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Landtag Ausschussprotokoll Nordrhein-Westfalen APr 16/972 16. Wahlperiode 26.08.2015 Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 78. Sitzung (öffentlich) 26. August 2015 Düsseldorf Haus des Landtags 15:30 Uhr bis 18:30 Uhr Vorsitz: Günter Garbrecht (SPD) Protokoll: Simona Roeßgen Verhandlungspunkte und Ergebnisse: 1 Landesinitiative Faire Arbeit Fairer Wettbewerb5 Bericht der Landesregierung Vorlage 16/3130 StS Dr. Wilhelm Schäffer (MAIS) sowie Dr. David Mintert und Dr. Alexandru Zidaru von Arbeit und Leben NRW berichten und beantworten Fragen aus dem Ausschuss. 2 Medikamentenvergabe in Werkstätten für behinderte Menschen 17 Bericht der Landesregierung Vorlage 16/3131 (Keine Diskussion) 3 Spitzengespräch im Ausbildungskonsens NRW vom 28. Mai 2015 18 Bericht der Landesregierung Vorlage 16/3012 (Keine Diskussion)

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales · 2016. 5. 20. · 2 Medikamentenvergabe in Werkstätten für behinderte Menschen 17 ... Mai 2015 18 Bericht der Landesregierung Vorlage

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Landtag Ausschussprotokoll Nordrhein-Westfalen APr 16/972 16. Wahlperiode 26.08.2015

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 78. Sitzung (öffentlich)

26. August 2015

Düsseldorf – Haus des Landtags

15:30 Uhr bis 18:30 Uhr

Vorsitz: Günter Garbrecht (SPD)

Protokoll: Simona Roeßgen

Verhandlungspunkte und Ergebnisse:

1 Landesinitiative „Faire Arbeit – Fairer Wettbewerb“ 5

Bericht der Landesregierung

Vorlage 16/3130

StS Dr. Wilhelm Schäffer (MAIS) sowie Dr. David Mintert und Dr. Alexandru Zidaru von Arbeit und Leben NRW berichten und beantworten Fragen aus dem Ausschuss.

2 Medikamentenvergabe in Werkstätten für behinderte Menschen 17

Bericht der Landesregierung

Vorlage 16/3131

(Keine Diskussion)

3 Spitzengespräch im Ausbildungskonsens NRW vom 28. Mai 2015 18

Bericht der Landesregierung

Vorlage 16/3012

(Keine Diskussion)

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 2 - APr 16/972

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 4 Chancen und Risiken des digitalen Arbeitswandels 1 – Click- und

Crowdworking 19

Antrag der Fraktion der PIRATEN

Drucksache 16/8973

Die antragstellende Fraktion der Piraten beantragt die Durch-führung einer Anhörung.

5 Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen in der Landesverwaltung 20

Bericht der Landesregierung

Vorlage 16/2952

Minister Guntram Schneider (MAIS) berichtet. – Der Personalratsvorsitzende im MAIS, Herr Thomas Lück, beantwortet stellvertretend für die Schwerbehinderten-vertretung im MAIS Fragen aus dem Ausschuss.

6 88. Gesundheitsministerkonferenz am 24./25.06.2105 24

Bericht der Landesregierung

Vorlage 16/3057

In Verbindung mit:

Bericht Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Krankenhausfinanzierung

Bericht der Landesregierung

In Verbindung mit:

Bericht über die Pläne zur Inanspruchnahme des Strukturfonds

Bericht der Landesregierung

Vorlage 16/3113

Ministerin Barbara Steffens (MGEPA) berichtet und beant-wortet Fragen aus dem Ausschuss.

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 3 - APr 16/972

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 7 Zukunft der Unabhängigen Patientenberatung in NRW – Stand der

Vergabe auf Bundesebene 33

Bericht der Landesregierung

Den Vorträgen von Ministerin Barbara Steffens (MGEPA), Dirk Meyer, Beauftragter der Landesregierung für Patientinnen und Patienten, und Gregor Bornes vom Gesundheitsladen Köln e. V. schließt sich eine kontroverse Diskussion an. – Zu diesem Thema haben die Koalitions-fraktionen inzwischen einen Antrag gestellt, der auf der Tagesordnung des nächsten Plenums steht.

8 Bericht über Doping am Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst 40

Bericht der Landesregierung

Vorlage 16/3047

(Keine Diskussion)

9 Bericht über die sektorale Heilpraktikerprüfung für Podologen 41

Bericht der Landesregierung

Vorlage 16/3040

(Keine Diskussion)

10 Bericht über die Neuordnung der Notfalldienste im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein 42

Bericht der Landesregierung

Vorlage 16/3086

(Keine Diskussion)

11 Gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen in NRW 43

Bericht der Landesregierung

Vorlage 16/3134

ORR Dr. Peter Schmidt (MIK) berichtet und beantwortet gemeinsam mit Ministerin Barbara Steffens (MGEPA) Fragen aus dem Ausschuss.

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 4 - APr 16/972

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 12 Hohe Krankenstände in der Landesverwaltung durch Einführung

eines proaktiven behördlichen Gesundheitsmanagements senken 50

Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 16/8981

Der AGS-Ausschuss will zunächst abwarten, für welches Beratungsverfahren sich der federführende Innenausschuss entscheidet.

13 Alkohol in der Schwangerschaft – jeder Schluck kann das werdende Leben dauerhaft schädigen 51

Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 16/8980

Die antragstellende Fraktion der CDU beantragt die Durch-führung eines Expertengesprächs.

14 Verschiedenes 52

StS Martina Hoffmann-Badache (MGEPA) kündigt die Zuleitung des Landesförderplans Alter und Pflege an den AGS-Ausschuss für Anfang Oktober 2015 an.

* * *

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 5 - APr 16/972

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

Aus der Diskussion

1 Landesinitiative „Faire Arbeit – Fairer Wettbewerb“

Bericht der Landesregierung Vorlage 16/3130

Themenschwerpunkte dieser Landesinitiative, über die der Ausschuss schon mehr-fach diskutiert habe, seien Minijobs, Leiharbeit, Werkverträge und faire Löhne, so Vorsitzender Günter Garbrecht. Das MAIS habe mit Schreiben vom 21. August 2015 erneut über den Umsetzungsstand berichtet (Vorlage 16/3130). Auf Anregung des Ministeriums berichteten nun Herr Dr. David Mintert und Herr Dr. Alexandru Zida-ru von der Arbeitsgemeinschaft für politische und soziale Bildung im Land Nordrhein-Westfalen e. V. dem Ausschuss über das Projekt „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair ge-stalten“.

Staatssekretär Dr. Wilhelm Schäffer (Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales) berichtet wie folgt:

Ich will mich nach den Vorbemerkungen des Vorsitzenden und unter Verweis auf den Ihnen zugegangenen schriftlichen Bericht relativ kurz fassen und Ihnen damit mehr Gelegenheit geben, sich aus der Beratungspraxis im Rahmen dieser Lan-desinitiative berichten zu lassen.

Der Vorsitzende hat eben darauf hingewiesen, dass sich die Initiative „Faire Ar-beit – Fairer Wettbewerb“ auf unterschiedliche Themen konzentriert, im Moment in erster Linie auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen geringfügig Beschäftig-ter, im Vordergrund die Minijobs. Wir kümmern uns um die faire Gestaltung von Leiharbeit und um die gesetzeskonforme, vernünftige Ausgestaltung von Werkver-trägen. Und wir kümmern uns im Rahmen dieser Initiative um faire Lohnbedingun-gen, insbesondere um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zum Mindest-lohn.

Die Instrumente, die wir einsetzen – auch im schriftlichen Bericht dargestellt –, sind neben Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, die Sie auf unserer Internetseite und in anderen Medien verfolgen können, in erster Linie Information und Beratung derjenigen, die in solchen Beschäftigungsverhältnissen, um die wir uns kümmern, arbeiten, respektive Information und Beratung von Arbeitgeberinnen und Arbeit-gebern, die Beschäftigte in Minijobs arbeiten lassen.

Ansonsten haben wir eine Reihe von Modellprojekten vorbereitet. Wir haben bei-spielsweise Modellprojekte gestartet zur Umwandlung von Minijobs in reguläre so-zialversicherungspflichtige Beschäftigung, haben da nach zweieinhalb Jahren auch durchaus etliche Erfolge vorzuweisen; es konnten nämlich 3.500 Minijobs umgewandelt werden. Angesichts der Gesamtzahl mag man sagen: Das ist noch nicht viel. – Wir finden allerdings, dass das durchaus beachtenswert ist, weil wir damit viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber überzeugen konnten, dass sie auch

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 6 - APr 16/972

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

unter regulären sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen ver-nünftige Beschäftigung von Menschen betreiben können, jedenfalls besser als im Rahmen von Minijobs.

Im Übrigen wissen wir aus den Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Be-rufsforschung, dass seit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns die Zahl der Minijobs deutlich zurückgegangen ist. Man könnte nun befürchten, dass infolge des gesetzlichen Mindestlohns Beschäftigung verloren geht. Das ist allerdings nicht der Fall. Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ist das in Stun-den gemessene Arbeitsvolumen im gleichen Zeitraum konstant geblieben.

Ich habe eben darauf hingewiesen, dass wir im Rahmen dieser Initiative an unter-schiedlichen Stellen Beratung für Betroffene anbieten. Wir mischen uns allerdings auch in die Gesetzgebung des Bundes ein. Das haben wir beim gesetzlichen Min-destlohn getan; das tun wir bei der bevorstehenden Novellierung des Arbeitneh-merüberlassungsgesetzes und bei der Regulierung der rechtlichen Rahmenbedin-gungen für Werkverträge.

Sie sehen: Wir sind in der gesamten Handlungskaskade dieser Initiative von Öf-fentlichkeitsarbeit über Information, Beratung und Durchführung von Modellprojek-ten bis hin zu Gesetzesinitiativen aktiv, und das, wie ich finde, durchaus erfolg-reich.

Ein besonders erfolgreiches Projekt haben wir durchgeführt mit Blick auf die Fleischindustrie und die Logistikbranche, insbesondere in Ostwestfalen-Lippe und in Dortmund-Hellweg. Das ist ein Beratungsprojekt, das sich darauf richtet, insbe-sondere den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die aus Osteuropa zu uns kommen, zu ermöglichen, faire Arbeitsbedingungen für sich einzufordern. Da die-ses Projekt sehr erfolgreich ist, haben wir uns entschieden, es in Nordrhein-Westfalen auszudehnen.

Projektpartner ist „Arbeit und Leben NRW“. Ich freue mich, dass Herr Mintert und Herr Zidaru zu uns gekommen sind, um Ihnen konkret und anschaulich zu berich-ten, welchen Problemstellungen sie bei ihrer Arbeit begegnen, was sie tun und was sie über ihre Beratungstätigkeit erreicht haben. Sie haben dann Gelegenheit, Rückfragen zu stellen und mit den Kollegen in die Diskussion zu gehen.

Dr. David Mintert (Arbeit und Leben NRW) trägt vor:

Zunächst möchte ich mich herzlich bedanken für die Einladung und die Chance, Ihnen heute hier von unserem Projekt, von unserer Beratungsarbeit berichten zu können. Unseren etwas sperrigen Gesamtvereinsnamen hat der Vorsitzende zu Beginn genannt. Es reicht uns, wenn Sie uns als „Arbeit und Leben“ behalten.

Wir sind seit Sommer 2013 Träger des Beratungsprojekts, das sich an Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer aus Osteuropa richtet. Sie wissen, Arbeitnehmerfrei-zügigkeit gehört zu den elementaren Grundfreiheiten in der Europäischen Union. Die Mobilität der Menschen hat deutlich zugenommen. Die innereuropäische Ar-beitsmigration ist gewachsen. In vielen Fällen funktioniert das reibungslos und ist für alle Seiten ein Gewinn.

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 7 - APr 16/972

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

Wir kümmern uns um die Bereiche, wo es sehr schlechte Beschäftigungsbedin-gungen gibt, wo die prekäre wirtschaftliche Lage in den Herkunftsländern verbun-den mit fehlender Sprachkenntnis, aber auch mit dem fehlenden Wissen über un-sere arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Standards zur Arbeitsausbeutung führt.

Robert Zollitsch hat das vor einigen Jahren mal als das „Souterrain“ des deut-schen Arbeitsmarktes bezeichnet. Unser Projekt „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ hat das Ziel, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in diesem „Souterrain“ gelandet sind, zu beraten und ihnen zu helfen.

Unsere Kernaufgabe sehen wir in einer arbeits- und sozialrechtlichen Erstbera-tung. Wir versuchen, diese in der jeweiligen Muttersprache sicherzustellen. Das ist auch unser großes Pfund, das sicher zu den Erfolgen beigetragen hat, die das Projekt bisher geschafft hat. Wir sind in der Lage, auf Rumänisch, auf Ungarisch und auf Bulgarisch zu beraten. Wir kooperieren sehr eng mit dem DGB und den Gewerkschaften. Wir arbeiten aber natürlich auch mit den zuständigen Behörden, einem Netzwerk aus anderen Beratungseinrichtungen und bürgerschaftlichen Ini-tiativen zusammen.

Dabei fällt uns immer wieder als Problemlage auf, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die in ihrem kollektiven Gedächtnis ein tief verankertes Misstrauen so-wohl gegenüber staatlichen Behörden – und das erst recht, wenn die in Uniform auftreten – als auch gegenüber den Gewerkschaften haben. Beides ist leicht zu erklären mit der historischen Erfahrung mit den kommunistischen Regimen in den Herkunftsländern.

Wir sind nicht Behörde, wir sind auch nicht direkt Gewerkschaft – das erleichtert den Zugang für uns zu dieser Zielgruppe. Wir können kostenlos, schnell und unbü-rokratisch helfen und versuchen, bestehendes Recht durchzusetzen und einen Zugang zu möglichst fairen Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Wir haben Ihnen drei Beispiele mitgebracht, die unsere Arbeit anschaulich ma-chen sollen. Es sind Beispiele aus unterschiedlichen Branchen und unterschiedli-chen Regionen, die jeweils typisch für die Problemlage sind.

Im ersten Fall wird es gleich um eine Baustelle in Köln gehen. Auf dieser Baustelle entsteht hochwertige Wohnbebauung – auf einem Gelände, das lange ein großer privater Fernsehsender für sich genutzt hat. Dieser Fall wird stellvertretend stehen für Probleme mit extremem Lohndumping, die es immer noch gibt. Trotz tarifver-traglich abgesicherter Mindestlöhne arbeiten Kolleginnen und Kollegen da für 4 € pro Stunde. Und von diesem Verdienst müssen sie dann noch Unterkunftskosten und Gebühren für die Jobvermittlung abführen.

Der zweite Fall – das wird Sie nicht überraschen – betrifft einen großen Fleisch-produzenten. Wir haben uns für heute einen fleischproduzierenden Betrieb in Emsdetten ausgeguckt. Stichwort ist hier: Missbrauch von Werkverträgen und von Entsendung zulasten der Beschäftigten, aber natürlich auch immer zulasten der Sozialkassen.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

Den dritten Fall haben wir ausgesucht, weil es in unserem Projekt nicht nur um die Herstellung von fairen Arbeitsbedingungen geht, sondern auch darum, fairen Wettbewerb zu ermöglichen. In Duisburg liegen drei Werften quasi nebeneinan-der, stellen fast identische Produkte her. Zwei davon sind Betriebe, wie man sie sich wünscht, mit Mitbestimmung, mit fairen Arbeitsbedingungen. Aber diese bei-den Betriebe sind damit konfrontiert, dass der dritte sie durch die Ausbeutung von Arbeitsmigranten in eine unfaire Konkurrenzsituation zwingt.

Diese drei Beispiele aus der Beratungspraxis wird Ihnen jetzt mein Kollege Ale-xandru Zidaru präsentieren. Er ist seit ungefähr zwei Jahren bei uns als Berater tä-tig. Ich hoffe, ich habe Sie ein bisschen neugierig gemacht.

Dr. Alexandru Zidaru (Arbeit und Leben NRW) trägt vor:

Ich freue mich, heute hier zu sein und von unserer Arbeit berichten zu dürfen. Ich bin in Rumänien geboren. In den zwei Jahren, in denen ich jetzt als Berater tätig bin, habe ich viele solcher Fälle, wie ich sie jetzt vorstelle, kennengelernt.

Der erste Fall ist typisch für die Baubranche. Auf dem ehemaligen RTL-Gelände werden zurzeit etwa 40 Bauarbeiter aus Rumänien systematisch um ihren recht-mäßigen Lohn betrogen. Wie das genau funktioniert, versuche ich, jetzt kurz dar-zustellen.

Sie werden von einer Vermittlungsagentur aus Rumänien angeworben. Ihnen wird Arbeit auf deutschen Baustellen versprochen. Sie müssen dafür etwa 100 € Ver-mittlungsgebühr zahlen und weitere 150 € jeweils in den ersten zwei Monaten. Diese Summen werden von ihrem Lohn abgezogen. Die ersten zehn Arbeitstage werden nicht bezahlt mit der Begründung, das sei eine Kaution für die Wohnunter-kunft, in der sie untergebracht sind. Ihnen wird bei der Anwerbung versprochen, dass sie kostenlos wohnen dürfen. Aber wie sich dann in Deutschland heraus-stellt, müssen sie auch die Nebenkosten bezahlen. Es werden also weitere Sum-men für die Wohnunterkunft von ihrem Lohn abgezogen.

Sie haben keine Arbeitsverträge in der Hand. Die haben sie bei der Einstellung nur flüchtig gesehen. Das sind Teilzeitarbeitsverträge über vier Stunden am Tag. Es wird aber regelmäßig zehn Stunden am Tag gearbeitet, auch samstags. Im Monat leisten sie etwa 200 Stunden und bekommen dafür insgesamt 800 €; das sind durchschnittlich 4 € pro Stunde. Und, wie gesagt, von dieser Summe werden noch regelmäßig Beträge abgezogen. Seit etwa anderthalb Monaten werden sie kaum noch bezahlt. Sie bekommen zurzeit nur geringe Geldsummen für Mahlzeiten, 20 bis 30 € pro Woche.

Auch die Unterbringung ist katastrophal – wie in vielen Fällen der Unterbringung osteuropäischer Arbeiter. Es wird ein Haus gemietet, in dem 40 Arbeiter wohnen. Sie schlafen nur auf Matratzen. Sie haben kaum Möglichkeiten, sich nach der Ar-beit zu waschen. Es gab zunächst nur eine Dusche für 40 Leute. Aus der Not her-aus haben sie selber in ihrer Freizeit eine weitere Dusche renoviert, damit sie sich morgens und abends waschen können.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

In diesem Fall gehen wir so vor, dass wir Kontakt zu den Arbeitern herstellen. Wir stellen auch Kontakt zur Gewerkschaft her. Wir informieren die Arbeiter über ihre Rechte: darüber, was sie in Deutschland eigentlich bekommen sollten, wie die all-gemeinverbindlichen Mindestlöhne in der Baubranche aussehen.

Und wir ermuntern sie, sich miteinander zu solidarisieren und ihre Lohnforderun-gen mit unserer Hilfe durchzusetzen. Das ist nicht immer einfach. Aber das hat durchaus Vorteile. Aus der Erfahrung wissen wir, dass, wenn mehrere Arbeiter protestieren und wenn die Öffentlichkeit auf diese Missstände aufmerksam ge-macht wird, es möglich ist, mit dem Generalunternehmer oder mit den Firmen in Verbindung zu treten und den Lohn zu bekommen. Auf dem rechtlichen Weg ist das manchmal sehr schwierig. Es dauert zu lange. Man muss sich in die Situation dieser Menschen hineinversetzen: Sie werden von heute auf morgen auf die Stra-ße gesetzt, wenn sie versuchen, sich zu wehren. Es wird manchmal auch Gewalt gegen sie angewendet; das ist keine Ausnahme.

Der zweite Fall spielt in Emsdetten, in der Fleischindustrie. Die Missstände dort sind durch Recherchen von Journalisten aufgedeckt worden. Es geht um soge-nannte entsandte Beschäftigte, also Beschäftigte, die über eine ungarische oder rumänische Firma im Ausland beschäftigt sind. Das sind manchmal nur Briefkas-tenfirmen. Die Entsendung wird missbraucht. Die Arbeiter werden nach Deutsch-land geschickt, um im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit Dienstleistungen zu er-bringen. Was dabei herauskommt, sind sehr prekäre Arbeitsverhältnisse. Die Menschen arbeiten für 5 oder 6 € die Stunde. Auch die Wohnverhältnisse sind ka-tastrophal. Die Arbeiter werden gezwungen, viele Überstunden zu leisten, um überhaupt über die Runden zu kommen. Es ist gang und gäbe, dass Schichten von zwölf bis 14 Stunden geleistet werden und die Menschen völlig erschöpft nach Hause kommen. Am Ende des Monats haben sie aber trotzdem kein Geld, um ih-rer Familie etwas schicken zu können oder um sich normal integrieren zu können.

Die Integration scheitert einfach aus dem Grund, weil die Menschen keine Freizeit haben. Die können keinen Sprachkurs besuchen. Die können praktisch nichts un-ternehmen, um in Deutschland Fuß zu fassen, obwohl viele von ihnen sich das wünschen. Sie wünschen sich, auch ihre Familien mitzubringen und hier ein ver-nünftiges, normales Leben zu führen. Das ist aus den genannten Gründen aber nicht möglich.

Nachdem diese Missstände aufgedeckt worden waren, ist auch der Zoll einge-schaltet worden und hat mehrere Inhaber der Subunternehmen verhaftet. Die Menschen mussten trotzdem weiterarbeiten. Es wurde praktisch ein neues Subun-ternehmen gegründet, das diese Arbeiter übernehmen sollte. Mit dem haben wir zusammen mit der Gewerkschaft Verhandlungen geführt, damit die Menschen vernünftige Arbeitsverträge bekommen. Es wurde auch ein runder Tisch gegrün-det, der sich auch die Wohnsituation genauer angeguckt und versucht hat, Lö-sungsansätze zu entwickeln. Daran waren auch wir beteiligt. Herausgekommen sind dabei einigermaßen normale Arbeitsverhältnisse, sprich: mit deutschen Ar-beitsverträgen, die die Mindeststandards für diese Branche erfüllen. Die Situation

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

ist aber weiter angespannt, weil die Stundenlöhne und die Art und Weise, wie mit den Arbeitern umgegangen wird, weiterhin problematisch sind.

Ich komme dann zum dritten Fall, der genannten Werft in Duisburg. Da wird deut-lich, warum fairer Wettbewerb aus unserer Sicht heißt, dass Konkurrenz nicht über Löhne funktioniert. Diese Werft hat Aufträge für die Instandsetzung von Schiffen bekommen und hat diese Aufträge an Subunternehmer aus Polen und Rumänien weitergegeben. Die haben dann Werkverträge abgeschlossen. Es wurde gar nicht diskutiert, wie viel die Arbeiter bekommen. Auf dem Papier standen 8 € pro Stun-de. In der Praxis wurden aber wiederum nur 4 € bezahlt. Dabei wurden auch Si-cherheitsanforderungen nicht erfüllt. Es wurde auch an Sonntagen gearbeitet. Die Beschäftigten wurden in den letzten zwei Monaten gar nicht mehr bezahlt. Wir ha-ben versucht – auch mithilfe der Gewerkschaft vor Ort –, mit der Werftleitung zu verhandeln, die Löhne zu bezahlen. Die hat sich aber quergestellt und gesagt, das liege nicht in ihrer Verantwortung. Gesetzlich sahen sie sich nicht verpflichtet, die Löhne auszuzahlen. Sie haben die ganze Schuld auf ihre rumänischen Partner versucht abzuwälzen. Die Arbeiter haben von der Gewerkschaft eine Rechtsver-tretung bekommen. Das Problem ist aber, dass die Firma mittlerweile Insolvenz angemeldet hat und auf diese Art und Weise versucht, nicht für die Löhne gerade-stehen zu müssen.

An diesem Fall sieht man, dass es bestimmte Grenzen gibt. Auch wenn man sich bemüht, den Menschen zu helfen, kommt man an Grenzen. Die Betroffenen fallen aus allen Kategorien, aus allen Rastern heraus. Sie haben keinen Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen. Die Sozialversicherungsbeiträge werden bei der Entsendung in Rumänien abgeführt. Sie haben keinen Anspruch auf irgendeine Hilfe hier vor Ort.

Deswegen ist die Vernetzungsarbeit ganz wichtig. Gerade in diesen Fällen ist man darauf angewiesen, dass die Menschen zumindest für eine Zeit – ein oder zwei Monate – hierbleiben können und dass man versucht, ihnen zu helfen.

Diese Fälle veranschaulichen, dass Ausbeutung mittlerweile System hat. Es gibt sehr viele kriminelle oder halbkriminelle Strukturen, die sich daran gewöhnt haben, aus Osteuropa stammende Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit verschiede-nen Methoden auszubeuten. Das Hauptproblem ist, dass die europäische Gesetz-gebung in diesem Umfeld recht kompliziert ist und kaum umsetzbar ist. Wir finden daher diese niedrigschwelligen Angebote für die Arbeitnehmer und Arbeitnehme-rinnen sehr wichtig, damit sie sich überhaupt wehren können.

Vorsitzender Günter Garbrecht dankt für den konkreten Einblick in die genannten Beratungsfelder.

Matthias Kerkhoff (CDU) äußert seinerseits Dank für die eindrückliche Schilderung dieser schlimmen Beispiele.

Die gesamte Initiative sei ihm von vornherein ein bisschen suspekt gewesen, so der Abgeordnete an den Staatssekretär gewandt. Nun meine er erst recht, dass diese

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe eklatanten Rechtsverstöße kein Fall für politische Initiativen, sondern ein Fall für die zuständigen Behörden seien, den Arbeitsschutz und die Staatsanwaltschaft.

In diesem Zusammenhang interessiere, welche Kosten die gesamte Initiative verur-sache und wie das Ministerium den Nachweis geführt habe, dass die Umwandlung von 3.500 Minijobs auf diese Initiative zurückzuführen sei.

Auch er danke namens seiner Fraktion für die beeindruckende Darstellung dieser er-schreckenden Beispiele, so Rainer Bischoff (SPD).

Die Kritik von Herrn Kerkhoff an der Initiative verstehe er allerdings nicht. Selbstver-ständlich gehe es hier auch um Kriminalitätsbekämpfung. Allerdings hätten die Be-hörden diese Rechtsverstöße selbst überhaupt nicht erkennen können. Aufgedeckt worden seien sie durch die Initiative des Arbeitsministeriums. Dieses unmissver-ständliche und glaubwürdige Eintreten gegen prekäre Beschäftigung sei mittlerweile zu einem Markenzeichen der gesamten Landesregierung geworden.

Er stamme aus Rheda-Wiedenbrück, so der Abgeordnete. Der gesamten Stadt komme das Geschehen rund um das dort ansässige Unternehmen Tönnies schon seit zehn Jahren sehr merkwürdig vor. In dem Umfeld wohnten auch sehr viele Ru-mänen. Behörden könnten aber immer erst nach Feststellung von Rechtsverstößen tätig werden, was eben erst durch diese Initiative möglich geworden sei.

Die SPD-Fraktion habe nichts gegen Minijobs, wolle aber auch bezogen darauf, dass die FDP-Fraktion sich immer wieder gegen den Mindestlohn ausspreche, noch ein-mal hervorgehoben wissen, dass die Zahl jener Minijobs, die offensichtlich nur ent-standen seien, um Lohndumping zu betreiben, inzwischen immer weiter zurückgehe. Diese als „Schwester des Mindestlohns“ anzusehende bemerkenswerte Entwicklung habe in der seinerzeitigen Debatte zur Einführung des Mindestlohns nicht im Fokus gestanden.

Die hier angeführten Fälle kenne er zwar nicht, so Bischoff weiter, als Gewerkschaf-ter sei er aber schon vielen ähnlichen Beispielen begegnet. Er stelle sich die Frage, welches Beratungsnetzwerk Arbeit und Leben NRW nutze, um an die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heranzukommen, die auch Gewerkschaften zunächst einmal misstrauten.

Zudem interessiere, ob Arbeit und Leben NRW zunehmend frequentiert werde und die Betroffenen auch zunehmend erreiche oder ob die Entwicklung eher in die ande-re Richtung weise, weil die Debatte über Rumäninnen und Rumänen sowie Bulgarin-nen und Bulgaren angesichts der Gesamtflüchtlingsdebatte im letzten halben Jahr etwas in den Hintergrund getreten sei.

Torsten Sommer (PIRATEN) dankt namens seiner Fraktion für die sehr bildliche Beschreibung der drei Fälle. Auch angesichts der in den vergangenen Monaten von der Presse aufgedeckten Fälle müsse man mittlerweile davon ausgehen, dass Sys-tem dahinterstecke, dass sich da eine Schattenwirtschaft gebildet habe.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe Selbstverständlich müssten diese Rechtsverstöße durch die Behörden geahndet werden. Es gelte aber auch, im Sinne der Geschädigten für ein schnelleres Eingrei-fen vor Ort Sorge zu tragen und das Konstrukt als solches zu überdenken. Er bitte daher um Anregungen, so der Redner, wie sich dieser Missbrauch, zumal in organi-sierter Form, von vornherein verhindern lasse. Es könne nicht Ziel der Gesellschaft und der Gesetzgebung sein, den Kriminellen wie beim Hase-Igel-Spiel immer nur hinterherzurennen.

Ihre Fraktion danke ebenfalls für die Vorträge, so Martina Maaßen (GRÜNE).

Auch sie könne die Äußerungen von Herrn Kerkhoff nicht nachvollziehen.

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Die Behörden haben geschlafen!)

Man müsse sich fragen, welche Behörde wachsamer hätte sein können, um diese Fälle frühzeitiger aufzudecken. Umso besser sei es, dass verschiedene Akteure vor Ort zusammenwirkten und dass sich die Betroffenen – oft in Unkenntnis der hiesigen Verwaltungsstrukturen – an niedrigschwellige Einrichtungen wie Arbeit und Leben NRW wenden könnten.

Im Übrigen falle der Arbeitsschutz auch in die Zuständigkeit des Arbeitsministeriums. Insofern könne sie es nur begrüßen, so die Abgeordnete, dass sich der Ausschuss im Rahmen dieser Initiative mit den prekären Arbeitsbedingungen auseinandersetze. Es sei Aufgabe von Regierung und Politik, zu sensibilisieren und zu informieren, auch wenn der Erfolg der Maßnahmen nicht immer messbar gemacht werden könne.

Offensichtlich hätten die Behörden in diesen Fällen geschlafen, pflichtet Ulrich Alda (FDP) Herrn Kerkhoff bei. Das betreffe den Zoll, die Gewerbeaufsicht, die Staats-anwaltschaft, die Polizei und auch die Berufsgenossenschaften, die üblicherweise al-le regelmäßig vor Ort sein müssten.

Er sehe in dieser Initiative lediglich den Versuch einer Beschäftigungstherapie oder des Aufbaus einer neuen Behörde, so der Redner.

Auf die Darstellung des Mindestlohns als Allheilmittel gehe er nicht ein, seine Mei-nung dazu sei bekannt.

Wenn Herr Bischoff seit zehn Jahren von den Vorfällen in Rheda-Wiedenbrück wis-se, müsse man sich fragen, warum er als Gewerkschafter nichts dagegen unter-nommen und die Behörden vor Ort nicht sensibilisiert habe. Offenbar habe er ge-schlafen oder vorsätzlich nichts gemacht.

(Zuruf von Rainer Bischoff [SPD])

Somit hätten die Betroffenen völlig unnötig zehn Jahre lang gelitten.

Staatssekretär Dr. Wilhelm Schäffer (Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales) konstatiert, bei dieser Initiative handele es sich weder um eine Beschäfti-gungstherapie für das Ministerium noch um den Versuch, eine neue Behörde aufzu-bauen.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe Um Missstände verfolgen zu können, brauche man Informationen über Ort und Form ihres Auftretens. Das soeben dargestellte Beratungsprojekt habe dazu wichtige Er-kenntnisse geliefert, an die man ansonsten nicht herankomme, weil sich osteuropäi-sche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mangels Kenntnis des bundesdeutschen Behördenaufbaus in der Regel nicht bei deutschen Behörden beschwerten. Gerade deswegen sei dieses Projekt ein Stück weit als aufsuchende Beratung angelegt wor-den, um über die Beschäftigten aus Osteuropa Indikatoren für Missstände in den konkreten Beschäftigungsverhältnissen und Werkverträgen zu finden. Er versichere, so der Staatssekretär, dass man auf der Basis all dieser Rückmeldungen die zustän-digen Behörden zum Handeln veranlasst habe.

Die Arbeitsschutzverwaltung überprüfe in der Regel die konkreten Arbeitsbedingun-gen und die Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen. Wenn diese Über-prüfungen Anhaltspunkte erbrächten, dass nicht nach den gesetzlichen Vorgaben des Mindestlohns bezahlt werde, ziehe man die Finanzkontrolle Schwarzarbeit zum Ort des Geschehens hinzu. Die Erfahrungen mit diesem Interaktionsnetzwerk seien gut.

Dennoch bestehe auf der Ebene der Rechtsetzung Handlungsbedarf. Viele derer, die über Briefkastenfirmen Menschen aus Osteuropa nach Deutschland schickten, agier-ten mit unechten Werkverträgen. In der Praxis stoße man häufig auf das Problem, dass solche Betriebe für sich das Recht in Anspruch nähmen, derartige Beschäfti-gung im Rahmen von Arbeitnehmerüberlassung sicherzustellen. Dies sei ein Miss-brauch zum einen des Werkvertragsrechtes, zum anderen des Arbeitnehmerüberlas-sungsrechtes. An diesem Punkt müsse man rechtlich eingreifen.

Dankenswerterweise habe die Bundesarbeitsministerin angekündigt, noch im laufen-den Jahr das Arbeitnehmerüberlassungsrecht mit Wirkung auf Werkverträge anzu-passen. Dies gehe zurück auf eine Initiative unter anderem aus Nordrhein-Westfalen und auf ein Gutachten, das man im Rahmen der Landesinitiative „Faire Arbeit, fairer Wettbewerb“ in Auftrag gegeben habe.

Das Vorgehen sei also durchaus konzeptionell und strategisch. Missstände würden über aufsuchende Beratung aufgedeckt, die Behörden im Rahmen des derzeit gel-tenden Rechts zu Handlungen veranlasst, das derzeitige Recht also durchgesetzt, aber auch erkannt, wo Lücken im Rechtsrahmen bestünden, die gesetzgeberische Initiativen auf der Bundesebene erforderten. Dass die Bundesregierung hier aktiv werde, verbuche Nordrhein-Westfalen auch als Erfolg seiner Initiative.

Ähnlich verhalte es sich mit den Minijobs. Wie dargelegt, habe die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns bereits eine gewisse regulierende Wirkung erzielt. Dass die zahlenmäßige Reduktion der Minijobs quasi „ein kleines Schwesterchen“ des ge-setzlichen Mindestlohns sei, halte er für ein schönes Bild, so der Staatssekretär. Wie anhand des geleisteten Stundenvolumens nachweisbar, sei keine Beschäftigung ab-gebaut worden, sondern seien andere Beschäftigungsformen zustande gekommen.

Er komme nun zu der Frage, was das Land im Rahmen dieses Projektes mit den 3.500 umgewandelten Minijobs gemacht habe: Wer seine Rechte durchsetzen wolle, müsse seine Rechte erst einmal genau kennen. Und Arbeitgeber, die sich rechtskon-

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe form verhalten wollten, müssten erst einmal wissen, welche Pflichten sie hätten. Das MAIS habe umfangreiche Informationsmaterialien aufbereitet, um denjenigen, die Minijobber beschäftigten, Klarheit über ihren rechtlichen Rahmen zu verschaffen. Mit dem Jobcenter in Dortmund beginnend habe man dann eine Kooperation und ein Modellprojekt aufgelegt, um Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber konkret darüber zu beraten, dass es durchaus vorteilhaft für sie sein könne, statt einen Minijob ein sozi-alversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu begründen bzw. einen Minijob in ein solches umzuwandeln. Die erreichten durchaus vorzeigbaren, zahlenmäßig vernünftigen Größenordnungen bestätigten das MAIS darin, auf diesem Weg fortzu-schreiten.

Die nachgefragten Kosten der Initiative ließen sich nicht so einfach beziffern. Seit vier Jahren werde im Rahmen dieser Initiative ein ganzes Bündel an Maßnahmen gefördert. Dazu gehörten Öffentlichkeitsarbeit, Bereitstellung von Informationsmate-rialien, Durchführung von Beratungsprojekten wie das hier beschriebene sowie Durchführung und Erstellung bestimmter Gutachten, auf die dann gesetzgeberische Initiativen basierten. Der Förderzeitraum einzelner Projekte laufe bis 2017. In den vier Jahren, die sich bisher überblicken ließen, sei ein Gesamtvolumen von 3,7 Milli-onen € aufgewandt worden, also etwas weniger als 1 Million € pro Jahr. Er halte die-ses Geld für gut angelegt, so der Staatssekretär, weil es in Nordrhein-Westfalen eine konkrete, wichtige Wirkung erziele.

Dr. David Mintert (Arbeit und Leben NRW) beantwortet zunächst die Frage, wie man die Betroffenen erreichen könne. Der Staatssekretär habe das entscheidende Stichwort schon genannt: die aufsuchende Beratung. Man habe nicht einfach ein Schild aufgehängt und auf die Ratsuchenden gewartet, sondern Flyer in den jeweili-gen Muttersprachen erstellt, die Betriebe aufgesucht, in denen man eine solche Be-schäftigung vermuten könne, und sei anschließend zu den Wohnheimen gefahren, um sich dort bekannt zu machen. Irgendwann habe die Mund-zu-Mund-Propaganda unter den Betroffenen selbst eingesetzt. Inzwischen gebe es eine sehr hohe Fre-quenz an direkten Anfragen aus den Communitys.

Die mittlerweile geführte allgemeine Flüchtlingsdebatte habe nichts verändert an der problematischen Situation der Menschen, um die man sich in diesem Projekt küm-mere, und auch nichts verändert an der Frequenz der Hilferufe und der Beratungs-gespräche. Verändert habe sich die Aufmerksamkeit der Presse, die die Berater nun nicht länger „belagere“.

Er halte die Frage nach den kriminellen Strukturen für sehr wichtig, so Dr. David Mintert (Arbeit und Leben NRW). Viele Subunternehmer seien sehr schlau, be-schäftigten mittlerweile Anwälte und auch Steuerberater, die ihnen Lücken in der Ge-setzgebung zeigten, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Mindestlohn in ver-schiedenen Branchen.

Die Beratungsstelle versuche, bestimmte in Deutschland etablierte Strukturen zu sensibilisieren. In den meisten Fällen kontaktiere sie die Gewerkschaften, die manchmal auch Unterstützung bräuchten, um ihre Rolle überhaupt wahrnehmen zu

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe können. Es nähmen aber auch Betriebsräte Kontakt mit der Beratungsstelle auf, wenn in ihrem Betrieb offenbar nicht alles rechtens ablaufe. An der Stelle leiste man Hilfe.

Die Zollbeamten der Finanzkontrolle Schwarzarbeit äußerten in Gesprächen: Ja, wir tun unsere Arbeit, wir verfolgen das genau. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Menschen aus Osteuropa ihren Lohn bekommen. In Deutsch-land besteht ein Individualrecht auf Lohn. Jeder muss seine Ansprüche selbst durch-setzen. Die Menschen aus Osteuropa sind dazu aber nicht in der Lage, weil sie die deutsche Sprache nicht sprechen, weil sie die Strukturen hier nicht kennen, weil sie nicht wissen, an wen sie sich wenden können. – An dieser Stelle könne man helfen.

Man müsse sich einmal in die Lage der Betroffenen hineinversetzen, so Zidaru: Die seien in einem fremden Land, kennten niemanden und würden sofort auf die Straße gesetzt, wenn sie vom Arbeitgeber ihren Lohn einforderten. Es sei für sie kaum mög-lich, ihre Rechte geltend zu machen, wenn sie keine entsprechende Hilfe bekämen.

Das Angebot der Beratungsstelle sei unbürokratisch und kostenlos. Die Menschen aus Osteuropa hätten meistens kein Geld in der Tasche, sondern vielmehr Schulden, weil sie Vermittlungsgebühren und Kaution für kaputte Wohnungen zahlen müssten. Sie könnten sich in der Regel keinen Anwalt leisten, noch nicht mal einen Mitglieds-beitrag zahlen.

Es gehe nicht darum, bestehende Behörden zu ersetzen. Ziel der Beratungsstelle sei es, zu helfen, damit die in Deutschland existierenden Strukturen gut funktionieren könnten. Beratungsstellen dieser Art gebe es auch in anderen Bundesländern – im Übrigen auch in Großbritannien, wo die Menschen aber meistens dennoch auf der Strecke blieben, weil dort die finanzielle Förderung fehle. Er danke daher auch im Namen seiner Landsleute dafür, dass Nordrhein-Westfalen dieses Projekt fördere, so der Redner. Man könne froh sein, wenn man sich in einem Land aufhalte, das Wert darauf lege, faire Arbeit für alle zu ermöglichen, nicht nur für das Stammpersonal der Firmen, sondern auch für das Fremdpersonal. Das sei sehr positiv.

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) betont, tagtäglich könne man in den Zeitungen lesen, dass die Unternehmensgewinne und die Steuereinnahmen auf-grund der guten Konjunktur sprudelten. Dass gleichzeitig die Armut im Land zuneh-me, habe auch damit zu tun, dass manche Unternehmen Arbeit nicht ordentlich be-zahlen wollten. Für diese Art von Unternehmertum seien soeben ganz besonders deftige Beispiele aufgezeigt worden.

Es erschüttere sie in zunehmendem Maße, so die Abgeordnete, mit welcher Ge-fühlskälte und mit wie wenig Empathie einzelne Politiker in diesem Raum mit solchen Situationen umgingen. Offensichtlich wüssten sie nicht, wie wichtig es sei, diesen Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen und diese Art krimineller Energie zu unter-binden und zu brandmarken.

Bündnis 90/Die Grünen wisse die Arbeit der Beratungsstelle sehr zu schätzen und werde ihren Stellenwert in Zukunft auch nicht mindern.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe Den Worten des Staatssekretärs zufolge, habe man bei diesem Projekt eine be-stimmte Brille aufgehabt, so Astrid Birkhahn (CDU). Es gehe darum, Missstände aufzudecken und die Situation der Betroffenen zu verbessern. Die Beispiele hätten dies verdeutlicht.

Sie sehe die Einseitigkeit dieser Perspektive bezogen auf die Minijobs allerdings als Gefahr an, so die Rednerin. Schließlich stelle nicht jeder Minijob ein prekäres Ar-beitsverhältnis dar. Viele Studierende hätten einen Minijob, weil ihnen neben dem Studium keine Zeit für einen Vollzeitjob bleibe. Viele wollten in der Familienphase zwar etwas dazuverdienen, aber eben auch viel Zeit mit ihrer Familie verbringen und entschieden sich deshalb für einen Minijob. Wolle man das umwandeln, beraube man diese Menschen ihrer Teilhabe am beruflichen Leben. Es interessiere daher, ob auch nach der Motivation für Minijobs gefragt werde.

Diese Initiative sei nicht darauf angelegt, Minijobs zu verhindern oder gar zu verbie-ten, stellt Staatssekretär Dr. Wilhelm Schäffer (Ministerium für Arbeit, Integrati-on und Soziales) klar. In der Tat gebe es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die genau solch ein Beschäftigungsverhältnis wollten. Das MAIS wolle aber fortfahren mit seinen Beratungs- und Informationsangeboten, um deutlich zu machen, dass es vor allem unter den Bedingungen des gesetzlichen Mindestlohnes durchaus vorteil-haft sein könne, Minijobs in normale sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs-verhältnisse umzuwandeln, sofern Arbeitgeber und Arbeitnehmer dies wünschten.

Man werde auch weiter über die Rechte und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeit-nehmern im Rahmen solcher Arbeitsverhältnisse informieren. Dies sei keine Verhin-derungsstrategie, sondern eine Strategie zur Umwandlung dort, wo dies gewollt sei und als vorteilhaft dargestellt werden könne. Überall dort, wo beiden Seiten die Not-wendigkeit für Minijobs sähen – aus welchen Gründen auch immer –, habe das MAIS im Rahmen der Initiative auch den Anspruch, für die Gestaltung der Minijobs entlang des geltenden Rechts zu sorgen.

Unter dem Beifall des Ausschusses dankt Vorsitzender Günter Garbrecht den Ex-perten für die anschauliche Darstellung der Fallbeispiele.

An dieser Stelle begrüßt der Vorsitzende Elisabeth Veldhues, die neue Beauftragte der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderung in Nordrhein-Westfalen, die in der Woche zuvor in ihr Amt eingeführt worden sei.

(Beifall)

Sodann begrüßt der Vorsitzende Herrn Minister Guntram Schneider in der Runde, der am Gottesdienst zur Verabschiedung von Pfarrer Prof. Dr. Uwe Becker teilge-nommen habe, dem ehemaligen Vorstandssprecher der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, der nun eine Professur an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe übernehme.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 2 Medikamentenvergabe in Werkstätten für behinderte Menschen

Bericht der Landesregierung Vorlage 16/3131

Vorsitzender Günter Garbrecht erinnert an die Beratung über eine an den AGS-Ausschuss weitergereichte Petition zu diesem Thema. Der umfangreiche schriftliche Bericht der Landesregierung sei mit Vorlage 16/3131 zugegangen.

(Keine Diskussion)

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 3 Spitzengespräch im Ausbildungskonsens NRW vom 28. Mai 2015

Bericht der Landesregierung Vorlage 16/3012

Vorsitzender Günter Garbrecht teilt mit, der von Herrn Minister Schneider angebo-tene Bericht zu den wesentlichen Ergebnissen des Spitzengesprächs im Ausbil-dungskonsens NRW sei dem Landtag mit Schreiben vom 10. Juni 2015 übersandt und an die Mitglieder des AGS-Ausschusses, des Ausschusses für Schule und Wei-terbildung und des Ausschusses für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk als Vorlage 16/3012 zugeleitet worden.

(Keine Diskussion)

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 4 Chancen und Risiken des digitalen Arbeitswandels 1 – Click- und Crowd-

working

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/8973

Vorsitzender Günter Garbrecht teilt mit, dieser Antrag sei in der 88. Plenarsitzung am 25. Juli 2015 an den AGS-Ausschuss zur federführenden Beratung sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk zur Mitbera-tung überwiesen worden.

Vermutlich werde Herr Kollege Sommer für die antragstellende Fraktion in diesem ersten Aufschlag die Durchführung einer Anhörung beantragen.

In der Tat beantrage seine Fraktion, eine Anhörung durchzuführen, bestätigt Torsten Sommer (PIRATEN).

Vorsitzender Günter Garbrecht kündigt an, am Rande des nächsten Plenums im Kreis der Obleute Termine für alle beantragten Anhörungen festzulegen.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 5 Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen in der Landesverwal-

tung

Bericht der Landesregierung Vorlage 16/2952

Vorsitzender Günter Garbrecht verweist auf den schriftlichen Bericht des federfüh-renden Ministeriums für Inneres und Kommunales in Vorlage 16/2952. Ein solcher Bericht zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen in der Landesverwal-tung erreiche den Ausschuss gemäß einer Entschließung des nordrhein-westfälischen Landtages vom 7. September 1994 jährlich. Hintergrund sei, sich re-gelmäßig vor Augen zu führen, ob die Landesverwaltung auch selbst die vorgesehe-ne Beschäftigungsquote schwerbehinderter Menschen erfülle.

Da sich derzeit sowohl der Schwerbehindertenvertreter des MAIS als auch sein Stellvertreter im Urlaub befänden, begrüße er an dieser Stelle den Personalratsvor-sitzenden des MAIS, Herrn Thomas Lück.

Zunächst erstattet Minister Guntram Schneider (Ministerium für Arbeit, Integrati-on und Soziales) mündlich Bericht:

Einige Anmerkungen zur Situation im Bereich des MAIS. Sie wissen – das geht aus den vorliegenden Berichten hervor –, dass im Jahr 2014 die landesweite Quo-te der schwerbehinderten Beschäftigten in der Landesverwaltung bei 6,7 % lag. Zu diesem sehr positiven Ergebnis hat ganz erheblich die Schwerbehindertenquote im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales beigetragen.

In unserem Hause sind 44 von 350 Beschäftigten schwerbehindert. Das ist eine Quote von 12,6 %. Die bei den Kommunen gestellten Beschäftigten des MAIS – dies bezieht sich insbesondere auf die Beschäftigten der Versorgungsverwal-tung – weisen eine hohe Schwerbehindertenquote von 30,6 % aus. In unserem kleinen Landesinstitut für Arbeit, LIA, liegt die Quote bei 10,9 %; dort sind von ins-gesamt 110 Beschäftigten 12 schwerbehindert. Im MAIS und bei den nachgeord-neten Einrichtungen oder Gestellungen beträgt die Quote insgesamt 22,8 %. Mehr als ein Fünftel aller Beschäftigten im Ressort haben eine anerkannte Schwer-behinderteneigenschaft. Das ist, was die Beschäftigungsentwicklung bei Schwer-behinderten anbelangt, vorbildlich.

Ich denke, wir sollten dieses Thema auch in die öffentliche Diskussion bringen. Sie wissen: Der Bundesfinanzminister hat sich dieser Angelegenheit angenommen und darauf hingewiesen, dass eine erhebliche Erhöhung der Schwerbehinderten-abgabe möglich sei. Vielleicht sollten wir uns einmal darüber verständigen, ob dies wirklich ein gangbarer Weg ist. Ich glaube, selbst eine Verdoppelung der Abgabe würde das „Freikaufen“ von der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht erheblich reduzieren. Ich habe nichts dagegen, die Abgabe zu erhöhen, aber ein Allheilmittel zur Verbesserung der Beschäftigungslage dieser Gruppe ist das si-cher nicht.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

Wir müssen weiter dafür werben, dass Schwerbehinderte, wenn die Arbeitsbedin-gungen stimmen, sehr wohl nicht nur leistungsbereit, sondern auch leistungsfähig sind. Es gibt hier ein erhebliches Informationsdefizit, auch bei größeren Unter-nehmen. Ich denke, hier haben die Kammern, die Arbeitgebervereinigungen und andere Einrichtungen die Aufgabe, intensiver als bisher über die Beschäftigung von Schwerbehinderten und die Möglichkeiten, die in der Förderung liegen, zu in-formieren und aufzuklären. Schwerbehinderte sind auch angesichts der demogra-fischen Entwicklung für den Arbeitsmarkt außerordentlich interessant. Sie stechen zudem hervor durch eine sehr ausgeprägte Entwicklung sozialer Tugenden. Das ist für ein Unternehmen nicht uninteressant. Wir werden jedenfalls nicht nachlas-sen, hierzu weiterhin Informationsarbeit zu leisten. Es gibt dazu wohl auch keine Alternative.

Ansprechen möchte ich auch die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Schwerbehindertenvertretungen. Ich glaube, hier kann man vieles besser ma-chen. Angesichts struktureller Veränderungen in der Wirtschaft – denken Sie nur daran, welche Belastungen über die zunehmende Digitalisierung auf die Beschäf-tigten zukommen können; das ist kein Automatismus, aber eine Möglichkeit – plä-diere ich nachdrücklich für mehr Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte der Schwerbehindertenvertretungen. Dies ist außerordentlich wichtig.

Die Schwerbehindertenbeschäftigung ist ein permanentes Thema für uns. Sie wis-sen: Die Beschäftigung Schwerbehinderter ist relativ statisch, unabhängig von konjunkturellen Entwicklungen. Sie steigt bei einem konjunkturellen Aufwärtstrend nicht an, sie geht auch nicht automatisch zurück, wenn es zu einer konjunkturellen Abwärtsentwicklung kommt. Da passiert ganz einfach wenig, und dies, obwohl die Arbeitsagenturen und vielfältige andere Einrichtungen stets für mehr Beschäfti-gung in diesem Bereich werben.

Wir diskutieren laufend über das Thema „Inklusion“. Die Schwerbehinderten-beschäftigung ist aus meiner Sicht ein außerordentlich wichtiger Bestandteil die-ses Themas. Wir werden Inklusion nämlich nur dann realisieren können, wenn wir auch den schwerbehinderten Menschen die Teilhabe an Erwerbsarbeit ermögli-chen. Dies geht aber eben nur, wenn manche Vorurteile, Vorbehalte aufgebrochen werden, wenn man die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit der schwer-behinderten Menschen wirklich zur Kenntnis nimmt und lebt.

Vorsitzender Günter Garbrecht bittet den Personalratsvorsitzenden des MAIS, Herrn Lück, um Auskunft, auf welche Aktivitäten sich der hohe Beschäftigungsgrad Schwerbehinderter im MAIS zurückführen lasse.

Diese Frage könne er nicht empirisch belegbar beantworten, aber doch mit einem sehr nahe an der Realität liegenden Gefühl, so Thomas Lück, Personalratsvorsit-zender im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales.

Als Personalratsvorsitzender wirke er wie seine Vorgänger auch bei Personaleinstel-lungen mit. Gemäß SGB IX würden selbstverständlich auch schwerbehinderte Be-werberinnen und Bewerber zum Auswahlgespräch eingeladen. Allerdings gelte dann

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe für alle das Leistungsprinzip nach Art. 33 Grundgesetz; das heißt, die Wahl falle auf den besten Mann bzw. die beste Frau. Glücklicherweise seien in vielen Fällen tat-sächlich anerkannte Schwerbehinderte oder ihnen Gleichgestellte besser als alle an-deren Bewerberinnen und Bewerber.

Darüber hinaus schlage inzwischen überall der demografische Wandel zu. Nicht nur im MAIS nehme der Anteil älterer Beschäftigter und damit eben auch der Anteil Schwerbehinderter zu. Wie die Schwerbehindertenstatistik zeige, sei eine Schwer-behinderung in den wenigsten Fällen angeboren oder im frühen Kindesalter erwor-ben worden; meistens würden die 30 % plus Gleichstellung oder die 50 % für den Schwerbehindertenausweis durch die im Alter zunehmenden körperlichen Be-schwerden erreicht.

Zudem rekrutierten sich im MAIS sehr viele Beschäftigte auf der Abteilungsleiter-, der Gruppenleiter-, der Referatsleiter-, der Sachbearbeiter- und der Referentenebene traditionell aus der ehemaligen Versorgungsverwaltung. Dieser sogenannte gestellte Bereich umfasse formal Beschäftigte des MAIS, die deshalb auch seinen Personalrat mitwählten. Über viele Jahrzehnte habe das Ministerium Kriegsversehrte, Kriegs-beschädigte systematischer als viele andere Behörden angesprochen und einge-stellt. Die noch immer zahlreichen Beschäftigten aus diesem Personenkreis trügen massiv zu dem hohen Prozentsatz an schwerbehinderten Beschäftigten im MAIS bei.

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) meint, die Berichte bestätigten die Schilderungen von Betroffenen zum Beispiel auf Veranstaltungen der Freien Wohl-fahrtspflege. Es handele sich fast durchweg um Erfolgsgeschichten, bei denen Men-schen mit Schwerbehinderung in Betriebe integriert würden.

Neben der bereits angesprochenen Leistungsfähigkeit werde es auch immer wieder als wichtiger Pluspunkt angesehen, dass sich Sozialkompetenz und Betriebsklima positiv veränderten, wenn in einem Betrieb auch Menschen mit Behinderung arbeite-ten.

Erfreulicherweise gehe es nicht immer nur um Quantität – wobei das MAIS hier mit sehr gutem Beispiel vorangehe –, sondern auch um Qualität, so die Abgeordnete. Sie halte Qualifizierungsmaßnahmen für ausgesprochen wichtig, damit auch Men-schen mit Behinderung die Karriereleiter erklimmen könnten.

Die Politik täte gut daran, über diese Erfolgsgeschichten viel häufiger auch in der Öf-fentlichkeit zu sprechen, um insbesondere die freie Unternehmerschaft zum Mitma-chen zu ermutigen.

Genau das sei die Motivation dafür gewesen, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, merkt Vorsitzender Günter Garbrecht an. Im Namen des gesamten Aus-schusses spreche er Herrn Lück stellvertretend für die Schwerbehindertenvertretun-gen der gesamten Landesverwaltung ausdrücklichen Dank aus und bitte darum, der Schwerbehindertenvertretung des MAIS bei ihrer Rückkehr in den Dienst diesen Dank zu übermitteln. Schwerbehindertenvertretungen seien insbesondere deshalb wichtig, weil sie bei Einstellungen stets ein Auge darauf hätten, dass Schwerbehin-

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe derte bei gleicher Eignung bevorzugt würden. Wie der Minister plädiere auch er für mehr Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte der Schwerbehindertenvertretungen, so Garbrecht.

Er werde den Dank des Ausschusses gerne übermitteln, so Thomas Lück, Perso-nalratsvorsitzender im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales.

Ergänzen wolle er noch, dass die allermeisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MAIS nicht wüssten, wer von ihnen schwerbehindert sei und wer nicht. Selbst wenn man Kenntnis von einer Schwerbehinderung habe, merke man sie den Betroffenen oft gar nicht an. Unterschiede in der Leistungsfähigkeit fielen statistisch nicht ins Ge-wicht. Zudem fänden sich unter den Beschäftigten mit Schwerbehinderung sicher ebenso viele echte Leistungsträger wie unter den Beschäftigten ohne Schwerbehin-derung. Das heißt, die würden nicht mit durchgeschleppt, sondern zögen die Karre sogar. Das sei positiv und begeisternd. Letztlich stelle in der Behindertenpolitik jeder irgendwann fest, dass es nicht den Behinderten oder die Behinderte gebe. Jeder Jeck sei anders.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 6 88. Gesundheitsministerkonferenz am 24./25.06.2105

Bericht der Landesregierung Vorlage 16/3057

In Verbindung mit:

Bericht Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Krankenhausfinanzierung

Bericht der Landesregierung

In Verbindung mit:

Bericht über die Pläne zur Inanspruchnahme des Strukturfonds

Bericht der Landesregierung Vorlage 16/3113

Vorsitzender Günter Garbrecht teilt hierzu mit, der Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Krankenhausfinanzierung sei Bestandteil der 88. Gesundheitsmi-nisterkonferenz gewesen. Die CDU-Fraktion habe mit Schreiben vom 6. Juli 2015 um einen schriftlichen Bericht der Landesregierung über die Pläne zur Inanspruchnahme des Strukturfonds gebeten. Der Bericht sei dem Ausschuss mit Vorlage 16/3113 zu-gegangen.

Ministerin Barbara Steffens (Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter) erstattet mündlich Bericht:

Ich werde versuchen, meinen Bericht über die 88. Gesundheitsministerkonfe-renz auf einige Aspekte zu beschränken, denn die beiden anderen Punkte, zu de-nen ich berichten soll, spielen ebenfalls eine wesentliche Rolle.

24 Anträge lagen vor. Mittlerweile können alle Beschlüsse der 88. Gesundheitsmi-nisterkonferenz auf der Internetseite www.gesundheitsministerkonferenz.de ein-gesehen werden.

Das Schwerpunktthema, zu dem Nordrhein-Westfalen einen entscheidenden Teil beigetragen hat, war die Beteiligung der Länder am Aufbau einer Telematikinfra-struktur im Rahmen der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Dieses Thema und der Antrag sind von der Bund-Länder-AG, in der Nordrhein-Westfalen den Vorsitz hat, vorbereitet worden.

Nordrhein-Westfalen bringt dieses Thema an vielen Stellen voran, setzt die EFRE-Mittel gerade im Gesundheitsbereich für innovative IT-Projekte, Telemedizin und Telematikprojekte ein, aber auch für Standards wie Schnittstellenkompatibilität zur Vermeidung von Insellösungen.

Dieser Bereich ist aus verschiedenen Gründen wichtig für uns: beispielsweise für die Entwicklung medizinischer Anwendungen, für die Telemedizin, für die Entwick-lung sektorübergreifender Lösungen, für Portale und für mobile Anwendungen wie medizinische Apps.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

Mit diesem Antrag haben wir einen weiteren gemeinsamen Schritt nach vorne be-schlossen. Vor allen Dingen haben wir beschlossen, dass das Thema Thema bleibt. Es gibt noch viele Fragestellungen, die für den weiteren Ausbau einer Stra-tegie auch für die nächste Gesundheitsministerkonferenz vorbereitet werden müs-sen.

Nordrhein-Westfalen hat eine Nutzer(inn)enorientierung. Für uns steht also immer der Nutzen für die Patienten und Patientinnen im Vordergrund. Andere sagen, es muss einfach ein Nutzen im Gesundheitswesen gegeben sein. Nutzen in Telema-tik und Telemedizin kann aber auch einfach ein wirtschaftlicher Nutzen sein. Der steht allerdings, wie ich meine, im Gesundheitswesen nicht an erster Stelle. Viel-mehr müssen die Maßnahmen für die Nutzer und Nutzerinnen, also die Patientin-nen und Patienten, sinnvoll sein.

Die Länder haben gemeinsam versucht, Einfluss zu nehmen auf den Bund, die Möglichkeiten der Länder bei der Gestaltung bestimmter Strukturen zu erweitern. Das ist nicht immer ganz einfach. Wir brauchen vor allem Möglichkeiten, um be-stimmte Prozesse in die Regelversorgung implementieren zu können. Dazu gibt es noch viele Fragen. Ich denke aber, dass das durch die breite Diskussion, in der nicht nur die Nutzer(inn)enorientierung, sondern auch die Finanzierung des Da-tenschutzes und bestimmte Standardisierungen thematisiert wurden, einen Schritt nach vorne gegangen ist. Für uns ist das wichtig, weil wir in Nordrhein-Westfalen viele richtig spannende Projekte in diesem Bereich haben, die von den Kassen zum Teil mitfinanziert werden und so weit sind, dass sie irgendwann ausgerollt werden können.

Ein zweiter wichtiger Punkt war die Fachkräftesicherung. Da haben wir lang und breit über die Defizite, die wir vor dem Hintergrund der demografischen Entwick-lung haben werden, diskutiert. Klar ist – das hat der Bericht noch mal bestätigt –, dass der steigende Fachkräftebedarf in Medizin und Pflege massiv sein wird, dass wir noch andere Maßnahmen zur Nachwuchssicherung brauchen. Das ist elemen-tar für eine auch in Zukunft stabile Gesundheitsversorgung sowohl im hausärztli-chen Bereich als auch in anderen Bereichen.

Es sind Maßnahmebündel bezogen auf das Medizinstudium vereinbart worden, Stichwort: Masterplan Medizinstudium 2020.

Es gab eine Reihe von Diskussionen über den ÖGD. Wir erleben vor Ort mittler-weile überall, dass es im öffentlichen Gesundheitsdienst oft schwierig ist, Nachfol-ger mit medizinischen Qualifikationen zu finden. Wir haben darüber diskutiert, wel-che Anreizsysteme wir in Zukunft brauchen und wie es da mit Ausbildungen aus-sieht. Es gab in diesem Rahmen auch eine breite Diskussion zur Thema „Pflege“, insbesondere zum anstehenden Pflegeberufegesetz.

Auch andere Punkte standen eng mit der Fachkräftesicherung im Zusammen-hang, zum Beispiel die Stärkung der therapeutischen Berufe und Assistenzberufe im Gesundheitswesen. Hier spielt vor allem die Modellklausel in Nordrhein-Westfalen eine Rolle, die seit 2010 die Akademisierung in den nichtakademischen Heilberufen bundesweit wesentlich vorangebracht. Das wird uns jetzt hoffentlich

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

zusammen mit der Fachkräftesicherung und den zukünftigen Gesetzgebungsver-fahren als dauerhafte Regelung auf den Tisch flattern. Wir brauchen eine nachhal-tige Struktur, um die modellhaften Studiengänge als dauerhafte und ständige aka-demisierte Bereiche in den nichtakademischen Heilberufen zu haben.

Es gibt noch viele andere Punkte, auf die ich in Anbetracht der Tagesordnung nicht im Einzelnen eingehen will. Dazu gehören die Hygienequalität in medizini-schen Einrichtungen – ein, wie ich finde, auch für Nordrhein-Westfalen spannen-des Thema –, die Kostenübernahme bei pandemischen Impfungen – wir haben ja gelernt, dass das Ganze in der Krisensituation nicht so einfach ist –, die Hospiz- und Palliativversorgung.

Eine große Rolle spielt im Moment die Finanzierung von Dolmetscherleistungen aus Bundesmitteln, die wir auch hier schon in der Diskussion hatten. Es geht da-bei um die Verbesserung der psychosozialen und psychotherapeutischen Versor-gung von Asylsuchenden und Flüchtlingen nicht nur durch muttersprachliche The-rapien – die natürlich Vorrang hätten, aber so viele Therapeuten haben wir nicht –, sondern auch durch muttersprachliche Dolmetscherleistungen. Wir wollen, dass das gesetzliche Regelleistungen werden. Dazu hat die GMK sich klar und deutlich verhalten, auch wenn die Bundesebene das alles so noch nicht umsetzen möchte. Aber GMK-Beschlüsse, gerade wenn sie mit so breiter Mehrheit gefasst werden, wie das hier der Fall ist – und auch sein muss –, zeigen der Bundesregierung, wo aus Ländersicht Änderungs- und Bewegungsbedarfe bestehen.

Insgesamt gab es auf der letzten GMK keine ausgesprochen kontroversen Dis-kussionen zwischen den Ländern. Kontroversen gibt es eher mit dem Bund. We-sentliche Diskrepanzen, die vorher noch zwischen den Ländern da waren, sind schon im Vorfeld in der Amtschefkonferenz aufgelöst worden. Im Übrigen haben wir die Verständigung, dass strittige Themen, die aktuell auf der Tagesordnung des Bundesrates stehen, auf der Gesundheitsministerkonferenz nicht angespro-chen werden. Daher hatten wir eine zum Teil konstruktive und ruhige Konferenz.

Die nächste GMK wird 2016 in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden. Nordrhein-Westfalen hat bis 2018 noch ein bisschen Zeit, braucht sich also noch nicht so sehr damit zu beschäftigen, wie wir das hier gestalten werden. Bis dahin stehen noch viele gesundheitspolitische Themen auf dem Tableau.

Nun komme ich zum Bericht der Bund-Länder-AG zur Krankenhausfinanzie-rung, zum aktuellen Sachstand des Krankenhausstrukturgesetzes. Auch diese Diskussion ist auf der Gesundheitsministerkonferenz relativ kontrovers mit dem Bund diskutiert worden.

Die Eckpunkte der Bund-Länder-AG zur Strukturreform sind zum größten Teil in den Entwurf der Bundesregierung eingeflossen. Das ist für uns in Nordrhein-Westfalen insofern sehr schön, als wir hier ja mit dem Krankenhausplan zum ers-ten Mal mit Strukturqualität geplant haben. Die Krankenhäuser haben anfangs ge-sagt: Das dürft ihr eigentlich gar nicht. – Mittlerweile sagen alle, dass man mit Strukturqualität planen muss. Und dieses Gesetz soll die Strukturqualitätsplanung demnächst implementieren.

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Ein Problem auch in den Folgediskussionen ist die deutliche Verschärfung der Regelung zur Mengensteuerung durch die Verlagerung von Konsequenzen der Mengenentwicklung auf die Ebene der einzelnen Krankenhäuser. Klar ist, dass es große Schwierigkeiten gibt bezüglich des Abschlags auf mehr Mengen und der Verschärfung der Fixkostendegression.

Wenn die Krankenhäuser das einmal, solange das Gesetz noch nicht in Kraft ist, auf dem trockenen Weg durchrechnen, wird plötzlich deutlich, dass viele Kranken-häuser durch das Gesetz und durch die Dinge, die abgeschmolzen werden, unter dem Strich weniger Geld haben werden, als sie durch ein solches Gesetz und eine Änderung für den pflegerischen Bereich eigentlich haben sollten. Selbst mit einer Verdoppelung des Pflegestellenförderprogramms, die eigentlich von allen Ländern befürwortet werde, ließe sich der Personalabbau in anderen Bereichen nicht kom-pensieren. In einer finanziell schwierigen Lage ist es schon problematisch, den Ei-genanteil von 10 % zu erbringen.

Ich habe dazu im Übrigen auch jenseits der Diskussion auf der Gesundheitsminis-terkonferenz und auch jenseits der Diskussion, die wir dazu rund um den Bundes-rat haben, mit unseren Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen ein paar Beispiel-rechnungen machen lassen, um zu sehen, welche Defizite sich ergeben würden. Ich habe diese auch an den Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium ge-schickt und gebeten, die auftretenden Probleme wirklich ernst zu nehmen und an bestimmten Stellen nachzusteuern. Denn es kann nicht sein, dass eine Kranken-hausreform, die die Pflege stärken soll, am Ende zu Entlassungen und zum Abbau von Pflege führt.

Der Bundesrat hat dazu nach der Gesundheitsministerkonferenz am 10. Juli um-fängliche Änderungen eingefordert und beschlossen. Viele der Anträge haben wir mitgetragen bzw. sind von uns mit initiiert worden. Dazu gehören die Verdoppe-lung des Pflegestellenförderprogramms, der Erhalt des Versorgungszuschlags – der ist ein großes Problem, bedeutet für das einzelne Haus unter Umständen ein massives Defizit; der sollte früher mit einer anderen Intention gestrichen werden –, die Streichung der Produktivität als Absenkungstatbestand des Landesbasisfall-werts, die Entschärfung der Regelung zum Mengenabschlag sowie die modellhaf-te Erprobung von Selektivverträgen für Krankenhausleistungen; diese sollen nur im Einvernehmen mit den Ländern durchgeführt werden dürfen.

Vom Bundesgesundheitsministerium gab es bisher nicht viel Bereitschaft zu Ände-rungen. Deswegen zähle ich darauf, dass sich der AGS-Ausschuss noch mal in-tensiv mit der Thematik beschäftigt. Die Verabschiedung des Gesetzes ist für Herbst 2015 geplant. Ich kann nur sagen: Setzen Sie sich mit den Krankenhäu-sern in Nordrhein-Westfalen auseinander; denn die Auswirkungen des Gesetzes werden für einen großen Teil unserer Krankenhäuser sehr problematisch.

Nun zum Bericht über die Pläne zur Inanspruchnahme des Strukturfonds. Der Strukturfonds ist ja im Zusammenhang mit der Bund-Länder-AG entstanden. Ich bin sehr froh darüber, dass Nordrhein-Westfalen einen relativ großen Anteil daran hat. Ich bin vor allen Dingen sehr froh darüber, dass der Strukturfonds nicht, wie ursprünglich diskutiert, als Fonds ausgestaltet worden ist, aus dem Abwrack-

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prämien für Krankenhäuser finanziert werden können. Klar ist, dass wir mit diesem Strukturfonds Häuser, die heute unwirtschaftlich sind, wieder in eine gute wirt-schaftliche Lage bringen können.

Nordrhein-Westfalen kann aus diesem Strukturfonds 106 Millionen € abrufen. Na-türlich können nicht wir als Ministerium über die Komplementärfinanzierung ent-scheiden. Das wird Sache des Haushaltsgesetzgebers sein. In den Haushaltsent-wurf 2016 haben wir als Kofinanzierung für den Strukturfonds insgesamt 89 Millio-nen € eingestellt. Wir haben einkalkuliert, dass es bei bestimmten Veränderungen einen Eigenanteil geben kann. Den haben wir einfach mal in Höhe von 17 Millio-nen € angesetzt. Das ist kein sehr hoher Anteil; denn viele Träger werden sich an einem Strukturprozess finanziell unter Umständen gar nicht selbst beteiligen kön-nen. Es ist beispielsweise immer schwierig, Geld auf den Tisch zu legen, wenn man ein Krankenhaus schließt.

Jetzt wird natürlich einen Diskussionsprozess über die Vergabe und die Förderkri-terien stattfinden. Wir sind dazu in einem intensiven Gespräch nicht nur mit der Krankenhausgesellschaft, sondern auch mit den Krankenkassen. In deren Zu-ständigkeit fällt ein nicht unerheblicher Innovationsfonds. Alle Akteure in Nord-rhein-Westfalen möchten mit uns gemeinsam über die Zielrichtung des Gesund-heitswesens in Nordrhein-Westfalen diskutieren. Wir haben uns darauf verstän-digt, diese Fonds nicht einfach in unterschiedliche Richtungen zu verwenden, sondern zuerst ein Gesamtbild zu entwerfen und dann zu gucken, welche Förder-bausteine aus welchem Bereich kommen können, damit am Ende auch wirklich die Zukunftsfestigkeit erreicht wird, die wir brauchen. Das ist kein ganz einfacher Prozess. Aber alle Akteure ziehen mit uns gemeinsam an einem Strang – bis auf den Bund. Wir Länder wollten gerne bei dem Innovationsfonds mitreden können. Der Bundesgesundheitsminister hat uns aber eine Abfuhr erteilt und gesagt, wir wollten sowieso nur an sein Geld ran. – Das ist eine Haltung aus der Ferne. Wir wollen nur, dass Strukturen mit einer Zielausrichtung geschaffen werden. Wir wer-den versuchen, das jetzt auf einer anderen Ebene, mit den Kassen und den Kran-kenhäusern, auf den Weg zu bringen.

Mit diesem Vortrag habe die Ministerin bereits eine ganze Reihe Kleiner Anfragen aus diesem Ausschuss mitbeantwortet, merkt Vorsitzender Günter Garbrecht an.

Susanne Schneider (FDP) dankt für den Bericht und pflichtet bei, dass einige Kran-kenhäuser durch das Gesetz vor massive Probleme gestellt würden. Die Mittel reich-ten hinten und vorne nicht. Sicher werde auch der Eigenanteil in Höhe von 17 Millio-nen € die Krankenhäuser überfordern. Die Ministerin möge darlegen, welcher finan-zielle Spielraum entstehe, wenn andere Bundesländer ihre Mittel aus dem 106 Millio-nen € umfassenden Strukturfonds nicht komplett abriefen, und wie sie überhaupt noch konkret Einfluss nehmen könne. Man komme nicht weiter, den Bund einfach als böse abzutun. Das Geld gehöre nicht Herrn Gröhe allein, sondern allen Bürgern.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe Michael Scheffler (SPD) mahnt, auch in Nordrhein-Westfalen darauf zu achten, dass das Strukturgesetz des Bundes nicht das kaputt mache, was der nordrhein-westfälische Krankenhausplan vorsehe. Insbesondere kleine Krankenhäuser im länd-lichen Bereich wären kaum in der Lage, die Bundesregelungen zu kompensieren. Krankenhausträger, Geschäftsführer sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krankenhäuser sorgten sich um ihre Zukunft. Die aufzeigten Szenarien machten ei-nen – selbst wenn einiges davon übertrieben sei – sehr nachdenklich. In seinem Wahlkreis sei gerade ein kleines Krankenhaus mit 87 Betten in die Insolvenz gegan-gen, so der Redner.

Es wäre gut, wenn der nordrhein-westfälische Gesundheitsausschuss das Thema in der nächsten Zeit intensiv verfolgen und vielleicht eine gemeinsame Stellungnahme abgeben würde. Möglicherweise trügen auch die vom Bundesrat auf den Weg ge-brachten Empfehlungen zu mehr wirtschaftlicher Sicherheit der Krankenhäuser bei.

Er danke ebenfalls für den umfangreichen Bericht, so Torsten Sommer (PIRATEN), und wolle noch drei kleine Nachfragen stellen.

Es sei zu lesen, dass im Rahmen der Telemedizin sehr viele Daten angesammelt würden und dass eine noch aufzubauende bundesweite sektorübergreifende Infra-struktur den Anforderungen des Datenschutzes genügen solle. Allerdings genüge angeblich auch der Zugriff auf die bereits vorhandenen Datensammlungen den aktu-ellen Datenschutzanforderungen, so Sommer. Dennoch habe Herr Dr. Zilch im Fern-sehen gezeigt, dass man auch ohne Hackerkenntnisse sehr leicht auf die Daten zu-greifen könne. Es interessiere, inwieweit sich die GMK mit diesem Thema befasst habe.

Die zweite Nachfrage gelte der schmerzmedizinischen Versorgung. Die Bundes-regierung habe zuletzt angekündigt, in medizinisch begründeten Fällen auch Canna-bis von den Krankenkassen bezahlen zu lassen. Im Protokoll der GMK sei speziell auf die Cannabisthematik nicht eingegangen worden. Vielleicht gebe es dennoch weitere Informationen zu dieser Thematik.

Laut Protokoll der GMK habe die Nationale Impfkonferenz im Juni beschlossen, zur Eliminierung von Masern und Röteln auf personelle und finanzielle Ressourcen ins-besondere der Länder zuzugreifen. Es stelle sich die Frage, ob die Ministerin den Nationalen Aktionsplan zur Eliminierung von Masern und Röteln mittrage und wo sich dies zukünftig im Haushalt wiederfinden werde.

Er sei ganz begeistert, was der Kollege Sommer alles gelesen habe, bemerkt Vor-sitzender Günter Garbrecht.

Peter Preuß (CDU) äußert seinerseits Dank für den umfangreichen Bericht. Sicher ließen sich mit diesem Stoff drei Ausschusssitzungen füllen.

In der Tat werde das Strukturgesetz erhebliche Auswirkungen auf Nordrhein-West-falen haben. Über den Umgang damit werde man debattieren müssen.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe Der Vorschlag der Ministerin, die 106 Millionen € aus dem Strukturfonds in den Haushalt einzustellen, beantworte nicht die Frage nach der Verwendung dieser Mit-tel. Sicher müssten die entsprechenden Rechtsverordnungen abgewartet werden. Al-lerdings zeige schon ein Blick in die Begründung des Gesetzentwurfs, welchem Sinn und Zweck der Strukturfonds dienen solle. Angeführt würden dort beispielsweise der Abbau von Überkapazitäten, der Umbau von Krankenhäusern in Gesundheits- oder Pflegezentren und die Konzentration von stationären Versorgungsangeboten. Es in-teressiere, ob das MGEPA diese Verwendung des Strukturfonds mittrage. Denn wie der Kollege Scheffler bereits ausgeführt habe, müsse man sagen, was man wolle, und dann entsprechende Entscheidungen treffen. Insbesondere sei zu berücksichti-gen, wie sich ein solcher Strukturfonds bei laufender Krankenhausbedarfsplanung mit Einstieg in die qualitätsorientierte Planung umsetzen lasse.

Arif Ünal (GRÜNE) dankt der Ministerin für ihren ausführlichen Bericht, der deutlich mache, dass die GMK sehr viele der auch in NRW seit mehreren Jahren diskutierten Punkte behandelt habe.

Tatsächlich habe Nordrhein-Westfalen mit seiner Krankenhausplanung den Men-genabbau unter Qualitätsmerkmalen selber vorgeschrieben. Man müsse sich daher Gedanken darüber machen, wie sich der Strukturfonds nutzen lasse, um die beste-hende Krankenhauslandschaft zu erhalten. In der Tat gebe es Schwierigkeiten im ländlichen Bereich mit der Erreichbarkeit und der Sicherstellung der Grundversor-gung. Gerade sei bekannt geworden, dass ein Klinikum in Velbert, das seit Jahren wirtschaftlich sehr gut arbeite und nun renoviert werden müsse, eventuell verkauft werden solle.

Die Investitionskosten aller deutschen Krankenhäuser lägen bei fast 6 Milliarden € jährlich. Allein seien die Länder nicht in der Lage, das zu finanzieren. Deswegen be-dürfe es einer Konzertierten Aktion von Bund, Krankenkassen und Ländern zum Thema „Finanzierung“. Nordrhein-Westfalen werde sich sicher nicht mit den vorge-sehenen bundesgesetzlichen Regelungen zufrieden geben.

Um die 106 Millionen € aus dem Strukturfonds abrufen zu können, müssten Mittel zur Kofinanzierung in den Haushalt eingestellt werden. Diese politische Aufgabe werde man wahrscheinlich im Rahmen der Haushaltsberatungen auf die Tagesordnung nehmen.

Vorsitzender Günter Garbrecht merkt an, in der medialen Berichterstattung würden alle Planungen und Gesetze rund um die Krankenhäuser vermischt. Das dabei auf-gebaute Bedrohungsszenario werde von manchen Abgeordneten – vielleicht wider besseres Wissen – sogar noch befeuert. Die Ministerin möge dem Ausschuss daher noch einmal die unterschiedlichen Ebenen und Verknüpfungen in diesem Zusam-menhang darstellen.

Es verwundere ihn, so der Vorsitzende unter Verweis auf den Punkt „Umsetzung – zeitlicher Rahmen“ in der Vorlage 16/3113, dass der Bundesgesetzgeber das Kran-kenhausstrukturgesetz für nicht zustimmungspflichtig halte. Offenbar seien hier eini-ge juristische Klimmzüge gemacht worden, denn das Gesetz habe massive Auswir-

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe kungen auf die Länder, die gerade für die Strukturen zuständig seien. Es interessie-re, welche Position die nordrhein-westfälische Landesregierung und die Bundeslän-der insgesamt zu dieser Rechtsauffassung des Bundes einnähmen.

Die Ministerin werde gebeten, ihre Antworten zu strukturieren nach allgemeinen Fra-gen zur Gesundheitsministerkonferenz und nach Fragen zum Strukturgesetz.

Ministerin Barbara Steffens (Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter) beantwortet zunächst die Fragen zur Gesundheitsministerkonferenz.

Für Nordrhein-Westfalen sei der Datenschutz einer der wichtigsten Punkte in der Diskussion über Telematik und Telemedizin. Die Implementierung des Datenschut-zes in Gesetzen habe man zuletzt beim E-Health-Gesetz des Bundes angemahnt. Die Wirksamkeit dieser Regelungen stehe allerdings auf einem anderen Blatt. Inso-fern bedürfe es für die Speicherung von Gesundheitsdaten in bestimmten Daten-sammlungen – Fallakte, Patientenakte – immer der Einwilligung der betroffenen Pa-tienten und Patientinnen. Auf der Gesundheitsministerkonferenz habe dieses Thema keine große Rolle gespielt; offenbar hätten die anderen Bundesländer es längst ab-gehakt.

In der Tat gebe es Diskussionen über die Freigabe von Cannabis im medizinischen Bereich. Cannabis habe auf der Gesundheitsministerkonferenz jedoch weder in der Theorie noch in der Praxis eine Rolle gespielt.

(Heiterkeit)

Einen großen Teil der Impfungen bezahlten die gesetzlichen Krankenversicherun-gen. Aktuell stünden bei diesem Thema die Flüchtlinge im Vordergrund. Viele von ihnen seien nicht geimpft. Das MGEPA unterstütze das MIK daher mit Informationen über notwendige Impfungen, modifiziere derzeit den entsprechenden Erlass des MIK. Es sei sehr wichtig, bei dieser Zielgruppe schnell mit finanziellen Ressourcen einzu-greifen, um zumindest für die meisten Erkrankungen einen hohen Durchimpfungs-grad erreichen zu können.

Im Folgenden beantwortet die Ministerin die ihr gestellten Fragen zur Krankenhaus-strukturreform.

Bei der Änderung von Krankenhausstrukturen komme es im Wesentlichen auf die Spezialisierung an. Es gehe nicht an, dass in einer Region gleich mehrere Kranken-häuser beispielsweise eine orthopädische Abteilung vorhielten. Mancherorts müssten Abteilungen abgebaut, mancherorts Abteilungen aufgebaut werden, um sich auf die jeweiligen Kompetenzen und Stärken konzentrieren zu können. Ein solcher Struktur-prozess gelinge selbstverständlich nur miteinander.

Auch die Krankenhausgesellschaft gehe davon aus, dass sich die 17 Millionen Ei-genanteil in Nordrhein-Westfalen finanzieren ließen. Allerdings sollte das Ganze an Leistungsfähigkeit und Bedarfen ausgerichtet sein.

Derzeit liefen Diskussionen über den konkreten Vergabeablauf und die Finanzierung des Förderprogramms. Hierbei müssten Krankenkassen und Krankenhäuser einbe-zogen werden.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe Anders, als im Gesetzestext bislang noch formuliert, könne kein Krankenhaus in eine Pflegeeinrichtung umgewandelt werden. Vorstellbar sei jedoch, dass zum Beispiel aus einem kleinen Krankenhaus ein medizinisches Zentrum für ambulante Behand-lungen werde. Ziel sei es, die auch zu Qualitätsverlusten führenden Überkapazitäten zu reduzieren und Versorgungssicherheit für die Menschen zu schaffen.

Im Jahr 2016 hätten zunächst einmal alle Länder Zugriff auf ihren nach dem Königs-teiner Schlüssel berechneten Anteil am Strukturfonds. Die nicht abgerufenen Mittel flössen in einen Topf für alle Länder zurück. 2017 könnte der Haushaltsgesetzgeber von Nordrhein-Westfalen beschließen, mehr Geld aus diesem Topf in Anspruch zu nehmen, müsse dann aber auch mehr Komplementärmittel zur Verfügung stellen. In anderen Bundesländern werde im Übrigen diskutiert, dass je Euro vom Bund nur 50 Cent vom Land und die anderen 50 Cent vom Träger kommen sollten.

Bedauerlicherweise habe die Bund-Länder-AG nicht über andere Finanzierungssys-tematiken gerade im investiven Bereich diskutiert, so die Ministerin. Auf ihren Vor-schlag, über eine Teilmonistik unter Beteiligung der Krankenkassen und eine ge-meinsame Planung zu diskutieren, sei auf den Koalitionsvertrag der Großen Koalition im Bund verwiesen worden, dem zufolge dieses Fass derzeit nicht aufgemacht wer-den solle. Sicher werde man bei einer der nächsten Bund-Länder-AG-Zusammen-künfte über dieses Thema diskutieren müssen.

Zustimmungspflichtige Bundesgesetze seien von der Bundesregierung abgeschafft worden. Sie halte diese Entwicklung für fatal, so die Rednerin, sehe – wie viele ande-re Bundesländer auch – das Krankenhausstrukturgesetz als zustimmungspflichtig an. Die Diskussion mit dem Bund hierzu laufe noch. Ob sich über die Anrufung des Ver-mittlungsausschusses eine Mehrheit der Länder für die Zustimmungspflicht erreichen lassen würde, sei angesichts der parteilichen Verbindungen mit den Koalitionsfrakti-onen im Bund ungewiss.

Die Staatssekretärin habe am 17. Juli 2015 auch den fachpolitischen Sprechern eine umfassende Information zum Krankenhausplan und zur Krankenhausstrukturreform zur Kenntnis gegeben, nachdem die Medien in ihrer Berichterstattung einiges durch-einandergeworfen hätten. Auf Wunsch würden diese Materialien gerne noch einmal zur Verfügung gestellt. Zudem beantworte das Ministerium gerne weitere Fragen zu dieser umfassenden Thematik, auch zu Stellungnahmen gegenüber dem Bund.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 7 Zukunft der Unabhängigen Patientenberatung in NRW – Stand der Verga-

be auf Bundesebene

Bericht der Landesregierung

Zu diesem Thema hätten die Koalitionsfraktionen zwischenzeitlich einen Plenar-antrag vorgelegt und Frau Kollegin Schneider eine Kleine Anfrage gestellt, so Vor-sitzender Günter Garbrecht.

Der Einladung zu diesem TOP gefolgt seien Herr Dirk Meyer, Beauftragter der Lan-desregierung Nordrhein-Westfalen für Patientinnen und Patienten, sowie Herr Gregor Bornes vom Gesundheitsladen Köln e. V., einer der drei nordrhein-westfälischen UPD-Beratungsstellen (Unabhängigen Patientenberatung Deutschland).

Ministerin Barbara Steffens (Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter) trägt vor:

Ich kann hierzu nur second hand informieren, da die unabhängige Patientenbera-tung Sache des Bundes ist. Die Länder haben hier bisher keinerlei Einfluss. Auch wenn diese schon im letzten Jahr auf der Gesundheitsministerkonferenz darüber diskutiert und eine stärkere Beteiligung an dem Vergabeverfahren eingefordert haben, ist der Vergabeprozess noch einmal ohne die Länder durchgeführt worden. Vielleicht dürfen wir in Zukunft mit einem Vertreter der Länder dabei sein. Dass das bisher nicht so ist, halte ich für sehr misslich, weil ich die Haltung der Länder bezüglich der unabhängigen Patientenberatung als relativ einstimmig empfunden habe. Zumindest halten alle Gesundheitsminister und -ministerinnen, mit denen ich am Rande der Gesundheitsministerkonferenz gesprochen habe, große Stücke auf die heutigen unabhängigen Patientenberatungsstrukturen, schätzen sie aus vielerlei Gründen sehr. Dort laufen genau die Informationen von Patienten und Pa-tientinnen zusammen, die auch für uns auf Landesebene wichtig sind und zum Teil in Gesetzgebungsverfahren und andere Prozesse einfließen.

Die Rechtsgrundlage findet sich in § 65b SGB V. Mit dem GKV-FQWG ist die För-derphase von fünf auf sieben Jahre verlängert worden, ist die Fördersumme von 5,6 Millionen € in 2015 auf 9 Millionen € jährlich ab 2016 erhöht worden, werden von 2016 bis Ende 2022 für die Ausgestaltung des Gesamtangebots der UPD über 60 Millionen € bereitgestellt und kommen über die Privatversicherung För-dermittel in Höhe von 630.000 € jährlich dazu.

Der implementierte Beirat tagt mindestens zweimal jährlich. Die Leitung dieses Beirats obliegt dem hier allseits bekannten Patientenbeauftragten der Bundes-regierung. Vertreter und Vertreterinnen des Beirats sind Wissenschaft, Patienten-organisationen, BMG, BMJV und PKV. Der Beirat unterstützt durch Expertise die Mittelvergabe, soll Empfehlungen zur Qualitätssicherung und zur Weiterentwick-lung des Projekts geben und den Beratungsbetrieb evaluieren.

Es ist gesetzlich geregelt – das ist einer der Punkte, die für uns eine große Rolle spielen –, dass die UPD-Einrichtungen neutral und unabhängig sind, dass es kei-

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

ne Einflussnahme des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen auf Inhalt und Umfang der Beratungstätigkeit geben darf.

Wie gesagt: Mit den heutigen UPD sind die Gesundheitsminister/-ministerinnen der Länder sehr zufrieden. Die Träger der hier ansässigen UPD sind Mitglieder oder Landesverbände des VdK und der Verbraucherzentrale.

Insgesamt haben wir 21 regionale Beratungsstellen vor Ort, davon drei in Nord-rhein-Westfalen: in Köln, Dortmund und Bielefeld.

Wir haben ein Beratungstelefon in drei Sprachen, auch zu Arzneimittelfragen.

Der Erfahrungsbericht der Bundesregierung zu den UPD von 2013 hat den heuti-gen UPD eine gute Etablierung der Beratungstätigkeit, eine Beratung auf qualitativ hohem Niveau und eine positive Beurteilung durch die Nutzer und Nutzerinnen zugeschrieben – also beste Expertisen.

Eine externe wissenschaftliche Evaluierung der UPD über die gesamte Laufzeit ist vorgesehen.

Anlass der Diskussion war ein europaweites Ausschreibungsverfahren, bekannt-gemacht am 18. Oktober 2014. Die aktuelle Förderphase läuft am 31. Dezember 2015 aus. Laut Ausschreibung soll die Anzahl der Beratungskontakte bei sicher-gestellter Qualität gesteigert werden, soll die Erreichbarkeit des unabhängigen In-formations- und Beratungsangebots verbessert werden, soll es einen Angebotsmix aus verschiedenen nutzerorientierten und, soweit möglich, barrierefreien Bera-tungszugängen geben – also persönlich, telefonisch, schriftlich, per E-Mail, per Fax, per Brief, online auf Anfrage bis hin zur Face-to-Face-Kommunikation –, soll vorrangig das telefongestützte qualitätsgesicherte Beratungsangebot weiterentwi-ckelt werden – bisher waren das 80 % der Kontakte –, soll ein niedrigschwelliges Angebot eingerichtet werden, das sich in die bestehende Beratungslandschaft ein-fügt, und soll die Vermeidung von Doppelstrukturen gesichert werden.

Nach der Ausschreibung ist durch den GKV-SpiBu im Einvernehmen mit dem Pa-tientenbeauftragten der Bundesregierung entschieden worden, dass es eine Bera-tung durch den Beirat während der Förderphase geben muss.

Der letzte Stand, den auch ich nur aus der medialen Darstellung kenne, ist, dass die UPD ab 2016 an das Callcenter Sanvartis mit Sitz in Duisburg vergeben wer-den sollen. Sanvartis sagt auf Veranstaltungen und wohl auch im Internet von sich selber, dass jeder dritte Versicherte, der versucht, seine Krankenkasse zu errei-chen, bei seiner Hotline landet. Das heißt, das Callcenter Sanvartis hat überwie-gend Krankenkassen als Kunden.

Wir halten es für ein seltsames Konstrukt, dass derjenige, der von den Kranken-kassen finanziert wird, gleichzeitig die Neutralität gegenüber den Krankenkassen wahren soll. Das erstaunt auch viele andere. Es gibt breite Stellungnahmen von Ärzteverbänden, öffentliche Kritik an der Vergabe, Aufforderungen an den Patien-tenbeauftragten der Bundesregierung, das Verfahren zu stoppen. Auch Abgeord-nete auf Bundesebene – Frau Mattheis, Frau Kühn-Mengel und andere – haben deutlich gefordert, das Ganze noch einmal gründlich zu prüfen und die Entschei-

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dung zu hinterfragen. Die Patientenbeauftragten haben sich ebenfalls öffentlich dazu geäußert.

Über den aktuellen Stand wird Sie der Vertreter der UPD sicher besser als ich in-formieren können, denn wir sind in das Verfahren natürlich nicht eingebunden.

Nordrhein-Westfalen hat in viele Strukturen und Prozesse das Wissen implemen-tiert, das auch aus der Patientenberatung kommt. Denjenigen von Ihnen, die in der Gesundheitskonferenz sitzen, ist bekannt, dass auch dort das Wissen der UPD einfließt.

Wie gesagt: Ich halte das für eine sehr schwierige, sehr problematische Entschei-dung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass demnächst ein Vertreter von Sanvartis in der Landesgesundheitskonferenz oder im 90a-Gremium sitzt. Wie also sollen die Informationen der Patienten und Patientinnen demnächst den Weg in diese Gre-mien finden? Ich kann die Unabhängigkeit an der Stelle nicht sehen.

Über das Vergabeverfahren selbst kann ich nicht berichten. Ich kann nicht sagen, ob es formal korrekt oder nicht korrekt abgelaufen ist. Vergabeverfahren zu bewer-ten ist immer sehr schwierig, wenn man sie nicht selber gestaltet.

Dirk Meyer, Beauftragter der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für Patien-tinnen und Patienten führt aus:

Ich möchte den Fokus auf die Perspektive Nordrhein-Westfalen legen, darauf, welche Auswirkungen diese Entwicklung für die Unterstützung und Arbeit der Pa-tientenberatung in NRW hat. Denn die Zukunft der UPD berührt NRW nicht nur in Bezug auf die Patient(inn)en und deren Angehörige, sondern in Bezug auf alle Versicherten.

Über 20.000 Anfragen, Problemschilderungen und Beschwerden wurden 2014 aus NRW an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UPD gerichtet. Eine besondere Rolle spielen dabei die drei schon genannten Regional-UPD-Beratungsstellen in Bielefeld, Dortmund und Köln, mit denen ich auch im Alltag in der konkreten Un-terstützung sehr eng zusammenarbeite; denn die Patientenberatung geht in vielen Fällen weit über die Weitergabe von Informationen hinaus.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sich Patient(inn)en und ihre Angehörigen oft mit einer komplexen Problematik bzw. mit einer erheblichen Leidensgeschichte melden und nach individueller Hilfe suchen. Dazu bedarf es einer regionalen Ver-ankerung der Beratung und der Einbindung und Vernetzung des Beratungsange-botes.

Ich hatte bis vor Kurzem die Hoffnung, dass wir in Nordrhein-Westfalen in Zukunft eher fünf statt bisher drei unabhängige Beratungsstellen finden würden, weil der Bundesgesetzgeber die Ausweitung der UPD-Finanzierung – mit starker Unter-stützung der Länderebene, wie die Ministerin eben ausgeführt hat – beschlossen hat. Im Sinne der Menschen in Nordrhein-Westfalen benötigen wir mehr unabhän-gige, neutrale, qualitätsgesicherte und regional gut vernetzte Beratung. Die jetzt bekanntgewordene Vergabeentscheidung des GKV-Spitzenverbandes, die aus

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meiner Sicht leider und auch unverständlicherweise die Zustimmung meines Kol-legen Laumann gefunden hat, ist vor diesem Hintergrund nicht nur kontraproduk-tiv, sondern auch inakzeptabel.

Unabhängigkeit und Neutralität der UPD haben für Patient(inn)en und ihre Ange-hörigen einen zentralen Stellenwert, nicht nur in Bezug auf die ambulante und sta-tionäre Versorgung, wo es gegebenenfalls konkret um Anfragen zu Kassenärztli-chen Vereinigungen, Ärztekammern, Krankenhäusern und Ärzten geht, sondern insbesondere in Bezug auf die Krankenkassen. Dazu einige Zahlen:

Von den bundesweit 80.000 Anfragen in 2014 bei der UPD bezogen sich über 27.000 auf die Kostenträger und das Leistungsrecht, also mehr als ein Drittel. Das gleiche Bild ergibt sich bei den Anfragen der Patientinnen und Patienten an mich als Patientenbeauftragten: Ebenfalls mehr als ein Drittel davon beziehen sich auf die GKV und die Kostenübernahme.

Positiv gesehen spielt die UPD bisher also die Rolle des Stachels im Fleisch auch der GKV. Das ist auch gut so. Und das soll und muss aus meiner Sicht in Zukunft so bleiben: im Sinne eines Korrektivs.

Ein Callcenter-Dienstleister, der nach eigenen Angaben ein Drittel aller Versicher-tenanfragen der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland bearbeitet, ist nicht unabhängig und neutral. Ein bundesweites Callcenter ist zudem nicht regio-nal verankert und vernetzt.

Unabhängigkeit und die Anwaltschaft für Patient(inn)en ist keine Dienstleistung, die ein Anbieter einfach mal aus dem Ärmel schütteln und verkaufen kann. Hier geht es tatsächlich um Haltung, um Glaubwürdigkeit und um Standhaftigkeit in der Auseinandersetzung mit den großen Systemakteuren an der Seite der Pati-ent(inn)en. Dies ist offensichtlich nicht gewollt, muss ich konstatieren, wenn ich diese Entscheidung sehe. Das hat mich wirklich irritiert.

Ich hoffe, dass das Vergabeverfahren in der aktuellen Überprüfungsphase noch gestoppt wird und die Kriterien Unabhängigkeit und Neutralität neu gewichtet wer-den. Denn wir benötigen in Nordrhein-Westfalen keine „UPD light“ als Fähnlein im Winde der gesetzlichen Krankenversicherung.

Gregor Bornes (Gesundheitsladen Köln e. V., UPD-Beratungsstelle) trägt vor:

Ich freue mich, dass ich hier sein kann. Wir haben in letzter Zeit auf verschiedenen Ebenen, auch auf der Landesebene, sehr viel Unterstützung bekommen.

Ich kann Ihnen zunächst vor dem Hintergrund meiner persönlichen Erfahrungen sagen, was sich da zurzeit entwickelt. Vielleicht muss man auch kurz zurück-blicken, was eigentlich passiert ist.

Die Gesundheitsläden in Köln und in Bielefeld machen seit fast 30 Jahren Patien-tenberatung. Wir sind 2001 in die Förderung gelangt nach § 65b SGB V. Darüber hinaus sind wir – weil wir uns eben nicht nur als Beratungsstelle sehen, die im Einzelfall aktiv sein will – immer auch bemüht gewesen, die Ergebnisse und die Erkenntnisse, die wir aus der Beratung gewonnen haben, in die Politik zu tragen.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

Wir waren sehr froh, dass der Gesetzgeber 2011 der unabhängigen Patienten-beratung genau diese Aufgabe auch offiziell gegeben hat. Wir sind seitdem also sogar verpflichtet, der Politik, insbesondere dem Patientenbeauftragten der Bun-desregierung, regelmäßig einmal im Jahr über die Beratung zu berichten, vor al-lem über Problemlagen.

Die Berichte zeigen deutlich, dass es nicht nur um Beschwerden gegen Leis-tungserbringer geht. Eine Menge Problemlagen zielen auf die Krankenkassen. Wir vermuten daher, dass die gesamte Ausschreibung schon mit dem Ziel entwickelt wurde, die bisherigen Anbieter der unabhängigen Patientenberatung aus diesem Geschäft zu entfernen. Wohlgemerkt: Bisher wird sie getragen von gemeinnützi-gen Organisationen; von einem Geschäft im eigentlichen Sinn kann man daher nicht reden. Das, was in den Medien deutlich geworden ist und was hier offen-sichtlich geplant wird, ist aber eben auch ein Geschäft mit unabhängiger Patien-tenberatung. Sie können sicher sein, dass ein Unternehmen wie Sanvartis, das in den Medien immer wieder genannt wird, auch das Ziel hat, Gewinne zu realisie-ren.

Zum Stand des aktuellen Ausschreibungsverfahrens: Wir – die Bietergemein-schaft, die Verbraucherzentrale Bundesverband, der VdK-Bundesverband und der Verbund unabhängige Patientenberatung –, haben vor ungefähr einem Monat vom GKV-Spitzenverband die Mitteilung bekommen, dass der GKV-Spitzenverband beabsichtigt, nicht uns den nächsten Auftrag zu geben. Dagegen haben wir zu-nächst mal eine Rüge eingelegt, dann auch einen Widerspruch vor der sich jetzt auch als zuständig erklärten Vergabekammer des Bundes. Das ist eine Einrich-tung, die beim Bundeskartellamt angesiedelt ist. Sie überprüft die Vergabe im Moment noch darauf, ob sie den Vergabekriterien insgesamt genügt.

Wir müssen grundsätzlich feststellen, dass das Vergaberecht und auch die Über-prüfung durch eine Vergabekammer, die ja beim Bundeskartellamt angesiedelt ist, den sozialrechtlichen Hintergrund und den sozialpolitischen Hintergrund des § 65b SGB V leider nicht besonders stark gewichtet. Der Fokus liegt hier auf dem Wett-bewerb. Und das, was man uns bis jetzt signalisiert hat, geht auch genau in diese Richtung: dass wir allein unter wettbewerbsrechtlichen Bedingungen gemessen werden. Nicht zuletzt hat man uns gesagt – Frau Steffens, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie das erwähnt haben –, dass die Qualität, die Verankerung in der Region und die Nutzerzufriedenheit, die uns die externe wissenschaftliche Beglei-tung bisher bescheinigt hat, im Vergaberecht überhaupt keine Rolle spielen. Wir sind hier quasi reduziert auf das, was wir auf Papier abgeliefert haben. Unsere Er-fahrungen, unsere Kompetenzen – wir haben Mitarbeiter, die seit mehr als zehn Jahren in der Patientenberatung arbeiten; ich selber bin seit über 20 Jahren in der Patientenberatung tätig – spielen keine Rolle, werden keine Berücksichtigung fin-den. Man geht davon aus, dass eine Firma wie Sanvartis Callcenter-Mitarbeiter über Schnellschulungen in die Lage versetzt, in irgendeiner Form Patientenbera-tung zu machen. Wer Erfahrung mit Callcentern hat, kann sich gut vorstellen, was für eine Art von Beratung da am Ende herauskommt.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe Auch wenn in der folgenden Woche noch eine Plenardebatte zu diesem Thema an-stehe, wolle er sich namens seiner Fraktion bereits an dieser Stelle äußern, so Mi-chael Scheffler (SPD). Sollte die Vergabekammer die Vergabeentscheidung nicht beanstanden und damit diese privatisierte Struktur gewählt werden, stehe man einer Fehlentscheidung gegenüber. In einer Zeit, in der die Menschen bei gesundheitspoli-tischen Themen sehr verunsichert seien, gehe es darum, Patientinnen und Patienten zu stärken und ihnen durch eine neutrale Beratung zu helfen. Diese Entscheidung schwäche die Patientinnen und Patienten eher, als dass sie sie stärke.

Die gemeinwohlorientierte unabhängige Patientenberatung, die in Nordrhein-Westfa-len hoffentlich auch weiterhin angeboten werden könne, habe sich bewährt. Nun sol-le ohne Not privatisiert werden. Wahrscheinlich hätte man diese Entscheidung mit einem anderen Ausschreibungstext verhindern können. So bleibe nur zu hoffen, dass das Bundesgesundheitsministerium doch noch das Zerschlagen der vorhandenen guten Strukturen verhindere. Denn es sei nicht zielführend, wenn Patienten, die das Callcenter anriefen – scherzhaft ausgedrückt –, bei Problemen mit der Niere die 7 und bei Problemen mit der Lunge die 8 drücken müssten. Die Patientenberatung müsse nahe bei denen sein, die sie in Anspruch nähmen.

Torsten Sommer (PIRATEN) dankt für die Berichte, die wirklich nichts Gutes erah-nen ließen. Offenbar werde hier rein nach ökonomischen Gesichtspunkten gewertet. Dann gewinne ein Callcenter mit Teilzeitangestellten, die Checklisten am Bildschirm abhakten. Das sei nicht im Sinne der Menschen, die man hier vertrete. Insofern müs-se man ein neues Vergabeverfahren erreichen.

Er frage sich, so der Abgeordnete, wie öffentlich und transparent dieses Ausschrei-bungsverfahren abgelaufen sei. Es lasse sich ja allein durch die Ausgestaltung der eine oder andere Akzent setzen.

Er danke ebenfalls für die Vorträge, so Arif Ünal (GRÜNE), kenne die Arbeit des Gesundheitsladens in Köln seit 20 Jahren persönlich. Hier gehe es nicht um Fragen nach bestimmten Fachärzten oder Fachärztinnen, sondern um Fragen zu komplizier-testen Gesundheitsthemen. Deren Beantwortung lasse sich nur persönlich bewerk-stelligen, da immer auch persönliche Geschichten dahinter steckten. Ein Callcenter könne das nicht leisten. Obwohl er seit 30 Jahren im Gesundheitsbereich arbeite und ein Gesundheitszentrum in Köln leite, habe er manchmal selber Probleme bei der Beantwortung der Fragen gehabt, so Ünal, und habe dann auf die Fachkompetenz des Gesundheitsladens zurückgegriffen.

Das Gewicht dürfe bei der Beratung nicht auf schneller Erreichbarkeit und schnellen Bearbeitungszeiten liegen. Dass die persönliche, unabhängige Beratung der Men-schen bei der Gestaltung der Ausschreibung offenbar kaum eine Rolle gespielt habe, sei erstaunlich und führe zu der Frage, ob hier tatsächlich sach- und fachgerechte Vergabekriterien angewandt worden seien.

Man müsse alles dafür tun, auf der Bundesebene einen Umdenkprozess in Gang zu setzen, um die bestehenden unabhängigen Beratungsstellen zu erhalten und – be-sonders in NRW – zusätzliche Beratungsstellen zu schaffen. Im Zuge der demografi-

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe schen Entwicklung im Lande werde es immer mehr ältere Personen mit sehr kompli-zierten Gesundheitsfragen geben, die von Callcenter, die bereits mit vergleichsweise einfachen Fragen Probleme hätten, kaum beantwortet werden könnten.

Peter Preuß (CDU) meint, wenn man die Einzelheiten des Vergabeverfahrens nicht kenne, könne man auch nicht wissen, ob es sich um eine Fehlentscheidung handele, zumal die abschließende Entscheidung auch noch gar nicht gefällt worden sei.

(Er habe gesagt, „sollte die Vergabekammer die Vergabeentschei-dung nicht beanstanden“, wirft Michael Scheffler [SPD] ein.)

Er wolle auf etwas anderes hinaus, entgegnet der Redner. Da bis zum Abschluss des Verfahrens Vertraulichkeit herrsche, sei noch nicht bekannt, nach welchen Krite-rien die Unabhängigkeit der Patientenberatung sichergestellt werden solle. Dafür, dass sie sichergestellt werde, sei selbstverständlich auch die CDU-Fraktion. Die ge-setzlichen Vorschriften beschränkten eine unabhängige Patientenberatung aber nicht auf rein gemeinnützige Unternehmen; Private seien also nicht ausgeschlossen. Der Stachel scheine hier die Privatisierung zu sein.

Auch die soeben in den Raum gestellte – wie er meine – böse Behauptung, das Vergabeverfahren sei durch die Gestaltung der Kriterien manipuliert worden, da die bisherigen Träger nun überhaupt nicht mehr zum Zuge kommen könnten, entbehre jeder Grundlage. Gleiches gelte für die Behauptung, die Firma Sanvartis werde von den Kassen finanziert. Das müsse erst einmal verifiziert werden.

Auf dieser Grundlage lasse sich keine Diskussion führen.

Vorsitzender Günter Garbrecht verweist auf das nächste Plenum, das Gelegenheit bieten werde, die erkennbar unterschiedlichen Auffassungen weiter auszutauschen. Bei der Aufstellung der Tagesordnung des AGS-Ausschusses sei nicht absehbar gewesen, dass die Koalitionsfraktionen einen Plenarantrag zu diesem Thema vorle-gen würden. Vielleicht könnten sich andere Fraktionen noch entschließen, diesem beizutreten.

Sodann dankt der Vorsitzende Herrn Meyer und Herrn Bornes für ihr Kommen und ihre Vorträge.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 8 Bericht über Doping am Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst

Bericht der Landesregierung Vorlage 16/3047

Vorsitzender Günter Garbrecht teilt mit, der von der Fraktion der CDU erbetene schriftliche Bericht sei mit Vorlage 16/3047 an die Abgeordneten verteilt worden.

(Keine Diskussion)

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 9 Bericht über die sektorale Heilpraktikerprüfung für Podologen

Bericht der Landesregierung Vorlage 16/3040

Auch dieser Bericht – Vorlage 16/3040 – sei von der Fraktion der CDU erbeten wor-den, so Vorsitzender Günter Garbrecht.

(Keine Diskussion)

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 10 Bericht über die Neuordnung der Notfalldienste im Bereich der Kassen-

ärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein

Bericht der Landesregierung Vorlage 16/3086

Vorsitzender Günter Garbrecht verweist auf den von der Fraktion der FDP erbete-nen Bericht, Vorlage 16/3086.

(Keine Diskussion)

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 11 Gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen in NRW

Bericht der Landesregierung Vorlage 16/3134

Vorsitzender Günter Garbrecht geht davon aus, dass der Briefwechsel zwischen Herrn Abgeordneten Preuß und Frau Ministerin Steffens zu Notfallkonzepten der Landesregierung bezogen auf Flüchtlinge in NRW inzwischen allen Abgeordneten des Ausschusses bekannt geworden sei. Der federführende Innenausschuss habe in der Sommerpause am 10. Juli 2015 eine Sondersitzung zur Versorgung von Flücht-lingen durchgeführt. Der Bericht des MIK zum Thema „Notfallkonzept der Landesein-richtungen für Flüchtlinge“ sei den Abgeordneten des Innenausschusses und des AGS-Ausschusses mit Vorlage 16/3134 zugegangen.

ORR Dr. Peter Schmidt (Ministerium für Inneres und Kommunales) erstattet Be-richt:

Der Vorlauf des Berichts ist eben schon erwähnt worden. In den Innenausschuss-sitzungen der letzten Monate war die Notfallplanung immer wieder Thema. Zum 31. Juli 2015 haben wir von der Bezirksregierung Arnsberg einen „Notfallplan Flüchtlingsunterbringung NRW“ bekommen.

Vorweg – das geht auch aus dem Bericht hervor –: Ein Notfallplan zur Flüchtlings-unterbringung kann nicht statisch sein. Er muss lebendig sein im Hinblick auf das, was tagtäglich passiert und was an neuen Anforderungen und Schwierigkeiten entsteht.

Zur Terminologie: Wenn wir als Unterbringungsbehörde von Notfallplanung und Notfallkonzept sprechen, dann natürlich mit dem Fokus auf Unterbringung und Un-terbringungskapazitäten. Es geht darum, welche Situationen eintreten können, die unmittelbar Rückwirkung/Auswirkung auf die vorhandenen Kapazitäten haben, und wie man dann sinnvollerweise verfahren sollte.

Zur Klarstellung: Ein solcher Notfallplan ist nicht gleichzusetzen mit einem Notfall-plan zu ausschließlich gesundheitlichen Belangen. Er enthält natürlich gesundheit-liche Bezüge, geht aber über das reine Thema „Gesundheit“ hinaus. Ein besonde-rer Fokus liegt auf dem Thema „Notfallressourcen, Platzkapazitäten“.

Ein solcher Notfallplan regelt deswegen auch keineswegs die grundständige ge-sundheitliche Versorgung der Menschen in den Landesaufnahmeeinrichtungen, sei es in den zentralen Unterbringungseinrichtungen oder in den Erstaufnahmeein-richtungen oder in den Notunterkünften.

Es ist so – um noch einen ganz kleinen Exkurs zu machen –, dass den Menschen, generell den Asylsuchenden, die in Nordrhein-Westfalen ankommen, zunächst einmal die örtliche medizinische Regelversorgung – stationär, ambulant – im Rahmen der Leistungsansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zur Ver-fügung steht. Daneben existieren in den zentralen Unterbringungseinrichtungen Sanitätsstationen und/oder finden Sprechstunden von niedergelassenen Ärzten

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

statt. Das ist ein Zusatz in den Regelunterbringungseinrichtungen. Diese Regel-versorgung der Menschen in gesundheitlicher Hinsicht hat mit dem Thema „Not-fall, Notfallplanung“ nichts zu tun.

Nun zum Notfallkonzept selbst.

Die Notfallkapazitäten sind ein ganz entscheidender Punkt, wobei man natürlich auch sehen muss – dazu werde ich gleich noch kurz kommen –, was im Zuge der laufenden Kapazitätsplanung in den letzten Monaten hinsichtlich der Zugangszah-len passiert ist.

In der Grundauslegung halten wir Regelkapazitäten in einem zweistufigen System vor, Bereich Landesaufnahme, die sogenannten Erstaufnahmeeinrichtungen, zu-letzt in Dortmund und Bielefeld, mittlerweile auch im Landkreis Siegen-Wittgenstein und in Unna. Weitere werden hinzukommen. Folgende Notkapazi-tätsstufen sind vorgesehen:

Auf Stufe 1 gibt es bestimmte Kapazitäten in den Regelunterbringungs-einrichtungen, die im Notfall Stand-by über eine standardmäßige Kapazi-tät belegt werden.

Auf Stufe 2 kommen externe Kapazitäten hinzu, die abgerufen werden, sogenannte Stand-by-Kapazitäten. Dazu sind Vereinbarungen geschlos-sen worden beispielsweise mit den Jugendherbergen, mit dem Jugend-herbergswerk, gerade für Herbst und Winter.

Als Stufe 3 im Notfallmodus kommen Notunterkünfte hinzu, die unmittel-bar von den Bezirksregierungen in Betrieb genommen werden.

Stufe 4 ist das, was im Moment an der Tagesordnung ist: Notunterkünfte auch in Turnhallen, künftig auch in beheizten Zelthallen, in außer-gewöhnlichen Notlagen – hier begrifflich mit dem Fokus auf Unterbrin-gung, auf Unterbringungskapazität.

Zu dieser Konzeptabfolge von Notfallressourcen kommt ein systematisches Kon-zept hinzu. Das hat die Überschrift „Röntgen und Registrieren“. Man muss viel-leicht etwas ausholen, um verständlich zu machen, wieso wir hier ausgerechnet von „Röntgen und Registrieren“ sprechen.

Es finden im Bereich der Landesaufnahme, bevor die Menschen den Kommunen in Nordrhein-Westfalen zugewiesen werden, verschiedene Prozesse statt – tech-nisch –, insbesondere die sogenannte Tbc-Ausschlussuntersuchung, die wir un-technisch Röntgen nennen – da wird nicht nur geröntgt; das ist abhängig von den Personen; für Schwangere und Kinder gibt es andere Untersuchungen –, und das sogenannte Registrieren, also das Erfassen der persönlichen Daten, die Ausstel-lung der sogenannten BÜMA, einer Bescheinigung über die Meldung als Asylsu-chender. Das sind wesentliche Prozesse, die auf Ebene der Landesaufnahme stattfinden, und zwar im regulären Betrieb in den Erstaufnahmeeinrichtungen, sprich: ganz an der Spitze der Pyramide und damit im Flaschenhals, was sozusa-gen den Zugang in das Land Nordrhein-Westfalen betrifft.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

Einige Zahlen zu den aktuellen Zugängen. Wir hatten bundesweit – ich rede jetzt nicht von Zahlen des BAMF, des Bundesamtes für Asyl und Migration, sondern von realen Zugangszahlen im Land Nordrhein-Westfalen, die im sogenannten EASY-System, Erstverteilung der Asylbegehrenden auf die Bundesländer nach dem Königsteiner Schlüssel, abgebildet werden – im Zeitraum Januar bis Ende Juli 2015 insgesamt über 300.000 Asylsuchende, wovon im Ergebnis rund 59.000 Menschen als Asylsuchende in nordrhein-westfälische Verfahren gehen.

Zu diesen knapp 60.000 Menschen kommen noch jene Erstaufnahmen hinzu, die in Nordrhein-Westfalen zumindest für wenige Tage zu bewältigen sind, weil sie hierhin gebracht werden oder selbst den Weg hierhin finden, die aber wiederum über den Königsteiner Schlüssel aus Nordrhein-Westfalen weiter in andere Bun-desländer reisen müssen. Damit sind im Zeitraum Januar bis Ende Juli 2015 ins-gesamt 87.000 Menschen in der Erstaufnahme in Nordrhein-Westfalen angekom-men.

Aktuell finden durchschnittlich 6.000 Menschen in der Woche den Weg nach Nord-rhein-Westfalen. Das ist nicht kanalisiert, also gleichmäßig verteilt auf drei oder vier Erstaufnahmeeinrichtungen, sondern es gibt Schwerpunktrouten, auf der ge-rade der Standort Dortmund liegt.

Wir hatten am 10. August 2015 einen historischen Tageshöchstzugang von 1.488 Menschen. So viele sind an dem Tag nach Nordrhein-Westfalen gekommen.

Zurückkommend auf das, was ich eben sagte, Thema „Röntgen und Registrieren“ als Standardaufgabe auch in Erstaufnahmeeinrichtungen: Wenn solche Zahlen im Raum stehen – wir haben im Vergleich der Zeiträume Januar bis Ende Juli 2014 und Januar bis Ende Juli 2015 eine Steigerung von 194 % zu verzeichnen –, wird rasch klar, dass auch die Kapazitäten, die für diese Prozesse vorgesehen sind, schnell am Ende sind, dass in diesem Flaschenhals viele Menschen die Prozesse nicht mehr durchlaufen können.

Deswegen wurde auch für diesen Bereich ein Notfallkonzept erstellt. Einzelheiten finden Sie im schriftlichen Bericht dargestellt. Das mag für den Außenstehenden erst einmal komplex erscheinen, was es zugegebenermaßen in der logistischen Umsetzung tagtäglich auch ist. Um das zu vereinfachen und zusammenzufassen: Alle Prozesse, die wegen des Flaschenhalscharakters, wegen der hohen Zu-gangszahlen nicht in den Erstaufnahmeeinrichtungen gemacht werden können, werden in jenen Einrichtungen nachgeholt, die in der Pyramide auf der zweiten Ebene stehen, sprich: in den zentralen Unterbringungseinrichtungen, aber aktuell auch in örtlichen Krankenhäusern und in Notunterkünften.

Besonders für das Konzept „Röntgen und Registrieren“, die Tbc-Ausschlussunter-suchung, gilt, was ich eingangs sagte: Das muss lebendig sein, das bedarf teilwei-se täglich der Anpassung, um dafür zu sorgen, dass die notwendigen Schritte und Maßnahmen, die in diesem Flaschenhals nicht ad hoc ausgeführt werden können, unmittelbar auf der nächsten Ebene durchgeführt werden können.

Ein weiteres Element des Notfallplans ist ein Konzept zum Umgang mit infektiösen Erkrankungen. Da geht es insbesondere um Meldewege, die infektionsschutz-

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe

gesetzlich vorgegeben sind, aber auch um bestimmte Anleitungen, Verfahrens-weisen für die Mitarbeiter in den Einrichtungen selbst, wie man mit bestimmten Phänomenen, Erkrankungsfällen, die auffällig werden, umgeht, wie Menschen in vorhandenen Isolierungskapazitäten vorübergehend unterzubringen sind, bis das örtliche Gesundheitsamt verständigt ist, bis Arzt/Ärztin verständigt ist, bzw. wie die betroffenen Menschen von dort, wo räumliche Isoliermöglichkeiten noch nicht vor-handen sind – natürlich nach Rücksprache mit Arzt/Ärztin bzw. unterer Gesund-heitsbehörde –, in Unterbringungseinrichtungen mit räumlichen Isoliermöglichkei-ten verlegt werden können.

Zu guter Letzt haben wir das Element des sogenannten Notfallkoffers.Das ist kein Koffer im medizinischen Sinne, sondern ein Koffer in Aktenform, der in zweifacher Ausfertigung und immer aktuell gehalten in jeder Regelunterbringungseinrichtung stehen soll, mit den Elementen, wie sie im schriftlichen Bericht beschrieben sind. Genauso synchronisiert soll er bei der jeweils zuständigen Bezirksregierung ste-hen, wiederum mit verschiedenen Anleitungen, Plänen, Meldewegen, Ansprech-partnern für ganz verschiedene Notfallsituationen, die aus Unterbringungssicht bestehen können.

Peter Preuß (CDU) kommt auf seinen Briefwechsel mit der Ministerin zu sprechen, aus dem deutlich geworden sei, dass diese Gesundheitsfragen nicht in die Zustän-digkeit des Gesundheitsministeriums fielen, sondern in die des Innenministeriums. Dies mute auch insofern etwas merkwürdig an, als bei Problemen vor Ort die Ge-sundheitsämter eingeschaltet werden müssten.

Anlass für seinen Brief seien im Übrigen mehrere Hinweise darauf gewesen, dass in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Gesundheitsstatus der Flüchtlinge nicht festge-stellt worden sei, so der Abgeordnete weiter. Aus der Antwort der Ministerin gehe hervor, dass sogar gesetzlich vorgeschriebene Maßnahmen, beispielsweise nach dem Infektionsschutzgesetz, nicht durchgeführt worden seien, und nun die Kommu-nen den Gesundheitsstatus feststellen müssten, was einen großen finanziellen Auf-wand bedeute und eine organisatorische Überforderung.

Die Ministerin möge darlegen, ob die Landesregierung die Zusammenarbeit von In-nenministerium und Gesundheitsministerium verbessern wolle.

Ministerin Barbara Steffens (Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter) erklärt, in Nordrhein-Westfalen liege die Zuständigkeit für das Asylbewer-berleistungsgesetz – sowohl Organisation als auch Finanzierung – wie in allen ande-ren Bundesländern beim Innenressort. An dieser Zuständigkeitsaufteilung könne kein Land ohne Weiteres Änderungen vornehmen. Das schließe Hilfestellungen und Ähn-liches durch das Gesundheitsressort aber nicht aus. Dazu gehöre beispielsweise die Unterstützung der Gesundheitsämter, zum Beispiel wenn sie keine Ärzte oder keine Krankenhäuser zum Röntgen fänden. Auch habe das MGEPA beim Auftreten von Varizellenerkrankungen in Asylbewerberunterkünften über das Landeszentrum Ge-sundheit Nordrhein-Westfalen den Gesundheitsämtern ein Transferschema zur Ver-

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe fügung gestellt, aus dem hervorgehe, wann wer wie wohin verlegt werden könne, wie Isolierungen vonstattengehen müssten.

Ungeachtet dessen liege die formale Zuständigkeit beim MIK. Das sei derzeit aller-dings in erster Linie damit beschäftigt, dieser unvorstellbaren Zahl an Menschen, die in diesen Wochen nach Nordrhein-Westfalen kämen, ein Dach über dem Kopf zu verschaffen.

Insofern gebe es einen gemeinsamen Arbeitsprozess. Das MGEPA teile dem MIK beispielsweise mit, welche Impfungen und Untersuchungen durchgeführt werden müssten. Angesichts der rasanten Entwicklung und des hohen Drucks entstünden bei einer Bezirksregierung oder beim MIK aber auch mal Dinge wie der Notfallplan Gesundheit, den sie als Gesundheitsministerin nicht kenne. Wenn dergleichen auffal-le, rede man darüber, um gemeinsam voranzukommen.

Das Gesundheitsministerium habe dem Innenministerium zudem angeboten, sich zusammen eine Erstaufnahmeeinrichtung auf Hemmnisse und gesundheitspolitische Optimierungsmöglichkeiten hin anzusehen. In der Regel gehe es dort nur darum, die Abläufe zu organisieren, die Registrierung zu gewährleisten, den Menschen ein Dach über dem Kopf sowie Essen, Decken und Kleidung zu geben.

Trotz all dieser Maßnahmen werde an vielen Stellen „Land unter“ gemeldet, was an-gesichts der Menschenmengen auch nachvollziehbar sei.

In der vergangenen Woche habe das MGEPA mit der Ministerpräsidentin und den Landräten eine Gesprächsrunde über Gesundheitsfragen in Notunterkünften durch-geführt. Diese lägen in kreisangehörigen Gemeinden, die nicht über ein eigenes Ge-sundheitsamt verfügten. Inzwischen hätten sich alle nordrhein-westfälischen Kreis-gesundheitsämter bereit erklärt, die kreisangehörigen Gemeinden zu unterstützen.

Da die Gesundheitsämter zum Teil kaum noch über Personal verfügten, versuche, das MGEPA, zum Beispiel pensionierte Ärzte und Ärztinnen zurück ins Boot zu ho-len. Viele seien auch bereit, zu helfen.

Die Einrichtungen stemmten die Anforderungen so gut wie möglich. Die Politik müs-se nun ihrerseits eine Kraftanstrengung unternehmen und Sorge dafür tragen, dass die Stimmung in der Bevölkerung nicht kippe. An dieser Stelle appelliere sie an die Gesundheitspolitiker des Landtags, auf die Strukturen vor Ort zu schauen und dem Ministerium Defizite und Probleme mitzuteilen, so Steffens. Man trage gemeinsam Verantwortung dafür, die Menschen, die aus Syrien und dem Irak nach Nordrhein-Westfalen kämen, schnellstmöglich zu integrieren, ihnen schnellstmöglich Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Zum Teil handele es sich um hochqualifizierte Menschen, die sich auch schnell integrieren ließen, wenn sie von adäquaten Struktu-ren aufgenommen würden. Als Pflegeministerin sehe sie hierin zudem die Chance, das Sinken der Zahl an erwerbsfähigen Personen in Deutschland zu stoppen.

Torsten Sommer (PIRATEN) schließt sich dem Dank für die Vorträge an und führt sodann aus: Unter anderem in der Erstaufnahmeeinrichtung Dortmund sei die Mög-lichkeit geschaffen worden, „Quarantänestationen“ einzurichten, einfach abgetrennte Bereiche, in denen auf Weiterverteilung wartende Menschen in Zweifelsfällen von

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe anderen Wartenden getrennt untergebracht werden könnten. Dieses Konzept habe sich bewährt, sei jedoch von vielen anderen EAE nicht übernommen worden, von den zentralen Unterbringungseinrichtungen gleich gar nicht. Man könne nicht immer alles parat haben, aber man könne in Strukturen denken und sich mit dem Einrichten abgetrennter Bereiche selbst ein Zeitpolster verschaffen. In Dortmund habe eine EAE PR-trächtig mal eben wegen Überlastung geschlossen werden müssen, weil zwei andere EAE mit jeweils 600 Plätzen wahrscheinlich aufgrund von Quarantäne-fällen vom Verteilungsnetz gegangen seien.

Es stelle sich die Frage, wie man das in Zukunft ein klein wenig sicherer gestalten könne.

Man versuche tagtäglich, strukturell zu denken und auch zu handeln, antwortet ORR Dr. Peter Schmidt (Ministerium für Inneres und Kommunales).

In der Tat träten in den Landeseinrichtungen – im Übrigen nicht nur in Nordrhein-Westfalen – immer wieder Erkrankungen auf, vor allem Varizellen, also Windpocken. Und in der Tat müsse man sich fragen, wieso dadurch immer wieder Kapazitäten wegfielen, wieso nicht einfach spezielle Bereiche abgetrennt würden, um diese Men-schen zu isolieren, bis ein Arzt vor Ort sei.

Wenn das örtliche Gesundheitsamt – das ungeachtet der existierenden Isoliermög-lichkeiten nach eigenem Ermessen entscheide, was im Rahmen der geltenden ge-sundheitsrechtlichen Anforderungen getan werden müsse – bei seiner Güterabwä-gung in Notfallsituationen die betroffene Einrichtung nicht komplett sperre, könnten bestimmte Personengruppen – geimpft oder nicht geimpft, in Kontakt mit Infizierten oder nicht – nach dem Transferschema des LZG verteilt werden. Schließe es die Ein-richtung komplett, entfielen die dortigen Kapazitäten und Transfermöglichkeiten in Gänze.

Er sei kein Mediziner, so der Redner, habe in den letzten Wochen und Monaten aber gelernt, dass bestimmte Phänomene, insbesondere der Ausbruch von Infektions-krankheiten in Gemeinschaftseinrichtungen und die Sperrung einer Einrichtung durch das örtliche Gesundheitsamt, aus Unterbringungssicht „leider“ nicht gänzlich zu ver-meiden seien.

Für Infektionsgeschehen sei der ÖGD in Eigenverantwortung zuständig, ergänzt Mi-nisterin Barbara Steffens (Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter). Die Gesundheitsämter überprüften nach dem schon erwähnten Transfer-schema, welche Personen geimpft seien und welche nicht, welche Personen Kontakt zu Infizierten gehabt hätten und welche nicht, und schlage daraufhin vor, ob und ge-gebenenfalls welche Maßnahmen ergriffen werden müssten. Über Isolierungen kön-ne nun einmal nur vor Ort entschieden werden.

Herrn Sommer gehe es sicher darum, dass überhaupt Räumlichkeiten und Struktu-ren vorgehalten würden, um Betroffene isoliert unterbringen zu können. Das Problem bestehe darin, dass solche Isolationsbereiche laufend überfüllt seien. Aus diesem

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe Grund plädiere das Ministerium dafür, die Strukturen so zu gestalten, dass sich je-derzeit Infektionseinheiten abschirmen ließen.

Vorhaltungen seien an dieser Stelle nicht sinnvoll. Ziel müsse es sein, schnell zu impfen, um die Verbreitung von Erkrankungen zu verhindern. Dazu brauche man ei-nen schnellen Überblick darüber, wer geimpft sei und wer nicht. Derzeit bestehe ein Problem auch darin, dass viele Geimpfte ihre Impfpapiere nicht aufbewahrten, so-dass unklar sei, welcher Impfschutz bestehe.

Vorsitzender Günter Garbrecht geht davon aus, dass die Frage der gesundheitli-chen Versorgung der Flüchtlinge auch bei der Unterrichtung der Landesregierung zur aktuellen Situation der Flüchtlingspolitik im nächsten Plenum eine Rolle spielen wer-de.

Er danke den Abgeordneten für die relativ ruhige und sachliche Diskussion zu die-sem Thema. Es wäre gut, wenn es auf allen Ebenen so laufen würde. Diese große Herausforderung könnten nur alle gemeinsam bewältigen. Man sollte immer im Auge behalten, dass der Grat zwischen Hinweisen auf Unzulänglichkeiten und dem Vertre-ten sehr populistischer Auffassungen sehr schmal sei.

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 12 Hohe Krankenstände in der Landesverwaltung durch Einführung eines

proaktiven behördlichen Gesundheitsmanagements senken

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/8981

Vorsitzender Günter Garbrecht erinnert daran, dass dieser Antrag in der 87. Sit-zung des Plenums am 24. Juni 2015 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss, den Unterausschuss Personal und den AGS-Ausschuss zur Mitberatung überwiesen worden sei. Die abschließende Ab-stimmung solle im federführenden Ausschuss erfolgen.

Der AGS-Ausschuss will zunächst abwarten, welchen Bera-tungsweg der federführende Innenausschuss einschlägt.

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 51 - APr 16/972

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 13 Alkohol in der Schwangerschaft – jeder Schluck kann das werdende Le-

ben dauerhaft schädigen

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/8980

Vorsitzender Günter Garbrecht teilt mit, dieser Antrag sei in der 89. Sitzung des Plenums am 26. Juni 2015 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales überwiesen worden. Möglicherweise werde die antragstellende Fraktion in diesem ersten Aufschlag die Durchführung eines Expertengesprächs beantragen.

Dem sei so, bekräftigt Peter Preuß (CDU). Das Gespräch werde sicher sehr interes-sant.

Vorsitzender Günter Garbrecht kündigt an, auch diesen Antrag auf die Tagesord-nung des Obleutegesprächs am Rande des nächsten Plenums zu nehmen.

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 52 - APr 16/972

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales 26.08.2015 78. Sitzung (öffentlich) Roe 14 Verschiedenes

Staatssekretärin Martina Hoffmann-Badache (Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Alter und Pflege) trägt vor:

Sie wissen, das Altenpflegegesetz gehört zu meinen Spezialitäten, so auch heute. Ich wollte Ihnen noch einmal § 19 Altenpflegegesetz in Erinnerung rufen: Da geht es um den Landesförderplan Alter und Pflege. Sie haben gesetzlich festgelegt, dass vor einer Veröffentlichung dieses Förderplans dem zuständigen Ausschuss des Landtages Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist.

Wir hatten in einer früheren AGS-Ausschusssitzung berichtet, dass wir im Moment eine Erprobungsphase des Landesförderplans Alter und Pflege fahren. Ich will Sie schon jetzt darüber informieren, dass wir beabsichtigen, Ihnen Anfang Oktober 2015 den Landesförderplan Alter und Pflege zuzuleiten und Ihnen damit Gelegen-heit zur Stellungnahme zu geben. Wir haben das Ziel, im November dieses Jahres den Plan für 2016 zu veröffentlichen, damit die Projekte und Vereine, die hieraus Geld beantragen wollen, möglichst frühzeitig eine entsprechende Grundlage ha-ben.

gez. Günter Garbrecht Vorsitzender

14.09.2015/13.10.2015

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