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Monica Rüthers, Hamburg Vom „Fiedler auf dem Dach“ zu den „Gypsy Kings“ – Juden und Roma/Zigeuner in den europäischen Topografien der Erinnerung * Seit den 1980er Jahren erfahren die Minderheiten der Roma/Zigeuner und der Juden ein großes populärkulturelles Interesse. Balkan Beats und Klezmer-Heuler als Disco-Futter haben sich längst vom nostalgisch angehauchten Revival und politischer Folklore emanzi- piert, und jede nordeuropäische Tanzschule bietet heute Flamenco-Kurse an. Vor allem die Gypsy Music ist aus dem ursprünglichen Raum der ethnischen Subkulturen in der Diaspo- ra herausgetreten und hat sich als Clubmusik im Mainstream etabliert.Die Minderheiten selbst sind in „Jüdischen Vierteln“ und „Zigeunerwallfahrten“ Teil einer europäischen he- ritage industry und werden touristisch vermarktet. Dieser Hype verlief parallel zu den eu- ropäischen Umwälzungen: Die 90er Jahre waren das europäische Jahrzehnt des Erinnerns. Das wissenschaftliche Studium der jüdischen Geschichte und Kultur erfuhr einen Auf- schwung. Der Holocaust wurde zu einem wichtigen Thema der europäischen Öffentlich- keiten und entwickelte sich zum europäischen Erinnerungsstandard. Dass Geschichte so spürbar in die Gegenwart ragt, hängt mit dem Prozess der Europäischen Integration und der Osterweiterung zusammen. Der hohe Stellenwert der Erinnerungskultur macht die Ge- schichte zur Königsdisziplin der Europäischen Einigung, denn mit Geschichtskonstruktio- nen lässt sich Gemeinschaft imaginieren. Augenfällig sind daher die Asymmetrien der Er- innerungsstandards Juden und Roma/Zigeuner betreffend. Der Gypsy-Hype der 90er Jahre war nicht von einem wissenschaftlichen Boom begleitet. Roma-Themen werden nach wie vor fast ausschließlich in der Ethnologie und der Musikwissenschaft bearbeitet. Die histo- rische Forschung zu Roma führt ein Mauerblümchendasein. Die Asymmetrie im allgemei- nen Wissen über Juden und Roma prägt die mental maps der Europapolitik: Das stereoty- pe Allgemeinwissen über Roma/Zigeuner wurde in den 1990er Jahren wesentlich durch Filme wie diejenigen von Emir Kusturica und Tony Gatlif mitgeprägt, besonders durch latcho drom (1993). 1 Vor allem letzterer Film zementierte essentialistische Vorstellungen: Roma sind auf natürliche Weise musikalisch; sie bilden eine geschlossene ethnische Grup- pe und kamen in einer linearen Wanderbewegung aus Indien nach Europa. 2 Nach 1989 mussten Roma in den osteuropäischen Staaten um ihre Anerkennung als Staatsbürger kämpfen. Zugleich wurden in den Diskursen der Europäischen Kommissionen aus den * Zuletzt aktualisiert am 07.04.2013. – Für den Austausch zum Thema, die Lektüre früherer Ver- sionen des Manuskriptes und zahlreiche Anregungen danke ich Nathalie Keigel, Alexandra Koehring sowie den Beitragenden zur Ringvorlesung „Narrative des Nomadismus“, die mit Un- terstützung der ZEIT-Stiftung im Wintersemester 2011/2012 an der Universität Hamburg statt- fand. Zum Thema erschien im Sommer 2012 im Transcript Verlag, Bielefeld, eine Monografie unter dem Titel „Juden und Zigeuner im europäischen Geschichtstheater“. 1 DOBREVA Celluloid Gypsy; PUSCA The „Roma Problem“ in the EU. 2 SILVERMAN Trafficking in the Exotic, S. 339. MONICA RÜTHERS: Vom „Fiedler auf dem Dach“ zu den „Gypsy Kings“: Juden und Roma/Zigeuner in den europäi- schen Topografien der Erinnerung [From the “Fiddler on the Roof” to the “Gypsy Kings”: Jews and the Roma/Gypsies in the European Topography of Memory], in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 62 (2014), H. 1, S. 89–112 © Franz Steiner Verlag GmbH, Stuttgart/Germany Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014

Vom Fiedler auf dem Dach zu den Gipsy Kings – Juden und Roma/Zigeuner in den europäischen Topografien der Erinnerung. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 62 (2014), Heft

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Monica Rüthers, Hamburg

Vom „Fiedler auf dem Dach“ zu den „Gypsy Kings“ – Juden und Roma/Zigeuner in den europäischen Topografien der

Erinnerung*

Seit den 1980er Jahren erfahren die Minderheiten der Roma/Zigeuner und der Juden ein großes populärkulturelles Interesse. Balkan Beats und Klezmer-Heuler als Disco-Futter haben sich längst vom nostalgisch angehauchten Revival und politischer Folklore emanzi-piert, und jede nordeuropäische Tanzschule bietet heute Flamenco-Kurse an. Vor allem die Gypsy Music ist aus dem ursprünglichen Raum der ethnischen Subkulturen in der Diaspo-ra herausgetreten und hat sich als Clubmusik im Mainstream etabliert.Die Minderheiten selbst sind in „Jüdischen Vierteln“ und „Zigeunerwallfahrten“ Teil einer europäischen he-ritage industry und werden touristisch vermarktet. Dieser Hype verlief parallel zu den eu-ropäischen Umwälzungen: Die 90er Jahre waren das europäische Jahrzehnt des Erinnerns. Das wissenschaftliche Studium der jüdischen Geschichte und Kultur erfuhr einen Auf-schwung. Der Holocaust wurde zu einem wichtigen Thema der europäischen Öffentlich-keiten und entwickelte sich zum europäischen Erinnerungsstandard. Dass Geschichte so spürbar in die Gegenwart ragt, hängt mit dem Prozess der Europäischen Integration und der Osterweiterung zusammen. Der hohe Stellenwert der Erinnerungskultur macht die Ge-schichte zur Königsdisziplin der Europäischen Einigung, denn mit Geschichtskonstruktio-nen lässt sich Gemeinschaft imaginieren. Augenfällig sind daher die Asymmetrien der Er-innerungsstandards Juden und Roma/Zigeuner betreffend. Der Gypsy-Hype der 90er Jahre war nicht von einem wissenschaftlichen Boom begleitet. Roma-Themen werden nach wie vor fast ausschließlich in der Ethnologie und der Musikwissenschaft bearbeitet. Die histo-rische Forschung zu Roma führt ein Mauerblümchendasein. Die Asymmetrie im allgemei-nen Wissen über Juden und Roma prägt die mental maps der Europapolitik: Das stereoty-pe Allgemeinwissen über Roma/Zigeuner wurde in den 1990er Jahren wesentlich durch Filme wie diejenigen von Emir Kusturica und Tony Gatlif mitgeprägt, besonders durch latcho drom (1993).1 Vor allem letzterer Film zementierte essentialistische Vorstellungen: Roma sind auf natürliche Weise musikalisch; sie bilden eine geschlossene ethnische Grup-pe und kamen in einer linearen Wanderbewegung aus Indien nach Europa.2 Nach 1989 mussten Roma in den osteuropäischen Staaten um ihre Anerkennung als Staatsbürger kämpfen. Zugleich wurden in den Diskursen der Europäischen Kommissionen aus den

* Zuletzt aktualisiert am 07.04.2013. – Für den Austausch zum Thema, die Lektüre früherer Ver-sionen des Manuskriptes und zahlreiche Anregungen danke ich Nathalie Keigel, Alexandra Koehring sowie den Beitragenden zur Ringvorlesung „Narrative des Nomadismus“, die mit Un-terstützung der ZEIT-Stiftung im Wintersemester 2011/2012 an der Universität Hamburg statt -fand. Zum Thema erschien im Sommer 2012 im Transcript Verlag, Bielefeld, eine Monografie unter dem Titel „Juden und Zigeuner im europäischen Geschichtstheater“.

1 DOBREVA Celluloid Gypsy; PUSCA The „Roma Problem“ in the EU.2 SILVERMAN Trafficking in the Exotic, S. 339.

MONICA RÜTHERS: Vom „Fiedler auf dem Dach“ zu den „Gypsy Kings“: Juden und Roma/Zigeuner in den europäi-schen Topografien der Erinnerung [From the “Fiddler on the Roof” to the “Gypsy Kings”: Jews and the Roma/Gypsies in the European Topography of Memory], in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 62 (2014), H.1, S. 89–112 © Franz Steiner Verlag GmbH, Stuttgart/Germany

Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014

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„Gypsies“ der 70er Jahre, die in allen europäischen Ländern lebten, „Roma“, welche in Osteuropa zuhause waren. Obwohl Roma seit dem Mittelalter in Europa ansässig sind, wird bei wissenschaftlichen wie bei Mediendarstellungen regelmäßig ihre Herkunft aus Indien betont.3 Juden hingegen wurden mit dem Erinnerungsort Zentraleuropa verbunden und zu essentiellen Europäern stilisiert. Dieser Beitrag will zeigen, dass sich die Identi-tätsfindungs- und Abgrenzungsprozesse der „Europäer“ in ihrer Beziehung zu den Min-derheiten der Juden und Roma/Zigeuner spiegeln. Zwei Fallstudien zur Geschichte der touristischen „Festivalisierung“ dieser Minderheiten sollen das näher beleuchten.

Jedes Jahr Ende Mai herrscht in Saintes-Maries-de-la-Mer Ausnahmezustand, wenn am 24. und 25. „le pèlerinage national des voyageurs de la France“ stattfindet, die jährliche Wallfahrt der Fahrenden, vor Ort einfach „la Fête des Gitans“ genannt. In den Gassen pul-siert das Leben in ausgelassener Feststimmung, Flamencoklänge wehen über die Terrassen der Cafés. Im Städtchen treffen sich in Aussehen und Aufmachung völlig unterschiedliche einheimische und auswärtige Gitans, zahlreiche Touristen und die Einheimischen. Wagen-burgen auf den Parkplätzen um das Dorf und der „Marché des Gitans“ beim Rathaus run-den das Bild ab. Die Prozession der Sara-la-kâli, Sara der Schwarzen, Schutzpatronin der Fahrenden, wird am 24. Mai von einer kleinen Gruppe Gitans angeführt, die ihre Schutz-patronin und andere Insignien tragen und dazu singen. Hinter ihnen geht ein Priester, der Fürbitten in ein Megafon spricht. Dahinter folgen weitere Gitans, eingerahmt von Gar-dians auf ihren weißen Pferden und Arlésiennes, den Trachtendamen. Unzählige Schaulus-tige säumen die Straßen und füllen den Strand. Die Reiter bahnen der kleinen Prozession den Weg zum Meer, wo die Träger mit der Heiligen ins Wasser gehen und ihre Füße net-zen, um sie anschließend in die Krypta zurück zu bringen. Die Prozession wirkt durch das zahlenmäßige Missverhältnis von Teilnehmern und Zuschauern, durch die Kostüme und die Umrahmung durch den Trachtenverein eher wie eine Folklore-Aufführung als wie ein religiöser Anlass. Es bleibt ein starker Eindruck der Inszenierung und Zurschaustellung.

Die Zigeunerwallfahrt erinnert an die „virtuellen Räume“ einer anderen europäischen Minderheit, der Juden, und wegen der zentralen Rolle der Musik vor allem an das jüdische Kulturfestival in Krakau. Jährlich fahren im Sommer rund 20.000 Menschen dorthin. Zu Krakau4 und den „Jewish spaces“5 gibt es eine breit gefächerte Literatur – und auch eine Polemik.6 Der Begriff „Jewish spaces“ wurde von der Soziologin DIANA PINTO Mitte der 90er Jahre geprägt.7 Die Forschung versteht darunter „Jüdische Räume ohne Juden“, die von Nichtjuden organisiert und kontrolliert werden. Jüdisches Leben wird beispielsweise in jüdischen Cafés oder bei Klezmerkonzerten nachinszeniert. Renovierte Synagogen die-

3 SIMHANDL Beyond Boundaries?, S. 79.4 KUGELMASS / ORLA-BUKOWSKA If You Build it; GRUBER Kraków Jewish Culture Festival; LEHRER

Repopulating Jewish Poland; WALIGÓRSKA Jewish Heritage Production; WALIGÓRSKA A Goy Fidd-ler on the Roof, S. 367–382.

5 ŠIAUČIŪNAITĖ-VERVICKIENĖ / LEMPERTIENĖ Jewish Space; MURZYN-KUPISZ / PURCHLA Reclaiming Memory; ERNST / LAMPRECHT Jewish Spaces; BRAUCH / LIPPHARDT / NOCKE Jewish Topographies; SCHISCHA / BERENSTEIN Mapping Jewish Culture. Siehe auch die Konferenz von 2012 und das lau-fende Forschungsprojekt von WOLFGANG KASCHUBA, Berlin http://jewish-spaces.com/de (06.03.2013).

6 BRODER Reise nach Zydoland; WEISS Jewish Disneyland, zu finden in http://www.hagalil.com/ golem/diaspora/disneyland-d.htm (02.02.2010).

7 PINTO A New Jewish Identity; PINTO The Third Pillar.

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Vom „Fiedler auf dem Dach“ zu den „Gypsy Kings“

nen als Museen. RUTH ELLEN GRUBER machte später diese Räume als „virtually Jewish“ ei-nem breiteren Publikum bekannt.8 Vor allem zeigten ihre und weitere Beiträge, dass sich das Phänomen des „Jewish revival“ im Sinne eines zunehmenden Interesses von Nichtju-den an der jüdischen Kultur nicht auf Kazimierz beschränkte, sondern auch andere euro-päische Städte wie Prag, Budapest und Berlin erfasst hat. Auch das Klezmer-Revival ge-hört in diesen Zusammenhang.9 Der Augenschein in Saintes-Maries-de-la-Mer und die Häufung von Gypsy Music Festivals deuten darauf hin, dass sich eine den „Jewish spaces“ vergleichbare Theatralisierung von Fahrenden und generell eine Festivalisierung der „Zi-geunerkultur“ vollzieht: Es gibt „Gypsy spaces“ analog zu den „Jewish spaces“. Im Ge-gensatz zu den „Jewish spaces“, die auch bei Historikerinnen und Historikern einiges In-teresse wecken, wurden „Gypsy spaces“ bislang weder in den Medien noch in der Wissen-schaft beschrieben. Zu Saintes-Maries-de-la-Mer gibt es nur drei wichtige Beiträge,10 fer-ner Forschungen im Bereich der Ethnomusikologie zu den Gypsy Music Festivals.11 Dar-aus ergeben sich zahlreiche Fragen: Warum blieben die „Gypsy spaces“ unerforscht? Wie hängen „Jewish“ und „Gypsy spaces“ zusammen? Welche Funktionen haben sie? Wie ist der Aufschwung von Juden- und Zigeunerfolklore in Europa nach 1989/1991 zu deuten?

1. „Jewish spaces“: Jüdische Räume ohne Juden?

Ein wichtiger Zusammenhang für die Entstehung der inszenierten jüdischen Räume Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre war die „Erfindung“ Zentraleuropas.12 Sie diente der Ab-grenzung gegen Russland und erleichterte die Eingliederung Polens, der Tschechoslowa-kei und Ungarns in die westeuropäischen Wirtschafts- und Verteidigungssysteme.13 In die-sem Kontext spielte eine imaginäre Geografie des „alten Europa“ eine zentrale Rolle. In den 1990er Jahren entdeckten die deutschsprachigen Feuilletons das verlorene Mitteleuro-pa. Galizien war ein Zauberwort: Orte wie Czernowitz, Lemberg und Krakau14 wurden als mythische Orte versunkener europäischer Kultur beschworen und bereist. Die Juden wur-den dabei zur Chiffre für die zivilisierte Multikulturalität ostmitteleuropäischer Urbanität um 1900.15 Eine assimilierte jüdische Mittelschicht hatte in diesen Städten mit Künstlern und Literaten zur kulturellen Dynamik beigetragen. Zentraleuropa wurde zum nostalgisch verklärten Sehnsuchtsort,16 zur Mitte eines sagenumwobenen, authentischen und vor allem transnationalen „alten Europa“. Die imaginären (Ost-)Juden fungierten als verlorene Mitte in diesem neuen Selbstverständnis ostmitteleuropäischer Städte wie Wien, Prag und Buda-pest. Selbst in Berlin entstand mit der Oranienburger Straße und dem ehemaligen Scheu-

8 GRUBER Virtually Jewish.9 SLOBIN Fiddler on the Move; ECKSTAEDT Jiddische Musik in Deutschland; WINKLER Klezmer. 10 GREVERUS / SCHILLING Zigeuner und Wir; BORDIGONI Le pèlerinage des Gitans; WILEY Romani Per-

formance.11 MALVINNI The Gypsy Caravan; HEMETEK Applied Ethnomusicology; HELBIG All Connected;

SILVERMAN Trafficking in the Exotic; SZEMAN Gypsy Music and Deejays.12 LERIDER Mitteleuropa as a lieu de mémoire.13 SCHENK Mental Maps.14 TESSMAR Der Zauber des Weggelegten; RÜB Grüne Mutter Bukowina.15 Zum Konstrukt der zentraleuropäischen Kultur vgl. GANTNER / KOVÁCS The Constructed Jew.16 SCHENK Mental Maps.

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nenviertel ein östlich angehauchter inszenierter Raum des Jüdischen.17 Für die postsozia-listischen Städte Ostmitteleuropas wurden die „alten Zentren“ nach 1989 zum wertvollen kulturellen Kapital auf dem Markt des Städtetourismus. Die nachinszenierten jüdischen Viertel lassen sich als Rekonstruktionen einer vermeintlich verschwundenen Form lokaler Gemeinschaft deuten. Sie führen verwunschene Plätze verlorenen Glücks vor und lassen sich in das Repertoire der städtischen Erlebnisräume einordnen. Sie oszillieren zwischen Lokalkolorit und globaler Vermarktung. Ganze Städte werden zur Rekonstruktion ihrer selbst und versuchen mit Events, sich mit einer Ökonomie der Symbole im globalen Raum zu positionieren.18 Das Phänomen der „Jewish spaces“ geht jedoch in Verbindung mit dem Klezmer-Revival über Konzeptgastronomie und Kulturfestivals weit hinaus. Man kann es als multimediales heritage re-enactment, zu Deutsch „Geschichtstheater“, bezeichnen. Konkrete Orte und Ereignisse liefern die Rohstoffe, aus denen Geschichtsmärchen produ-ziert werden. Ein prominentes Beispiel ist das jüdische Kulturfestival in Krakau und das Viertel Kazimierz mit seinen Cafés und Konzerten.

Die Krakauer jüdische Gemeinde geht bis ins 14. Jahrhundert zurück. Als die Juden 1494 aus Konkurrenzgründen vertrieben wurden, nahm sie die kleine Gemeinde der Vor-stadt Kazimierz auf. Zwischen den Weltkriegen wurde Krakau zu einem der Zentren jüdi-schen gesellschaftlichen und politischen Lebens in Polen. 1921 lebten hier rund 45.000 Juden, die etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachten.19 In Krakau erschienen mehrere zionistische Zeitungen in polnischer Sprache, es gab ein jiddisches Theater, jüdi-sche Grund- und Sekundarschulen, ein orthodoxes jüdisches Lehrerseminar und eine 1933 eröffnete jüdische Handelsschule. Die Masse der ärmeren und traditionell orientierten Ju-den wohnte nach wie vor in Kazimierz. Beim Überfall der deutschen Truppen 1939 lebten rund 60.000 Juden in der Stadt. Im März 1941 errichteten die deutschen Besatzer ein sta-cheldrahtumzäuntes Ghetto im Stadtteil Podgórze für die 18.000 Krakauer Juden, die noch nicht geflohen waren. Am 14. März 1943 waren nach mehreren Deportationen nach Auschwitz ungefähr 10.000 Juden im Ghetto verblieben. Sie wurden in ein Konzentrati-onslager am Ostrand von Plaszów gebracht.

Nach dem Krieg kehrten praktisch keine Juden nach Krakau zurück. In die leer stehen-den Häuser in Kazimierz zogen verarmte Polen aus Podgórze. Krakau war seit dem Mit-telalter Sitz der polnischen Könige und gilt mit dem Schloss Wawel und der Altstadt mit dem Marktplatz und den Tuchhallen als „Kulturhauptstadt Polens“. Die jüdische Vergan-genheit wurde verdrängt. In den 1960er Jahren gab es Versuche, Kazimierz durch die An-siedlung von Künstlern attraktiver zu machen.20 Das ehemalige Krakauer Judenviertel ver-fiel, bis mit dem aufkommenden internationalen Tourismus, unter anderem zu der Ge-denkstätte im nur 60 Kilometer entfernten Auschwitz, auch das jüdische Erbe wieder ent-deckt wurde. Der Aufschwung des jüdischen Viertels begann mit der Ankunft der ameri-kanisch-jüdischen roots-Touristen in den 1980er Jahren, als sich auch internationale jüdi-sche Stiftungen und Organisationen um das kulturelle Erbe der Juden in Polen zu küm-mern begannen. Die bislang mit einem Tabu belegte jüdische Vergangenheit in Polen wur-

17 SCHLÖR Bilder Berlins; WEISS Jewish Disneyland.18 BITTNER Die Stadt als Event.19 DOMBROWSKA et al. (Hg.): Cracow.20 WALIGÓRSKA Jewish Heritage Production, S. 239. KUGELMASS / ORLA-BUKOWSKA If You Build it,

S. 321; BRUNNER Widerspruchsgeist und Grandezza, S. R3.

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Vom „Fiedler auf dem Dach“ zu den „Gypsy Kings“

de zum Thema, zur Tür nach Westen. Schon seit den 1970er Jahren gab es polnische Intel-lektuelle, die sich im Untergrund mit der jüdischen Kultur und der Geschichte der Juden in Polen beschäftigten. Jüdische Studien und Opposition trafen sich im Untergrund, als 1968 die jüdischen Mitglieder aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen wurden.21

1988 organisierten Janusz Makuch und Krzysztof Gierat in Krakau ein Festival mit jid-dischen Filmen aus dem Polen der Zwischenkriegszeit. Makuch und Gierat waren nichtjü-dische Polen, die sich seit den frühen 80er Jahren für jüdische Kultur interessierten und auf den Verlust dieser Kultur hinweisen wollten.22 Mit dem Klezmer-Revival kam wenig später die Wende zum Musik- und dann zum Kulturfestival. 1993 wurde Kazimierz zum Drehort für Steven Spielbergs Film „Schindler’s List“. In der Folge erlebte das ehemalige jüdische Viertel einen Boom. Es entstanden jüdische Cafés, Buchhandlungen, Galerien, Begegnungszentren, Souvenirmärkte. Das Festival wuchs und zog immer mehr Besucher an. Bald rissen sich die Klezmerkapellen um einen Auftritt in Krakau, denn hier traf sich die crème de la crème der internationalen Klezmer-Szene. Nachdem in den ersten Jahren Kritik an der Dominanz deutscher Klezmermusiker laut geworden war, legten die Organi-satoren größeren Wert auf den Einbezug jüdischer Musiker. Diese kamen meist aus den USA. Ab Mitte der 90er Jahre dehnte sich das Spektrum des Festivalprogramms auf inter-aktive Formen wie Musikworkshops, Koch-, Sprach- und Tanzkurse aus. Das polnische Fernsehen überträgt das große Abschlusskonzert live.

Kazimierz wurde zur wichtigen Destination im jüdischen heritage-Tourismus. Die Nä-he von Auschwitz, die baulichen Überreste, die funktionierenden Synagogen und die be-sondere Bedeutung der Remuh-Synagoge mit dem Grab des Rabbi Isserles machen den besonders „authentischen“ Charakter von Kazimierz aus. Musiker bezeichneten die Ener-gie, die von den Gebäuden und vom Ort ausgehe, als „magisch“.23 Aus den Worten vieler Besucher spricht das Gefühl, schon einmal dagewesen zu sein. Wirksam wurde dabei eine Bildtradition, die sich bis zu Roman Vishniacs Fotografien aus der Zwischenkriegszeit zu-rückverfolgen lässt – Fotos, die prägend für die Außen-Wahrnehmung der osteuropäischen Juden wurden und bis in die Kameraeinstellungen von „Schindler’s List“ nachwirkten. 24 Auch wegen dieser Aktualisierung alter Bilder wurden die Kulissen des Films zur Touris-tenattraktion. Kazimierz wurde zum „Jewish space“.

Das Thema der „Jewish spaces“ wurde gerade am Beispiel von Krakau vielfach aufge-griffen und sowohl wissenschaftlich wie auch publizistisch und polemisch verhandelt. Die Polemik verurteilte die Inszenierungen als Kitsch und Kommerz, auch als naive Heilungs-versprechen.25 Ein wesentlicher Kritikpunkt war, dass die „Jewish spaces“ eine Parallel-welt inszenierten, an der jüdische Polen keinen Anteil hätten. Hinter dieser Argumentation stand die jüdische Erinnerungsperspektive auf Europa: In den Augen israelischer und amerikanischer Juden konnten nach 1945 in Europa keine Juden mehr leben, schon gar nicht in Deutschland und Polen. Diese Sichtweise unterfütterte die These, die „Jewish spa-

21 KUGELMASS / ORLA-BUKOWSKA If You Build it, S. 317.22 So zu finden in: http://www.jewishkrakow.net/de/museums.php?id=jcc (25.8.2011). GRUBER The

Kraków Jewish Culture Festival, S. 357–367; WALIGÓRSKA Der Fiedler als Feigenblatt, S. 395–407.

23 GRUBER The Kraków Jewish Culture Festival; WALIGÓRSKA Jewish Heritage Production, S. 229.24 SHANDLER The Time of Vishniac.25 BRODER Reise nach Zydoland.

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ces“ seien ein europäischer „Phantomschmerz“; es gebe sie vor allem dort, wo keine Ju-den lebten.26 Diese These passte aber nicht zu einer jüdischen Beteiligung an den Inszenie-rungen und schwächte sich in dem Maße ab, wie der erwartete Exodus der Juden aus Po-len nach dem Ende des sozialistischen Regimes ausblieb und sich zahlreiche russische Ju-den in Deutschland niederließen. Das europäische Judentum erneuerte sich, wurde stark und selbstbewusst.27

Die Literatur zu den „Jewish spaces“, teilweise auch die ethnografische Literatur zu den Roma/Zigeunern, ist durch den Gegensatz von „authentisch“ und „virtuell“ geprägt. 28 Als „künstlich“ werden die Räume von Kritikern vor allem dann empfunden, wenn darin die jeweilige Kultur nicht „gelebt“, sondern nachinszeniert oder „gezeigt“ wird. Diese Di-chotomie löst sich auf, wenn Inszenierungen als Teil der gelebten Kultur betrachtet wer-den. Auch touristische Inszenierungen sind als solche „authentisch“, entstehen in be-stimmten Kontexten, haben ihre Geschichten und Akteure.29 An Inszenierungen sind un-terschiedliche Akteure beteiligt. So stellt sich für „Jewish“ und „Gypsy spaces“ die Frage, wie die Minderheiten selbst an den Produktionen mitwirken und welche Rolle das Publi-kum spielt.

2. „Gypsy spaces“: Inszenierungen des Zigeunerischen

Der Flamenco hat seit den 1980er Jahren eine mit der Klezmermusik vergleichbare Kar-riere gemacht. Die Zigeunerwallfahrt in Saintes zog ein immer größeres Publikum an. Hinzu kommen seit den 1990er Jahren die zahlreichen europaweit veranstalteten Gypsy music festivals. Diese Anlässe und auch Konsumartikel wie die in Frankreich hergestellten und verkauften „Zigeunerwagen“ (roulotte de tziganes) belegen die Existenz von „Gypsy spaces“, „inszenierten Räumen des Zigeunerischen“. Als wichtigstes Kriterium kann da-bei die Qualität als touristischer Publikumsanlass gelten, bei dem Roma/Zigeuner und Nichtzigeuner in definierten Räumen aufeinandertreffen. Seit 1955 gibt es jeweils im Au-gust eine „Zigeunerwallfahrt“ in den französischen Wallfahrtsort Lourdes. Polnische Ro-ma pilgern jedes Jahr am 20. September zur allpolnischen Zigeunerwallfahrt nach Lima-nowa. In Andalusien findet eine Woche vor Pfingsten die „Romería Gitana“ nach El Rocío statt und seit 1969 die „Romería Nacional de los Gitanos“ nach Cabra. Die Tourismusab-teilung der Stadt Cabra beteiligt sich an der Organisation und an der Vermarktung des An-lasses. Wie in Saintes so ist auch hier die Einführung der Wallfahrt ein Hinweis auf die „Festivalisierung“ des Ortes Cabra. Zigeunerwallfahrten dienen als Instrument, um At-traktionen für den Tourismus zu schaffen. Ende August 2010 trafen sich 30.000 evangeli-kale gens du voyage in Chaumont (Haute-Marne). Die evangelikale „Association Vie et Lumière“ wurde vom Pastor Clément Le Cossec 1952 gegründet und macht der katholi-

26 SCHÜMER Phantomschmerz der Geschichte, S. 35.27 PINTO The Third Pillar.28 Zum Konzept der Authentizität gibt es eine breite Literatur in unterschiedlichen Disziplinen,

gerade auch im Zusammenhang mit touristischen Inszenierungen. Vgl. TRILLING Sincerity and Authenticity; MACCANNELL The Tourist; APPADURAI The Social Life of Things; HANDLER / SAXTON (Hg.): Dyssimulation; PIRKER et al. (Hg.): Echte Geschichte.

29 BRUNER Culture on Tour.

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Vom „Fiedler auf dem Dach“ zu den „Gypsy Kings“

schen Kirche mit der Roma-Mission und jährlichen Treffen Konkurrenz.30 Chaumont un-terscheidet sich von den übrigen hier erwähnten Anlässen, da es kein Publikumsanlass ist. Hier zeigt sich dafür deutlicher die Bedeutung regelmäßiger Treffen für das Zusammenge-hörigkeitsgefühl der voyageurs. Der religiöse Anlass dient nach außen nicht zuletzt der Legitimierung einer großen Zusammenkunft. Im britischen Raum sind Pferdemärkte An-lässe für Treffen der Gypsies und Travellers.31 Im Zentrum steht dabei der „Gypsy cob“, ein Traber-Pony. Zur „Appleby Horse Fair“ in Cumbria im Juni wurden 2010 rund 40.000 Gypsies erwartet. Die „Gypsy Horse Fair“ in Stow-on-the-Wold (Cotswold) wird im Mai und Oktober veranstaltet.32 Die Männer liefern sich informelle Trabrennen auf den Straßen um die Ortschaften und die Frauen putzen sich heraus. Der Markt hat Volksfestcharakter, rund um den Ort bilden sich „Zigeunerlager“, die Bilder ähneln denjenigen in Saintes. Vergleichbar ist auch die „Wickham Fair“ in Hampshire. Diese Beispiele für Wallfahrten und Märkte sind zyklische Reiseanlässe als willkommene Gelegenheiten für größere Zu-sammenkünfte. Ihr großer Vorteil ist die Akzeptanz durch die Mehrheitsgesellschaften. Durch den Publikumsandrang und Darbietungen erhielten sie zunehmend Festivalcharak-ter.

Neben Wallfahrten und Märkten ist die Musik eine Möglichkeit, Publikum zu gewin-nen. In Prag wird seit 1999 alljährlich das „World Gypsy Festival Khamoro“ veranstaltet. Zahlreiche offizielle Sponsoren aus dem Kultur- und Verständigungsbereich westeuropäi-scher Länder, internationale Organisationen wie die Unicef sowie Medien, Radio und Fernsehen unterstützen dieses Festival. Diese Analogie zum jüdischen Kulturfestival deu-tet darauf hin, dass Kulturfestivals als Werkzeuge zur Integration dienen sollen. Hier wer-den von Nicht-Zigeunern bewusst Räume geschaffen, in denen „Zigeunerkultur“ insze-niert wird. Ein schönes Beispiel dafür war die Aufführung einer „traditionellen Zigeuner-hochzeit“ neben den Konzerten und Vorträgen am „Khamoro“ im Mai 2011.33 Das geogra-phische Spektrum der „Gypsy music“ der 1990er und 2000er Jahre und der entsprechen-den Festivals reicht von Indien über Rumänien, Ungarn und Ex-Jugoslawien bis Andalusi-en. Im November 2009 tourte eine Show mit 30 Tänzerinnen und Musikern „aus fünf Kul-turen“ durch die Schweiz: „Dhoad“ aus „der rajasthanischen Wüste in Indien, von wo die ersten Romas stammen“, wie es im Prospekt hieß. „Die ‚Compañia Leonor Mora‘ zele-briert das andalusische Temperament“ mit Flamenco. Orient und Westen fusioniert bot die Gruppe SSASSA. „Romano Drom“ figurierte als „legendäre ungarische Gypsy Gruppe“, und „das ‚Aliev Bleh Orkestar‘ spielt Balkan-Beats“. Außerdem traten zwei orientalische Bauchtänzerinnen auf. Der Gypsy-Hype wurde zum Business, mit dem auch Gadjé-Musi-ker wie DJ Shantel (z.B. „Bucovina Club“, 2003) und Goran Bregović viel Geld verdien-ten. Es traf offenbar den Publikumsgeschmack, in der Disco ein Weilchen Gypsy sein zu können.34

30 SERES Les Tsiganes séduits. 31 So zu finden in http://www.travellerstimes.org.uk/default.aspx?c=8d5f2b8d-9db0-4f41-984e-

c18c1157351c (08.11.2011): Kurzrezensionen von Büchern über Roma aus deren Perspektive.32 So zu finden in http://www.travellerstimes.org.uk/downloads%5CTT32_05042009201620.pdf

(08.11.2011).33 So zu finden in http://www.khamoro.cz/en/other-events/ (8.11.2011).34 Vgl. auch STOFFERS Gypsymania!, S. 226.

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Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014

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Saintes-Maries-de-la-Mer ist die bekannteste „Zigeunerwallfahrt“ in Europa. Es gibt je-doch nur drei Publikationen, die sich eingehend damit befassen: Einen von INA MARIA GREVERUS herausgegebenen Sammelband mit Beiträgen der Teilnehmer an einer ethnogra-phischen Exkursion 1979,35 einen grundlegenden Artikel des französischen Ethnologen MARC BORDIGONI zu den historischen, interkulturellen und performativen Aspekten der Wallfahrt von 2002 sowie einen 2005 erschienenen Beitrag zu Spektakel und Performanz von Eric Wiley. Hingegen gibt es eine Vielzahl von Berichten über die Wallfahrt von Künstlern, von Freunden der Gitans sowie von Besuchern der Region, die bis in die 1920er Jahre zurückreichen: JEAN-LOUIS VAUDOYER beschrieb die Wallfahrt der 1920er Jah-re in einer mit Aquarellen illustrierten Publikation. WALTER STARKIE, ein irischer Romanis-tik-Professor und Experte für Roma/Zigeunerkulturen besuchte die Wallfahrt 1926, 1938 und 1951. Der katholische Seelsorger MAURICE COLINON reiste mit den Gitans und schrieb über die Wallfahrt der 60er und 70er Jahre. Der Ethnograph PIERRE DERLON schloss sich als junger Mann einer Familie von Fahrenden an und reiste jahrelang mit ihnen. Er wurde selbst ein „Heiler“ und veröffentlichte seine Autobiographie in den 70er Jahren. Der Deut-sche Kunstmaler Cuno Fischer reiste zwischen 1953 und 1968 regelmäßig nach Saintes, wo er mit einer Gitan-Familie befreundet war. Rajak Ohanian, Sohn armenischer Immi-granten, nahm zwischen 1958 und 1968 jährlich an der Wallfahrt teil. Er hatte Freunde un-ter den Gitans und hielt seine Eindrücke fotografisch fest.36

Die ursprüngliche Marienwallfahrt gründet auf der katholischen Überlieferung, laut der Marie-Jacobé und Marie-Salomé die Provence christianisierten.37 Eine Legende aus dem 11. Jahrhundert beschreibt Sara als Dienerin von Martha von Bethanien. Zusammen mit den Marien sei sie um das Jahr 40 während einer ersten Christenverfolgung auf einem Schiff aus Israel geflohen und in Südfrankreich, in Saintes-Maries-de-la-Mer, gelandet. In Vincent Philippons Legende der heiligen Marien aus dem Jahr 1521 reist Sara durch die Camargue, um für die junge christliche Gemeinde den Lebensunterhalt durch Almosen zu erbetteln.38 Deswegen wurde sie in der Überlieferung als Gitane, Zigeunerin angesehen. Erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich die lokale Marienwallfahrt zur „Zi-geunerwallfahrt“.39 Damals entdeckten auswärtige Besucher unter den Landfahrern und Erntehelfern „Zigeuner“, die damals wie auch der geheimnisvolle „Orient“ als exotische Figuren in Zeitschriften, auf Postkarten und auf Gemälden Interesse weckten.40 Im Kon-text der entstehenden Nationalstaaten lebten auch in Frankreich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts regionale Traditionen und Folklore auf. 1854 gründete der Schriftsteller Frédéric Mistral (1830–1914) die Bewegung „Le Félibrige“, die der Pflege der okzitani-schen Sprachen dienen sollte und auch einem gewissen Separatismus der Provence. Mit Frédéric Mistral befreundet war der „Erfinder“ der Camargue, der Heimatforscher Mar-

35 GREVERUS / SCHILLING Zigeuner und Wir.36 VAUDOYER Les Stes Maries de la Mer; STARKIE Auf Zigeunerspuren; COLINON Les Saintes Maries

de la Mer; DERLON Unter Hexen und Zauberern; FISCHER Schicksal der Zigeuner; GÜNTHER Das Kreuz der Zigeuner; Günther interessierte sich für Zigeuner, begriff sie aber als osteuropäisch: Die Gitarre spielenden und Flamenco tanzenden Gitans wirkten auf ihn wie Betrüger. OHANIAN Les Fils du Vent.

37 Ausführlich zur Wallfahrt vgl. BORDIGONI Le pèlerinage des Gitans.38 Abgedruckt in COLINON Les Saintes Maries de la Mer.39 Zu Ablauf und Bedeutung siehe auch MCOWAN Ritual Purity. 40 HOLZER Faszination und Abscheu; BROWN Gypsies and other Bohemians.

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quis Folco de Baroncelli-Javon (1869–1943).41 Er ließ sich 1895 als Stierzüchter nieder, besuchte die regionalen Volksfeste, organisierte selbst Folklore-Darbietungen und gründe-te 1909 die Vereinigung „Nacioun Gardiano“.42 Als „Erfinder der Camargue“ gilt Baron-celli, weil er aus einer mückengeplagten Sumpfgegend den Mythos der wilden Urland-schaft in die Köpfe der Betrachter zauberte. Die Blüte lokaler Folklore und der aufkom-mende Tourismus waren eng miteinander verbunden. Der Tourismus sollte die „kleinen Heimaten“ (les petites patries) in Frankreich beleben und die Abwanderung aus den länd-lichen Gegenden auffangen. Bei den Versuchen der Gemeinderäte von Saintes, ihrem Dorf neue Einnahmequellen zu erschließen, wurde die „Tradition“ zur zentralen Attraktion.43 Baroncelli war fasziniert von Minderheiten und „edlen Wilden“. 1905 lernte er Buffalo Bill Cody kennen, der mit seiner Wildwest-Show im nahen Nîmes gastierte, und freundete sich mit dem Indianer-Häuptling Jacob White Eyes an.44 Baroncelli entwarf eine anthropo-logische Theorie, nach der die Kelten, Basken, Ägypter und Gitans gemeinsamen Ur-sprungs seien,45 und meinte, Sara sei die Tochter des Königs der Ureinwohner der Pro-vence gewesen und habe die Marien am Strand willkommen geheißen. So machte Baron-celli die Gitans zu den autochthonen Ureinwohnern der Camargue und zu seinen persönli-chen „edlen Wilden“. Folgerichtig schlug er 1935 dem katholischen Erzbischof vor, eine Prozession für die offiziell nicht heiliggesprochene Sara, Schutzpatronin der Fahrenden, in die Maifeierlichkeiten aufzunehmen. Weitere Argumente waren die stärkere Berücksichti-gung der Bedürfnisse der Gitans und die Überfüllung der Krypta während der Vigilien. Die neue „Procession des Gitans“ schuf einen für Touristen attraktiven Anlass. Folco de Baroncelli begleitete 1935 persönlich die erste Prozession der Sara mit seinen Gardians. Die Wallfahrt wurde also aus touristischen Überlegungen umgeformt. Einige wenige Lo-kalpatrioten machten aus der Anwesenheit einiger Bohémiens an den Maifeierlichkeiten eine „Procession des Gitans“ und ihrer Schutzpatronin.46 Gelenkt wird die Veranstaltung vom Fremdenverkehrsbüro und der Kirche.

Der Charme des „Zigeunerlagers“ zog in den 20er Jahren vor allem Künstler und Schriftsteller an. Im besetzten Frankreich wurden 6500 nomades in 30 Konzentrationsla-gern interniert; fünf davon lagen in der Zone Libre. In der Camargue bestand von Ende 1942 bis zu seiner Bombardierung durch die Alliierten im Sommer 1944 das Lager Sa-liers.47 In den 50er Jahren war die Wallfahrt zunächst wieder eine Künstler-Destination. Die Fotografen und Schriftsteller machten sie bekannt. Die 60er Jahre brachten vor allem Hippies und Aussteiger. Erst mit dem Aufschwung des Massentourismus kam in den 70er Jahren ein breiteres Publikum nach Saintes.

JEREMY BOISSEVAIN hat die Zyklen öffentlicher Festivitäten im südlichen Europa unter-sucht. Er führt den in den 70ern beginnenden Aufschwung auf die Rückkehr Abgewander-ter und den zunehmenden Tourismus zurück, aber auch auf ein Krisenbewusstsein, verur-

41 Zu Baroncelli vgl. ZARETSKY Cock & Bull Stories. Während der deutschen Besatzung wurde sein Mas gesprengt. Das Gut lag wegen seiner Küstennähe in der Sperrzone, so dass Baroncelli sich nach Avignon zurückziehen musste, wo er 1943 starb.

42 ZARETSKY Le Coq & le Taureau.43 BORDIGONI Le pèlerinage des Gitans, S. 5.44 ZARETSKY Le Coq & le Taureau, S. 98–103.45 Gitan wird etymologisch von Egyptien hergeleitet.46 BORDIGONI Le pèlerinage des Gitans.47 FILHOL / HUBERT Les Tsiganes.

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sacht durch die Konflikte um 1968, die Ölkrise und den Vietnamkrieg. Die Feste wurden zum Ausdruck traditioneller, gemeinschaftsorientierter Werte.48 Auswärtige Gäste als Zu-schauer veränderten die Feste. Einerseits nahmen performative Elemente zu. Andererseits verlagerten sich die spielerischen Elemente des Feierns in geschlossene Bereiche. Die Ca-marguais und die Gitans grenzten sich gegenüber den Auswärtigen ab. Die Gitans schufen sich in Form von Wagenburgen eine Privatsphäre für ihre Familienfeste.49 Seit den 1980er Jahren setzte in Saintes eine deutliche Festivalisierung ein. Gekennzeichnet ist diese durch verstärkte Sicherheitsmaßnahmen der Behörden, durch die Gentrifizierung des Ortes, durch ein gezieltes branding der Camargue als „Gypsy“ und durch die Virtualisierung der Gitans. Die Gitans sind in Saintes nur auf Zeit geduldet: Die Aufenthaltsdauer der Fahren-den in Saintes ist beschränkt. Zu Baroncellis Zeiten waren es während der Wallfahrt 30 Tage, 1969 nur noch zehn. Das restliche Jahr über durften sich Fahrende nur zwei Tage in Saintes aufhalten, wie überall in Frankreich.50 In den 80er Jahren wurde der Markt auf den zentralen Platz neben dem Rathaus verlegt. Die Behörden richteten großflächige Parkplät-ze am Ortsrand ein und wiesen den Fahrenden, die ihre Wagen zuvor in den Gassen abge-stellt hatten, hier Standplätze zu. Die Verflechtung von Städtchen und Lager wich einer räumlichen Trennung. Seitdem nahmen die persönlichen Beziehungen zwischen Einhei-mischen und Gitans zwar ab, manche Kontakte bestehen jedoch fort.51 Die Trennung machte den Ort verstärkt zur Bühne für „Folkloreauftritte“. Die Gitans spielen in Saintes eine zentrale Rolle als Pilger, Musiker und Darsteller ihrer selbst. Dies war für einige un-ter ihnen Teil der Schaustellerei, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdienten. Kunst ist die Eintrittskarte in die globale Welt der Medien und des Musikbusiness. Bemerkenswert ist die Rolle der VIPs in Saintes: Manitas de Plata machte in den 60er Jahren, die „Gipsy Kings“ machten in den 90er Jahren international Karriere. Sie besuchen die Wallfahrt je-des Jahr. Pepe LeFleur führte jahrzehntelang die Prozession an. Diese erfolgreichen Musi-ker und Darsteller waren wichtige Identifikationsfiguren für die jungen Gitans, aber auch Galionsfiguren der Wallfahrt. Sie haben noch keine Nachfolger gefunden. Auch die evan-gelikale Bewegung zieht viele französische Roma/Zigeuner an und mindert das Interesse an der katholischen Wallfahrt.

Die Camarguais unterscheiden deutlich zwischen den „eigenen“, in der Region ansässi-gen Gitans und den auswärtigen. Sie sagten bereits in den 70er Jahren, die Gitans seien nicht mehr dieselben wie früher,52 und seit der Jahrtausendwende, heißt es, kämen wegen der hohen Reisekosten eher vermögende Gitans, deshalb habe die Kriminalität abgenom-men. Die Gitans werden heute auch außerhalb der Wallfahrt aufgeführt, an soirées Gi-tanes in Restaurants (wobei die Musiker keine Gitans sind), im Themenpark „El Patio de Camargue“, den die „Gipsy Kings“ bei Arles betreiben, oder durch Roulottes de Tziganes, Zigeunerwägen, die als Gästezimmer im Angebot sind. Diese touristische Virtualisierung zähmt imaginierte Gefahren: Gespielte Zigeuner sind keine gefährlichen Nomaden, nicht einmal, wenn sie sich selber darstellen. Ähnlich wie bei den „jüdischen Räumen ohne Ju-den“ zeigt sich auch hier ein Paradox: Touristen werden durch Festivals angezogen, auf

48 BOISSEVAIN Introduction. 49 COLINON Les Saintes Maries de la Mer, S. 34.50 MCDOWELL Gypsies, S. 45.51 BORDIGONI Le pèlerinage des Gitans, S. 10.52 COLINON Les Saintes Maries de la Mer, S. 34.

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denen „echte Zigeuner“ auftreten. Sie würden jedoch niemals die Romaviertel in Perpi-gnan, Montpellier oder Barcelona besuchen.

3. Juden und Zigeuner in den kulturellen Topografien Europas: Ein Vergleich

Ein amerikanischer Ethnologe nannte die „Fête des Gitans“ „der Welt größtes Roma-Spektakel“.53 Das jüdische Kulturfestival in Krakau und die Zigeunerwallfahrt in Saintes-Maries-de-la-Mer sind Besuchermagnete, weil sie mit populären Vorstellungen von Ge-schichte und Tradition verbunden sind. Sie gelten als historische „Orte“ jüdischer und Gi-tan-Geschichte: Sie sind nicht nur Inszenierungen, sondern erheben Anspruch auf Authen-tizität. Als besonders ausgeprägte spaces eignen sie sich als Fallstudien zum Phänomen der inszenierten Räume. Der Umstand, dass sie so weit auseinanderliegen, öffnet eine ge-samteuropäische Perspektive auf die Positionen der Juden und Roma/Zigeuner in den kul-turellen Topografien Europas. Meistens erfassen Betrachtungen über Roma vor allem Ost-mitteleuropa, den Holocaust und die Verfolgungsgeschichte bis in die Gegenwart, oft mit Deutschland als Schwerpunkt. Diese Perspektive kann durch den Vergleich erweitert wer-den. Gerade in Frankreich sind die Romgruppen so vielfältig wie ihre Selbst- und Fremd-bezeichnungen. In Südfrankreich gibt es neben Jenischen und Sinti aus dem Piemont auch viele erst im 20. Jahrhundert zugewanderte spanische Gitanos. In Frankreich gab es von 1912 bis 1969 ein carnet anthropométrique, ein Erfassungssystem für Fahrende analog zur bayrischen Landfahrerkartei, und zahlreiche einschränkende Bestimmungen. Aus den Arbeitslagern im besetzten Frankreich wurden jedoch lediglich 300 nomades aus den nördlichen Landesteilen, die der deutschen Administration unterstellt waren, in die Ver-nichtungslager deportiert. Nach dem Krieg vergaß man das geschehene Unrecht geflis-sentlich. Zugleich blieben aber weit mehr ökonomische Nischen erhalten als in Deutsch-land. Französische Fahrende arbeiten bis heute häufig als Schausteller und Marktfahrer.

Die Feste in Krakau und Saintes weisen zahlreiche strukturelle Ähnlichkeiten auf: Bei-de haben Volksfestcharakter, kehren kalendarisch wieder und ziehen ein zahlreiches Publi-kum an. Beide Feste sind mit Ritualen verbunden und haben religiöse Bezüge, also trans-zendentalen Charakter. Sie sind zugleich „Events“, bei denen Auftritte, Musik und Kostü-me eine wichtige Rolle spielen. Hervorzuheben ist besonders die Rolle der Musik, von Klezmer und Flamenco. Man kann beide Anlässe als kulturelle Aufführungen zwischen Kostümfest und Themenpark analysieren. Beide bilden räumliche Kontaktzonen zwischen der Mehrheitsbevölkerung und „exotischen“ Minderheiten, die auch schon vor hundert Jahren als die Orientalen in Europa wahrgenommen und als Figuren in Kunst, Literatur und auf der Bühne dargestellt wurden. Ein zentraler Aspekt ist die Aktualisierung dieser Bilder. Die Festivals rufen alte Bilder von „Juden“ und „Zigeunern“ auf und schaffen zu-gleich neue Folklore(n), indem „Europäer“ sich wie die Minderheiten kleiden können, ih-re Musik hören und spielen sowie ihre Tänze lernen. Bemerkenswert sind die Verbindun-gen religiöser, erinnerungskultureller und touristischer Ökonomien. Ebenso von Bedeu-tung sind die jeweiligen Erinnerungslandschaften „Camargue“ und „Krakau“ für die Kul-turen der Mehrheits- und der Minderheitsbevölkerung: An beiden Orten treffen unter-schiedliche Folkloresysteme aufeinander und gehen neue Verbindungen ein.

53 WILEY Romani Performance.

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Es gibt jedoch auch bedeutende Unterschiede: In „Jewish spaces“ geht es um Ge-schichte und Nostalgie; sie sind an ehemals jüdische Viertel gebunden. „Gypsy spaces“ sind ephemere, flüchtige Räume. Sie verweisen auf prämoderne Traditionen, romantisie-ren aber zugleich die Gegenwart, etwa in Form des „Zigeunerlagers“. „Gypsy spaces“ bil-den sich anlässlich von Wallfahrten, Märkten oder Musikfestivals. Während es in Krakau ein Festivalprogramm und Sponsoren gibt, hat die Wallfahrt spontanen Charakter; es gilt einzig der religiöse Kalender mit den Nachtwachen und Prozessionen am 24. und 25. Mai.

Weitere Analogien betreffen bildliche Darstellungen. In populären Bildtraditionen gibt es bestimmte Merkmale, die Juden und Zigeuner als „Andere“ kennzeichnen. In „Insze-nierungen des Zigeunerischen“ posieren „Zigeuner“ in bestimmten Kontexten: Musik und Tanz, Wohnwagen, Lagerfeuer. Bilder des Jüdischen zeigen den spirituellen „Ostjuden“ mit Bart und Schläfenlocken. Mittel für die Inszenierungen jüdischer Räume sind „jü-disch“ codierte Cafés mit Klezmer-Musik, das Kulturfestival mit Konzerten und Work-shops, aber auch Souvenirs und opulent aufgemachte Bildbände mit Fotografien aus dem alten „jüdischen Kazimierz“. Hinzu kommen Museen, Konzerte und erinnerungskulturelle Veranstaltungen wie Lesungen und Gedenkanlässe. Die Souvenirhändler verkaufen Holz-figuren, die „Ostjuden“ bei „typisch jüdischen“ Tätigkeiten darstellen, vor allem beim Geld zählen. Die Ethnografin ERICA LEHRER verweist auf die über hundertjährige Tradition dieser Schnitzereien in Polen. Die Figuren dienten zum magischen und rituellen Ge-brauch, aber auch als Kinderspielzeug. Noch heute dienen sie als Glücksbringer für Ge-schäftsleute.54 Erica Lehrer arbeitete im Gespräch mit Kunsthandwerkern und Händlern heraus, dass die ursprünglich krassen Merkmale des Jüdischen bei den Figuren verändert wurden und der Anpassungsbedarf für die Schnitzer zum Anlass wurde, sich mit jüdischer Geschichte und Kultur zu beschäftigen. Damit erhielten die Figuren eine neue Bedeutung als Ausdruck der Beschäftigung mit den fehlenden Juden, der Identifikation mit der jüdi-schen als Teil der polnischen Kultur. An solchen Beispielen lässt sich in Krakau wie in Saintes-Maries-de-la-Mer die Anpassung lokaler Folklore-Traditionen an neue Märkte be-obachten. Die Prozession der Sara vereint das Zigeunermotiv, die Tradition der Gitans, mit den Gardians und ihren Pferden. Analog zu den Krakauer Ostjuden-Figuren gibt es in Südfrankreich als Souvenir Zigeuner-Santons zu kaufen. Santons sind traditionelle pro-venzalische Krippenfiguren aus Keramik, die es nun auch in der Form von Zigeunerwa-gen und ihren romantisch verklärten Bewohnern gibt.

4. Analyse: Grenzfiguren im Europa der sich erweiternden Union

Konzerte und Auftritte, Pilgerfahrt und Prozession haben etwas Theatralisches an sich. Die Feste schaffen liminoide Räume, in denen soziale Grenzen verwischen. Die Minder-heiten der Juden und Zigeuner erscheinen als „Grenzgänger“ zwischen dem Fremden und dem Eigenen. So sind die Anlässe als „soziale Dramen“ Teil des Prozesses der Identitäts-findung im Rahmen der Europäischen Integration. Sie sind Elemente einer neuen europäi-schen Folklore. Bei der Verortung von Juden und Zigeunern in der europäischen Erinne-

54 LEHRER Repopulating Jewish Poland. Ostjudenpuppen und Souvenirs aus Krakau, aufgenom-men 2008 sind zu finden in http://picasaweb.google.com/tsimblist/TsimblingAcrossEuropeJu-neJuly2008#5230165468039241186 (18.12.2009).

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rungslandschaft, in der Forschung sowie bei den „Gypsy“ und „Jewish spaces“ selbst tre-ten jedoch deutliche Asymmetrien zutage.

4.1. „Kulturelle Aufführungen“: Auftritte, Pilgerfahrt, Prozession

Die theatralischen Inszenierungen des Jüdischen und Zigeunerischen lassen sich als kultu-relle Aufführungen (performances) analysieren. VICTOR TURNER betrachtete diese als sozia-le Formen dramatischer Präsentation. Auf der Grundlage universell erkennbarer „sozialer Dramen“ entwickeln sich zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten jeweils spezifische narrative und performative Darstellungsformen. Sie sind „soziale Metakom-mentare“, Formen des Selbst-Verstehens.55 In Saintes sind die Rollen als Schausteller oder Musiker, aber auch „Zigeunerposen“ vor der Kamera Teil der Gesamtaufführung, an der auch die Camarguais in ihren Hemden, die Gardians und Arlésiennes sowie die teilweise ebenfalls im Camargue- oder Zigeuner-Look aufgemachten Touristen mitwirken. Für die Roma/Zigeuner selbst wirken Posen wie eine Maske, als „Schutzbann“: Wer posiert, stellt nicht sich selbst dar, sondern eine Figur. Die Pose als Schutzbann ist Teil eines deutlich er-kennbaren kulturellen Motivs der Abgrenzung. Trennungen werden streng aufrecht erhal-ten. Innerhalb der Roma-Gemeinschaften geschieht dies in Form von Reinheitsgesetzen, Geschlechtertrennungen und Sippenstandplätzen,56 nach außen durch Anspruch auf Kon-trolle über die Prozession der heiligen Sara, in die sich keine Gadjé mischen dürfen. Die Musik ist in Saintes ebenfalls Territorium der Gitans, andere Musiker werden als Rivalen wahrgenommen oder ganz abgelehnt: Die eigene Kultur und Musik wird gezeigt und auf-geführt, dabei wird mit Außenstehenden aber nicht im Sinne einer Jam-Session über Mu-sik kommuniziert. Dies ist ein zentraler Unterschied zu den partizipativen Musikwork-shops in Krakau. Der Rückbezug auf das Eigene, die Behauptung des Terrains der Wall-fahrt als Raum des Zigeunerischen, geht mit der Ausgrenzung der Anderen einher.

Pilgerfahrten haben ein starkes performatives Element. Als Romgruppen im Mittelalter nach Europa kamen, war die Pilgerreise eine legitime Form der Reise. Um Schutz und Ge-leit zu erhalten, machten sie sich ein kulturelles Missverständnis zunutze. Sie gaben sich als „klein-ägyptische Fürsten“ und Büßer aus, die sieben Jahre umherwandern und sich vom Betteln ernähren mussten. Eine der schon im 13. Jahrhundert in Byzanz nachgewie-senen Bezeichnungen war „Aigyptioi“, Ägypter, wovon sich Gitan und Gypsy herleitet.57 Als Pilger erhielten die Roma/Zigeuner im 15. Jahrhundert Schutzbriefe und damit Zu-gang zu einer ganz Europa überziehenden Infrastruktur von Wegen und Institutionen, die die Grundversorgung von Pilgern sicherstellten. Das bedeutete auch Zugang zu Städten und Märkten. Die Ankömmlinge übernahmen eine Rolle, die ihnen von der einheimischen Bevölkerung angetragen wurde. Auch heute sind Wallfahrten in den Augen der Mehrheits-gesellschaften „legitime“ Anlässe für größere Zusammenkünfte; dabei entstehen willkom-mene ökonomische und soziale Nebenprodukte wie Märkte, Musikauftritte und begehbare Zigeunerlager. Hier können Beziehungen verhandelt werden, gerade weil die Beteiligten unterschiedliche Ziele verfolgen. In diesen Räumen ermöglichen Fest und Musik Begeg-nungen.

55 TURNER Vom Ritual zum Theater, S. 125.56 MCOWAN Ritual Purity.57 FRASER The Gypsies, S.47.

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4.2. Grenzgänger und Schwellenzustände

Im Zusammenhang mit der Neuformation Europas werden nationale und europäische Identitäten neu ausgehandelt. Grenzen spielen eine sehr ambivalente Rolle in diesem Pro-zess: Binneneuropäische Freizügigkeit steht einer Abschottung vor allem nach Osten und Süden gegenüber. Aber es gibt auch innereuropäische Gefälle zwischen den Kernstaaten und einzelnen Beitrittsländern wie etwa Rumänien und Bulgarien. Zugleich stieg die Fas-zination durch die „fremden“ Europäer, die Juden und die Roma/Zigeuner, seit den 1980er Jahren. Ausdruck davon sind unter anderem die Besuchermassen an der Wallfahrt in Saintes und am jüdischen Kulturfestival in Krakau. Ein wesentlicher Schlüssel zum Ver-ständnis der Faszination durch diese Gruppen sind zwei Konzepte des Liminalen: Eines ist als „Schwellenzustand“ im Kontext des Rituals und des Festes verankert. Das zweite ist aus diesem Zusammenhang gelöst und bezeichnet „Grenzgänger“ zwischen dem Eigenen und dem Fremden an der Grenze vorgestellter Gemeinschaften und in gesellschaftlichen Zwischenräumen.

VICTOR TURNER entwickelte das Konzept der Liminalität (von lat. limen, Schwelle), das ursprünglich den „Schwellen- oder Umwandlungszustand“ während eines Übergangsri-tuals (rite de passage) bezeichnete.58 Nachdem ein Individuum oder eine Gruppe sich in einer ersten Phase rituell aus einer herrschenden (Sozial-)Ordnung gelöst hat, befindet es sich in einem Zwischenraum. Diese Schwellenphase liegt außerhalb der Zeit und weist be-stimmte Merkmale auf: Ambiguität (Mehrdeutigkeit) und Elemente der vergangenen so-wie auch der zukünftigen sozialen Zugehörigkeitsbereiche oder kulturellen Daseinsformen zugleich. Die dritte Phase dient der Wiedereingliederung in die Gesellschaft.59 Im Schwel-lenzustand kann sich das Individuum selber fremd werden und erneuern, es ist aber auch besonders labil. Gemeinsam durchgeführte Rituale, beispielsweise im Rahmen von religi-ösen Festen, schaffen Räume für eine einfache, gleichberechtigte Gemeinschaft auf Zeit, eine communitas (Victor Turner). Kulturelle und soziale Grenzen sind vorübergehend auf-gehoben, die Gemeinschaftserfahrung über alle Schranken hinweg wird Teil des Erlebnis-ses.

Bereits Turner übertrug das Konzept des Schwellenzustands auch auf kulturelle Perfor-mances. So können beispielsweise religiöse Feste oder der Karneval liminoide Räume ent-stehen lassen. Perioden tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels wie Modernisierungs-schübe und Revolutionen erzeugen ebenfalls Übergangs- oder Schwellenzustände, in de-nen neue individuelle und kollektive Selbstverständnisse verhandelt werden.60 Insbesonde-re die Nationalstaaten des ausgehenden 19. Jahrhunderts brauchten das Andere, die Ab-grenzung, um ihre Selbstverständnisse zu formulieren.61 In solchen Momenten erhalten „Grenzgänger“ wichtige Funktionen zugewiesen. Jede Nation hat ihre eigenen Grenzfigu-ren: Amerika die Cowboys, England die Australier, Spanien die Basken, Frankreich die

58 Turners erste Studien zur Liminalität lehnten sich stark an Arnold van Genneps drei Phasen der Passagerituale an. TURNER Betwixt and Between; TURNER Liminality and Communitas; sowie TURNER Passages, Margins, and Poverty.

59 GENNEP Rites des Passage; TURNER Das Liminale und das Liminoide, S. 34–36.60 Der allgemeine und diffuse Begriff Identitäten wird hier bewusst vermieden und durch Begriffe

wie Selbstverständnis, soziale Verortung, Identifikation, Kategorisierung, Gruppenzugehörig-keit und Zusammengehörigkeitsgefühl ersetzt. BRUBAKER / COOPER Beyond „Identity“.

61 NORTON Political Identity, S. 53.

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Provenzalen und die Korsen. Der Nationalstaat erhob Anspruch auf die ungewissen Peri-pherien und ihre Bewohner und erklärte deshalb bestimmte Züge als archetypisch für das „Eigene“. Der amerikanische Cowboy etwa wurde zum nationalen Symbol stilisiert.62 Ju-den und Zigeuner wurden bereits im späten 19. Jahrhundert als Grenzfiguren, als Orienta-len in Europa betrachtet. Ethnografen lokalisierten sie in „wilden“ Peripherien wie dem Balkan, Spanien und Osteuropa, in den Karpaten oder der Puszta, Baroncelli in der Ca-margue. Den Roma/Zigeunern schrieben Ethnografen nichteuropäische Eigenschaften wie Nomadismus/Ortlosigkeit, Analphabetentum/Schriftlosigkeit und äußerste Armut zu. Die Camargue stilisiert sich gegenüber dem Nationalstaat als wild, naturbelassen und freiheits-liebend, als liminal. Ihre Bewohner sind outlaws. Diese imaginäre Camargue fing Albert Lamorisse 1953 in seinem Film „Crin Blanc“ in unvergesslichen Bildern ein. Hierher pas-sen die Gitans als „edle Wilde“ so gut wie die Indianer in die Prairie. Ein vergleichender Blick auf die Verortungen der Camargue und Krakaus in den europäischen Erinnerungs-landschaften fördert jedoch deutliche Asymmetrien zutage.

4.3 Transformationen von Erinnerungslandschaften im „Neuen Europa“

Krakau liegt nur 60 Kilometer von Auschwitz-Birkenau entfernt. „Auschwitz“ ist ein übergeordneter Erinnerungsort, der für Juden, Zigeuner und Polen Leid bedeutet und alle übrigen Europäer an Täterschaft und Mittäterschaft erinnert. Die Camargue hingegen ist eine französische Urlandschaft von nationaler Bedeutung, die in der regionalen Folklore als Grenzlandschaft dargestellt wird. Nicht nur Spanien und der Balkan, die gesamte me-diterrane Region ist für „Europa“ Übergangszone, frontier und symbolische Ressource. Hier trifft der Westen auf sein orientalisches Anderes.63 Sowohl Krakau wie Saintes sind Topoi in historisch mit Bedeutung befrachteten Kontexten. An beiden Orten treffen bei den Festen unterschiedliche Erinnerungskulturen aufeinander, überlagern sich Bedeutun-gen. Gerade diese hohe Intensität, ihre „Authentizität“ und das breite Angebot machen diese Orte zu Publikumsmagneten. Räume wie die „Jewish“ und „Gypsy spaces“, in de-nen sich Angehörige unterschiedlicher Kulturen begegnen und ihre Beziehungen gestal-ten, wurden in der Forschung als „borderlands” (RENATO ROSALDO), „contact zones“ (MARIE LOUISE PRATT) oder „tourist borderzones“ (ED BRUNER) konzeptualisiert. In diesen limi-noiden Räumen können alternative Identitäten erprobt werden, entsteht die neue europäi-sche Folklore.

Krakau liegt in einer umkämpften „Erinnerungslandschaft“. Die Nähe des jüdischen Themenparks in Kazimierz zu den Orten der Vernichtung ist von zentraler Bedeutung. Die Lager haben für Polen, Deutsche, Israelis und amerikanische Juden je unterschiedliche Bedeutungen, ihr Besuch ist in unterschiedliche Erinnerungskulturen und -Rituale einge-bunden. Der Besuch der Lager kann selbst als transformatorisches Ritual verstanden wer-den: Die Besucher treten vorübergehend aus der herrschenden Ordnung aus und kehren verändert wieder zurück. Besucher der ehemaligen Konzentrationslager geraten durch die Einfühlung in oder Identifikation mit den Opfern in einen Zustand des Schreckens und der Krise. Das probeweise Übernehmen dieser Opfer-Rollen im Schwellenzustand ist zumin-dest eine Möglichkeit, die in der Gedenkstätte angelegt ist.64 Die Krisenerfahrung weckt

62 NORTON Political Identity, S. 57–58.63 SCOTT Imagining the Mediterranean, S. 226.64 FISCHER-LICHTE Zur Aktualität von Turner, S. XII.

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das Bedürfnis nach „Heilung“, nach der Vorstellung, jüdisches Leben kehre zurück. Die israelischen Schülergruppen, die seit 1988 mit Unterstützung des Erziehungsministeriums zu den ehemaligen Vernichtungslagern in Polen reisen, werden im Anschluss an den „March of the Living“ von Auschwitz nach Birkenau zurück nach Israel geflogen, wo sie den Nationalfeiertag, die Gründung des Staates, als letzten Teil des Rituals, als Lösung, begehen. Diese Programme sind Teil eines Gesamtkonzeptes zur israelischen Nationsbil-dung.65 Dem Bedürfnis anderer Besucher nach „Heilung“ kam die Atmosphäre in Kazi-mierz in den 90er Jahren auf ideale Weise entgegen. Das jüdisch aufgemachte Viertel mit seinen Synagogen, Cafés und Klezmerkonzerten versprach Erholung und Entlastung. Ne-ben das jüdische Überlebensritual trat ein im Grunde ähnlich strukturiertes nichtjüdisches Bußritual mit anschließender Belebung. Zur räumlichen kam eine zeitliche Entlastung: Die dekorative Rückkehr in die Zeit um 1900 in Kazimierz blendete die leidvolle Ge-schichte des 20. Jahrhunderts elegant weg.

Im sozialistischen Polen bedeutete Auschwitz in erster Linie polnisches Leid. Das na-tionale Selbstverständnis deutete das vielfach unterdrückte Polen auch als „Christus unter den Völkern“. Das musste sich nach 1989 ändern: Die Anerkennung des Holocaust an den europäischen Juden als zentraler Erinnerungsort war die Eintrittskarte nach Europa. Nur die Länder, die sich der „Task Force for International Cooperation on Holocaust Educa-tion, Remembrance, and Research“ (ITF) und der im Jahr 2000 beschlossenen „Erklärung des Stockholmer Internationalen Forums über den Holocaust“ anschließen, werden als Mitglieder des Neuen Europa auch wirklich akzeptiert.66 Polen unternahm in den 1970er Jahren eine diplomatische Annäherung an Israel, und in den 1980er Jahren wurde die jüdi-sche Geschichte enttabuisiert. In den 1990er Jahren pluralisierte sich die polnische Gesell-schaft zusehends. Doch erst Ende der 1990er Jahre wurden breit geführte Debatten über Bücher möglich, in denen Verbrechen von Polen an Juden verhandelt werden.67 Für viele Polen war die Beschäftigung mit und die „Aneignung“ der jüdischen Geschichte und Kul-tur mehr als die reine Wiederentdeckung einer verschütteten Vergangenheit. Es ging auch um die Wahrnehmung jüdischer Kultur als (verlorener) Teil „eigener“ nationaler Identitä-ten. Dabei spielte der Mythos des „romantischen Polentums“ eine Rolle. In dieser Vorstel -lung galt Polen vor seiner Aufteilung unter Preußen, Russland und Österreich Ende des 18. Jahrhunderts als harmonisch-demokratische, multikulturelle Adelsrepublik. Diese Multikulturalität passte gut in den Zentraleuropadiskurs und zur Westorientierung Polens in den 1990er Jahren. Sie bot eine willkommene Basis für polnisch-jüdische Akteure als sichtbare Exponenten dieses Zusammenlebens. Schließlich bescheinigte der Diskurs den Polen Weltläufigkeit und Toleranz gegenüber Minderheiten.68

65 GRUBER Virtually Jewish, S. 148–150; COHEN Preparation; zur Rolle des Holocaust in Israel vgl. ZERTAL Nation und Tod.

66 Erklärung des Stockholmer Internationalen Forums über den Holocaust, in: http://www.holo-caustremembrance.com/de/about-us-stockholm-declaration/erkl%C3%A4rung-des-stockhol-mer-internationalen-forums-%C3%BCber-den-holocaust (18.12.2009).

67 Vgl. auch STEFFEN Formen der Erinnerung; GROSS Neighbors; GROSS Anti-Semitism in Poland; GROSS Złote żniwa.

68 GUDONIS Constructing Jewish identity, S. 48–49.

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4.4. Asymmetrien und „neue Folklore“

Die kulturellen Aufführungen um und mit Juden und Zigeunern in Krakau und Saintes las-sen sich als Bestandteile einer neuen europäischen Folklore deuten. Im Zuge der europäi-schen Integration werden Abgrenzungen und Identitäten neu ausgehandelt. Die imaginier-ten Juden und Zigeuner sind Musiker, Wissenschaftler oder Künstler, sie sind Teil transna-tionaler Gemeinschaften, überall zu Hause und dienen damit als Projektionsfläche für die idealen Europäer. Das ist ein Globalisierungseffekt: die Leitkultur der hypermobilen Eli-ten, der „modernen Nomaden“ gibt dafür das Muster vor. Doch dieses positive Klischee hat, genau wie alle romantischen Zigeunerklischees zuvor, eine negative Seite: Roma/Zi-geunern werden einmal mehr die erwähnten nicht-europäischen Eigenschaften Armut, An-alphabetismus, Geschichtslosigkeit und vor allem Nomadismus zugeschrieben.69 Letzteres Attribut findet sich als Angst-Szenario in den europäischen Migrationsdiskursen wieder.70 Hier wirken Asymmetrien der Positionierung von Juden und Roma/Zigeunern in der euro-päischen Kultur und Folklore nach, aber auch ein angenommenes „Zivilisationsgefälle“ innerhalb der Union, eine „Europäische Apartheid“ (Étienne BALIBAR). Diese Asymmetrien führen dazu, dass anhand der „nicht-europäischen“ Roma eine Stellvertreterdebatte um die europäische Migrationspolitik geführt wird.

Grundlegend für die Asymmetrien sind die Unterschiede in der Quellenlage, in der For-schung und im allgemeinen Wissen über Juden und Roma/Zigeuner. Juden traten mit der Aufklärung in die bürgerliche Kultur der europäischen Länder ein; sie haben eine schriftli-che Überlieferung, eine biblisch belegte Herkunft und Geschichte. Roma/Zigeuner hinge-gen verfügen über keine schriftliche Kultur. Sie partizipieren nicht an den Mehrheitsge-sellschaften und pflegen Kulturen der Geheimhaltung. Außenstehende wissen nur wenig über sie, denn sie sind auch selbst in der Forschung und der Wissensproduktion über Ro-ma/Zigeuner kaum vertreten, während jüdische Forscher zahlreich und die Jewish Studies gut etabliert sind. Roma/Zigeuner pflegten kein übergreifendes Zusammengehörigkeitsge-fühl – dieses bildete sich erst als Spätfolge des Holocaust und führte in den 70er Jahren zu Interessenvertretungen, einer Emanzipationsbewegung und auch zur Selbst-Ethnisierung als „Sinti und Roma“.71 In den 80er Jahren wurde der Genozid an den Sinti und Roma an-erkannt.

(Geschichts-)Bilder spielen eine wichtige Rolle, wenn es um die Popularisierung der hierarchisch strukturierten Holocaust-Erinnerungskultur geht. In Krakau und Saintes wer-den traditionsreiche Bilder aktualisiert. Die Bildforschung hat sich erst in letzter Zeit der Bilder des „Zigeuners“ angenommen.72 Wenn man die Betrachtungsweisen der Bilder von Juden und Zigeunern vergleicht, ergibt sich eine weitere bemerkenswerte Asymmetrie: Zum Holocaust an den Juden gibt es eine reiche Bildtradition, und die Forschung hat sich intensiv beispielsweise mit „Schlüsselbildern“ befasst.73 CAROL ZEMEL hat außerdem am Beispiel von Fotografien osteuropäischer Juden der Zwischenkriegszeit den Effekt der „retroaktiven Vorausschau“ herausgearbeitet. Die Shoa führte zu einem Bruch in der

69 Zur langen Geschichte der Ent-Europäisierung der Roma/Zigeuner vgl. BOGDAL Europa erfindet die Zigeuner.

70 SIMHANDL Beyond Boundaries?; PUSCA The „Roma Problem‘ in the EU.71 SCHÄR Nicht mehr Zigeuner, sondern Roma!72 HOLZER Faszination und Abscheu.73 BRINK Ikonen der Vernichtung; HAMANN Fluchtpunkt Birkenau.

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Wahrnehmung der Fotografien, die ursprünglich für ein nostalgisches Auswandererpubli-kum in den USA aufgenommen wurden. Nach dem Krieg steuerte dieses spätere Ereignis ihre Wahrnehmung. Diese „Überschattung“ bezeichnet Carol Zemel als „retroaktive Vor-ausschau“. Sie nutzt das Wissen um spätere Ereignisse, um sich ein Urteil über die Betei-ligten zu bilden, wie wenn diese hätten wissen müssen, was später kam.74 Die Betrachter schauen also auf diese Fotografien nicht nur im Wissen, dass die meisten der darauf Abge-bildeten später umgebracht wurden. Die Aufnahmen selbst scheinen auf das Ereignis vor-auszuweisen. Dieser Effekt war beteiligt am Erfolg von Fotobüchern wie denen von Ro-man Vishniac und steuerte auch die museale Ausstellungspraxis zum Holocaust mit Foto-grafien. Sie gilt auch für die Wahrnehmung des Porträts der Anne Frank. Sowohl die als retroaktive Vorausschau beschriebene Praxis der Bildwahrnehmung wie auch allgemein-gültige Schlüsselbilder zum Holocaust oder eine Ikone wie Anne Frank fehlen bei den Zi-geunern. Hier kommt die Geschichte der offiziellen Erinnerungspolitik an den Holocaust ins Spiel: Weil die fahrenden Minderheiten erst in den 80er Jahren als Genozid-Opfer an-erkannt wurden, etablierte sich keine populäre Erinnerungskultur. Die Zigeuner betreffend gab es keinen Bruch, sie werden letztlich bis in die Gegenwart als sozial unerwünschte Bevölkerungen stigmatisiert. Die medialen Schlagworte lauten „Rotationseuropäer“ und „Kriminaltouristen“. Die Anerkennung als Holocaust-Opfer generierte eine Verfolgungs-geschichte ohne große Kenntnisse von Kultur und Geschichte der Roma/Zigeuner, gerade auch im medialen öffentlichen Diskurs. Ferner lässt sich auch in der Forschung eine Ost-West-Asymmetrie beobachten: Ostmitteleuropäische Roma sind besser erforscht als fran-zösische Manouches und spanische Gitanos.

5. Möglichkeitsräume, Geschichten und Geschichte

Ziel dieses Beitrags war, „Gypsy spaces“ analog zu den „Jewish spaces“ darzustellen und Thesen zu formulieren, warum diese bislang nicht erkannt und thematisiert wurden. Wich-tig scheint mir die Rolle der Minderheiten selbst als Organisatoren, Darsteller oder Publi-kum bei der Inszenierung dieser Räume. Haben die Räume emanzipatorisches Potenzial? Bereits früh wurde im jüdischen Kontext gefordert, die Inszenierungen bewusst mitzuge-stalten.75 In Kazimierz nahm im Laufe der letzten 20 Jahre die Zahl jüdischer Akteure als Darsteller und im Publikum zu. In Polen sind junge jüdische Gemeinden entstanden. Jüdi-sche Stiftungen aus den USA schickten Religionslehrer und Reformrabbiner, gründeten Jugendclubs, Kindergärten und Schulen. Dieses aus Amerika nach Polen rückimportierte Judentum hatte mit dem Schtetl nichts mehr zu tun, sondern war multipel und internatio-nalistisch. Auch ein säkulares Kulturjudentum wurde möglich. Junge polnische Juden konnten Polen bleiben und sich durch ihr Bekenntnis zu jüdischen Wurzeln den Status von Bohémiens zulegen. Diese Offenheit galt auch für die inszenierten Räumen des Jüdischen: Das Kulturfestival in Krakau ist ein Raum der Inversion, an dem das Verhältnis von Mehr-heit und Minderheit für einige Tage verkehrt wird, wo das Jüdische das „Normale“ ist und junge jüdische Polen stolz ihre Kippa zur Schau tragen. Es konnte sich aber auch zur Plattform entwickeln, auf der jüdisch-polnische Beziehungen verhandelt werden. Die Wir-kung der „virtuellen“ jüdischen Räume reicht über das Festival und die „Jewish spaces“ hinaus.

74 ZEMEL Imaging the Shtetl. 75 Vgl. die Beiträge von PINTO.

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Auch die Wallfahrt in Saintes schafft einen Raum der Inversion, wenn die Gitans das Städtchen für einige Tage im Jahr übernehmen. Doch zwischen Roma/Zigeunern und der Mehrheitsgesellschaft besteht ein viel größeres soziales Gefälle als im Fall der Juden. „Gypsy spaces“ bieten den Roma nur Inklusion auf Zeit: Sie stehen vorübergehend im Zentrum und sind sozial anerkannt, den Rest des Jahres über sind sie unerwünscht. Roma werden als Migranten und Nachbarn abgelehnt, aber als Musiker verehrt. Die Virtualisie-rung der Roma durch Aufführungen ohne sie verdrängt sie zugunsten einer diffusen „Gypsyness“.

Die unterschiedliche Wahrnehmung der Bilder von Juden und Roma/Zigeunern weist auf tiefgreifende Differenzen in den populären Geschichtsbildern hin. Es gibt keine Lese-anweisung für Zigeunerdarstellungen analog zu Darstellungen von Juden. Roma/Zigeuner werden entlang der traditionellen Stereotype wahrgenommen. Der Wandel der Erinne-rungskulturen nach 1991 betrifft insbesondere die Geschichte der Juden. Sie sind Teil der politischen Folklore Europas geworden; der Holocaust ist immer präsent. Der weitgehen-den Inklusion der Juden steht die Exklusion der Roma/Zigeuner gegenüber: Juden sind vollwertige Bürger ihrer jeweiligen Länder und können wählen, ob und wie sie daneben noch eine jüdische Identität pflegen möchten. Roma/Zigeuner mussten sich in den postso-zialistischen Staaten ihre Bürgerrechte erkämpfen. Ihnen steht die kulturalistische Option ebenso wenig offen wie die Möglichkeit einer doppelten Loyalität als Roma/Zigeuner und Staatsbürger. Es gibt nur wenige Ausnahmen, vor allem im künstlerischen Bereich, die Status in der Minderheit wie auch in der Mehrheitsgesellschaft erlangen können.

Wie funktionieren die Festivals als soziale Dramen im Rahmen der Europäischen Inte-gration? Man kann diese Kostüm-Feste als Suche nach den lokalen Identitäten und der ge-meinsamen Erinnerung, nach Tradition in der Moderne deuten. Die Feste und Rituale for-mulieren Geschichten über Juden und Zigeuner. Die historischen Orte verleihen den Festi-vals Authentizität und den Ritualen Transzendenz. Mythen und Spiritualität, „Tradition“ und „Ehre“ repräsentieren Werte, die in einer zunehmend säkularisierten und entmystifi-zierten Welt große Ausstrahlungskraft entwickeln. Die beteiligten Einheimischen und die Touristen erzählen in der Begegnung mit den Rändern und Grenzen des Eigenen aber auch über sich selbst und verorten sich dabei in kulturell verfügbaren Repertoires von Ge-schichten. Beide Publikumsmagnete, die inszenierten Räume des Jüdischen wie des Zi-geunerischen, sind Ausdruck einer neuen europäischen Folklore. Diese Folklore ist Teil der Suche nach einer neuen europäischen Kulturidentität. Das abstrakte, rationale Zweck-bündnis Europa braucht das „Andere“, um sich selbst zu finden.

Die Geschichte, vor allem der Holocaust als europäischer Erinnerungsstandard, spielt eine mächtige Rolle bei der Europäischen Einigung. Gerade durch die im Vergleich der beiden Festivals festgestellten Asymmetrien in der Forschung, aber auch in der Politik und in der öffentlichen Wahrnehmung tritt die Funktion des historisch-narrativen Referenzrah-mens für Identitätsbildungen im neuen Europa deutlich hervor. So erweist sich das Andere als ungleich anders. Juden und Europäer habe eine gemeinsame Geschichte, den Holo-caust. Das Jüdische lässt sich als das Fremde im Eigenen deuten. Den „Zigeunern“ hinge-gen wird besonders durch ihre Geschichtslosigkeit das explizit Andere zugewiesen. Weil sie eine „fremde/unbekannte Geschichte“ haben, fehlt ihnen ein gemeinsamer geschicht-lich legitimierter Resonanzraum mit den Europäern.

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Summary:

From the “Fiddler on the Roof” to the “Gypsy Kings”Jews and the Roma/Gypsies in the European Topography of Memory

Jews and Gypsies are marginal men in the cultural topographies of Europe. During the past 25 years, both minorities underwent a process of festivalization. Jewish Culture Festivals and Klezmer music as well as Gypsy Music Festivals and Balkan Beats became highly popular. Jewish and Gypsy spa -ces were established and serve as tourist borderzones for the encounters of “Europeans” with their

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Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014

MONICA RÜTHERS

exoticized Other. A new European folklore emerges, successfully blending kitsch and terror, remem-brance and the romanticized nomadism of post-modern lifestyles. Two case studies of the Jewish Culture Festival in Kazimierz and the Gypsy pilgrimage to Saintes-Maries-de-la-Mer reveal telling asymmetries. After 1989, the imaginary Jews were located in the former Jewish districts of Central European cities such as Cracow, Prague and Budapest or Czernowitz. The Holocaust became the foundation of a common European culture of remembrance, a new European tradition. Gypsies are revered as musicians, yet reviled as people. The very same regions of Jewish encoded “Central Eu-rope” shifted eastward on the mental maps as soon as the Roma were concerned. Europeans are in fear of a Roma “invasion” from the East. The European ambivalence towards its Others is sympto-matic of a community striving to imagine itself. In this process, to have or have not a common Euro-pean history plays a pivotal role. The imaginary Jews seem to embody a common multicultural “Eu-ropean” past, whilst the Roma “come from India”. They are represented as belly-dancing Orientals and used for drawing boundaries excluding non-Europeans.

Monica Rüthers ist Professorin für Europäische Geschichte mit Schwerpunkt Osteuropa an der Uni-versität Hamburg, Historisches Seminar, Von-Melle-Park 6, 20146 Hamburg (E-mail: [email protected]).

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