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89 Wolfgang G. Schwanitz Amerikas ungeschriebene Islampolitik Das Weiße Haus und die Beziehung zwischen Terror und Islam Teil 2: Präsidiale Einsichten in Terror und Islam Executive Summary The second part of this two-part article sheds light on how four American presidents after Ronald Reagan dealt with the relationship between Islam and terror within the last 25 years. The analysis draws upon for- merly secret White House policy papers that contain directives on terror and fundamentalism. What emerges clearly is that president Reagan and his vice- president, George H. W. Bush, did establish a nation- wide anti-terror policy for the first time in 1986, but also that they did not relate this policy to the histori- cal dimensions of the conflicts between Muslims and Western modernity. Mr Reagan, Mr Bush, and Bill Clinton failed to perceive the totalitarian ideology be- hind terrorism. Their key problem arose from the fact that they saw Islam, in the Western sense, merely as a religion, not as a civilization that unites religion and power. This may be rooted in the secular nature of their governing mission; however, it proved to be their greatest mistake: While they did develop an anti- terror policy towards countries such as Lebanon, Egypt, Libya, Iraq, Iran, Saudi Arabia, and Afgha- nistan, the other side of the coin remained in the dark because they did not establish a national policy on Is- lam. This is why they mostly acted defensively and aimlessly. This inconsistency is living on under George W. Bush. What is more, the war conducted to free Kuwait from its aggressor, Iraq, in 1991, Islamist at- tacks against the USA from 1993 onwards, and the Is- Vier amerikanische Präsi- denten haben seit Ronald Reagan in den letzten 25 Jahren die Beziehungen zwischen Terror und Islam zu definieren versucht. Als Reagan selbst und sein Vize George H. W. Bush erstmals 1986 eine natio- nale Anti-Terror-Politik begründet haben, war de- ren Einbettung in die histo- rischen Dimensionen des Konflikts zwischen Islam und westlicher Welt noch ebensowenig ein Thema wie die Identifizierung der totalitären Ideologie hinter dem Terrorismus selbst. Dies geben die einst gehei- men White House policy papers zu erkennen. Sicher entfaltete man gegenüber Staaten wie Ägypten, Li- byen, Irak und Afghanistan eine Anti-Terror-Politik. Zu einer eigenen nationalen Islam-Politik kam es indes nicht – ein Defizit, das auch unter George W. Bush zu- nächst fortbestand. Erst die Großangriffe auf die USA vom 11. September 2001 trieben Bush jun. in die Offensive. Zwar hat auch er noch keine politische Linie gegen den Islamismus als totalitäre Ideologie formu- liert. Doch er hat die seiner- zeitigen Tabus gebrochen und einen Weg beschritten, auf dem die Zusammenhän- ge zwischen Islamismus und Terror deutlicher er- kennbar sind als in den Jahrzehnten zuvor. KAS-AI 10/06, S. 89–116

Amerikas ungeschriebene Islampolitik

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Wolfgang G. Schwanitz

Amerikasungeschriebene

IslampolitikDas Weiße Haus und die Beziehungzwischen Terror und Islam

Teil 2:Präsidiale Einsichten in Terror und Islam

Executive Summary

The second part of this two-part article sheds light onhow four American presidents after Ronald Reagandealt with the relationship between Islam and terrorwithin the last 25 years. The analysis draws upon for-merly secret White House policy papers that containdirectives on terror and fundamentalism. Whatemerges clearly is that president Reagan and his vice-president, George H. W. Bush, did establish a nation-wide anti-terror policy for the first time in 1986, butalso that they did not relate this policy to the histori-cal dimensions of the conflicts between Muslims andWestern modernity. Mr Reagan, Mr Bush, and BillClinton failed to perceive the totalitarian ideology be-hind terrorism. Their key problem arose from the factthat they saw Islam, in the Western sense, merely as areligion, not as a civilization that unites religion andpower. This may be rooted in the secular nature oftheir governing mission; however, it proved to betheir greatest mistake: While they did develop an anti-terror policy towards countries such as Lebanon,Egypt, Libya, Iraq, Iran, Saudi Arabia, and Afgha-nistan, the other side of the coin remained in the darkbecause they did not establish a national policy on Is-lam. This is why they mostly acted defensively andaimlessly.

This inconsistency is living on under George W.Bush. What is more, the war conducted to freeKuwait from its aggressor, Iraq, in 1991, Islamist at-tacks against the USA from 1993 onwards, and the Is-

Vier amerikanische Präsi-denten haben seit RonaldReagan in den letzten25 Jahren die Beziehungenzwischen Terror und Islamzu definieren versucht. AlsReagan selbst und seinVize George H. W. Busherstmals 1986 eine natio-nale Anti-Terror-Politikbegründet haben, war de-ren Einbettung in die histo-rischen Dimensionen desKonflikts zwischen Islamund westlicher Welt nochebensowenig ein Themawie die Identifizierung dertotalitären Ideologie hinterdem Terrorismus selbst.Dies geben die einst gehei-men White House policypapers zu erkennen. Sicherentfaltete man gegenüberStaaten wie Ägypten, Li-byen, Irak und Afghanistaneine Anti-Terror-Politik. Zueiner eigenen nationalenIslam-Politik kam es indesnicht – ein Defizit, das auchunter George W. Bush zu-nächst fortbestand. Erst dieGroßangriffe auf die USAvom 11. September 2001trieben Bush jun. in dieOffensive. Zwar hat auch ernoch keine politische Liniegegen den Islamismus alstotalitäre Ideologie formu-liert. Doch er hat die seiner-zeitigen Tabus gebrochenund einen Weg beschritten,auf dem die Zusammenhän-ge zwischen Islamismusund Terror deutlicher er-kennbar sind als in denJahrzehnten zuvor.

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lamist declaration of war on the West in 1998 causedthe worldwide axis of conflict to turn from West-Eastto North-South. This, however, was not appreciatedby the White House which, until September 11, 2001,was still influenced by the structures and the mental-ity of the Cold War. As this part of the article shows,Mr Bush was driven by the large-scale terrorist at-tacks to take the offensive. At first, he avoided show-ing the nexus between Islam and terror. Then, hebroke that taboo. He has not yet formulated a na-tional policy on Islam which confronts Islamism asthe third totalitarian ideology entering flexible coali-tions, but this is now unavoidable. The conclusionpresents the challenges confronting the USA in thelight of six historical peculiarities in the Islamic prac-tices of the US.

Bushs Islampraxis

Zunächst hat George W. Bush das Büro für Heimat-sicherheit gebildet, das 22 Agenturen integrierte. Erbeendete damit zwei Jahrzehnte der strukturellenUnklarheit. Inwieweit die Einrichtung effektiv ist,steht dahin. Der einstige Sprecher des Repräsentan-tenhauses, Newt Gingrich, forderte aggressivere undunternehmerische Ansätze in den Systemen der na-tionalen Sicherheit. Dies auch, um solche Bürokratienabzubauen und dynamischer zu gestalten.1) Wiederwurde klar, wie gefährlich ABC-Waffen in terroristi-schen Händen sein können.2)

Bislang lassen ausgebliebene Anschläge auf einebessere Abwehr schliessen, wie sich bei dem vereitel-ten Londoner Anschlag auf Zivilflüge nach Amerikaam 10. August 2006 zeigte. Oder die Terroristenbedienen sich daneben einer weiteren Taktik, wozuauch die Versuche mit dem so genannten gesetzlichenIslamismus zählen. Dieser lawful Islamism hält an derBeseitigung der demokratischen Zivilisationen fest,nutzt aber alle legalen Wege in Demokratien aus. In-sofern geht es Islamisten dieser Art meist um kosme-tische Änderungen und um eine weniger abstoßendeTaktik bei ihrem Griff nach der globalen Vormacht.

Bush machte Anfang 2002 Terrorgruppen namhaft,so Hamas, Hizballah, Islamischer Jihad und Jaish-i-Mohammed. Im Mai sah er darin eine neue totalitäreBewegung. Ihre Anhänger fühlten sich berufen, an-dere im Namen einer „falschen religiösen Reinheit“

1) Newt Gingrich, „Bush andLincoln“, in: The WallstreetJournal, 07.09.2006, S. A20.

2) Moderne Gesellschaften bie-ten endlose Angriffsflächenund die Bomben von Terro-risten haben keine nationalenAbsender. Ein schlimmes Sce-nario – Frank J. Gaffney, Jr.,„Electromagnetic PulseAttack, EMP: America’sAchilles’ Heel“, in: Imprimis,34(2005)6, S. 2–7.

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zu töten. Vor dem Krieg in Afghanistan kalkulierteBush die Risiken, wobei er etwa mit Blick auf MullahUmar vom hard-line fundamentalist brand of Islamsprach, von der fundamentalist rebellion der Islamis-tischen Bewegung Usbekistans, vom fundamentalistregime der Taliban und von Muslim extremists in In-donesien.3) Gleichermaßen vor dem und im Krieg ge-gen Irak erwog der Präsident einige Risiken, darunterdas Ausbrechen ethnischer Konflikte zwischen Sun-niten, Schiiten und Kurden, wie es früher schon ge-schah, und die Möglichkeit, dass dieser Krieg im Irakals ein Krieg gegen alle Muslime gesehen werdenkönnte.4)

Dok. 1: Ausriss aus einem Memorandum des Pentagon fürden Präsidenten 2003 vor dem Beginn der Invasion gegenIrak mit einer Liste von Problemarten infolge des an-gestrebten Regimewechsels, die Präsident Bush erläutertwurde. Auf dieser Checkliste, die laut Bob Woodward29 Punkte beinhaltet, wurden konfessionelle Zwiste unterSunniten, Schiiten und Kurden „wie früher“ sowie die geg-nerische Darstellung des Krieges als Krieg gegen Muslimefür möglich gehalten. Beide Punkte hätte das Weiße Hausvorab mit aller Kraft und unter Mitarbeit von Experten imSinne der Verhütung im Irak mehr ausloten müssen.

George W. Bush, der bei Kriegszielen im Irak vomRegimewechsel zur Beseitigung von Massenvernich-tungswaffen schwankte, entwickelte seine Grund-sätze, darunter den, dass sich der Islam – wie auch dasChristentum – in freier und demokratischer Art ent-wickeln könnte.5) Daraus folgte sein messianischerAnspruch, damit zu beginnen, die Erde im 21. Jahr-

3) Bob Woodward, Bush at War,New York 2002, S. 121, 173,217.

4) Bob Woodward, Plan ofAttack, New York 2004,S. 206.

5) Woodward, Plan, S. 376.

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hundert von Tyranneien zu befreien. Freilich zeigtesein bisheriges Leben eine große Unerfahrenheit aufdem Felde der Weltpolitik, so dass ihm die Dimen-sionen seiner Vision vermutlich nicht bewusst waren.Zudem besaß er keine tieferen Einblicke in Dikta-turen des euroasiatischen Typs. Doch zeigte er sichdurch Werke herausragender Wissenschaftler wieJohn L. Gaddis6), Bernard Lewis7) und Nathan Scha-ransky beeindruckt. Wenn jemand eine Ahnunggewinnen möchte, erklärte Bush, wie er über dieAußenpolitik denke, so möge er Scharanskys Buch8)

studieren, und zwar das über die Macht der Freiheit,Tyrannei und Terror zu überwinden. Bekanntlich be-tonte Scharansky, der selbst lange Opfer des sowjet-russischen GULags war, alle Völker verdienten ihreoffene Gesellschaft und allein diese könne echte Sta-bilität, Sicherheit und Menschenrechte garantieren.Die freie Welt, sagte Scharansky, verriet im KaltenKrieg durch Pakte mit Tyranneien ihre demo-kratischen Werte. Im Gegensatz dazu hätten die De-mokratien einst auf demokratischem Fortschritt be-stehen müssen, statt es mit appeasement zu ver-suchen.9)

Erstmals sprach George W. Bush Mitte 2004 von„islamischen Militanten“ und gestand ein, den „Krieggegen Terror“ falsch benannt zu haben, vielmehr seies ein Kampf gegen ideologische Extremisten, dienicht an freie Ordnungen glaubten und die den Ter-ror als Waffe gegen das Bewusstsein der freien Welteinsetzen. Er ließ offen, was denn nun jene Radikalenantrieb.10)

Gegner des Krieges gegen radikale Islamisten führ-ten vier typische Argumente an. Der Krieg führe sei-ner Natur nach unnötig zu vielen Opfern unter Zivi-listen: Die Terroristen würden sich unter Zivilistenverstecken. Diese würden durch all das in Rage ver-setzt und zur Hilfe für Terroristen verleitet. Sicher hatdies Argument etwas für sich, doch weist es gleich-wohl auf Herausforderungen einer neuen Kriegsarthin. Terrorismus, so hört man ferner, sei eine Abs-traktion mit der Gefahr, politischen Bewegungen, diesich des Terrors bedienen, alle in einen Topf zu wer-fen, obwohl doch zwischen ihnen differenziert wer-den sollte.

Diese Rede betont nur die dringende Notwendig-keit einer kohärenten Anti-Terror- und Islampolitik.

6) John Lewis Gaddis, TheCold War. A New History,New York 2005.

7) Bernard Lewis, What WentWrong? Western Impact andMiddle Eastern Response,Oxford 2002; ders., TheCrisis of Islam. Holy Warand Unholy Terror, NewYork 2003.

8) John F. Dickerson, What thePresident reads. CNN.Com,10.01.2005: http://www.cnn.com/2005/ALLPOLITICS/01/10/bush.readinglist.tm/

9) Natan Sharansky with RonDermer, The Case forDemocracy. The Power ofFreedom to OvercameTyranny and Terror, NewYork 2004.

10) Daniel Pipes, „Naming theEnemy“, in: The New YorkSun, 17.08.2004.

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Zudem, so wird auch eingewandt, würde der Krieggegen den Terror zu sehr die Militäraktionen beto-nen, wohingegen die meisten Territorialkonflikte derpolitischen Regelung bedürften. Ist das nicht einDenkfehler? Im Ringen gegen den Islamismus geht esweniger um Territorien als vielmehr um eine totalitäreIdeologie der alt-neuen Träume von einem islami-schen Imperium. Ginge es lediglich um Gebiete, ließesich rascher ein Konsens erzielen. Doch wie der Kon-flikt um Palästina zeigt, kann man wohl kaum miteiner Seite verhandeln, die ideologisch die Beseiti-gung oder Bekehrung der anderen Seite zum Ziel hat.

Schließlich werfen Gegner des Krieges gegen dieradikalen Islamisten ein, dieser treibe einen Keil zwi-schen „Uns und die Anderen: wir sind unschuldigeOpfer, sie sind Täter. Doch wir vergessen dabei zu be-merken, dass wir in diesem Prozess gleichwohl zu Tä-tern werden, was der Rest der Welt aber erkennt. Da-durch entstand die große Lücke zwischen Amerikaund der Welt.“11) Die Kluft aber weitete sich Jahrhun-derte zuvor. Sie entstand durch divergierende Ent-wicklungsarten, die Amerika durch seine Politiknicht erzeugt hat. Natürlich löste es in den 65 Jahrenseiner Aktivität in Mittelost eigene Konflikte aus. Wiedie Geschichte zwischen Deutschen und Palästinen-sern offenbart, lassen sich solche Ursachen nichtdurch eine gute oder schlechte Politik allein einerSeite erklären: auch das Tun oder das Unterlassen aufanderen Seiten der Machtpolitik wirkte entschei-dend.12) Die Adressaten für legitime Beschwerdenüber die Entwicklungskluft wären Kolonialmächte,zu denen Amerika ja nicht zählt. Zudem heißt es, jenevier Faktoren bewirkten, dass der „Krieg gegen denTerror“ nicht gewonnen werden könne. Ein endloserKrieg gegen einen unsichtbaren Feind würde Ameri-kas Macht nur schaden und die Welt in den Teufels-kreis der Gewalt treiben. Darauf erwiderten Befür-worter eines offensiven Kurses wie George W. Bush:es gehe um das demokratische Sein oder Nichtsein –appeasement gegenüber Terroristen führe in den Un-tergang. Oder: either we free them of their tyranniesor they will destroy us.13)

Im Hinblick auf den Terror im Irak wurde in denMedien betont, dieses Ringen richte sich nicht gegenden Islam als persönlichen Glauben, sondern gegeneine militante Ideologie, den Islamismus, wo der Dji-

11) George Soros, „A Self-Defeating War“, in: Wall-street Journal, 15.08.2006.

12) Dazu mein Beitrag, „Oliven-zweig, Waffe und Terror.Deutsche und Palästinenserim Kalten Krieg“, in: KAS-Auslandsinformationen,21(2005)3, S. 34–66. http://www.kas.de/db_files/dokumente/auslandsinfor-mationen/7_dokument_dok_pdf_6454_1.pdf

13) Daniel Freedman, „U.S. MayLose War on Terror, His-torian Says“, in: The NewYork Sun, 13.09.2006.

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had als Mittel, das Einflussgebiet der Religion auszu-dehnen, die Hauptrolle spielte. Alsbald kamen solcheWorte wie Jihadis und Jihadism auf. Als der Terroris-tenführer Abu Musab al-Zarqawi, den Bin LadinsStellvertreter Aiman al-Zawahiri als „Helden des Is-lam“ pries, Mitte 2006 im Irak getötet wurde, sprachBush vom Krieg gegen die terroristische Ideologie. Inden Medien war von Islamo-totalitarians die Rede.Zwischen Bush und Premier Tony Blair gab es einenständigen Austausch auch zu Begriffen.

Dennoch wollten viele den Islam möglichst garnicht erwähnen, da dies Anlass zu Verstimmungengeben könne. Tony Blair hat in diesem Licht aufzweierlei hingewiesen. Zum einen begegnete er derRede, die islamistischen Terroristen seien keine „ech-ten Muslime“ mit einer Parallele: dies wäre wohl so,als würde man den Protestanten, der in Nordirlandeinen Katholiken ermordet, nicht wirklichen Chris-ten nennen. Doch bleibe es dabei, dass dieser eben einprotestantischer Intoleranter sei. Zu meinen, seineReligion sei irrelevant, würde doch völlig zum Miss-verständnis seiner Motive und zum Ignorieren diesesextremistischen Stranges in der Religion führen. Zumanderen meinte er, dass Demokraten verpflichtetseien, islamistische Extremisten auch als solche zubezeichnen. Dies nicht nur, weil deren Terrorme-thode, sondern weil eben auch deren Ziel grundfalschsei.14)

Bush konnte auf ein Plus verweisen. Anfang 1999,noch in der Clinton-Ära, muss sich Muammar al-Qaddafi entschieden haben,15) seiner Isolierung zuentrinnen und mit Amerika zu kooperieren. Libyenübernahm die Verantwortung für den Anschlag 1988auf den Pan Am Flug 103 mit allen Folgen. Ein schot-tisches Gericht sah es 2003 als erwiesen an, dass erdurch einen libyschen Agenten ausgeführt wordenwar. Kurz nach dem Sturz Saddam Husains begannTripolis im Dreieck mit London und Washington Ge-spräche darüber, dass es sein Programm für Massen-vernichtungswaffen aufgebe. Die Zusage wurde reali-siert. Dafür strich Washington Libyen im Mai 2006von der Liste der Staaten, die den Terror fördern.16)

Der Weg zurück in die Weltgemeinschaft war offen.Hier hat also ein Kurs der demokratischen Konse-quenz sowie der Mischung aus Stärke und Diploma-tie zum Erfolg geführt.

14) Joint Press Conference ofPresident Bush and PrimeMinister Blair, The WhiteHouse, 28.07.2006.

15) Madeleine K. Albright,Madam Secretary, NewYork 2003, S. 417–421.

16) Flynt Leverett, „Why LibyaGave Up on the Bomb“, in:The New York Times, 23.01.2004; Judith Miller, „Gadha-fi’s Leap of Faith“, in: TheWallstreet Journal, 17.05.2006.

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Von Reaganzu George W. Bush

Im jüngsten Vierteljahrhundert verfielen alle vier US-Präsidenten gegenüber dem Islam in Extreme. Als dieislamische Revolution im Iran und das Geiseldramavon Teheran sich ereigneten, haben sie das ihnenFremde missachtet: Selten thematisierten sie die tie-fere Verbindung zwischen dem islamischen Funda-mentalismus und dem Terrorismus. Diese ignorie-rende Tendenz reflektieren auch Papiere überMittelost aus dem Nationalen Sicherheitsrat. Wie ge-zeigt, sagte Madeleine K. Albright noch vor demMillenium, keine direkte Islampolitik zu verfolgen.Mithin enthüllte sie: Amerika hatte eine Anti-Terror-,aber keine gezielte Isampolitik.

Dann kam die apologetische Tendenz auf: Nachden Großanschlägen auf Amerika 2001 beeilte sichGeorge W. Bush, die Unschuld der islamischen Reli-gion zu betonen. Diese sei durch fanatische Radikalemissbraucht worden. Islam sei Frieden, sagte derChef des Weißen Hauses, indes andere die Zusam-menhänge zwischen dem Islam und dem mittelöst-lichen Terrorismus sowie den Konflikt von Zivilisa-tionen rundweg bestritten. Als könne beides durchDialog weggeredet werden. Dritte beeilten sich dar-zutun, wie ganz ähnlich auch das Judentum und dasChristentum politisiert seien, und dass die islamisti-schen Terroristen nur ihre Religion verrieten.17)

Seit dem Millenium läuft diese Verteidigung des Is-lam unter dem Motto: Das ist nicht die Musik, es sindein paar wirre Musikanten, wobei Komponisten undihre Sponsoren in Mittelost und Europa aus diplo-matischer Rücksichtnahme oft nicht mehr erwähntwerden. Beobachter sahen darin gar die offizielleamerikanische Tradition – den Islam öffentlich zuverteidigen und den tiefen kausalen Zusammenhangzwischen Islam und Terrorismus zu leugnen. Wa-shington wolle damit die Muslime besänftigen, diedann ihrerseits helfen, die Feindseligkeit gegen Ame-rika zu vermindern. Insgesamt stecke hinter der apo-logetischen Tendenz gegenüber dem Islam ein politi-scher Kanon mit vier Elementen: Demnach gebe eskeinen Konflikt der Zivilisationen, Terror sei nicht is-lamisch, Islam sei kompatibel mit Demokratie undAmerikas Idealen sowie die Bürger mögen doch nurlernen, den Islam zu schätzen.18)

17) Daniel Pipes, Mimi Stillman,„The United States Govern-ment: Patron of Islam?“,in: Middle East QuarterlyJanuary 2002.

18) Ebd.

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Dok. 2: Die von Ronald Reagan an George H. W. Bush 1989übergebenen Direktiven 321 und 323 vermittelten Über-sichten zu den geltenden, teilweise und vollständig über-holten White House policy papers vorheriger Administra-tionen. Hier eine Übersicht aus der Ära George H. W.Bushs mit den überholten Präsidialdirektiven (laut Sicher-heitsdirektive 59 vom 15. Mai 1991): Diese erhellt ReagansAnweisung über den Einsatz der Arbeitsgruppe „Terroris-mus-Bekämpfung“ – unter Vizepräsident Bush –, aus derdann Anfang 1986 die Präsidialdirektive 207 als erstes Na-tionalprogramm des Kampfes gegen den Terrorismus kam.Eine Ära des Überganges wird sichtbar – Ost-West-Kon-flikt, Nahost und Südasien, Irak/Iran-Krieg, Afghanistan,Jugoslawien und die Politik gegenüber Indien und Pakistan.

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Blättert man nun wieder in den von Ronald Reaganan George H. W. Bush übergebenen Direktiven 321und 323, drängt sich ein Fazit auf: An der Wende zuden achtziger Jahren verstärkten sich Konflikte, diesich im islamistischen Terrorismus entluden. Sichersind in Mittelost nicht alle Muslime Terroristen, aberfast alle Terroristen sind Muslime. Indes führte dasnicht zur einer klaren amerikanischen Islamdoktrin.Seit 25 Jahren wirkt Amerika intensiv auf Mittelostein. Aber seine Präsidenten haben die Natur der Re-gion und ihrer Religion verkannt. Sie haben bei-de noch nicht aus deren Begriffen verstanden, ge-schweige denn erklärt. Sieht man von der jüngst ent-hüllten strategischen Warnung vor Terrorangriffenab, die CIA-Chef George J. Tenet selbst CondoleezzaRice im Juli 2001 gab,19) stand im Weißen Haus erst am10. September 2001 die Präsidialdirektive neun gegenBin Ladin und al-Qa’ida an – zu spät. Der Zusam-menhang zwischen Islam und Terror hat das WeißeHaus im Krieg in Afghanistan und Irak überrollt, ob-wohl seine Chefs lokale, regionale und globale Islam-politik betreiben, gibt es noch keine Präsidialdirek-tive zur nationalen Islampolitik.

Auf seiner Pressekonferenz mit dem britischenPremier Tony Blair Ende Mai 2006 benutzte GeorgeW. Bush wiederum den Begriff Islamofascists. EinTerminus, den wohl der 2004 verstorbene Pariser Is-lamforscher Maxime Rodinson zur islamischen Re-volution in Iran geprägt hat.20) Wie man auch zu die-sem nicht sehr präzisen Terminus stehen mag, so lagdies auf der Hand: In seiner Islampraxis hat sich BushMitte 2006 dem Moment genähert, an dem im WeißenHaus Amerikas nationale Islampolitik ansteht. Diesumso mehr, als gleichzeitig die Medien sogar fragten,warum der US-Kongress nicht offiziell dem Islamo-faschismus den Krieg erkläre.21) Wie aber, wenn dasWeiße Haus die Gegner, Etappen, Koalitionen, Zeit-dauer, Mittel und Ziele nicht scharf genug definierthat? Zum anderen hatte George W. Bush einige Be-ziehungen zwischen Islam und Terror dargestellt unddas laufende Ringen zwischen der islamistischen Vi-sion und der demokratischen Zivilisation in die Ärader Globalisierung gerückt. Doch fragte es sich: IstUnwissenheit der Grund für das Fehlen und die Ver-schleppung der nationalen Islampolitik, und, wiestand es seit den siebziger Jahren um gelehrte ameri-

19) Bob Woodward, State ofDenial, New York 2006,S. 52: Tenet-Rice, 10.07.2001im Weißen Haus.

20) Roger Scruton, „Islamofas-cism“, in: The WallstreetJournal, 18.08.2006.

21) Talking Points Memo, FoxNews Channel, 07.06.2006.

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kanische Einsichten in die Beziehung zwischen Islamund Terror?

Wissenschaftliche Vorstöße

Es lag sicher auch am mangelnden Fachwissen überIslam und Terror, aber auch daran, dass Politiker ander Macht, von denen man nicht erwarten kann, auchNahostexperten zu sein, es oftmals versäumten, sichdas nötige Fachwissen einzuholen und Foren einerkontinuierlichen Politikberatung zu den Regionendes Islam zu etablieren.22) Amerikaner betraten beiTerror und Islam viel Neuland. In die Offensive ge-trieben, lebte ihr Präsident auf diesem Gebiet von derHand in den Mund oder vom Geschick und Unge-schick seiner Redenschreiber.23) Bush versäumte es,auf diversen Ebenen praktikable Beratungsgremienzu bilden, speziell gegenüber Irak.

Eine erste Schwalbe des islampolitischen Frühlingswar ein Beitrag von Bernard Lewis.24) Der Historikerwarf 1976 zweierlei ein. Erstens existiere im Westenein Unwille, die Natur des Islam zu begreifen – einvom Westen unabhängiges, anderes und wichtigesPhänomen. Dem Islam sei die Idee der Trennung vonStaat und Kirche fremd. Diese Religion entstand mitder Staats- und Reichsbildung. Sie bedeute daher dieEinheit von Religion und Macht. Für Muslime sei esnicht die Nation, die die Grundlage für ihre Identitätabgebe, sondern die religiöse Gemeinschaft. Oder an-ders gesagt: Staaten kommen und gehen, jedoch dieReligion bleibt der Hauptfaktor ihrer multiplen Iden-tität.

Zweitens gab es während der letzten 100 Jahre einWiederaufleben von islamischen Gefühlen, so derGelehrte. Er zeigte eine neue internationale Wirkungdes Islam auf, die den kurzzeitigen säkularen Natio-nalismus in Mittelost zu überwinden begann. Ber-nard Lewis beschrieb zwei Arten des wachsendenPanislamismus, den staatlich geförderten und den ra-dikalen von unten. Zum einen folgerte er, der Islamhabe seine Stärke bei der Regelung innenpolitischerFragen bewiesen. Zum anderen, er sei auswärtig dieeffektivste Form, den muslimischen Konsens zwi-schen Staaten und Gruppenidentitäten unter denMassen zu erzeugen.

Lewis warnte davor, den Islam im begrenztenwestlichen Sinn nur als Religion zu behandeln, son-

22) Dazu ferner Martin Kramer,Ivory Towers in the Sand:The Failure of MiddleEastern Studies in America,Washington DC, 2001.

23) David Frum, The RightMan. The Surprise Presi-dency of George W. Bush,New York 2003, S. 235–239:Frum schreibt sich den Be-griff „Axis of Evil“ zu, dieBush in der State-Of-The-Union-Rede Anfang 2002aufgebracht hat.

24) Bernard Lewis, „The Returnof Islam“, Commentary, 61(January 1976), S. 39–49.

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dern mahnte an, ihn besser als Ganzheit, als die Basisvon Loyalität und als Lebensweise zu verstehen.Noch sei der Islam eine ungezielte Macht in der Poli-tik. Das könne aber eine gewisse Art von islamischenFührern ändern, wohl zuungunsten des Westens. Ob-wohl Ayatollah Khomeini dies vier Jahre später zuverkörpern schien, stieß Lewis’ Botschaft auch imWeißen Haus auf taube Ohren – nämlich endlich demIslam und den Muslimen in deren eigenem Verständ-nis zu begegnen.

Ähnliche Gedanken entwickelte eine Gruppe vonForschern, Politikern und Journalisten Mitte 1997 bisMärz 1998 über Amerika und den islamischen Mitt-leren Osten.25) Zu ihnen zählte auch Bernard Lewis,wobei ihre Zusammenfassungen keineswegs Einhel-ligkeit in der Meinung der Teilnehmer jener Tagungdes Aspen-Instituts in Washington reflektiert haben.Zwar warfen diese Experten im fiktiven „Memoran-dum für den Präsidenten“ auch die Frage auf, ob dieUSA eine transnationale Politik gegenüber dem Islambenötige, jedoch verneinte ihr summary dies. Dem-nach sollte „Amerika überhaupt keine Politik gegen-über dem Islam an sich“ haben. Vielmehr möge es Po-litik allein gegenüber Staaten betreiben, wobei dieAußenpolitik mit dem Verständnis der Religion ver-knüpft und die übliche Abneigung, sich hierbei mitdem Islam zu befassen, überwunden werden möge.26)

Dies beschreibt gut das, was man säkulare Fehlpolitikbezeichnen könnte. Darauf komme ich zurück. Ver-gleicht man Lewis’ Worte 1976 mit denen jenerGruppe 1998, erscheint ein Paradox: Obwohl es inden 22 Jahren dazwischen eine global verstärkte Isla-misierung gab, zog man auf der Washingtoner Tagungoft genau gegenteilige Schlüsse. Das war umso frag-würdiger, als sich der Islam schon vor dem Milleniumals Hauptfaktor in der Weltpolitik erwiesen hatte.

Nun fasse ich im ersten Satz eines jeden der hierfolgenden elf Unterpunkte jene frühen Aussagen vonLewis zusammen, wobei ich die letzten drei Punkteaus seinem fiktiven Memorandum auf jener Tagunghinzunahm, was ein US-Präsident über den Islamwissen sollte.27) Hingegen entstammt jeder zweite Satzin den elf Unterpunkten sinngemäß dem Beitrag desPariser Forschers Olivier Roy, den er auch auf jenerTagung vorlegte. Roy beschrieb den Islam als strate-gischen Faktor.28) Wie deutlich wird, bilden Lewis und

25) Philipp D. Zelikow, RobertB. Zoellick (eds.), Americaand the Muslim Middle East.Memos to a President, Wa-shington DC 1998, 194 S.(Tagung Mitte 1997, Texteauf dem Stand von März1998).

26) Memorandum for the Pre-sident, From: Your Staff,Subject: Summary Discus-sion on the Muslim World,S. 43–45, hier S. 44.

27) Memorandum for the Pre-sident, From: BernardLewis, Subject: What YouShould Know about Islam,ebd., S. 5–18.

28) Memorandum for thePresident, From: OliverRoy, Subject: What YouShould Know about Islam asa Strategic Factor, ebd., S.33–42.

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Dok. 3: Fiktives Memorandum an Präsident Bill Clinton,das eine Washingtoner Gruppe von Gelehrten und Journa-listen bis 1998 ausgearbeitet hat. Erstmals wird hier gefragt,ob Amerika eine transnationale Politik gegenüber dem Is-lam verfolgen soll (und verneint). In dem Jahr war aber al-les reif für die nationale Islampolitik: Der Terror hatte dieUSA innen und außen voll ergriffen, Islamisten erklärtenden Demokratien den Krieg, es gab (oft nur auf dem Pa-pier) eine kohärente Anti-Terrorpolitik, Usama bin Ladinsal-Qa’ida und Hizballah waren als erstrangige Ziele identi-fiziert worden und nach dem Ende des Krieges zwischenIrak und Iran war ein globaler Ansatz für den Islam nötig.Amerika blieb aber in einen Skandal vertieft.

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er zwei Pole zum Thema, die ich mit einem drittenSatz zu jedem Unterpunkt kommentiere. So zeige ich,wie kontrovers Beziehungen zwischen Islam undTerror unter Wissenschaftlern waren – und sind.Oder anders: Eventuelle Vorlagen aus der Forschungfür eine nationale Islam- und Anti-Terrorpolitik andas Weiße Haus konnten je nachdem konservative bisliberale Pole aus der Forschung reflektieren. Ich ver-wende hier den Begriff „der Islam“ als Abstraktumwie „der Leser“.

Islam und Terror: Bernard Lewis 1976 – Olivier Roy1998 * mein Kommentar 2006

1. Die Natur des Islam muss als eigenständiges, vomWesten unabhängiges und anderes Phänomen be-griffen werden. – Nehmen Sie den Islam nicht beiseinen eigenen Worten, denn Muslime reden meistvon ihrer Vision des Islam. * Man kann die Naturdes Islam aus dessen Anspruch und Realität erse-hen und seine Arten nach ihrem demokratischenPotenzial bewerten.

2. Der Islam soll nicht nur in einem limitierten west-lichen Sinne als Religion behandelt werden, son-dern besser als Gemeinschaft, als Basis von Loya-lität und als Lebensweise. – Dem widerspricht dieislamische Mannigfaltigkeit, die zu oft nur durchein Mittelost-Prisma gesehen wird wie auch mit-telöstliche Politik nicht durch ein islamischesPrisma gesehen werden sollte. * Der Islam birgtstarke totalitäre Ansprüche einer allumfassendenLebensweise, Weltsicht und multiplen Identität:Die Politik gegenüber Mittelost und den anderenislamischen Regionen muss immer auch durch einislamisches Prisma begriffen werden.

3. Die Trennung von Staat und Kirche ist dem Islamfremd, er bedeute eher die Einheit von Macht undReligion. – Die „offizielle“ Art des Islam, ein-schließlich der „säkularen“ Staaten wie die Türkei,ist oft konservativ, feindlich gegen westliche kul-turelle Einflüsse, nicht offen für Pluralismus undDialog; Mainstream-Islamisten greifen bloß zurGewalt, wenn sie mit Gewalt unterdrückt werden;wenn nicht, können sie in das politische Spiel inte-griert werden; Reformislam hat wenig Aussichten:wer ihn zu laut fordert, kann als Mann des „ame-rikanischen Islam“ gebrandmarkt werden. * Der

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Islam hat den ständigen Auftrag zu einer weltwei-ten Islamisierung, darunter durch den Djihad desAngriffs, im Gegensatz zu dem der Verteidigung;der Reformislam ist im Sinne der Demokratisie-rung offen, wo es regionale Wege der Einheit vonMacht und Religion in die Moderne geben kann;dabei anzunehmen, Gewaltfreiheit führe zu fried-lichen Islamisten, wäre eine glatte Illusion, dennim Islam steckt Frieden, aber auch Gewalt, darun-ter gegen Frauen und Nichtmuslime; die Jihad-Doktrin und die Haltung zu den Frauen bilden diegrößte zivilisatorische Hürde.

4. Für Muslime ist nicht die Nation die Basis ihrerIdentität, sondern ihre transnationale Religionsge-meinschaft. – Der Nationalismus ist stärker als derIslam; der radikale Islam hat sich zum Islamo-Na-tionalismus gewandelt; der Islam ist ein neuesAushängeschild für alte Antagonismen; von ihmkommt nicht die Gewalt, nicht einmal vom radi-kalen Islam, sondern von inneren Problemen; Ter-rorismus ist in keinerlei Hinsicht ein islamischesNebenprodukt, denn terroristische Staaten undVereine der siebziger Jahre waren säkular; im Fol-gejahrzehnt waren sie ideologisch motiviert und inden neunziger Jahren stammen sie von wurzello-sen Militanten wie Ramzi Yusuf: Aber sie scheinenunfähig zu sein, eine neue Art der politischen Mo-bilisierung in islamischen Ländern zu erzeugen. *Der Islam ist der übergreifende Halt für Muslime,weniger Staat oder Nation, wobei dem Islam Ge-walt und Militanz eigen sind: Der Islam versiegtenicht im Islamo-Nationalismus, sondern er führteauch zum globalen Islamismus mit dem ihm eige-nen Terror und der Fähigkeit, Massen zu mobili-sieren.

5. Islamische Gefühle leben im staatlichen Panisla-mismus von oben sowie im radikalen Panislamis-mus von unten auf und überwinden den säkularenNationalismus. – Politiker von Hafiz al-Assad bisSaddam Husain fallen nicht durch islamisches Ge-baren auf, und ein Großteil der Bevölkerung folgtunpolitischen, religiösen Bruderschaften wie inÄgypten, in der Türkei und in Marokko; die meis-ten islamistischen Bewegungen wurden islamo-nationalistisch. * Jene Politiker waren auch Mus-lime: Als solche gingen sie mit dem Islam nach

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Opportunität um; das säkular nationalistischeModell verlor nicht allein in Arabien gegenüberpanislamischen Ideen; zu meinen, Islam undMacht seien scharf zu trennen, Religiöses leicht zuprivatisieren und religiöse Bruderschaften seienunpolitisch, das ist Wunschdenken.

6. Der Islam hat seine Stärke zur Regelung innenpo-litischer Probleme erwiesen. – Die Kombinationaus Nationalismus, Populismus und dem Ruf nachMoral und Authentizität ist die Quelle des Ein-flusses islamistischer Bewegungen in der Innenpo-litik; doch einmal an der Macht, haben deren Füh-rer wenig Raum, die Gesellschaft oder derenstrategisches Umfeld zu ändern: sie sind unfähig,ein neues Modell zu entwickeln, und bald wendensie sich nicht-islamistischen Wirtschaftspraktikenzu. * Der Islam ist innenpolitisch potent, wobeiein Urteil über sein islamistisches Modell seit 1979verfrüht ist. Der wirtschaftliche Anpassungsdruckan den globalisierten Weltmarkt kann innere Re-formen beflügeln.

7. Der Islam ist auch außenpolitisch die effektivsteForm, einen muslimischen Konsens zwischenStaaten sowie Gruppenidentitäten unter Massenzu erzeugen. – Die islamische und arabische Ein-heit sind ein Mythos; die fehlende konkrete So-lidarität hat strategisch wenig Einfluss: Indem Is-lamisten an der Macht sehr unterschiedlicheOrdnungen mit sehr verschiedenen strategischenPerspektiven ihrer Interessen vertreten, ist der Is-lam an sich kein strategischer Faktor. * IslamischeDiversifizierung spricht nur für die Flexibilität desIslam und dafür, dass er ein Medium der Loyalitätund ein strategischer Faktor ersten Ranges in derAußenpolitik bleibt, wofür auch 57 Staaten derOrganisation Islamische Konferenz werben.

8. Noch ist der Islam eine ungezielte Macht in derPolitik, was aber das Auftauchen von gewissenFührern zuungunsten des Westens verändernkönnte. – Zwar machen Islamisten den Islam zurradikalen politischen Ideologie, jedoch hat die ira-nische Revolution wenig langfristigen Einfluss aufandere islamische Staaten; und der Ansicht vonOrientalisten, der Islam könne nur unter Schwie-rigkeiten in die Muster der modernen westlichenWelt integriert werden oder gar mit ihr im feind-

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9. lichen Dauerzustand bleiben, widerspricht des-sen Vielfalt. * Der Islam ist als Basis von terroris-tischen Ideologien antidemokratisch und anti-modern, hat jedoch Potenzen, dies aus sichheraus einzugrenzen; die islamische RevolutionIrans und ähnliche Ansätze zeitigten Kultur-kämpfe und Zivilisationskonflikte, deren Aus-gang unentschieden ist und stark vom demokra-tischen Selbsterhaltungswillen abhängt.

9. In islamischen Regionen gibt es ein höheres Ni-veau von Gläubigkeit und religiöser Praxis, wasteilweise die einzigartige Einstellung von Musli-men zur Politik erklärt. – Viele Muslime führenein sehr säkulares Leben und ihre konservativenWerte haben mehr mit der Kultur in Mittelost alsmit ihrer Religion zu tun. * Im Ursprungsraumder drei offenbarten Religionen sind Kultur undReligion untrennbar, woraus Eigenheiten der Re-ligiosität im Alltag, in der Kultur und in der Poli-tik folgen: Übliche Termini aus Demokratien zumpolitischen Spektrum von links bis rechts oder zuWerten von konservativ bis liberal erklären kaumislamische Positionen; sinnvoller sind dort eigeneBegriffe aus Stammes- und Glaubensidentitäten.

10. Die Migration von Muslimen nach Westeuropaund Nordamerika fügt dem Islam eine weltweitneue Dimension hinzu. – Indes sich die westlicheAufmerksamkeit gegen die terroristischen Län-der konzentriert, könnte es sich erweisen, dassdie Terroristen unter uns, unter unseren Freun-den sind; das freiwillige Leben von Muslimen imWesten lockert oder löst deren Ursprungsbandein der zweiten oder dritten Generation auf; siesind nicht länger mehr ein Brückenkopf der mit-telöstlichen Politik; ihre Identität im säkularenUmfeld wird keine Lebensweise mehr sein, son-dern rein religiös und privatisiert: In dem Sinneist der Islam im Westen nicht länger mehr ein Im-port, sondern auch eine westliche Religion. * DieMedienrevolution stärkt die Bande zwischenMuslimen weltweit und ihr Gefühl, der reellenund virtuellen Umma anzugehören, was die Inte-gration im konkreten Land über Generationenbremsen kann; in Räumen, wo sich nun muslimi-sche Mehrheiten entfalten, kann der demokrati-sche Grundcharakter in Regionen und Ländern

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untergraben werden, zumal der Islam als Ideolo-gie eine Basis für massenweise Radikalisierungenliefert.

11. Die Kernfrage für westliche Politiker lautet: Istder Islam, ob fundamentalistisch oder nicht, eineBedrohung für den Westen? – Die Attraktivitätdes Islam wird nicht die politische Landschaftverändern, aber stark genug bleiben, um langfris-tig Stabilität zu verhindern. * Der Islam ist eineBedrohung für Demokratien aller Kontinente,wenn nicht seine Basis für totalitäre und terroris-tische Ideologien wie den Islamismus einge-schränkt wird; gelingt dies, vor allem durch Mus-lime und ihre globalen Organisationen selbst,dann kann der reformierte Islam zum Aufblühenvon Zivilisationen beitragen; bis dahin gibt esweltweit islamistischen Zündstoff untereinander,gegen Demokratien, die Moderne und die Globa-lisierung.

Säkulare Fehlpolitik

Im Hinblick auf die hier untersuchte Beziehung zwi-schen Islam und Terror hat die Bush-Administrationseit Oktober 2005 einen Nebelschleier gelüftet unddie Ideologie des Islamismus zum Feind Amerikasund anderer Demokratien erklärt, so der Präsident inder State of the Union Address Ende Januar 2006. AlsSynonyme gelten dafür zudem Islamic radicalism, ra-dical Islam, militant Jihadism und Islamofascism. Sol-che Begriffe sind aus einer gewissen Wortnot gebo-ren, denn es soll kenntlich gemacht werden, dass eshier nur um Richtungen und deren Aktivisten geht,nicht jedoch um alle Muslime oder den Islam insge-samt.

Mit anderen Worten, vier Jahre brauchte die ge-genwärtige Administration, die ja aktiv zwei Kriegein islamischen Ländern führt, um den Gegner klarerzu benennen, mithin die Ziele und Mittel eines zivili-satorischen Konfliktes, der sich als neuer Weltkriegentpuppt. Auf dem Weg der Erkenntnis, dies soll amRande erwähnt werden, wuchs seit Mitte 2004 denDebatten um den 9/11-Report in der Herausbildungdes allgemeinen Wissens über solche globalen Zu-sammenhänge eine nicht zu unterschätzende Rollezu. Auch wenn dieser Bericht noch manche Unge-reimtheiten birgt,29) die in seiner erweiterten Form

29) Dazu meine Beiträge, „Dasbittersüße Image Amerikas.Stärken und Schwächen imamtlichen 9/11-Report“, in:KAS-Auslandsinformatio-nen, 20(2004)11, S. 89–110:http://www.kas.de/db_files/dokumente/auslandsinfor-mationen/7_dokument_dok_pdf_5812_1.pdf und „Na-tional Commission: The9/11-Report. New York2004“, in: Middle East Po-licy, XII(2005)1, S. 160–163:http://www.mepc.org/journal_vol12/0503_wsbkr.asp sowie die Besprechungin HSozKult: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=5431.

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keineswegs alle ausgetilgt worden sind,30) so hat dochdie starke Auseinandersetzung damit für viele Ame-rikaner eine neue Weltsicht auf die Globalisierung be-fördert. Die drei Berichte darin zum erzielten Fort-schritt bis Ende 2005 bergen bereits Komponenteneiner anstehenden US-Islampolitik.

Im Frühjahr 2006 trat George W. Bush vor einemForum von amerikanischen Bürgern auf, das einigeTV-Anstalten live übertragen haben. Schlagartig be-stätigte sich, dass er über kein kohärentes Konzeptdes Umgangs mit dem Islam verfügte. Auf die Frage,wie Amerika der täglich und weltweit islamistisch in-doktrinierten Jugend begegnen könne, äußerte er, stär-ker die moderaten Muslime zu unterstützen und sichmehr in weltweiter Hilfe bei Katastrophen üben zuwollen, wie das nach einem Erdbeben in Pakistan derFall gewesen sei. Dies werde zeigen, dass Amerika einegute Macht sei, die den Muslimen zur Seite stehe.31)

Daraufhin befragte ich ein Mitglied der gegenwär-tigen Administration, ob diese eine Islampolitik be-sitze. Die absehbare Standardformel lautete dabei inetwa so: Als eine säkulare Regierung verfolge mankeine ausdrückliche Politik gegenüber einer Religionder Welt. Ihr gegenüber habe man zwar eine Praxisder Handhabung, aber keinen verbrieften Kurs.

Das Manko besteht fort, obwohl es vor den Wah-len im November 2006 Fortschritte gab: Gesetze zurGrenzsicherung und zum Umgang mit gefangenenTerroristen. Bush erklärte am fünften Jahrestag derAnschläge auf Amerika den Konflikt mit der totali-tär-islamischen Ideologie zum entscheidenden ideo-logischen Kampf des 21. Jahrhunderts. Bin Ladin,sagte er, habe diese Auseinandersetzung den „DrittenWeltkrieg“ genannt. Und: „Wir befinden uns nun inden frühen Stunden dieses Ringens zwischen Tyran-nei und Freiheit. [...] Haben wir das Zutrauen“, sofragte dieser Präsident, „in Mittelost das zu tun, wasunsere Väter und Großväter in Europa und Asien er-reicht haben?“32) Dennoch hält die säkulare Fehlpoli-tik an.

Aus ihr erklärt sich auch die Ansicht von Teilneh-mern auf der erwähnten Washingtoner Tagung vordem Millenium, keine transnationale IslampolitikAmerikas zu benötigen. Sie orientierten allein aufeine Politik gegenüber Staaten mit einem besserenVerständnis der Religion, wobei sie die verbreitete

30) The 9/11 Commission Re-port. Fully Updated withControversial Third Mono-graph and Never-Before-Published Progress Reportsfrom the 9/11 Commissio-ners. New Introduction byThomas H. Kean and LeeH. Hamilton. Barnes &Noble Publishing, NewYork 2006, 816 pp.

31) Speech by George W. Bushas Aired by FNC, 17.02.2006.

32) President Bush’s Address tothe Nation. Transcript, TheNew York Times, 11.09.2006

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übliche Abneigung, sich mit dem Islam zu befassen,eingestanden. Das drückt die säkulare Fehlpolitikaus, die ihre historischen Wurzeln hat. Wohl decktsich das mit den Aussagen von Politikern und mitmeinen Recherchen in den White House policy papers.Doch ist es paradox: Denn zum einen nennt sich eineGruppe von 57 Staaten islamisch. Ihre Vertreter inder Organisation Islamische Konferenz wollen auchweltweit so gesehen werden. Ihre Oberhäupter undAußenminister streben exklusiv in diesem Rahmennach Einheit. Einmalig, gibt es doch keinen formellprotestantischen oder buddhistischen Weltblock.

Zum anderen ist Amerika eben in jener islamischenGruppe seit 25 Jahren umfassend und intensiv prä-sent. Es bildete Allianzen mit Regierungen unterihnen, führte Krieg gegen sie oder in ihnen. Geschahdas etwa alles auf der Basis einer ungeschriebenen Is-lampolitik mit dem typischen Fehler, den Islam imwestlichen Sinne nur als Religion zu behandeln, dieman ja in der Politik ausklammern könne (und lautsäkularen Normen auch sollte)?

Wie gezeigt, haben vier amerikanische Präsidentenbis kurz nach dem Millenium die überfälligen Debat-ten um den Islam sogar auch in ihren geheimen Di-rektiven versäumt. Eine Ausnahme gab es nur in denAdministrationen Bill Clintons und George W. Bushsim Hinblick auf al-Qa’ida und Usama Bin Ladin. Je-doch die Anti-Terrorpolitik, die sie betrieben haben,blieb unscharf. Im Vakuum des Wissens und derWahrnehmung, das seit der ersten nationalen Anti-Terrorpolitik ab 1986 fortbestand, liegen kurzfristigegeistige Wurzeln des 11. September 2001. Aus derForschung gab es zwar 1998 eine Vorlage an Clinton,ob eine nationale Islampolitik betrieben werdenmöge, doch fanden Gelehrte, die das bejahten, keinGehör. Der Präsident stürzte Amerika in einen Skan-dal. Die Amerikaner erlaubten sich im Versäumnis-jahr 1998 einen tiefen Streit, als es höchst geboten war,eine nationale Islampolitik zu entwickeln: Die globaleKonfliktachse wies insbesondere durch die aufkom-menden Konflikte mit Irak, Iran und Afghanistannoch klarer auf Süd-Nord, Usama Bin Ladin hatte ge-rade dem Westen den Krieg erklärt und diese Kriegs-erklärung durch die parallelen Anschläge auf US-Botschaften in Afrika erhärtet, die Forschung fragtedas Weiße Haus nach einer transnationalen Islampo-

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litik, und Clintons Anti-Terrorpolitik nahm Kontu-ren an, doch verfing sie sich im Ziel-Mittel-Konfliktund der Wahrnehmungslücke gegenüber dem Islam.

Die Großanschläge auf Amerika, die das extremeVersagen der ältesten demokratischen Republik derWelt symbolisieren (der CIA ist gebildet worden, umein zweites Pearl Harbor zu verhindern), haben lang-fristige geistige Wurzeln. Diese folgen auch aus demsäkularen Selbstverständnis. Nach dem ersten Zusatzder Verfassung von 1787 darf der Kongress kein Ge-setz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligionvorsieht oder die freie Ausübung einer Religion ver-bietet.

Dieser wall of separation between church and state,wie es Thomas Jefferson 1802 trefflich nannte, führteauch in der praktischen Außenpolitik dazu, ein völligsäkulares Konzept gegenüber Religionen zu verfol-gen und dieselben nach diesem demokratischenSelbstverständnis mehr und mehr auszuklammern.Das mag seine Richtigkeit im Kurs gegenüber gleich-artigen Demokratien und Regionen gehabt haben,nicht aber gegenüber dem Islam. Wie gezeigt, betriebhier das Weiße Haus wenigstens 25 Jahre lang eine sä-kulare Fehlpolitik. Erst eine nationale Katastrophemusste diese Lücke zwischen der 2001 fehlenden na-tionalen Islampolitik und der seit 1986 praktiziertenAnti-Terrorpolitik aufdecken. Wenn man im WeißenHaus lernt, den Islam und seine Varianten zu begrei-fen und damit offensiv umzugehen, bedeutet dasnicht, dass damit gegen den ersten Zusatz zur Verfas-sung verstoßen würde. Das heißt nur, den Realitätender islamischen Zivilisation und ihrer geographischenRäume zu entsprechen. Andererseits erwächst dieGefahr, die Islampolitik im Sinne des christlichen Ak-tivismus zu verfolgen und in einen Kampf der Fun-damentalisten umzumünzen. Das mögen checks andbalances des demokratischen Systems verhindern.

Was wäre Islampolitik?

Gegenüber Religionen wenden Politiker zumeist dreiRegeln an – die Konfession aus der Politik zu halten,mit ihr Politik zu betreiben oder aus den beiden Prin-zipien eine flexible Mischtaktik zu entwickeln. Dieerste Regel favorisiert eine der gegenwärtigen Prakti-ken der judäo-christlichen Tradition, die zweite eineaus der islamischen Religion. Die dritte Regel benut-

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zen Politiker gern, um religiöse Grundlagen vonIdeologien und Kulturen als Handlungsorientierungund Mittel der Koalitionsbildung zu verwenden. Re-gel drei wirkt offenbar dort besser, wo multikonfes-sionelle Konstellationen und Globalisierungen wiederen Gegentendenzen vorherrschen. Keine der dreiRegeln kommt in Reinform vor, was auch mit densich ändernden multiplen Identitäten von Politikernund deren Anhängern zusammenhängt.

Praktikabel wäre es, wenn alle Akteure derselbenRegel folgten und die Religionen aus der Politik he-raushalten würden. Aber dies ist mehr eine westlicheErfahrung, die nicht ohne Weiteres auf den islami-schen Raum übertragen werden kann. Der Islam istdort als Hauptreligion eine Totalität, die auch US-Administrationen beschäftigt hat. Im Grunde lief de-ren Islamkurs oft auf zweierlei hinaus. Erstens ver-standen ihre Politiker darunter im weiteren Sinne dieobjektive Stellung und die Rolle des Islam oder seinerTeile in der auswärtigen Politik – dies unabhängig vonder Existenz eines formulierten politischen Gesamt-kurses gegenüber dem Islam durch die Exekutive.Wer sich mit Amerika befasst, entdeckt solcheGrundtendenzen der Islampraxis wie die ignorie-rende, apologetische und realistische, selbst wenndiese nicht wie sonst üblich in den White House po-licy papers in Präsidialdirektiven formuliert sind.Freilich, der Washingtoner Islamkurs im weiterenSinne spielte bislang stets seine indirekte Rolle als Teilder jeweils gegenüber den Staaten und den Problemenformulierten Landes- und Regionalpolitik, was übri-gens Papiere des State Department besser als die desWeißen Hauses belegen. Doch lange übersah mannicht- und zwischenstaatliche islamische Akteure,deren Rolle durch die Organisation Islamische Kon-ferenz und durch Terrorvereinigungen wie al-Qa’ida,Hamas und Hizballah wächst. Diese gilt auch für zi-vilgesellschaftliche Vereine der Muslime in Europa.

Im engeren Sinne betrifft die Islampolitik ein na-tionales, im politischen Machtzentrum formuliertesund verfolgtes Konzept, dass sich auf eigene Traditio-nen beruft wie sie zum Beispiel George H. W. Bushschon mit seinem Hinweis auf den Einsatz der Navygegen den Pascha von Tripolis in der Sicherheitsstra-tegie angedeutet hat. Islampolitik im engen Sinnezeichnet sich durch einen schriftlich fixierten Ge-

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samtansatz mit Werten, Zielen, Methoden und In-strumenten ihrer Verwirklichung gegenüber dieserReligion und ihren staatlichen oder nichtstaatlichenAkteuren aus. Für das Weiße Haus lässt sich histo-risch wie aktuell die weitere und indirekte Islam-politik beschreiben. Wie gezeigt, nähert es sich imkonfliktreichen Prozess der präsidial geführten Au-ßenpolitik der engeren Islampolitik an.

Islampolitik lief sowohl direkt als indirekt ab. Di-rekt, ging es um die gesamtnationale Beeinflussungvon Staaten und anderen Akteuren als ideelle oder alsreelle Zentren dieser Religion. Stichworte wie die Al-Azahr-Universität in Ägypten und die Heiligtümer inSaudi-Arabien, Irak, Iran und Israel mögen hier ge-nügen. Islampolitik war mittelbar oder indirekt,wenn nationale Politik gegenüber dieser Religion mitrivalisierenden Kräften betrieben wurde. So hat sichWashingtons Politik mit christlichen Minoritäten inMittelost als indirekte Islampolitik erwiesen – sieheArmenier im Ersten Weltkrieg – wie auch der Kursgegenüber Israel und den in Mittelost lebenden jüdi-schen Minoritäten, etwa in Marokko.

Mit anderen Worten: Wenn sich Amerika für denSchutz von Minderheiten aus anderen Religionen inder Region stark gemacht hat, so verfolgte es dabeizugleich eine indirekte Islampolitik. Sie lief stets da-rauf hinaus, Religionen für die eigenen nationalenZiele zu funktionalisieren. Dies doppelt, wenn Wa-shington auf die Potenzen im Islam zum Schutz vonMinderheiten drang, oder auch als Abwehr, wenn esgewisse islamistische Einflüsse zurückzudrängensuchte. Das ist der Fall, seitdem Amerika aktiv regio-nalen Gegnern der islamischen Revolution hilft. Wel-che historischen Eigenheiten weist diese Islampolitikauf?

Amerikas historischeIslampraxis

Die Gründerväter haben sich allein in Streiflichternmit dem Islam befasst. Als Thomas Jefferson in seinerAutobiographie Virginias Gesetz zur Religionsfrei-heit besprach,33) lobte er, dass dort der Verweis auf Je-sus Christus mehrheitlich herausgenommen wurde,damit religiöse Freiheit und Freiheit von der Religionauch die Juden, Heiden, Christen, Muslime, Hindusund Ungläubigen aller Arten betreffe. Religion und

33) Jim Walker, „Little-KnownU.S. Document Signed byPresident Adams ProclaimsAmerica’s Government IsSecular“, in: The EarlyAmerica Review, II (Sum-mer 1997).

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Regierung, meinte er einmal, würden in größererReinheit existieren, je weniger sie miteinander ver-mischt werden.

Zur selben Zeit, kurz vor 1800, begann Amerikasaußenpolitische Islampraxis, als es eine Strafexpedi-tion gegen die Piraterie der so genannten Barbaren-Staaten Nordafrikas aussandte. Denn die Korsarenverunsicherten nicht nur den normalen Schiffsver-kehr im Mittelmeer, sondern sie verkauften jahrzehn-telang Tausende von Menschen aus westlichen Län-dern in die Sklaverei. So gesehen, waren vor allemAraber nicht allein die frühen Kolonialisten an denKüsten Afrikas und Asiens, sondern auch die maß-geblichen Sklavenhändler. Im Ergebnis dessen gingendie Präsidenten George Washington und John Adams1796 und 1797 den Vertrag von Tripolis ein, der aufder amerikanischen Seite die Trennung von Staat undKirche als Prinzip in der auswärtigen Politik bestätigthat. Im Artikel elf heißt es, die amerikanische Regie-rung beruhe in keinerlei Art auf der christlichen Re-ligion. Sie habe selbst nichts gegen die Religion derMuslime. Da die USA nie im Kriegszustand mit einerislamischen Nation standen, erklärten beide Parteien,dass die Harmonie zwischen ihnen nimmer aus reli-giösen Ansichten heraus gestört werden möge. Alsdie Angriffe auf die Schifffahrt nicht aufhörten,schickte Amerika bis 1805 das Militär gegen den Pa-scha von Tripolis.34)

Die Geschichte der amerikanischen Islampraxisbedeutete Krieg und Frieden. Daraus folgt ihrezweite Eigenheit, direkt aus der Aufklärung inEuropa und der amerikanischen Revolution, die auf-grund des britischen Liberalismus und seiner nord-amerikanischen Ausformung den demokratischenBefreiungsimpuls um die Welt gesandt und die Ärader globalen Zivilisations- und Kulturkämpfe einge-läutet hat. Freilich zeitigten in Mittelost die französi-sche und die russische Revolution wie deutsche Ein-flüsse tiefere Wirkungen, zumal sie staatlichen Terrorvon oben und Terrorismus von unten als politischeWaffen demonstriert haben.

Die dritte Eigenheit in der historischen IslampraxisAmerikas besteht darin, dass der Islam dort entwedernie voll in den Dreierreigen der innerhalb desselbenmittelöstlichen Raumes offenbarten Religionen ein-ging oder früh wieder herausfiel. Viel deutet auf den

34) Addison Beecher ColvinWhipple, To the Shores ofTripoli: The Birth of theU.S. Navy and Marines,New York 2001.

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Dok. 4: Der Vertrag mit dem Pascha von Tripolis, der nuracht Jahre galt, sollte 1797 die Religion aus den auswärtigenBeziehungen heraushalten. Sie möge keinen Vorwand dafürliefern, friedliche Beziehungen zu stören. Ein Kerndoku-ment der ältesten Demokratie, die Staat und Kirche strikttrennte – Teil des historischen Hintergrunds der säkularenFehlpolitik gegenüber dem Islam.

ersten Fall hin. Indes Europas Aufklärung die Ver-wandtheit dieser Religionen pflegte, war der Islam et-was Fremdes in Amerika.35) Dies mag in der Phase derBesiedlung Amerikas, seiner Konstituierung als Staat,dem damaligen Stand der Aufklärung, ihrer westli-chen Verzweigung36) und der geographischen Fernedes Islam seine Ursachen haben.

Unter den Einwanderern waren relativ wenig Mus-lime. Das blieb in den nachfolgenden 100 Jahren so:von 300 Millionen Einwohnern sind etwa sechs Mil-lionen Muslime. Der Islam ist in Amerika ein Phäno-men des 20. Jahrhunderts. Dies weist auf eine vierteEigenheit hin: die besondere Verflechtung zwischendem Muslimsein in Amerika und der „schwarzen“Bürgerrechtsbewegung. Zum Islam überzutreten,

35) Mein Beitrag, „Wilhelm II.,Sozialdemokraten, Muslimeund Nordamerikaner 1898“,in: Klaus Jaschinski, JuliusWaldschmidt (Hg.), DesKaiser Reise in den Orient,Berlin 2002, S. 37–60. http://www.trafoberlin.de/pdf-dateien/KaiserbeitragSchwanitzWord.pdf.

36) Gertrude Himmelfarb, TheRoads to Modernity. TheBritish, French, and Ameri-can Enlightenments, NewYork 2004.

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dies galt oft als Protest der Afroamerikaner gegen„weiße“ Diskriminierung. In Detroit bildete WallaceD. Fard 1930 die Nation of Islam für Muslime. Nachdem Zweiten Weltkrieg verzweigte sich der Verein37),dessen Bürgerrechtler oft dem Islam nahe standenoder konvertierten. Aus Sicht des Weißen Hausesverlieh dies dem US-Islam Sprengkraft. Umgekehrtgab es afroamerikanische Sympathien für den Protest-gehalt des Islam. Sie erzeugt auch Affinitäten zu denIslamisten, die gewählte Repräsentanten der Afro-amerikaner zu gewinnen suchen.

Die fünfte Eigenheit: Amerikas außenpolitischesDogma, sich nicht in Europas Händel verwickeln zulassen, fiel nicht nur Mitte des 20. Jahrhunderts mitdem NATO-Pakt. Als dieser mit der Türkei einejunge Demokratie mit islamischer Bevölkerung ein-bezog, stieß Washington das Tor des zivilisatorischenBrückenschlags Orient-Okzident am Bosporus weitauf. Da es einst darum ging, das nukleare Inferno imOst-West-Konflikt zu verhüten, sahen US-Präsiden-ten islamische Räume als Flankenzonen des Haupt-konfliktes an. So übersahen sie den Aufstieg des ra-dikalen Islam als antimoderne Basis einer neuenHassideologie, wobei der Islamismus Versatzstückevorheriger totalitärer Ideologien aus Europa vereinthat. Auch die NATO versagte, so dass sie keinenAlarm wegen der neuen Fronten am Ende des KaltenKrieges schlug. Im afghanischen Fall hat das WeißeHaus gegen den Kreml gar Jihad made in U.S.A. kul-tiviert. All das wird nun korrigiert, wobei der Türkei,Afghanistan und auch dem Irak eine Hauptrolle aufafro-asiatischen Wegen in die Moderne zuwächst.

Dies führt zu einer sechsten Eigenheit der histori-schen US-Islampraxis. Als Amerika 1942 erstmalsMittelost zu seiner vitalen Interessensphäre erklärteund Teile Nordafrikas präventiv besetzte, verwarf dieFührung eine geheimdienstliche Idee, islamischeFührer Nordafrikas auf seiner Seite gegen JerusalemsGroßmufti auf der Seite der Achsenmächte wirken zulassen, der bekanntlich von Berlin aus den Jihad gegendie Alliierten gepredigt hat. Zur Begründung hieß es,dies könne zu einem christlich-muslimischen Kriegführen.38) Obwohl die Kriegslage mit dem deutschenVormarsch in Nordafrika brenzlig war, wollte man inWashington und London den Islam nicht außenpoli-tisch instrumentalisieren. Amerika, Großbritannien

37) Qamar-ul-Huda, „TheDiversity of Muslims in theU.S“, in: U.S. Institute ofPeace. Special Report 159(2006)2; Joanne Turner-Sadler, African AmericanHistory. An Introduction,New York 2006.

38) Dazu mein Beitrag, „DieBerliner Djihadisierung desIslam. Wie Max von Oppen-heim die islamische Revolu-tion schürte“, in: KAS-Aus-landsinformationen, 20(2004)10, S. 17–37 http://www.kas.de/db_files/dokumente/auslandsinfor-mationen/7_dokument_dok_pdf_5678_1.pdf.

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und ihre Alliierten befreiten Muslime nicht nur vonItaliens Faschismus und vom deutschen Nationalso-zialismus. Sondern sie verhüteten auch einen durchHitler in Mittelost vorgesehenen Holocaust. Aber alsWashington im Kalten Krieg das Ende der UdSSRvorhersah und alles weniger schlimm als im ZweitenWeltkrieg war, da förderte es den Jihad gegen dieSowjetunion. Clintons Außenministerin Albright,die, wie sie meint,39) zu Mittelost wie zu ihrem Rus-sisch kam, learning by doing, feiert diesen Fehler, denJihad gegen ein Land der judäo-christlichen Traditionzu fördern, als „Siegesstrategie“.

Kluge Islampolitik

Aus all dem ergeben sich neue Anforderungen an einenationale Politik gegenüber einer Weltreligion. Zu-nächst kann die Politik nur ein fördernder oder hem-mender Faktor von außen sein, aber nicht die Selbst-entwicklung der Muslime als Hauptsache ersetzen.Die im Weißen Haus verfolgte Islampolitik muss denIslamismus und seine Träger als das ideologischeHauptproblem identifizieren, das es offensiv zu be-kämpfen gilt. Diese National Policy on Islam soll dieglobale Überwindung aller extremen Formen mitihrem Terror als weltweite Strategie und Taktik unterBenennung der Alliierten und Gegner, der Arten desIslam und ihrer demokratischen Potenzen formulie-ren. Ebenso geht es darum, welche Arten des Islamauf der eurasischen Landmasse vorherrschen und wiesich diese auf Demokratien aller Kontinente auswir-ken. Visionen sind nötig, welche Basis und Prinzipienden Islam demokratiefähig machen, wie es mit seinemAnspruch auf Totalität und Universalität steht, washierbei in das Reich des theologischen Streitgesprächsund des ökumenischen Dialogs gehört und was – wieder Märtyrerkult – in der Weltpolitik nicht akzepta-bel ist. Welche Koalitionen können mit welchen Mit-teln und Methoden und in welchen Zeiten die isla-mistische Ideologie und ihren Terror überwindensowie die islamische Reformierung fördern?

Gewiss gibt es wenigstens zwei Meinungsgruppenüber die Chancen des Reformislam. Die einen sagen,der Islam sei grundsätzlich weder zu weitgehendeninneren Reformen noch überhaupt zur Demokratiefähig. Seine Regionen müssten erst einen Prozess derAufklärung sowie der Trennung von Religion und

39) Albright, Madam Secretary,S. 366, 461, 657, 660: Sie isttypisch für Generationen,die kein tieferes Verständnisfür den Islam entwickelthaben. Sie, die sich alsAtheistin ausweist, hielt inihrer Amtszeit nichts vomclash of civilizations. IhreZauberformel blieb appease-ment. Aber in ihrer Amtszeitist so viel versäumt worden.Jetzt erklärt sie die Zeit von2001 bis 2004 als „verloreneJahre für den Frieden in Mit-telost“.

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Macht ähnlich wie in den Demokratien erfahren. Esgebe keinen guten oder schlechten Islam. Solange derKoran und die damit verknüpften Dogmen ein-schließlich der Jihad-Doktrin gelten, ändere sich diesauch gar nicht. Wenn doch, dann sei dies kein Islammehr – ganz ähnlich den Kommunisten, die der Welt-revolution und dem Klassenkampf abgeschworenhätten. Zum anderen gibt es eine Meinungsgruppe,die auf den reformierten, moderaten und gegenüberDemokratien kompatiblen Islam setzt. In dieserGruppe befinden sich auch Muslime aus den Regio-nen dortselbst, obgleich sie klar in der Minderheitsind und sich sehr leise in dem heute noch den Terrorbegünstigenden islamischen Konzert ausnehmen. Siesind die eine Hoffnung, die eine kluge und weit aus-differenzierte Islampolitik beflügeln kann, und zwarnicht nur durch Amerika. Das historisch, geogra-phisch und kulturell viel nähere Europa wie auchAfrika und Asien sind ebenso gefordert wie das ferneAustralien. Demokratien müssen ihre Islampolitikkoordinieren.

Nachdem das Weiße Haus unter George W. Busherklärt hat, Demokratie sei das beste Rezept gegenden Islamismus, darf die Welt ein politisches Gesamt-konzept erwarten, die nationale Anti-Terror- und Is-lampolitik. Es geht dabei auch darum, die Spirale derGewalt in globalen Beziehungen zu stoppen. Dafürliefert der Koran Grundlagen. Auch dahin, dass es inder Religion keinen Zwang gibt: Niemand darf in denIslam gezwungen oder in ihm gewaltsam gehaltenwerden, weder durch Jihad oder anderen Terror. Je-der darf sich davor schützen. Das geht nur auf demWeg zur demokratischen, offenen und pluralen Ord-nung. In Räumen der drei monotheistischen Ge-schwisterreligionen ist kein Platz für Rassismus undJudenfeindschaft. Alle möchten sich ihrer natürlichenFreiheiten erfreuen, nach ihrer Façon glücklich wer-den, ohne Todeskult und Diskriminierung vonFrauen und Minoritäten. Wenn Amerika an derSpitze der Demokratien seine Anti-Terror- und Is-lampolitik erklärt und offensiv betreibt, kann es dendemokratischen Impuls fortführen, der einst die Weltdurch die amerikanische Revolution in eine neue Äragedreht hat. Sie läuft auf das Ende aller Diktaturen hi-naus. Globalisierung und Medienrevolution tragendiesen Impuls in alle Erdwinkel. Damit gehen tief

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greifende Umwälzungen für Menschen einher. Alleindies ist die demokratische Richtung der Geschichte,das Maß für Fort- und Rückschritt.

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