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HORIZONT No 39 046 Produkte · Industrie · Grafik Design 46 Anfang September fand in Linz das Highlight meines Festival-Jahres statt: die Ars Electronica, die jedes Jahr mit bewusstseinserweiternden Veranstal- tungen wie Burning Man in den USA und Cool-Tech-Messen wie der IFA in Berlin konkurriert, gegen diese mit eigenem Flair besteht und Input von und für Interessierte, Künstler und Kre- ative bietet. Dem Kuratorenteam rund um Gerfried Stocker, der seit vielen Jah- ren – und verdient mit viel Applaus – für die künstlerische Leitung der Ars Elec- tronica verantwortlich zeichnet, gelingt es jedoch immer wieder, mich von Neuem mit seiner gesellschaftsrele- vanten, künstlerischen, spannenden Auswahl zu begeistern. Es ist das Ein- tauchen in emen, die nicht nur dem Zeitgeist folgen; das dichte Programm an Symposien, Round-Table-Diskussi- onen, Installationen und Performances bewegt sich wiederholt auf derart ho- hem intellektuellem Niveau, dass man gar nicht anders kann, als sich jedes Jahr aufs Neue diesem Feuerwerk an Eindrücken und neuen Erkenntnissen hingeben zu wollen. Der Fokus des diesjährigen Festivals beleuchtete einen besonders zeitkriti- schen Aspekt: die Erinnerung und ihre Speicherung – was ist Erinnerung, wie entsteht sie und wie speichern wir sie, damit sie nicht verloren geht? Eine Reihe namhafter Hirnforscher, Com- puterwissenschaftler, Philosophen und Künstler präsentierte dazu ihre Zugänge und Zukunftsaussichten. Themen wie künstliche Intelligenz, Zukunft der Datenspeicherung, Erin- nerungspolitik und die emotionale Bewahrung von Erinnerungen wurden dabei interdisziplinär debattiert, visu- alisiert und mit reger Anteilnahme des Publikums bearbeitet. Die Essenz, die ich aus dem dreitägigen Besuch des Festivals ziehe, findet sich in drei Worten des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass wieder: „Erinnern heißt auswählen.“ Auswählen hieß es auch bei der Er- stellung dieses Berichts, und es fällt schwer, sich zu reduzieren in einer Kurzbeschreibung faszinierender Ar- beiten. Als Fan der „Make Stuff Your- self“-Policy empfehle ich zunächst den Besuch des AEC-FabLabs, das mich zu Design und Bau einer solarzellenge- speisten LED-Kerze animierte. Roboter und Mensch im Gleichklang Roboter-Mastermind Hiroshi Ishiguro lief mir nach der Gala über den Weg, verbeugte sich klassisch nach japani- scher Manier zum Gruß, sodass ich mich automatisch zu einem Hofknicks hinreißen ließ und lud mich zu seiner Geminoid-HI-4-Performance ein. „Fas- zinierend“ ist das einzige Wort, das den Anblick beschreiben kann. Hiroshi und sein Surrogat, hoppala, ich meine And- roid oder, einfach gesagt, die Kopie seiner selbst, deren Mimik, Augen- und Kopfbewegung von zwölf Motoren dirigiert werden und die so durch den Raum schwebt, sind erstaunlich. Es folgt ein Interview mit Koen Vanmechelen, dem belgischen Cos- mopolitan Chicken – oder von mir als ungekreuzte Südburgenländerin auch als Multikulti-Hendlzüchter bezeich- net – und Gewinner der Nica in der Kategorie Hybrid Art. Ich bin ob der komplexen Familienbaumstruktur sei- ner Hühner fast durchgehend verwirrt, nicke jedoch im Takt der Erzählung und bewundere die Begeisterung, die Koen seit 20 Jahren in die Kreuzung von Hühnern und Hähnen, und das durch alle Kulturkreise des Globus hinweg, hegt. Die Tanzperformance von Huang Yi und Roboter Kuka zählt zu den berüh- rendsten Vorstellungen des diesjäh- rigen Festivals. Die synchronen und anmutigen Bewegungen des Roboters und eine seltsam intime Harmonie zwischen den beiden Protagonisten ließen kurzzeitig vergessen, dass der Roboter an der Seite Huang Yis ein ferngesteuertes Objekt und kein leben- diges Wesen ist. Gigapixel und Multisensorik Unvergesslich sind die eindrucksvollen Darbietungen im AEC Deep Space, da- runter Lois Lammerhubers Gigapixel- bilder von New York City, die auf einer riesigen Screen-Installation im Termi- nal 3 des Wiener Flughafens zu bewun- dern sind, oder die interaktiven Mind- games „re:collection“ und „Clockworld“ von Studenten der FH Oberösterreich in Hagenberg, die Besucher als Spiel- figuren positionierten. Ein multisensorisches Deep-Space- Highlight war jedoch das Klavierduett von Dennis Russell Davies und Maki Namekawa von Igor Strawinskis „Le sacre du printemps“, das mit einer Echtzeit-Visualisierung aus histori- schem Bildmaterial und digitalen Gra- fiken untermalt wurde. Erwähnenswert ist auch die Präsentation der Medien- plattform ikono.tv, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Kunst der breiten Öffent- lichkeit näherzubringen. „Kunst 24/7“ benennt ikono.tv-Gründerin Elizabeth Markevitch das Senderprofil und fügt hinzu: „Fernsehen ist wieder in.“ Es herrschte Stille und man sah Frage- zeichen im Raum. Nichtsdestotrotz: Wer den Massen Kultur zuführen will, hat jeglichen Joker verdient. Ich muss schmunzeln, als Future- lab-Capo Horst Hörtner mich Sonntag- abend vor meiner Abreise nach Wien auf einer Bank im AEC Center liegen sieht. „Erschöpft“, flüstere ich ihm zu, und Horst grinst glücklich. „Mission accomplished“, lese ich in seinem Blick. Ich steige in die Westbahn ein und freu’ mich schon aufs nächste Mal. Daniela Krautsack Daniela Krautsack, Cows in Jackets (www.cowsinjackets.com) ist Media- strategin und seit 2012 als Urban Expe- rience Designerin tätig. Ihr nächster Coup heißt CitiesNext (www.citiesnext. org) und lädt Communitys zum gemein- schaftlichen Problemlösen in verschie- dene Städte ein. Gastreporterin Daniela Krautsack berichtet über persönliche Highlights der diesjährigen Ars Electronica, des alljährlichen Medienkunstfestivals in Linz Von der Manipulation der Erinnerung Die Tanzperformance des taiwanesischen Erfinders und Künstlers Huang Yi mit dem deutschen Roboter Kuka gilt der Partnerschaft von Mensch und Roboter. © Huang Yi Die LED-Instal- lation der japa- nischen Künstler Daito Manabe und Satoru Higa, „Your-Cosmos“, besteht aus LED- Modulen, die wie Legosteine zu einer gemein- schaftlich ge- schaffenen Welt zusammenge- setzt werden konnten. © Daniela Krautsack (3) Im Deep Space lud die interaktive Spielinstallation „re:collection“ der FH OÖ Hagenberg das Publikum ein, als Spielfiguren zu agieren. © Daniela Krautsack Die „urban USB data“-Schnittstelle lädt Besucher von „El Campo de Cebada“ zum Up- und Download von Open-Source-Designdaten zum Bau von Stadtmobiliar im öffentlichen Raum ein. © El Campo de Cebada (2) „El Campo de Cebada“ (das Gerstenfeld) ist Gewinner der Nica Digital Communities. Es ist ein physischer und virtueller Raum im Zentrum Madrids, der von den Anrainern kuratiert und gestaltet wird. Ein erfolgreiches Beispiel für Selbstverwaltung im Stadtraum.

Ars Electronica Review 2013

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Horizont Austria Artikel über die Highlights der Ars Electronica 2013.

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Page 1: Ars Electronica Review 2013

HORIZONT No 39046 Produkte · Industrie · GrafikDesign46

Anfang September fand in Linz das Highlight meines Festival-Jahres statt: die Ars Electronica, die jedes Jahr mit bewusstseinserweiternden Veranstal-tungen wie Burning Man in den USA und Cool-Tech-Messen wie der IFA in Berlin konkurriert, gegen diese mit eigenem Flair besteht und Input von und für Interessierte, Künstler und Kre-ative bietet. Dem Kuratorenteam rund um Gerfried Stocker, der seit vielen Jah-ren – und verdient mit viel Applaus – für die künstlerische Leitung der Ars Elec-tronica verantwortlich zeichnet, gelingt es jedoch immer wieder, mich von Neuem mit seiner gesellschaftsrele-vanten, künstlerischen, spannenden Auswahl zu begeistern. Es ist das Ein-tauchen in #emen, die nicht nur dem Zeitgeist folgen; das dichte Programm an Symposien, Round-Table-Diskussi-onen, Installationen und Performances bewegt sich wiederholt auf derart ho-hem intellektuellem Niveau, dass man gar nicht anders kann, als sich jedes Jahr aufs Neue diesem Feuerwerk an Eindrücken und neuen Erkenntnissen hingeben zu wollen.

Der Fokus des diesjährigen Festivals beleuchtete einen besonders zeitkriti-schen Aspekt: die Erinnerung und ihre Speicherung – was ist Erinnerung, wie entsteht sie und wie speichern wir sie, damit sie nicht verloren geht? Eine Reihe namhafter Hirnforscher, Com-puterwissenschaftler, Philosophen und Künstler präsentierte dazu ihre Zugänge und Zukunftsaussichten. Themen wie künstliche Intelligenz, Zukunft der Datenspeicherung, Erin-nerungspolitik und die emotionale Bewahrung von Erinnerungen wurden dabei interdisziplinär debattiert, visu-alisiert und mit reger Anteilnahme des Publikums bearbeitet. Die Essenz, die ich aus dem dreitägigen Besuch des Festivals ziehe, findet sich in drei Worten des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass wieder: „Erinnern heißt auswählen.“

Auswählen hieß es auch bei der Er-stellung dieses Berichts, und es fällt schwer, sich zu reduzieren in einer Kurz beschreibung faszinierender Ar-beiten. Als Fan der „Make Stu% Your-self“-Policy empfehle ich zunächst den Besuch des AEC-FabLabs, das mich zu Design und Bau einer solarzellenge-speisten LED-Kerze animierte.

Roboter und Mensch im Gleichklang

Roboter-Mastermind Hiroshi Ishiguro lief mir nach der Gala über den Weg, verbeugte sich klassisch nach japani-scher Manier zum Gruß, sodass ich mich automatisch zu einem Hofknicks hinreißen ließ und lud mich zu seiner Geminoid-HI-4-Performance ein. „Fas-zinierend“ ist das einzige Wort, das den Anblick beschreiben kann. Hiroshi und sein Surrogat, hoppala, ich meine And-roid oder, einfach gesagt, die Kopie seiner selbst, deren Mimik, Augen- und Kopfbewegung von zwölf Motoren dirigiert werden und die so durch den Raum schwebt, sind erstaunlich.

Es folgt ein Interview mit Koen Vanmechelen, dem belgischen Cos-mopolitan Chicken – oder von mir als ungekreuzte Südburgenländerin auch als Multikulti-Hendlzüchter bezeich-net – und Gewinner der Nica in der Kate gorie Hybrid Art. Ich bin ob der

kom plexen Familienbaumstruktur sei-ner Hühner fast durchgehend verwirrt, nicke jedoch im Takt der Erzählung und bewundere die Begeisterung, die Koen seit 20 Jahren in die Kreuzung von Hühnern und Hähnen, und das durch alle Kulturkreise des Globus hinweg, hegt.

Die Tanzperformance von Huang Yi und Roboter Kuka zählt zu den berüh-rendsten Vorstellungen des diesjäh-rigen Festivals. Die synchronen und anmutigen Bewegungen des Roboters und eine seltsam intime Harmonie zwischen den beiden Protagonisten ließen kurzzeitig vergessen, dass der Roboter an der Seite Huang Yis ein ferngesteuertes Objekt und kein leben-diges Wesen ist.

Gigapixel und Multisensorik

Unvergesslich sind die eindrucksvollen Darbietungen im AEC Deep Space, da-runter Lois Lammerhubers Gigapixel-bilder von New York City, die auf einer riesigen Screen-Installation im Termi-nal 3 des Wiener Flughafens zu bewun-dern sind, oder die interaktiven Mind-games „re:collection“ und „Clockworld“ von Studenten der FH Oberösterreich in Hagenberg, die Besucher als Spiel-'guren positionierten.

Ein multisensorisches Deep-Space-Highlight war jedoch das Klavierduett von Dennis Russell Davies und Maki

Namekawa von Igor Strawinskis „Le sacre du printemps“, das mit einer Echtzeit-Visualisierung aus histori-schem Bildmaterial und digitalen Gra-'ken untermalt wurde. Erwähnenswert ist auch die Präsentation der Medien-plattform ikono.tv, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Kunst der breiten Ö%ent-lichkeit näherzubringen. „Kunst 24/7“ benennt ikono.tv-Gründerin Elizabeth Markevitch das Senderpro'l und fügt hinzu: „Fernsehen ist wieder in.“ Es herrschte Stille und man sah Frage-zeichen im Raum. Nichtsdestotrotz: Wer den Massen Kultur zuführen will, hat jeglichen Joker verdient.

Ich muss schmunzeln, als Future-lab-Capo Horst Hörtner mich Sonntag-abend vor meiner Abreise nach Wien auf einer Bank im AEC Center liegen sieht. „Erschöpft“, )üstere ich ihm zu, und Horst grinst glücklich. „Mission accomplished“, lese ich in seinem Blick. Ich steige in die Westbahn ein und freu’ mich schon aufs nächste Mal.

Daniela Krautsack

Daniela Krautsack, Cows in Jackets (www.cowsinjackets.com) ist Media-strategin und seit 2012 als Urban Expe-rience Designerin tätig. Ihr nächster Coup heißt CitiesNext (www.citiesnext.org) und lädt Communitys zum gemein-schaftlichen Problemlösen in verschie-dene Städte ein.

Gastreporterin Daniela Krautsack berichtet über persönliche Highlights der diesjährigen Ars Electronica, des alljährlichen Medienkunstfestivals in Linz

Von der Manipulation der Erinnerung

Die Tanzperformance des taiwanesischen Erfinders und Künstlers Huang Yi mit dem deutschen Roboter Kuka gilt der Partnerschaft von Mensch und Roboter. © Huang Yi

Die LED-Instal-lation der japa-

nischen Künstler Daito Manabe

und Satoru Higa, „Your-Cosmos“, besteht aus LED-

Modulen, die wie Legosteine

zu einer gemein-schaftlich ge-

schaffenen Welt zusammenge-setzt werden

konnten. © Daniela Krautsack (3)

Im Deep Space lud die interaktive Spielinstallation „re:collection“ der FH OÖ Hagenberg das Publikum ein, als Spielfiguren zu agieren. © Daniela Krautsack

Die „urban USB data“-Schnittstelle lädt Besucher von „El Campo de Cebada“ zum Up- und Download von Open-Source-Designdaten zum Bau von Stadtmobiliar im öffentlichen Raum ein. © El Campo de Cebada (2)

„El Campo de Cebada“ (das Gerstenfeld) ist Gewinner der Nica Digital Communities. Es ist ein physischer und virtueller Raum im Zentrum Madrids, der von den Anrainern kuratiert und gestaltet wird. Ein erfolgreiches Beispiel für Selbstverwaltung im Stadtraum.