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7/24/2019 Alemann, Ulrich Von 1989 - Was Sind Organisierte Interessen,
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Was
sind Organisierte Interessen ?
2.1
Ji:m
er Notwendigkeit un er Schwierigkeit des Definierens
Es klingt so einfach und plausibel, von jeder wissenschaftlichen Errterung
zu verlangen, die wichtigsten Begriffe zunchst zu definieren. Vielen erscheint
es geradezu ein Kennzeichen wissenschaftlichen Arbeitens zu sein, mit einer
Definition die Diskussion wissenschaftlicher Probleme zu beginnen.
An eine Definition knpfen sich allerdings eine Menge Fragen, die an Grund
probleme wissenschaftlichen Arbeitens berhaupt rhren. Kann der Begriffet
was
ber das Wesen eines Gegenstandes aussagen?
Kann
man vor der eigent
lichen Errterung eines Gegenstandes ihn bereits verbindlich festlegen? Ist jede
Eingrenzung nicht auch eine vorschnelle Ausgrenzung? Sind deshalb mit der
Definition nicht schon weitreichende Vorentscheidungen ber Methode und
Gegenstand verbunden? Ersetzt man bei einer Definition nicht nur Begriffe, ob
bekannt oder unbekannt, durch andere Begriffe, die dann wieder definiert wer
den mten und wieder und wieder bis zum Unendlichen?
Die Entscheidung fr eine Definition determiniert deshalb bereits zu Beginn
einer wissenschaftlichen Errterung zweierlei:
- Die Form der Definition legt Grundentscheidungen ber die Art und Weise,
Wissenschaft zu betreiben, fest.
- Der Inhalt der Definition trifft eine Grundentscheidung ber den zu bearbei
tenden Gegenstand.
DefinitionsfOrmen gibt es zahlreiche. Die erste Unterscheidung unterteilt ety-
mologische, der Sprachentwicklung und dem Sprachgebrauch entlehnte Defini
tionen von festgesetzten, selbst entwickelten Definitionen. Der Sprachkonvention
nachsprende Definitionen sind
fr
den wissenschaftlichen Gebrauch nur be
grenzt ntzlich, da sie selten eindeutig sind, sondern die zeitlichen und regiona
len BegrifiSdifferenzen aufzeigen. Nur am Rande sei vermerkt: Fr die politische
Begriffs und Ideengeschichte und damit auch
fr
die \braussetzungen von
efi-
nitionen sind berlegungen zur Vtbrtgeschichte und zur konventionellen
Bedeu-
tung des
Vtbrtes
in der Alltagssprache allerdings auerordentlich hilfreich.
Unter den festgesetzten Definitionen
wird
als wichtigstes zwischen der Nomi
naldefinition und Realdefinition unterschieden.
Nominaldefinition - Die Nominaldefinition legt die Bedeutung eines bestimmten Terminus durch
Aufzhlen einer begrenzten Anzahl von Merkmalen fest. Sie ersetzt also
eine Bezeichnung (z.B. Demokratie) durch eine oder mehrere Eigenschaften
(z.B. Herrschaft des \blkes durch freie Wahl von Herrschaftsorganisationen
auf Zeit). Die Nominaldefinition will nur eine begriffliche (nominelle) Ver-
einbarung festlegen, sie will keine bindende Aussage ber die Wrrklichkeit
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U. Alemann, Organisierte Interessen in der Bundesrepublik
Springer Fachmedien Wiesbaden 1989
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machen. Sie wird deshalb korrekterweise meist so formuliert: Ich definiere
Demokratie als
...
oder: Ich werde unter Demokratie
im
folgenden verste
hen ... Nominaldefinitionen sind deshalb plausible und vernnftige Verein
barungen, die ein anderer begrifflich ganz anders fassen
kann.
- Die Realdefinition dagegen geht von einer
Art
Begriffsrealismus aus. Sie
Realdefinition
will mit ihrer Aussage
das
tatschliche , ,Wesen des Gegenstandes erfassen
und widerspiegeln. Sie wird formuliert als: Demokratie ist ... oder: Es ist
das Wesen der Demokratie, da ... Ob es berhaupt mglich ist, mit einer
Realdefinition
das
wirkliche Wesen einer Sache zu erfassen, ohne alle nur
denkbaren Einzelheiten des Gegenstandes vollstndig aufzuzhlen, ist in der
Wissenschaftstheorie strittig.
Wir werden uns hier auf die Verwendung von Nominaldefinitionen beschrn
ken, wenn wir im nchsten Abschnitt , ,organsierte Interessen nher betrach
ten. Dazu werde ich auch etymologische Erluterungen zur Begriffsgeschichte
von Interesse und Organisation heranziehen, und ich werde ber konkur
rierende Definitionen berichten. Nach diesen Erluterungen zu den Begriffen
Organisation und Interesse werde ich
dann
im
dritten Schritt eine Nominaldefi
nition von Organisierte Interessen vorschlagen.
2.2 Organisation
Die Allgegenwart von Organisation fr jeden Menschen in unserer Gesell
schaft wird von Gnter
Baschges
plastisch illustriert:
In Organisationen oder in engem Kontakt mit ihnen verbringt der einzelne als Mit
glied, Klient oder Kunde oder in anderer Weise Betroffener einen wesentlichen Teil seines
Lebens.
In
Organisationen wird
er
geboren, erzogen, gebildet und ausgebildet, verwahrt
und umerzogen. Von Organisationen wird
er
versorgt, betreut, gesttzt und kontrolliert.
In
Organisationen bt
er
seinen Beruf aus und geht
er
seiner Arbeit nach, verdient
er
sei
nen Lebensunterhalt und macht
er
Karriere - oder auch nicht.
In
Organisationen erfhrt
er
aber auch, was Kooperation und Konflikt, was Status und Prestige,
was
Herrschaft und
Abhngigkeit,
was
Fremd- und Selbstbestimmung,
was
Schicht- und Klassenzugehrig
keit bedeuten Baschges
1976,
S. 14).
, ,Unsere Gesellschaft ist eine organisierte Gesellschaft
Etzioni
1967, S. 9)
- dies ist eine Grundaussage der Organisationssoziologie. Der Satz meint, da
in unserer hoch arbeitsteiligen Industriegesellschaft die soziale Beziehung , ,Or
ganisation eine dominante Rolle spielt.
Fr die Organisationssoziologie ist jedes gewerbliche Unternehmen und
je -
der Betrieb, jede Verwaltung und sonstige staatliche Institution, jede Armee
und jedes Krankenhaus, jede kirchliche Krperschaft oder supranationale Ein
heit wie die UNO eine Organisation.
Die Organisationssoziologie ist eine Spezialdisziplin der Sozialwissenschaf
ten, die aus der Verwaltungslehre und
der
Betriebswissenschaft hervorgegangen
ist. Traditionell richtete sie
ihr
Augenmerk besonders auf die Erreichung eines
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4. das
Bedrfnis nach wiederholter Gratifikation, denn lange Zeitabstnde
zwischen Gratifikationen wirken frustrierend;
5. das
Bedrfnis nach Stabilitt im Verteilungsmuster
der
Belohnungen, weil
sich dadurch eine emotionale Stabilitt ergibt, die Angst vorbeugt;
6.
das
Bedrfnis nach Vielfalt
der
gesellschaftlichen Struktur;
da
die Gesell
schaftsmitglieder in unterschiedliche soziale Statusgruppen hineingeboren
werden, besteht ein Bedrfnis nach Vielfalt
der
sozialen Rollen und
Normen.
Dieser Katalog von Bedrfnissen nach
tzioni
beansprucht keine objektive
Gltigkeit. Aber es ist ein interessanter Versuch, verschiedene Bedrfnistheo
rien zu integrieren. Wenn ich eben formuliert habe, da die individuelle Dimen
sion des Interessenbegriffs auf die Bedrfnisse verweist, so sollte nun
der
Un
terschied zwischen Interessen und Bedrfnissen klargeworden sein: Bedrf
nisse sind die Voraussetzungen von Interessen. Interesse als individuelle
Dimension ist demnach die aus physischen Antrieben und menschlichen
Grundbedrfnissen folgende Anteilnahme von Personen an anderen, an einer
Sache
oder
einem Geschehen.
d ie materielle
Die materielle Dimension von Interesse verweist auf die Erzielung von Nut-
Dimension zen in
der
Interaktion mit anderen. Dies ist besonders ein Thema der kono
mie. Im Englischen ist bekanntlich die Wortbedeutung als Nutzen, Vorteil, Zins
(interest) erhalten geblieben. Interesse ist nicht nur ein Handlungsmotiv
zur
Be
drfnisbefriedigung, sondern auch
der
aktiven Nutzenmehrung. Gerhard Him-
melmann
1976,
S. 114) fhrt dazu aus:
- die ideelle
Dimension
, ,Im
Interesse sammeln sich die mit Bestrebungen, Einstellungen, Attitden und Triebfe
dern verbundenen nutzenorientierten Bedrfnisse. Anders als
der
Trieb ist Interesse
zweckorientiert, kalkuliert und handlungsmotiviert. (
...
Interesse setzt Kalkulation, Mit
telaquisition
zur
Bedrfnisbefriedigung voraus. Wo Mittel zur Bedrfnisbefriedigung ak
quiriert werden mssen, besteht auch Knappheit an Mitteln der Bedrfnisbefriedigung .
Interesse haben wir nun als Bedrfnisbefriedigung in
der
individuellen Di
mension und als Nutzenmehrung in
der
materiellen Dimension kennengelemt.
Ich mchte diesen beiden als dritte noch die ideelle Dimension hinzufgen,
denn Interessen erschpfen sich nicht in Befriedigung von Nutzen und materiel
len Bedrfnissen. Im oben zitierten Katalog von
tzioni
waren insbesondere
auch immaterielle Bedrfnisse enthalten. Die ideelle Dimension von Interessen
bezieht sich gerade
auf
den immateriellen Nutzen
und
auf
die Rechtfertigungen
und Ideologien fr die Durchsetzung von Ansprchen
und
Zielen. Dies ist be
sonders auch ein Thema
der
politischen Philosophie. So definiert Jrgen
Ha-
bermas 1973, S. 244):
Interesse berhaupt ist
das
Woblgefallen,
das
wir mit einer Vorstellung von der Existenz
eines Gegenstandes oder einer Handlung verbinden.
Habermas
fhrt
seine Diskussion
des
philosophischen Interessenbegriffs zu
rck
auf Kant und Fichte, was
wir hier nicht weiter vertiefen knnen.
Fr
uns
bleibt aus dieser dritten Dimension wichtig,
da
viele Menschen
ihre
Interessen
selbst nicht auf konkrete Bedrfnisse und Nutzen zurckfhren knnen, son-
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Ich werde den Begriff , ,organisierte Interessen bevorzugt verwenden, weni
ger hufig, aber doch bedeutungsgleich auch , ,lnteressenorganisationen . Denn
es geht mir mehr um die gesellschaftlichen und politischen Interessen als um
die Organisationen.
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