prozeß der Lil;ilisation die "Zivilisationskurve" im Zeitraffer nach. 77 Im Vorwort, das auf 1936 datiert ist, spricht er von Wechselwirkungen zwischen der "Psychoge­nese des Erwachsenenhabitus" und der "Soziogenese unserer ,Zivilisation'" und bezeichnet "die Frage der soziogenen menschlichen Ängste [ ... ] als eines der Kern­probleme des Zivilisationsprozesses" J8 Gesellschaften verändern sich im Zivilisa~ tionsprozess fortwährend und auf die Länge auch grundlegend - doch dieser Wan­del ist weder willkürlich noch zufällig. Elias sucht deshalb nach einem Weg zwischen der Scylla eines "Statismus" (der ahistorisch argumentiert und den Menschen als Gegeben betrachtet) und der Charybdis eines "historischen Relativismus" (der nur den beständigen und ungeordneten Wechsel sieht)J9 Mit dem, was er "Figurati­onsanalyse" nannte, zielte er auf die Untersuchung der "Formungsgesetzlichkeit der geschichtlichen Gebilde", der historisch veränderbaren 111terdependenzmuster und Verflechtungszusammenhänge von Menschen, der Strukturkonstellationen ih­rer Institutionen sowie der "Verhalcens- und Affekcstandards im Leben der Gesellschaft"80 ab.

Die Einsicht in die gerichtete Doppelentwicldung der Gesellschaft hin zu kom­plexeren staatlich-wirtschaftlichen Strukturen, zum physischen Gewaltmonopol des Staates und zur damit korrespondierenden psychisch-emotionalen Selbstdome­stizierung des Menschen regt Elias zu einer Lerntheorie der Gefühle an: Der Um­gang mit Emotionen wird als erlernte Selbstregulation, als "Zwang zum Selbst­zwang" erldärt, der das "Gefühl, was zu tun und was zu lassen ist"81, verändert. Es ist die Verlängerung zwischenmenschlicher Interdependenzketten im Zuge der staatlichen Strukturbildung und wirtschaftlichen Komplexitätssteigerung, die eine Modellierung und Moderation des individuellen Affekthaushalts nötig macht, mit dem Resultat einer gebändigten sozialen Interaktion auf kollektiver Ebene. Somit ist es die zunehmende Kontrolle von Affekten, die Anhebung von Peinlichkeits­schwellen und - zusammengefasst - der Aufbau einer "Über-Ich-Apparatur", die dem "Prozess der Zivilisation" das unverkennbare Gepräge verleihen. Dieser ver­läuft auch bei Elias über die Ausdifferenzierung nationaler Formationen: "Die ge­sellschaftlichen Einheiten, die wir Nationen nennen, unterscheiden sich in hohem Maße durch die Art ihrer Affekt-Ökonomie, durch die Schemata, nach denen das Affektleben des einzelnen unter dem Druck der institutionell gewordenen Traditi­on und der aktuellen Situation jeweils modelliert wird. "82 Elias laitisiert dann aber die nationale "Kuhur"-Rhetorik in Deutschland und konstatiert, dass die "deut­sche Antithese ,Zivilisation und Kultur'" der "Ausdruck eines deutschen Selbstbe-

77 Diesen zentralen Punkt verkennen viele seiner Kritiker, insbesondere Hans-Peter Dürr, dcr 1988 seine inzwischen auf vielc Bände angewachsene Gegendarstellung Der Nlythos vom ZiviLisationsprozeß veröffen didue.

78 Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, ßd. 1, S. LXXIV. 79 Ebd., S. LXXVII. 80 Ebd., S. 78. BI Ebd., S. 103. 82 Ebd., S. 40f.

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wußtseins" ist, das als erklärungsbedürftiger Sachverhalt und nicht als theoretische Prämisse zu behandeln seL83 Besondere Bedeutung misst er dem neuen Verhältnis zur Welt zu, das Menschen durch die emotionale Regulierung ihres Selbstverhält­nisses durchzusetzen imstande sind. In späteren Publikationen sollte er feststellen, dass der rationale Umgang mit der Wirldichkeit längerfristig eine "engagierte" Sichtwciie verdränge zugunsten distanzierter Verhaltens- und Erlebnisimpulse. Das Verschwinden eines magischen Weltbezugs ermögliche es den Menschen z.B., "ein Bild des physikalischen Universums zu entwerfen und zu ertragen, das emotional höchst unbefriedigend ist" .84 Obwohl sich bei Elias oft ähnliche Argumente finden wie bei Aby Warburg, wenn es um die Depotenzierung von Angstkomplexen geht, betont Elias immer wieder, dass er den Zivilisationsprozess nicht als eine Resultan­te in einem sozialen Zweckmäßigkeitsparallelogramm, sondern als einen zielblinden Prozess auffasst, der sich nicht von den Intentionen der in einer Gesellschaft zu­sammenlebenden Menschen her erldären lässt.

Die Figurationsanalyse Narben Elias' weist eine hohe Originalität auf. Elias pfä­ferien Emotionen gegenüber Psychologie. Es geht ihm nicht um die integrierende Funktionsweise des menschlichen Geistes, sondern um Qualität und Veränderung affektiver Bindekräfte, welche die Verlängerung von Interdependenzketten und die Komplexitätszunahme von VerRechtungsmustern ermöglichen. Mit der psycholo­giebasierten deutschen Kulturgeschichte hat sein Ansatz kaum etwas zu tun und so lässt er sich auch gar nicht auf eine Auseinandersetzung mit ihr ein. Hingegen adap­tiert er durchaus unbefangen Ausdrucksweisen aus dem begrifflichen Repertoire dieser Autoren und spricht etwa von den "Regungen im Seelenhaushalt des ,zivili­sierten' Menschen".s5 Eine explizite Distanzierung von einer psychologisierenden, auf dem Konzept von "Gefühlen" aufbauenden Geschichtsschreibung findet sich hingt:gen in dcr 1930 erscheinenden Studie Wege der Kulturgeschichte von Jan Hui­zinga. Der Autor des Herbstes des Mittelalters wendet sich damit implizit auch gegen eine psychologistische Lektüre seiner früheren Werke. I-Iuizinga setzt mit der Beo­bachtung ein, gegen Ende des 19. Jahrhunderts hätten es "den Anschein gehabt, als hätte die Naturwissenschaft in ihrer glänzenden Entfaltung die Normen echter Wis­senschaft endgültig entdcckt und damit dem modcrnen Denken ihre Methoden als einzigen Weg zur wahren Erkenntnis auflegt"86. Trotz der Versuche, "zum erstenmal die modernc Erkenntnistheorie der Geisteswissenschaften auf eigenen Grundlagen" zu fundieren, wie sie pionierhaft von Dilthey unternommen worden seien, sei "die Historie unbekümmert ihren Weg gegangen, unbeirrt durch methodische Forde­rungen". Dennoch sei in der historischen Disziplin ein "gewisser Primat der Natur-

83 Ebd., S. 42. 84 Norben Elias, Hngllgement und Distflllzienmg. Arbeiten zur Wissenssoziologie J, Frankfurt alU

Main 1983, S. 16. Elias spricht von einer "Balance" zwischen Engagement und Distanzie­rung; er hält J-est, dass es keine Ablösung der einen durch die andere Einstellung, sondern eine, allerdings signifikante GL'wichtsverlagerung gäbe.

85 Elias, Ober den Prozeß der Zivilisation, S. LXXIX. 86 HUlzinga, ill'gerler J(jt!turgeschichte, S. 21.

EMOTIONEN IN DER GESCHICHTSWISSENSCHAFT 53

wissenschaft" zu erkennen, der sich vor allem in der "Praxis der Geschichtsfor­schung" auswirke. 87 Huizinga wehrte sich allerdings nicht nur gegen den "naturwissenschaftlichen Akzent" in der Sprache der Historiker, sondern auch ge­gen deren ästhetisch-formalen Attitüden: "Es wäre ein Schaden für unsere Kultur, wenn die Geschichtsschreibung für die allgemein Gebildeten in die Hände einer ästhetisierenden Gefühlshistorie geriete, die aus literarischem Bedürfnis entspringt, mit literarischen Mitteln arbeitet und auflitcrarische Effekte zielt. "BB Diese Tendenz sei "nicht einzig und allein die Schuld pfuschender Literatoren ", sondern ebenso sehr Resultat von Qualitätsverlusten historischer Werke, welche das In-Umlaufset­zen "hybdridischer Produkte" mit "Surrogatcharakter" erleichtcrten.89 Auf diese Weise öffne sich ein Feld von Zwischenproduktcn, "das man literarische HL~torie oder noch besser historische Belletristik" nennen könne. 9o Hier würden "die großen Gefühlsergüsse, die Tränenfluten, die überschwänglichen Rührungen" bedient, die "stets Deichbrüche der Volksseele gewesen" seien. "Echte Geschiclusschreibung" dürfe hingegen dem "Mitleiden mit allem Leid der Welt" nicht nachgeben, SOnst würde sie "unfähig zur Erfüllung ihrcr Aufgabe". Aus dieser Einsicht resultiert das Postulat, dass es für Geschichtswissenschaft um "Gemessenheit, Haltung, eine ge­wisse skeptische Reserve im Aufspüren der tiefsten Gemütsbewegungen" gehen müsse.

91 Das verstehende "Nacherleben", welches zur Grundoperation der ideogra­

phisch-hermeneutischen und damit genuin geisteswissenschaftlichen Methode Diltheys geworden war, erweist sich aus dieser Sicht als "irreführend". Huizinga markiert deshalb Distanz zur "sozialen Psychologie" Lamprechtscher Provenicnz. Bezugnehmend auf cin historisches Ereignis aus dem Mittelaltcr hielt er fest: "Die Geschehnisse selbst donnern durch all meine Psychologie hindurch, welche höch­stens wiedergibt, wie die Menschen auf das Geschick reagiert haben, wie ihre Im­pulse sich äußerten, welche aber unfähig bleibt, auch 11ur cinen Punkt in der Ver­wirldichung des Geschehenen als determiniert nachzuweisen." Setze man nun an die Stelle des psychologischen Verstehens des Einzelnen ein "Wissen um die Mas­senseele, also Erkenntnis einer sozialen Psychologie voraus, dann resultiert nicht etwa eher, sondern noch weniger ein wirldich historisches Verstehen". Der Versuch, die Kollektivpsychologie früherer Gesellschaften zu umsclueiben, sei deshalb aus­sichtslos, weil "eine solche Psychologie nicht bloß nicht erfahrbar, sondern eigent­lich nicht denkbar" sei. Eher brauchbar sei demgegenüber "der amerikanische Be­griff des Behavior mit seiner stark soziologischen Bedeutung". 92

Für Huizinga ist der Anthropomorphismus "der größte Feind des geisteswissen­schaftlichen Denkens". 93 In Abgrenzung dazu fordert er als Alternative zur Psy-

87 Ebd., S. 22L 88 Ebd., S. 33. 89 Ebd., S. 38. 90 Ebd., S. 41. 91 Ebd., S. 43. 92 Ebd., S. 52f[ 93 Ebd., S. 59.

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chologic eine Morphologie. Die großen Kulturhistoriker seien stets, "ohne ir­gendein bewußtes Programm darüber, historische Morphologen gewesen", dies, weil sie es verstanden hätten, historische Sinndeutung und Formgebung aufeinan­der zu beziehen.94 Dass Oswald Spengler unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg seinen "Untergang des Abendlandes" als eine "Morphologie der Weltgeschichte"95 verstand, beeindruckt Huizinga deswegen nicht, weil er darin eine Myrhologisie­mng und den Verlust "kritischer Wissenschaft" sieht: "Sein Schema der Weltge­schichte steht heure, nach zehn Jahren, da wie ein stehengelassenes, leeres Mausoleum. "96 Zusammenfassend zeigt sich bei r-Iuizinga eine doppelte Frontstel­lung: zum einen gegen die Verwendung von "Gefühlen" als semantische Treiber in narrativen Dynamiken und zum andern gegen eine Psychologie, die holistische Entitäten unterstellt und als "Völkerpsychologie" oder "Kollektivseele" auftritt. Über diese triftige Kritik hinaus ist es Huizinga allerdings nicht gelungen, seine "Morphologie" soweit zu operationalisieren, dass sie in der Nachkriegszeit zu einem Modell für neue Forschungs- und Darstellungsverfahren der Geschichtswissen­schaft hätte werden können.

Von der sozialen Psychologie zur historischen Anthropologie

Ein anderer Befund lässt sich für jene interdisziplinär orientierten französischen Hiswriker gewinnen, die sich im Verlaufe der 1920er Jaluc zur Gruppe der Annales formierten. 1924 publizierte Mare Bloch eine längerfristig bahnbrechende Studie über Die wundertätigen Kiinige (Les rois thaufntlturges), die sich mit dem übernatür­lichen Charakter des Königtums über fast sieben Jahrhunderte hinweg - vom Mit­telalter bis in die Aufklärung - befasste.97 In Frankreich und England - den beiden Herrschaftsformationen, die Mare Bloch untersucht - wurde den Königen näm­lich die Fähigkeit zugeschrieben, Wunder zu wirken, was sich insbesondere am populären Handauflegen zeigte, mit dem Skrofeln, tuberkulöse Entzündungen der Lymphknoten, geheilt werden konnten. Wie kann man sich den nicht abbre­chenden, immer wieder massenhaften Zustrom von Kranken zu den königlichen Herrschern und die enorme Popularität des zeremoniellen "Rituals der Berührung"98 noch bis ins beginnende 19. Jahrhundert hinein erldären? Diese Frage erschien

94 Ebd., S. 551-: Auch Brcysig verwendete den Begriff der "Morphologie", allerdings in einem anderen Sinne; vgl. Böhme, "Der Damon".

95 Band 1 des Unterglf11g des Abendltmdes erschien 1918, Band 2 1922. 96 I-Illizinga, Wege der J(ultllrgeschiclJte, S. 58. 97 Bloch, Dü: UJundertlitigcn Könige, S. 59. Jacques Le Goff sollte 1983 in seinem Vorwort

aufgrllnd neuer historischer Forschungen den Anfang des Rituals der Skrofdnheilung durch HandauHegen um ca. ein Jahrhundert zurückverlegen. Le Goffbetont allerdings, "daß Mare Bloch sich nicht für das Problem der Ursprünge inreressierte", sondern im "Zeremoniell der Berührung der Skrofeln [ ... ] eine politische Geste" sah Uacques Le Goft~ "Vorwort", in: Bloch, Die l(mndertätigen Könige. S. 9-44, hier: S. 43).

98 Bloch, Die wUlldertiitigen Könige, S. 123.

EMO'rtONEN IN DER GESCHICHTSWISSENSCHA~T 55

vielen damals in einem nationalen Gravitationsfeld forschenden Historiker als zu marginal, als dass sie sich damit hätten beschäftigen wollen.

Für Bloch geht es in den "wundertätigen Königen" dartun, "die Kraft kollek­tiver Täuschungen "99 zu verstehen und die Mentalitäten zu ergründen, die wäh­rend Jal1fhunderten das Wunderbare der Monarchie möglich gemacht haben. Er will seine Studie als einen "Beitrag zur politischen Geschichte Europas"IOO jenseits nationaler Engführungen verstanden wissen, und zwar im wahren Sinne des Wortes "Politik", der auf die Erldärung des mentalen modus operandi eines sozialen Ge­meinwesens abzielt. Für die Erldärung des religiösen Phänomens, das er sich vorge­nommen hat, verbindet er eine aufldärerische (Voltairesehe) Deutung, die "im un­tersuchten Vorgang die Absicht eines individuellen, seiner selbst bewussten Denkens am Werk" sieht, mit einer andern, die er romantisch nennt, die nach "tiefer liegen­den und duniden sozialen Kräften" sUCht. 101 Daraus ergibt sich eine Theorie des Zusammcnpassens von mentalen Dispositionen, politisdler Repräsentation und funktional-strukturellen Mustern: Der König - so die These Blochs - kann in sei­ner Wirkungsmächtigkeit sowie als soziale Repräsentationsfigur und als Atcraktor individueller Ambitionen nicht verstanden werden, wenn man in ihm vor allem einen "hohen Funktionär" sieht. "Um zu begreifen, was die Monarchien früher waren, vor allem um sich darüber Idar.LUwerden, wie lange und wie intensiv sie den Geist der Menschen beherrschten, genügt es nicht, bis ins letzte Detail die Mecha­nismen der Verwaltung, der Rechtssprechung, 'des Finanzwesens zu erhellen, denen die Untertanen der Könige unterworfen waren." Vielmehr gelte es, "in die Vorstel­lungen und Pabeln einzudringen, die sich um die fürstlichen Häusern rankten". 102

Erst diese "übernatürliche Aureole um die gekrönten Häupter" erzeuge jenes "Ge­fühl der Loyalität", die während langer Zeit eine scarke Kraft entfaltete. Und nur die Einbenung der Heilungsrituale in den "Gesamtzusammenhang der abergläu­bischen und legendenhaften Züge, aus denen der Nimbus besteht, der das König­tum umgibt"I03, ermögliche es, die mystische und sakrale Qualität der Nlonarchie nachzuvollziehen.

Im Zentrum des Forschungsinteresses standen nicht die "Wurzeln", "Ursprün­ge" und "Herkunft" des untersuchten Wunders, sondern die Ermöglichungsbedin­gungen und die Wirkungsweise eines komplexen religiös-politischen Phänomens. Für Bloch war evident, dass viele Gläubige den Wunderglauben teilten und von der "heilenden Magie" eingenommen waren: "Was die Menge betrifft, so hat sie von ganzem Herzen daran geglaubt."lo4 Auch die Könige seien keine Schwindler gewe­sen, weil sie ihrerseits von ihrer heilenden Kraft überzeugt waren. Und es könne ohne weiteres davon ausgegangen werden, "dass ein Teil der Kranken die Gesund-

99 Ebd., S. 443. 100 Ebd., S. 58. 101 Ebd., S. 119. 102 Ebd., S. 57. 103 Ebd., S. 56. 104 Ebd., S. 19 u. 434.

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heit wiedererlangte", wenn auch erst später, unvollständig oder vorübergehend, denn dies liege im natürlichen Verlauf der Krankheit. lo5 Mit der Einfügung des wunderbaren Phänomens in eine "lange Dauer" arbeitet Mare Bloch einer Dicho­tomisierung von "irrationalem Mittelalter" und "rationaler Moderne" entgegen und fügt das "Irrationale" des Wunderglaubens zugleich in doppelter Weise in den Rationalisierungsprozess der Moderne ein. Stellt die königliche Thaumaturgie auf der einen Seite eine "politische Geste" und damit eine politische Salaalisierungs­strategie dar, welche das moderne state building unterstützte, so stärkte der Wun­derglaube eine mentale Disposition, die den gläubigen Menschen auf das Prinzip einer wissenschaftlichen Welrcrldärung hin orientieren konnte. lOG

Was die retrospektive Bewertung der Wundertätigkeit betrifft, so macht Marc Bloch keine kulturrelativistischen Konzessionen. Er ist nicht bercit, "die psycholo­gische Deutung des königlichen Wunders zu übernehmen". Dies entspräche ~ wo­rüber er sich bei kompetenten Medizinern und Physiologen informierte - einer "physiologische Häresie" und das lehnte er ab. Somit besteht das "wahre Problem" darin, zu begreifen, "wie man an die Heilkraft der Könige glauben konnte, obwohl sie doch nicht geheilt haben".I07 Am Schluss der Studie stellt Bloch fast resigniert und ironisch fest: "So fällt es schwer, in dem Glauben an das königliche Wunder etwas anderes als das Ergebnis eines kollektiven Irrtums zu sehen."108 Jacques Le Goff konstatiert in seinem 1983 verfassten VOlwort zu den wundertätigen Königen, er wolle nicht weiter auf der Tatsache insistieren, "dass die ,rationalistische' und ,fortschrittliche' Einstellung Mare Blochs gegenüber dem Wunder ( ... ) heute nur mehr schwer vertreten werden könnte" und dies genau aus dem Grund, weil man die Fragen, die Marc Bloch gestellt habe, heute mit einem neuen theoretisch-me­thodischen Rüstzeug weiter verfolge; "die Untersuchung der Riten, der Bilder und der Gesten der Gesellschaften unserer Vergangenheit" sei eine Aufgabe für eine Geschichtswissenschaft geblieben, die sich als "politische historische Anthropolo­gie" verstehe und für die "Les rou thaumaturges das erste und immer junge Modell sein werden".109 Dieses Modell impliziert vielfältige Gefühlsbindungen zwischen Menschen, emotionale Muster und affektive Einstellungen, die Mare Bloch indes­sen nicht auf ein Repertoire von "Grundgefühlen" zurückführt. Das Buch entwi­ckelt überhaupt keine Theorie der Emotionen, und es verzichtet auf eine Form der Geschichtsschreibung, welche die Sprache der Gefühle, wie sie in den Quellen fassbar wird, als Medium fur eine die Leser emotional ansprechende Darstellung nutzt und sie damit narrativ reifizierr. 1lO

105 Ebd., S. 450. 106 Ebd., S. 284f. 107 Ebd., S. 443f. 108 Ebd., S. 452. 109 Lc Goff, "Vorwort", S. 43f. 110 In der Apologie der Ges(/;ichtswissenschaft wird Bloch auf das Problem zurückkommen und

vom "Nachhall früherer Emotionen" sprechen, womit er auf den Zusammenhang von Ge-

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Stärker an einer Theoretisierung der Emotionen interessiert war seit den ausge­henden 1930er Jahren Lucien Febrve, der Freund und wissenschaftliche Kollege Blochs. Er entwickelte ein neues Verständnis von Emotionen, das sich als konzep­tionell nachhaltig erweisen sollte. Der für die Encyclopedie Franraise verfasste Bei­trag "Geschichte und Psychologie" von 1938 konstatierte zunächst die Wichtigkeit der im Titel angedeuteten Verbindung, um gleich anzufügen, "dass diese Bezie­hungen derzeit nur ziemlich enttäuschend ausfallen können. "111 Febvre unterschei­det "drei Reihen von Untersuchungen", die ein Psychologe durchführen müsse: erstens die kollektivpsychologische Untersuchung dessen, "was der Mensch seinem gesellschaftlichen Milieu verdankt", zweiten die psycho-physiologische Analyse des Menschen als eines "spezifischen Organismus" und drittens die differentialpsycho­logische Feststellung individueller Singularitäten. 112 Diese Operationen lassen sich aber nicht einfach auf eine "historische Psychologie" übertragen, die sich dem Pro­blem des "psychologischen Anachronismus"113 stellen muss. Dieses besteht darin, dass die zeitgenössische Psychologie keinen Zugang zu!' Vergangenheit öffnet, wäh­rend sich umgekehrt "die Psychologie unserer Vorfahren im großen und ganzen" nicht "auf die Menschen von heute anwenden lässt". Die trügerische Identität, die dadurch entsteht, "direkten Weges ( ... ) von unseren Empfindungen und Vorstel­lungen zu jenen Empfindungen und Vorstellungen gelangen zu wollen, für die -oft über Jahrhunderte hinweg - ähnliche oder sogar dieselben Wörter stehen" ruft nach Febvre "die größten Irrtümer hervor" und er sieht darin eine "Gefalu"Y4 Damit teilt er ein Grundanliegen der "sozialen Psychologie" der deutschen Kulrur­historiker. Die Differenz zur hier gepflegten holistischen Tradition kommt ins Spiel, wenn Febvre rhetorisch die Frage stellt: "Menschen, die aus lauter Gegensät­zen bestehen? Aber bestand nicht auch ihr materielles Leben aus lauter Gegensätzen"?115 Um diese disparaten, heterogenen und antagonistischen Lebens­verhältnisse analysieren zu können, plädiert er für ein interdisziplinäres Forschungs­programm. Gegen Kad Lamprecht und seiner Forderung, "die ganze politische, soziale, ökonomische Geschichte der menschlichen Gruppen nach einem gebiete­rischen ,Psychologie zuvörderst!' zu richten", insistiert Febvre dann allerdings da­rauf, das Problem sei "kein theoretisches". Es gelte vielmehr, sich an die Arbeit zu machen, um "eine ganz individuelle historische Psychologie zu schaffen, die sich in den Gang der Menschheitsgeschichte einfügt, welche ihrem unbekannten Ziel zustrebt" .116

fühl und Gedächtnis hinweist (Marc Bloch, Apologie der Geschichte oder Der Bemf des Histo­rikers, hg. v. Luden Febvrc, München 1985, S. 199 u. 149).

111 Febvre, "Geschichte und Psychologie", S. 79. 112 Ebd., S. 83. 113 Ebd., S. 88. 114 Ebd., S. 84f. 115 Ebd., S. 86. 116 Ebd., S. 90.

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Im 1941 veröffentlichten Aufsatz "Sensibilität und Geschichte" stellt Lucien Pebvre in Fortsetzung von Theorien, wie sie um 1900 Gabriel Tarde und andere formuliert hatten, fest, Emotionen seien "ansteckend"; weit davon entfernt, "blaBe Rcaktionsmcchanismen" zu sein, würden sie vielmehr "neue Handlungsschemata konstituieren". Als "System intersubjektiver Stimuli" würden Emotionen somit "zu einer Art Institution" gerinnen und "gleichsam rituellen Regeln" folgen. lI

?

Pebvre kommt dann ausführlicher auf den "Herbst des Mittelalters" zu sprechen und konstatiert, "zweifellos hätte Huizingas Buch an Klarheit gewonnen, wenn er vorab dargelegt hätte, daß jedes menschliche Gefühl ambivalent ist, zugleich es selbst und sein GegenreiL"llll Affektzustäncle weisen nach Febvre immer zwei ent­gegengesetLte Pole auf, die durch eine fundamentale Gemeinsamkeit verbunden sirid, welche Oszillationen, abrupte Umschläge und Verwandlungen ermöglichen, zwischen Hass und Liebe, zwischen Grausamkeit und Mitleid etvva. Ausgehend von dieser Überlegung fragt Febvre, ob "die Annahme zulässig [ist], daß es in der Geschichte Perioden vorherrschender Intdlektualität gegeben hat, die aufPeriodcn besonders ausgeprägter AHektivitär folgten"1l9. Und er kritisiert Huizinga, weil es dieser versäumt habe, diese Fragen zu stellen und damit zum Komplizen solcher Thesen geworden sei. Demgegenüber entvvickelt Febvre, entlang der Überlegungen von Henri Wallon, die Gefühlsabbauthese und erldärt, "dies mehr oder weniger langsame Zurückdrängen der emotionalen durch die Verstandestädgkeiten, das ist das lange Drama, das man in allen sich entwickelnden Zivilisati()11en ablaufen se­ben kann". Gefühle hätten die Eigenschaft, mit "neuen Beziehungsinstrumenten, deren Bildung sie doch ermöglicht hatten, in Konflikt" zu geraten. So ergebe sich "die Tcndenz, die Emotion als eine Störung des Handelns anzusehen, als etwas Gdahrlichcs, Lästiges, Häßliches oder zumindest Schamloses". Nach dieser Prä­sentation stellt Pebvre die Frage, ob jemand behaupten wolle, "ein solches Schema ['sci] für den Historiker wertlos" und. gibt die Antwort: "Ich meine jedenfalls, daß es uns nicht nur das Verständnis des Verhaltens von Menschen früherer Epochen erleichtert, sondern auch den Ansatz zu einer Forschungsmethode liefert" .120 Von dieser Einsicht ausgehend, entschließt sich Febvre abschließend zu einer paradoxen Apologie der Psychologie: "Handelt es sich um das Hirngespinst eines Kranken, wenn ich sage, daß sie für die Arbeit jedes Historikers die Grundlage schlechthin ist?" [li

Lucten Febvres Position könnte als ein Versuch gesehen werden, die "Geschich­ce als Psychologie" mit einem Modell eines die NIekte regulierenden Zivilisations­prozesses zu verbinden. Es finden sich in seinen Texten viele Elemente, die eine

117 Febvre, "Sensibiliüü und Geschichte", S. 93f. 1 J 8 Ebd., S. 97f. 119 Ebd., S. 98. 120 EbJ., S. 95. 121 Ebd., S. 107; vgl. auch Peter Schötder, "Mentalitä[engeschichte und Psychoanalyse. Lucien

Febvres Begegnung mit Jacques Lacan 1937/38", in: Osterreichische Zeitschrift für Geschichts­wissemclJlljim 11 (2000) 3, S. 135-146.

EMOTIONEN IN DER GESCHICHTSWISSENSCHAFf 59

solche These sd.itzen. Febvre hielt sich jedoch deutlich auf Distanz zum Pan-Psy­chologismus der deutschen Kulturgeschichte und zur kompakten Affekt-Konzepti­on, mit der Norbert Elias seine Meta-Erzählung organisierte. Dies gilt auch für Mare Bloch. Die frühen Annales-Historiker erweisen sich so als Innovatoren einer Geschichte der Emotionen, welche das Unfassbare der Gefühle präsent halten und sich dennoch weigern, vor dieser Herausforderung zu kapitulieren; nicht zuletzt deswegen, weil sie ein Bewusstsein von der aktuellen Relevanz der Erforschung der Emotionen haben. Lucien Febvrc verweist auf der letzten Seite von "Sensibilität und Geschichte" auf die massive Ereignischronologie der "eigentlichen Geschich­te";

"Das ist Geschichte. In der sollen unsere Kinder in den Kbssenzimmern unterrichtet werden. Dagegen die Geschichte des Hasses, die Geschichte der Angst, die Geschicll­te der Grausamkeit, die Geschichte der Liebe: verschonen Sie uns um Gottes willen mit diesen abgeschmackten Märchen! Aber diese abgeschmackten, der Menschheit so fernen Märchen - vielleicht werden sie die Welt morgen in ein stinkendes Leichen­haus verwandeln?"122

122 Fehvre, "Sensibilität und Geschicluc", S. 106.