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1 Strafrecht BT Urkundenstraftaten (2. Teil) FS 2009 Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Institut für Strafrecht und Kriminologie Universität Bern

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Strafrecht BT

Urkundenstraftaten (2. Teil)

FS 2009

Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber

Institut für Strafrecht und Kriminologie

Universität Bern

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Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Urkundenstrafrecht 2

Urkundenfälschung (Art. 251) – Privilegierung (Art. 251 Ziff. 2)

> Privilegierungsgrund: besonders leichter Fall

– Abzustellen ist auf die gesamten Umstände des Einzelfalls. Das Verhalten muss objektiv und subjektiv Bagatellcharakter aufweisen, wobei ein strenger Massstab anzulegen ist. (BGE 96 IV 155; 128 IV 265)

Kriterien

– Bedeutung des gefälschten Dokuments im Rechtsverkehr– Mass der Abweichung der Fälschung von der wahren Sachlage– Art und Umfang des angestrebten Vorteils bzw. der

beabsichtigten Schädigung– …

– Bsp.: Fälschung einer materiell bestehenden Vollmacht aus blosser Bequemlichkeit

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Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Urkundenstrafrecht 3

Urkundenfälschung (Art. 251) – Konkurrenzen

> Verhältnis der einzelnen Tatvarianten von Art. 251 StGB untereinander

- Urkundenfälschung i.e.S. (Ziff. 1 Abs. 2 Var. 1-3) schliesst die Falschbeurkundung (Ziff. 1 Abs. 2 Var. 4) aus

- Verfälschen (Ziff. 1 Abs. 2 Var. 2) ist lex specialis zum Fälschen (Ziff. 1 Abs. 2 Var. 1)

- Der Gebrauch einer gefälschten Urkunde (Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3) durch den Fälscher selbst ist eine straflose Nachtat, wenn der Gebrauch im Zeitpunkt der Fälschungshandlung bereits vom Tatplan umfasst war; d.h. unechte Konkurrenz zwischen Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 und Abs. 3, wobei Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 vorgeht.

Geht der Gebrauch der Urkunde durch den Fälscher selbst über dessen ursprünglichen Tatplan hinausgeht, so besteht hingegen echte Konkur-renz (Realkonkurrenz) zwischen Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 und Abs. 3.

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Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Urkundenstrafrecht 4

Urkundenfälschung (Art. 251) – Konkurrenzen

> Verhältnis zu Art. 146 (Betrug)

- unterschiedliche Rechtsgüter: grundsätzlich echte Konkurrenz

- BGer / Teil der Lehre.: immer echte Konkurrenz

- Teil der Lehre (Stratenwerth, …): unter Umständen unechte Konkurrenz (Urkundenfälschung als mitbestrafte Vortat) Begründung: wenn eine gefälschte Urkunde ausschliesslich zur Begehung eines (bestimmten) Betrugs dient, ist die Urkundenfäl-schung eine blosse Vorbereitungshandlung und geht im Betrug auf, soweit eine weitergehende Gefährdung des Rechtsverkehrs durch die gefälschte Urkunde nicht auszumachen ist.

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Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Urkundenstrafrecht 5

Urkundenfälschung (Art. 251) – Konkurrenzen

> Verhältnis zu Art. 147 (Betrügerischer Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage)

- wegen unterschiedlicher Rechtsgüter: grundsätzlich echte Konkurrenz

- Ausnahme: unechte Konkurrenz; Art. 147 geht vor,wenn die Urkundenfälschung in einer Datenmanipulation liegt, die notwendige Durchgangsstufe bzw. automatische Folge der zur Erfüllung von Art. 147 vorgenommenen Eingriffe in den korrekten Ablauf der Datenverarbeitung ist und wenn nur eine Person (bzw. ein Rechtsgutsträger) betroffen ist.

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Urkundenstraftaten: Fälschung von Ausweisen (Art. 252) – Wortlaut und Systematik

Art. 252: Fälschung von Ausweisen

Wer in der Absicht, sich oder einem andern das Fortkommen zu erleichtern, (subj. TB)

Ausweisschriften, Zeugnisse, Bescheinigungen (Tatobjekt) fälscht oder verfälscht, (Tathandlung 1. Variante)

eine Schrift dieser Art zur Täuschung gebraucht, (Tathandlung 2. Variante)

echte, nicht für ihn bestimmte Schriften dieser Art zur Täuschung missbraucht, (Tathandlung 3. Variante)

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. (Strafmass; Privilegierung gegenüber Art. 251)

> Art. 252: Ausweisfälschung als privilegierter Fall der Urkundenfälschung

- Privilegierungsgrund: Fehlen der Schädigungs- bzw. Vorteilsabsicht

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Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Urkundenstrafrecht 7

Urkundenstraftaten: Fälschung von Ausweisen (Art. 252) – Rechtsgut und Charakterisierung

Rechtsgut: Vertrauen, das Ausweisschriften, Zeugnissen und Bescheinigungen im Rechtsverkehr entgegen gebracht wird

Sonderbestimmung für bestimmte Arten von Urkunden

Ausdehnung der Strafbarkeit, welche am sub. TB anknüpft: Schädigungsabsicht bzw. Absicht des unrechtmässigen Vorteils nicht vorausgesetzt; "Absicht, das Fortkommen zur Erleichtern" als weniger weit reichende Absicht.

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Urkundenstraftaten: Fälschung von Ausweisen (Art. 252) – Obj. TB: Tatobjekt

Art. 252 Abs. 2 bis 4: Tatobjekt- besondere Urkunden (Urkundeneigenschaften gemäss Art. 110 Abs. 4

müssen erfüllt sein)– Ausweisschriften: Papiere, die der Feststellung der Identität, der

Standes- oder der Familienverhältnisse dienen• Pass, Identitätskarte, Niederlassungsbewilligung, Geburtsschein,

Familienbüchlein, ...– Zeugnisse: Bescheinigungen über eine bestimmte Ausbildung oder

über bisherige Leistungen • Schulzeugnis, Testat, Arbeitszeugnis, …

– Bescheinigungen: Generalklausel; alle anderen Schriften, die sich objektiv dazu eignen, das Fortkommen der darin genannten Person zu erleichtern

• Gesundheitsattest, Referenz für Stellen- und Wohnungssuche, …

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Urkundenstraftaten: Fälschung von Ausweisen (Art. 252) – Obj. TB: Tathandlung 1. Variante (Abs. 2)

Tathandlung 1. Var.: Fälschen (inkl. Blankettfälschung) und Verfälschen

- gemäss Urkundenfälschung i.e.S. in Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 Var. 1-3

> nicht enthalten: Falschbeurkundung

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Urkundenstraftaten: Fälschung von Ausweisen (Art. 252) – Obj. TB: Tathandlung 2. Variante (Abs. 3)

Tathandlung 2. Var.: Gebrauch eines gefälschten Ausweises zur Täuschung

- gemäss Urkundenfälschung in Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3

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Urkundenstraftaten: Fälschung von Ausweisen (Art. 252) – Obj. TB: Tathandlung 3. Variante (Abs. 4)

Tathandlung 3. Var.: Missbrauchen echter, nicht für den Täterbestimmter Ausweise

> Falschlegitimation

- betrugsähnlicher Straftatbestand (keine Fälschungsstraftat)

- Schutzrichtung: Missbrauchsschutz; d.h. Schutz von echten Ausweisen etc. vor missbräuchlicher Verwendung

> Missbrauchen: Einsatz eines echten Papiers zur Bekräftigung einer falschen Behauptung

- Adressat muss zumindest die Möglichkeit haben, den Ausweis zur Kenntnis zu nehmen

- unerheblich, auf welche Art der Täter an den Ausweis gelangt ist (einvernehmliches Überlassen durch den Berechtigten, Wegnahme, …)

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Urkundenstraftaten: Fälschung von Ausweisen (Art. 252) – Subj. TB

> Vorsatz (Eventualvorsatz genügt) betreffend alle Elemente des obj. TB> Täuschungsabsicht> Absicht, das Fortkommen zu erleichtern

- Fortkommen des Täters selbst oder einer Drittperson

- Fortkommen: Zugang zu legalen Chancen– angestrebte Besserstellung darf nicht unrechtmässig sein;

ansonsten: "unrechtmässiger Vorteil" im Sinne von Art. 251 StGB– Problem: sehr weite Auslegung des "unrechtmässigen Vorteils"

in Art. 251 durch das BGer

- BGer: jede unmittelbare Verbesserung der persönlichen Lage (sehr weit)Lehre: Verbesserung der beruflichen Stellung (enger)

- Bspe.: gefälschte Referenz bei Wohnungsbewerbung oder bei Stellenbewerbung; gefälschte Identitätskarte, um dem Täter den Zugang zu den für ihn gesperrten Spielcasinos zu ermöglichen, …

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Urkundenstraftaten: Fälschung von Ausweisen (Art. 252) – Konkurrenzen

> Verhältnis zu Art. 251- Abgrenzungskriterium: unterschiedliche Absicht

– Art. 251: Schädigungsabsicht oder Absicht, einen unrechtmässigen Vorteil zu erlangen

– Art. 252: Absicht, das (beruflich) Fortkommen zu erleichtern im Sinne des "illegalen Wahrnehmens an sich legaler Chancen/Möglichkeiten"

- wenn zumindest auch ein Schaden oder ein unrechtmässiger Vorteil beabsichtigt wird, geht Art. 251 vor; Art. 252 ist ein Auffangtatbestand bei fehlender Schädigungs- bzw. Vorteilsabsicht

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Urkundenstraftaten: Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253) – Gesetzeswortlaut und Systematik

Art. 253: Erschleichung einer falschen Beurkundung

Wer durch Täuschung bewirkt, dass ein Beamter oder eine Person öffentlichen Glaubens eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet, namentlich eine falsche Unterschrift oder eine unrichtige Abschrift beglaubigt, (1. TB-Var.)

wer eine so erschlichene Urkunde gebraucht, um einen andern über die darin beurkundete Tatsache zu täuschen, (2. TB-Var.)

wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.

> Spezialfall der mittelbaren Falschbeurkundung durch Täuschung eines Beamten oder einer Person öffentlichen Glaubens

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Urkundenstraftaten: Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253) – Obj. TB 1. Variante

> Erschleichung einer falschen Beurkundung durch Täuschung eines Beamten oder einer Person öffentlichen Glaubens (Abs. 1)

- Tathandlung: "unrichtig beurkunden lassen"

– unrichtige (= unwahre) Beurkundung rechtserheblicher Tatsachen gemäss Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 Var. 4 durch Beamte etc.

– Beurkundung muss vom Täter durch Täuschung bewirkt worden sein; Arglist ist nicht vorausgesetzt; einfache Falschangaben genügen

– falls Beamter durch den Täter nicht getäuscht wird: u.U. Anstiftung zur Urkundenfälschung im Amt gemäss Art. 317

- Beamte i.S.v. Art. 110 Abs. 3 oder Person öffentlichen Glaubens (v.a. Notar): Tatobjekt = öffentliche Urkunde i.S.v. Art. 110 Abs. 5

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Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Urkundenstrafrecht 16

Urkundenstraftaten: Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253) – Obj. TB 2. Variante

> Gebrauch einer erschlichenen unwahren Urkunde (Abs. 2)

- entspricht Art. 251 Abs. 3

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Urkundenstraftaten: Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253) – Subj. TB

> Vorsatz (Eventualvorsatz genügt); insb. hinsichtlich Täuschung des Beamten oder der Person öffentlichen Glaubens

> Schädigungs- oder Vorteilsabsicht ist nicht erforderlich (Unterschied zuArt. 251) und auch keine Absicht, das Fortkommen zu erleichtern (Unterschied zu Art. 252)

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Urkundenstraftaten: Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253) – Konkurrenzen

> Verhältnis der beiden Tatvarianten von Art. 253 StGB zueinander

- Gebrauchen (Abs. 2) als mitbestrafte Nachtat des eigentlichen Erschleichens einer falschen Beurkundung (Abs. 1)

> Verhältnis zur allgemeinen Urkundenfälschung gemäss Art. 251

- unechte Konkurrenz; Art. 253 geht als Spezialtatbestand vor

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Urkundenstraftaten: Urkundenunterdrückung (Art. 254) – Gesetzeswortlaut, Systematik

Art. 254: Unterdrückung von Urkunden

1 Wer eine Urkunde, über die er nicht allein verfügen darf, (Tatobjekt) beschädigt, vernichtet, beiseiteschafft oder entwendet, (Tathandlung: 4 Alter-nativen) in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen (Subj. TB: besondere Absicht), wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft (Strafmass).

2 Die Unterdrückung von Urkunden zum Nachteil eines Angehörigen oder Familiengenossen wird nur auf Antrag verfolgt (privilegierter TB).

> Schutzrichtung/Schutzzweck: Bestandesschutz von Urkunden; Schutz der Funktion, die einer Urkunde als Beweismittel zukommt; Verhinderung des Entziehens des Beweiswertes einer Urkunde bzw. des Eingriffs in fremde Beweismacht

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Urkundenstraftaten: Urkundenunterdrückung (Art. 254) – Obj. TB: Tatobjekt

> Tatobjekt: Urkunde, über die der Täter nicht alleine verfügen darf- Urkunde gemäss Art. 110 Abs. 4

- muss nicht unbedingt wahr (richtig) sein- muss echt (sonst verdient ihr spezifischer Beweiswert keinen

Bestandesschutz)

- kein alleiniges Verfügungsrecht des Täters über die Urkunde bzw. den Beweiswert der Urkunde

- (zumindest Mit-) Eigentumsrechte eines anderen- anderes dingliches Recht eines Dritten an der Urkunde- obligatorisches Recht auf Herausgabe- fremde Beweisinteressen an einer Urkunde in einem

Gerichtsverfahren- herauszugebende Geschäftsbücher gemäss Art. 963 ff. OR

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Urkundenstraftaten: Urkundenunterdrückung (Art. 254) – Obj. TB: Tathandlung

> Tathandlung- Beschädigen: derart weitgehende Beeinträchtigung, dass die Urkunde

nicht mehr zum Beweis gebraucht werden kann

- Vernichten: totale, umfassende Beschädigung

- Beiseiteschaffen: dem (Mit-) Berechtigten den Gebrauch der Urkunde als Beweismittel verunmöglichen, indem sie seinem Zugriff entzogen oder der Zugriff zumindest erheblich erschwert wird (BGE 113 IV 70)

- Entwenden: = wegnehmen; Spezialfall des Beiseiteschaffens

- bei Computerurkunden: insb. Löschen der Daten

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Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Urkundenstrafrecht 22

Urkundenstraftaten: Urkundenunterdrückung (Art. 254) – Subj. TB

> Vorsatz, dem Berechtigten die Urkunde als Beweismittel zu entziehen

> Absicht

- jemanden am Vermögen oder an anderen Rechten zu schädigen (Schädigungsabsicht)

oder

- sich oder einem anderen einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen (Vorteilsabsicht)

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Urkundenstraftaten: Urkundenunterdrückung (Art. 254) – Privilegierung (Abs. 2)

> Privilegierungsgrund: Tat zum Nachteil von Angehörigen oder Familiengenossen

- Angehörige: Art. 110 Abs. 1

- Familiengenossen: Art. 110 Abs. 2

> Privilegierungsfolge: (blosses) Antragsdelikt

- Strafantrag: Art. 30 bis 33

- nur durch geschädigte Person, keine Anzeige durch Dritte (Unterschied zum Offizialdelikt)

- Frist: drei Monate ab Bekanntwerden der Person des Täters

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Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Urkundenstrafrecht 24

Urkundenstraftaten: Urkundenunterdrückung (Art. 254) – Konkurrenzen

> Verhältnis zur Urkundenfälschung gemäss Art. 251- blosse Reduzierung des ursprünglichen Beweisgehalts: einzig Art. 254

ist anwendbar- wenn durch eine Beschädigung der Urkunde ein neuer beweiserheb-

licher Inhalt geschaffen wird: unechte Konkurrenz; Art. 251 geht vor- wenn eine bestehende fremde echte Urkunden vollständig beseitigt und

durch eine neue unechte Urkunde ersetzt wird: echte Konkurrenz (Realkonkurrenz)

> Verhältnis zu den Aneignungsstraftaten gemäss Art. 137 bis 139- Abgrenzung beim subj. TB

- dem Täter geht es nur darum, dem Berechtigten den Beweiswert einer Urkunde zu entziehen: einzig Art. 254 ist anwendbar

- dem Täter geht es (auch) um den eigenen Nutzen an der Urkunde: unechte Konkurrenz; Art. 137 bis 139 gehen vor

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Urkundenstraftaten: Urkundenunterdrückung (Art. 254) – Konkurrenzen (Fortsetzung)

> Verhältnis zur Sachentziehung gemäss Art. 141- in der Regel unechte Konkurrenz; Art. 254 geht als Spezialtatbestand

vor- echte Konkurrenz, wenn neben dem Beweiswert noch andere

Nutzungsrechte eingeschränkt werden

> Verhältnis zur Sachbeschädigung gemäss Art. 144- h.L.: echte Konkurrenz wegen unterschiedlicher Rechtsgüter- andere Meinung: wenn sich der Vorsatz alleine auf die Vernichtung des

Beweiswertes einer Urkunde richtet, ist unechte Konkurrenz anzunehmen; Art. 254 geht als lex specialis vor

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Urkundenstraftaten: Urkunden des Auslandes(Art. 255)

> Art. 255 gilt für alle Urkundenstraftaten, neben den explizit erwähnten Art. 251 bis 254 auch für Art. 317

> Urkunden des Auslands = Urkunden ausländischer Herkunft

- Privaturkunden: Ort der Errichtung nicht in der Schweiz

- Öffentliche Urkunden: von ausländischen Behörden, Beamten oder Personen des öffentlichen Glaubens errichtet; Ort der Errichtung nicht entscheidend, d.h. u.U. in der Schweiz errichtet

- ausländischer Beamter ist etwa auch ein schweizerischer Rechtsanwalt, der in der Schweiz als Konsul eines fremden Staates eine Urkunde ausstellt

- die Urkundenqualität bestimmt sich nach schweizerischem Recht

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Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Urkundenstrafrecht 27

Urkundenfälschung im Amt (Art. 317) und Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318)

> sind im achtzehnten Titel "Strafbare Handlungen gegen die Amts- und Berufspflichten" enthalten

> in Art. 317 und 318 liegt die Verletzung der Amts- und Berufspflichten in einer Urkundenfälschung durch Beamte bzw. der inhaltlich falschen schriftlichen Erklärung durch Medizinalpersonen, daher handelt es sich bei Art. 317 und 318 auch um Urkundenstraftaten

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Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Urkundenstrafrecht 28

Urkundenstraftaten: Urkundenfälschung im Amt(Art. 317) – Systematik und Rechtsgut

Art. 317: Urkundenfälschung im Amt

1. Beamte oder Personen öffentlichen Glaubens, die vorsätzlich eine Urkunde fälschen oder verfälschen oder die echte Unterschrift oder das echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer unechten Urkunde benützen,

Beamte oder Personen öffentlichen Glaubens, die vorsätzlich eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkunden, namentlich eine falsche Unterschrift oder ein falsches Handzeichen oder eine unrichtige Abschrift beglaubigen,

werden mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.

2. Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Busse.

> vorsätzliche (Ziff. 1) und fahrlässige (Ziff. 2) Tatbegehung sind strafbar

> Rechtsgut- allg.: Treu und Glauben im Geschäftsverkehr

- im Besonderen: Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verlässlichkeit der Beamten und Interesse des Staates an einer zuverlässigen Amtsführung durch seine Beamten

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Urkundenstraftaten: Urkundenfälschung im Amt(Art. 317) – Obj. TB: Täterkreis

> Täterkreis- Art. 317 ist ein echtes Sonderdelikt; kann nur von Beamten oder Personen

öffentlichen Glaubens begangen werden– Beteilung: Art. 26

- Beamte: Art. 110 Abs. 3- Personen öffentlichen Glaubens: Privatpersonen, die staatlich zur

Ausstellung öffentlicher Urkunden ermächtigt sind- v.a. Notar

- nicht erfasst: Behördenmitglieder (Unterschied zur Definition der öffentlichen Urkunde in Art. 110 Abs. 5)

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Urkundenstraftaten: Urkundenfälschung im Amt(Art. 317) – Obj. TB: Tathandlung

> Tathandlung- Ziff. 1 Abs. 1: Urkundenfälschung i.e.S. gemäss Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2- Ziff. 1 Abs. 2: Falschbeurkundung gemäss Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3

- Erfordernis der "qualifizierten Wahrheit"- gesetzliche Vorschriften, die gerade den Inhalt bestimmter

Schriftstücke festlegen- Prüfungspflicht einer Urkundsperson (öffentliche Urkunden

erbringen dann Beweis für die Wahrheit einer Erklärung, wenn die Urkundsperson den Sachverhalt überprüfen muss)

- garantenähnliche Stellung (aus besonderem Vertrauen, das eine Person in einem bestimmten Tätigkeitsgebiet geniesst)

- Beglaubigung einer falschen Unterschrift, eines falschen Handzei-chens oder einer unrichtigen Abschrift als blosse Beispiele

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Urkundenstraftaten: Urkundenfälschung im Amt(Art. 317) – Obj. TB: "Taterfolg"

> "Taterfolg"- nicht bloss öffentliche Urkunden, sondern auch allgemeine Urkunden sind

in Art. 317 erfasst- nicht nur Urkundenfälschungen, die der Täter kraft seines öffentlichen

Amts, d.h. innerhalb des normalen Aufgabenbereichs, begeht

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Urkundenstraftaten: Urkundenfälschung im Amt(Art. 317) – Obj. TB: Subj. TB

> Vorsätzliche Tatbegehung (Ziff. 1)- Vorsatz- Täuschungsabsicht (ungeschriebenes Merkmal)

> Fahrlässige Tatbegehung (Ziff. 2)

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Urkundenstraftaten: Urkundenfälschung im Amt(Art. 317)

Art. 317bis: Nicht strafbare Handlungen

1 Wer mit richterlicher Genehmigung im Rahmen einer verdeckten Ermittlung zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung seiner Legende Urkunden herstellt, verändert oder gebraucht, ist nicht nach den Artikeln 251, 252, 255 und 317 strafbar.

2 Wer mit richterlicher Genehmigung für eine verdeckte Ermittlung Urkunden herstellt oder verändert, ist nicht nach den Artikeln 251, 252, 255 und 317 strafbar.

> Art. 317bis = gesetzlicher Rechtfertigungsgrund i.S.v. Art. 14

> Art. 7 Abs. 2 lit. a. BVE (Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung)

> Art. 289 Abs. 4 lit. a StPO CH

> Abs. 1: verdeckter Ermittler selbst; Abs. 2: andere Personen, die für den verdeckten Ermittler Urkunden herstellen oder verändern

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Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Urkundenstrafrecht 34

Urkundenstraftaten: Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318) – Systematik und Charakterisierung

Art. 318: Falsches ärztliches Zeugnis1. Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Hebammen, die vorsätzlich ein unwahres

Zeugnis ausstellen, das zum Gebrauche bei einer Behörde oder zur Erlangung eines unberechtigten Vorteils bestimmt, oder das geeignet ist, wichtige und berechtigte Interessen Dritter zu verletzen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. (Grundtatbestand)

Hat der Täter dafür eine besondere Belohnung gefordert, angenommen oder sich versprechen lassen, so wird er mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. (Qualifizierter TB)

2. Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Busse. (Fahrlässigkeits-TB)

> Spezialfall der "Falschbeurkundung"- besonderer Täterkreis- Ausdehnung der Strafbarkeit: Zeugnis muss keine Urkunde sein (weiterer

Begriff als in Art. 251)- hinsichtlich Urkunden gemäss Art. 110 Abs. 4: (unangebrachte?)

Privilegierung einer besonderen Tätergruppe

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Urkundenstraftaten: Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318) – Obj. TB

> Täterkreis- Täterkreis: Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Hebammen- nur bei Patentierung; d.h. nur bei entsprechender staatlicher Bewilligung

- nur dann bestehen besondere Standespflichten und kommt den Zeugnissen eine erhöhte Glaubwürdigkeit zu

- nicht erfasst: Naturheilarzt, Chiropraktiker, …

> Tathandlung- Ausstellen eines falschen Zeugnisses

- Zeugnis braucht keine Urkunde gemäss Art. 110 Abs. 4 zu sein (weiterer Begriff als in Art. 251)

- schriftliches Gesundheitszeugnis (nicht bloss mündliche Auskunft); vom Täter in seiner beruflichen Eigenschaft angefertigt

- Inhalt: unzutreffendes Bild vom Gesundheitszustand eines Menschen oder eines Tiers; u.U. durch Verschweigen wesentlicher Umstände

- Bspe.: Arbeitsfähigkeitszeugnis, gesundheitliche Bescheinigung zuhanden der Militärbehörden, Geburtsschein, Todesschein, …

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Urkundenstraftaten: Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318) – Subj. TB

> Vorsatz- hinsichtlich Unwahrheit - hinsichtlich Zweckbestimmung bzw. -eignung

- Bestimmung zum Gebrauch bei einer Behörde: aus der Zweckrichtung des Zeugnisses ergibt sich, dass es zur Vorlage bei einer Stelle gedacht ist, die öffentliche Aufgaben wahrnimmt

- Gesundheitsattest zuhanden der Militärbehörden, Zeugnis über die Arbeitsfähigkeit zuhanden der Arbeitslosenversicherung, …

- Bestimmung zur Erlangung eines unberechtigten Vorteils: die Zweck-richtung des Zeugnisses zielt auf den Erhalt einer Bereicherung, auf die kein rechtlicher Anspruch besteht

- bspw. Zeugnisse zuhanden von Arbeitgeber, privater Versicherung, …

- Eignung zur Verletzung wichtiger und berechtigter Interessen Dritter- blosse Verletzungseignung

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Urkundenstraftaten: Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318) – Qualifikation (Ziff. 1 Abs. 2)

> Qualifikationsgrund: besondere Belohnung gefordert, angenommen oder versprechen lassen

- Belohnung: jegliche Art von objektivierbarer Besserstellung- gefordert: die Gewährung einer Belohung verlangen- angenommen: tatsächliche Inempfangnahme einer Belohnung- versprechen lassen: Zusage der Annahme einer Zuwendung in einem

späteren Moment

> Qualifikationsfolge- gemäss Gesetzestext kein strengerer Strafrahmen- Berücksichtigung bei der Strafzumessung (im Rahmen des Verschuldens)

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Urkundenstraftaten: Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318) – Konkurrenzen

> Verhältnis zu Art. 251 (Urkundenfälschung)- unechte Konkurrenz; Art. 318 geht als lex specialis (trotz milderer

Strafdrohung von Art. 318, was eine Privilegierung des Täterkreises bedeutet)

> Verhältnis zu Art. 317 (Urkundenfälschung im Amt)- wenn der Täter zugleich Arzt und Beamter ist: unechte Konkurrenz;

Art. 317 geht vor

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Urkundenstraftaten: Falsches ärztliches Zeugnis (Art. 318) – Fahrlässige Tatbegehung (Ziff. 2)

> Fahrlässigkeit- h.L.: bezieht sich auf die unrichtigen Angaben zum Gesundheitszustand

(z.B.: unsorgfältige medizinische Abklärung)

andere (weitergehende) Meinung: kann sich auch auf den Zweck der Verwendung beziehen (z.B.: nicht nachfragen, für wen das Zeugnis bestimmt ist)

- Sorgfaltsmassstab ergibt sich aus Gesetz, Standesregeln oder der für die (spezial-) ärztliche Tätigkeit übliche Praxis