4
Langenbecks Arch. Chir. 349 (Kongref3bericht 1979) Langenbecks Archiv for Chirurgie © by Springer-Verlag 1979 8. Zukunftsaussichten bei der Behandlung von Infektionen in der Chirurgie J. Drews und R. D. Nolan Sandoz Forschungsinstitut GmbH, BrunnerstraBe 59, A-1235 Wien Future Aspects in the Treatment of Surgical Infections Summary. Antibacterial therapy has today entered a vicious circle in which new resistant bacterial variants appear as rapidly as new substances are introduced for treatment. Since a strong selection element is inherent in the very concept of chemotherapy, the problems ahead will probably not be solved by enhancing the classical lines of chemotherapeutic research. Alternatives are, therefore, offered which avoid some disadvantages of classical chemotherapy. The most promising of these novel approaches are: 1. The use of immune sera with antibodies directed against LPS-"core" structures of gram-negative bacilli. 2. The development of drugs which stimulate host defenses. 3. The design and development of pharmacological methods to interfere with virulence properties of bacteria. 4. Pharmacological methods to discriminate against R-factor carrying bacteria. Key words: Chemotherapy - Specific immune sera -- Immune stimulation - Bacterial virulence - R-factors. Zusammenfassung. Die antibakterielle Chemotherapie befindet sich heute in einem Circulus vitiosus: Neue resistente Bakterien erscheinen fast so schnell wie neue Chemotherapeutica oder Antibiotica in die Chemotherapie eingef/ihrt werden. Zur L6sung dieses Problems werden neue Konzepte ben6tigt, da bereits die urspriingliche Idee der Chemotherapie mit dem Prinzip der Selektion resistenter Varianten verbunden ist. Eine durchgreifende Besserung der Situation in der antibakteriellen Chemotherapie ist deshalb nut von neuen L6sungen zu erwarten, yon denen einige hier diskutiert werden: 1. Die Anwendung yon Immunseren mit Antik6rpern gegen rudimentfire LPS-Strukturen bei Gram-negativer Septik/imie. 2. Die Entwicklung yon Medikamenten, welche die Wirtsabwehr stimulieren. 3. Die Erfindung und Entwicklung pharmakologischer Methoden, mit denen man Virulenzeigenschaften yon Bakterien abschwfi- chen kann. 4. Die Entwicklung von Substanzen, die gegen die existierenden R-Faktoren selektieren. Schliisselwiirter: Chemotherapie - Spezifische lmmunseren - Immunstimulation - Bak- terielle Virulenzeigenschaften - R-Faktoren. Der gr613ere Teil dieses den KongreB der Deutschen Gesellschaft f/Jr Chirurgie einleitenden Vormittags war aktuellen Infektionsproblemen in der Chirurgie und den heute vorhandenen M6glichkeiten zur L6sung dieser Probleme gewidmet. Mit dem letzten Vortrag dieses Programmes verlassen wir das sichere Terrain der Gegenwart. Dabei gehen wir davon aus, dab die Gesetzm/iBigkeiten der Chemotherapie sich auch in Zukunft nicht findern werden, dab es aber notwendig sein wird, aufviele bis zum (JberdruB bekannte und diskutierte Fragen neue Antworten zu finden. Die Kluft zwischen den Fragen von heute und den Antworten yon morgen muB dabei zumindest teilweise durch Spekulation iiberbrfickt werden. Es sollen aber nur solche L6sungen diskutiert werden, fiir die bereits heute eine reale Basis besteht. Ihrem Wesen nach bedeutet antibakterielle Chemotherapie Selektion: unter dem EinfluB eines Chemotherapeuticums werden empfindliche Keime eliminiert, weniger sensitive Organismen iiberleben und bilden unter dem Selektionsdruck der antibakteriellen Therapie neue resistente Keimpopulationen. Resistenz gegen Antibiotica kann dutch Mutationen zustandekommen. 0023-8236/79/0349/0059/$01.00

8. Zukunftsaussichten bei der Behandlung von Infektionen in der Chirurgie

  • Upload
    j-drews

  • View
    220

  • Download
    3

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 8. Zukunftsaussichten bei der Behandlung von Infektionen in der Chirurgie

Langenbecks Arch. Chir. 349 (Kongref3bericht 1979) Langenbecks Archiv for Chirurgie © by Springer-Verlag 1979

8. Zukunftsaussichten bei der Behandlung von Infektionen in der Chirurgie

J. Drews und R. D. Nolan

Sandoz Forschungsinstitut GmbH, BrunnerstraBe 59, A-1235 Wien

Future Aspects in the Treatment of Surgical Infections

Summary. Antibacterial therapy has today entered a vicious circle in which new resistant bacterial variants appear as rapidly as new substances are introduced for treatment. Since a strong selection element is inherent in the very concept of chemotherapy, the problems ahead will probably not be solved by enhancing the classical lines of chemotherapeutic research. Alternatives are, therefore, offered which avoid some disadvantages of classical chemotherapy. The most promising of these novel approaches are: 1. The use of immune sera with antibodies directed against LPS-"core" structures of gram-negative bacilli. 2. The development of drugs which stimulate host defenses. 3. The design and development of pharmacological methods to interfere with virulence properties of bacteria. 4. Pharmacological methods to discriminate against R-factor carrying bacteria.

Key words: Chemotherapy - Specific immune sera -- Immune stimulation - Bacterial virulence - R-factors.

Zusammenfassung. Die antibakterielle Chemotherapie befindet sich heute in einem Circulus vitiosus: Neue resistente Bakterien erscheinen fast so schnell wie neue Chemotherapeutica oder Antibiotica in die Chemotherapie eingef/ihrt werden. Zur L6sung dieses Problems werden neue Konzepte ben6tigt, da bereits die urspriingliche Idee der Chemotherapie mit dem Prinzip der Selektion resistenter Varianten verbunden ist. Eine durchgreifende Besserung der Situation in der antibakteriellen Chemotherapie ist deshalb nut von neuen L6sungen zu erwarten, yon denen einige hier diskutiert werden: 1. Die Anwendung yon Immunseren mit Antik6rpern gegen rudimentfire LPS-Strukturen bei Gram-negativer Septik/imie. 2. Die Entwicklung yon Medikamenten, welche die Wirtsabwehr stimulieren. 3. Die Erfindung und Entwicklung pharmakologischer Methoden, mit denen man Virulenzeigenschaften yon Bakterien abschwfi- chen kann. 4. Die Entwicklung von Substanzen, die gegen die existierenden R-Faktoren selektieren.

Schliisselwiirter: Chemotherapie - Spezifische lmmunseren - Immunstimulation - Bak- terielle Virulenzeigenschaften - R-Faktoren.

Der gr613ere Teil dieses den KongreB der Deutschen Gesellschaft f/Jr Chirurgie einleitenden Vormittags war aktuellen Infektionsproblemen in der Chirurgie und den heute vorhandenen M6glichkeiten zur L6sung dieser Probleme gewidmet. Mit dem letzten Vortrag dieses Programmes verlassen wir das sichere Terrain der Gegenwart. Dabei gehen wir davon aus, dab die Gesetzm/iBigkeiten der Chemotherapie sich auch in Zukunft nicht findern werden, dab es aber notwendig sein wird, aufviele bis zum (JberdruB bekannte und diskutierte Fragen neue Antworten zu finden. Die Kluft zwischen den Fragen von heute und den Antworten yon morgen muB dabei zumindest teilweise durch Spekulation iiberbrfickt werden. Es sollen aber nur solche L6sungen diskutiert werden, fiir die bereits heute eine reale Basis besteht.

Ihrem Wesen nach bedeutet antibakterielle Chemotherapie Selektion: unter dem EinfluB eines Chemotherapeuticums werden empfindliche Keime eliminiert, weniger sensitive Organismen iiberleben und bilden unter dem Selektionsdruck der antibakteriellen Therapie neue resistente Keimpopulationen. Resistenz gegen Antibiotica kann dutch Mutationen zustandekommen.

0023-8236/79/0349/0059/$01.00

Page 2: 8. Zukunftsaussichten bei der Behandlung von Infektionen in der Chirurgie

60

H/iufiger als Mutationen sind jedoch genetische Mechanismen ffir die Resistenzentstehung verantwortlich, bei denen genetisches Material, das fiir Resistenzeigenschaften codiert, yon einer resistenten auf eine sensible Bakterienzelle fibertragen wird. Diese freie Austauschbarkeit von genetischer Information - selbst fiber taxonomisch definierte Grenzen hinweg - verleiht Bakterien eine besondere evolution~ire Anpassungsf/ihigkeit.

Wir befinden uns heute mit der antibakteriellen Chemotherapie in einem Circulus vitiosus: neue resistente Bakterienpopnlationen treten fast ebenso rasch auf wie neue Antibiotica in die Therapie eingeffihrt werden. Dies gilt besonders ffir die Klinik und hier wiederum ffir die operativen Bereiche und ffir die internistische Intensivmedizin. Dieser Teufelskreis der Resistenzentstehung ist mit dem herk6mmlichen Instrumentarium der Chemotherapie kaum zu durchbrechen. Ein grundlegender Fortschritt ist nur yon neuen Konzepten zu erwarten, die jenseits des traditionellen Horizontes der Chemotherapie liegen. Solche Konzepte sind zum grol3en Teil noch experimenteller Natur. MaBgebend ffir die Reihenfolge, in der sie hier vorgestellt werden, ist ihre Chance auf klinische Realisierung.

1. Die erste M6glichkeit betrifft die Herstellung und klinische Anwendung von Immunseren, die gegen bestimmte in den Zellw/inden vieler Gram-negativer Bakterien enthaltene Antigene gerichtet sind. Gram-negative Bakterien tragen an ihrer Oberfl~iche Lipopolysaccharidketten. Der /iul3ere Anteil dieser Ketten, die sogenannten O-Antigene, sind aus Einheiten aus 3 - 4 Zuckern aufgebaut. Die Reihenfolge der Zuckerbausteine in den Einheiten ist dabei sehr variabel. Diese Variabilit/it verleiht einzelnen St/immen ihre Serospezifitgt, die ja bei Salmonellen und E. coli- Spezies besonders gut untersucht ist. Der inhere Anteil der Lipopolysaccharide, der sogenannte >~core<<, ist dagegen bei allen Enterobakteriaceae und darfiber hinaus auch bei anderen Gram- negativen Organismen sehr gleichartig strukturiert. Antik6rper gegen diesen inneren Anteil haben daher die Ffihigkeit, mit den Zellwfinden einer grof3en Anzahl Gram-negativer Organismen zu reagieren. Nun gibt es Mutanten von E. coli oder auch von Salmonellen, denen die O-Antigene und auch die gr613eren Teile der core-Struktur fehlen. Diese Keime besitzen nur ein rudimentfires Lipopolysaccharid. Im Falle von E. coli 0111 J5 umfal3t dieses Antigen noch Lipoid A, Ketodes- oxyoctons/iure (KDO), Heptose und Glucose. Bei der Mutante Re595 yon Salmonella minnesota enth~ilt das Lipopolysaccharid nur noch Lipoid A und KDO. Antik6rper gegen diese Strukturen sind imstande, mit einer Vielzahl Gram-negativer Zellen zu reagieren.

Es ist in zahlreichen Tierexperimenten gezeigt worden, dab solche Antik6rper einen guten therapeutischen Effekt bei septik/imischen Infektionen mit Gram-negativen Organismen ausfiben [2 - 4]. Verantwortlich ffir diesen therapeutischen Effekt sind zwei Mechanismen: einmal sind die gegen die inneren LPS-Anteile gerichteten Antik6rper imstande, Gram-negative Bakterien zu opsonieren und sie dadurch besonders angreifbar fiir die Phagocytose zu machen. Andererseits neutralisieren sie die toxischen Effekte des inneren Lipopolysaccharidanteils, der ja Tr~ger der Endotoxinwirkung ist. Ein Endotoxinschock ist durch intravascul~re Gerinnung, erh6hte Tempe- ratur, eine Nekrose der Nierenrinde und durch einen generalisierten Kreislaufkollaps gekennzeich- net. Alle diese Effekte sind durch Antik6rper gegen das LPS von E. coli 0111 J5 oder Salmonella minnesota Re 595 aufhebbar. Es ist gezeigt worden, dab Antik6rper gegen das LPS von E. coli 0111 J5 sich durch Vaccinen freiwilliger Versuchspersonen erzeugen liel3en. Die resultierenden Immun- globuline aus diesen freiwilligen Spendern haben sich in einzelnen F~illen bei der Behandlung Gram- negativer SepticS.mien bew~ihrt, d.h. sie haben die Mortalit~itsrate, die auch bei einer optimalen antibiotischen Therapie zu erwarten ist, gesenkt. Bisher ist nur eine kleine Anzahl von Ffillen auf diese Weise behandelt worden. Das Prinzip, gegen Antigene, die einer grol3en Zahl yon Gram- negativen Species gemeinsam sind, Antik6rper zu erzeugen und diese Antik6rper wiederum zur Therapie schwerer Gram-negativer Infektionen mit Endotoxinschock (Shwartzman-Sanarelli- Ph/inomen) zu verwenden, istjedoch experimentell erprobt und scheint auch klinisch anwendbar zu sein. Dies k6nnte schon bald zu einer Bereicherung in der Therapie fulminanter Gram-negativer Infektionen in der Chirurgie werden.

2. Der zweite Weg kann als Stimulierung der Abwehrfunktion des Wirtsorganismus mit pharmakologischen Mitteln definiert werden. Die Grundfiberlegung hierzu ist sehr einfach. Immunologisch kompromittierte Patienten, die in besonderer Weise durch Gram-negative Infektionen geffihrdet sind, sind hfiufiger entweder durch ihre Krankheit oder als Folge einer aggressiven Therapie granulocytopenisch. Besonders bei malignen Systemerkrankungen kommt es

Page 3: 8. Zukunftsaussichten bei der Behandlung von Infektionen in der Chirurgie

61

h/iufig auch zu einer Verminderung und Sch/idigung von B- und T-Lymphocyten und damit zu einer Beeintrfichtigung der F/ihigkeit, eine ad/iquate humorale oder cellul/ire Immunantwort zu produzieren. Wegen ihrer relativen Resistenz gegen ionisierende Strahlen und Cytostatica sind jedoch selbst bei immunologisch kompromittierten Patienten die Zellen des mononucle/ir-phagocy- t/iren Systems noch ausreichend repr/isentiert. Es ist in vielen Tierexperimenten gezeigt worden, dab diese Zellen zur Oberwindung Gram-negativer Infektionen einen essentiellen Beitrag leisten k6nnen [10]. Einige Substanzen - die Ubichinone, Muramyldipeptide und Glucane - sind imstande, die Kapazit/it von Makrophagen zur Phagocytose und zur intracellul/iren Abt6tung von Keimen auf das Zwei-bis Dreifache ihrer >>normalen<< Leistung zu steigern [1, 5, 8]. Auch in immunologisch kompromittierten Tieren kann eine derartige pharmakologisch induzierte Steige- rung der Makrophagenfunktion die existierenden morphologischen und funktionellen Defekte im Immunsystem kompensieren. Experimentell/iuBert sich dies z. B. darin, dab granulocytopenische M~iuse, bei denen eine septic~imische Infektion mit Pseudomonas aeruginosa, mit E. coli, Klebsiella oder mit einem anderen Gram-negativen Keim kiinstlich erzeugt wurde, unter dem EinfluB der eben genannten Substanzen zu einem hohen Prozentsatz tiberleben, w/ihrend sie ohne eine solche Therapie ihrer Septic/imie erliegen. Der therapeutische Beitrag, den eine Aktivierung des mononucle/ir-phagocyt/iren Systems zur Therapie septic/imischer Infektionen mit Gram-positiven, besonders abet mit Gram-negativen Keimen leisten kann, ist experimentell bereits gut dokumen- tiert. Was noch fehlt, ist die f]bertragung dieses therapeutischen Prinzips auf den Menschen. In diesem Zusammenhang war das Fehlen von immunstimulierenden Substanzen, die auch f/Jr den Menschen gut vertr/iglich sind, bisher das Haupthindernis.

M6glichkeiten zur pharmakologischen Beeinflussung von immunologischen Parametern werden heute aber auch im Zusammenhang mit der Therapie maligner Geschwtilste intensiv untersucht. Es ist daher damit zu rechnen, dab im Laufe der n/ichsten 10 Jahre Substanzen entdeckt und entwickelt werden, die neben den heute gebr/iuchlichen Antibiotica bei bakteriellen Infektionen eingesetzt werden k6nnen und deren Angriffspunkt nicht das Bacterium selbst, sondern die Immunabwehr des infizierten Wirtes ist.

3. Ein zentrales Problem der antibacteriellen Chemotherapie liegt in der bereits eingangs erw~ihnten Selektion und Ausbreitung resistenter Keime und in den dadurch bedingten therapeuti- schen Fehlschl/igen. Der eigentliche Motor dieser Entwicklung ist die wachstumshemmende oder sogar keimabt6tende Wirkung der heute gebr/iuchlichen Chemotherapeutica und Antibiotica. In einer mit Antibiotica verseuchten Umwelt k6nnen sich nur resistente Keime behaupten. Die antibiotische Chemotherapie ist die eindrucksvollste Demonstration des Darwin'schen Prinzips der >>survival of the fittest<<. Eine Unterbrechung dieses Circulus vitiosus k6nnte m6glicherweise durch Chemotherapeutica bewirkt werden, die sich nicht mehr gegen die Bakterien selbst, sondern vielmehr gegen ihre krankmachenden Wirkungen richten, also gegen ihre F~ihigkeit, K6rperober- fl~ichen zu besiedeln, Gewebe zu infiltrieren und Toxine zu erzeugen. Eine derartige Chemotherapie w~ire gewissermaBen 6kologisch neutral: sie wfirde erst da wirksam, wo das normalerweise vorhandene Gleichgewicht zwischen Makroorganismus und seiner mikrobiellen Umwelt gest6rt ist. Eine Selektion resistenter Keime w/ire nicht zu befiirchten, weil mit dem Merkmal der Resistenz gegen virulenzabschw/ichende Substanzen nicht unbedingt ein evolution/irer Vorteil verbunden w/ire. Leider steckt die Entwicklung von Substanzen, die mit der Kolonisierungsf/ihigkeit von Bakterien oder mit ihrer F/ihigkeit zur Toxinbildung interferieren k6nnen, noch in den Kinderschu- hen. Mit dem Erscheinen derartiger Chemotherapeutica auf der klinischen Szene ist also vorerst nicht zu rechnen.

An letzter Stelle stfinde der Versuch, den durch die herk6mmliche antibakterielle Chemothera- pie ausgefibten Selektionsdruck zu neutralisieren oder umzukehren. Wirkstoffe, die diesen Anspruch erftillten, miiBten pr/iferentiell gegen Bakterien wirken, die gegen die klassischen Antibiotica und Chemotherapeutica bereits resistent sind, d. h., dab sie vorwiegend gegen Bakterien mit R-Faktoren wirken mtiBten. In der einschl/igigen bakteriologischen und chemotherapeutischen Literatur der letzten 10 Jahre finden sich immer wieder Hinweise darauf, dab R-Faktor-tragende Keime in Abwesenheit eines durch Antibiotica oder Chemotherapeutica ausgefibten Selektions- druckes langsamer wachsen als R-Faktor-freie Organismen. Zwei Gruppen von Untersuchungen seien in diesem Zusammenhang erw/ihnt. 1970 und 1971 berichteten japanische Autoren, dab Macarbomycin, ein Phospholipidantibioticum, das als Futterzusatz benutzt wird, einen st/~rker

Page 4: 8. Zukunftsaussichten bei der Behandlung von Infektionen in der Chirurgie

62

abt6tenden Effekt auf E. eoli-St~mme ausiibte, die R-Faktoren trugen, als auf R-Faktor-freie E. coli-St~mme [7]. Aul3erdem hat eine Anzahl klinischer Beobachtungen gezeigt, dab Gram- negative Organismen, die R-Faktoren trugen und in Klinikstationen, besonders in Intensivstatio- nen, endemisch waren, dann aus ihrer Umgebung verschwanden, wenn man ffir l~ingere Zeitabschnitte - also fiir Wochen oder Monate - ganz aufjede antibiotische Therapie verzichtete. Auch diese klinischen Befunde, die vor allem von englischen Gruppen publiziert wurden, lieBen sich dahingehend deuten, dab R-Faktor- tragende St~mme in Abwesenheit eines antibiotischen Selektionsdruckes gegenfiber R--St~immen im Nachteil sind [9, 11].

In eigenen Untersuchungen, in denen R-Faktor- tragende E. coli-Bakterien mit isogenen, R- Faktor-freien Organismen kokultiviert wurden, ergab sich regelm~Big ein Wachstumsvorteil zugunsten der R -St~imme. Dieser bereits spontan auftretende Unterschied wurde in den von uns studierten F~llen durch das Antibioticum Phosphomycin noch verst~irkt. Das heiBt, einfach ausgedrfickt: Phosphomycin unterdrfickte das Wachstum R-Faktor-positiver, resistenter Bakte- rien bereits in Konzentrationen, in denen es auf das Wachstum isogener R -Bakterien noch keinen EinfluB hatte [6]. Die Zahl der in diesem Zusammenhang untersuchten R-Faktoren ist noch gering und die mit Phosphomycin erzielten Effekte mfissen leider als Einzelwirkungen angesehen werden. Immerhin erscheint es nicht ganz utopisch, dab eines Tages Substanzen gefunden werden, die pr~iferentiell gegen bestimmte epidemiologisch verbreitete, R-Faktor- tragende Keime wirken und die dazu beitragen, dab der durch die herk6mmliche antibiotische Therapie erzeugte Trend zur Ausbreitung neuer resistenter Varianten verlangsamt wird.

Die hier genannten M6glichkeiten zur Uberwindung des derzeitigen Stillstandes in der antibakteriellen Chemotherapie sind keine Utopie. Ihre prinzipielle Durchfiihrbarkeit ist experi- mentell mehr oder weniger ausfiihrlich belegt. Zumindest von den beiden zuerst genannten M6glichkeiten kann angenommen werden, dab sie innerhalb der n~chsten 10Jahre auch in die Therapie chirurgischer Infektionen Eingang finden werden.

Literatur

1. Block, L. H., Georgopoulos, A., Mayer, P., Drews, J.: Nonspecific resistance to bacterial infections. Enhancement by ubiquinone-8. J. Exp. Med. 148, 1228-1240 (1978)

2. Braude, A. I., Douglas, H. : Passive immunization against the local Shwartzman reaction. J. Immunol. 108, 505-512 (1972)

3. Braude, A. I., Douglas, H., Davis, C. E.: Treatment and prevention of intravascular coagulation with antiserum to endotoxin. J. Infect. Dis. 128, 157-163 (1973)

4. Braude, A. I., Ziegler, E. J., Douglas, H., McCutchan, J. A.: Antibody to cell wall glycolipid of gram- negative bacteria: Induction of immunity to bacteremia and endotoxemia. J. Infect. Dis. 136, 167-173 (1977)

5. Chedid, L., Audibert, F., Lefrancier, P., Choay, J., Lederer, E. : Modulation of the immune response by a synthetic adjuvant and analogs. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 73, 2472 (1976)

6. Drews, J., Nolan, R. D.: Neue Konzepte in der antibakteriellen Chemotherapie. In: Fortschritte in der Therapie bakterieller Infektionen. Stuttgart: Thieme (im Druck)

7. Iyobe, S., Mitsuhashi, S., Umezawa, H.: Relationship between sex-pill formation and macarbomycin sensitivity in Escherichia coll. J. Bacteriol. 108, 946--947 (1971)

8. Kokoshis, P. L., Williams, D. L., Cook, J. A., Di Luzio, N. R.: Increased resistance to Staphylococcus aureus infection and enhancement in serum lysozyme activity by glucan. Science 199, 1340-1342 (1978)

9. Lowbury, E. J. L., Babb, J. R., Roe, E. : Clearance from a hospital of gram-negative bacilli that transfer carbenicillin resistance to Pseudomonas aeruginosa. Lancet 197211, 941-945

10. North, R. J. : The relative importance of blood monocytes and fixed macrophages to the expression of cell- mediated immunity to infection. J. Exp. Med. 132, 521-534 (1970)

11. Price, D. J. E., Sleigh, J. D. : Control of infection due to Klebsiella aerogenes in a neurosurgical unit by withdrawal of all antibiotics. Lancet 197011, 1213--1215