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6 NMR von Proteinen 6.1 Proteine 6.1.1 Motivation und Grundlagen Proteine gehören zu den wichtigsten Bestandteilen aller lebenden Organismen. Sie stellen den mengen- mäßig größten Anteil der Biomoleküle und spielen eine wichtige Rolle unter anderem für die Struktur sowie für sämtliche chemischen Reaktionen, welche durch Enzyme gesteuert werden. Die Struktur und Funktion von Proteinen zu verstehen ist deshalb zu einer der wichtigsten Ziele von Biologie und Medi- zin geworden. Chemisch sind Proteine Makromoleküle, welche aus einer Sequenz von Aminosäuren bestehen. Diese können jeweils durch die Formel NH-CHR i -CO be- schrieben werden, wobei der ”Rest”, resp. die Sei- tenkette R i für die jeweilige Aminosäure charakteri- stisch ist. Die Sequenz der Aminosäuren ist in den Genen codiert. Abbildung 6.1: Aminosäurensequenz von Insulin. Der erste Schritt für die Charakterisierung von Pro- teinen ist die Bestimmung der Aminosäurensequenz. Als erstem gelang es Sanger 1955, die Sequenz ei- nes Proteins zu bestimmen (Insulin). Er erhielt dafür 1958 den Nobelpreis. Das Sanger Verfahren wurde später weiter entwickelt und teilweise automatisiert. Da die Sequenz in der DNA codiert ist kann sie auch über die Sequenzierung der DNA bestimmt werden. 6.1.2 Strukturbestimmung Allerdings ist die Sequenz noch nicht direkt für die Funktion zuständig. Die Ketten der Aminosäuren falten sich und erst die daraus entstehende dreidi- mensionale Struktur bestimmt die biologische Funk- tion. Die erste dreidimensionale Struktur eines Pro- teins wurde 1958 bestimmt (Myoglobin und Hämo- globin). Die Funktionsweise und damit die Struktur der Pro- teine ist eine essentielle Grundlage für das Verständ- nis von vielen biologischen und medizinischen Pro- zessen. Man versucht deshalb schon seit vielen Jah- ren, die Struktur von Proteinen zu bestimmen. Dies ist allerdings keine einfache Aufgabe, und erst in den letzten Jahren gelang das im großen Stil. Abbildung 6.2: Anzahl der Proteinstrukturen in der ”Protein Data Bank”. Inzwischen wächst die Zahl der Strukturen exponen- tiell an. Im letzten Jahr wurden mehr als 7000 Struk- turen neu in der ”protein data bank” deponiert. Die meisten dieser Strukturen wurden mit Rönt- genbeugung an Kristallen bestimmt, aber ein zu- nehmend größerer Teil wird mit Hilfe von NMR bestimmt. Strukturbestimmung mit Hilfe der NMR ist zwar aufwändiger, hat aber auch gewisse Vor- teile gegenüber der Röntgenmethode: Damit kann das Protein in wässriger Lösung, d.h. unter eini- germaßen physiologischen Bedingungen untersucht 111

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6 NMR von Proteinen

6.1 Proteine

6.1.1 Motivation und Grundlagen

Proteine gehören zu den wichtigsten Bestandteilenaller lebenden Organismen. Sie stellen den mengen-mäßig größten Anteil der Biomoleküle und spieleneine wichtige Rolle unter anderem für die Struktursowie für sämtliche chemischen Reaktionen, welchedurch Enzyme gesteuert werden. Die Struktur undFunktion von Proteinen zu verstehen ist deshalb zueiner der wichtigsten Ziele von Biologie und Medi-zin geworden.

Chemisch sind Proteine Makromoleküle, welche auseiner Sequenz von Aminosäuren bestehen. Diesekönnen jeweils durch die Formel NH-CHRi-CO be-schrieben werden, wobei der ”Rest”, resp. die Sei-tenkette Ri für die jeweilige Aminosäure charakteri-stisch ist. Die Sequenz der Aminosäuren ist in denGenen codiert.

Abbildung 6.1: Aminosäurensequenz von Insulin.

Der erste Schritt für die Charakterisierung von Pro-teinen ist die Bestimmung der Aminosäurensequenz.Als erstem gelang es Sanger 1955, die Sequenz ei-nes Proteins zu bestimmen (Insulin). Er erhielt dafür1958 den Nobelpreis. Das Sanger Verfahren wurdespäter weiter entwickelt und teilweise automatisiert.Da die Sequenz in der DNA codiert ist kann sie auchüber die Sequenzierung der DNA bestimmt werden.

6.1.2 Strukturbestimmung

Allerdings ist die Sequenz noch nicht direkt für dieFunktion zuständig. Die Ketten der Aminosäurenfalten sich und erst die daraus entstehende dreidi-mensionale Struktur bestimmt die biologische Funk-tion. Die erste dreidimensionale Struktur eines Pro-teins wurde 1958 bestimmt (Myoglobin und Hämo-globin).

Die Funktionsweise und damit die Struktur der Pro-teine ist eine essentielle Grundlage für das Verständ-nis von vielen biologischen und medizinischen Pro-zessen. Man versucht deshalb schon seit vielen Jah-ren, die Struktur von Proteinen zu bestimmen. Diesist allerdings keine einfache Aufgabe, und erst in denletzten Jahren gelang das im großen Stil.

Abbildung 6.2: Anzahl der Proteinstrukturen in der”Protein Data Bank”.

Inzwischen wächst die Zahl der Strukturen exponen-tiell an. Im letzten Jahr wurden mehr als 7000 Struk-turen neu in der ”protein data bank” deponiert.

Die meisten dieser Strukturen wurden mit Rönt-genbeugung an Kristallen bestimmt, aber ein zu-nehmend größerer Teil wird mit Hilfe von NMRbestimmt. Strukturbestimmung mit Hilfe der NMRist zwar aufwändiger, hat aber auch gewisse Vor-teile gegenüber der Röntgenmethode: Damit kanndas Protein in wässriger Lösung, d.h. unter eini-germaßen physiologischen Bedingungen untersucht

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Abbildung 6.3: Gesamtzahl der Proteinstrukturenund Anteil der Strukturen, die mitNMR bestimmt wurden.

werden, während für Untersuchungen mit Hilfe derRöntgenbeugung (gute!) Einkristalle benötigt wer-den. Da nicht alle Proteine kristallisiert werden kön-nen ist häufig die NMR die einzig mögliche Metho-de.

Neben der Struktur erlaubt die NMR auch in vielenFällen Untersuchungen zur Funktion. So kann man(in geeigneten Systemen) feststellen, welcher Teil ei-nes Proteins an ein anderes Molekül ankoppelt. Ent-scheidend dafür ist, dass NMR Untersuchungen inFlüssigkeit, d. h. unter (nahezu) physiolgischen Be-dingungen durchgeführt werden können. Die Unter-suchung von Struktur und Funktion von Proteinengehört inzwischen zu den wichtigsten Anwendungender magnetischen Resonanz.

6.1.3 Aminosäuren und Peptide

Proteine sind natürliche Polymere, also Makromo-leküle, die aus einer Sequenz von kleineren Mole-külen, den Monomeren, zusammengesetzt sind. DieGrundbestandteile der Proteine sind die Aminosäu-ren. Alle Aminosäuren, außer der einfachsten, demGlycin, sind chiral und daher optisch aktiv.

Aminosäuren werden über Peptidbindungen mit-einander verknüpft: Dabei wird ein Wassermoleküleliminiert und es entsteht eine C-N Bindung vonC=O nach N-H.

Auf diese Weise entstehen Ketten von Aminosäuren.

Abbildung 6.4: Aminosäuren (links) und die sieverbindenden Peptidbindungen(rechts).

Abbildung 6.5: Sequenz von Aminosäuren.

Kurze Ketten werden als Peptide bezeichnet, langeKetten als Proteine.

Abbildung 6.6: Aminosäuren

Von allen in der Natur vorkommenden Aminosäu-ren werden nur 20 ribosomal in Proteine eingebaut.Auch damit ist eine sehr große Strukturvielfalt mög-lich: für ein Protein mit N Aminosäuren gibt es N20

Kombinationsmöglichkeiten. Damit ist schon bei ei-ner Kettenlänge von weniger als 80 Aminosäuren imUniversum nicht genügend Masse vorhanden, um al-le möglichen Kombinationen zu realisieren.

Die Sequenz der Aminosäuren wird mit einer abge-kürzten Notation gelistet. Dabei beginnt man jeweilsam N-Terminus, d.h. an demjenigen Ende der Ami-nosäurenkette, an der sich die NH2-Gruppe befindet.

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6.1.4 Strukturen

Die Funktion der Proteine ist stark mit ihrer räum-lichen Struktur verknüpft. Man unterscheidet unter-schiedliche Arten von Strukturen:

Die Primärstruktur besteht aus der Aneinander-reihung von Aminosäuren, der Aminosäuresequenz.Das Protein ist sehr langgestreckt, wobei dieser lan-ge Faden sehr flexibel ist: die einzelnen Molekülteilekönnen jeweils um die N-Cα und Cα -CO Bindungenpraktisch frei rotieren. Dadurch ergeben sich sehrviele unterschiedliche Möglichkeiten für die räum-liche Anordnung. Es ist deshalb eigentlich erstaun-lich, dass in Wirlichkeit der überwiegende Teil derProteinmoleküle eine relativ wohl definierte Struk-tur besitzt. Diese bildet sich zunächst lokal; manspricht hier von der Sekundärstruktur. Diese ent-steht durch Wechselwirkungen zwischen den Ami-nosäuren und wird meist durch Wasserstoffbrückenstabilisiert. Es entstehen Helizes, Faltblätter, Schlei-fen und anderen Strukturen. Die beiden wichtig-sten Strukturelemente sind die α−Helix und dasβ−Faltblatt.

Abbildung 6.8: α-Helices in Myoglobin

Schöne Beispiele für α-Helices findet man in Myo-globin. Dies war auch das erste Protein, dessenStruktur mit Hilfe von Röntgenbeugung bestimmtwurde. In diesen beiden Strukturelementen kön-nen die Aminosäuren ihre möglichen Wasserstoff-brücken bilden.

Abbildung 6.9: Tertiär- und Quartärstrutkur vonProteinen

Die Tertiärstruktur ist die dreidimensionale An-ordnung der Sekundärstrukturen und ist häufig diebiologisch aktive Struktur des Proteins. Das Prote-in bildet diese Struktur aufgrund von Wechselwir-kungen zwischen den einzelnen Aminosäuren. Diewichtigsten Wechselwirkungen sind Wasserstoff-und Disulphid Brücken, sowie van der Waals Wech-selwirkungen. Außerdem spielen hydrophobe Wech-selwirkungen eine wichtige Rolle: die Aminosäu-ren sind teilweise hydrophob, d.h. sie werden vomWasser gemieden. Hydrophobe Teile eines Proteinssind meist entweder im Inneren der Struktur oder imInneren einer Lipidmembran. Geladene oder polareAminosäuren sind dagegen hydrophil.

Die Tertiärstruktur bildet sich spontan, aber nur beigeeigneten Bedingungen. So kann sie z.B. durch Zu-gabe von Harnstoff aufgelöst werden. Die Funktioneines Proteins läuft häufig über Änderungen dieserKonformation.

Die Aneinanderreihung von Proteinmolekülen inOligomere wird als Quartärstruktur bezeichnet.

6.1.5 Funktion

Die Aufgaben der Proteine sind vielfältig:

• Strukturbildung und -erhaltung. Die mecha-nische Stabilität von Zellen ist dafür ein Bei-spiel (Collagen).

• Bewegung. Die Muskelbewegung entstehtdurch ein Zusammenspiel von Actin und Myo-sin.

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Abbildung 6.7: Primär- und Sekundärstruktur von Proteinen

Abbildung 6.10: Bindung von Sauerstoff an das Hä-moglobin verändert die Strukturdes Komplexes.

• Transport. Durch Proteine werden Stoffedurch die Blutbahn transportiert. Hämoglobintransportiert Sauerstoff und Kohlendioxid zwi-schen Lunge und Gewebe. Ein weiteres Bei-spiel sind Ionenkanäle in Zellmembranen.

• Schutz und Abwehr. Im Immunsystem gibt esImmunglobuline und Antikörper für die Immu-nabwehr.

• Regulation und Steuerung von Zellvorgän-gen. Jeder hormonale Prozeß verläuft zum Bei-spiel über Proteine als Rezeptoren, sie dienenauch häufig der Informationsweiterleitung.

• Katalyse. Alle im Organismus ablaufende che-mischen Prozesse werden durch Enzyme kata-

lysiert

Abbildung 6.11: Kofaktor des Hämoglobins

In vielen Fällen führen die Proteine diese Funktio-nen nicht alleine aus, sonder benötigen dazu weitereMoleküle, sogenannte Kofaktoren.

6.2 Methodik derStrukturaufklärung

6.2.1 NMR von Proteinen

Proteine enthalten in erster Linie C, N, O und H Ato-me. Während die H Atome direkt für die NMR ver-wendet werden können, sind bei C fast 99% der Ker-ne ohne Spin, bei O mehr als 99%. Im Falle vonN besitzen beide natürlich vorkommenden Isotope

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(14N, I=1 und 15N, I=1/2) einen Spin. Allerdings ist14N für die NMR von Proteinen nicht geeignet: DerSpin besitzt nicht nur ein magnetisches Dipolmo-ment, sondern auch ein elektrisches Quadrupolmo-ment. Dieses sorgt für relativ effiziente Relaxationund damit breite Resonanzlinien. Für hochaufgelö-ste Spektren muss deshalb Stickstoff mit 15N ange-reichert werden. Beim Kohlenstoff kann man 13C an-reichern. 17O Anreicherung des Sauerstoffs wird nurselten verwendet.

Proteine sind relativ komplexe Moleküle, die einegroße Zahl von nicht äquivalenten Spins enthalten.Entsprechend komplex wird das Spektrum.

Abbildung 6.12: 1H-Spektren des Peptides Gramici-din bei unterschiedlichen Feldstär-ken.

NMR von Proteinen wurde erst möglich, als Magne-ten mit genügend hohen Feldstärken und hoher Auf-lösung zur Verfügung standen. In der Figur ist ge-zeigt, wie die Auflösung eines Spektrums für ein ein-faches Protein mit der Feldstärke besser wird. Grö-ßere Proteine werden nur noch bei 800, 900 oder 950MHz 1H Frequenz gemessen.

Bei einem relativ kleinen Protein wie Ubiquitin kannman bei 500 MHz noch einige der relevanten Berei-che erkennen. Eine Zuordnung ist aufgrund des star-ken Überlapps aber nicht möglich.

6.2.2 Empfindlichkeit und Linienbreite

Typische Proben bestehen aus etwa 0.5 ml Lösung,in der das Protein eine Konzentration von 0.1 - 3 mM

Abbildung 6.13: 1H NMR Spektrum von Ubiquitin.

vorhanden sind. Bei einer Konzentration von 1 mMbefinden sich somit etwa

10−3 ·0.5 ·10−3 ·6 ·1023 = 3 ·1017

Moleküle in der Probe.

Ein relativ kleines Protein mit 100 Aminosäurenenthält z.B. 100 Resonanzen im Bereich der NH-Protonen (≈6.5-10.5 ppm) und im Bereich der Cα

Protonen (≈4-6 ppm) und ein Vielfaches davonim Bereich der Seitenketten - Aufspaltungen durchKopplungen jeweils nicht mitgerechnet. Bei einer 1HResonanzfrequenz von 500 MHz entspricht ein Be-reich von 2 ppm jeweils 1 kHz. Somit wäre es auchunter idealen Bedingungen nur dann möglich, al-le Resonanzlinien getrennt zu beobachten, wenn dieLinienbreiten weniger als 5 Hz betragen. Eine guteAuflösung ist deshalb sehr wichtig.

Ein weiteres Problem ist die Empfindlichkeit - ab-solut sowie relativ zum Lösungsmittel. So enthältreines Wasser 55 Mol/l, also mindestens 104 malWasser-Moleküle pro Protein-Molekül. Damit dasSignal nicht vom Wassersignal überdeckt wird wirdhäufig in D2O gearbeitet. Allerdings geht dabei auchein Teil der NH-Protonen verloren.

Außerdem wurden experimentelle Techniken zurUnterdrückung des Wassersignals entwickelt. Aller-dings führen auch diese häufig zu einer Abschwä-chung z.B. der NH-Signale.

Je größer ein Protein, desto langsamer bewegt essich. Gemäß Stokes Gesetz hat ein sphärisches Mo-lekül mit (effektivem hydrodynamischem) Radius

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Abbildung 6.14: a) Normales 1H NMR Spektrum ei-ner 50 mM Lösung. b) 1000 malvergrößert. c) Wasser vor der ei-gentlichen Anregung durch selekti-ven Puls gesättigt. d) Spektrum mitselektiver Anregung (aus J. Magn.Reson. A, 112, 275 (1995).).

rH die Korrelationszeit

τc =4πηr3

H3kBT

.

Hier stellt η die Viskosität des Lösungsmittels dar.Bei einem relativ kleinen Protein wie Ubiquitin(Mr = 8400) beträgt der hydrodynamische RadiusrH ≈ 16.5 Å und die Korrelationszeit τc=3.8 ns. Diesist bereits deutlich länger als die inverse Larmorfre-quenz (14 T : ωL = 3,8 ·109s−1, d.h. τcωL≈ 14). Mitzunehmender Größe des Proteins nimmt die Korre-lationszeit zu, die Effizienz des Mittelungsprozessesdurch dir Rotation nimmt ab und damit die Breite derResonanzlinien zu.

Die Linienbreiten in den Spektren hängen u.a. auchvon der Zubereitung der Proben ab: In welchem Me-dium und bei welcher Temperatur das Protein die be-sten Spektren ergibt und außerdem lange genug er-halten bleibt bis die Messdaten aufgenommen sind,muss praktisch für alle Proben neu bestimmt wer-den. Eine höhere Temperatur ergibt kürzere Korrela-tionszeiten; allerdings denaturieren alle Proteine beizu hohen Temperaturen. Ein wichtiger Parameter istder pH der Lösung: viele Proteine verhalten sich un-terschiedlich in saurem, resp. basischen Medium.

6.2.3 Zuordnung der Resonanzen

Der erste Schritt der Strukturaufklärung besteht inder Zuordnung der Resonanzen. Erste Hinweise da-für erhält man aus der chemischen Verschiebung.Wie bereits erwähnt muss man dafür jedoch mei-stens mehrdimensionale Spektren verwenden.

Abbildung 6.15: Chemische Verschiebungen derAminosäuren im 13C und 1HNMR Spektrum. Die einzelnenAminosäuren sind durch ihren1-Buchstaben Code markiert.

In der Figur sind Richtwerte für die 1H und 13C Fre-quenzen für die einzelnen Aminosäuren aufgetragen.Im Idealfall kann man damit die Resonanzen einembestimmten Aminosäurentyp zuordnen. Allerdingsenthält ein Protein im Allgemeinen mehrere Amino-säuren des gleichen Typs an unterschiedlichen Posi-tionen. Außerdem sind die unterschiedlichen Ami-nosäuren nicht klar getrennt.

Sehr nützlich für die Zuordnung ist z.B. der NH-CαH Bereich des COSY Spektrums. Er ist relativ gutaufgelöst und ergibt von den meisten Aminosäurengenau eine Resonanzlinie. Ausnahmen sind Glyzin(1 CαH Protonen) und Prolin (kein CαH Proton).

6.2.4 Seitenketten

Die einzelnen Arten von Aminosäuren unterschei-den sich durch ihre Seitenketten. Es ist deshalb wich-

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Abbildung 6.16: NH-CαH Bereich des COSY Spek-trums von Ubiquitin. Die meistender erwarteten 78 Linien sind zuge-ordnet.

tig (un meistens notwendig), diese in die Identifi-kation einzubeziehen. Da COSY Spektren die che-mischen Bindungen zwischen den Kernen reflektie-ren kann man sie z.B. benutzen, um unterschiedlicheAminosäuren zu unterscheiden. Die meisten Kopp-lungen, die man in COSY Spektren verwendet, sindKopplungen über 3 Bindungen, also z.B. H-C-C-H.Somit erhält man vor allem Kreuzpeaks zwischenProtonen, die an den gleichen, oder einen benach-barten Kohlenstoff (oder Stickstoff) gebunden sind.

Abbildung 6.17: COSY Muster unterschiedlicherAminosäuren.

In Figur 6.17 sind die resultierenden Muster für 3 un-terschiedliche Aminosäuren gezeigt. Ausgangspunktfür die Zuordnung ist das α-CH Proton, welches ent-weder auf Grund seiner chemischen Verschiebungoder auf Grund einer Kopplung an ein N-H Pro-ton identifiziert werden kann. Im Alanin ist das α-CH Proton an eine Methylgruppe gekoppelt, im Gly-

zin an ein weiteres α-CH Proton. Im dritten Bei-spiel (Leukin) ist die Seitenkette relativ lang. Dasα-CH Proton ist hier an zwei unterscheidbare Pro-tonen der β -CH2 Gruppe gekoppelt, diese wieder-um an ein einzelnes γ-CH und dieses wiederum an 2CH3 Gruppen.

Auch das NOESY Spektrum kann zur Identifiationder Linien genutzt werden.

Abbildung 6.18: Identifizierung von Aminosäurenund Nachbarschaften mittels NOE-SY Kreuzpeaks.

In diesem Beispiel findet man Kontakte von einemNH Proton zu den verschiedenen Protonen im Sei-tenast der vorangehenden Aminosäure koppelt. DieStruktur (1 α , 1 β , 6 CH3) zeigt dass es sich um einValin handelt.

6.2.5 Sequenzierung

Um die Sequenz der Aminosäuren zu verifizierenund die zugehörigen Resonanzen zu identifizierenkombiniert man die Informationen aus COSY undNOESY Spektren.

Abbildung 6.19: COSY Spektren liefern Informatio-nen über Kopplungen.

Aus dem COSY Spektrum erhält man die Infor-mationen über “chemisch” benachbarte Protonen,

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d.h. über Protonen, welche durch nicht mehr als 3Bindungen (meistH-C-C-H oder H-C-N-H) getrenntsind. Entlang der Hauptkette des Proteins sind diesdie N-H Protonen der Amidgruppe, welche mit demCα -H Proton der gleichen Aminosäure koppeln.

Abbildung 6.20: Geometrische Information aus demNOESY Spektrum.

Aus dem NOESY Spektrum erhält man hingegen In-formationen über die räumliche Distanz zwischenden Protonen. Dies betrifft einerseits die Distanzzwischen dem Cα -H Proton einer Aminosäure unddem N-H Proton der nächsten Aminosäure, anderer-seits die Distanz zwischen unterschiedlichen Berei-chen der Kette, welche durch die räumliche Faltungbenachbart sind.

Abbildung 6.21: Sequenzierung durch Kombinationvon COSY (innerhalb einer AS)und NOESY (aufeinanderfolgendeAS).

Aufgrund der räumlichen Nähe zwischen dem NHProton einer Aminosäure mit der vorangehendenAminosäure findet man meist einen Kreuzpeak imNOESY Spektrum. Damit ist es möglich, eine Ver-bindung zwischen zwei aufeinander folgenden Ami-nosäuren zu erstellen. Innerhalb der Aminosäurekann man wiederum mit Hilfe des COSY Spektrumsdie zusammen gehörigen CH und NH Protonen kor-relieren.

Abbildung 6.22: Kombination von NOESY und CO-SY Spektrum. Damit ist es prinzi-piell möglich, die gesamte Amino-säurensequenz zu bestimmen.

Kombiniert man die Information eines NOESYSpektreum mit dem eines COSY Spektrums, so istes prinzipiell möglich, dies gesamte Aminosäuren-sequenz zuzuordnen: Das COSY Spektrum erlaubtdie Messung der Kopplungen zwischen einem α-CHund dem NH in der gleichen Aminosäure. Das NOE-SY Spektrum verbindet das α-CH mit dem NH dernächsten Aminosäure. Diese beiden Protonen sindsich räumlich benachbart und ergeben deshalb einenKreuzpeak im NOESY Signal. Wegen der dazwi-schen liegenden C=O Gruppe findet man jedoch kei-ne messbare Kopplung, so dass im COSY Spektrumkein Signal erscheint.

Da die Spektren häufig zu voll sind verwendet manunterschiedliche Techniken, um den Überlapp derSignale zu reduzieren. Eine wichtige Technik, wel-che nur Signale von Gruppen von Spins (im Gegen-satz zu isolierten Spins) übrig lässt, ist das Doppel-quantenfilter. Wie hier am Beispiel von BPTI gezeigtwerden damit die einzelnen Resonanzlinien getrenntsichtbar. Dargestellt ist der Bereich der NH-Protonenvon BPTI.

Neben der Sequenz interessiert man sich vor al-

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Abbildung 6.23: Vergleich eines gewöhnlichen CO-SY Spektrums (links) mit einemDoppelquanten-gefilterten COSYSpektrum (rechts).

lem für die Konformation der Kette. Diese wird imWesentlichen durch die Diederwinkel bestimmt. Ei-ne Möglichkeit, diese zu messen bieten die Kopp-lungskonstanten. Der Betrag der Kopplungskonstan-ten hängt ab vom Diederwinkel.

Abbildung 6.24: Kopplungskonstanten als Funktiondes dihedralen Winkels in Ubiqui-tin.

Relevant sind vor allem Kopplungen zwischen 2 Pro-tonen, welche über 3 Bindungen, in einem FragmentHCCH miteinander verbunden sind. Die nach Kar-plus benannte Beziehung sagt, dass die Kopplungs-konstante vom Diederwinkel φ wie

J ≈ A + B cosφ + C cos2φ

abhängt. Offensichtlich ermöglicht dies i.A. kei-

ne eindeutige Bestimmung des Winkels. Es ist je-doch eine sehr nützliche Information, z.B. um mög-liche Strukturen auszuschließen. Allgemein wer-den Strukturen nicht durch eine einzelne Größe be-stimmt.

6.2.6 Heteronukleare Experimente:Empfindlichkeit

Bei größeren Proteinen ist es nicht möglich, die Re-sonanzen allein aufgrund der 1H NMR Spektren zu-zuordnen, da die Zahl der Resonanzlinien wie auchihre Breite mit der Größe des Proteins zunimmt. DaHeterokerne einen wesentlich größeren Bereich anchemischen Verschiebungen aufweisen gelingt dieZuordnung mit Hilfe heteronuklearer Experimentenoch für deutlich größere Moleküle.

Die interessantesten Heterokerne für Proteine sind13C und 15N. Die natürliche Häufigkeit von 13C be-trägt rund 1.1 %, diejenige von 15N 0.37 %. Damitwäre die Empfindlichkeit für große Moleküle deut-lich zu klein. Man arbeitet deshalb ausschließlichmit markierten Molekülen, d.h. mit Molekülen, indenen die entsprechenden Isotope angereichert wur-den. Dies trägt natürlich wesentlich zum Aufwandbei der Probenherstellung bei.

Für eine weitere Erhöhung der Empfindlichkeit wirdmeistens zuerst Magnetisierung von den 1H auf dieHeterokerne übertragen und die Detektion wieder-um auf den Protonen durchgeführt. Die Polarisati-on der Kernspins ist proportional zum gyromagneti-schen Verhältnis. Gegenüber 13C ist damit die Pola-risation der Protonen um einen Faktor 4 höher, ge-genüber 15N sogar um den Faktor 10. Bei der Detek-tion ist die Empfindlichkeit in etwa proportional zuγ3/2. Damit gewinnt man bei 13C etwa einen Faktor8, bei 15N etwa einen Faktor 30.

Das Standardexperiment im heteronuklearen Be-reich ist das HSQC, welches vor allem verwendetwird, um NH-Protonen mit den entsprechenden 15NSpins zu korrelieren.

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Abbildung 6.25: Unterschiedliche Linienbreiten ineinem 15N-1H COSY Experiment.

6.2.7 Auflösung und Linienbreite

Nicht alle Linien im Spektrum haben die gleicheLinienbreite. Es kann sich deshalb auszahlen, spe-zifisch nur eine bestimmte Linie in einem Multi-plett anzuregen, um damit die Linienbreite zu mi-nimieren, resp. die Auflösung zu maximieren. Dasentsprechende Experiment hat das Akronym TRO-SY. Es basiert auf der Interferenz unterschiedlicherRelaxationsmechanismen, in diesem Fall Relaxationaufgrund der chemischen Verschiebungsanisotropie(CSA) und der Dipol-Dipol Wechselwirkung. Bei-des sind orientierungsabhängige Wechselwirkungen,welche durch die Molekülrotation im Mittel ver-schwinden, aber zur Relaxation beitragen. In einerLinie eines Dubletts addieren sich die beiden Wech-selwirkungen, in der anderen heben sie sich gegen-seitig auf. Im TROSY Experiment wird deshalb spe-zifisch die schmalste Linie angeregt, also diejenige,bei der die Beiträge zur Relaxation sich aufheben.

6.2.8 3D Experimente

Abbildung 6.26: Pulsfolge für das 3D NOESY-HSQC Experiment.

Ein wichtiges 3D Experiment ist die Kombinati-on NOESY-HSQC: Hier wird die Distanz zwischen

Protonen gemessen, wobei einer der beiden Partnerdurch die Korrelation mit einem Heterokern (z.B.15N) identifiziert, resp. die Linie aufgelöst wird.

Abbildung 6.27: 2D Ausschnitte aus einem 3DNOESY-HSQC Spektrum von ubi-quitin. Gezeigt sind die beiden1H Dimensionen, jeweils zu 2unterschiedlichen 15N Frequenzen.Rechts zum Vergleich das normaleNOESY Spektrum.

Die entsprechenden Spektren zeigen eine deutlichbessere Auflösung und geringeren spektralen Über-lapp. Insbesondere fehlt in den heteronuklearenSpektren die Wasserlinie, welche im NOESY Spek-trum quer durch das Spektrum läuft.

Um ein 3D Spektrum aufzunehmen muss man proindirekter Dimension eine große Zahl von einzelnenExperimenten durchführen. Dabei regt man meistnicht das ganze Spektrum, sondern nur einen Teilbe-reich an. Würde man pro indirekter Dimension z.B.1024 Datenpunkte aufnehemn, so würde ein 3D Ex-periment mehrere Wochen dauern.

In der Figur sind einige Schemata für 3D Experi-mente zusammengestellt. Sie zeigen, welche Infor-mation aus den einzelnen Spektren gewonnen wer-den kann.

6.2.9 Dipolkopplungen

Die Dipolkopplung zwischen 2 Kernspins hängt abvon der Orientierung der Kern-Kern Verbindungs-

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Abbildung 6.28: Übersicht über einige 3D Experi-mente.

Abbildung 6.29: Abhängigkeit der Dipolkopplungvon der Orientierung des internu-klearen Vektors.

vektoren:

d = d0(1−3cos2θ) .

Hier bezeichnet θ den Winkel des Kern-Kern Ver-bindungsvektors mit der z-Aches (der Mangetfeld-richtung).

In Flüssigkeiten bewegen sich die Moleküle soschnell, dass man nur den Mittelwert dieser Grö-ße beobachtet. In gewöhnlichen Flüssigkeiten ist diemolekulare Bewegung im Normalfall isotrop, d.h. eswird über alle Orientierungen gemittelt. Da der iso-trope Mittelwert∫

π

0sinθ dθ (1−3cos2

θ) = 0

verschwindet beobachtet man in isotropen Flüssig-keiten normalerweise keine Dipolkopplungen.

Nicht alle Proteine sind jedoch vollständig isotrop.Insbesondere paramagnetsiche Moleküle können ei-ne erhebliche magnetische Anisotropie aufweisen,

Abbildung 6.30: Anisotrope Mittelwerte können aufGrund einer anisotropen magneti-schen Suszeptibilität des Molekülsoder seiner Umgebung entstehen.

welche dazu führt, dass das Molekül sich zwar freibewegt, dass diese Bewegung im Mittelwert jedochnicht vollständig isotrop ist. In diesem Fall tragendie Dipolkopplungen zu den im Spektrum gemesse-nen Aufspaltungen bei. Man kann diesen Effekt auchbei Proteinen mit einer geringen magnetischen Ani-sotropie erreichen wenn man sie in ein anisotropesMedium gibt. Dafür kann man Flüssigkristalle oderViren (Phagen) verwenden.

Abbildung 6.31: 1H-15N HSQC Spektren von Ubi-quitin. Links: Isotropes Lösungs-mittel; Mitte, rechts: zunehmendanistropes LM.

Misst man das Spektrum in einem anisotropen Lö-sungsmittel, so findet man, dass die gemessenenKopplungen von der Stärke der Anisotropie ab-hängen. Man kann die Aufspaltungen als Summeder isotropen Kopplungkonstanten J und der Dipol-Dipol Kopplungskonstanten d betrachten:

δobs = J +d .

Dabei muss in beiden Fällen das Vorzeichen be-rücksichtigt werden, welches positiv oder negativsein kann. Die gemittelte Dipolkopplung ist gegeben

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durch das Produkt der statischen Dipolkopplungs-konstante mit dem Zeitmittelwert der Orientierungs-abhängigkeit,

d = d0〈1−3cos2θ〉 .

Hierbei spielt nicht nur die Stärke der Anisotropie ei-ne Rolle, sondern auch die Lage der relevanten Bin-dung im Molekül. Aus der Messung der ”residual di-polar couplings” (RDCs) kann man deshalb sehr vielInformation über die Struktur und Dynamik des Mo-leküls gewinnen.

Damit gelingt es einem prinzipiell, die Sekundär-struktur des Proteins zu bestimmen. Für die Terti-ärstruktur (also die Faltung) benötigt man weitereNOEs, diesmal nicht zwischen aufeinanderfolgen-den Aminosäuren, sondern Querverbindungen zu (inder Sequenz) weiter entfernten.

6.3 Anwendungsbeispiele

6.3.1 BPTI: Primär- und Sekundärstruktur

Die ersten Experimente zur Strukturbestimmung vonProteinen mit NMR wurden zu einem wesentlichenTeil an BPTI durchgeführt. Das Molekül hat den Na-men Aprotinin oder bovine pancreatic trypsin inhi-bitor (=BPTI), welches als Medikament verwendetwird (um Blutungen bei Operationen zu mindern).Es besteht aus 58 Aminosäuren, hat die Summenfor-mel C284H432N84O79S7 und damit ein Molekularge-wicht von 6511.

In Figur 6.32 ist als Beispiel die Zuordnung der Re-sonanzen von BPTI dargestellt. Dafür wurden dasCOSY und das NOESY Spektrum in ein Spektrumkombiniert, wobei das linke obere Dreieck das NOE-SY Spektrum darstellt, das rechte untere das COSYSpektrum. Diese Darstellungsweise erlaubt eine re-lativ einfache Sequenzanalyse: wie durch die Lini-en markiert ist gelangt man jeweils über ein Viereckvon einer Aminosäure zur nächsten.

Im Bereich von 7-10 ppm sind die Amid-Protonenim Spektrum zu finden, während die CH-Protonenim Bereich von 4-5 ppm zu finden sind. Man kann

Abbildung 6.32: Kombinationsspektrum (NOESY +COSY) von BPTI, mit Markierungeiniger Zuordnungen.

z.B. bei 8.2 ppm mit dem NH Proton der AS 16beginnen (A16 = Alanin an Pos. 16). Der Kreuz-peak im NOESY Spektrum verbindet diesen zumCαProton von K15 (Lysin) bei 4.4 ppm und das CO-SY Spektrum wiederum zum zugehörigen NH bei7.8 ppm. Das NOESY führt uns dann wieder zu C14(C=Cystein), usw.

Das NOESY Spektrum kann auch für semi-quantitative Distanzmessungen verwendet werden.Im Kapitel 5 hatten wir für Austauschexperimenteallgemein die Zeitabhängigkeit über die Differenti-algleichung

ddt

Az =−k(Az−Xz)−Az/T1

beschrieben, wobei wir ein Zweispinsystem ange-nommen hatten. Im Fall des NOESY Experimentesist k ∝ r−6, d.h. invers proportional zur 6ten Potenzdes Abstandes. Allerdings haben wir es in Proteinenmit weit mehr als 2 Spins zu tun. Diese Gleichung istsomit nur Teil eines Systems von mehreren hundertDifferentialgleichungen.

In Figur 6.33 sind die gemessenen Zeitabhängigkei-ten für einige Aminosäuren von BPTI dargestellt.Ganz Links sind die Signale für das N-H Proton von

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Abbildung 6.33: β -Faltblatt von BPTI: Zeitabhän-gigkeit einiger Kreuzpeaks mit zu-gehörigen Distanzen. (Aus Ernstet al. [1], Fig. 9.7.7.)

F22 (in der Struktur rot markiert) und rechts dane-ben für F33 (ebenfalls rot markiert) aufgetragen. Inder Struktur sind für jeweils 2 der Kurven die Ver-bindungen markiert. Die Diagonalpeaks haben diemaximale Amplitude zu Beginn der Mischzeit, wäh-rend die Kreuzpeaks mit Amplitude 0 beginnen, auf-grund der Kreuzrelaxation wachsen und schließlichaufgrund der Relaxation wieder verschwinden. Manerkennt zwei Arten von Kreuzpeaks: diejenigen wel-che für niedrige Mischzeiten linear anwachsen undandere die zunächst eine verschwindende Steigungaufweisen. Hierbei handelt es sich um Transferpro-zesse höherer Ordnung, d.h. mehrstufige Transfer-prozesse.

Neben den Resonanzen, welche benachbarte Ami-nosäuren verbinden findet man auch einige Linien,welche zwei weiter auseinander liegende Aminosäu-ren verbinden. In diesem Fall lassen sie sich erklärenwenn man annimmt, dass dieser Teil des Proteins einβ -Faltblatt bildet.

6.3.2 Tertiärstruktur

Die Tertiärstruktur erhält man im Allgemeinen erstwenn eine sehr große Zahl von NOE Kontakten ge-funden wurden.

In diesem Beispiel sind einige der ingesamt 3980 Di-

Abbildung 6.34: Struktur von ”retinol binding prote-in” mit NOE distance constraints.

stanzen eingezeichnet, welche aus NOESY Experi-menten bestimmt wurden. Es handelt sich um das”retinol binding protein II”; dargestellt ist der Teildes Proteins, der für die Bindung verantwortlich ist,zusammen mit dem Liganden Retinol (Vitamin A).Dargestellt sind diejenigen Distanzen, welche zwi-schen dem Protein (gelb) und dem Liganden (rot) be-stimmt wurden. Hier wurde somit nicht nur die Terti-ärstruktur des Proteins selber bestimmt, sondern diegesamte Struktur des Proteins mit dem gebundenenLigangen.

Abbildung 6.35: Gesamtstruktur des RBP.

Die zweite Figur stellt das gesamte Protein dar. Derblaue Strang stellt das Rückgrat des Proteins dar, das

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Retinol befindet sich im Inneren und wird von insge-samt zehn Strängen eines β -Faltblattes umgeben.

Die NMR Messungen werden immer mit Simu-lationsrechnungen (v.a. Molekulardynamik) kombi-niert, um zuverlässige Aussagen zu erhalten. Dafürwerden die aus der NMR ermittelten Distanzen alszusätzliches Pseudopotenzial in die Rechnung ge-steckt.

Abbildung 6.36: Überlagerung verschiedener mögli-cher Konformationen.

In der Figur ist der Verlauf der Hauptkette als Li-nie dargestellt. Jede einzelne Linie entspricht demResultat einer Simulationsrechnung. In vielen Fäl-len stellt man dann fest, dass nicht für das gesamteMolekül eine eindeutige Lösung erhalten wird. Diesdeutet darauf hin, dass in der Lösung Teile des Mo-leküls relativ flexibel sind.

Neben den rein statischen Informationen sind auchdynamische Informationen sehr wichtig. So kannman nicht nur die Struktur untersuchen, sondernauch Bewegungsprozesse, z.B. als Antwort auf ex-terne Stimuli wie z.B. chemische Substanzen oderLicht. Auch die Wechselwirkung zwischen unter-schiedlichen Molekülen, z.B. zwischen Enzym undSubstrat liefert wertvolle Informationen.

6.4 Festkörper

6.4.1 Grundlagen

Die meisten NMR Experimente an Proteinen werdenin Lösung durchgeführt, weil hier die spektrale Auf-lösung optimiert wird. Außerdem ist Wasser für diemeisten interessanten Proteine die natürliche Umge-bung.

Abbildung 6.37: Membranproteine.

Dies trifft jedoch nicht für alle Proteine zu. Insbeson-dere Transmembran-Proteine, also Proteine, welchein eine biologische Membran eingebettet sind. Diesesind stark lipophil und lösen sich deshalb in Wassernicht.

Moleküle in einem Festkörper geben meist sehr brei-te NMR Spektren (mehrere kHz bis mehrere 10 kHzso dass es meist schwierig ist, die Resonanzen voneinzelnen Kernen zu identifizieren. Dies ist auf diestarke Dipol-Dipol Kopplung zurückzuführen, sowieauf die Überlagerung von vielen unerschiedlichenOrientierungen in einem Pulver.

Die chemische Verschiebung ist grundsätzlich ani-sotrop, d.h. sie hängt ab von der Orientierung desMoleküls bezüglich dem Magnetfeld:

δωL = a(3cos2θ −1) .

Hier bezeichnet θ den Winkel zwischen der Haupt-achse des CSA Tensors (CSA = chemical shift ani-sotropy) und dem Magnetfeld. In einem Pulver kom-men alle Orientierungen vor und das beobachtete

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Abbildung 6.38: Pulverspektren für chemische Ver-schiebungsanisotropie (links) undDipol-Kopplung (rechts).

Spektrum entspricht einer Mittelung über alle Ori-entierungen.

Das gleiche gilt für die Dipol-Dipol Wechselwir-kung: Sie hat die gleiche Orientierungsabhängigkeit.Das Pulvermittel für die beiden Linien eines Dipol-aufgespalteten Spektrums entspricht einer Überlage-rung von zwei CSA-Mustern.

6.4.2 Magisch Winkel Rotation (MAS)

In einer Flüssigkeit beobachtet man diese Verbreite-rungen nicht, weil die Moleküle schnell rotieren unddadurch ein Bewegungsmittelwert∫

π

0dθ sinθ(3cos2

θ −1)∫ 2π

0dφ = 0

gebildet wird. Eine isotrope Mittelung technischdurchzuführen ist schwierig. Es reicht aber, wennman statt dessen die Probe um eine geeignete Achserotiert. Bei einer Rotation um eine Achse, die gegen-über dem Magnetfeld um den Winkel θ1 geneigt ist,wird der Orientierungsterm auf den Betrag

〈3cos2θ −1〉 =

12(3cos2

θ1−1)(3cos2θ2−1)

gemittelt. Hier stellt θ2 den Winkel zwischen derTensorhauptachse des Spins und der Rotationsach-se dar. Dieser Ausdruck verschwindet offensichtlichdann, wenn

θ1 = cos−1 1√3

= θm ≈ 54.7◦ .

Rotiert man die Probe um diesen Winkel, so ver-schwinden alle anisotropen Wechselwirkungen. Mannennt ihn deshalb den magischen Winkel. Er ent-spricht der Raumdiagonalen in einem Würfel.

Abbildung 6.39: Statisches Pulverspektrum vonGlyzin (oben) und MAS Spektrum(unten).

Wie in der Figur gezeigt erhält man bei einer Rota-tion um den magische Winkel (Magic Angle Spin-ning, MAS) sehr schmale Linien, im Idealfall ver-gleichbar mit den Linien in einer Flüssigkeit. Dafürmuss die Rotationsgeschwindigkeit genügend hochsein. Typische Werte sind heute 10-30 kHz, mit Spit-zenwerten bis 80 kHz. Die erreicht man, indem mandie Probe in einen Rotor mit Turbinenschaufel füllt,welche von einem Luft- oder Stickstoffstrom mit ho-her Geschwindigkeit angetrieben wird.

Die Entwicklung der MAS Technik erhöhte für dieFestkörper-NMR die Auflösung ebenso drastischwie die Einführung höherer Felstärken.

Damit ist es heute möglich, Festkröper NMR Spek-tren zu erhalten, welche eine ähnlich hohe Auflö-sung aufweisen wie entsprechende Flüsigkeitsspek-tren. Für die Untersuchung von Proteinen in Festkör-pern wird ausschließlich MAS NMR verwendet.

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Abbildung 6.40: Festkörperspektrum mitHilfe von MAS: 13C-13C-Spindiffusionsspektrum.

6.4.3 Seide

Es gibt Proteine, welche natürlicherweise in festerForm vorliegen. Dazu gehört z.B. Seide, welche alshalb-kristallines Material vorliegt. Seide ist eines derMaterialien mit der größten Reissfestigkeit - höherals Stahl. Um diese besonderen Eigenschaften bes-ser zu verstehen werden Daten über die Struktur be-nötigt.

Abbildung 6.41: Aminosäuren in Seide

Die Sequenz der Seide ist bekannt, nicht aber ihresekundäre und tertiäre Struktur. Spinnen erzeugenaus dem gleichen Ausgangsmaterial unterschiedli-che Arten von Seide, z.B. besonders reissfeste oderbesonders elastische Fäden.

Der Unterschied zwischen diesen Arten liegt offen-bar in der Anordnung der Proteinfäden im Fest-körper. Somit wird wesentlich durch die Rotationum C-C und C-N Bindungen bestimmt. Sie kannz.B. bestimmt werden, wenn man die relative Ori-entierung von benachbarten C=O Kohlenstoffen be-stimmt. Beugungsmethoden helfen dabei kaum wei-ter, da die langreichweitige Ordnung sehr gering ist.

Hingegen ist es möglich, mit NMR die relative Ori-entierung der CSA-Tensoren zu bestimmen (J.D.v.Beek, L. Beaulieu, H. Schäfer, M. Demura, T. Asa-kura, and B.H. Meier, Nature 405, 1077 (2000).). Dadiese immer an die chemischen Bindungen gekop-pelt sind erhält man daraus die gewünschte Informa-tion.

Abbildung 6.42: Mögliche 2D Spektren für unter-schiedliche Orientierungen der bei-den dihedralen Winkel ψ und φ .

Die Figur zeigt die erwarteten Pulverspektren alsFunktion der beiden Winkel ψ und φ . Die farbig un-terlegten Bereiche sind energetisch günstig (gemäßMD-Simulationen).

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Abbildung 6.43: Vergleich von gerechneten und ge-messenen DOQSY Spektren vonSpinnenseide.

Vergleicht man die gemessenen Spektren (DOQ-SY = DOuble Quantum SpectroscopY) mit Spek-tren, welche für bestimmte dihedrale Winkel gerech-net wurden, so kann man den Bereich der mögli-chen Winkel stark einschränken. In Kombination mitKraftfeldrechnungen kann die vorliegende Orientie-rungsverteilung bestimmt werden.

Die beste Übereinstimmung wird für die Wertepaare(-140◦, 35◦) und (-57◦, -47◦) erhalten.

6.4.4 LichtinduzierteKonformationsänderung

Abbildung 6.44: Struktur von Retinal

Ein weiteres Beispiel für die Möglichkeiten der Fest-körper NMR für die Untersuchung von großen Bio-

molekülen ist die Untersuchung der Aktivierung vonRetinal im photosynthetischen Komplex Rhodopsin.Hier wird nicht das Protein, sondern ein darin einge-lagertes kleines Molekül, welches für die Funktiondes Proteins eine entscheidende Bedeutung hat, un-tersucht. Retinal weist eine Reihe von benachbartenDoppelbindungen auf, welche die planare Strukturstabilisieren und die Absorption von Licht ermögli-chen. Es war bereits bekannt, dass sich das Molekülbei der Absorption bewegt.

Abbildung 6.45: Orientierte Proben

Um die Art der Umordnung zu bestimmen wurdenorientierte Proben hergestellt, in der jeweils eine derMethylgruppen 18, 19 oder 20 deuteriert waren.

Abbildung 6.46: MAS Spektren von Retinal.

Das Muster der MAS Seitenbanden hängt von derOrientierung der C-C(2H)3 Bindung bezüglich derRotationsachse ab. Die gemessenen Spektren wur-den verglichen mit Rechnungen.

Aus dem Vergleich der gerechneten mit den gemes-senen Spektren können die Winkel bestimmt wer-den. In der Figur ist dargestellt wie die Spitze desMoleküls sich während der Belichtung bewegt.

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Abbildung 6.47: Struktur des Dunkelzustan-des (links) und des aktiviertenZustandes (rechts) aus zweiBlickrichtungen.

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